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MOUNIR FENDRI

Neues zu Karl Mays Krüger-Bei · Das Manuskript
des Muhammad ben Abdallah Nimsi
alias Johann Gottlieb Krüger



Den Kennern von Karl Mays immensem Werk dürfte die Figur des Krüger-Bei wohl vertraut sein. In drei verschiedenen Erzählwerken tritt sie auf und steht mehr oder weniger im Vordergrund: in der Erzählung >Der Krumir< aus dem Zyklus >Orangen und Datteln<, im Kolportageroman >Deutsche Herzen - Deutsche Helden< (in dem Abschnitt, den die Bamberger Ausgabe unter dem Titel >Allah il Allah< verbreitet) und erst recht in der nach ihr betitelten Reiseerzählung >Krüger-Bei<, dem 2. Teil der >Satan und Ischariot<-Trilogie. In allen drei Werken erscheint diese Figur als deutschstämmiger hoher Offizier des Beys von Tunis, mit dem der erzählende Held sympathisiert und manch spannendes Abenteuer besteht.

   In dem wohl 1881 unter dem Eindruck der französischen Okkupation Tunesiens entstandenen Werk >Der Krumir< erfolgt die erste Begegnung des Erzählers mit dem sonderbaren Krüger-Bei. Der abenteuerliche Erzähler läßt den Leser seine Überraschung über die außergewöhnliche Begegnung im tunesischen Nordwesten mit einem Landsmann in der goldstrotzenden Uniform eines hohen, tunesischen Offiziers(1) mit folgenden Worten teilen:

Welch ein Zusammentreffen! Dieser Mann also war >Krüger-Bei<, der originelle Anführer der tunesischen Leibscharen! Ich hatte oft, sehr oft von ihm sprechen gehört. Er war keineswegs ein Afrikaner, sondern er stammte als der Sohn eines Bierbrauers aus der >Streusandbüchse des heiligen römischen Reiches deutscher Nation<. Sein Kismet hatte ihn im Anfange der dreißiger Jahre nach Tunis verschlagen, wo er zum Islam übertrat. Dadurch erwarb er sich die Gnade des Propheten und aller heiligen Kalifen in der Weise, daß er von Stufe zu Stufe stieg und endlich gar die ehrenvolle Aufgabe erhielt, an der Spitze der Leibmameluken das teure Leben Mohammed es Sadak Paschas zu beschützen.

Im späteren >Krüger-Bei< findet ein Wiedersehen zwischen dem Erzähler und seinem >tunesifizierten< Landsmann statt, der dem Leser erneut und noch prägnanter vorgestellt wird:


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»Krüger ist ... ein Deutscher von Geburt. Er hat eine Vergangenheit hinter sich, wie sie kein Romanschreiber sich phantastischer aussinnen könnte. ... Von Krüger selbst ist zwar über sein früheres Leben soviel wie nichts zu erfahren, aber ich glaube, daß er aus der Mark Brandenburg stammt und wahrscheinlich Brauerbursche oder so etwas ähnliches gewesen ist. Auf der Wanderschaft nach Frankreich verschlagen, hat er sich in die Fremdenlegion anwerben lassen, ist in Algerien desertiert, über die tunesische Grenze entwichen und dort Sklave geworden. Infolge seiner Anstelligkeit steckte man ihn später unter das Militär; er hielt aus, avancierte, kam zur Leibwache und hat es schließlich bis zum Obersten derselben gebracht. Mohammed es Sadok Pascha schenkt ihm sein ganzes Vertrauen.«(2)

Wir werden sehen, daß von Krüger selbst über sein früheres Leben doch viel zu erfahren war und ist. Denn daß es sich bei dieser Gestalt um eine historisch reale Person und keinesweges um eine rein fingierte, nur der Phantasie des >sächsischen Phantasten< entsprungene Figur handelt, steht in der Karl-May-Forschung spätestens seit einer Arbeit von Franz Kandolf aus dem Jahre 1924 fest; sie wurde zusammen mit einem weiteren, bis dahin ungedruckten Beitrag Kandolfs in das Karl-May-Jahrbuch 1979 aufgenommen.(3) Kernstück des ersteren Beitrags ist ein Aufsatz mit dem Titel >Ein deutscher Renegat in Nordafrika<, auf den Kandolf bei einem Besuch in Karl Mays Radebeuler Bibliothek in einem Band des >Magazin für die Literatur des Auslandes< des Jahrgangs 1845 stieß.(4) Auf dessen hinterer Einbanddecke las Kandolf zudem das von Karl May eigenhändig eingetragene Wort Krüger-Bei.(5)

   Der von Kandolf wiedergegebene Artikel handelt in der Tat von dem >Rheinpreußen< Johann Gottlieb Krüger, den es 1834 unter dem Banner der französischen Fremdenlegion nach dem nordafrikanischen Algerien verschlug. Angesichts der harten Frontrealität habe er sich bald zur Desertion entschlossen. Seine abenteuerliche Flucht habe ihn zunächst unter die Bewohner der Kabylei geführt, die ihn zum Übertritt zum Islam und zur Annahme des muslimischen Namens Muhammad ben Abdallah veranlaßten. Nach abenteuerlicher Flucht durch die Kabylei und das algerische Hinterland soll er schließlich die Stadt Tunis erreicht und sich dem Bey als  » S c h a t e r  , einer Art Leibwache« verpflichtet haben.

   Im zweiten Beitrag vermeldet Kandolf einen neuen Quellenfund in Sachen Krüger-Bei, nämlich den Tunis-Reisebericht eines P. R. Martini aus dem Jahr 1881.(6) Darin wird ein feierlicher Zug des tunesischen Beys geschildert und als »Curiosum« bemerkt, »daß der Oberst der Leibgarde aus unserer Mark Brandenburg stammt; er heißt Krüger und ist der Sohn eines Bierbrauers: schon im Jahre 1831 kam er nach Tunis, trat zum Islam über und ist mit seinem Loose sehr zufrieden«.(7) Beide Quellen erlaubten zunächst, die Historizität der Krüger-Bei-Figur zu


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erkennen und Antworten auf manche der unzähligen Fragen zu geben, die diese Maysche Gestalt aufwarf. Das zweite Dokument erbrachte auch den Beweis, daß der authentische Krüger noch 1881 in Tunis lebte und ein - scheinbar - hohes Amt am Bey-Hof bekleidete. Es wird sich zeigen, daß die Liste der Schriften, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts mit Krüger und seinem nordafrikanischen Schicksal mehr oder weniger ausführlich befaßten, sich keineswegs auf diese beiden beschränkt. Es bleibt demnach offen, ob sich Karl May bezüglich KrügerBei nicht auch anderweitig informiert hat; dafür spricht etwa die wohl nicht zufällige Betonung im >Krumir<: Ich hatte oft, sehr oft von ihm sprechen gehört.(8) Wie dem auch sei, es konnte aus den angeführten Quellen keine erschöpfende und einhellige Beantwortung aller Umstände von Krügers außergewöhnlicher Laufbahn gewonnen werden. Nicht nur ließen sie die meisten Fragen unbeantwortet, sondern sie brachten sogar zusätzliche Verwirrung. Irreführend war für Kandolf zum Beispiel die Angabe des >Magazin<-Artikels aus Karl Mays Bibliothek, Krüger stamme aus dem preußischen Rheinland. Erst anhand des >Gartenlaube<-Beitrags klärte sich die charakteristische Neigung des Krüger-Bei, sich des brandenburgischen Dialekts weidlich zu bedienen. Dieselbe Quelle ging wiederum in der Behauptung fehl, Krüger sei schon 1831 nach Tunis gekommen und habe sich erst dann zum Islam bekehrt.

   Als tunesischer Germanist, der sich speziell mit deutsch-tunesischen/maghrebinischen Beziehungen auf kulturgeschichtlicher Ebene befaßt, wurde ich schon früh auf den Mayschen deutsch-tunesischen Helden aufmerksam. Nach und nach erschlossen sich mir allerlei Bezugsquellen, die mich mit seiner authentischen Vorlage immer vertrauter machten, bis ich durch einen glücklichen Zufall an seine eigenhändigen autobiographischen Aufzeichnungen geriet. Dies geschah bei Nachforschungen über den bekannten Afrikaforscher Gustav Nachtigal, der sich erst 1863-68 und dann wieder 1882-84 in Tunesien aufhielt. In seinem Nachlaß in der Berliner Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz entdeckte ich zwei Hefte, in denen der mit »Johann Gottlieb Krüger oder Mohamed ben Abdolla« Unterzeichnende eigenhändig über sein recht abenteuerliches Leben Bericht erstattet.

   Doch vorab zur sekundären Quellenlage! Wir glauben mit schierer Gewißheit, den von Franz Kandolf zitierten Aufsatz aus dem >Magazin für die Literatur des Auslandes< des Jahres 1845 auf folgende Schrift zurückführen zu dürfen:


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Friederike London: Die Berberei. Eine Darstellung der religiösen und bürgerlichen Sitten und Gebräuche der Bewohner Nordafrika's. Frei nach englischen Quellen bearbeitet und auf eigene Beobachtung gegründet. Frankfurt a. M. u. London 1845.

In vier Kapiteln (S. 139-175) ihres Werkes liefert die Verfasserin einen ausführlichen Bericht über das merkwürdige Schicksal des deutschstämmigen Renegaten Johann Gottlieb Krüger, von seiner Rekrutierung durch französische Werber bis zur glücklichen Ankunft in Tunis. Aufgrund von Übereinstimmungen in Wortlaut und Gehalt, aber auch aufgrund der Simultaneität im Erscheinen (1845) erweist sich der >Magazin<-Beitrag ziemlich eindeutig als Zusammenfassung der Londonschen Darstellung. Gemeinsam haben sie auch die falsche Angabe über Krügers Rheinland-Herkunft. Diese verbreitete Annahme erklärt sich wohl dadurch, daß der Betreffende im preußischen Rheinland garnisoniert war, als er seine erste fatale Fahnenflucht beging. Wir werden sehen, daß er aus Werben in der, Mark Brandenburg gebürtig ist.

   Friederike London, die sich als Frau eines anglikanischen Missionars in Tunis zwischen Juni 1840 und Februar/März 1841 aufhielt, scheint sich wiederum im wesentlichen auf die Vorlage des Nathan Davis gestützt zu haben. Dieser, ein ehemaliger polnischer Jude, war damals ebenfalls Mitglied der anglikanischen Mission in Tunis. Er kannte Krüger und genoß nachweislich seine Achtung; eigens für ihn faßte Krüger einen Bericht ab. Davis veröffentlichte Krügers Erzählung in Ich-Form als Kapitel seines Werkes >Tunis; or, Selections from a journal during a residence in that Regency<. Malta 1841.(9)

   Marie E. von Schwartz, die Tunis im Februar-April 1848 besuchte und sowohl Davis als auch Krüger kennenlernte, verwies in ihrem Reisebericht auf die Krüger-Publikation des Missionars und bemerkte, wobei sie auf Friederike London anspielte: »Auch hat die Frau eines Missionärs, eine Deutsche, diese Beschreibung der Schicksale des Abdallah treu in ihre Muttersprache übersetzt«.(10) Doch schon vor Erscheinen von Londons Buch 1845 wurde Davis' Bericht dem deutschen Lesepublikum zugänglich. Unter dem Titel >Erlebnisse eines Deserteurs von der Fremdenlegion unter den Arabern< brachten die Hamburger >Literarischen und Kritischen Blätter der Börsen-Halle< im Dezember 1841 eine deutsche Übersetzung derselben Erzählung nach der >Malta Times< heraus.(11) Die Krüger-Darstellung des Missionars Davis ist, da ihr ein Manuskript Krügers zugrunde lag, unmittelbarer und somit zuverlässiger als die Londons; auch wenn erstere mit einem lügnerischen Happy-End ausklingt. Ihr Schlußsatz lautet nämlich: »Nach


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mehrjährigem [Bey-]Dienste gelang es mir endlich, nach Malta zu entkommen.«(12) Die Wiederauffindung der angekündigten Dokumente von Krügers Hand läßt beide Zeugnisse in den Hintergrund rücken(13)

   Es handelt sich dabei um zwei Manuskripte, die wir der Einfachheit halber Ms. K1 und Ms. K2 nennen wollen. Ersteres ist das älteste und weitaus umfangreichere. Es enthält zuallererst die Lebensgeschichte bis zur Ankunft in Tunis und den Anfängen im Bey-Dienst, also bis gegen 1841. Mit bescheidenen, ja elementaren intellektuellen Mitteln, dafür aber mit offensichtlichem Eifer und biederer Ehrlichkeit zeichnet der Verfasser seinen Weg vom verhängnisvollen Eintritt in die Fremdenlegion an bis hin zur Niederlassung in Tunis nach. Berichtet wird hauptsächlich vom packenden fünf- oder sechsjährigen Abenteuer in Algerien, das sich wie die unglaubliche Geschichte einer unheimlichen Flucht ins Ungewisse liest, mit fast ununterbrochenen dramatischen Momenten und nur wenigen Verschnaufpausen, wobei es wesentlich ums instinktive Überleben ging. Mit diesem Bericht geht Ms. K1 jedoch nicht zu Ende. Ein sorgfältig aufgestelltes Inhaltsverzeichnis zeigt, daß er nur neun von den insgesamt 23 Kapiteln der ganzen Handschrift beansprucht. Die übrigen Kapitel befaßten sich mit Landes- und Völkerkunde der Maghreb-Länder, der sog. Berberei. Rätselhaft war uns zunächst die frappante Diskrepanz zwischen beiden Teilen auf sprachlicher Ebene. Der biographische Teil weist stilistisch, grammatikalisch und orthographisch ein niedriges Bildungsniveau auf, das sich kaum höher als das der Volksschule einstufen läßt. Zumindest die auffällige Verwechselung zwischen >mir< und >mich< verrät die eindeutige Dominanz des brandenburgischen Dialekts. Dadurch erhält Karl May vollkommen recht, wenn er über seinen Krüger-Bei bemerkt: »Das größte Meisterstück von ihm aber ist sein Deutsch ... Er hat nur den allernotdürftigsten Schulunterricht genossen und als Brandenburger schon als Kind mit dem Mir und Mich im Streite gestanden.«(14) Der >ethnographische< Teil dagegen offenbart ein korrekteres und gepflegteres Deutsch. Als wir Friederike Londons >Berberei<-Werk in die Hand bekamen, stellte sich heraus, daß es sich um wortwörtliche Exzerpte aus diesem Werk handelt. Kapiteleinteilung, Paginierung, Inhaltsverzeichnis und fremdländischer Lesestoff, über die recht spannende Lebensgeschichte hinaus - das Ganze sieht nach einer regelrechten Druckvorlage aus, als wenn Krüger den Wunsch gehegt hätte, eine eigene Publikation ins Leben zu rufen. Es muß allerdings hinzugefügt werden, daß der ethnographische Teil mit unverkennbaren Krügerschen Zusätzen angereichert ist. Es finden sich Abschnitte zu Themen, die auch nicht so sehr im Kompetenzbereich der (Missionars-)Frau


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London lägen, wie z. B. »Beischlafung der Muhamedaner« und deren »Beschneidung«.

   Ms. K2 umfaßt insgesamt 31 geschriebene Seiten. Geschildert werden Begebenheiten aus den algerischen Erlebnissen, die in Ms. K1 entweder verschwiegen - wie die Beschneidungsfeier bald nach der Bekehrung - oder nur gestreift wurden, sowie und im besonderen Ereignisse aus den ersten zwölf Jahren in Tunis. Hierzu gehört vor allen Dingen die (erste) Ehe des Muhammad ben Abdallah mit der hübschen »Maurin« und das darauffolgende Scheidungsdrama. Zuletzt berichtet der Autor von seiner Gefangenschaft im Verlies der Muhammadia, der Residenz seines (ersten tunesischen) Gebieters Ahmad Bey (1837-55), aufgrund einer (nach ihm unberechtigten) Verdächtigung, in eine Geldfälschungsaffäre verwickelt zu sein. Nach der glücklichen Meldung von der Entlassung im November 1851 und der Rückkehr zu seiner (zweiten) Frau endet Ms. K2 mit einem achtzeiligen Gedicht, welches - immer im unnachahmlichen Krügerischen Stil - von Leid in der Ferne und Sehnsucht nach dem >sicheren Hafen< zeugt. Die Signatur lautet schließlich: »Johan Gottlieb Krüger, jetz genant Muhamed ben Abdollah Nimse, Schathar, Throngarde, in Tunis«.

Unübersehbar für Karl Mays Leser müßte der Beiname »Nimse« (oder »Nimzi«, wie Krüger auch schreibt) sein. Die eigentliche Bedeutung dieses Wortes ist bekanntlich >der aus Nimsa<, d. h. aus Österreich, also >der Österreicher<. Wahrscheinlich aufgrund der Tatsache, daß der österreichische Monarch zugleich deutscher Kaiser war, bürgerte sich das Wort >Nimsi< im arabischen Sprachgebrauch lange für >Deutsch< ein. Der >Nimsi< sei folglich >der Deutsche<. In diesem Sinne gebrauchte es Krüger, um seine deutsche Herkunft bewußt zu unterstreichen. Mindestens einmal wurde ihm dies lebensrettend. Bei seinen Wanderungen im südöstlichen Algerien geriet er eines Tages ins Lager des Ahmad Bey von Konstantin, kurz nachdem ihn die Franzosen von seinem Thron vertrieben hatten (1837). Kaum erblickte er Krüger, hielt er ihn für einen Franzosen und ließ ihn ins Gefängnis werfen und seine Hinrichtung vorbereiten. Erst - so Krüger in Ms. K2 - als er


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dem vergrämten Bey erklären ließ, er wäre »kein Franzose sondern ein Nimze oder Deutscher«, konnte er seinen Kopf retten.

   Zur Entstehungsgeschichte von Ms. K1 mag in Ms. K2 folgende Stelle von maßgeblicher Bedeutung sein: »Es befand sich ein Missonar hier, sein Nahme habe ich Vergessen, der fand einige Bogen bei den Misonar Daives, die ich von meine Reise ehe ich nach Tunis kam Geschrieben hate, dem machte das Intrasant, ich war Fleißig und fing mein Lebenslauf von forne an zu Schreiben. Er hat mich auch da führ Vergütigt.«

   Diese Stelle bildet den Abschluß des Berichtes über die Scheidung im August 1846. Der nächste Abschnitt in Ms. K2 hebt mit folgender Aussage an: »Im Monath januar 1847. Es war den Tag kalt und Regnete sehr, sas ich und Schrieb in meine Stube«. Es läßt sich demnach hauptsächlich folgendes festhalten: Krüger hat in der Tat für den erwähnten Nathan Davis einen schriftlichen Bericht seiner Abenteuer erstattet; und er wurde Ende 1846 wieder von einem anderen Missionar zu einem ähnlichen Unterfangen motiviert. Vermutlich nahm er sich in dieser bedrückenden Periode der Ehekrise - etwa zur Ablenkung - vor, seine so vielbegehrte Geschichte auch für sich selbst niederzuschreiben. Für diese naheliegende Hypothese spricht noch der Umstand, daß der autobiographische Teil in Ms. K1 mit dem knappen Hinweis auf die (erste) Verlobung und der Andeutung des unglücklichen Ausgangs der Ehe endet. Denkbar wäre noch, daß er zur gleichen Zeit das 1845 erschienene Buch von Friederike London in die Hände bekam (vermutlich durch Davis, von dem es an einer weiteren Stelle heißt: »Gott Seegene den Misonar Herr Davis ihm und seine Kinder war wie mein Flegevater, wenn mich Etwas for kam Guttes oder Böses da wannte ich mich gleich zu ihm«) und auf die Idee kam, sein eigenes - wenngleich plagiiertes - Berberei-Buch zu konzipieren. Dieses Manuskript, Ms. K1, muß Gustav Nachtigal gemeint haben, als er am 8. Oktober 1863 an seine Mutter in Stendal über Krüger schrieb: »Er hat heute seine Lebensgeschichte, die er mit gewißer Vorliebe schriftstellerisch ausgearbeitet hat, zu mir gebracht, zu etwaiger Zustutzung etc.«(15) Damit kommen wir auch auf das Verhältnis zwischen beiden Männern zu sprechen und auf den fragwürdigen Umstand, daß wir Krügers handschriftliches Vermächtnis unter Nachtigals Papieren vorfanden.

   Wir erwähnten bereits, daß der nachmalige Afrikaforscher sich ein erstes Mal in den 60er Jahren in Tunis installierte. Wegen eines Lungenleidens ließ er sich schon 1862 in der algerischen Hafenstadt Bona nieder. Ein deutsch-englischer Missionar aus Tunis (Fenner) regte ihn zur Übersiedlung nach dieser Hauptstadt an. Kurz bevor er dies voll-


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zog, unternahm er im Frühjahr 1863 eine Erkundungsreise, während der er die Bekanntschaft des Johann Gottlieb Krüger machte. In einem Brief vom 18. Mai (1863) aus Bona erstattete er seiner Familie hierüber Bericht:

»Eine besondere Begegnung ist mir dort passirt, der ich Euch anzunehmen bitte. Ich habe dort einen Renegaten gefunden, der aus Werben ist und Krüger heißt (jetzt Mohamed-ben-Abdallah). Er ist ein Mann von 54 Jahren, dessen Leben voller Fehler, Irrtümer und Verbrechen, wenn ihr wollt, ist, denn er ist preußischer Deserteur vor mehr als 30 Jahren gewesen, der aber nach langer, genauer Beobachtung des Pastors Fenner au fond ein ordentlicher Mann geworden ist, und in dem immer noch ein Rest des Christentums lebt. Er ist den Franzosen in Algerien vor 30 Jahren ebenfalls entlaufen, nach der Wüste verschlagen und so vor langer, langer Zeit nach Tunis gekommen. Er ist Thürsteher beim Bey, hat  e i n e  mohamedanische Frau, und ein Auskommen, wenn er auch nicht wohlhabend ist. Er hat eine entschiedene Sehnsucht nach Heimat, Familie, Religion, doch sind seine früheren Versuche, nach Hause zu kommen, als Fluchtversuche mit Bastonade und Gefängnis belohnt und er ist am Ende nicht mehr jung genug, um auf ganz unsichere Zukunft wieder zu entlaufen.«(16)

Der gutherzige Nachtigal nahm sich der Sache seines Landsmanns an und bemühte sich um dessen Repatriierung. Seine Familie in Stendal sollte dabei behilflich sein: »Erkundigt Euch doch umgehend, ob sein Bruder, der allerdings jetzt nach seiner Rechnung 75 Jahre sein müßte, genannt Bier-Krüger zu Werben in der Seehäuserstraße noch am Leben ist oder ob seine Kinder, drei oder vier, deren Namen ich vergessen habe, noch da wohnen und von ihm etwas wissen wollen.«(17)

   Krüger, der laut Ms. K1 tatsächlich für einen ersten Fluchtversuch mit Bastonade und Gefängnis bestraft wurde, scheint für eine neue, hoffnungsvollere Eventualität einen guten Plan parat gehabt zu haben: »Dann könnte er«, so Nachtigal weiter, »später vielleicht unter dem Vorgeben, nach Mekka zu pilgern, nach Hause kommen und wieder Christ werden.« Krüger wird seinen raffinierten Plan nicht ausführen und sein >großes Verlangen< nach der Urheimat nicht erfüllen können. Am 4.9.1863 geht Nachtigal auf seinen >Schützling< wieder ein; zuerst erzählt er von einem feierlichen Moscheebesuch des Beys und bemerkt dazu: »Auch Herrn Krüger sah ich bei dieser Gelegenheit sehr stolz in rotem Rock mit goldenen Bordüren in seiner Renegatenbande einherwandeln.« Dann fragt er eindringlich: »Schreibt seine Familie noch nicht bald? Er kommt jeden Posttag, um seinen Brief zu holen.« Schließlich erhielt Krüger doch einen Brief, aber anscheinend keinen wunschgemäßen; am 20. November 1863 gab Nachtigal der Mutter folgende Anweisung: »Bekümmere Dich um die Verwandten Krüger's in Werben nicht mehr; einer seiner Neffen, der Kaufmann in Magdeburg


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ist, hat geschrieben und zwar einen sehr verständigen Brief, der mir sehr gefallen hat und den hiesigen Krüger trotz seiner Henkerphysiognomie doch zu Tränen rührte.«

   Krügers Angehörige waren zweifellos nicht mehr gewillt, den verlorenen Sohn wieder aufzunehmen. Nach diesem ernsten Rückführungsversuch dank Gustav Nachtigal muß er sich endgültig mit seinem Schicksal abgefunden haben, sein Leben doch im tunesischen Exil als Muhammad ben Abdallah Nimsi zu fristen. Als Gustav Nachtigal im April 1882 nach Tunis als deutscher Konsul wiederkam, war Krüger (Nachtigals unveröffentlichtem Tagebuch zufolge) einer der ersten, die zu seiner Begrüßung eilten.(18) Wann gerieten des Renegaten Aufzeichnungen in Nachtigals Besitz? Erst beim zweiten Tunis-Aufenthalt (1882-84) oder schon in den 60er Jahren, da Nachtigal zum Hofarzt >aufstieg< und in Krügers Augen gewiß noch bedeutender wurde? Bevor Nachtigal 1869 seine berühmte Afrikareise von Tunis (über Tripolis) aus antrat, fuhr er 1868 - als Dolmetscher einer Bey-Gesandtschaft, die nach Berlin beordert wurde - in die deutsche Heimat zurück.(19) Hat ihn etwa sein armer Landsmann in naiver Vorstellung darum gebeten, einen Verleger für sein »mit gewißer Vorliebe schriftstellerisch ausgearbeitet(es)« Manuskript zu finden? Oder hat Nachtigal selbst den Plan gehabt, damit etwas in der Richtung anzufangen? Denn unter seinen Papieren fanden wir auch eine säuberliche Zusammenfassung von Krügers Geschichte.(20)

   Nach diesen Ausführungen, die immer noch viele Fragen offen lassen, wollen wir uns dieser Geschichte zuwenden, indem wir uns hauptsächlich auf seine eigenhändigen Aufzeichnungen, die Manuskripte K1 und K2, stützen.

   »Als ich nach meine drey järige Lehre in Strausberg bei den Schuhmachermeister Bong in Monat April Frei gesprochen wurde, kam auch bald die Zeit das ich mußte Soldat werden. Tradt den 28 October 1828 beim 8. leib Infantry Regm. 2 Bllo. 7 Com. welches Batalion in Guben Garnosierte ein, und Diente 3 jar, bekam mein Abschied aus Magdeburg den 21 Nove. 1831.« (K1) Mit diesen Worten, die Karl Mays Begeisterung für Krüger-Bei bestimmt verstärkt hätten, fängt das Hauptmanuskript des Johann Gottlieb Krüger, alias Muhammad ben Abdallah Nimsi, an. Laut Davis' Darstellung war er damals 21 Jahre alt. Dennoch müssen wir seine Geburt - vorläufig bis zu einer eventuellen Nachprüfung in Werbener Kirchenbüchern - etwas unbestimmt auf 1807-09 festlegen, da er sein Alter 1863 (Nachtigal gegenüber) mit 54 Jahren angab. Aus dem anschließenden Satz, »Reiste zu Hause nach Werben hielt mich da auch bis zum 28 May 1832« (K1) bestätigt sich


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noch einmal die brandenburgische Herkunft. Nach dem letztgenannten Datum meldete sich der junge Krüger wieder bei der preußischen Armee und zwar im Rheinland, erst in Düsseldorf, dann in Wesel. Da unterlag er der Verlockung, die ihm Werber der französischen Fremdenlegion vorspiegelten, und ging zu diesem fremdländischen Korps über, welches damals große Mengen Söldner für den 1830 eröffneten Algerien-Krieg brauchte.(21)

   Maßgeblich für seinen folgenschweren Desertionsentschluß soll laut Ms. K1. ungerechte Behandlung gewesen sein: nach dreimonatigem Lazarettaufenthalt sei er vom »Kaputeland« (Kapitulant) zum >Gemeinen< degradiert worden. Davis gegenüber ließ Krüger jedoch die exotische Verlockung, im fernen Afrika zu dienen, und die Hoffnung auf leichtes Glück und schnellen Reichtum als entscheidendes Motiv gelten: »Man sagte uns, wir sollten Häuser und Gärten und Weinberge bekommen, ja selbst Gold und Silber, behauptete man, sey in Masse in Afrika vorhanden und man brauche nur über das mittelländische Meer zu fahren, um es aufzulesen.«(22)

   Ähnliches ist dem Bericht von Krügers Schicksalgenossen Schulze/Baba Hassan zu entnehmen, den Heinrich von Maltzan Ende 1868 in Tunis als alten Renegaten im Bey-Dienst traf.(23) Dieser Bericht ist übrigens schon der Karl-May-Forschung erschlossen worden.(24) Der Autor, Hanns Graefe, ließ sich durch die frappante Übereinstimmung zwischen den Geschichten beider Renegaten zu der irrigen Hypothese verleiten, Schulze und Krüger seien ein und derselbe.(25) Es wird sich noch zeigen, daß Tunis damals mehrere >Krüger< und >Schulze< aufnahm.(26)

   Die Desertion aus preußischem Dienst fand im Juni 1833 statt, im Januar 1834 landete Krüger mit einem Trupp Schicksalsgenossen, hauptsächlich Deutschen und Polen, im dreieinhalb Jahre zuvor eroberten Algier. Es dauerte nicht lange, bis er seinen schweren Irrtum einsah. Zu allem Überfluß wurde er gleich nach der kurz zuvor besetzten Garnisonstadt Bugia am mediterranen Hang der Kabylei abkommandiert. Seine Klagen über die elenden Zustände, in denen er sich plötzlich fand, ließen sich im Lichte der (gedruckten) Korrespondenz der damaligen Befehlshaber als vollkommen berechtigt nachweisen.(27) Knapp zwei Monate harrte er aus, dann faßte er wieder einen schwerwiegenden Entschluß: »Ich Entschloß mir lieber in des Feindeshände zu geben, als bei den Franzosen ein Soldaten-Sklaf zu sein und verließ das Bugia in der Nacht um 10 uhr den 28 März 1834.« (K1)

   Damit begann für Krüger eine schwindelerregende Wanderung, ein unheimliches Erlebnis, wie es, um es wieder mit Karl Mays, seines einfühlenden Nachschöpfers, Worten auszudrücken, kein Romanschrei-


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ber sich phantastischer aussinnen könnte.(28) Die harte Wirklichkeit der Fremdenlegion im algerischen Kampfgebiet trieb in der Tat viele ihrer leichtgläubigen Rekruten nach der baldigen Ernüchterung zur Desertion. Wenngleich die Flucht selbst nicht besonders schwierig sein mochte, zumal in der ersten Eroberungsperiode, als die französische Penetration geographisch noch begrenzt war, so bedeutete die weitere Erfahrung für die Betroffenen meistens vom Regen in die Traufe zu geraten. Der Fluchtweg aus den ersten besetzten Küstenplätzen wie Bugia führte zunächst nach Süden hin, wo eine unwirtliche, erst gebirgige, dann wüste Landschaft und eine kulturell fremde, dazu franzosenfeindliche und nicht gerade christenfreundliche Bevölkerung den Flüchtling erwarteten. Hat man die erste Berührung mit den argwöhnischen Einheimischen glücklich bestanden und sich die obligate Bekehrung zum Islam als unabdingbare Bedingung, um nicht als ungläubiger Feind hingerichtet zu werden, gefallen lassen, so blieb, sich in dieser fremden Welt als Neophyt, Proselyt und fast Stummer durchschlagen zu müssen, um überhaupt überleben zu können.

   So war die erste Schwierigkeit für Krüger auch, sich nachts in der wilden Berglandschaft der kabylischen Fremde durchzuschlagen. Dann die Angst vor der einheimischen Bevölkerung, auf die er, in seiner französischen Uniform, bis kurz vorher das Gewehr zu richten hatte. Und doch verlief die erste Berührung glücklich und der entlaufene >Franzose< wurde >brüderlich< aufgenommen - allerdings unter der ausdrücklichen Bedingung, seinen Glauben samt allen äußerlichen Requisiten abzulegen und sich zum Islam feierlich zu bekennen. In seinem typischen Deutsch schildert unser Autobiograph diese entscheidende Stunde, in der er im kabylischen Dorf Timrei vor der voll versammelten Gemeinde das muslimische Glaubensbekenntnis nachsagen mußte und für seinen christlichen Namen den Namen (des Propheten) Muhammad ben Abdallah Scherif erhielt:

»Da kam ihr Marabet (Prister) ein Alterman, weis Kleider an trug und langen weisen Barth Freundlich in sein Angesicht immer mit jeden Wortt aus stos begleitete er mit Lachen der nahm sein Stock und machte sich unter das Volk Platz das er zu mich kam faste mich bei der Hand drückte und küste sie und so faste er mich mit beide Armen und küste mich den Kopf und die Backen. (...) Da kamen einige von die Kaufleute rißen mein Kasket mich von Kopf, und setzten mich eine rothe Kape mit ein Turban auf und waschten mich Hande und Füße nach Muhamödanischen gebrauch und sachten Folgende Worte das ich Himmel und Erde zum Zeuchnis anrufe das Muhamed der Apostel Gottes ist. Küsten mich und sachten jetz bist du unser Bruder mit Aufgenomen in unsern Glauben so wie du dieses wirst bekennen und hersagen soll es dein Paß sein und kanst Reisen wo du wilst Nimand wird dir kein Leid thun Sammelten geld für mich, wo ein jeder was beitrug, und sprach mich den Seegen.« (K1)


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Krüger bzw. Muhammad ben Abdallah, wie er nunmehr heißt, machte von seinem >Paß< ausgiebig Gebrauch. Jahrelang irrte er wie ein Gehetzter durch die Kabylei und das südöstliche Algerien abenteuerlich herum und erreichte schließlich die Wüstenstadt Tugurt. Getrieben war er meistens von der Hoffnung auf einen besseren Dienstherrn oder dem Fluchtbedürfnis vor einem anderen. Etwa vor dem Stammeshäuptling Bu-Asis, der ihn für drei Kamele erstand und ihn wie einen Ochsen behandelte. Zuletzt rettete er sich mit knapper Not vor dem Fürsten von Tugurt, bei dem er sich samt einigen Landsleuten zur Herstellung von Kanonen verpflichtet hatte, natürlich ohne von dieser Kunst die geringste Ahnung zu haben. Später erfuhr er, daß die italienischen Gefährten, denen die Flucht nicht gelang, wegen Nichterfüllung des Auftrages grausam ermordet wurden.

   Krüger flüchtete sodann nach der östlich benachbarten Regentschaft von Tunis. Da wir es zuvörderst mit dem >tunesischen< Krüger-Bei zu tun haben, wollen wir uns auf Krügers Tunis-Zeit und seine Karriere im Bey-Dienst beschränken. Dabei sollen uns außer seinen eigenen Angaben anderweitige Quellen dienlich sein.

   Wann genau Krüger Tunesien und dann Tunis erreichte, ist uns bis jetzt nicht bekannt; vermutlich Ende 1839 oder Anfang 1840. Denn zu den Ereignissen, die er von seiner allerersten Zeit in Tunis erwähnt, gehört die Expedition seines neuen Herrn, Ahmad Bey, zur Bekämpfung einer Rebellion im Gebiet von Gabes, die im Mai 1840 startete. Er erzählt von seiner Beteiligung an diesem Strafzug als neuer Rekrut der neugegründeten Kavallerie dieses Beys. Denn der reformfreudige und übermäßig verschwenderische Ahmad Bey (1837-55) setzte seinen ganzen Ehrgeiz darein, eine nach europäischem Vorbild organisierte Armee aufzustellen. Um so willkommener waren ihm daher jene Deserteure der Fremdenlegion, die gleich Krüger wie Schiffbrüchige aus dem benachbarten Algerien her in seiner Regentschaft strandeten und froh waren, in seinen Truppen bergende Aufnahme zu finden. Diesen >glücklichen< Augenblick hielt Johann Gottlieb Krüger folgendermaßen fest:

»Meine Aufname bei der Kawallerie, war mit den grösten wohl mein vergnügen. Meine Oberoffiziere wahren mir sehr günstig, weil sie auch von Christlichenstam waren, auch fand ich dabei Instrukteur welche Christen waren um die Kawallerie zu lernen. Einer aus Pohlen Nahmens Graff v. Czapanowsky redete Deutsch mit mir und Schenkte mir auch einige Piaster stüken, welches mir eine Großefreude machte, weiter, kam mein Eskadrons Scheft führte mich in sein Zimmer ließ ein Barbier kommen um mich zu Rasieren, wo ich als dan meine Uneform bekam als Kawallirist. Legte meine alten Arabertöni ab, und zog mir auf Millithärisch an, welches mir eine Freude vor allen Freuden war.« (K 1)


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Bald lernte er aber auch die Nachteile seiner neuen Situation kennen und plante seine dritte Desertion, was ihm diesmal nicht gelingen mochte. Es fehlte ihm nicht nur das nötige Geld, um die Überfahrt ans andere Mittelmeerufer zu bestreiten, sondern vor allem auch der Schutz eines Konsuls, der sich seiner angenommen und ihm die Repatriierung ermöglicht hätte. Die Aufgabe hätte eigentlich dem schwedischen Konsul Tulin zufallen müssen, der gleichzeitig preußischer Agent in Tunis war. Wir wissen nicht, ob sich Krüger schon so früh an ihn gewandt hat, doch wir wissen, warum dieser später dem preußischen Renegaten nicht helfen wollte. Im bereits angeführten Brief vom 18.5.1863 erklärt Gustav Nachtigal, weshalb Krüger trotz >großen Verlangens< nach der Heimat nicht zurückkehren konnte, und zwar, »weil der preußische Konsul sich darin nicht gern mischt, da er [Krüger] Diener des Bey und Muselmann ist«.(29) Somit erklärt sich auch die relativ nicht unbedeutende Zahl deutscher Ex-Legionäre, die in Tunis wie in einer Sackgasse endeten und ihr Leben im Bey-Dienst fristen mußten. Denn durch den sofortigen Eintritt in des Beys Dienst als bestmögliche Alternative nach den algerischen Erlebnissen gerieten sie nicht in das kündbare Verhältnis etwa eines Söldners, sondern in das unkündbare eines Mamelucken, was durchaus mit einer militärischen Leibeigenschaft vergleichbar ist. Man muß allerdings auch bedenken, daß manche aus juristischen Gründen, wegen eines ernsten kriminellen Delikts etwa oder eines schweren Verbrechens gar, ihr Heil in der Fremdenlegion suchten, so daß sie sich im Falle einer Desertion nicht in die Heimat zurückwagen konnten und das Zwangsexil in Tunis trotz allem als das kleinere Übel betrachten durften.

   Das Zuströmen solcher Fremdenlegion-Deserteure nach Tunis muß mit dem Fall Konstantins 1837 zugenommen haben. Denn solange diese Stadt noch in den Händen des Hasch Ahmad Bey war, konnten jene da willige Aufnahme finden, bis das Heranrücken des siegreichen französischen Heers, aus dem sie sich auf illegale Weise verabschiedet hatten, sie erneut zur eiligen Flucht trieb. Das war zum Beispiel der Fall von Maltzans Gewährsmann Schulze/Baba Hassan. Auf das Schicksal solcher Zeitgenossen nach ihrer Ankunft in Tunis hat außer Nathan Davis (mittelbar) auch dessen Amtsvorgänger, Christian Ferdinand Ewald, schon früh die deutsche Öffentlichkeit aufmerksam gemacht. In seiner Ausgabe vom 12. Juli 1841 veröffentlichte das Barmer >Missions-Blatt< einen Bericht Ewalds, der hauptsächlich von solchen Apostaten und nach Tunis geflüchteten Landsleuten kündet. Es konnte zunächst von der hoffnungsvolleren Situation mancher berichtet werden; von den >Verlorenen< schreibt Ewald: »Unglücklicher als


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diese deutschen Verirrten sind noch vier andere Deutsche, die auch von der Fremdenlegion in Algier desertirten, hieher kamen, und nachdem sie den christlichen Glauben abgeschworen hatten, bei dem hiesigen Bey als Schater, oder Scharfrichter, in Dienste getreten sind.«(30) Im Juli 1841 trug auch Krüger die Schater-Uniform; vielleicht meinte Ewald ihn, indem er hinzufügte: »Einer dieser Schater ist ein Preuße, der andere aus Bremen«.(31) Ehe wir auf diesen Punkt eingehen, sei noch folgendes zur Frage bemerkt, weshalb Krüger und andere in Tunis - eher unfreiwillig - steckenblieben. Der Hauptgrund, sagten wir, lag am Fehlen eines resoluten deutschen Konsuls, der sich aus nationalen Beweggründen oder Pflichtbewußtsein um die >verirrten< Landsleute gekümmert und ihnen die reuige Heimkehr ermöglicht hätte. Daß dies trotz der von Nachtigal angedeuteten Hindernisse doch in der Macht eines jeden Vertreters einer europäischen Nation lag, zeigt das Beispiel eines anderen deutschen Renegaten, von dem Friederike London ebenfalls in ihrem >Berberei<-Buch(32) berichtet und dem die Rückkehr nach Europa im Sommer 1840 dank des Einsatzes des sardinisch-österreichischen Konsuls gelang.

   An denselben Konsul, Chevalier Truqui, und mit demselben Begehr wandte sich fast gleichzeitig auch Johann Gottlieb Krüger; er mußte jedoch seinen Schritt tief bereuen: »Ich wagte mir ins Sardinesche Kunsulhaus wo ich sobald von einer Milithär Patrolie wurde rauß geschmißen, und den Ahmed Bascha vorgestellt.« (K1) Er wurde zu »dreihundertstokprügel und ein Jahr Arestant in der Kazerne nach den Mohamedanischen Gesetze« verurteilt. Er behauptet allerdings, von ersterer Strafe durch seinen Obersten, den von ihm bereits erwähnten Polen Szczepanowski - welchen Fürst Pückler-Muskau 1835 in Tunis als Bey-Offizier kennenlernte(33) und der in den 40er Jahren in der Tat zu den wichtigsten Instrukteuren von Ahmad Beys Kavallerie zählte(34) -, dispensiert und vom einjährigen Arrest durch die Mobilisierung für die erwähnte Strafexpedition sehr bald erlöst worden zu sein.

   Mit der Beförderung Ahmad Beys zum Muschir (etwa Feldmarschall) des türkischen Sultans im Oktober 1840 wurde auch Krüger zum Schater >befördert<. Hierüber notierte er folgendes: »Da ließ er mir fodern von der Kavallerie nahm mir an seine Resedens zum Schahter, welche Stellung eine sehr hohe und wichtige betrachtet wird.« (K1) Dasselbe glaubte nämlich auch Schulze/Baba Hassan. Er erzählte, wie er vor die Wahl gestellt wurde, Linienoffizier oder Schatar zu werden, und warum er das zweite vorzog und es danach bitter bereute:


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»Nach Tunis geschickt, wurde ich vor Ahmed Bey geführt und gefragt, was ich lieber werden wolle, ein Offizier in der Linie oder ein Gemeiner in der Thronwache, was so viel, ja mehr, wie ein Linienoffizier galt. Um stets um den Fürsten sein zu können, wählte ich das letztere, da ich annahm, daß die fürstliche Gnade mich aus einer ihm so nahe stehenden Stellung eher befördern werde, als aus der entfernteren eines Linienoffiziers. Ein großer Fehler, den ich schwer gebüßt habe, denn in der >Thronwache< findet so gut wie gar keine Beförderung statt, und ich bin deshalb auch seit den dreißig Jahren, die ich nun in Tunis bin, und die eben so einförmig verflossen, als meine ersten zehn Jahre in Afrika abwechslungsvoll waren, das, was ich von Anfang an war, d. h. ein gemeiner >Throntrabant<.«(35)

Dasselbe erfuhr auch Johann Gottlieb Krüger alias Muhammad ben Abdallah Nimsi. Er wurde Schatar und blieb es sein Leben lang. Daß er es schließlich bis zum Chef der Bey-Garde gebracht hätte, wie P. R. Martini 1881 bezeugte, ist nicht ausgeschlossen, bedeutete jedoch nicht viel, weder in finanzieller noch in beruflicher Hinsicht. Eine glänzende Karriere hat Krüger nur in der Phantasiewelt Karl Mays gemacht. In Wirklichkeit war ihm in seinem nordafrikanischen Exil kein beneidenswertes Los beschieden. Nicht zuletzt vielleicht, weil es ihm am nötigen Ehrgeiz gefehlt hat sowie am Gespür für >orientalische< Ränkespiele, um sich im intrigenreichen, dekadenten Bey-Hof von Tunis am Vorabend der kolonialen Ära zu behaupten und eine bequeme Mamelucken-Karriere zu machen. Der eigenhändige Niederschlag seiner Abenteuer in Algerien und seiner Erlebnisse in Tunis zeigt alles andere als einen willensstarken und weitblickenden Mann. Er war zu gutmütig - um nicht zu naiv zu sagen. Daß er seine algerische Odyssee mit heiler Haut bestehen konnte, verdankte er vor allem etwas Bauernschläue und viel Überlebenstrieb. An besagtem Hof blieb er schließlich nur ein Statist von folkloristischem Belang, ein letzter Träger der >Schater<-Tradition.

   Über das merkwürdige Amt des Schater, zu welchem seine abtrünnigen Landsleute in Tunis vorzüglich berufen wurden, hat sich der Missionar Ewald gut informiert. Im Anschluß an die oben angeführte Stelle notierte er weiter, wenn auch, begreiflicherweise, nicht mit angemessener Sachlichkeit:

»Der Bey hat neun solcher Schaters. Sonderbar genug kann niemand zu diesem Amte erhoben werden, als ein von seinem Glauben abgefallener Christ, und leider fehlt es an solchen nie. Vormals war das Amt eines Schaters einträglich: sie waren die Leute, die auf Befehl des Sultans den in Ungnade gefallenen Bey, oder auf Befehl des Bey irgend einen großen des Hofes, erdrosselten. Jetzt werden sie nur als Leibwache des Bey betrachtet. Ihr jetziges Amt besteht darin, daß sie jeden Morgen in die Gerichtshalle treten, und dort die Ankunft des Bey erwarten, der mit Ausnahme des Freitags und Sonntags jeden Morgen zu


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Gericht sitzt. Sobald er sich nähert ruft einer aus vollem Halse: Salam alaikum warachmat Ullah (Friede und Barmherzigkeit von Gott sei mit Euch)! Dann begleiten sie den Bey zu seinem Throne, und stellen sich zu dessen Rechten.«

Bei seinem Besuch in Tunis 1835 war Fürst Pückler-Muskau Zeuge einer solchen Gerichtssitzung; über die mit Interesse beobachteten Schatar teilte er folgendes mit:

»Diese >Schatars< standen früher im Dienste des Großherrn und waren sehr wichtige Personen, denn ihnen lag es ob, wenn der Pascha vom Sultan verurtheilt wurde, ihm die verhängnisvolle Schnur zu appliciren. Zu dem Ende tragen sie sonderbarerweise noch jetzt einen vergoldeten Metallgürtel um den Leib, an welchem sich vom eine große Kapsel befindet, in der sonst die Schnur aufbewahrt wurde. Jetzt ist sie leer, wie wir uns selbst überzeugen konnten, denn die >Schatars< machten nach vollendeter Feierlichkeit keine Umstände, ihre Gürtel abzuschnallen und sie genau von uns untersuchen zu lassen.« (36)

In diese ominöse Stellung also >erhob< Ahmad Bey seinen deutschen Rekruten Muhammad ben Abdallah Nimsi im Oktober 1840, um seine Beförderungsfeier würdig zu begehen. Auf diese Feier geht Krüger in seinem Manuskript ein und hebt hervor: »auch wier zwelf Mann Schather standen Rechts neben ihm mit unsere Rothe neuen Uneformen mit Gold und Silber aus genächt, und unser Säbel von Silber und über Goldet.« Diese rote >goldstrotzende< Uniform verfehlte zwar nicht ihre imponierende Wirkung auf Touristen und sonstige Laien, doch für eingeweihte Zeitgenossen blieb das Amt des Schater mit dem des Scharfrichters gekoppelt. Das erklärt auch Nachtigals Bemerkung über Krügers »Henkerphysiognomie«. Der bereits erwähnten Marie von Schwartz wurde es unheimlich, als sie am 6. April 1848 in ihrem Hotelzimmer in Tunis von Krüger/ben Abdallah überrascht wurde und von ihm, »mit tiefer, hohler Stimme«, erklärt bekam: »ach ich bin nicht Soldat, bin nicht bei der Polizei angestellt, bin weder Mamluk(37) noch Hamba, ich bin, - was man Scharfrichter nennt.« Es half auch nicht viel, daß er der vornehmen Touristin versicherte, daß er »noch nie einen Menschen hingerichtet« habe.(38)

   Zumindest am Anfang war Krüger über seinen >Aufstieg< äußerst glücklich, was eingedenk seiner bisherigen Erlebnisse durchaus verständlich ist. Er, der bisher Gehetzte und Heimatlose, hat nun eine etablierte Situation, einen scheinbar sicheren Halt und keine materiellen Sorgen. So schilderte er sein erlangtes Glück: »Ich blieb nun in der Resedens Bardo wohnen bekam mein guthes gehalt. Mein Essen zweimal Täglich, aus der Küche von Bey, hatte den noch meine zwei Fleich jedentag Extra, und ein Scheffel weitzen, vier Seife jeden Monat, und


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jedes Jahr dreihundert und vier und achtzig Piaster zu kleider, ohne die neben Solldung. Dabei einen sehr leichten und propern dienst.« (K1)

   Sogar gesellschaftlich fühlte er sich aufgewertet, und so kam er zu dem Schluß, das einzige, was ihm noch fehlte, sei eine >zweite Hälfte<: »So wurde ich nun auch späterhin bekannt in Tunis, suchte mich zu verheiraten wo ich die gelegenheit bald fand, nam die Schwiegerin von den andern Deutschen Shahter ein junges Mädgen von dreizehn Jahr die ich mir für fünfhundert Piaster Kaufte, doch hatte ich wenich glück bei sie wo es mir in meinem Ehestand Aermlich zu gieng, doch aber wegen ihre Sch(l)äuheit. Beschloß ich mir in Tunis in den Dienst von Ahmed Bascha mein Leben als Mohamedaner zu beschließen.« (K1)

   Diese Aussage, mit der Krüger seine autobiographische Ausführung in Ms. K1 beendet, hat eine zweite Version und eine ausführliche Entwicklung in Ms. K2. Sie lautet wie folgt:

»Da ich nun mein Dienst im Jahr 1840 den 8 October bey dem Moschier Vicir Sidy Achmed Bascha Bay als Thron-Garde Eingenommen hatte, so bekam ich bald eine suma Geld von 600. Piaster, preusch. 100 und 20 Thaler. Da kaufte ich mich schöne Kleider so das ich Ansehn bei viele orndliche Männer bekam, das sie mich als Eidam nehmen wollten, auch die Kosiny von die Frau des Sidy Muhamed Bay ihre Hand anbott. Es war aber ein Hamburger, sein nahme Viereck hier Muhamed, auch von der Fremden-Legion war einige Jahre früher nach Tunis gekomen, als ich, welcher auch als Thron-Garde diente, der wahr Verheirathet, dieser machte mich jeden Vorschlach Leid, so das er mich mit Liest in sein Haus nahm und gab mich die Schwester von seine Frau, ein Mädgen von 15 Jahr, aber sehr schöhn, ich Bezahlte 400 piaster Nakt (oder Morgengabe) das war Akodert bis zu die Heirath, den Bezahlt ich noch 50 piaster aus mein Freien willen zu die Verlobung, um dem Sedaik (Trauschein) zu schreiben.« (K2)

Ferner erfahren wir, daß es sich bei der Auserwählten um »Menäne«,(39) eine Tochter des »Baba Aly ben Mostafa Türke Hannafy« handelt. Die ethnographisch interessant geschilderte Hochzeit fand in der Tat statt. Der anonyme Autor einer 1844 erschienenen >Une promenade à Tunis en 1841<, eigentlich ein schweizerischer Schiffskapitän namens Gottfried Scholl, lernte während seines Tunis-Besuches im Jahr 1842 Krüger kennen und bekam sogar Gelegenheit, ihn im trauten Heim zu besuchen.(40) Scholl zufolge wohnte Krüger damals, ebenso wie Scholls Hamburger Kollege und Schwager Viereck alias Muhammad, bei seinem türkischen Schwiegervater im Stadtviertel Halfauin. Er fand ihn äußerst glücklich über seine hübsche Braut. Eine Anekdote, die er wiedergibt, könnte als Beweis dafür ausgelegt werden, daß Krüger mit der >muhammedanischen< Frau sich auch die (nach abendländischem Ermessen) strengen Ehesitten der >Orientalen< angeeignet hätte. Er soll dem schweizerischen Besucher versichert haben, auf seine Frau mit


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dem Finger zeigend, »so wie Sie sie sehen, hätte ich sie für nichts auf der Welt dem Blick eines Mahometaners ausgesetzt, so wie ich es mit Ihnen tue, selbst wenn er mein bester Freund wäre.«(41)

   Krügers Eheglück währte nicht lange. Er gibt auch an, wie lange: »So lebten wier 3 Jahr sehr Vergnügt und in eine ehrliche Ehe« (K2). Er verkraftete den Tod eines ersten Kindes, und gleich nach dem Tod eines zweiten Kindes fing es an schiefzugehen. Der Ursprung seines als peinlich geschilderten Ehedramas und der erlösenden Scheidung wird folgendermaßen angedeutet: »Jetzt Thraten wier in das Jahr 44, den 3 Januar berdete ich meine Tochter, und gieng den 4ten nach [Mu-]Hamdya wo der Bay ein großes lager hin legte weil ihm Krieg vom Sardinien angesacht war. Wier blieben in Lager 6 Monath, das ich mich über mein Haus nicht viel Bekiemern konnte, auch die Eltern gefiel das, daß ich nicht zu Hause wahr, um mit ihre Tochter Liederlichkeit zutreiben das sie ihr Geld verdiente das sie sich alle Ernähren konnte.« (K2)

   Im vorausgegangenen hat Krüger die Finanzsorgen der Schwiegereltern erwähnt, deretwegen er seine Hochzeit in einer sog. >Zawia< - einer Art Heiligengrabstätte, die für juristisch Verfolgte als Fluchtort dienen konnte und wohin die Schwiegereltern wegen Schulden auch geflüchtet sind - feiern mußte.(42) Man darf also annehmen, daß mit >Liederlichkeit< nichts anderes als Prostitution zu verstehen ist. Die seelische Krise, in die der deutschstämmige Renegat und Apatrid daraufhin versank, scheint sehr tief gewesen sein: »Ich wurde dadurch auch sehr Liederlich und gewöhnte mich zum Trank, so das sie mich damit in ihre Gewalt hatten. Wein und Brandwein konnte ich nicht vertragen, aber den verrückten Bösartigen Rum der wie Gift den Hertz lief das war mein liblings Getränk, so Führte ich das Leben in der Liederlichkeit beinah zwei Jahr, Tag und Nacht besofen Außer dem wann ich Dienst vorm Bay hatte, das ich da die paar Stunden nichtern wahr.« (K2)

   Sogar nach der Scheidung hielten Krügers Probleme mit seiner Frau an. Zunächst verursachte sie, daß er beinahe in eine Mordaffäre verwickelt wurde; und dann verfolgte sie ihn noch bis 1848 wegen 300 Piaster Schulden. Zu dieser Zeit, so entnehmen wir seinem Bericht ferner, war er wieder verheiratet - diesmal weit glücklicher, beteuert er: »In der zweiten Ehe fand ich eine Kluge und Brave Frau, die wie Salemon sagt eine Kluge Frau Bauet das Haus, aber eine Närrin verstöhrt das Haus (...) so lebte ich in die zweite Heirath in zu-Friedenheit« (K2). Leider war ihm das Glück nicht in jeder Beziehung beschieden. Mit den soeben zitierten Worten eröffnet er ein neues Kapitel aus seinem Leben in Tunis, welches in einer über fünf Monate dauernden Einkerke-


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rung gipfelt. Das Erlebnis wird auf 1851 datiert. Zu dieser Zeit hatte Krüger eine Nebenbeschäftigung als Setzer bei einem Landsmann aus Koblenz, der ein Buch für einen französischen Geistlichen, den bekannten Abbé Bourgade, druckte.(43) Die Druckerei wurde für die Herstellung von falschen Banknoten mißbraucht. Krüger, der seine Unschuld beteuert, kam dennoch in Untersuchungshaft. Wieder mußte er eine harte Probe bestehen: »da war ich in die gröste Angst, die ich je in mein Leben gehabt habe, ich wuste nicht wie das Gericht Ausfalln wurde, oder was ich sagen sollte wenn ich Verhöhrt wurde, denn ich hatte mit die ganze Sache nichts zu Schaffen gehabt«. Die Hauptverdächtigen, der Koblenzer und zwei Österreicher, unterstanden nach damaligem Brauch der Gerichtsbarkeit ihrer jeweiligen Konsuln, gegen die der Bey in der Zeit zwischen 1830 und 1881 ziemlich machtlos war. So konnte es zu keinem Prozeß kommen, und vielleicht aus dem Grunde wurde auch Krüger schließlich zu keinem Verhör zitiert, dafür aber in der Haft vergessen. »Hier ist der Gebrauch«, so erklärt er in seiner belehrenden Art, »die jenigen die in Gefängnis sitzen und haben Niemanden der sie Anmeldet, das sie sollten in Vergessenheit kommen, da ist eine Extra Frau zu das Amt bestimt, die den Bey Erinern muß, und muß Ansagen warum der Gefangene ins Gefängnis ist.« Erst nach fast sechs Monaten erinnerte man sich des Schaters Muhammad ben Abdallah Nimsi und holte ihn aus dem dantesken Verlies der Muhammadia heraus. Es war eine denkbar unerquickliche Zeit für den armen Krüger. Zwar hat er in seiner algerischen Epoche Schlimmeres erfahren und Grausameres erduldet, doch inzwischen ist sein Zwangsexil in der nordafrikanischen Fremde eine längere und eine schwere seelische Prüfung geworden. Als ausdrucksvoller Hinweis auf seinen seelischen Zustand in dieser Zeit, ja als rührender Reflex seines Leidens und seines Sehnens überhaupt erscheint uns das Gedicht, mit dem er dieses Kapitel und zugleich das Manuskript (Ms. K2) abschließt:

»ungleich wie die Meeres pfläche
So ist meine Lebens Bahn
Wilde Ströme sanfte Bäche
Trinkt mich auch sehr Wudersahm
Wohl mir wenn ich in sichere Häfen
Freudich in der Ferne Blik
Wohl mir wenn ich, werde sagen
Mir hatt die Reise Wohlgeglückt«(44)


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Dem armen Krüger sollte die Reise nicht glücken. Spätestens nach dem wohlgemeinten Versuch seines Landsmanns Nachtigal muß er zu der schmerzhaften Einsicht gekommen sein, daß er auch in der heiß ersehnten Heimat in eine grausamere Vergessenheit geraten war als die des Gefängnisses seines exotischen Dienstherrn. Leider fehlen uns ausführliche Nachrichten über sein Tuneser Leben nach 1851. Doch wir haben keinen Grund zu glauben, daß es ihm in der Folgezeit, unter den Nachfolgern von Ahmad Bey, nämlich Muhammad Bey (1855-59) und Muhammad Sadaq Bey (1859-82), besser erging als seinem Schicksalsgenossen Schulze/Baba Hassan, der Heinrich von Maltzan gegenüber (Ende 1868) den Vergleich zog und ihm resigniert anvertraute: »Aber so lange Ahmed Bey lebte, hatte ich nicht zu klagen. Bis 1855 (wo dieser treffliche Fürst starb) ging es uns ausgezeichnet. Reichlicher Sold, zahlreiche Belohnungen wurden uns zu Theil. Jetzt ist das Alles ganz anders geworden. Sold und Gratification werden nur noch in Papier, das nichts werth ist, ausgezahlt.«(45)

   Dem Heimatlosen hätte es bestimmt das Herz erwärmt, hätte er erfahren, welchen Helden ein mitfühlender deutscher Schriftsteller noch zu Lebzeiten aus ihm machte. Als entwurzelter Muhammad ben Abdallah Nimsi fristete er sein unruhiges Leben in Tunis, als bewunderter  K r ü g e r - B e i  ging er in die populäre deutsche Dichtung ein. Karl Mays anteilnahmsvolles Interesse für seinen deutsch-tunesischen Prototypen währte sehr lange. Von ihm haben wir den für uns bis jetzt einzigen Hinweis auf dessen Tod; im 1897 erschienenen dritten Band von Satan


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und Ischariot lesen wir: Krüger-Bei ist gestorben, wie kürzlich auch die Zeitungen meldeten, leider aber nicht in seiner unübertroffenen deutschen Ausdrucksweise.(46)

   Es liegt in unserer Absicht, die vor hundert Jahren von Karl May begonnene Rehabilitation des Johann Gottlieb Krüger fortzusetzen und dessen wiederentdeckte Manuskripte als Vermächtnis eines deutsch-tunesischen Schicksals und als Dokumente lebensechter Interkulturalität in ihrer originalen unübertroffenen deutschen Ausdrucksweise herauszugeben. In'scha'Allah!



1 Karl May: Der Krumir. In: Gesammelte Reiseromane Bd. X: Orangen und Datteln. Freiburg 1894, S. 220; das folgende Zitat S. 222. Zu dieser Erzählung vgl. die ausgezeichnete Untersuchung Martin Lowskys: »Mummenscherz mit Tanz«. Vieldeutige Abenteuerlichkeit in Karl Mays Tunesien-Erzählung >Der Krumir<. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1985. Husum 1985, S. 321-347.

2 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXI: Satan und Ischariot II. Freiburg 1897, S. 275f.

3 Franz Kandolf: Krüger-Bei und der >Vater der Fünfhundert<. In: Karl-May-Jahrbuch (KMJB) 1979. Bamberg/Braunschweig 1979, S. 29-37 (zuerst in: KMJB 1924. Radebeul 1924, S. 90-104) - Ders.: Sir David Lindsay und Krüger Bei. In: KMJB 1979. a.a.O., S. 41-53.

4 Nach Kandolf: Krüger-Bei, wie Anm. 3, S. 29, läßt sich diese Quelle folgendermaßen bibliographieren: Ein deutscher Renegat in Nordafrika. In: Magazin für die Literatur des Auslandes. Redigirt von J. Lehmann . 27. Bd. (Berlin, Jan.-Juni 1845.) Kandolf gibt die Quelle vollständig wieder (S. 30-32).

5 Kandolf: Krüger-Bei, wie Anm. 3, S. 29

6 P. R. Martini: Ein Spaziergang in Tunis. In: Die Gartenlaube 25 (1881), S. 408-411 - Kandolf: Sir David Lindsay, wie Anm. 3, S. 48, gibt den Artikel teilweise wieder.

7 Ebd., S. 410 (bei Kandolf S. 48)

8 May: Der Krumir, wie Anm. 1, S. 222

9 Titel des Krüger-Kapitels: A renegado's tale

10 (M. E. von Schwartz:) Blätter aus dem africanischen Reisetagebuch einer Dame. Teil II: Tunis. Braunschweig 1849, S. 268; S. 248 der Hinweis, daß Davis ein ehemaliger polnischer Jude ist.

11 Literarische und Kritische Blätter der Börsen-Halle. Nr. 2067-2070. Hamburg, 1.12.-8.12.1841

12 Ebd., Nr. 2070

13 Erwähnt sei noch folgende Quelle: M. F. Larra: Un déserteur en Algérie. In: La Sentinelle de l'Armée. (Sept.) 1841.

14 May: Satan und Ischariot II, wie Anm. 2, S. 276

15 Wir zitieren aus den Aufzeichnungen Nachtigals in der Slg. Darmstaester I. Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin. - Die Bibliothek hat uns dankenswerterweise die Vorlagen für die Faksimiles (S. 282, 296) zur Verfügung gestellt.

16 Ebd. - Auf diese Stelle machte schon G. M(einecke) in der >Neuen Preußischen Kreuz-Zeitung< 1885 (Beilage zu Nr. 95, 24.4.) aufmerksam.

17 Wie Anm. 15, ebenso die folgenden Äußerungen Nachtigals

18 Vgl. den Nachlaß Gustav Nachtigals in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin (Kapsel 2, Heft (14)).

19 Vgl. Dorothea Berlin: Erinnerungen an Gustav Nachtigal. Berlin 1887, S. 63.

20 Wie Anm. 18, Kapsel 6, Nr. 51

21 Über die Erfahrungen deutscher Fremdenlegionäre zu Beginn des Algerien-Krieges vgl. z.B. (August Jäger:) Der Deutsche in Algier. Stuttgart 1834; (Fürst Pückler-Muskau:) Semilasso in Afrika. Bd. 1. Stuttgart 1836, S. 180ff.


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22 Literarische und Kritische Blätter, wie Anm. 11, Nr. 2067

23 Vgl. Heinrich von Maltzan: Schicksale und Wanderungen eines deutschen Renegaten in Nordafrika. In: Globus. Bd. 17 (1870), Nr. 19, S. 296.

24 Vgl. Hanns Graefe: Krüger-Bei? In: KMJB 1979. Bamberg/Braunschweig 1979, S. 38-40 (zuerst in: KMJB 1930. Radebeul 1930, S. 328-332).

25 Ebd., S. 40

26 Ein anderer Schicksalsgenosse Krügers, mit dem das deutsche Lesepublikum im 19. Jahrhundert bekannt gemacht wurde, ist der Westfale >Herr Müller<; vgl. B. in T.: Herr Müller in Tunis. In: Die Gartenlaube 21 (1873), Nr. 21, S. 345-347.

27 Vgl. Correspondance du Géneral Drouet d'Erlon. Hrsg. von G. Esquer. Paris 1926.

28 May: Satan und Ischariot II, wie Anm. 2, S. 275

29 Wie Anm. 15

30 (Christian Ferdinand Ewald:) Aus Tunis. In: Missionsblatt, Barmen (12.7.) 1841

31 Ebd. - Der Preuße könnte wohl auch der bereits erwähnte Schulze sein, der schon vor Krüger das Schater-Amt bekleidete.

32 Vgl. das genannte Werk Londons, S. 131ff. Es handelt sich in diesem Fall nicht um einen desertierten Legionär, sondern um einen freiwillig in Tunis gelandeten jungen Deutschen, der sich eine allzu idealistische Vorstellung vom Orient und von der muslimischen Welt gemacht hatte und dann bitter enttäuscht wurde. Auf denselben Fall geht auch Ewald, wie Anm. 30, ein.

33 Vgl. Pückler-Muskau, wie Anm. 21, Bd. III, S. 261; Bd. IV, S. 3ff.

34 Vgl. P. Marty: Historique de la mission française en Tunisie. In: Revue Tunisienne. 1935, S.183.

35 Maltzan, wie Anm. 23, in einer weiteren Folge seines Berichts, Nr. 22, S. 349

36 Pückler-Muskau, wie Anm. 21, Bd. III, S. 280f.

37 Krüger verwendet den Begriff hier in seiner engeren Bedeutung als hochgestellter Beauftragter in der Bey-Regierung.

38 Von Schwartz, wie Anm. 10, S. 269f.

39 Heute veraltetes Diminutiv von Ämna, wie die Mutter des Propheten hieß.

40 Vgl. (Gottfried Scholl:) Promenade à Tunis en 1842. Paris 1844, S. 128ff.

41 Im Original, ebd., S. 132: »Muhamed-Kruger me disait en allemand, en me montrant sa jeune femme: Telle que vous la voyez, je ne voudrais pour rien au monde l'exposer à la vue d'un mahométan, comme je le fais pour vous, fût-il mon meilleur ami.«

42 Es handelt sich um Zawiat Sidi el Bikri, im Halfauin-Viertel.

43 Krügers Andeutung zufolge handelt es sich bei diesem Werk um die arabische Fassung von >Les soirées de Carthage, ou Dialogues entre un prêtre catholique, un Muphti et un Cadi< (Paris 1847).

44 Manuskript K2. Wir können nicht sagen, ob es sich um eine eigene Dichtung Krügers oder um ein fremdes, auswendig gelerntes Gedicht handelt.

45 Wie Anm. 35

46 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXII: Satan und Ischariot III. Freiburg 1897, S. 612 - Der Satz ist vermutlich im August 1892 geschrieben worden.


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