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Klara May und >Karl Mays Kinder<*

Briefwechsel 1912



Marie Hannes an Klara May · 4. Mai 1912

München, Kaulbachstr. 94 pt.
<4. Mai 12>

Meine liebe, liebe Tante, heute nacht erst bin ich nach München zurückgekommen und habe gleich wenigstens das Briefpapier aus dem Koffer herausgekramt, um Dir zu schreiben. Deine Karte machte mich wenigstens etwas ruhiger,

* Redaktionelle Notiz:

Die Briefe wurden von Irene Frankenstein, Ulrike Müller-Haarmann, Annelotte Pielenz, Gerhard Haarmann, Hansotto Hatzig und Walther Ilmer transkribiert. Die Kommentierung erfolgte durch Hansotto Hatzig, Bernhard Kosciuszko und Ulrich Schmid.

Die im Anschluß an die Wiedergabe der Briefe abgedruckten Beiträge von Hansotto Hatzig und Ulrich Schmid stellen die jugendlichen May-Vertrauten, die Karl May als seine >Nichten< und >Neffen< bezeichnete und die nach Mays Tod im Einsle-Briefwechsel eine Rolle spielen, in ihrer Biographie und ihrem Verhältnis untereinander vor.

Die Dokumentation des Einsle-Briefwechsels, beginnend mit den Briefen der Jahre 1902-1908 im Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1991, fortgesetzt im Jahrbuch 1992 mit den Briefen aus den Jahren 1909 bis zu Mays Tod, wird im vorliegenden Jahrbuch - um weitere Dokumente ergänzt - abgeschlossen.

Leider ist der Briefwechsel nur unvollständig überliefert; immer wieder finden sich Hinweise auf nicht erhaltene Schreiben. Orthographie und Interpunktionseigenheiten der Briefe blieben unkorrigiert und wurden nicht kommentiert.

Korrekturen zum Jahrbuch 1992:

S. 77: Charlottenburger Prozeß: richtiges Datum 12.4.

S. 77: Herr Sigbert Helle, Norderstedt, teilt mit, daß »die Helle« (so Klara May), d. h. die Schriftstellerin »Maria Margarethe Emilie Lucia Helle« nicht in »Tauernig«, sondern in »Jauernig (Österreich-Schlesien)« als 6. Kind ihrer Eltern am 14.9.1880 geboren wurde (Die Angabe stammt aus einem 1931 von Dr. med. Hans Helle erstellten >Stammbaum des Geschlechts Helle aus Rüthen in W.<).


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ich hatte ja so lange gar keine Nachricht von Dir; sooft habe ich versucht, Dich anzutelefonieren und Du warest immer nicht da; ich war so sehr in Sorge und bat Gertrud, noch im Abreisen, an Dich zu depeschieren. In Wernigerode habe ich nur einen Tag Station gemacht - zum großen Kummer meiner Eltern - und gestern war ich in Zeitz - jetzt endlich bin ich hier! Es weiß noch niemand, daß ich wieder hier bin, als meine alte Frau Professor, die mir zum Empfang Blumen und Kuchen geschickt hat. - so brauche ich mich heute morgen noch um nichts zu kümmern. Leider hat mir meine Wirtin jetzt, statt meines schönen Zimmers, eine dunkle Hinterstube gegeben, worüber ich wenig entzückt bin - es ist zwar ein wenig billiger aber gar nicht schön! Eure Bilder aber hängen darin und machen es mir trotzdem lieb! Ach, Tante, Du glaubst ja gar nicht, wie unaufhörlich ich immer zu Dir herdenke und wie gerne ich noch einmal zu Dir gekommen wäre! Es kam mir so unnatürlich vor, daß Kauer ohne mich hinging - aber ich konnte doch nicht wieder von L. fort, weil ich bei den verschiedenen Professoren der Doktorarbeit wegen angemeldet war und mich doch nach ihren Sprechstunden zu richten hatte. Daher blieb ich auch noch solange in Leipzig - bei Gertrud bin ich überhaupt nur einen einzigen Abend gewesen, auch bei Kauers nur einmal, sonst immer beim Buchhändler in der Universität beim Dozenten oder sonst wo. Am Sonntag wurde ich noch dazu von einer Biene in die Lippe gestochen und schwoll furchtbar an, so daß ich auch nicht fort reisen konnte - und dabei immer die Sehnsucht nach Dir! - Das Schreiben geht so furchtbar schlecht und mühselig, wenn man so viel sagen möchte! - -

Am liebsten möchte ich einen ganzen Fragebogen machen über Dich und die Hunde - wie es Euch geht? Das ist mir nun doch bei allem die Hauptsache! - Dann - wie ist es mit Fehsenfeld und »Leben und Streben« geworden? Du wolltest mir doch die Korrekturen schicken? Habt Ihr nun die Prozeßsachen ganz herausgenommen? Wie wurde es mit Zimmermann? Wenn es mit »Leben und Streben« zu lange dauern sollte, kann ja mein Schlußwort und der Vortrag zusammen als Sonderheft herauskommen, nur müßte man dann einen andern Anfang machen und einen passenden Titel. Ich bin wirklich unglücklich, daß ich gar nicht mehr auf dem Laufenden bin. Ist Frau Rat bei Dir? Grüße sie doch sehr! - Und Frieda auch! - -

Nun willst Du von mir wissen! Also die Arbeit über »das Karl May Problem« wird nun wirklich gemacht. Auch darüber hätte ich so gerne noch einmal persönlich gesprochen - daher auch meine Depesche, auf die ich ganz inbrünstig die Antwort »komm« erwartete. Jetzt sind wir nun so sehr weit auseinander! - Meine Arbeit und wohl auch meine


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Zukunft, die ja stark von dem Ausgang dieser Arbeit anhängig ist, sind nun stark und eng mit Karl May und Dir verknüpft und zwar nicht nur persönlich! Leicht ist die Aufgabe gar nicht - denn ich darf ja gar nicht schreiben, wie ich denke und schon gar nicht, wie ich empfinde, darunter leidet eben die wissenschaftliche Objektivität! - Ich muß jetzt vor allem Lamprecht und die andern in Frage kommenden Examinatoren von dem literarischen Werte Karl Mays überzeugen und von seinem Einfluß auf das Volk; darauf wird der Hauptton zu legen sein. Gelingt das, so ist für Karl May ganz ungemein viel gewonnen - da gerade die Anerkennung der hier in Frage kommenden Persönlichkeiten ein »ihn wieder ernst nehmen« von dieser Seite her einfach alles ausmacht. Du weißt ja, wie auch Kauer sagte: von oben her! Insofern ist die Arbeit für mich keine leichte - denn ich stehe und falle ja selber mit ihr! - Einen »gutenDoktor zu machen« mit diesem Thema kann gar nicht meine Absicht sein - denn wenn die Arbeit auch noch so scharf begründet und durchdacht und so weiter wäre - die Vorurteile sind eben doch fast unüberwindbar - vor allem bei Gelehrten. Wenn ich aber auch nur so »eben« durchkomme - das schadet nichts - für Karl May bleibt es sich gleich - wenn die Leute auch nur zum Teil mir recht geben.

Zunächst also denke ich mir die Sache so! Ich bleibe erst mal ein paar Wochen ruhig hier, belege ein paar Collegs, gehe zu Dr. Kemmerich hier, der ja May wohlwill und lasse mir einige Ratschläge geben - rede aber nicht von einer Dissertation zu ihm - das darf überhaupt niemand erfahren - denn wenn Lamprecht davon irgendwie hört oder liest (in der bekannten gehässigen Kommentierung der Presse!) würde er einfach alles fallen lassen. Dann gehe ich auch noch in diesen Tagen zu Erich Mühsam, der im »Kain« den Artikel schrieb, kaufe ein paar Exemplare und frage, ob er wohl noch mal etwas über K. M. aufnehmen würde - wenn man hier in M. ein Organ hätte, damit wäre schon etwas geschehen. Ich muß aber erst vorsichtig vorgehen und nur von mir aus - nicht von Dir, da ich das Blatt noch nicht genau kenne. Dann fange ich wieder mit der Lektüre K. M.s an und wenn es Dir recht ist, komme ich zu Pfingsten und berede alles mit Dir. Dann muß ich dort natürlich auch arbeiten in Onkels hinterlassenen Briefen etc. Vielleicht bleibe ich dann gleich in Leipzig, um öfter zu Dir kommen zu können. Auch fehlen mir noch einige von Onkels Büchern und ich muß sie alle lesen. Schreibe bitte, gleich wieder, was Du zu dem allen sagst. - Lu war hier, ist aber schon wieder abgereist. D. N. M.

Verzeihe, daß ich so flüchtig schreibe - sitze hier zwischen meinen Koffern sehr ungemütlich - wenn ich nur bei Dir wäre! Lu schrieb nach Wernigerode, ich depeschierte ihr hierher - aber alles


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zu spät - wir haben uns nun dort nicht mehr gesehen. Die Briefe, die Du neulich schicktest, sende ich das nächste mal, sind noch im Koffer! Viel viel

Liebe. D. M.

Datum: wahrscheinlich nicht von M. Hannes

Zu Marie Hannes siehe Hansotto Hatzigs Beitrag in diesem Jahrbuch.

Kauer/Rauer: In Marie Hannes' Schrift sind >K< und >R< kaum unterscheidbar; falls >R< zu lesen ist, könnte es sich um Philipp Rauer handeln, über dessen Biographie und Beziehung zur >Villa Shatterhand< (noch) kaum Näheres bekannt ist (vgl. Anm. zu Klara Mays Brief an Willy Einsle, 30.6.12.).

Zimmermann: Möglicherweise handelt es sich um Paul Zimmermanns Artikel >Dem toten Karl May<, veröffentlicht im >Radebeuler Tageblatt (Wochenblatt)< vom 19. 4. 1912 (vgl. Hermann Wiedenroth: Karl May in der zeitgenössischen Presse. Ein Bestandsverzeichnis. Archiv der Karl-May-Gesellschaft 1985, S. 124, Nr. 248).

Gertrud/Frau Rat/Frieda: nicht zu ermitteln

die Hunde: Karl bzw. Klara Mays Hunde, vgl. Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 1992. Husum 1992, S. 44, und Jb-KMG 1991. Husum 1991, Frontispiz.

Lamprecht/Kemmerich: Dozenten an der Universität München

Mühsam: Erich Mühsam (1878-1934) veröffentlichte in der April-Nummer seiner Zeitschrift >Kain< unter der Rubrik >Bemerkungen< eine Verteidigung Karl Mays (abgedruckt bei Hainer Plaul: Literatur und Politik. Karl May im Spiegel der zeitgenössischen Publizistik. In: Jb-KMG 1978. Husum 1978, S. 245f.).

Lu: Lu Fritsch; zu Lu Fritsch siehe Hansotto Hatzigs Beitrag in diesem Jahrbuch.

D.N.M.: Deine Nichte Marie



Willy Einsle an Klara May - 15. 5. 1912

München, den 15. V. 12

Liebe Tante!

Leider konnte ich Dir in meinem letzten Brief nur literarische Mißerfolge bei den Zeitungen berichten. Unterdessen schickte mir auch die Augsburger Abendzeitung meinen Schriftsatz zurück und die Augsburger Postzeitung ließ trotz nochmaliger Anfrage überhaupt nichts von sich hören.

Ich hatte vor, den »Propyläen«, literarische Beilage der Münchener Zeitung, einen Maybrief zur Veröffentlichung zu übergeben, aber nach den gemachten Erfahrungen ist er mir zu gut dazu. Vielleicht nähmen sie ihn gar nicht und dem mag ich mich erst recht nicht aussetzen. Wenn ihn Frl. Hannes verwenden will, steht er ihr mit anderem inhaltlich gern zur Verfügung.

Heute war ich bei Frl. Hannes und das ist auch die Ursache dieses Briefes. Sie wollte meine Meinung wegen der Korrektur und der Neuausgabe von »Mein Leben und Streben« hören.


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Daß meine Ansicht in keiner Weise von Frl. Hannes oder sonst von jemand beeinflußt ist, brauche ich Dir wohl nicht zu versichern.

Bei dem Versuch einen mündlich gehaltenen Vortrag im Druck erscheinen zu lassen, muß man sich darüber klar sein, daß naturnotwendig auf zwei Hauptstützpunkte verzichtet werden muß: Auf das vom stimmlichen Ausdrucksvermögen des Verfassers belebte gesprochene Wort und - besonders bei Karl Mays jugendlicher Begeisterungsfähigkeit - auf die Möglichkeit den momentan sich einstellenden Anregungen und Einfällen impulsiv nachzugeben. Besonders der letztere Umstand, den ein meist nur skizzenhaft angelegtes Vortragsprogramm noch bedeutend mißlicher macht, kann einen im Druck festgelegten Vortrag zu einem mehr oder minder fragmentarischen Versuch, ja manchmal sogar ganz ungenießbar machen, - wenn, ja wenn nicht andere Qualitäten hier ausgleichend wirken.

Als solche möchte ich in erster Linie nennen:

Höchste, diffizilste Sorgfalt auf das Wort und den Satz, da ihm für alle die, die den Vortrag nicht gehört haben, die persönliche Note des Stimmklangs fehlt und beide sozusagen aus eigener Machtvollkommenheit wirken müssen.

Ausschaltung, mutige Entfernung von allem, was dem gesprochenen Vortrag seine zeitliche und örtliche Eigenart des Milieus verleiht. Hier also von allem, was einer der Augenblicksstimmung entsprungenen stärkeren Betonung des Wiener und überhaupt spezifisch österreichischen Milieus gleichschaut. Siehe besonders das Schlußkompliment an die österreichischen Dichter.

Ferner stören lebhaft die in Klammern gesetzten Bemerkungen wie: »Hier brachte er Beispiele aus der Kunst und Literatur« oder »Hier zitierte er Stellen aus Babel und Bibel«. Letzteres ist vom Pult aus ganz etwas anderes, hier aber wirkt es, solange die Zitate nicht wirklich folgen, störend und überflüssig. Jede solcher eingeschalteten Bemerkungen reißt den unbefangenen Leser peinlichst aus dem Zusammenhang und aus der Stimmung, ohne ihm wie gesagt nur vom geringsten Nutzen zu sein, nämlich, solange nicht gesagt wird, was Karl May wörtlich oder dem Sinne nach erzählt oder zitiert hat. Eine solche Einschaltbemerkung muß also schon etwas sehr Wichtiges enthalten um Existenzberechtigung zu besitzen.

Auf alle Fälle aber und unter allen Umständen muß die Bemerkung zu dem Gedicht »Großmutter«: - (Hier folgte minutenlanger Beifall) -wegbleiben. Das gehört nicht in die gedruckte Wiedergabe eines Vortrags, der literarische Bedeutung haben soll.

Ebenso mögen »die Ballons Goethe und Schiller« im Feuer des


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mündlichen Vortrags vielleicht nicht gestört haben. Bei der schriftlichen Fixierung müssen sie unbedingt durch etwas anderes ersetzt werden, Pfadfinder der Lüfte, oder besser: Goethe, Schiller, die Pfadfinder im Reiche schwindelnder Höhen u. dgl. Zumal zuerst im gleichen Bilde einmal von »Aeronauten« und dann von »Ballons« für dieselbe Sache gesprochen wird.

Endlich komme ich mit der flehenden Bitte, nichts, gar nichts im Text fett oder durchschossen drucken zu lassen. Ein solches Hervorhebenwollen ist begreiflich in der Begeisterung oder Erregung des Augenblicks, der die Worte und Gedanken entstehen ließ. Wenn sie aber erst durch alle Art von Korrekturbögen und Setzerhände hindurchgegangen sind, verliert dieses Betonen nicht nur alle Bedeutung, sondern es schwächt die Wirkung gradezu ab. Denn ein Leser, der nicht gerade aufs Hirn gefallen ist, wird auch ohne das sinngemäß lesen können. Goethes »Wahrheit und Dichtung« [sic!] kann ich mir auch nicht gut mit fettgedruckten Stellen ausmalen. Und ich kenne viele, die sonst gar nicht »Antimay« gesinnt wären, die aber einzig und allein in dieser Methode (siehe »Mein Leben und Streben«) ein unüberwindliches Hindernis empfinden mit ästhetischem Genuß weiterzulesen. Und die unbedeutendsten Menschen sind das nicht. Das tut mir aber sehr leid für Karl May.

In diesem Sinne riet ich Frl. Hannes den Vortrag sowie »Mein Leben u Streben« auszukorrigieren. Denn davon, welche Wirkung dieses Buch hat, hängt ja so unendlich viel ab.

Wenn alles Prozessuale in dem Buch nicht auf das denkbar kleinste Minimum reduziert wird, ebenso wie alle sonstigen manchmal scheinbar unnötigen Ausfälle gegen Lebius, Münchmeyer, Cardauns, Pöllmann u.s.w., so haben die Leser, von denen man kein besonderes Verständnis für Karl Mays Psyche verlangen kann, vollständig recht, wenn sie sich fragen:

Wie ist es möglich, daß derselbe, der Kara Ben Nemsi im Silberlöwen IV. sagen läßt, daß er nie antworte, denn wenn er seine Gegner bis zu sich emporhebe, so sei eben nichts mehr da, dem er antworten könne, der im gleichen Bande so hart über die Notlüge denkt, daß der gleiche lange Zeit Unklarheiten lassend hin und her lavierte (im Gefühl: »Wenn ich falle, müssen meine Leser mit mir fallen«) und daß er seine Prozeßgeschichten symbolisch-literarisch verarbeitet und im »Leben u Streben« bis zur Dialogform gehend all die unerquicklichen Münchmeyer-Lebiusgeschichten erzählt?

Andrerseits ist an all den unglaublichen Ammenmärchen, die über K. M. kursieren, sicher nicht Lebius und Konsorten allein schuld. Trotz


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ihren »guten Willens«. Auch Karl May selbst trägt einen Teil dieser Schuld. Er hat es nie verstanden zur rechten Zeit und in schlagender und prägnanter Weise all dem Lügenzeug in seinen Schriftsätzen zu begegnen [Doch!!!] oder soweit es sich um wahre Begebenheiten handelte, klar und bündig Farbe zu bekennen [hat er!] oder, was sein Recht gewesen wäre, sich überhaupt alle Anzapfungen rundweg, zu verbitten.[Wäre das richtigste gewesen!] Statt alledem das ewige Herumlavieren.[WO?]

Die breite Masse ist an sich gar nicht so böswillig, nur unendlich denkfaul, und da hat ihr eben die Lebiussche Art zu verblüffen mehr imponiert. Ich kanns psychologisch so gut begreifen.

Nun hilft meiner Ansicht nach nur eines: Ein kurzer Lebensabriß Karl Mays in vollster Wahrheit, nicht in breiter epischer Form, keine Beschönigung, kein Versteckenspiel, ein Versuch alles, schwarz und weiß als naturnotwendige Teile einer so ausgeprägten Individualität darzustellen, wie Karl May es war. [Außer L. u. Str. noch einer??? Es wäre des Guten zu viel!]

Und ich möchte denn doch wissen, vor wem eine so überragende Persönlichkeit das Tageslicht zu scheuen hätte. [Ich auch!] Jedes Verschweigen aber erweckt diesen Schein und hat ihn bei vielen schon erweckt. Falsche Pietät, hier in die Tat umgesetzt schaden für die Zukunft mehr als aller Lebiusklimbim!!! [Verstehe ich nicht! Sollen Windeln gewaschen werden?]

Dieses Werk, das sehr wohl neben der Autobiographie bestehen kann, das vielmehr dem Bedürfnis nach dem fehlenden 11. Band abzuhelfen vermöchte, das mußt Du schreiben. [Kaum!] Du bist seine seelische und geistige Erbin. Das wird Dich dem Erdendasein wiedergeben und Dir wieder Mut und Freude zum Leben erwecken. [Will ich ganz und gar nicht! Ich danke tausendmal für dieses »Glück«!]

Ähnlich und doch auch anders denke ich mir die Doktorarbeit v. Frl. Hannes über Karl May. Ähnlich, im Sinne der größtmöglichen Wahrhaftigkeit. Anders infolge des Umstandes, daß eine Karl May nicht so nahe stehende Persönlichkeit, sich leichter der Aufgabe unterziehen kann, gemäß ihrer eigenenErkenntnisfähigkeit dem Werk und Wesen Karl Mays gerecht zu werden auf Grund der einzigen hier in Betracht kommenden Quelle, seiner Individualität im Zusammenhang mit der ererbten Anlage und dem sozialen Jugendmilieu. Einer Individualität, die nie und nimmer mit den Normen des Alltags und den Maßen des Durchschnitts ergründet werden wird.

Das eigentliche »Problem Karl May« zu lösen, wird aber wohl späteren Generationen vorbehalten bleiben müssen, wenn erst die Möglich-


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keit eines grad hier überaus nötigen Abstandes vom Objekte der Betrachtung gegeben ist.

Damit ist aber nicht gesagt, daß wir, die wir ihn lieben, dazu verurteilt sind, die Hände müßig in den Schoß zu legen.

Ich bewundere den Entschluß von Frl. Hannes ehrlich. Leicht ist ihre Aufgabe sicher nicht. Denn wenn Du ihr auch selbstverständlich in größter und schrankenlosester Offenherzigkeit mit allem Material an die Hand gehst, so ist es doch grad für sie, die Karl May so unendlich lieb hat, überaus schwer volle Objektivität walten zu lassen und ein in sich abgerundetes Bild von Karl Mays Wesen und Bedeutung zu entwerfen, gemäß eigener Erkenntnis. Und wenn ihr das nicht gelingen sollte, kann sie sicher sein, daß ihre Arbeit nicht angenommen wird. [Die Person muß doch dem Dichter weichen, sonst ists doch am besten, wir geben Lebius-»Arbeiten« als Doktorarbeit ein. Vielleicht erhält er ihn! Zum Wühlen im Schmutz reiche ich keinen Finger, geschweige die Hand!]

Liebste Tante, ich hoffe, daß Du mir nicht bös bist wegen meiner Offenherzigkeit. Aber ich müßte Karl May nicht so lieb haben, wenn ich anders reden könnte als ich denke. [Für Offenheit werde ich Allezeit von ganzem Herzen dankbar sein!] Ich weiß, Du verstehst mich recht und zweifelst nicht an meiner Treue zu ihm und zu Dir. [Nein, gewiß nicht!]

Den Gratulationsbrief zum 25. Februar, den Onkel nicht mehr lesen sollte, bekam ich hier auf dem Hauptpostamt zurück. Ironie des Schicksals! [Erbat ihn mir.]

Im Hause Heide haben sich schreckliche Dinge ereignet, wie Du ja weißt. Ich bekenne Dir aber ehrlich, daß ich nach möglichst unparteilicher Beobachtung viel mehr auf seiner als auf ihrer Seite stehe. [Auch hier wieder »das Weib«] Daraus mache ich gar kein Geheimnis. Den Ausschlag gibt die gewiß merkwürdige Tatsache, daß der kleine Toldi, nach dem Urteil meiner Braut (seiner Lehrerin) das liebenswürdigste Kind, das unser Herrgott vom Himmel heruntergeschickt hat, [ist er!] noch keine Minute Sehnsucht nach seiner Mutter geäußert hat, nur nach dem Herzi. Im Gegenteil meinte er, daß es »jetzt so gemütlich sei«, wenn nur das Herzi dabei sein könnte. Und dann muß man es mitangesehen haben, wie klug und lieb Herr Heide mit dem Kind umzugehen versteht. Überhaupt ist er ein Prachtmensch. [Ist es nicht ein Jammer? Könnte man doch die Beiden wieder zusammen bringen!]

Ich schreibe das, damit Du nicht zu einseitig unterrichtet wirst.

So viel für heute. Ich stehe nun unmittelbar vor dem Examen und die Zeit mahnt energisch.


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Liebste, beste Tante, meine Liebe und Dankbarkeit zu Dir und dem Onkel wird nie verändert werden können. Das weißt Du.

Es grüßt Dich
Dein alter treuer
Willy aus München.

Meine Braut grüßt herzlichst und bittet Dich den Mut nicht sinken zu lassen.

[Was weiß solch ein Kind von dem »Mut«, der zu einem Leben gehört, wie es vor mir liegt.]

Die in eckige Klammern grotesk gesetzten Bemerkungen stammen von Klara May und befinden sich jeweils am Rand des Brieftextes.

letzten Brief: Hier ist offensichtlich ein Brief nicht erhalten geblieben. Klara hatte Willy in ihrem Brief vom 30.3.1912 gebeten, zu Mays Tod Zeitungsartikel zu schreiben (siehe Jb-KMG 1992. Husum 1992, S. 106).

Frl. Hannes: Marie Hannes; siehe den Beitrag Hansotto Hatzigs in diesem Jahrbuch.

Neuausgabe von >Mein Leben und Streben<: Mays Autobiographie erschien im November 1910; am 16.12.1910 wurde wegen einer Einstweiligen Verfügung, veranlaßt durch Rudolf Lebius, der Vertrieb verboten: die noch nicht verkauften Exemplare wurden vernichtet. 1912 gab Klara May eine »um 20% gekürzte Neuauflage« heraus. (Vgl. Hans Wollschläger: Werkartikel >Mein Leben und Streben<. In: Karl-May-Handbuch. Hrsg. von Gert Ueding in Zusammenarbeit mit Reinhard Tschapke. Stuttgart 1987, S. 565.) Zum Thema siehe auch: Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg o. J. (1910); Reprint Hildesheim-New York 1975. Hrsg. von Hainer Plaul, S. 507*-518*. Vgl. auch Ekkehard Bartsch: Zur zweiten Fassung von Karl Mays Selbstbiographie. In: Jb-KMG 1976. Hamburg 1976, S. 207-14.

mündlich gehaltener Vortrag: Karl Mays Wiener Vortrag >Empor ins Reich der Edelmenschen< vom 22. 3. 1912, den Klara May in freier Rekonstruktion in der Neuauflage von >Mein Leben und Streben< veröffentlichte und der dann später auch in den Radebeuler/Bamberger Band 34 »Ich« aufgenommen wurde.

minutenlanger Beifall: Diese Wendung entfiel tatsächlich; auch im Falle anderer Beanstandungen hat Klara sich an Willys Hinweise gehalten.

Ballons Goethe und Schiller: Auch hier berücksichtigte Klara Willys Einwand: In Mays Aufzeichnungen heißt es: Dann kamen die beiden großen Ballons Göthe, Schiller, einige kleinere hinterher... (Vgl. Ekkehard Bartsch: Karl Mays Wiener Rede. Eine Dokumentation. In: Jb-KMG 1970. Hamburg 1970, S. 54.) In Karl May's Gesammelte Werke Bd. 34 »Ich«. 15. Aufl. (71.-75. Tsd.). Radebeul 1916, S. 460, heißt es: »Es kamen dann die beiden großen deutschen Meister des Höhenflugs: Goethe und Schiller.«

Anzapfungen: ein Wort, das May in >Mein Leben und Streben< als Ausdruck des Münchmeyerschen Anwaltes Gerlach zitiert (May: Leben und Streben, a.a.O., S.302).


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dem fehlenden 11. Band: Die Erstausgabe von >Mein Leben und Streben< trug den Zusatz »Band l«. Auf S. 158 erklärt May darin: ... und machte eine längere Auslandsreise. Wohin, das habe ich im zweiten Band dieses Werkes zu erzählen, in welchem meinen Reisen und ihren Ergebnissen ein größerer Raum gewidmet werden soll, als ich ihnen hier gewähren könnte.

Gratulationsbrief zum 25.2.: Klara hat den Brief auf ihre Bitte hin wohl zugesandt bekommen: Auf dem Umschlag notierte sie: »Zum 70. Geburtstag. Herzle nicht mehr gesehen!« Siehe den Abdruck des Umschlages in Jb-KMG 1992. Husum 1992,S. 106 - vgl. auch den Brief Klaras an Willy vom 22.3.1912, ebd., S. 105. Der Gratulationsbrief gelangte dann wohl von Radebeul an Marie Hannes, von der Willy ihn dringlich zurückerbat (vgl. Brief Willy Einsle an M. Hannes in diesem Jahrbuch, S. 35); er ist aber in dem zur Verfügung stehenden Briefkonvolut nicht enthalten.

im Hause Heide: Im Frühjahr 1912 hatten sich Hetty und Hans Karl Heide (Künstlername: Ewald Silvester) getrennt; die beiden Söhne Toldi und Herzi wurden aufgeteilt. Toldi, der beim Vater blieb, wurde von Willy Einsles Braut Olga Heumann, die das Lehrerseminar besucht hatte, unterrichtet und betreut. Im Staatsarchiv München sind über die Scheidung keine Akten mehr erhalten; das Stadtarchiv München, dem für seine Auskunft ebenso wie dem Staatsarchiv zu danken ist, verwahrt nur eine >Legitimation<, datiert »14.1.14«. Sie ist ausgestellt auf »Hedwig Heide, geb. Huyssen, Schriftstellersgattin, gesch., ev., geb. 20. September 1885 Cöln a. Rh.« mit der »Heimatgemeinde: Dresden«, und enthält den Vermerk »Bef. sich in Baden-Baden im Aufenth. lt. Ehesch.Urteil«. Zum 22. Februar 1914, dem Tag der Hochzeit von Olga Heumann und Willy Einsle, ist sowohl eine Glückwunschkarte »von H. K. Heide-Silvester« wie auch ein von ihm dem Brautpaar geschenktes Photoalbum erhalten.



Klara May an Willy Einsle - 17. 5. 1912

Radebeul, d. 17. 5. 12

Lieber Willy!

Ich danke Dir für Deinen Brief von ganzem Herzen! Grade jetzt brauche ich den Rat und Beistand unserer Freunde mehr denn je. Du mußt bedenken, ich schrieb noch nie ein Wort für die Oeffentlichkeit und nun tritt diese Notwendigkeit an mich heran. Da bin ich ängstlich. Glaube ja nicht, daß mir der gutgemeinte Rat eines Freundes unlieb wäre, im Gegenteil, ich bin dankbar und lerne, wo ich lernen kann, ist doch unser ganzes Leben eine Schule, bis zum letzten Augenblick.

Deine Winke werde ich also alle beachten. Es ist mir nur peinlich, daß Euch Mariechen belästigt hat. Ich habe immer das Gefühl, das gute Kind verlangt zu viel von Dir. Du bist grad jetzt so vollauf mit Deinen Angelegenheiten in Anspruch genommen.

Bitte, sende mir Deinen letzten Geburtstagsbrief. Ich möchte ihn lesen und hoffe, unser Karl May ließt ihn mit mir.


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Was Du über Mariechen's Doktorarbeit sagst, leuchtet mir ein. Leicht wird es nicht werden.

Ob ich aber die Fähigkeit habe über Karl May zu schreiben, weiß ich nicht, denn wie ich ihn sehe und kenne, kennt ihn ja doch kein Mensch. Für mich ist er ein Heiliger! Ich bewundere ihn uneingeschränkt. Ich wüßte jetzt gar nicht, wo und wie anfangen.

Was Du mir über Hetty sagst, ist mir nicht neu und ich schrieb ihr auch von Anfang an in dem Sinne. Sie antwortete mir, »sie könne ihr Leben nicht ihren Kindern opfern«. Toldi ist mir das herzigste Kind, was ich mir denken kann und ich glaube nicht, daß mich eine Macht der Erde hätte von diesem Wesen trennen können. Ich denke, die beiden kommen wieder zusammen. Es giebt doch keine Scheidungsgründe. - Wie kann aber Herr Heide eine Unterstützung vom Vater Hetty's für sich in Anspruch nehmen, nach der event. Scheidung? - - - Mir tun beide sehr leid. Ich habe beide lieb und wäre glücklich sie wieder beisammen zu sehen, schon der herzigen Kinder wegen.

Wie lieb von Deinem Bräutchen mir »Mut« zu wünschen. Das gute Kind hat sicher keine Ahnung davon, wie viel Mut dazu gehört mein Leben zum Ende zu führen. In Liebe Deine dankbare

Tante.

Mariechen: Marie Hannes



Willy Einsle an Marie Hannes - < 17.5.1912>

Sehr geehrtes Fräulein Hannes!

Anhangsweise Karl Mays Begräbnisschilderung der Autobiographie hinzuzufügen, das halte ich für den denkbar würdigsten Abschluß des Buches, das der Tendenz dient, Karl Mays letztes Werk, gleichsam sein Vermächtnis, in edlem Gewande, möglichst frei von den Schlacken der Tagesfehden, seinen Freunden und Lesern zu übergeben, ihnen gleichsam den echten Karl May, den psychologischen, zu zeigen, so, wie er sich selbst schildert - - ohne an dieser Stelle etwas von unserer eigenen Auffassung hinzuzutun.

Darum beginnen meine Bedenken - gewichtig - eigentlich erst da, wo Sie sich der Aufgabe unterziehen, sein Künstlertum zu würdigen.

Wie gesagt, meiner Ansicht nach soll die Neubearbeitung der Autobiographie einer tiefen Pietät für den Verstorbenen genügen, es sollte deshalb hier alles mehr »Kritisatorische« unterbleiben!

Deshalb bitte ich Sie dringend, daß Sie mit dem Passus über sein


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Menschentum abschließen. Es giebt ja keinen schöneren Abschluß für das Buch als die frohe Botschaft: Getraut euch so wie Dieser wieder Menschen zu sein, wahre Menschen, dann werdet ihr ihm gerecht, ihm, dem Kämpfenden, nach Licht Hungernden, den ihr gemartert habt, weil er anders war wie ihr!

Schluß. - Punktum damit.

Weg mit dem »Künstlertum«. Sein Sterben, sein Begräbnistag und das klare, wehmütige Gefühl: Hier starb einer, dem es bitter ernst war mit dem Leben, das ist der einzig mögliche und würdige Abschluß. Sein Künstler- u Schriftstellertum, seine Psychologie und Weltanschauung, das zu betrachten, ist eine Aufgabe für sich, das größte an ihm war sein Menschentum, deshalb getrost einen dicken Strich durch alles, was noch nachfolgen sollte. - - -

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Ferner weg mit allem Polemischen, wenn der Anklang auch noch so leise ist.

Weg mit der Stelle:

»Und dies Leben, diesen Tod nennt die Ztg. »einsam u verbittert« -Ja die Ztg., die weiß Bescheid! -

1.) Als Wiederholung (vom »Verbittertsein« war schon die Rede, u. zwar, wo es besser paßte) überflüssig.

2.) etwas institutmäßig klingend (pardon!)

3.) Schnöd aus der echten Stimmung reißend, die sich im Vorhergehenden des Lesers bemächtigt hat.

Aus dem gleichen Grund weg mit den »200 Zeitungen« Bedenken Sie: Wenn einst Karl Mays Menschentum hinausprojiziert sein wird aus allem Tagesgezänk, wenn dieses Buch, nicht zum geringsten dank der Schilderung seines Strebens, von lieben ernsten Menschen gelesen werden wird, was soll dann der Rippenstoß mit den 200 Zeitungen?

Weg damit!

Bei der Stelle: »Sie sollten mit ihrem Herrgott zufrieden sein«, bin ich für Elimination des »mir«, da der Sinn dann universeller, ein vom Gelegenheitswort emporgehobener wird.

Bei der Stelle: »Er berührte mit dem Scheitel die Sterne«, gebe ich zu bedenken, daß dieses Bild an jenes erinnert, das May in »Babel u Bibel« auf Christus anwendete. [Ist schon ein ganz allgemein bekanntes Bild aus dem Lateinischen (Horaz)].

Kurz und gut, meine Gesamtbitte ist die: Verwischen Sie nicht durch unnötige und störende Zutaten, den tiefen, heiligernsten Eindruck, den die Schilderung seines Sterbetages in allen, die noch recht fühlen können, erweckt, greifen Sie nicht in diese andachtsvolle Stunde reinen


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Menschentums, wie man Schmetterlinge des Farbenduftes beraubt, wenn man sie kritischer untersucht.

Vorgestern Abend schrieb ich an Tante. Ich setzte ihr meine Meinung über die Korrektur vom Vortrag u von »M.L. u Str.« auseinander und erwähnte auch die Schwierigkeit der Aufgabe u Verantwortung, die Sie mit Ihrer Dr.-Arbeit auf sich nehmen, mit der nötigen Nutzanwendung, und einem kleinen Vermerk über wahre Pietät in diesem Punkte.

Es tät mich ungemein freuen, wenn Sie mir mitteilten, was Sie von meiner »Kritik« halten.

So denke ich, Gott helf mir, ich kann nicht anders.

Mit herzlichem Gruß
Ihr
Willy Einsle.

Anbei auch den »Freye-Artikel« zurück.

Noch eine Frage: Ist der Passus »einer unter Tausenden« nicht zu doppelsinnig? Hier wäre vielleicht das Gesperrtdrucken von »einer« am Platz.

Karl Mays Begräbnisschilderung: >Karl Mays Beisetzung< von Marie Hannes erschien am 4.4.1912 in der Beilage zum Radebeuler Tageblatt; nachgedruckt in: Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft 69/1986, S. 3ff.

Babel und Bibel: Karl May: Babel und Bibel. Freiburg 1906, S. 138: Er ragte hoch in die Unendlichkeit, Und seine Füße schritten über Sterne. (2. Akt, Rede des Imam: er = Christus)

Horaz: Vgl. Od. 1, 1 - Zeile 35f.; »Quodsi me lyricis vatibus inseres / Sublimi feriam sidera vertice« - »Ja, reibst du mich dem Kreis lyrischer Sänger ein / O, dann trag sich das Haupt bis zu den Sternen hoch!« (Q. Horatius Flaccus: Carmina. Oden und Epoden. Hrsg. von Hans Färber und Max Faltner. (Darmstadt) o. J. (Tusculum-Bücherei), S. 8f. - Für Karl May könnte aber auch die Bibel Vorbild für diese Zeilen aus >Babel und Bibel< gewesen sein:

»Ist Gott nicht hoch wie der Himmel? Sieh die Sterne an, wie hoch sie sind! (...)

Die Wolken sind seine Hülle, daß er nicht sehen kann; er wandelt am Rande des Himmels«.« (Hiob 22,12 u. 14). (Hinweis zu Horaz und Hiob: Ralf Schönbach) Die in Klammern und grotesk gesetzte Bemerkung wurde von M. Hannes in den Brieftext hineingeschrieben.

Sie sollten mit ihrem Herrgott: Im Artikel lautet diese Passage: »Die Menschen sollen noch mit Ihrem Herrgott zufrieden werden« (a.a.O., S. 4). Diesen Ausspruch Karls Mays trug Marie Hannes unter dem Datum vom 25.7.1910 in Mays Gästebuch ein und fügte am 27.8.1910 ein eigenes Gedicht hinzu. Beides ist wiedergegeben in: Karl Mays Spuren in der Literatur. Dritte Sammlung. Sonderheft der Karl-May-Gesellschaft Nr. 78/1988, S. 2.

Freye-Artikel: Dieser Artikel konnte nicht ermittelt werden.

einer unter Tausenden: Dieser Ausdruck wurde im Artikel insgesamt gesperrt gedruckt (a.a.O., S. 4).


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Willy Einsle an Klara May ·

Liebe Tante!

Anbei folgen die letzten Bogen vom Nachwort. Frl. Hannes schickte sie mir mit der Bitte, falls ich keine allzu großen Bedenken hätte, sie an Dich weiterzusenden.

Da ich aber eigentlich nicht glaube, daß eine Basis zu gemeinschaftlicher Verständigung da ist, gebe ich sie weiter - trotz schwerwiegendster Bedenken.

[Schreiber hat vollständig recht; ich unterschreibe Wort für Wort]

Ich kann und kann nur wiederholen: In ein autobiographisches Werk von Karl May gehört keine Würdigung seines Dichtertums, keine Notiz des »Radebeuler Anzeigers«, und - kein Gedicht von Frl. Hannes!! [Ein Gedicht? Oh! Oh! Oh! Oh!]

Bitte denk nur ein einziges mal daran: Wenn in 20 Jahren oder noch später das Buch gelesen wird, in tiefer Rührung und in gerechterem Verständnis seines Lebens und Wirkens, als es heute der Fall ist, wenn dann ein Mahnen wie an vergessene Schuld aus diesen Zeilen steigt und wenn die Schilderung seines Begräbnistages als harmonischer Ausklang eines so reichen, heldenmütigen Lebens, alle Tiefen unserer Seele packt, ist es da nicht wie ein Schlag ins Gesicht, wenn dann noch eine langatmige Würdigung seines Dichtertums mit obligatem Gedichtschluß uns aus aller Stimung reißt. [sehr gut!]

Ich fürchte, es wird zu »Ein Besuch in Villa Shatterhand« - mäßig wirken. [xx!]

An sich ist es ja nicht schlecht, etwas ungewandt vielleicht, aber in einer Autobiographie Karl Mays brauchts keine Würdigung. Das ist Sache des Lesers aus dem, was Karl May selbst über sich sagt.

Laß wenigstens das Radebeuler Tageblatt weg mit seinem »Zeitungsbericht«.

Und ebenso das unbeholfene, schülermäßige Gedicht [Auch noch!] Daß es herzlich gut gemeint ist, [Ich bin nach wie vor gegen jedes Nachwort weil dadurch der Charakter der Selbstbiogr. geschädigt wird!!] damit ist unserm Karl May gar nicht gedient. [Wirklich nicht!]

Und allein dieser Standpunkt muß Dich bei der Korrektur leiten.

Kann für »einer unter Tausenden« nichts besseres gefunden werden? Ich meine, wegen der Doppelsinnigkeit.

Zur Stelle »er berührte mit dem Scheitel den Himel« bemerke ich, daß K. M. in B. u B. dieses Bild für Christus braucht.

Seid mir halt alle beide nicht bös wegen meiner Offenherzigkeit, aber ich kann nicht anders.


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Ich flehe Dich an: bedenke bei allem, was sich auf dieses Buch bezieht, nicht an die jetzigen Zustände, sondern daran, daß späteren Generationen ein über den Tagesfehden stehendes Bild Karl Mays in würdiger literarästhetischer Form erhalten sein soll [Sehr richtig! Schmid hat die ganze Passage ab »bedenke« unterstrichen.] Karl Mays Name darf in seiner Selbstbiographie nicht durch den Namen M Hannes für alle Zeit beschwert werden.

Das alles sage ich Frl. Hannes noch selbst, da ich hoffe, sie werde meiner Ehrlichkeit nicht zürnen.

In höchster Eile Dir noch alles Liebe und Gute und innigsten Dank für Deinen Brief.

Für mich ist und bleibt Karl May der kühne Vorkämpfer wahren Menschentums, dessen Bedeutung sich einst durchsetzen wird - mit und ohne unsre schwache Beihilfe. - Mein Glaube an ihn ist mein Glaube an die Menschheit.

Amen.

Dein alter treuer
Willy

Die in eckigen Klammern grotesk gesetzten Bemerkungen wurden von Euchar Albrecht Schmid an den Rand des Briefes geschrieben. Die Schrift wurde von Lothar Schmid identifiziert.

Ein Besuch in >Villa Shatterhand<: Vgl. Brief Willy Einsle an Karl May vom 17.9.1910. In: Jb-KMG 1992. Husum 1992, S. 80.

Zeitungsbericht: Möglicherweise ist einer der Artikel vom 11. bzw. 19.4.1912 im >Radebeuler Tageblatt< gemeint: >Bemerkenswerte Urteile über Karl May< oder >Dem toten Karl May< (vgl. Hermann Wiedenroth: Karl May in der zeitgenössischen Presse. Eine Bestandsaufnahme. Archiv der Karl-May-Gesellschaft 1985, S. 124, Nr. 248).



Willy Einsle an Marie Hannes ·

Liebes Frl Hannes!

Hinterher kommt mir schon so ungefähr, daß ich eine große Dummheit gemacht habe, aber einerseits war ich beseelt von der Vorstellung, daß die Sache wahnsinnig eile und dann glaubte ich aus Ihrer Bemerkung, daß Sie auf das »Dichtertum« nicht gerne verzichten möchten, schließen zu dürfen, daß unsere Meinungsverschiedenheit kaum zu überbrücken sei. Schließlich war ich überzeugt, daß uns die Tante doch einen dicken Strich durch all unsern guten Willen machen würde.

Sie sagen, sein »Dichtertum« müsse betont werden, weil gewisse


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Leute es nicht gelten lassen. Aber nicht in kritischer Form. - Das ist dann weder Fisch noch Fleisch und verdirbt bloß die Gesamtwirkung durch »menschliche Zutaten« wie man bei Christus sagen würde. Und meiner Ansicht nach ist ein autobiogrph. Werk die letzte Stelle, von wo aus die Mahnung aus der Feder irgend eines Mayverehrers »K.M. war aber auch ein Dichter«, den zu überzeugen vermöchte, der nicht schon aus dem, was vorausging, oder aus seinen Werken die Inspiration bekam.

Übrigens ist für mich sein Dichtertum nur eine Aucherscheinung seines Menschentums und deshalb von viel geringerer Bedeutung. Was wäre der Dichter Goethe, wenn nicht sein universelles, wahrhaft göttliches Menschentum den nieversiegenden Quell genialer Schöpfungen gebildet hätte. [Bei Goethe hat man auch erst und fast ausschließlich den Dichter betont. Für Karl May aber war gerade sein Dichtertum die Hauptsache und für die vielen Leser die ihn nicht selbst kannten, auch!]

Und ich meine, in einer Autobiographie spricht doch der Mensch zu Menschen und muß also in seinem Menschentum erfaßt werden. [Es heißt aber mein »Leben und Streben!(als Künstler!)]

Ich meinte auch niemals eine eingehende »Würdigung als Mensch«, sondern nur ein paar ausklingende Worte, die den erschütternden Eindruck seines Begräbnistages hinaus- und hinüberleiten in segensreiche Alltäglichkeit.

In diesem Buch darf, bei Gefahr alle Wirkung zu verderben, kein Mensch das Wort erhalten als nur K. M. selbst. Nur der Hinweis auf das Bruchstückhafte des Vortrags ist erlaubt. [Was im »Anhang« steht, geht das Buch unmittelbar nicht so viel an]

Und als Schluß gleichsam als logische Fortsetzung seiner eigenen Lebensschilderung sein Sterbe- u. Begräbnistag.

So hat er gelebt, so ist er gestorben. Schluß! Was er wollte, sagt er selbst. Was an seinem Wollen war, das müssen die Leser selbst erleben, das kann man ihnen schließlich nicht aufoktroyieren. [Ja, wenn sie alle geistig reif wären und selbst urteilten]

Sagen wir, es gäbe ein autobiogr. Werk v. Otto L Bierbaum und nun geht eine treue Seele her und fügt möglichst unkritisch bei: »Seht mal her, er war eben doch ein Dichter, wenn ihrs auch nicht glauben wollt.« [In diesem Sinne schrieb ich nicht!]

Worin da die Wirkung bestehen soll, weiß ich nicht. Im Gegenteil, die »Unkritik« würde nur ein Lächeln hervorrufen, wenn nicht schlimeres. Darüber, daß aber eine Kritik hier das allerverfehlteste sein dürfte, darüber sind wir ja einig. [Ich nicht. Bei den Freunden nicht - bei


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den Feinden wird das Buch so wie so Zorn und Spott hervorrufen darauf aber keine Rücksicht!]

Fasse ich zusammen, so gelangte ich eben wie gesagt zu der Erkenntnis:

Sie wollen auf den Passus nicht verzichten,

Ich halte ihn im Grundgedanken verfehlt, da alles übrige mir verschwindend bedeutungslos zu sein schien im Vergleich zu diesem Bedenken, und da die Sache eilte, so schickte ich die Sache unter Begründung meiner Ansicht gleich nach R. es dem Schicksal überlassend, wofür Tante sich entscheiden werde.

Wenn ich genügend Zeit hätte, würde ich morgen so gern zu Ihnen kommen, aber ich komme erst um 1/2 5h heim u muß um 1/2 6h schon wieder fort. Wenn Sie es sich möglich machen könnten, daß Sie Punkt 1/2 5h (besser 4 1/2h, vielleicht kom ich bis dahin schon heim) bei uns sein könnten zu einer Tasse Tee (ganz prunklos)?

Antwort ist nicht nötig, aber es wäre nett, wenn Sie es so richten könnten.

Mit herzlichem Gruß
Ihr Willy Einsle

Auch Marie Hannes versah ihre Briefe mit Randbemerkungen; diese wurden an den jeweiligen Stellen in eckigen Klammern eingefügt.



Klara May an Willy Einsle · 23. 5. 1912

R. d. 23.5.1912

Mein lieber, lieber Willy!

Ich danke Dir! Mariechens Arbeit kommt nicht mit hinein. Es ist mir wie eine Erlösung!

Wir müssen offen zueinander sein, wie sollen wir sonst weiter kommen und wie sonst ihm dienen?

Dein Geburtstagsbrief ließ manche Saite in mir erklingen und reifte in mir den Gedanken, Dich innig zu bitten, geh, wenigstens für ein Jahr als Schiffsarzt hinaus in die Welt! Du mußt Gottes Welt sehen, Gottes Sonne leuchten sehen in allen Erdteilen! Du kommst sonst nie zur Entfaltung. In Dir ist so viel! Hättest Du mit Karl May alle jene Stätten aufsuchen können, die ich an seiner Seite sah, oft halbbeschattet von der gemeinen Alltäglichkeit die uns quälte, und doch, wie schön, wie herrlich waren jene Stunden! Lieber Junge, Du mußt hinaus,

einmal nur ganz allein die Welt sehen. Eine Nacht an den Pyramiden, eine


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Nacht auf der Akropolis. Da kommt Gott ganz, ganz nahe zu Dir und erlaubt Dir weit, weit in die Vergangenheit zu schauen, alles Kleine versinkt, es wird weit, hell und plötzlich kannst Du fliegen, fliegen, direkt in Gottes Himmel hinein und wer da einmal war, der erträgt dann das Leben auf der platten Scholle, ohne selbst platt zu werden, weiß er doch, er kann fliegen und einmal noch muß ja die Zeit wieder kommen, wo er fliegt, wo er siegt und direkt zurück zum Himmel kehrt, wie unser lieber, lieber Karl May!

Sei Mann! Laß nicht Alltagsinteressen und Egoismus Dir Dein Lebensglück zerfressen. Erring es Dir! Den Schatz kann Dir dann keiner rauben!

In herzlicher Liebe

Deine alte Tante
Klara.

Mariechens Arbeit: Es ist der Entwurf des Nachwortes zur Neuauflage von >Mein Leben und Streben< gemeint.

Geburtstagsbrief: Vgl. die Anm. zum Brief Willy Einsles an Klara May vom 15.5.1912.

Schiffsarzt: Zu Willys Schiffsarztplänen siehe: Gertrud Mehringer-Einsle: Zum Lebensweg meines Vaters Wilhelm Einsle. In: Jb-KMG 1991. Husum 1991, S. 102. Schiffsarzt ist Ferdinand Hannes geworden, der Bruder von Marie Hannes. Karl May hat ihn Willy in seinem Brief vom 23.3.1905 als Vorbild hingestellt (siehe Jb-KMG 1991, a.a.O., S. 29); zu Ferdinand Hannes siehe Hansotto Hatzigs Beitrag in diesem Jahrbuch.



Klara May an Willy Einsle · 7.6.1912

Radebeul, d. 7.6.12

Mein lieber Willy!

Nein, ich bin Dir gewiß nicht böse. Ich will ein offenes, ehrliches Urteil hören nur daran kann mir liegen! Aber sagen kann ich Dir, daß ich mit dem Brief genau das erreichte, was ich erreichen wollte und mußte, um diesem Subjekt entgegen zu treten, damit nicht von neuem eine »Sammlung« entstand für die »arme, geschiedene Frau«. Freilich ist sie unzurechnungsfähig. Schau aber einmal hinein ins Leben, wie solche Personen dem Nebenmenschen das Leben erschweren. Da bist Du ein Kind, wenn Du mit solcher Annahme kommst, K. M. hätte diese Frau einfach als Unzurechnungsfähige behandeln sollen. Schau nur einmal hinein ins Leben, wie die jammervolle Wirklichkeit aussieht und wie schwer es ist sich solcher Fesseln und Qualen zu entledigen. Ich möchte


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wissen, was Du sagen würdest, wenn Du K. Ms. Aufzeichnungen über diese Frau lesen würdest.

Den Anfang lassen wir weg in L. u. St. Mit dem Begräbnis werde ich mir die Sache noch einmal überlegen.

Mariechen schrieb mir übrigens einen so - merkwürdigen - Brief, den ich nicht verstehe. Ich vermute nur, sie hat eine alte Korrektur vom Vortrag erhalten und gemeint, ich hätte nach Eurer Beratung nicht geändert. Wie dem auch sei, der Brief war mir sehr wichtig und hat mir die Augen geöffnet. Ich werde in Zukunft mehr für mich allein bleiben und mich nicht mit Mariechen verbinden, wie es erst meine Absicht war.

Frau Pollmer will übrigens nun den Burschen heiraten wie mir mitgeteilt wurde. Zur Zeit bekommt sie täglich Essen von evang. Verein und die Stadt Berlin zahlt monatlich 20 Mk. Lebius giebt nichts mehr und hat sie auf Zahlung von 1.600 Mk. verklagt. Er will dafür ihre Möbel haben, die sie aber schon anderweit verpfändet hat. Wie und wo diese Frau enden wird, kann man sich denken. Ob es aber dem Namen K.Ms zur Ehre gereicht, ist eine andere Frage. Ich hätte lieber die 100 Mk. pro Monat gezahlt und damit alle Weiterungen abgeschnitten, dieser Ansicht waren alle Anderen auch und aus diesen Erwägungen heraus entstand jener Brief.

Wie immer
            Tante Klara.

Der Brief, auf den Klara anspielt, war in dem von Roland Schmid zur Verfügung gestellten Textkonvolut nicht enthalten.

Subjekt: gemeint ist Emma May.

K. Ms. Aufzeichnungen: Es ist sicher die >Studie< gemeint: Karl May: Frau Pollmer. Eine psychologische Studie. (1907)

Burschen: Es ist wohl der junge Musiker Fritz Apunn gemeint, mit dem Emma eine »tiefe Liebe verband«. Vgl. Fritz Maschke: Karl May und Emma Pollmer. Die Geschichte einer Ehe. Bamberg 1973, S. 119 u. 121f.



Willy Einsle an Klara May · 27. 6. 1912

München, den 27.Vl.12

Liebe Tante!

Inzwischen hab ich einen wunderbaren Brief von Lu Fritsch an Frl. Hannes zu lesen bekommen, den ich auch Dir zu lesen wünschte, falls Frl. Hannes ihn der Post anvertrauen mag. Ich habe Frl. Hannes eigentlich bisher etwas unterschätzt (warum, weiß ich selbst nicht recht) doch nach diesem Brief kann ich nur sagen:


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Wenn die heranreifende Generation mit solcher Größe der Empfindung, solcher Ehrfurcht vor allem Menschentum an die Person und Werktätigkeit Karl Mays herantritt, dann ist mir um K. M. nicht bange, dann ist sein geistiges Erbe in den allerbesten Händen.

Ich hoffe es (ohne Schaden für die beteiligten Personen) verantworten zu können, wenn ich eine Stelle hier zitiere, die ich mir wegen ihrer Bedeutsamkeit abgeschrieben habe. (Du hast ja schon so vielerlei und Verschiedenartiges über K. M. hören müssen, daß Deine Objektivität wohl auch standhalten wird.)

»Solange die Tante lebt, wird Karl May der »Ustad« bleiben, der Führer der Seelen. Das kann und darf nicht anders sein, sie war sein Weib. Und sie ist es gewesen, die ihn zum Ustad gemacht hat. Sie ganz allein hat das hohe Haus geschaffen! Und das soll nun zerstört werden, von ihrer eigenen Hand? Ist das zu fordern, besonders, da sie Recht hat, wenn sie sagt, daß das nicht in seinem Sinn sein könnte? Karl May auch war für das Verhüllen bis zum letzten Augenblick, vergiß das nicht! Und doch, um ihm die Menschheit zu gewinnen, muß er ganz Mensch werden, des Menschen Sohn, armselig wie Jesus Christus: »er hatte weder Gestalt noch Schöne.« Ganz Mensch. Und da muß alles gesagt werden, alles ohne Vorbehalt, die ganze krasse, dämonische Wahrheit. Er wird dann von selbst zum Symbol wachsen, des Volkes Sohn, das Volk selbst, tiefste Nacht, klarstes Licht. Es ist nicht gut, daß er seine Sünden zu erklären strebt. Warum? Verbrechen am Eigentum? Gott im Himmel, es wird einmal eine Zeit kommen, wo man andre Verbrechen ahndet. Er war bitter arm, er hat gestohlen. Er hat im Gefängnis gesessen, und um zu leben hat er gelogen, warum nicht? Unsere heutige Moral ist eine Moral der Besitzenden, aber geistig Armen. Wenn die sich umdreht, wenn Nietzsche siegt mit seinem Wort, daß Reinheit alles sei, dann siegt Karl May. Eher nicht!«

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Daran anschließend kommt sie zu dem Schluß, daß jede Mühe, die Frl. Hannes jetzt, bevor sie sich eine gefestigte Position geschaffen habe, an eine Arbeit über Karl May aufwende, vergebens sei, ja umsonst sein müsse, solange wir so nahe und deshalb subjektiv urteilen. Ich meine, Frl. Hannes sollte auch schon ihrer Eltern wegen - nicht zum wenigsten um ihrer selbst willen (den das geht allem andern vor) - so schnell wie möglich streben selbständig zu werden. Dann wird sie um so besser in der Lage sein der Sache Karl Mays zu dienen. Ich glaube sicher, daß Du diese meine Ansicht teilst, wenn Du es nur ruhig überdenkst.


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Selbstverständlich schreibe ich nicht im Auftrag von Frl. Hannes oder als ihr Sprachrohr. Sie hat davon, daß ich schreibe, keine Ahnung!!

Die Stelle in Deinem letzten Brief an mich, »daß Dir der letzte Brief an Frl. H. Dir die Augen geöffnet habe«, verstehe ich nicht, da Frl. H. auf mein Befragen erklärt, nichts anderes geschrieben zu haben, als was ich Dir auch schon geschrieben haben sollte. Auf alle Fälle verstehe ich aber Dein fortgesetztes Schweigen nicht. Ich finde, wenn man jemand um seiner selbst willen gern hat - und das glaubt Frl. H. annehmen zu dürfen u. ich glaube es auch - so ändert daran eine Differenz der Anschauungen gar nichts und man gibt auf jeden Fall dem andern Gelegenheit zu wissen, warum man harb ist. Ich finde offen gestanden schon, daß Du Frl. H. ziemlich kleinmädihaft behandelst. Ich verstehe ja ganz gut, wie so etwas sich nach und nach entwickelt, aber ich glaube doch, daß sie Dein Ausschweigen nicht verdient hat. Allerdings hätte ich mir meine Karl Maybriefe auch vor vielen Jahren nicht verbrennen lassen.

Also bitte sei lieb zu ihr und zum allermindesten sag ihr, warum Du zürnst. Das kann sie mit vollem Recht als ernst genommen sein wollende Person von Dir verlangen.

Als gewissen Gegensatz zum Brief von L. Fr. empfand ich den von Euchar Schmid.

Was dieser Herr sagt, hat im großen und ganzen Hand und Fuß und inhaltlich kritischer drauf einzugehen hat für mich wenig Zweck, da er mir mit Recht antworten kann, daß ich gar nicht gefragt sei. Ist auch unnötig. Dagegen gestatte ich Herrn E. Sch. - trotz seiner »Schelmerei« - nicht, wegen der 3 Jahre Altersunterschied so herablassend von mir und meiner Meinung (die ihn da ich sie Dir mitteilte erstens nichts angeht und die er zweitens allem Anschein nach gar nicht kennt) zu sprechen. Wenn Frl. H. sich diese Tonart gefallen läßt, so ist das ihre Sache.

Eines verstehe ich aber ganz und gar nicht:

Nach dem, was mir Frl. H. erzählt, läßt Schmid an K. M. nur sein erfolgreiches Schriftstellertum der vorsymbolischen Periode gelten und ferner sei ihm an dem Menschen K. M. wenig gelegen. Dann ist es mir ein Rätsel, wie Du mit ihm harmonierst, Frl. H. aber wegen eines Briefes zürnen kannst.

Im übrigen weißt Du selbst am besten wie deutlich ich - von Frl. H. um meine Ansicht befragt - mich gegen alles wandte was wie Zutaten von nicht Karl May-Hand ausschaute; Allein die Begräbnisstelle ausgenommen. Doch gebe ich gerne zu, daß hier Euchar Schmid vollkom-


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men Recht hat. Ich habe es unterdessen Frl. H. auch schon selbst gesagt. Für sie ist es freilich schmerzlich, nachdem Du ihr in Radebeul die Redaktion übergeben hast. Ich meine natürlich nicht, daß ihr verletzter Egoismus sich rührt, sondern das bittere Gefühl von Dir einfach beiseite gesetzt worden zu sein. Und ich glaube wohl, daß das wehe tut, besonders wenn die persönliche Zuneigung eine so große Rolle spielt.

Ich komme also zu dem Schluß:

Du solltest ihr nicht länger böse sein oder ihr wenigstens Gelegenheit geben darauf zu antworten. Und in ihren gegenwärtigen Plänen (ich weiß übrigens gar nicht genau, was sie tun will) solltest Du lieb und weitherzig denken, denn das Richtige für sie ist - grad in jungen Jahren - ihre eigene Persönlichkeit in den Vordergrund zu stellen um im Leben erst richtig Fuß fassen zu können.

Sei lieb zu ihr, ich meine schon, daß sies verdient.

Und mir darfst Du halt auch nicht allzu böse sein für meine Offenheit.

Jedenfalls leitet mich der beste Wille und meine Liebe zu Dir und zu unserem herrlichen Karl May.

Dein alter treuer
Willy

Lu Fritsch: zu Lu siehe Hansotto Hatzigs Beitrag in diesem Jahrbuch.

harb: oberbayrisch >schlecht gelaunt, verbittert, beleidigt<



Klara May an Willy Einsle · 30.6.1912

Dresden-Radebeul, den 30.6.1912

Mein lieber Junge!

Du bist über Mariechens Verhalten sehr einseitig unterrichtet. Ich kann ihr nicht wieder schreiben, wenn sie sich nicht entschuldigt! Sie schrieb mir einen geradezu unverschämten Brief. Ich hätte sie und Dich belogen, indem ich Eure Korrekturen nicht ausgeführt hätte. Sie hatte durch ein Versehen alte, unabgeänderte Bogen erhalten. Sie hat ihren Irrtum auch dann nicht bemerkt, als sie die geänderten Bogen erhielt und hat sich bis heute nicht entschuldigt. Glaubst Du ich werde mich von jungen, unreifen Menschen abkanzeln lassen? Noch dazu in einer Weise, wie Mariechen es sich erlaubte!

Deshalb schrieb ich Dir der Brief Mariechens hat mir die Augen geöffnet. Es ist so. Durch diesen Brief lernte ich erkennen, daß ich allein zu bleiben habe. Ich kann mich nicht mit Mariechen verbinden.


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Die Person muß von der Sache getrennt werden. Ich kann mir kein Hinneigen zu einem Einzelwesen gestatten, will ich dem Ganzen dienen.

Ich habe Mariechen von Anfang an gesagt sie soll und muß sich vor allen Dingen eine Position schaffen. Ich fand da kein Rückgrad bei ihr. Es ist kein großes ernstes Wollen. Schwäche, nichts als Schwäche und neigen von einer Seite zur Anderen. Dazu aber eine starke Einbildung und Selbsthochschätzung. Beides ist nur berechtigt, wenn der Wille ernst, groß und zielbewußt ist, wie bei Philipp von dem Dir Mariechen erzählt haben wird. Er hat übrigens jetzt den Verdienstorden Leopolds v. Belgien erhalten. Er und Schmidt sind ernste, zielbewußte Menschen, die mit beiden Füßen auf festem Boden stehen. Menschen die gerungen haben und sich höher brachten aus eigener Kraft und die vor allen Dingen schon Positieves leisteten! Beide waren schon in der bitterernsten Schule des Lebens. Beide kennen den Kampf ums Dasein! Da spielt das Alter keine Rolle. Im Gegenteil sind solche Menschen nur höher zu schätzen, wenn sie trotz ihrer Jugend den Aelteren, zurückgebliebenen voraus sind.

Wenn Dr. Schmidt Mariechen so behandelt, wie er es sich erlaubt, dann trägt nur sie allein die Schuld daran. Sie hat sich gehen lassen und derartiges rächt sich immer.

Lu's Ansichten sind genau so krank und unreif wie Lu selbst. Das Wahre was in ihren Anschauungen zu tage tritt wird von bösem Unkraut überwuchert. Sicher ist, daß nur in einem gesunden Körper eine gesunde Seele wohnt. Ich werde gegen das Krankhafte kämpfen bis zum letzten Athemzug und ich fürchte, mehr gegen Karl May's Freunde, als gegen seine Feinde. Mariechens Briefe mußten verbrannt werden weil sie unreif war solche Schätze wie jene Briefe waren in ihrer Hand zu halten. Es waren Briefe, wie Deine, sie waren ihr aber nicht stille Heiligtümer, sondern sie wollte sie, unreif, wie sie selbst war, sie hinaus schleudern um zu sagen, seht, so schreibt Karl May mir, der damals 18jährigen. Was hätten K. Ms. gemeine Feinde daraus gemacht? Deshalb wurden jene Briefe verbrant und die Correspondenz mit Marie eingestellt. Seit Du mit M. zu tun hast, bist auch Du nicht mehr der Alte. Du bist angesteckt von ihr und schreibst in ihrem Sinne, Dein eigenes »Ich« verleugnend.

Ich weiß Offenheit von Zurechtweisung recht gut zu unterscheiden und bitte nur um die erstere gegen die andere Art werde ich stets scharf Stellung zu nehmen wissen, genau wie bei Mariechen. In Liebe Deine grad schwer genug geprüfte

Tante.


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Philipp: wahrscheinlich richtig: Ferdinand, war der ältere Bruder von Marie. Einen >Philipp< gab es in diesem Kreise allerdings auch, einen Sohn von Philipp Rauer, dem Chefredakteur der >Sächsischen Volkszeitung<. Philipp Rauer jr. wirkte später als Chemiker in den USA. (Vgl. Klaus Hoffmann: Karl Mays Beziehungen zur zeitgenössischen katholischen Presse Sachsens 1. In: Jb-KMG 1988. Husum 1988, S. 393f.)

Schmidt: Es ist Euchar Albrecht Schmid gemeint.

mußten verbrannt werden: Es sei noch daran erinnert, daß Klara sich bereits zu Karl Mays Lebzeiten heimlich auf Vernichtungspraktiken einübte. Vgl. Hans Wollschläger: »Weltreisen«. Glanz und Elend einer biographischen Legende. In: Hans Wollschläger: Karl May. Dresden 1989, S. 366-69, sowie Hansotto Hatzig: Charly May und Mary Meyer. In: M-KMG Nr. 67/1986, S. 13f.



Willy Einsle an Marie Hannes ·

Liebes Frl. H.

Ich schrieb an Tante, indem ich betonte, daß sie Sie »kleinmädihaft« behandle und daß Sie ein Recht hätten, wenigstens zu erfahren, warum die Tante Ihnen zürnt. Um Ihrem geänderten Plan betreffs der Dr.-Arbeit vorzuarbeiten, zitierte ich die wunderbare Stelle in Lu Fritschs Brief an Sie, die ich mir abgeschrieben hatte - und zwar in der besten Absicht.

Meine Braut hat den Brief an Tante gelesen und nichts Anstößiges daran bemerkt.

Lesen Sie nun die Antwort von Tante. Ich finde, ich habe die Pflicht ihn Ihnen zum Lesen zu geben.

Und nehmen Sie ihn halt nicht zu tragisch. Es ist nicht der Mühe wert, daß man sich aufregt.

Ich erbitte ihn mir - eventuell mit dem versprochenen Maybrief - in den nächsten Tagen zurück. Wenn Sie ihn verschlossen herrichten wollten, so lasse ich ihn nächsten Donnerstag im Lauf des Vormittags holen.

Anbei das Geliehene mit vielem Dank zurück.

Erwecken Sie alle Ihnen zu Gebot stehende Selbstachtung und nehmen Sies wie gesagt nicht zu tragisch. Es verlohnt sich nicht und - besser früher als zu spät.

Mit herzl. Gruß
Ihr
Willy Einsle

Bitte legen Sie noch meinen >Geburtstagsbrief< u. was Sie sonst noch aus R. von mir haben, bei. Es soll nicht nach R. zurück.

R.: Radebeul

Der Brief wurde möglicherweise nicht abgesandt, da er im Nachlaß Einsle erhalten ist; vielleicht hatte er sich durch persönlichen Kontakt erübrigt.


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Klara May an Willy Einsle · 3. Juli 1912

Radebeul-Dresden, den 3. Juli 1912

Lieber Willy!

Ich nahm an, ich hätte mich Dir klar verständlich gemacht. Dein Brief überzeugt mich vom Gegenteil.

Also. Eine Zurechtweisung erblickte ich in keinem Deiner Briefe, sondern nur in dem von Mariechen und dagegen nahm und nehme ich Stellung! Zürne aber M. nicht im geringsten.

Um Deinen Rat bat ich und bin Dir dankbar. Dr. Sch. bat ich Deine Gründe bez. des Nachworts mit zu überlegen. Die Person hat in diesem Falle nichts mit der Sache zu tun, auf die allein es uns doch nur ankommen kann? Du scheinst nicht das Gefühl zu haben, daß wir, die wir unseren K. May liebten und in einem Sinne weiter leben wollen, eine Familie bilden müssen. Ich denke, nur die Einheit macht stark.

Mit den unreifen Ideen junger Menschen meine ich einzig und allein Lu! Sie ist geradezu gefährlich in ihrem rücksichtslosen Vorwärtsstürmen. Sie hat es in der Stettiner Affaire bewiesen. Sie hat nicht gefragt was und wie soll ich es machen, sie hat aber den armen so überlasteten K. M. moralisch gezwungen weit über 1.000 Mk. Kosten durch ihr Vorhaben zu tragen, ohne die höchst unangenehmen übrigen Folgen.

Ich denke, mein Lieber, Du billigst mir nach dem hier mitgeteilten zu, im Rechte zu sein, wenn ich, wie in meinem vorigen Brief, über Sachen sprach, wie ich tat.

Wenn Du mehr Einblick in Alles hättest, würdest Du mir mehr vertrauen und mir mit weniger, persönlicher Empfindlichkeit begegnen. Glaube mir, mein Leben war nie leicht. Sonnenschein, Gottvertrauen und Kraft gab mir nur unser, von mir über Alles geliebter Karl May. In Gedanken an ihn, mit dem festen Willen in seinem Sinne weiterzustreben, ertrage ich das mir beschiedene Dasein, kämpfe ich den harten Kampf gegen Lüge und Gemeinheit weiter. Wenn meine Kräfte nachlassen, wie es geschehen und ich um Rat und Beistand bittend die Hand der Kinder Karl May's ergreife, dann erhoffe ich ehrliche Offenheit, ein wenig Liebe zurückgegeben, wie Karl May sie so reich gab, nicht aber Briefe, wie der von Mariechen mit Zurechtweisungen die noch dazu ganz ungerechtfertigt waren, oder, wie heute von Dir, Empfindlichkeit und scheues Zurückweichen. Ich halte Dich für einen Mann, nicht aber für ein Kind, sonst hätte ich Dir gar nicht geschrieben. Ich werde Dich so wenig wie möglich in Anspruch nehmen mir ratend beizustehen, aber ganz auf Dich zu verzichten wäre mir schwer, da ich Dich liebe und


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schätze und Du dem Herzen Karl Mays näher standest, wie Du vielleicht je geahnt. Meine Aufgabe ist es seine Güter zusammen zu halten, zu mehren, nicht zu zerstören.

In Liebe Deine Tante.

Stettiner Affaire: Aus einem Brief von Lu an die »liebe Tante« (vom 15.7.1912) geht klar hervor, daß Lu ihre »Spionage« im Auftrag Klaras und des Rechtsanwaltes Dr. Puppe betrieb, der dann jedoch in allem versagte. Nach den Artikeln in der >Stettiner Gerichtszeitung< wurde Lu von der Presse als »Mays schöne Spionin« bezeichnet. Vgl. Rudolf W. Kipp: Die Lu Droop-Story. In: M-KMG 37/1978, S. 3-26; S. 10: »... mietete sich als Detektivin Lebius gegenüber ein ... «, und Hansotto Hatzigs Beitrag in diesem Jahrbuch.



Euchar Schmid an Marie Hannes · 23.8.12

Stuttgart, 23.8.12

Mein Fräulein,

Ihr Schreiben v. 21. c. zwingt mich zu einer Erwiderung, doch muss ich mich auch diesmal beschränken.

1. Dass ich den Ausdruck »Tante« in Anführungszeichen setzte, geschah ohne Nebenabsicht; »Hohn« und dergl. lag mir fern. Sie scheinen sich des tiefen Ernstes, der in meinem Brief liegt, garnicht bewusst zu werden.

2. Die Verdächtigung, Frau May habe mit mir hinter Ihrem Rücken über den Wert oder Unwert Ihres »Schlusskapitels zur Autobiogr.« korrespondiert, ist völlig aus der Luft gegriffen. Sie schrieb lediglich: »Mariechen hat ein Nachwort verfasst, das mir aber nicht passend erscheinen will, was meinen Sie dazu? « Ich, der ich durch die Erfahrung mit jenem Osterbriefe klug geworden war, hütete mich, auf diesen Passus einzugehen.

Schließlich kam das Manuskript selbst, mit der abermaligen, dringenden Frage, was ich davon hielte. Nun musste ich Farbe bekennen: ich schrieb aber nicht an Frau May darüber, sondern an Sie, weil ich hoffte, Sie würden die Unmöglichkeit dieses Anhangs einsehen.

An dem gleichen Tage, an dem das Manuskript an mich abgegangen war, liessen Sie bereits jenen Brief vom Stapel, der Frau May mit Recht sosehr verletzte. Jetzt behaupten Sie, das Verhalten Frau Mays in Bezug auf Ihr »Schlusskapitel« und die Korrespondenz mit mir sei der Anlass zu dem Beleidigungsbriefe gewesen! Und dabei hatte ich an jenem Tage noch nicht einmal das Manuskript in Händen, geschweige auch nur eine Zeile darüber geschrieben! So ähnlich verhält es sich auch mit


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den anderen Erklärungen, die Sie über die »Korrektur« abgeben. Ich kann mich aber nicht weiter darauf einlassen, ohne mich in eine Art Klatschgeschichte zu verlieren.

3. Was Sie mir jetzt über die »Entrüstung Frau Mays« wegen meines Briefes an Sie und über die Entstehungsgeschichte des »interessanten Verbrechers« auftischen, ist so ziemlich das genaue Gegenteil von dem; was Sie mir im Café Karlstor berichteten. Auch das Gegenteil von dem, was ich von Frl. Anna Müller erfuhr, die nach Ihrem Briefe entweder »gelogen oder mißverstanden« hat. Es ist geradezu seltsam, wie Sie jetzt alles ins Harmlose umkehren, und bringt mich auf den Verdacht, dass Sie sich der Unwahrhaftigkeit garnicht bewußt werden. Was meine guten, alten Ohren, auf deren gesunden Realismus ich mich verlassen kann, hörten, das streiten Sie jetzt in aller Gemütsruhe ab!

Der Vorwurf, dass Sie - vielleicht unbewußt - Unwahrheiten, »Missverständnisse« in die Welt streuen, wird Ihnen aber nicht nur von mir, sondern auch von anderen gemacht, selbst von den Damen Müller!! Und immer haben Sie recht!?

4. In der Bemerkung, daß »mir May jetzt höher stehe als früher«, erblikke ich eine Spitze, die ich abbreche. Seit etwa 6 Jahren steht mein Urteil über K. M. fest, hat sich 1910 nur noch etwas erweitert und ergänzt. Dies kann ich beweisen durch Freunde, wie Lorenz Krapp, durch die Serie von Artikeln, die ich seit 1902 verfasste, und durch die Briefe an ihn, die 1906 begannen. Seit dem Zeitpunkt, wo sein Elend einsetzte, liebe ich diesen Mann; den Schriftsteller K. M. aber verehrte ich schon als achtjähriger Knabe. 1892 lernte ich seine Werke kennen. 1893 kannte ich alle damals erschienenen - incl. Hausschatz! - auswendig ...

5. daß es K. M. schadet, wenn Sie Gerüchte vom »interessanten Verbrecher« verbreiten, bedarf keiner Begründung: so also - sagen die Gegner - steht May in den Augen seiner Anhänger da! Sie sprechen phrasenhaft, schaden oder nützen könne ihm »nur sein Werk selbst«! Ei, wozu brauchen Sie dann an diesem Werk »weiterzubauen«, wie Sie gleich in der nächsten Zeile sich rühmen?

6. Sie wollen jenen Brief, den ich Ostern an Sie schrieb, den beiden Damen Müller zeigen. Ja, ich bitte sehr darum, ebenso, bitte, den vorliegenden! Sie können sie jedem zeigen, aber bitte möglichst ohne Kommentar!

7. Was die beiden Damen Müller betrifft, so sind sie allerdings leider, leider nicht mehr unbefangen! Auch nicht die anderen Münchner Freunde, wie ich zu meinem größten Bedauern in München erfuhr! Und wer trägt die Schuld? Sie! Wenn Sie nicht nach München und zu den Freunden des Hauses Shatterhand gekommen wären, hätte Frau


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May eine Reihe von Sympathien noch, die ihr durch Ihr Ohrenraunen verloren gingen!!

Sie sagen, Sie wollen »weiterbauen«! Tun Sie es, wenn Sie können, und jeden Erfolg will ich aus vollem Herzen begrüssen. Bedenken Sie aber, dass es nicht im Interesse des Heimgegangenen liegt, wenn Sie seine Witwe verunglimpfen. Ich meine, dass K. M. um eine einzige Klara May 100 Marie Hannes hätte fallen lassen!

Und so setze ich bei Ihrem Weiterbau voraus, dass Sie persönliche Freunde des Hauses Shatterhand, soweit Sie sie nicht schon kennen, nicht etwa aufsuchen und à la München abspenstig machen. Positives müssen Sie schaffen, wenn Sie sich nicht allüberall Sympathien verscherzen wollen, wie Sie sich die meine verscherzt haben. Dass dieser Verlust von Ihnen »ohne Schaden« getragen wird, glaube ich wohl, denn mir liegt es fern, bei unbeteiligten Dritten über die leidige Sache zu sprechen. Immerhin nimmt es mich wunder, dass Sie mein Schreiben »mit Vergnügen« lasen: ich habe es ohne Vergnügen geschrieben!

Hochachtungsvoll

[Unterschrift fehlt auf dem Durchschlag]

Lorenz Krapp: Krapp schrieb u. a. in der >Augsburger Postzeitung<: Das Problem Karl May (27.11.06 / 7.12.06 / 28.12.06); Karl Mays Jugendschriften (18.12.07).

Damen Müller: nicht ermittelt



Klara May an Familie Fehsenfeld · 25.12.1912

VILLA SHATTERHAND
Radebeul-Dresden, den 25.12.12.

Meine lieben Freunde!

Ich danke Ihnen, daß Sie mir Liebe und Freundschaft bewahrten in diesen schweren Tagen. Ich hoffe, die Zukunft wird frohere, reinere Stunden bringen, als es jetzt möglich war, im aufreibenden Kampf, der tatsächlich den Menschen hinunterzieht, ja gemein macht.

Ich will jetzt allen Frieden und Vergleich anbieten um mit Allen zu Ruhe zu kommen und dann wollen wir gemeinsam als alte Freunde weiter streben. Dr. Schmid wird das rechte Bindeglied sein.

Nun zur Unionsache. Wir wollen die Werke nehmen. 10000 M. kann ich aus meinem Privatvermögen zur Verfügung stellen. Beim Ministerium setze ich freie Verfügung des Kapitals durch, dann kann


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ich alles bezahlen und wir haben auch Betriebskapital. Netcke steht mir hierin bei.

Soviel heute nur über den geschäftlichen Teil, den im übrigen Dr. Schmid regeln mag.

»Leben und Streben« ist frei und auch Fischers können nichts dagegen machen. Gerlach muß natürlich in die 11. Instanz gehen, da will ich ihm aber Vergleich anbieten und sagen, gut, in der 11. Auflage bleibst Du raus, so hoffe ich diesen Streit auch zu beenden.

Langsam soll nun der Aufstieg beginnen. Ich will Ruhe und Frieden haben mit allen Menschen, um jeden Preis!

Von ganzem Herzen wünsche ich Ihnen beiden frohe Festtage und ein gesegnetes neues Jahr und bitte Sie Nachsicht mit mir zu haben, wenn ich nicht immer war, wie ich unter anderen Verhältnissen hätte sein können.

Ich hoffe, das Leben gestattet uns noch eine Weile Seite an Seite durchs Leben zu schreiten, möchte es in Liebe und Freundschaft sein! Das walte Gott!

Ihre alte
Klara May.

Der Brief stammt aus dem Konrad-Guenther-Nachlaß in der Universitätsbibliothek Freiburg, Handschriftenabteilung, der wir für die Abdruckgenehmigung herzlich danken.

Die vierte, von Klara leergelassene Seite des Briefs enthält längere Zahlenkolonnen, offenbar Berechnungen Fehsenfelds über Lagerbestände oder Ablösesummen für den Verlag.

Netcke: Anwalt Klara Mays



Klara May an Familie Einsle · 26.12.1912

Innigen Dank! Ich komme vielleicht nächstens auf ein paar Stunden nach München! Der Kampf führt mich nach Bozen. Von Herzen wünsche ich Ihnen Allen Gottes Segen im neuen Jahr!

In herzlicher Liebe und Dankbarkeit

Ihre alte

Klara May.

»L. u. St.« ist frei! Am 17. d. M. Prozeß gewonnen!

Bildkarte: »Letzte Aufnahme Sommer 1911« (Abb. in Jb-KMG 1992. Husum 1992, vor S. 65) - Poststempel: Radebeul 26.12.12

Anschrift: Familie Oberamtsrichter Einsle, München, Piloty Str.

Letzte erhaltene Korrespondenz zwischen Klara May und der Familie Einsle.

Zur Freigabe von >Mein Leben und Streben< vgl. die Anm. Hainer Plauls in: Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg o. J. (1910). Reprint Hildesheim-New York 1975. Hrsg. von Hainer Plaul, S. 516*f.


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