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REINHOLD WOLFF

»Ein Schreiber? O jazik, o wehe, und ich habe dich für einen tapfern Beduinen gehalten!«
Karl Mays Umgang mit den Dichterstereotypen des 19. Jahrhunderts*



Ich beginne mit einer Textstelle, die allen Karl-May-Lesern aus den Urtiefen der (späten) Kindheit vertraut ist und die mich auch bei der etwas barocken Formulierung des Titels für diesen Beitrag inspiriert hat: Die Szene spielt am ägyptischen Ufer des Roten Meeres, gegenüber dem Sinai; Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar, in der Absicht, sich quasi per Anhalter auf die andere Seite des Roten Meeres zu begeben, verhandeln mit dem Wergi-Baschi (Oberzolleinnehmer) Muhrad Ibrahim, dessen Schiff und Mannschaft an dieser Stelle vor Anker liegen, um die Überfahrt. Es entspinnt sich, eingeleitet durch eine Frage Muhrad Ibrahims, folgender Dialog:

»... Bist du ein Fransez oder ein Ingli?«

»Ich gehöre zu den Nemsi. «

»Ein Nemtsche,« meinte er mitgeringschätziger Miene. »So bist du ein Bostandschi [Gärtner] oder ein Bazirgian [Kaufmann]?«

»Keines von beiden. Ich bin ein Jazmakdschi.«

»Ein Schreiber? O jazik, o wehe, und ich habe dich für einen tapfern Beduinen gehalten! Was ist ein Schreiber? - Ein Schreiber ist kein Mann; ein Schreiber ist ein Mensch, welcher Federn ißt und Tinte trinkt, ein Schreiber hat kein Blut, kein Herz, keinen Mut, kein - - - «

»Halt!« unterbrach ihn da mein Diener. »Muhrad Ibrahim, siehst du, was ich hier in meiner Hand halte?«

Er war abgestiegen und stellte sich mit der Nilpeitsche vor den Türken. Dieser zog die Brauen finster zusammen, antwortete aber doch:

»Die Peitsche. «

»Schön. Ich bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ihn Hadschi Dawud al Gossarah. Dieser Sihdi ist Kara Ben Nemsi, der sich vor keinem Menschen fürchtet. Wir haben die Sahara und ganz

* Vortrag, gehalten am 30.10.1992 auf dem Symposium der Karl-May-Gesellschaft und des Germanistischen Seminars der Universität Bonn.


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Aegypten durchwandert und haben große Heldentaten verrichtet; man wird von uns erzählen in allen Kaffeehäusern und auf allen Kirchhöfen der Welt, und wenn du es wagst, noch ein einziges Wort zu sagen, welches meinem Effendi nicht gefällt, so wirst du diese Peitsche kosten, obgleich Du ein Wergi-Baschi bist und viele Männer hier bei dir hast!«(1)

Hier geht es, wie man sieht, um die Potenz: Hadschi Halef Omar, der Mann mit dem langen Namen und der noch längeren Nilpferdpeitsche, vor Asterix das bekannteste und beliebteste Erektionssymbol der Welt-Trivialliteratur, kämpft gegen ein Vorurteil: das Vorurteil nämlich, daß sein geliebter Sihdi, nur weil er der schreibenden Zunft angehört, kein ganzer Mann sei - obwohl doch er selbst, alle Leser und die übrige Welt mit Ausnahme dieses dummen, kleinen Beamten längst wissen, was für ein Kerl dieser Kara Ben Nemsi in Wirklichkeit ist. Ein Arzt ist er, und ein Held ohnehin, vergleichbar nur jenen mittelalterlichen Rittern,(2) die ebenfalls ständig auf Reisen waren, um Drachen zu erschlagen, Waisen zu retten und Witwen zu trösten; und bald werden ihn Scheik Malek und später Scheik Mohammed Emin mit Harun al Raschid vergleichen,(3) und er wird als Feldherr der Haddedihn und ihrer Verbündeten eine ganze Völkerschlacht inszenieren und gewinnen; denn wir befinden uns selbstverständlich im ersten Drittel von >Durch die Wüste<, dem ersten Band von Karl Mays Orientzyklus, der, wie man weiß, in der Fehsenfeld-Ausgabe von 1892 noch den Titel >Durch Wüste und Harem< trug und damit noch viel wüstere Reisen suggerierte. Wen dürfte da wundern, daß Hadschi Halef seinen Sihdi gegen das Vorurteil, Dichter seien im >wahren Leben< zu nichts nütze, mit Vehemenz verteidigt?

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Nun gut, wird man sagen: wir bewegen uns, wie so oft bei Karl May, im Bereich dessen, was die Psychoanalyse so nüchtern >narzißtisch-infantile Größenphantasien< nennt, wie wir alle sie insgeheim, vor dem Einschlafen etwa, gern genießen, wenn wir sie schon nicht als Politiker, Militärs oder Wirtschaftsführer offiziell ausleben können; aber dies alles geht schließlich, so könnte man meinen, nur Karl May und uns etwas an und macht aus der Dichterschelte und dem Dichtergrößenwahn dieser Textstelle noch kein seriöses Objekt der Wissenschaft. Und in der Tat wäre man versucht, dies alles Karl Mays zugegebenermaßen etwas verrutschtem Seelenleben zuzuschreiben, wenn -: ja, wenn einem dabei nicht plötzlich eine ganze Reihe anderer dichterischer Selbstaussagen und klassischer literarischer Textstellen einfielen, diesmal aus dem Bereich der anerkannt >hohen Literatur<, an deren


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Seriosität seit weit über hundert Jahren kein Gebildeter mehr gezweifelt hat und die unerwartet strukturanaloge Aussagen und Bilder über Wesen und Schicksal des Dichters enthalten: Bilder der Grandiosität, wie sie die Psychoanalyse mit dem eben eingeführten Begriff der >infantilen Größenphantasie< faßt, und Bilder des Versagens, des Scheiterns an der Normalität, wie Hadschi Halef Omar sie in unserer Textstelle so vehement ablehnt und damit indirekt als vorhanden ausweist.

Der französische Dichter Charles Baudelaire etwa, den die Familie 1841/42 als Zwanzigjährigen auf eine große Reise schickt, um ihn dem >ungeregelten< und - für gutbürgerliche Verhältnisse - auch etwas kriminellen Lebenswandel in der Pariser Bohème zu entwöhnen (er soll nach Indien, kehrt aber auf der Insel La Réunion eigenmächtig wieder um und nimmt das nächste Schiff nach Hause): dieser Charles Baudelaire also entwickelt aus einem seiner Eindrücke während dieser Schiffsreise ein Bild des Dichters, das seit 1862 in keiner repräsentativen Anthologie der französischen Lyrik des 19. Jahrhunderts mehr fehlt - so sehr entspricht offenbar die in dem Gedicht entwickelte Phantasie vom Wesen des Dichters der Erwartungshaltung von Literaten und Publikum seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Baudelaire beschreibt in dem Gedicht >L'Albatros<,(4) wie sich die Matrosen des Schiffs zum Spaß große Albatrosse fangen, die vorher im majestätischen Flug das Schiff begleitet haben und nun, als Gefangene, ihres eigentlichen Elements beraubt, kläglich auf den Schiffsplanken sitzen, preisgegeben den Quälereien und dem Gelächter der Schiffsleute. Und in der letzten Strophe des Gedichts vergleicht Baudelaire diesen Vogel dann mit dem Dichter:

Le Poète est semblable au prince des nuées
Qui hante la tempête et se rit de l'archer;
Exilé sur le sol au milieu des huées,
Ses ailes de géant l'empêhent de marcher.

Oder, in der Prosaübersetzung von Friedhelm Kemp: »Der Dichter gleicht dem Fürsten der Wolken, / der mit dem Sturm Gemeinschaft hat und des Bogenschützen spottet; / auf den Boden verbannt, von Hohngeschrei umgeben, / hindern die Riesenflügel seinen Gang.«(5)

Und der gleiche Baudelaire verwendet, in einer bezeichnenden Überlagerung der Phantasien, fast 20 Jahre später das gleiche Bild noch einmal: Im Gedicht >Le Cygne< von 1859, das Victor Hugo, opinion leader der französischen Romantik und Vaterfigur für alle nachromantischen Generationen in Frankreich, gewidmet ist, wird auf Victor Hugo angespielt mit dem Bild eines Schwans, der, fremd seinem eigentlichen


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Element, hilf- und heimatlos(6) sein mächtiges Gefieder im Straßenkot der Stadt Paris schleift. Das Gedicht insgesamt hat, in großer argumentativer und metaphorischer Komplexität, die Fremdheit und Hilflosigkeit des Dichters in der Normalität - außerhalb seiner angestammten Welt, in der allein ihm Grandiosität möglich ist - zum Thema.

Victor Hugo seinerseits, auf den sich Baudelaires Grandiositätsbilder mindestens im Fall von >Le Cygne< explizit beziehen, hat eine Generation vorher nicht unerheblich dazu beigetragen, die Vorstellung vom Dichter mit Zügen von Grandiosität auszustatten - es also mit jenen infantilen Größenphantasien zu besetzen, die bis heute in unserer Vorstellung vom Dichter eine unterschwellige Rolle spielen. Schon in dem Gedichtband >Les Voix Intérieures< von 1837(7) ist von der zivilisatorischen Mission des Dichters - der Dichter als Lehrer der Völker - die Rede,(8) und in dem Band >Les Rayons et les Ombres< von 1840(9) wird der Dichter, verkannt und verspottet vom gemeinen Volk, zum Magier und zum Seher, der in der allgemeinen Nacht als einziger das Licht sieht; zum >heiligen Träumer< (»rêveur sacré«); zum l'homme des utopies, der in einer ruchlosen Welt eine bessere vorbereitet (»(qui) en des jours impies / vient préparer des jours meilleurs«), usw.(10)

Infantile Größenphantasien also, wie man sieht, auch hier, und nicht nur hier: Phantasien mit der gleichen Grundstruktur finden sich nicht nur in der französischen Literatur und nicht nur in der Romantik, wenn sie sich auch in dieser Epoche am deutlichsten und häufigsten ausfigurieren. Von der Zeit der europäischen Präromantik, also etwa des deutschen Sturm und Drang - denn (klassisch sozialisierte Germanisten mögen verzeihen) auch die dichterischen Selbstbilder der Genie-Zeit, in Goethes >Prometheus<- Hymne und anderswo, fallen selbstverständlich in die psychoanalytische Kategorie der >infantilen Größenphantasien< -: von der europäischen Präromantik also bis in die Tage der Rainer Maria Rilke, Stefan George oder Thomas Mann, und in gewissem Sinn bis in unsere Tage, ist der Dichter nichts geringeres als ein Held - Held der Innerlichkeit nämlich, der Subjektivität, der Schönheit und des Geistes, Künder der Geheimnisse, göttliches Kind, Prophet, Seher, Erlöser. Die Bilder dieser Art, mit dem Dichter, dem kreativen Künstler verknüpft, entstehen im Laufe des 18. Jahrhunderts, entwickeln sich sozusagen flächendeckend seit Beginn des 19. Jahrhunderts und der europäischen Romantik und bleiben bis weit in unser Jahrhundert hinein persistent. Ich erspare mir die jederzeit mögliche, exhaustive Angabe von Belegen, denn man kann davon ausgehen, daß diese Bilder noch in uns allen wirksam sind: die Abrechnung Jean-Paul Sartres mit den infantilen (Dichter-)Größenphantasien seiner Kind-


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heit und Jugend in >Les Mots<(11) sind unvergessen, und behutsame Fragen an Studienanfänger unserer Zunft zeigen mir seit Jahren, daß junge Menschen in der Tat noch heute an solchen romantischen Dichterbildern partizipieren und sich in der Wahl ihres Studiums wenigstens teilweise mit ihnen identifizieren.

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Diese Phantasie über den Dichter-Helden ist freilich, und zwar lückenlos seit den Tagen der europäischen Romantik, immer wieder verbunden mit dem Verdacht oder der Gewißheit, daß der Dichter einer sei, der sich in den Niederungen der Realität, unter gemeinem Volk nicht zurechtfinde: Held, Seher, Prophet zwar, aber gleichzeitig der von den Menschen, den Normalbürgern Verachtete, der aus dem sozialen Konsens Ausgestoßene und an der bürgerlichen Normalität Scheiternde, für den kein Hadschi Halef Omar eintritt und der nicht mit seiner wundergewaltigen Faust alles regelt wie Old Shatterhand. Das Bild des Dichters, wie es im 19. Jahrhundert Gemeingut geworden ist, setzt sich also offenbar aus zwei Komponenten zusammen: einer Komponente der Überschätzung, der >infantilen Größenphantasie<, und einer Komponente der sozialen Geringschätzung, des Verdachts der sozialen Minderwertigkeit.

Und ich muß nun zugeben, daß die Literaturwissenschaft der Vergangenheit, die ja eher eine inspirierte Verwalterin und Vermittlerin der literarischen Tradition als eine Wissenschaft war und sich insofern tatsächlich mit ihren Gegenständen weitgehend identifizierte -: daß diese Literaturwissenschaft der Vergangenheit den Fehler gemacht hat, dichterische Selbstaussagen solcher Art wörtlich zu nehmen, sie als nur individuelle Aussagen mißzuverstehen und auf der Basis solcher Selbstaussagen der Autoren eine Genialisierung und Sakralisierung des Dichters zu betreiben, die uns heute bisweilen durchaus komisch anmutet.

Eine andere, ebenso traditionelle Möglichkeit der Literaturwissenschaft, mit der Persistenz solcher Bilder erklärend umzugehen, wäre dann, sich auf den Aspekt ihrer innerliterarischen Kontinuität zu konzentrieren: auf den Aspekt der T o p i k, der (inner-)literarischen Klischeebildung, wie ihn zuerst E. R. Curtius(12) konzipiert und beschrieben hat. Und in der Tat ließe sich die relativ plausible Hypothese entwickeln, daß es eine (wesentlich innerliterarische, und erst sekundär verhaltensrelevante) Klischeebildung gibt, die etwa von Platos Wort über den Wahnsinn (äania)(13) der Dichter innerhalb der italienischen Plato-Renaissance des späten 15. und des 16. Jahrhunderts zu einem Idealbild


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des Dichters führt, das dann, etwa bei Torquato Tasso, auch verhaltensregulative Auswirkungen hat, Verhalten dieses Dichters wie Erwartungshaltung gegenüber diesem Dichter prägend und eine >Tasso-Legende< ausbildend; und das, über die Jahrhunderte hinweg, als >Dichter-Topos< mit dem Namen des Renaissance-Dichters verbunden, in seiner klischeehaften Verknüpfung des dichterischen Ingeniums mit den Charakteristika >abweichenden Verhaltens< die Phantasien und Selbstbilder Goethes als eines Autors des >Sturm und Drang< beeindruckt und in seiner innerliterarischen Topik literarisch aktualisierbar wird.(14) Jedoch erklärt solche (zweifellos vorhandene) innerliterarische Topik weder, warum eben dieser Topos vom >abweichenden Verhalten< des Dichters in der Phase der europäischen Romantik dominant wird, noch auch, warum eben diese Vorstellung vom Dichter seit der Romantik nicht nur das Selbstverständnis der Autoren, sondern auch das gesellschaftliche Urteil ü b e r  s i e prägt.

Die wahrscheinlichere Annahme ist deshalb, daß wir uns in einem anderen Feld bewegen: im Bereich der sozialen Stereotypenbildung, der evaluativen Voreinstellungen - wie das die Sozialpsychologie nennt -, im Bereich der sozialen Vorurteile also. Die Sozialwissenschaften untersuchen die Regelhaftigkeit solcher Stereotypenbildungen seit den 20er Jahren dieses Jahrhunderts(15) in der sog. Vorurteils- und Minoritätenforschung, der Attituden- und Image-Forschung, d. h. einer Reihe von Forschungsfeldern, denen gemeinsam ist, daß sie ihre Aufmerksamkeit auf den Vorgang der Klischeebildung über soziale Gruppen in Form von Auto- oder Heterostereotypen richten. Wir wissen daher inzwischen sehr genau, wie solche Vorgänge der sozialen Stereotypenbildung ablaufen, welche Eigenschaften solche Stereotypen besitzen und welche Bedeutung sie für die Individuen haben, die sich ihrer bedienen.

So wissen wir etwa, daß jede soziale Gruppe von einiger Kohärenz -und die Existenz einer solchen sozialen Gruppe ist Voraussetzung für den Vorgang der sozialen Stereotypenbildung - dazu neigt, über andere soziale Gruppen solche Vorurteile zu bilden, und daß diese Vorurteilsbildung die Gruppenkohärenz noch zusätzlich stärkt; daß soziale Minoritäten dazu neigen, solche auf sie projizierten Heterostereotypen als Autostereotypen zu übernehmen, sich mit ihnen im Sinn einer self-fulfilling prophecy zu identifizieren; daß ein Zusammenhang besteht zwischen den Sympathiegefühlen des Wir-Gefühls in der eigenen Gruppe und der aggressiven Ablehnung der anderen, die aus diesem Wir-Gefühl ausgegrenzt werden; daß der Realitätsgehalt solcher Vorurteile gering ist, weil sie teils an historisch längst überholten Verhal-


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tensweisen der a n d e r n anknüpfen, teils von Mechanismen der Phantasiebildung wie Projektion und Identifikation durchwoben sind, daß aber gleichwohl solche Sozialstereotypen bemerkenswert starr und durch Realitätserfahrung kaum korrigierbar sind. Wir alle wissen etwa, daß es d i e Bayern, d i e Preußen, d i e Türken, d i e Studenten, d i e Künstler oder eben d i e Dichter im Sinne der mit ihnen verknüpften Vorurteilsbilder eigentlich gar nicht gibt. Aber wir alle pflegen sorgfältig einen (hoffentlich begrenzten) Schatz von Vorurteilen, denn Vorurteile erleichtern das Leben ungemein. Sie dienen uns zur Orientierung im Feld sozialen Handelns, übrigens auch dort, wo wir mit den stereotyp beurteilten sozialen Gruppen gar nicht in unmittelbaren sozialen Kontakt treten (und dann um so weniger in Gefahr sind, unsere Vorurteile der Realitätsprüfung auszusetzen und sie womöglich korrigieren zu müssen). Soziale Vorurteile >entlasten<, wie Arnold Gehlen(16) das einmal genannt hat, wie institutionalisierte Handlungen.

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Die Vorstellungen, die sich das 19. Jahrhundert vom Dichter macht (und damit die Vorstellungen Karl Mays und in vieler Hinsicht noch unsere Vorstellungen vom Dichter), stellen - so meine These - Realisierungen eines sozialen Stereotyps dar, das sich, mit einer Vorgeschichte im 18. Jahrhundert, im wesentlichen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts präzisiert und - wie ich hier nur andeuten kann - aus der Bohème des 19. Jahrhunderts und dem sozialen Umgang mit dieser Bohème stammt. Denn daß Dichter und Literaten (und Künstler ganz allgemein) sich seit der Romantik(17) in der Bohème des 19. Jahrhunderts als soziale Minorität und damit als soziale Gruppe konstituieren, unterscheidet sie von der sozialen Existenzweise der Dichter und Literaten im ancien régime und läßt die Topik vom Dichter als dem >unangepaßten Besonderen< umschlagen in den Mechanismus des sozialen Stereotyps. Das Fremdstereotyp der sozialen Unfähigkeit mag von außen stammen, mag zunächst das Urteil des Normalbürgers über diese soziale Minorität sein (»krank« nennt Minister Goethe(18) im Alter, seine eigenen stürmisch-drängenden Anfänge vergessend, die ganze Generation der Romantiker): die minoritäre Gruppe macht sich immer wieder im Sinn einer self-fulfilling prophecy das Stereotyp zu eigen und kompensiert es mit ihren infantilen Größenphantasien, mit ihrem Anspruch auf überdimensionale Innerlichkeit und Genie. Erst im Laufe des 18. Jahrhunderts hat sich das Literatsein als Beruf(19) entwickelt, und erst im 19. Jahrhundert, seit den Cénacles und Dichterkreisen der Romantik, entwickeln Literaten eine eigene Lebensform und


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damit die Charakteristika einer sozialen Gruppe, wie sie Voraussetzung ist für das Entstehen eines über diese Gruppe gebildeten Stereotyps. Nun, seit Anfang des 19. Jahrhunderts, entwickelt sich, zuerst in Paris und später in Berlin, München und anderswo, jene Subkultur der o u t c a s t s, die man bald Bohème nennen wird. Es ist eine Welt hart am Rande der Asozialität, in der sich Literaten, Künstler, Emigranten und Weltverbesserer mischen und die ihre eigenen Verhaltensformen entwickelt, wie sie der Siegener Germanist Kreuzer(20) auf eindringliche Art beschrieben hat: eine Welt der Cliquen und Cafés, der Antibürgerlichkeit und Überlebenskunst, in der alles schon vor- und ausgebildet ist, was im Underground der 60er und 70er Jahre dieses Jahrhunderts dann Massenphänomen geworden ist - vom Drogenkonsum bis zum Stadtindianer, von der Häßlichkeits-Schock-Ästhetik in Kleidung und Lebensstil bis zum Dandytum, vom Schnorrertum bis zum Happening. Selbstverständlich sind nicht alle Autoren Mitglieder dieser Bohème, jedoch gilt dies für Thomas Mann wie für Karl May, die ihr faktisches Außenseitertum jeweils ganz anders begründen als der Bohèmien Baudelaire: aber es gehört zum Wesen des sozialen Stereotyps, daß auch sie an ihm partizipieren.

Soziale Stereotypen schließlich, so lehrt die Sozialwissenschaft, sind nicht nur Mittel der Distanzierung, sondern auch der unbewußten Beziehung, insofern Mechanismen der Phantasiebildung, wie Projektion und Identifikation, in ihnen am Werk sind: die geheimen, verdrängten Wünsche des eigenen Daseins gehen ein in die Bilder über den andern. Die bürgerliche Arbeits- und Erwerbswelt bleibt deshalb der unterschwellige, gefühlsmäßig höchst ambivalent erlebte Kontrapunkt dieser unbürgerlichen Künstler-Welt. Und das Feindbild, das Anti-Stereotyp dieser Welt, ist der Bürger, der Bourgeois, der Philister, der banausische Vertreter einer materialistischen und langweiligen Klasse, wie ihn ein anonymer Vers(21) aus der französischen Romantik apostrophiert, der da lautet:

Vils épiciers, bourgeois, o philistins stupides
I1 ne va rien de grand dans vos cœurs racornis;
Vos pensées sont mesquines, vos plaisirs insipides,
Des esprits généreux honnis, soyez honnis!

Wobei freilich gilt: daß auch d i e s e Einschätzung der bürgerlichen Welt die Qualität eines sozialen Vorurteils hat - eines sozialen Stereotyps diesmal der Dichter und Literaten, und nicht ein Abbild der Realität, sondern eine klischeehafte Phantasie über die Realität darstellt. Dies scheint mir, nebenbei bemerkt, fast immer die c r u x der soziologischen Textinterpretation, die sie dann auch zum intellektuellen Frei-


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stil-Ringkampf entarten läßt: daß sie den stereotypen Charakter der sozialen Phantasien in den Texten nicht erkennt und soziale Stereotypen für Abbilder sozialer Realität nimmt - unter der sozialpsychologisch wenig plausiblen Prämisse, daß nur die Autoren von Trivialliteratur zur Bildung sozialer Vorurteile neigten, nicht aber die Autoren >hoher< Literatur (von der Überschätzung der >wahren< Dichter in der Übernahme und identifikatorischen Propagierung kompensatorischer Größenphantasien war nun schon genug die Rede).

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Ich kehre, nach diesem notwendigen Exkurs in die Theorie sozialer Stereotypen und die Historie unseres Dichterbildes, zurück zu Karl May: denn natürlich interessiert mich im Rahmen meiner Fragestellung nun, inwieweit May am sozialen Stereotyp des >Dichters< seines Jahrhunderts partizipiert; wo er es variiert; oder wo er, womöglich, von ihm unberührt bleibt. Wobei es mir im folgenden nicht (nur) um den dominanten Zug dieses sozialen Stereotyps geht - um den Zusammenhang von sozialer Unfähigkeit und kompensatorischer Größenphantasie -, sondern auch um die sekundären Komponenten des Stereotyps.

An Texten Mays, die sich für eine solche Fragestellung heranziehen lassen, ist kein Mangel: der Bogen reicht von reflektorischen oder autobiographischen Texten, wie den >Briefen über Kunst< (1906/07) oder der Autobiographie >Mein Leben und Streben< (1910), bis zu Mays erzählerischem Werk und dessen plastischen Ausfigurierungen seiner Wünsche und Vorstellungen - also etwa dem Robert Bertram alias Baron Robert von Helfenstein im >Verlorenen Sohn< (1883-85), dem seltsamen Pärchen Sappho/Carpio in >»Weihnacht!«< (1897), dem William Ohlert in der Erzählung >Der Scout< (1888/89) bzw. in >Winnetou II< (1893) und einer ganzen Reihe anderer, reimender und eher komischer Figuren, wie dem Gunstick-Uncle aus dem >Schatz im Silbersee< (1890/91), bis zu der in unserem Zusammenhang recht denkwürdigen Erzählung >Ein Dichter< von 1879, die 1894 dann - Arno Schmidt höre! - unter dem abgeänderten Titel >Der Pfahlmann< erschienen ist.

Interessant in unserem Zusammenhang sind dabei zunächst insbesondere William Ohlert aus >Winnetou II<(22) und Richard Forster, der Held aus >Ein Dichter<(23), denn beide fiktiven Figuren - die übrigens auch auf vage Weise über eine der ungenauen phonetischen Assoziationen Mays zusammenhängen: Vater Ohlert ist Bankier in New York, und Vater Olbers, der Vater nämlich von Richard Forsters geliebter Marga, ist Bankier in Stenton/Arkansas -: beide fiktiven Figuren also sind relativ ausgeformte Phantasmen, und sie haben darüber hinaus


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gemeinsam, daß Karl May sie kurz nach 1892 - dem Erscheinungsbeginn der Fehsenfeld-Ausgabe und seinem Durchbruch zur Seriosität, zum Erfolgsautor, zum Dichter gar - wieder aufnimmt und erneut bearbeitet: es darf vermutet werden, daß ihm dabei einiges von seinen eigenen Wünschen und Phantasien durch den Kopf geht, soziale Rolle und kulturelles Prestige von Schriftstellern und Dichtern betreffend.

William Ohlert entspricht dabei sichtbar in vollendeter Form dem Vorurteils-Bild von der sozialen Unangepaßtheit und Unfähigkeit des Dichters: fünfundzwanzig Jahre alt und unverheiratet ..., mehr träumerisch als tatkräftig angelegt, hatte sich mehr mit wissenschaftlichen, schöngeistigen und Büchern metaphysischen Inhaltes als mit dem Hauptbuch beschäftigt und sich nicht nur für einen bedeutenden Gelehrten, sondern sogar für einen Dichter gehalten.(24) Dichter heißt dabei übrigens - ich komme noch darauf zurück - Lyriker und Dramatiker: Ohlert hat einige Gedichte in (deutschen) New Yorker Zeitungen veröffentlicht und sich dann an die Aufgabe gemacht, eine Tragödie über einen wahnsinnigen Dichter zu schreiben,(25) sich dabei jedoch

so mit seiner persona dramatis identifiziert, daß er darüber selbst den Verstand verlor. Wobei uns nun hier weniger interessiert, wie Ohlert in die Hände des Betrügers Gibson geraten ist und was sich daraus entwickelt und wie Old Shatterhand als Privatdetektiv hinter dem Betrüger Gibson und dem verrückten Dichter her ist. Was in unserm Zusammenhang allenfalls noch interessieren könnte, ist Old Shatterhands Therapie: er trifft Ohlert im Handgemenge mit Gibson mit dem Gewehrkolben am Kopf - was diesen dann auf andere Gedanken bringt. Wir befinden uns, wie man sieht, in den Tagen Cesare Lombrosos, des italienischen Psychiaters und Gerichtsmediziners, dessen europäischer Bestseller >Genie und Irrsinn< von 1864 im Jahr 1887 ins Deutsche übersetzt worden ist: Lombroso vertritt, zeitgemäß einen sozialpsychologischen Zusammenhang als einen biologistischen mißverstehend, in einer Reihe von höchst erfolgreichen Büchern(26) die These, Genialität (von Dichtern, Musikern, Wissenschaftlern, Politikern usw.) sei ein biologischer Sachverhalt: eine Folge der genetischen Degeneration, also eine über das Erbgut determinierte Erscheinung, und seine

Beschreibungen der »Degenerationszeichen« liest sich für unsere heute anders geschulten Augen wie ein monumentaler Katalog abweichen den Verhaltens. Daß Dichter wie Geniale dem Wahnsinn nahe sind, ist in dieser Lombrososchen Erklärungs-Variante Ende des 19. Jahrhunderts intellektuelles Gemeingut der bürgerlichen Normalität und ist doch nichts weiter als die damals aktuelle Form eines viel älteren sozialen Vorurteils von der sozialen Minderwertigkeit des Dichters (oder:


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des Genies). Nicht nur William Ohlerts Schicksal, sondern auch manche Gedankensplitter Mays in >Mein Leben und Streben< mögen mit diesem zeitgenössischen Ideengut unmittelbar zusammenhängen.(27)

Repräsentiert William Ohlert die negative Komponente des sozialen Stereotyps >Dichter< - die Vorstellung >sozialer Außenseiter< also -, so stellt Richard Forster in >Ein Dichter< die andere Komponente der sozialen Phantasie dar: die Grandiositätskomponente. Die Erzählung ist übrigens ursprünglich entstanden im Jahr von Mays letzter Haft (1879) wegen unbefugter »Ausübung eines öffentlichen Amtes«: einem Augenblick also, in dem sehr wohl Anlaß war, kompensatorische Phantasien zu bilden. Und sie wird dann wiederaufgenommen im Augenblick des Triumphs, des Durchbruchs als Schriftsteller, nun aber (1894) ohne den verräterischen Titel >Ein Dichter<, und mit dem neuen Titel >Ein Pfahlmann< explizit deklariert als eine Geschichte aus dem >Wilden Westen<(28)

Die Erzählung beginnt mit einem wohlvertrauten Szenarium: zwei verdurstende Westmänner, Tim Summerland und Richard Forster, schleppen sich aus verschiedenen Richtungen mit letzter Kraft durch den Llano estakado und treffen dabei erstaunlicherweise zusammen. Sie stellen sich ordnungsgemäß vor, wobei sich ergibt, daß der eine von ihnen ein berühmter Dichter, Autor der Gedichtbände >Savannenbilder< und >Herzklänge<, ist und von Summerland als solcher auch am Namen sofort identifiziert wird: ein Westmann also, der dichtet, und ein anderer, der gelegentlich Gedichte liest. Daß sie dennoch beide richtige Westmänner sind, ist bei Summerland ohnehin nie anzuzweifeln und stellt sich bei Forster schnell heraus, als es darum geht, den rechten Weg aus dem Llano zu finden. Anerkennend sagt Summerland (und stellt sich damit auf den Boden unserer hier vertretenen Heuristik): »Ihr seid ein Dichter, Sir, und solchen Gentlemen ist nicht viel Praktik zuzutrauen, weil sie gewöhnlich ganz wo anders zu Hause sind, als gewöhnliche Menschenkinder, die keine Verse machen. Das hätte ich beinahe auch von Euch gedacht, - jetzt aber muß ich Abbitte thun, denn ich sehe, daß Ihr das Auge dort habt, wo es hingehört.«(29)

Von den Taten der beiden Helden muß ich dann nicht weiter berichten. Es genügt, darauf hinzuweisen, daß Forster nicht nur als Lyriker weit über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinaus bekannt ist, sondern auch zwei Gewehre mit sich führt (von denen eines eine doppelläufige Kentucky-Büchse ist und das andere ein Stutzen); daß er wie ein Westmann vornübergebeugt im Sattel sitzt und seine Feinde gelegentlich auch schon mit der bloßen Faust aus dem Sattel schlägt ... : wir haben ganz offensichtlich eine Old Shatterhand-Doublette vor uns,


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und Helden dieser Art, narzißtische Größenphantasien p a r  e x c e l 1 e n c e, sind, wie Sigmund Freud einmal bemerkt hat, unschlagbar und unverletzlich.(30) Gerade diese Unverletzlichkeit des Helden sei ja, so Freud, das »verräterische Merkmal ( ... ), (an dem) man ohne Mühe -Seine Majestät das Ich, den Helden aller Tagträume wie aller Romane« erkenne.

Forsters Stutzen ist noch kein Henry-Stutzen, aber in einem anderen Punkt übertrifft er Old Shatterhand: Marga Olbers liest Gedichte und verliebt sich schon deshalb in ihn, und das Happy end d i e s e r Geschichte ist unausweichlich: Forster rettet Marga, bringt auch im übrigen die Welt ins Lot, erhält große Ländereien in Texas geschenkt, wird seßhaft und verlobt sich, mit sicheren Aussichten auf baldige Hochzeit, mit Marga. Biographische, individuell-psychologische Hintergründe für dieses Phantasma lassen sich vermuten: immerhin verbüßt May 1879 nicht nur seine letzte Haft, sondern heiratet ein Jahr darauf Emma Pollmer. Die eigentliche, maytypische Variation des Dichterstereotyps jedoch liegt offensichtlich in der Streitbarkeit und Wehrhaftigkeit seiner Phantasie-Figuren. Mays Größenphantasien über den Dichter und Schriftsteller haben - bei Old Shatterhand, Kara Ben Nemsi, Richard Forster und anderswo - einen kräftigen Zug ins Martialische, ins kriegerisch Heldenhafte, und für diese Variation des Dichterstereotyps sind die individuell-psychologischen Motive sicher nicht die einzig denkbaren: das Wilhelminische Reich hat kollektiv, wie man inzwischen bei John Röhl(31) und anderen Historikern nachlesen kann, seine eigene und katastrophale, Europa destabilisierende Traumproduktion, die ideales Material für die individuellen Kompensationswünsche bereitstellt und der sich der Erfolgsautor May zu diesem Zeitpunkt, nicht nur in den Heldenfiguren seiner Abenteuerromane, offenbar nicht entziehen kann.

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Demgegenüber sind die zahlreichen Äußerungen über die Erhabenheit der dichterischen Mission, etwa in >Mein Leben und Streben<, recht konventionell und auch meist in ihrem zeitlichen Kontext als Kompensationsphantasien unverkennbar. So heißt es in dem Bericht über Mays seelischen Zustand nach der ersten Haftstrafe: Schriftsteller werden, Dichter werden! Lernen, lernen, lernen! Am Großen, Schönen, Edlen mich emporarbeiten aus der jetzigen tiefen Niedrigkeit! Die Welt als Bühne kennen lernen ... ! Und am Schlusse ... für die andere Bühne schreiben, für das Theater, um dort die Rätsel zu lösen ...(32) - und wenig später schreibt May: Künstler zu sein, dünkte mich das Allerhöchste auf


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Erden, und es lebte tief in meinem Herzen der heiße Wunsch, diese Höhe zu erreichen, und sollte es ... in der letzten Stunde vor meinem Tode sein.(33)

Gleiches gilt für eine andere Sequenz von Vorstellungen - Grandiositätsphantasien auch sie! -, die May immer wieder mit seinem Bild vom Dichter konnotiert: der Dichter und Schriftsteller als Lehrer seiner Leser(34), als öffentlich Verantwortlicher; als jemand, der Einfluß hat auf Moral und Verhalten seiner Leser; der Dichter als Erzieher der Menschheit, usw. -: Größenphantasien, die seit Schiller und Victor Hugo mit dem Dichterstereotyp verknüpft sind und die besonders in den >Briefen über Kunst<(35) von 1906/07 ihren Ausdruck finden. Dort wird, in ganz extremem Ausmaß, dann wieder das eingangs umrissene Stereotyp des Künstlers als eines Einsamen, eines Leidenden, eines Propheten usw. kultiviert, wird der Kunst eine Mittlerstellung zwischen Wissenschaft und Religion zuerkannt, wie dies dem klassischen Dichterbild des 19. Jahrhunderts entspricht, aber in unserm Zusammenhang nun nicht mehr originell ist.

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Interessanter ist da schon, daß sich mit der Bezeichnung >Dichter< für May noch feste, also stereotype Inhalte verknüpfen, die man so und zu dieser Zeit bei dem Erfolgsromancier eigentlich nicht vermuten würde: der Dichter ist, wie in Frankreich der poète, eigentlich Lyriker oder Dramatiker, nicht etwa Romancier. Unter dem Eindruck einer Puppenspiel-Darstellung des >Faust<, so die Autobiographie, reift in dem Kind Karl der Entschluß,(36) Dichter zu werden; die Phantasien des Kindes bei der Lektüre von Räuberromanen gehen auf Alimentierung der Karriere zum Theaterdichter durch den Räuber Himlo Himlini;(37) die Kompensationsphantasien nach der ersten Inhaftierung gehen ebenfalls in Richtung Theaterdichter;(38) und das Drama >Babel und Bibel< von 1906 sowie eine Reihe von dramatischen Entwürfen und Fragmenten im Spätwerk Karl Mays(39) legen Zeugnis davon ab, daß May - unter dem Druck der äußeren Angriffe auf den >Schundschriftsteller< oder den >Jugendschriftsteller< wie aus der Dynamik seiner inneren Entwicklung - im letzten Lebensjahrzehnt sein literarisches Ich-Ideal in diesem Punkt auch zu realisieren versuchte: um den Preis freilich, damit den >Erwartungshorizont< seiner Leser wie seines Verlegers nicht unerheblich zu verfehlen.

Komplizierter noch bietet sich der Teil von Mays literarischem Ich-Ideal dar, für den der Dichter in seiner eigentlichsten Berufung Lyriker ist: komplizierter deshalb, weil er sich in Mays Werk und Autobiogra-

Deckelbilder des Verlages Fehsenfeld und des Karl-May Verlages, Radebeul, zu Mays Werken (vgl. S. 111-114)


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phie auch in vielfacher ironischer Brechung wiederfindet. Die Knittelverse des Pärchens Sappho/Carpio in >»Weihnacht!«< oder des Gunstick-Uncle im >Schatz im Silbersee< sind scheinbar nicht ernst zu nehmen. Aber wie steht es mit Katombo in >Scepter und Hammer<, dem besten Dichter seines Volkes;(40) wie mit dem 32-strophigen Weihnachtsgedicht(41) das den Band >»Weihnacht!«< leitmotivisch strukturiert? Und wie mit dem >Ave Maria< in >Winnetou III? Und wie steht es (zu Beginn des Spätwerks) mit dem veritablen Gedichtband >Himmelsgedanken< von 1900, dessen Lektüre freilich nicht immer Genuß bereitet und von dem May in seiner Autobiographie kurioserweise selbst sagt, er enthalte nicht ein einziges lyrisches Gedicht(42)? Wie steht es schließlich mit der rhythmisierten Prosa des Spätwerks, die ja auch irgendwo voraussetzt, daß der Autor jederzeit in der Lage ist, sich spontan in Reimen auszudrücken wie seinerzeit Sappho und Carpio? Und wie steht es gar mit den über 1000 Gedichten, die da im Nachlaß ruhen(43) (und nach Ansicht aller, die sie je gelesen haben, dort auch weiter ruhen können)? Quantitativ ist dies alles nur dann eine dichterische >Nebentätigkeit<, wenn man von den Quantitäten von Mays Romanwerk ausgeht; und qualitativ steht es durchaus gleichberechtigt im massiven Kontext einer Lyrik Ende des 19. Jahrhunderts, die zwar von den Entwicklungen der modernen Lyrik seit den Franzosen des L'art pour l'art und des Symbolismus unberührt geblieben ist, aber geradewegs in die Lyrik eines Hermann Hesse und anderer in unserem Jahrhundert führt. Jedoch ist nicht die Qualität dieser Lyrik mein Problem, sondern eigentlich ihre Quantität, oder genauer: die Frage, warum jemand, der als Verfasser von Populärromanen einen geradezu legendären Erfolg hat, mit solcher Hingabe und Zähigkeit ein lyrisches Genre kultiviert, von dessen Qualität er durchaus nicht so ganz überzeugt ist und mit dem er auch bei seinen Lesern wenig Erfolg hat -: und doch begleitet ihn diese Art literarischer Produktion sein ganzes Leben lang und ist ihm wichtig. Denn wo immer in seiner Autobiographie May formuliert: Ich dichtete ...,(44) muß man nach dem Kontext davon ausgehen, daß er wirklich das Verfassen von Gedichten meint.

Das Rätsel löst sich, denke ich, wenn man auch in diesem Punkt wieder sieht, daß May kein Einzelfall ist: auch die Kriminalromanautorin Dorothy Sayers etwa - und ich könnte eine Reihe anderer Beispiele nennen - hat ihre Leser posthum überrascht mit einem reichen Schatz von Gedichten im Nachlaß;(41) mit Gedichten eher konservativen Zuschnitts, versteht sich, mit Gedankenlyrik vorwiegend religiös-moralischen Inhalts. Auch Mays schwankender Gebrauch der Begriffe


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>Dichter<, >Schriftsteller< und >Künstler< scheint mir zu dieser Problematik zu gehören: der D i c h t e r ist im Verständnis einer bestimmten kulturellen Schicht immer noch, wie zuletzt in der französischen (aber nicht mehr der deutschen) Romantik, der V e r s i f i k a t o r, der etwas in Verse setzt und ihm damit seine Erhabenheit verleiht, und als solcher stellt er die höchste und idealisierte Stufe der literarischen Kreativität dar. Mays lyrische Produktion ist integraler Bestandteil seines Bildes vom Dichter, seines Dichterstereotyps; und der Autor, der vom immensen Erfolg seiner Populärromane lebt, aber gleichzeitig unter der Trivialität dieser Romane leidet - immer in der Perspektive seiner eigenen kulturellen Vorurteile wie der seiner Leser -, kultiviert heimlich, aber mit Hingabe und in stiller Hoffnung auf Anerkennung, die >hohe<, kulturell anerkannte Gattung - so wie sich andererseits, vice versa, einst Franz Werfel, der Dichter, nächtens in die Bibliothek seiner Lebensgefährtin Alma Mahler schlich, um sich dort vom Unbehagen in der (hohen) Kultur zu erholen - bei der Lektüre von Karl May.(46)

*

Mein Eindruck ist, daß May in der letzten Phase seines Lebens und Schaffens - zum Teil unter dem äußerem Druck seiner Gegner und Feinde, zum andern Teil aus der Eigendynamik seiner inneren Entwicklung - sich immer stärker mit dem sozialen Stereotyp, der >Rolle< des Dichters, die er ein Leben lang in sich getragen hat, identifiziert und sie nun quasi >auslebt<. Der Vorgang ist nicht ohne tragische Züge und gerät nicht gerade zur Freude seines Verlegers, denn Mays symbolistische Umdeutung seines bisherigen Werks wie auch sein symbolistisches Spätwerk insgesamt (Ich habe mich bisher ja nur geübt, und meine Arbeit soll nun erst beginnen(47) verstören die Leser. >Babel und Bibel< ist ein Mißerfolg, und auch die Bände III und IV des >Silbernen Löwen< bzw. >Ardistan und Dschinnistan< haben erst zu Zeiten Arno Schmidts wieder Begeisterung gefunden. Karl May benimmt sich im letzten Jahrzehnt seines Lebens in seinen Prozessen und Werken so, als wollte er die Vorurteilskomponente von der praktischen Lebensunfähigkeit und sozialen Erfolgslosigkeit des Künstlers geradezu verkörpern. Denn selbstverständlich gehört zum Stereotyp von der sozialen Minderwertigkeit des Dichters eigentlich und ganz wesentlich auch sein finanzieller Mißerfolg: es gibt durch das ganze 19. Jahrhundert so etwas wie eine öffentliche Debatte über das Verhältnis von künstlerischem Wert und Marktwert eines Dichters(48), und es gibt zahlreiche Äußerungen Mays aus der Spätzeit, daß er gerade unter dem Ruf des Erfolgsschriftstellers - schwer gelitten hat. Den Lesern Mays ist das egal: sie folgen ihm die-


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ses Mal nicht auf den Reisewegen der self-fulfilling prophecy, die er imaginiert, und bleiben bei Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand in der ihnen vertrauten Welt. Aber zweifellos ist gerade die Identifikation Mays mit dem Dichterstereotyp in der Spätphase seines Schaffens ausschlaggebend dafür, daß May, weit über den Tod hinaus, neue Leserschichten gewinnt und einen weiteren Schritt tut in jenen prekären Zeit-Raum, den wir Unsterblichkeit nennen.



1 Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. IV Bd. 1: Durch die Wüste. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Nördlingen 1988, S. 157f.

2 »Ihr seid ja Leute wie die Gepanzerten des Kalifen Harun al Raschid, die im ganzen Reich umherritten, um die Bösen zu bestrafen und die Guten zu belohnen.«(Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. IV Bd. 5: Durch das Land der Skipetaren. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Nördlingen 1988, S. 254f.) Zum >überkommenen Schema< des Abenteuerromans (das über pikarischen Roman, Barock- und mittelalterlichen Roman bis auf den hellenistischen Roman zurückreicht) und zu seinen inhaltlichen wie formalen Implikationen vgl. Volker Klotz: Abenteuerromane. Sue/Dumas/Ferry/Retcliffe/May/Verne. München 1979, S. 14ff.

3 Vgl. May: Durch die Wüste, wie Anm. 1, S. 273 und 299.

4 Charles Baudelaire: Œuvres complètes. Bd. 1. Hrsg. von Claude Pichois. Paris 1975, S. 9f. Die Textgeschichte des Gedichts ist einigermaßen kompliziert, jedoch können als Entstehungszeit des überwiegenden Teils des Gedichts die Jahre 1841/42 angesetzt werden; vgl. ebd., S. 835ff.

5 Charles Baudelaire: Les fleurs du mal / Die Blumen des Bösen. Aus dem Französischen übertragen von Friedhelm Kemp. Frankfurt a. M. 1962, S. 16

6 Baudelaire, wie Anm. 4, S. 85ff.:

Là je vis, un matin, à l'heure où sous les cieux
Froids et clairs le Travail s'éveille, où la voirie
Pousse un sombre ouragan dans l'air silencieux,

Un cygne qui s'était évadé de sa cage,
Et, de ses pieds palmés frottant le pavé sec,
sur le sol raboteux trainait son blanc plumage.
Près d'un ruisseau sans eau la bête ouvrant le bec

Baignait nerveusement ses ailes dans la poudre,
et disait, le cœur plein de son beau lac natal:
«Eau, quand done pleuvras-tu? quand tonneras-tu, foudre?»
Je vois ce malheureux, mythe étrange et fatal,

Vers le ciel quelquefois, comme l'homme d'Ovide,
Vers le ciel ironique er cruellement bleu,
Sur son cou convulsif tendant sa tête avide,
Comme s'il adressait des reproches à Dieu!

7 Victor Hugo: Œuvres poétiques I. Hrsg. von Pierre Albony. Paris 1964, S. 915ff .

8 Vgl. ebd, S. 919f. (Préface). Old Shatterhand will immerhin der Lehrer seiner Leser sein (vgl. Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. IV Bd. 12: Winnetou I. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Zürich 1989, S. 137ff.).

9 Hugo, wie Anm. 7, S. 1015ff.

10 Im Titelgedicht >Fonction du Poète<, ebd., S. 1023ff.

11 Vgl. hierzu: Reinhold Wolff : Der Mythos von der Geburt des Helden Jean-Paul Sartre oder: >Les Mots< als »Familienroman«. In: lendemains. Zeitschrift für Frankreichforschung und Französischstudium. 5. Jg. (1980), Heft 17/18, S. 139ff.


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12 Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Bern 1948, S. 89ff . u. ö.

13 Platos Wort vom Wahnsinn und der Besessenheit der Dichter (Phaidros 244aff.), das den Dichter schon mit dem Weissagenden und Propheten vergleicht, bezieht sich selbstverständlich zunächst auf den Sachverhalt der dichterischen Inspiration.

14 >Ur-Tasso< von 1780/81

15 Vgl. etwa Peter R. Hofstätter: Einführung in die Sozialpsychologie. Stuttgart 51973, S. 364ff., sowie Heinz E. Wolf: Zur Problemsituation der Vorurteilsforschung. In: Handbuch der empirischen Sozialforschung. Hrsg. von René König. Bd. 12. Stuttgart 21 978, S. 102-91.

16 Vgl. Arnold Gehlen: Mensch und Institutionen. In: Ders.: Anthropologische Forschung. Reinbek 1961, S. 69ff.

17 Théophile Gautier nennt später die Romantik die »erste Bohème« (Théophile Gautier: Auf der Suche nach dem Anderswo. Hrsg. von Oskar Sahlberg. Berlin 1983, s. 11ff.).

18 »Schwaches Zeug, die Poeten schreiben alle, als wären sie krank und die ganze Weit ein Lazarett.« - »Das Romantische ist kein Natürliches, Ursprüngliches, sondern ein Gemachtes, Gesuchtes, Gesteigertes, Übertriebenes, Bizarres bis ins Fratzenhafte und Karikaturartige.«, usw. (zit. nach Richard Friedenthal: Goethe, Sein Leben und seine Zeit. München 1963, S. 713 und 594)

19 Vgl. Robert Escarpit: Sociologie de la littérature. Paris 31964, S. 51ff.

20 Vgl. Helmut Kreuzer: Die Bohème. Stuttgart 1968, sowie die klassischen Beschreibungen der »ersten« Pariser Bohème bei Gautier (wie Anm. 17).

21 Zit. nach Kreuzer, ebd., S. 149ff. Als Beleg für das kontinuierliche Weiterwirken dieses sozialen Vor-Urteils zitiert Kreuzer im gleichen Zusammenhang Henry Miller (>Wendekreis des Krebses<): »Sie waren Nullen in jedem Sinne des Wortes; Nullen, die den Kern einer achtbaren und kläglichen Bourgeoisie bilden ( ... ) Sie hatten einen guten Schlaf und beklagten sich nie. Sie waren weder lustig noch traurig. Sie gehörten zu den Lauen, die Dante in die Vorhölle verwies. Die gesellschaftliche Elite.«

22 Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. IV Bd. 13: Winnetou II. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Zürich 1991

23 Karl May: Der Pfahlmann. In: Die Rose von Kaïrwan. Osnabrück 1894. Reprint Hildesheim-New York 1974, S. 122-241

24 May: Winnetou II, wie Anm. 22, S. 18

25 Wer dächte bei dieser Beschreibung nicht an Goethes >Torquato Tasso 26 Vgl. Cesare Lombroso: Genie und Irrsinn in ihren Beziehungen zum Gesetz, zur Kritik und zur Geschichte. Leipzig 1887, sowie Ders.: Der geniale Mensch. Hamburg 1890.

27 Vgl. Karl May: Mein Leben und Streben, Freiburg o. J. (1910), S. 16; Reprint Hildesheim-New York 1975. Hrsg. von Hainer Plaul, wo May sich explizit dagegen wehrt, daß seine Blindheit im Kindesalter mit irgend einem vererbten, körperlichen Fehler in Zusammenhang gebracht werden könne. - Auch die andere, in der Beschreibung von William Ohlert auftretende Komponente des Dichter-Stereotyps >Untüchtigkeit im Erwerbsleben< ist in Mays Autobiographie mehrfach belegbar, etwa wenn Emma Pollmers Großvater (ebd., S. 192) sich zwar zunächst sehr interessiert an der Beziehung zu dem Schriftsteller May zeigt, sich aber gleichwohl gegen Mays Werbung verwahrt: »Meine Tochter ist nicht dazu geboren und nicht dazu erzogen, daß sie sich mit einem armen Teufel durch das Leben schindet! Die kann andere Männer kriegen. Die soll mir keinen Schriftsteller heiraten, der, wenn es gut geht, nur von seiner Berühmtheit und nur vom Hunger lebt!«

28 Der volle Titel der Erzählung, die 1879 in den Zeitschriften >All-Deutschland< und >Für alle Welt< des Stuttgarter Verlages Göltz & Rühling erscheint, lautet: >Ein Dichter. Eine Erzählung aus den Vereinigten Staaten von Karl Hohenthal<. Zum Titel der - nur wenig abweichenden - Fassung von 1894 vgl. Anm. 23.

29 May: Pfahlmann, wie Anm. 23, S. 133

30 Sigmund Freud: Der Dichter und das Phantasieren. In: Ders.: Studienausgabe Bd. X. Hrsg. von Alexander Mitscherlich u. a. Frankfurt a. M. 1969, S. 169ff. (S. 176)


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31 John C. G. Rühl: Kaiser, Hof und Staat. Wilhelm II. und die deutsche Politik. München 1987

32 May: Leben und Streben, wie Anm. 27, S. 110f.

33 Ebd., S. 149 - Die gleichen oder sehr ähnliche Größenphantasien kommen an vielen Stellen des autobiographischen Textes zum Ausdruck: Schriftsteller werden,- Großes leisten, aber vorher Großes lernen! (ebd., S. 105) - »Selbst die am meisten schöpferische Tätigkeit, die des Dichters ... « (ebd., S. 222; May zitiert hier aus Voigtländer: Urheber und Verlagsrecht) - usw.

34 May: Winnetou I, wie Anm. 8 - May: Leben und Streben, wie Anm. 27, S. 233: Der Dichter und Schriftsteller hat einen weit größern, entweder schaffenden oder zerstörenden, reinigenden oder beschmutzenden Einfluß, als die meisten Menschen ahnen.

35 Karl May: Briefe über die Kunst. In: Der Kunstfreund. 22. Jg. (Briefe I/II - Okt./Nov. 1906) - 23. Jg. (Briefe II-V - Dez. 1906 - Febr. 1907); Brief VI (aus dem Nachlaß) in: Karl-May-Jahrbuch (KMJB) 1920. Radebeul 1919, S. 65-71; Nachdruck: Karl May: Leben - Werk - Wirkung. Eine Archiv-Edition. Hrsg. von Ekkehard Bartsch. Abt. I a. Heft 3: Briefe über die Kunst. Bad Segeberg 1988

36 May: Leben und Streben, wie Anm. 27, S. 56ff.

37 »Das ist für euren Knaben,- er mag studieren und ein Dichter werden, der Theaterstücke schreibt!« ebd., S. 77

38 Siehe Zitat Anm. 32.

39 Vgl. Max Finke: Aus Karl Mays literarischem Nachlaß. In: KMJB 1921 und 1922. Radebeul 1920 und 1921. Bearbeitete Texte dieser Art finden sich in: Karl May's Gesammelte Werke Bd. 49: Lichte Höhen. Radebeul/Bamberg. Siehe auch: Bernhard Kosciuszko/Christoph F. Lorenz: Die alten Jahrbücher. Materialien zur Karl-May-Forschung Bd. 8. Ubstadt 1984, S. 182-85.

40 Vgl. Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. II Bd. 1: Scepter und Hammer. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Nördlingen 1987, S. 214ff.

41 Vgl. Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. IV Bd. 21: »Weihnacht!«. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Nördlingen 1987, S. 11ff., 49ff., 127ff., 147 usw.

42 May: Leben und Streben, wie Anm. 27, S. 208

43 Vgl. Karl-May-Handbuch. Hrsg. von Gert Ueding in Zusammenarbeit mit Reinhard Tschapke. Stuttgart 1987, S. 595ff.

44 May: Leben und Streben, wie Anm. 27, S. 113 (Es kehrte mir die Kraft und der Wille zum Leben zurück. Ich arbeitete. Ich gab Unterricht in Musik und fremden Sprachen. Ich dichtete,- ich komponierte.) u.a.

45 Vgl. Ulrike Leonhardt: Mord ist ihr Beruf. Eine Geschichte des Kriminalromans. München 1990, S. 79f.

46 Vgl. Alma Mahler-Werfel: Mein Leben. Frankfurt a. M. 1963, S. 154.

47 Zit. nach Hans Wollschläger: Karl May in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek 1965, S. 113

48 Alfred de Vigny etwa, der französische Romantiker, macht 1834 im Vorwort zu seinem Drama >Chatterton< die lebenspraktische Hilflosigkeit und finanzielle Erfolglosigkeit seines Künstler-Helden geradezu zum Prüfstein von dessen Genie: »J'ai voulu montrer l'homme spiritualiste étouffé par une société matérialiste, où le calculateur avare exploite sans pitié l'intelligence et le travail«, Aber 1851 antwortet ihm polemisch Henry Murger im Vorwort zu den >Scènes de la vie de bohème<: das sei nun doch zuviel. In einem Jahrhundert, in dem der Markt herrsche und der Beruf des Dichters ein Beruf wie jeder andere sei, bestehe kein Bedarf, den Autor zu vergöttlichen und zum Genie und Märtyrer zu stempeln. Und übrigens sei es schwierig, in der Erfolglosigkeit den Nachweis des Genies zu sehen, denn erfolglos seien in der Regel auch die Unbegabten und Mittelmäßigen. Anstatt also die ökonomischen Realitäten zu verdrängen und den bürgerlichen Zeitgeist einfach zu negieren, solle der Künstler lieber seine Flexibilität und seine Fähigkeit zum Konsumverzicht gegen Geldfixiertheit und Sicherheitsbedürfnis des Bürgers setzen und darüber hinaus das banausische Geltungsbedürfnis dieses Bürgers für seine Zwecke einspannen. Der Künstler nutze


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den Bürger aus: nicht umgekehrt. Und wiederum 30 Jahre später (1880) macht der Erfolgsschriftsteller Emile Zola in seinem Traktat >L'Argent dans la littérature< gar den Markterfolg des Dichters zum Garanten dichterischen Rangs: Im Zeitalter der Demokratie und des wirtschaftlichen Liberalismus sei es mehr als unverständlich, nur das als Kunst ansehen zu wollen, was den Nachweis einer Exklusivität und seiner Bedeutung für die happy -few erbringe. Nur was der Markt akzeptiere, sei die Literatur, die der Zeit entspreche (nach: Hans-Jörg Neuschäfer: Das Autonomiestreben und die Bedingungen des Literaturmarktes. Zur Stellung des >freien Schriftstellers< im 19. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik. Heft 42 (>Der Autor<). 1981, S. 73-92).


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