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HANS-GERD RÖDER

Sascha Schneider -
ein Maler der Jahrhundertwende
Zur Einführung in die Ausstellung des
Nassauischen Kunstvereins Wiesbaden
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>Auf den Spuren eines geheimnisvollen Mannes< hat die >Frankfurter Rundschau< ihren Bericht über diese Ausstellung genannt.(1) Die >Frankfurter Allgemeine Zeitung< stellt fest: >Winnetou nackt<.(2)

   Viele von Ihnen werden zumindest mit Karl May noch etwas anfangen können. Bei Sascha (Alexander) Schneider müssen wir im Hessenland schon in das Jahr 1913 zurück, um auf den Maler Sascha Schneider in einer Ausstellung der Wiesbadener Galerie Bangel zu stoßen, oder wir schauen nach Frankfurt am Main in den Kunstverein oder nach Darmstadt in die Sammlungen des Großherzogs, wo es überall Werke dieses Künstlers zu sehen gab. Dresden, Weimar und Leipzig haben es heute besser, da Schneider dort immer bekannt blieb und in den Museen ordentlich vertreten ist.

   Gehen wir aber doch, wenn wir schon in die Vergangenheit einsteigen wollen, sogleich einhundert Jahre zurück: bis 1891, in das letzte Jahrzehnt des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Wir befinden uns heute in der gleichen Lage wie damals Schneider, als er mit 21 Jahren als Kunststudent an der Dresdner Kunstakademie lernte und arbeitete. Er hat seine Kinderjahre in der Deutschenkolonie von St. Petersburg verbracht. Die verwitwete Mutter zieht mit den Kindern nach Dresden. Schneiders enormes Zeichentalent fällt schon den Lehrern auf. Trotz Abitur an der Dresdner Kreuzschule geht der junge Mann nicht den Weg des gesicherten Studiums, um einmal in einem Brotberuf seine verwitwete Mutter unterstützen zu können, sondern er stürzt sich in

* Einführungsvortrag, gehalten am 29. September 1991 im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden zum Empfang der Teilnehmer der Tagung der Karl-May-Gesellschaft. Die Ausstellung >Sascha Schneider und Karl May - eine Künstlerfreundschaffi fand vom 8. September bis zum 20. Oktober 1991 statt. Von den 77 Bildern dieser Ausstellung sind zwei in dieses Jahrbuch aufgenommen (siehe bei S. 208/224). Wir danken Heinz Mees für die Besorgung der Druckvorlagen und ganz besonders dem Karl-May-Verlag (Bamberg) für die freundlich erteilte Genehmigung der Wiedergabe.


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das Kunststudium. Dort wird er aber enttäuscht. Die Akademie bietet solides Handwerk, aber künstlerisch ist sie völlig überaltert. Die jungen Studenten jener neunziger Jahre fühlen aber, daß das zu Ende gehende Jahrhundert nicht ein Abgesang, verdämmernde Dekadenz ist, sondern Aufbruch ins neue, 20. Jahrhundert. Sie wollen sich aus den Zwängen von tausend Konventionen und Rücksichten befreien. Auch stehen soziale Probleme an, die aufgrund überalterter Herrschaftsstrukturen nicht befriedigend gelöst sind. Es gab viel Armut damals in Deutschland. Schneider ging nun nicht den Weg seiner Zeitgenossin Käthe Kollwitz, die durch die Schilderung des Elends aufrütteln wollte. Er hoffte, als intellektueller Künstler in seinen Bildern den Reform-Ideen der Jahrhundertwende zum Durchbruch zu verhelfen. Hierzu gehören politische Veränderungen. Ich weise insoweit auf Bilder wie >Sein Schicksal< (1894), >Der Anarchist< (1894), >Auf zum Kampf< (1903) und >Der Despot< hin, die eine eindeutige Sprache sprechen: Beseitigung der Herrschenden, Zusammenschluß des ganzen Volkes, um unter Führung der Künstler gegen Gewaltherrscher aller Art vorzugehen. Schneiders >Despot< trägt eine Krone aus Totenschädeln, die er nicht zufällig am Wege gefunden hat.

   Es sind alles prophetische Bilder von zeitloser Aussage, Wenn wir an die jüngsten politischen Ereignisse denken, so muß man gestehen, daß diese so scheinbar fernliegenden Bilder der Jahrhundertwende noch gültig sind. In der Ausstellung finden Sie die Bilder >Auf zum Kampf< und >Herrscher< sich gegenüber hängend: Das entschlossene Volk marschiert auf den von der Fragwürdigkeit seiner Stellung bedrückten Herrscher los, der in der Ahnung seines Endes gewinnende Züge erhält. Die Einrahmung des Bildes deutet ein Kreuz an, das christliche Kreuz und das Fadenkreuz überlagern sich. Aber nicht allein die Politik, auch der Mensch selbst soll sich befreien. Hier setzt eine Reformbewegung ein, die nicht nur den Körper neu entdeckt, sondern auch im Geistigen eine Neuorientierung fordert und durchsetzt: Neben der Psychoanalyse sind neue Religionen und die Mystik (Ölbild von Schneider 1904) in verschiedensten Varianten präsent. Diese Strömungen finden alle in der Kunstrichtung des Symbolismus ihren bildnerischen Niederschlag. Dessen Anhänger wollten Gegenbilder zur sichtbaren und naturwissenschaftlich erfaßbaren Wirklichkeit aufstellen, um zu zeigen, daß durch die Kunst noch eine andere Realität geschaffen werden kann.

   Dies ist ein Schlüssel zu Schneiders Kunstschaffen, wobei immer zu beachten ist, daß die Darstellung des Menschen, ob als Akt oder bekleidet, die Grundlage seiner Arbeiten ist. Erstaunlicherweise finden


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sich in den Presse-Rezensionen dieser Ausstellung noch immer die alten Vorurteile von 1894ff., wobei die Nacktheit manchem Pein macht.

   Schneider bricht 1893 sein Studium ab und stellt sich auf eigene Füße im ersten Gemeinschaftsatelier mit dem Dresdner Maler Richard Müller. Alle die in der sterilen Atmosphäre der Kunstakademie aufgestauten Ideen drängen zum Malen. Der Künstler muß wie ein Dampfkessel unter Druck gestanden haben, da explosionsartig in wenigen Monaten ein Werk auf die Beine gestellt wird, das die Zeitgenossen an- und aufregt. Es wird ein großer Erfolg. Die Bilder werden durch gute Reproduktionen weit verbreitet. Wir kennen die verblüffende Bemerkung Hermann Hesses über Schneiders Bilder: »Es hat noch nie ein Stück bildender Kunst mich so plötzlich und stark ergriffen.« Hier spricht der Dichter stellvertretend für ein um 1900 verbreitetes Denken über Schneider. Es ist nicht etwa die Meinung eines einzelnen Enthusiasten.

   Der große Erfolg kommt nun in Form von Aufträgen für große Wandgemälde in öffentlichen und privaten Gebäuden: Florenz, Leipzig, Jena, Weimar, Köln, Dresden, Meißen und Wolkenburg - beinahe auch Darmstadt - sind Orte, die sich eines solchen Monumentalwerkes rühmen konnten. Schneiders Bilder sind nicht nur auf vielen Kunstausstellungen des In- und Auslandes zu sehen, allein die Dresdner >Internationale Kunstausstellung 1904< räumt dem berühmten und umstrittenen Szenemaler einen eigenen Saal mit 24 großen Arbeiten ein. Diese ungewöhnliche Auszeichnung mag belegen, wie berühmt er war. Der Ruf auf die Professur nach Weimar an die Kunsthochschule zeigt nun symbolisch, wie der >Junge Wilde< der neunziger Jahre durch die Aufnahme in den Kreis der akademisch etablierten Künstler domestiziert werden soll. Ein solcher Außenseiter unter gesetzten Herren Professoren? Ob dies gutgehen würde? Schneider versucht es jedenfalls und zieht mit 34 Jahren als Professor für Aktmalerei in Weimar ein. Zu den ehrlichen Gratulanten gehören seine Freunde Max Klinger und Karl May.

   Hier möchte ich einen Einschnitt machen und den Blick nach Radebeul richten, wo der Motor unseres heutigen Zusammenseins residiert, Karl May. 1904 schon 62 Jahre alt, berühmt und gefährdet zugleich durch seine strafrechtliche Vergangenheit, die damals noch kaum bekannt war, in einer Schaffenskrise befangen, nachdem er zum ersten Mal 1899 den Orient, den er so eindrucksvoll geschildert hatte, mit eigenen Augen sah. Ehescheidung, Presseangriffe, Gefahr des Ruins seines guten Namens als Schriftsteller durch die Aufdeckung der Straf-


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taten zermürbten seine Gesundheit. Sicher verdanken wir nicht zuletzt Mays Zuchthausaufenthalt diesen Schaffensreichtum, auch wenn man das Wüten der damaligen Justiz im Vergleich zu heutigen Anschauungen und Gesetzen verurteilen muß. Karl May hatte seine ersten Bücher des neuen Jahrhunderts, >Silberlöwe< III und IV sowie >Friede auf Erden< in einem neuen, dem Symbolismus angenäherten Stil geschrieben. Als sensibler Dichter spürte er bei einer Ausstellung Schneiders, daß dieser Künstler ihm etwas zu sagen hatte. May suchte Schneider auf. Der Maler war bereit, auf May und sein Werk einzugehen. Er schuf nicht nur das >Gewissen<, das fortan Mays Empfangssalon in der Villa Shatterhand zierte und jedem Besucher unvergeßlich auf den >neuen May< einstimmte.

   May wünschte auch seine bei Fehsenfeld in Freiburg erscheinenden >Gesammelten Reiseerzählungen( im neuen Stil ausgestattet zu wissen. Das Ergebnis dieser Arbeit können Sie in dieser Ausstellung betrachten. Die Jahrhundertwende erstreckte ihre Reformbestrebungen auch auf die Buchkunst, und ich bin überzeugt, daß die Herausgabe der einheitlich von Schneider gestalteten Werke Mays ein Gipfelprodukt darstellt, da es wohl die aufwendigste Edition künstlerischer Buchausstattung jener Jahre war, gemessen allein am Umfang. Diese Ausgabe kann sich im Vergleich zu Arbeiten der Spitzenkünstler und >Designer< jener Jahre wie Peter Behrens, Heinrich Vogeler-Worpswede, Joseph M. Olbrich, Bernhard Pankok, um nur einige zu nennen, sehen lassen. Dem Verleger wurde angst, denn er sah die zwölf- bis vierzehnjährigen jungen Käufer der >Winnetou<- und >Old Surehand<-Bände vor Augen, denen plötzlich modernste Buchkunst des Jahres 1904 in die Hand gegeben werden sollte. Was würden auch die betreffenden Eltern dazu sagen, ahnungslos, wie sie waren? Die Leser, die mit Schneiders Titelbildern hätten etwas anfangen können, lasen damals May noch nicht. Heute ist die Einstellung zu May gerechter geworden. Es mußte dafür aber auch erst ein großer Schriftsteller wie Arno Schmidt eintreten.

   May und Schneider waren altersmäßig wie Vater und Sohn. Und May hat auch gegenüber dem berühmten jungen Maler so empfunden. Seine Briefe sind von unverstelltem Wohlwollen und von herzlichsten Gefühlen bewegt. May war überzeugt, und wir können ihm heute darin recht geben, mit der Gewinnung von Sascha Schneider ein Jahrhundert-Gesamtwerk geschaffen zu haben, das unwiederholbar sein würde. Inhaltlich waren Titelbilder und Buchinhalt vor allem im Spätwerk Mays zu einer Einheit verschmolzen. Ein Gesamtkunstwerk, wie es dem Zeitgeist entsprach! Die beiden Künstler May und Schneider haben aber mehr gemeinsam gehabt als nur das Symbolistische im jewei-


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ligen Werk. Schneiders Forderung nach der >physischen Kultur< des Menschen geht zurück auf Vorbilder des antiken Griechenlands. Der Malerfreund Max Klinger vertritt diese Gedanken ebenso wie der Dichterfreund Theodor Däubler, hierin mit Schneider einig. Auch wenn uns dieses >sächsische Griechentum< heute fremd erscheinen mag und durch andere Vorbilder abgelöst wurde, war es damals sehr ernst gemeint. Und man möge bedenken, daß Schneider aufgrund eines Unfalles in früher Kindheit einen Rückendefekt davontrug, der ihn wie seinen Kollegen Toulouse-Lautrec verurteilte, nie seinen Idealfiguren gleichen zu können. Das Werk des Malers beinhaltet auch die ehrliche Aussage, daß er neben aller Darstellung des Schönen gerade in seiner Rolle als Außenseiter die Schattenseite der menschlichen Existenz kennt: Trauer, Gram, Bedrückung, Abhängigkeit von sich selbst und anderen und Sehnsucht nach Erfüllung. Seine Bilder mit den angeketteten, gekreuzigten und bedrängten Menschen sind Bekenntnisse zur Wirklichkeit, gemalt als Gegenbilder zur Utopie des Jugendstils, auch wenn sie im Gewande des Symbolismus auftreten.

   Dieser erkannten Realität stellt Schneider, der relativ Kleinwüchsige mit dem Rückendefekt, der erotische Außenseiter, Bilder vor allem männlicher Stärke und Schönheit entgegen. Hier herrscht ein manchmal gewaltsam wirkender Zwang, sein Lebens- und Überlebensprogramm immer wieder neu im Bilde zu beschwören. Auch May war im Grunde solch ein Außenseiter. >Old Shatterhand< alias Karl May war in der Wirklichkeit kein Athlet, sondern ein - wie die Fotos zeigen - zierlicher alter Herr mit wunderbarem Alterskopf. Er fand das Ersehnte im Kunstwerk genau wie Schneider, nur dort, nicht in der Wirklichkeit. Der Ernst dieser Kunstprodukte von May und Schneider spricht als Projektion eines starken Überlebenswillens den Betrachter gerade heute wieder an. Sie vermögen zu vermitteln, daß es keine kalt gemachten Dekorationen sind, sondern aus innerer Notwendigkeit entstandene Kunstwerke. Man kann Schneiders Bilder getrost wie Klingers Brahms-Phantasien neben die musikalischen Werke seiner Zeit stellen. Ich nenne nur die Tondichtungen >Also sprach Zarathustra< und >Ein Heldenleben< von Richard Strauß oder Max Regers, des Klinger-Freundes, >Inferno-Phantasie< und dessen >Symphonischen Prolog zu einer Tragödie<. Diese Werke, zwischen 1896 und 1909 geschrieben, bezeichnen die musikalische Dimension der Arbeiten Schneiders. Während der Ausstellung fanden die ersten Wiesbadener Reger-Tage statt unter Leitung von Klaus Uwe Ludwig, wo man dies nachprüfen konnte.

   Mays Tod 1912 läutete das Ende einer Epoche ein. Schneider war


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1908 nach Florenz gegangen, um der künstlerischen und moralischen Enge Weimars zu entgehen. Das freie Schaffen war ihm doch wichtiger als die behäbige Sicherheit eines Hochschulprofessors. Er trifft in Italien auf die Futuristen, die der Kunst eine neue Funktion geben wollen. Keine Dekoration und letztlich gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit, sondern Funktion des Lebens sollte sie sein. Dies regt Schneider an, selbst in einer manifestartigen Programmschrift seine Ideen über zukünftige Kultur zu formulieren. Er befindet sich hier zwischen dem radikalen Futurismus, den Theodor Däubler in Florenz miterlebt und zu seiner Sache macht, und den theoretischen Schriften des George-Kreises in Deutschland in der Gefahr, in einen >heroischen Ästhetizismus< zu verfallen, da er zumindest verbal in der Programmschrift von 1912 ein ethisches Wertprinzip vermissen läßt, was die Möglichkeit des Mißbrauchs eröffnet. Schneider war zutiefst Humanist und Weltbürger, um diesen Irrweg ernstlich zu gehen. Die Werke jener Jahre, gestaltet nach der Programmschrift von 1912, verkörpern aber nicht das >heroisch-zukunftsweisende<, diese Ausformungen blieben späteren Generationen vorbehalten, sondern es sind späte Gebilde des zu Ende gehenden Jugendstils, zart und sensibel, ganz ohne kämpferische Attitüde. Sie wirken in ihrer Ungeschütztheit gegenüber den nun andrängenden Wogen des Weltkrieges hoffnungslos unterlegen.

   Schneider hat sich, bedingt durch den Kriegsausbruch, wieder nach Deutschland gewandt. Er verbringt die Jahre von 1914 bis zu seinem Tod 1927 in Dresden. Das Kriegsende bewirkt bei ihm einen starken Schaffensauftrieb. Es entstehen zahlreiche neue Werke, die sowohl Gestaltungen im Sinne der Programmschrift von 1912 darstellen als auch die Entdeckung der altmeisterlichen Lasurtechnik und den Glauben an die Mystik der Farbe. Diese Art der Rückgewinnung der alten Meister erstaunt zunächst bei einem Künstler, der sich immer als Progressiven verstanden hat. Sein Leitspruch könnte derjenige von Max Reger sein: >Ich reite unentwegt nach links<.

   In einer Zeit des Expressionismus, des Dada und neuer Sachlichkeit altmeisterlich malen zu wollen, ist wieder ein Zeichen Schneiders, hier nicht mit dem großen Strom schwimmen zu wollen. Die zwanziger Jahre sind ja unsichere, bedrückende Jahre. Die Welt seiner Jugend und seiner großen Jahre ist im Weltkrieg untergegangen, so scheint diese Hinwendung zu den alten Meistern ein Ausweichen in die Vergangenheit. Otto Dix hat dies in den bedrückenden dreißiger Jahren genauso getan. Unsere Ausstellung bietet in einem besonderen Saal nur Werke der Jahre nach 1917, die zeigen, wie Schneider hier neue Farbigkeit und Zartheit gewinnt. Die Sensibilität solcher Gestalten wie >Tobias<,


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>David< und der ikonenhafte >Engelskopf< hat einen neuen Ton in das Werk des Künstlers gebracht. Dresdner Freunde und Förderer, das Ehepaar Richard und Lucia Lieberknecht ermöglichen ihm zu einer Zeit bereits wieder nach Italien zu reisen, als man es sich in Deutschland kaum leisten konnte durch die Inflation. Frucht dieser Aufenthalte ist eine Gruppe von Landschaften, die bis dahin im Werk noch keine Rolle gespielt hatten und die eine neue Facette hineinbringen. Eine schwere Erkrankung gefährdet das Weiterleben und Schaffen.

   Die offizielle Kunstszene der Weimarer Republik betrachtet Schneider als Vorkriegsmaler, für dessen symbolistische Kunst kein Verständnis mehr da ist. Umgeben von einem engagierten Freundeskreis, arbeitet er unbeirrt von dem sich schnell wandelnden Stilekarussell nach dem Gesetz weiter, nach dem er angetreten war. Er erlebt, wie seine Epoche, Jahrhundertwende und der Jugendstil, historisch werden, ohne noch in ihrer vollen Bedeutung erkannt worden zu sein. Hierfür mußten manche Jahre vergehen und ein Krieg durchlitten werden, der gerade in den >Schneider-Hochburgen< Dresden und Leipzig viel vernichtet hat. Die Zeit der DDR bedeutete für Schneider wiederum Nichtbeachtung und mangelhafte Erhaltung des Werks. Erst seit die Dresdner Gemäldegalerie 1982 dem Freundestrio Sascha Schneider/Oscar Zwintscher/Hans Unger eine Ausstellung widmete, war der Anschluß an die Kunstgeschichte hergestellt, die in der Schneider-Ausstellung in Freital bei Dresden einen ersten Höhepunkt fand. Der Nassauische Kunstverein Wiesbaden hat deshalb den grundlegenden Katalog dieser Ausstellung, der inzwischen ein Standardwerk der Schneider-Forschung geworden ist, auch für diese Ausstellung übernommen.(3)

   Ein Bild dieser Ausstellung möchte ich noch als besonders symptomatisch für Schneiders Schaffen hervorheben: >Luna und Endymion< (1924). Es zeigt die Mondgöttin mit ihrem schlafenden Geliebten. Aus Schmerz darüber, daß die Menschenschönheit mit dem Alter schwindet, hat sie ihn in ewigen Schlaf versetzt. So steht dieses gesamte Œuvre unter dem unlösbaren Zwiespalt, daß das Festhaltenwollen des Schönen zur Erstarrung führt, zu einer Vorform des ewigen Schlafes. Und doch hat die Kunst diesen Augenblick immer wieder bannen wollen auf die Gefahr hin, den Menschen damit zwar Schönheit zu erhalten, doch zugleich sie zu entrücken. Sascha Schneider begegnete dem durch die Vielgestaltigkeit seines Werks, das in dieser Ausstellung von frühen Jugendzeichnungen bis zum letzten unvollendeten Bild zum Kennenlernen und Wiederentdecken einlädt.


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   Ich möchte zum Schluß noch einmal Karl May in einem Brief an den Künstler zu Wort kommen lassen (26.6.1906):

   Glauben Sie mir, grad um Ihrer Einsamkeit und um Ihrer herben Kraft und Trotzigkeit liebe und ehre ich Sie wie keinen Zweiten!(4)



1 Michael Meinert: Nassauischer Kunstverein zeigt eine aufsehenerregende Sammlung mit Bildern des Karl-May-Illustrators Sascha Schneider. Auf den Spuren eines geheimnisvollen Mannes. In: Frankfurter Rundschau (Lokal-Rundschau Main-Taunus-Kreis/Wiesbanden u. a.). 6.9.1991 (Nr. 207)

2 Rita Henss: Winnetou, nackt. Die Ausstellung >Sascha Schneider und Karl May<. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (Rhein-Main-Zeitung). 26.9.1991. Erweiterte Fassung unter dem Titel >Gekrönt vom Sieg des Lichts< in: Mannheimer Morgen. 27.9.1991.

3 Sascha Schneider & Karl May. Eine Künstlerfreundschaft. Hrsg. von der Karl-May-Stiftung Radebeul. Radebeul 1989

4 Zit. nach Hansotto Hatzig: Karl May und Sascha Schneider. Dokumente einer Freundschaft. Beiträge zur Karl-May Forschung Bd. 2. Bamberg 1967, S. 119


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