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HERMANN WOHLGSCHAFT

»Ich sah dann auch Gott selber kommen«
Theologisches zu >Ardistan und Dschinnistan<



Als Plädoyer für das Leben, für die Zukunft der Welt und des Menschen ist das herausragendste Werk Karl Mays, die zweibändige Erzählung >Ardistan und Dschinnistan<, zu verstehen.

Die Entstehungsgeschichte dieses Romans(1) sei kurz nur umrissen. Nach dem Mißerfolg von >Babel und Bibel< lag es nahe, den Dramenstoff in epischer Form wieder aufzugreifen. Anfang 1907 versprach May seinem Verleger Fehsenfeld eine Reiseerzählung >Abu Kital, der Scheik der An'allah<. Doch dieses Werk ist nie erschienen; in Mays Nachlaß fand sich, außer dem Titelblatt, nur der Textansatz zum ersten Kapitel >Bent'ullah<.(2)

Ein Grund, die >Abu Kital<-Pläne aufzugeben oder zurückzustellen, war die Wiederaufnahme von Mays Beziehung zum Pustet-Verlag. »Den entscheidenden Impuls dazu hat Heinrich Wagner, der Chefredakteur der >Donau-Zeitung<, Passau, gegeben«; er verfügte »über weitreichende Verbindungen zur katholischen Presse seiner Zeit. So auch zum >Deutschen Hausschatz<.«(3)

Am 13. September 1907 traf sich May im Münchner Hotel >Leinfelder< mit Dr. Otto Denk, dem Nachfolger Heinrich Keiters als Schriftleiter des >Hausschatzes<. Der Redakteur war, so wurde vermutet, May »ausgesprochen feindlich gesonnen«.(4) Doch die persönliche Begegnung in München führte - nachdem der Schriftsteller Ende 1906 schon Kontakt zu einem anderen katholischen Publikationsmittel, der >Augsburger Postzeitung<, aufgenommen hatte(5) - zur erneuten Zusammenarbeit mit dem Regensburger Verlag. May sagte zu, eine Reiseerzählung mit dem Titel >Der 'Mir von Dschinnistan< zu verfassen. Schon im November 1907 erschien dann im >Hausschatz< die erste Folge dieses Romans. Im Herbst 1908, während seiner Amerikareise, unterbrach May die Arbeit, die dann im Juli 1909 beendet wurde.

Die Entstehung dieses in seiner bruchlosen Geschlossenheit auch den >Silberlöwen III/IV< übertreffenden Werkes wurde von widrigen und für May geradezu schockierenden Umständen begleitet. Man denke an die Hausdurchsuchung am 9. November 1907 im Zusammenhang


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mit der Meineidsanzeige! Ein Wunder ist es zu nennen: Zum Teil parallel mit der zornsprühenden >Pollmer-Studie< (Ende 1907), mitten im Inferno seiner bittersten Jahre, hat May in der Ekstase des Schreibens den Ort der Marter und der Pein verlassen, um alles Leid der Erde zu vergessen (I 1)(6) und seine, jeglichem Haß entrückte, Symphonie auf den Völkerfrieden(7) zu schaffen.

Der Autor schrieb, selbstbewußt wie gewohnt, über sein eigenes Werk: Ein Jeder, der sich mit den Lebensfragen und mit der Zukunft des Menschengeschlechtes beschäftigt, sollte es gelesen haben.(8) Von Schwächen gänzlich frei ist auch diese Krönung der Mayschen Dichtkunst allerdings nicht.(9) Geringfügige Mängel und sachliche Inkonsequenzen sind der gespaltenen Persönlichkeit Karl Mays, aber auch den Irritationen durch Otto Denk anzulasten: Ähnlich wie Fehsenfeld und die früheren May-Verleger versuchte der Redakteur, seinen Autor auf die Wünsche naiver Leserschichten festzulegen.

Die Erwartung des Publikums brachte den Schriftsteller in einen Konflikt mit sich selbst. Ein Zwiegespräch zwischen Halef und Kara Ben Nemsi spiegelt die Situation des schreibenden May. Enttäuscht und verärgert beschwert sich der Scheik der Haddedihn: Der Sihdi sei plötzlich gebildet und human(I 36) geworden; seit der Hadschi die Peitsche »wegstecken mußte, haben wir kein wirkliches Abenteuer ... mehr erlebt. Hierzu kam, daß du auch auf den Gebrauch deiner Gewehre verzichtetest ... Du wolltest dich nicht mehr auf die Waffen, sondern auf die Liebe, auf die Humanität verlassen ... Soll das in Ardistan und Dschinnistan auch so sein? ... « - »Nein«, antwortete ich trotz der gegenteiligen Instruktion, die ich von Marah Durimeh erhalten hatte. Es gab Gründe, die mich hierzu veranlaßten. (I 36f.)

Dies ist einer der Gründe:(10) Ohne Verständnis für Mays Entwicklung zum religiösen Symbol-Dichter wurden von den Lesern wie von der Redaktion nur Abenteuer und Unterhaltung ersehnt. Bis zu einem gewissen Grad kam May solchen Wünschen entgegen. Die bekannten Spannungselemente, Gefangenschaft und Befreiung, Beschleichen und Belauschen der Gegner, geheimnisvolle Gegenstände, unterirdische Labyrinthe usw., finden sich erneut auch im >Mir<. Sein neues Epos hat der Autor »aus der von ihm längst bearbeiteten und geformten Materie seiner Kolportage- und Reiseromane zusammengefügt (...) May greift aus dem gewaltigen Vorrat seiner literarischen Schatzkammer heraus, was er nun zu neuer Absicht noch gebrauchen kann. Doch keine Handlung, die nicht neben ihrem abenteuerlichen Sinn auch eine neue Bedeutung erhielte und zum allegorischen Zeichen würde Nichts bleibt von diesem Prozeß verschont (...).«(11)


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Die Handlung des >Mir< weist die Merkmale der traditionellen Reiseerzählung Mayscher Prägung noch immer mit auf. Der Ich-Held Kara Ben Nemsi betont seine Männlichkeit.(12) Er glänzt durch übermenschliche Fähigkeiten, durch findige Intelligenz, durch Körperkraft und Geschicklichkeit. Aber mit fortschreitender Handlung nimmt sich das >Ich<, der suchende Pilger, der christliche Wanderer aus Dschermanistan (II 152), weitgehend zurück. Überwältigt von den Ereignissen, fasziniert von den Leuchtzeichen der Ewigkeit, ist der Effendi in den letzten Kapiteln fast nur noch der Zuschauer. Der Mir von Dschinnistan, der selbst wieder unter dem Schutz Marah Durimehs (I 6), der >Menschheitsseele<, steht, hat alle Fäden in der Hand. Er lenkt das ganze Geschehen.

Sehr kunstvoll werden die Abenteuer der beiden Reisenden, Kara Ben Nemsi und Halef, integriert ins ganz Andere: in theologische Poesie von größter Dichte und höchstem Niveau, in religiöse Betrachtung von ungewöhnlichem Inhalt. Eben dies war dem >Hausschatz< suspekt. Wie in anderem Zusammenhang schon erörtert,(13) war May, auf seltsam verquere Weise, in den >Modernismusstreit< und den >Katholischen Literaturstreit< verwickelt. Otto Denk mag ein verdienter Schriftsteller (sein Pseudonym: Otto von Schaching) gewesen sein, innerhalb der katholischen Kirche verfocht er doch eher die enge und ängstliche Richtung. Im >'Mir von Dschinnistan< glaubte er dogmatisch >falsche<, zum Beispiel >dar-winistische<, Passagen entdeckt zu haben. Solche Tendenzen tatsächlich zu vertreten, bestritt Karl May jedoch eifrig. In Briefen an Pustet und Denk verteidigte er seine >katholische Gesinnung<.(14)

Der Redakteur legte ihm nahe, den Roman zu kürzen und baldigst zum Abschluß zu bringen. May, der seine Leser v o r r e 1 i g i ö s e n u n d e t h i s c h e n V e r 1 u s t e n(15) bewahren wollte, war entsetzt und empört: Das Kürzen geht doch nicht! Das würde Selbstmord sein!(16) Zwar wollte er sich, als Laie, in theologische Streitfragen nicht einmischen und in seiner Erzählung Alles vermeiden, ... was lehrhaft erscheinen könnte. (I 346) Aber sein eigenes Werk zu köpfen,(17) war er doch nicht bereit.

In Mays Handschrift herum zu wüthen, hatte Denk nun begonnen; er brachte es, laut May, auf 9 bis 18 ... Correcturen pro Seite.(18) Der Redakteur verekelte seinem Autor die Arbeit so vollständig, daß dieser oft daran war, sie ihm einfach hinzuwerfen.(19) Am 6. Juli 1909 lieferte May die letzten Manuskriptseiten und schloß den Roman mit der abrupten Bemerkung: Das Weitere liest man später ...(20)

Welcher Art waren die Denkschen Eingriffe? Hat er vorwiegend den Stil >verbessertEntgleisun-


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gen< angesehene Stellen gestrichen oder verändert? Da eine Vergleichslesung zwischen der Hausschatz-Fassung und Mays Manuskript bisher nicht vorgenommen wurde, kann diese Frage hier nicht beantwortet werden.

Der Bruch mit dem Pustet-Verlag war nun endgültig geworden.(21) Noch im Sommer 1909 bereitete May für Fehsenfeld eine sorgfältig überarbeitete Buchausgabe vor mit dem Titel >Ardistan und Dschinnistan I/II (Ges. Reiseerzählungen Bd. XXXI/XXXII). Seinen >Mir<-Text kürzte er nun doch um nicht wenige Seiten. Außer verschiedenen Motivketten entfielen auch »lange, für den Kenner höchst aufschlußreiche und wichtige Darlegungen über Mays >Psychologie<«, die »als Zeugnisse für seine Beschäftigung mit der Lehre vom Unbewußten für die heutige Forschung von erheblicher Bedeutung«(22) sind.

>Ardistan und Dschinnistan< ist nach der Auffassung führender May-Exegeten des Dichters bedeutendste Schöpfung. Einige Stellungnahmen seien hier wiedergegeben. Franz Sättler kam, noch zu Lebzeiten Mays, zu dem Resultat: »Das ist christliche Kunst!«(23) Nach Heinz Stolte hat May auch sprachlich »eine Stilhöhe erreicht, wie in keinem anderen seiner früheren Werke.«(24) Wolfgang Clauß sprach in Kindlers Literatur-Lexikon von der »extreme(n) Außenseiterstellung« des Romans »gegenüber allen zeitgenössischen Literaturströmungen«.(25) Werner von Krenski stellte >Ardistan und Dschinnistan< in »eine Reihe mit dem >Faust< und >Also sprach Zarathustra<«.(26) Arno Schmidt hielt »die Kühnheit und Anmut«(27) der Mayschen Gedankenwelt für »sehr wohl vergleichbar dem >Orplid< Mörikes oder der >Gondal-World< der Brontës«.(28) Ernst Jünger hatte Mays Hauptwerk in seiner Jugend zweimal gelesen; bei der zweiten Lektüre geriet er »in einen euphorischen Zustand«, als ob er »ein Narkotikum genommen hätte«.(29) Friedrich Dürrenmatt hob, wie vor ihm schon Arno Schmidt, die Verwandtschaft des Romans mit John Bunyans >Pilgerreise<(30) hervor und fragte sich, »ob nicht auch für Kafka dieses Werk von Karl May eine Bedeutung gehabt hat«.(31) Für Hans Wollschläger ist >Ardistan und Dschinnistan<, neben dem >Silberlöwen III/IV<, »Mays zweite, unstreitig bedeutende Literatur-Leistung und erreicht (...) in seinen obersten Augenblicken jene sonderbare Schwelle, an der die Kunstwerke so etwas wie direkte Schöpfungs-Konkurrenzen werden«.(32) Christoph F. Lorenz meinte, »die recht bescheidene Zahl der ernstzunehmenden Interpretationsansätze« stünde in »keinem Verhältnis zu der Bedeutung dieses Buches«.(33) Martin Lowsky schließlich sah in >Ardistan und Dschinnistan< den »am meisten gelobte(n) und am wenigsten erforschte(n) unter Mays Altersromanen«.(34)


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Über viele Seiten hinweg berauschen den verständigen Leser die schönsten Szenen und die hintersinnigsten Dialoge. Dieses »mühelose Parlando«,(35) diese geglückte Verbindung von göttlichem Humor und politischer Satire, von utopischer Phantasie und innerer Wahrheit, von >Tausendundeiner Nacht<(36) und archetypischer Traumwelt, von farbiger Handlung und transzendentaler Naturbetrachtung, von mystischer Frömmigkeit und welthafter Leibfreude, von zeitlosen Mythen und teleologischer Geschichtsdeutung ist ein - in dieser Form einmaliger -Versuch, den Himmel mit den irdischen Erfahrungen zu berühren. Ich wage die These: Wenn von den geistesgeschichtlichen Ereignissen des 20. Jahrhunderts die Rede ist, dürfte >Ardistan und Dschinnistan< nicht verschwiegen werden.

Aus psychologischer, literaturwissenschaftlicher und, zum geringeren Teil, auch religiöser Sicht beleuchtet die bisherige Sekundärliteratur bestimmte Partien oder Motive des großen Romans, z.B. Wüste und Wasser, Leben und Tod, Krieg und Frieden, Märchen und Träume, Geist-Seele und Körper-Seele (>Anima<),(37) Kara Ben Nemsi als Therapeut usw. Ich versuche, in der theologischen Perspektive, eine die Einzelaspekte möglichst umgreifende Textexegese. Doch Stückwerk bleibt natürlich auch die folgende Deutung. >Ardistan und Dschinnistan< ist eine Welt-Parabel. >Erde und Himmel<, >Gott und die Welt< sind die Themen. Für weitere Untersuchungen gibt es also noch Stoff in unerschöpflicher Fülle.

Als Vorlage für seine Endfassung benützte May merkwürdigerweise »nicht sein Originalmanuskript (das heute im Karl-May-Verlag verwahrt wird), sondern die Fahnen des Hausschatztextes, die er auf Blätter klebte und handschriftlich mit Änderungen versah.«(38) Für die theologische Deutung, auf die es mir ankommt, sind die Textvarianten zwischen der Hausschatz- und der Fehsenfeldfassung von untergeordnetem Rang. Den folgenden Ausführungen kann deshalb die von May autorisierte Ausgabe letzter Hand, also der Fehsenfeldtext, zugrundegelegt werden.

I. Die große Vision: Die Landschaft der Seele oder >Da waren wir alle wie Träumende<

Meine Erzählung beginnt in Sitara, dem in Europa fast gänzlich unbekannten »Land der Sternenblumen« ... Die Sultanin dieses Reiches ist Marah Durimeh, die ... Herrscherin aus uraltem Königsgeschlecht. (I 1)


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Der ganze Roman ist, von der Form her gesehen, utopisch und surrealistisch. Sitara ist nicht unsere sichtbare Welt, nicht unsere stoffliche Erde,(39) sondern das Land unsrer Träume, das Paradies unserer Seele, der Ursprung des Lebens in der Herrlichkeit Gottes. Der sterbliche, in eine fremde, bedrohliche Welt geworfene Mensch kann Sitara nie völlig vergessen. Aber seine Erinnerung ist getrübt (I 45ff.), und sein Blick ist verschleiert. Er kommt aus Sitara - von Gott, der >Vater< und >Mutter< zugleich ist(40) - und >weiß< dies nur unbewußt (vgl. II 420): »O, du mein Vaterland ... ! Ich sah dich nie ..., du Land der Seelen, Land der Liebe, Land der ... Sternenblumen!«(I 340)

Wie auf Tabor, dem Berg der Verklärung, den Jüngern des Herrn das Bleiben,verwehrt wird (Mk 9, 2ff.), so kann auch Sitara für Kara Ben Nemsi und Halef keine ständige Wohnung sein. Die Gärten Sitaras, die Residenz der Menschheitsseele (I 10), müssen die Wanderer verlassen: auf dem Schiff Wilahde, zu deutsch >die Geburt<. Sie müssen hinunter nach Ardistan, zur Erde (I 18)(41) mit ihren Kriegen, ihrer tödlichen Dürre und ihrem dunklen Geheimnis. Ihr Weg durchs ganze Ardistan, durchs ganze Leben, ist ein Studien- und ein Uebungsritt (I 18). Das im Roman nicht erreichte, weil auf Erden wohl gar nicht erreichbare Ziel ist Dschinnistan (42) das Land der himmlischen Heerscharen, die Ardistan - unerkannt - schützen und von Gott, dem allgütige(n) Mir von Dschinnistan (I 503)(43) gesandt sind.

In Sitara, im >pränatalen< Bereich, empfängt Kara Ben Nemsi, der Mensch (II 505), von Marah Durimeh, der Menschheitsseele, seine Mission (I 14): »Der Mir von Dschinnistan wird von seinen Bergen herniedersteigen, um Ardistan den Frieden zu bringen ... Und du sollst ihm ... entgegensteigen, um Ardistan und seinen Herrscher auf ihn vorzubereiten. Erschrick nicht, mein Freund! Es wird nichts Unmögliches von dir verlangt.« (I 23f.)

Eine Berufungsgeschichte wird hier beschrieben, die der Struktur der Propheten-Berufung und letztlich der, konkret natürlich verschiedenartigen, Erwählung jedes Menschen entspricht: »Das Wort des Herrn erging an mich: Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich erwählt (...) Wohin ich dich sende, sollst du gehen, und was ich dir auftrage, sollst du verkünden. Fürchte dich nicht denn ich bin mit dir, um dich zu retten.« (Jer 1, 4-8)(44)

Der Erdenweg der beiden Helden beginnt im niedrige(n), aus Sumpf und Moor bestehende(n) Land der Ussul (I 43). Diese >Urmenschen<, die »die Kindheitsstufe der Menschheit«(45) symbolisieren, werden -mitsamt ihrem Scheik - von Taldscha,(46) einer Vertrauten Marah Duri-


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mehs, geführt und beschirmt. Sitara ist also präsent, selbst hier, im tiefsten Ussulistan.

Im Land der Ussul hört Kara Ben Nemsi von jener Legende, die zum Leitmotiv des Romans wird.

Die Legende erzählt: Hoch über Dschinnistan liegt das verlorene einstige Paradies. Alle hundert Jahre öffnen sich seine Tore, und eine Fülle des Lichts überflutet die Erde und ihre Bewohner. Da wird Alles, Alles offenbar, was je geschehen ist und was noch heut geschieht. Die Engel schauen herab, ob endlich Friede sei,- aber stets ist Krieg und ... Streit. Unsichtbar steigen die Gebete der Ärmsten zum Paradies empor ... Sie helfen einander, heben einander über die Mauern hinweg ... und klammern sich an die Engel. Sie heften sich an die Flügel der Gnade und steigen zu Gott. »Gib Frieden!« jammerte es über die Erde ... »Gib Frieden!« bittet es in Gottes eigener Seele. Der Herr sendet Mose, dann Jesus,(47) dann Mohammed. Doch die Herzen der Menschen bleiben verschlossen. Da geht Gott selbst, in Menschengestalt, hinab nach Dschinnistan(48) und weiter nach Ardistan, in die Hauptstadt. Dort wird er festgenommen,(49) vor den Herrscher geschleppt und als Landesverräter zum Tode verurteilt. Da predigt der Herrgott durch Taten: Ssul, der Fluß des Friedens, wird dem Reiche Ardistan genommen. Das lebenspendende Wasser fließt aufwärts, nach oben, woher es gekommen ist ... Das Bett des Flusses aber liegt leer, und die entsetzte Menschheit flieht aus der Stadt ... (I 216ff.)

So spricht die Sage. Und dies ist die Wirklichkeit, die >Realfiktion< im Roman: Der Fluß ist verschwunden, und die Trümmer der alten Hauptstadt starren wasserlos in die Steppe (I 220). Doch Gottes Sorge hat das dürstende Land nicht verlassen. Geheimnisvoll, aber mächtig, bleibt Gott selbst in der Wüste präsent. Und weiterhin brennen, nach jedem Jahrhundert, die Vulkane von Dschinnistan. Ihre Flammen erlöschen nicht eher, als bis die Frage »Ist Friede auf Erden?« beantwortet ist.

Die in Ardistan, dem Land der Gewaltmenschen, unterdrückten Christen fügten den alten Sagen eine Art prophetischen Versprechens hinzu: In ferner Zukunft soll, vom Tyrannen persönlich, in der Kathedrale von Ardistan der »Stern des Erlösers« entzündet werden. Sobald der Herrscher dies tut, ist der Gang des Kommenden unmöglich aufzuhalten. Er wird zunächst den Hochaltar für immer enthüllen. Sobald dieses geschieht, werden die Stimmen der Barmherzigkeit und Güte erklingen, und Himmelstöne, die man im Lande Ardistan noch nimals [!] hörte, werden zu vernehmen sein (II 119). Der Herrgott wird wieder nach Ardistan kommen (II 221).(50) Und zuletzt wird der Dschebel Muchallis,


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der Berg der Erlösung, die Vollendung verkünden: den Friede(n) auf Erden und den Friede(n) mit Gott (II 644).

In einem unerhörten Crescendo wird diese Erfüllungs-Theologie im Romangeschehen vorangetrieben und verifiziert. Kara Ben Nemsi und Halef suchen in der >Höhle des Löwen< den Fürsten von Ardistan auf. Dem Ich-Helden gelingt eben dies, was Martin Heidegger - das Verhältnis von Geist und Macht in fataler Weise verkennend - später mißlang: den Führer zu führen(51) und den Kriegsverbrecher zu zähmen. Das Terror-Regime des Fürsten (der die eigenen Leute versklavt und den Mir von Dschinnistan befehdet) unterläuft er mit psychologischer Raffinesse. Den Herrscher überlistet er bravourös, mit pädagogischer Kunst.(52) Er verleitet den Feind des Christentums (II 118) zum Besuch der Kathedrale, wo der Tyrann, aus Versehen, den Stern von Bet Lahem entzündet.

Die Zeit, die Fülle der Zeit, scheint gekommen: »Welch ein Jahr ist das jetzige! Sollte es wirklich jenes große, seit Jahrtausenden vorherverkündete Jahr sein, in welchem ... der Friede sich naht und die Völker sich ... lieben ... ?« (II 380f.)

Der Weihnachtsgottesdienst in der Kirche bereitet den Boden für die, freilich langsame, von Rückschlägen bedrohte Bekehrung des Menschenverächters.(53) In der Stadt der Toten,der früheren, nun scheinbar verödeten Hauptstadt von Ardistan, der herrlichste(n) und ernsteste(n) aller Ruinenstätten der Erde (I 560), bricht der Emir - angesichts der wunderbarsten Ereignisse - endlich zusammen. Sein Herz aus Stein ist gebrochen. Er bekennt seine (und seiner Vorfahren) Schuld und ist, wie Abu Kital in >Babel und Bibel<, zur Sühne bereit.

Der Mir von Dschinnistan und Marah Durimeh, die alles, auch die Mission Kara Ben Nemsis, vorausgeplant hatten, erweisen sich als die wahren Protagonisten. Sie geben Ssul, dem Fluß des Friedens, das Wasser zurück. Sie verwandeln die Wüsten in blühende Gärten. Und sie führen die Helden zum Ziel, d.h. zur Grenze von Dschinnistan, vor deren Überschreitung der Roman dann beendet wird.

May selbst hat seine Erzählung als Märchen verstanden .(54) Hat er sich in die Fiktion ... hineingedacht und die Wirklichkeit vergessen (II 424)? Nein, er beschreibt eine Zauberwelt, die in Wirklichkeit vorhanden ist (I 10). Denn jede Sage und jedes Märchen enthält eine Wahrheit ..., die man in der Tiefe suchen muß (I 221); aus den Sagen und Märchen, den Mythen und Träumen spricht die Menschheitsseele (I 224); da liegt ein Wink versteckt, nach dem man suchen soll (II 308).

In der Bibel heißt es: »Als der Herr das Los Zinns, die Gefangenschaft, wendete, da waren wir alle wie Träumende.« (Ps 126, 1) Auch


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der Dschirbani, der Gefangene in der Totenstadt, war wie ein Träumender (II 420), als er, dem Tode entrissen, den >Engel< erkannte. Das Wunder lag schon lange verborgen in ihm, vollständig unbewußt. Erst hier, in der Stadt der Toten, »kam es emporgestiegen, ganz langsam und unbemerkt, bis es ... aus mir heraustrat, sich vor mich hinstellte und zu mir sagte: >Da bin ich; du hattest mich vergessen, ... kennst du mich noch?<« (II 420f.)

Wir sehen: Mays Erzählung spielt im fernen und doch so nahen Lande des Menschen-Inneren (I 111). Sitara, die Mauern des Paradieses, die brennenden Berge, der Stern von Bethlehem, die Engel in der Wüste, die Quellen des lebendigen Wassers, die Totenstadt, der Friedens-Fluß, der Berg der Erlösung usw. gehören zur Landschaft der Seele, zum »kollektiven Unbewußten« (C. G. Jung) der Menschheit. In der Sehnsuchts- und Leidensgeschichte vieler Generationen hat sich das alles versammelt und will heraus aus seinem Verdrängt- und Vergessensein.

Der christlich fühlende Leser könnte sich fragen: Poetisch mögen Mays Traumwelten ja schön, und tiefenpsychologisch mögen sie interessant sein; aber sind die Symbole, die Schlüssel-Bilder des Dichters, in ihrer Aussage wahr und theologisch >in Ordnung Dem katholischen >Hausschatz< war Mays Erzählung verdächtig. Man kann die Bedenken verstehen. Der Darwinismusverdacht ist gewiß nicht begründet; aber andere Fragen könnten sich immerhin stellen: Wie verhalten sich der Ursprung und das Ziel unseres Daseins, die Gärten Sitaras und das Hochland von Dschinnistan, zueinander? Sind sie identisch? Wird die - eschatologische - Hoffnung auf Gottes Reich nicht ersetzt durch eine innerweltliche Utopie, den Frieden auf Erden? Wird das Erlösungswerk Christi nicht in den Schatten gestellt durch die Sühneleistung des Herrschers von Ardistan und das Wirken der Menschheitsseele, die »noch über dem Mir von Dschinnistan«(55) steht? Wird der Mensch in seiner Einmaligkeit, in seiner Individualität, in seiner Verantwortlichkeit vor Gott genügend gewürdigt? Tritt an die Stelle von Tod und persönlicher Auferstehung (in der Ewigkeit Gottes) womöglich ein diesseitiger Zyklus von immer neuen Geburten?

Die Textexegese wird solchen Fragen nicht ausweichen dürfen. Man könnte versucht sein, zu sagen: Die Mehrdeutigkeit gehört zum Wesen des Märchens und literarischer Texte wohl überhaupt. Man könnte meinen: Karl May war eben ein Dichter, denkerische Genauigkeit war


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nicht seine Stärke, und auf dogmatische Richtigkeit kam es dem Poeten nicht sonderlich an. Aber kann man das wirklich so sagen? Ein dogmatischer Denker war May zwar nicht; aber er dachte, wie meine früheren Textbesprechungen zeigten,(56) durchaus theologisch. Er wußte sehr wohl, was er sagte und meinte. Manche Bilder sind unscharf und manche Formulierungen rätselhaft; ich bestreite das nicht. Doch im ganzen ist die Botschaft verständlich und klar. Die Textanalyse wird es erweisen: >Ardistan und Dschinnistan< ist christliche Poesie - visionär und prophetisch, biblisch fundiert und innovativ, menschlich bedeutsam und theologisch gewichtig.

II. Die autobiographische Leseebene: Der >Erlöserstolz< Karl Mays oder Die erkannte Gefahr

Da jeder Text, auch jeder theologische Text, immer auch das Werk eines bestimmten Menschen mit seiner konkreten Geschichte, seinen spezifischen Erfahrungen und seiner besonderen psychischen Grundverfassung ist, soll zunächst - wie in den früheren Analysen - die selbstbiographische Relevanz der Erzählung in Kürze besprochen werden.

Mit autobiographischen Hinweisen, mit Materialien zur Charakterbestimmung des Verfassers ist >Ardistan und Dschinnistan< ebenso aufgeladen wie die übrigen Werke des Dichters. Als Ich-Spiegelungen könnten, wie immer bei May, sehr viele Figuren betrachtet werden, Abd el Fadl (>Diener der Güte<) zum Beispiel, der über sechzig Jahre alte Patriarch, der innerlich aber noch Jüngling ist (I 537). Als ärmlicher Märchenerzähler (II 183) gibt er sich aus, obwohl er doch Fürst und einer der engsten Vertrauten des Mirs von Dschinnistan ist. Und auch jetzt wieder verbergen sich unter der oberschichtigen Handlung - und den hintersinnigen Gleichnissen - die alten, in die Jugend und Kindheit zurückverweisenden Traumata Karl Mays.(57) Die Vergangenheit des Dichters kehrt wieder im Dschirbani z. B., im >Räudigen<, der von allen verachtet wird, der Vater und Mutter sucht, der eingesperrt wird im Zwinger, der alle Arten des Gefängnisses durchgemacht hat und immer wieder entkommen ist (I 233).

Auch aktuelle Erlebnisse des Verfassers finden sich verschlüsselt in der Erzählung:(58) In Merhameh (>Barmherzigkeit<), der Tochter Abd el Fadls, einem munteren, unendlich sympathischen Kind von noch nicht siebzehn Jahren (I 517), zeichnet der Autor ein ins Sakrale entrücktes Porträt von Lu Fritsch, seiner jungen, ihn verehrenden Anhängerin,(59) die soeben in seinen Gesichtskreis getreten war (I 528). Und im Protest


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des Mirs von Ardistan gegen das öffentliche Verlesen des Schuldbuch(s) (II 470) könnte Mays Entrüstung über die Bekanntmachung seines >Sündenregisters< - im Verlauf der Rechtsstreitigkeiten - enthalten sein.

Im Text der Erzählung macht sich der Autor, wie erwähnt, auch Gedanken über die Reaktion der Leser, die >Ardistan und Dschinnistan< als langweilig und mystisch empfanden (z. B. I 563). Die seelische Beklemmung des Verfassers, seine Beängstigung (II 573), sein gestörtes inneres Gleichgewicht (II 354) sind, trotz der euphorischen Grundstimmung des Romans, im Text zu erkennen.

Wie zeigt sich, zwischen den Zeilen, der innere Mensch (II 277) Karl May? Ich beschränke mich im folgenden auf die Frage: Welche Auskünfte gibt der Roman über die menschliche und religiöse Entwicklung des Dichters?

Das im Roten Meer versunkene Ich, der >alte Adam<, der frühere Karl(60) läßt grüßen: Die Ich-Überhöhung, das Selbstlob des Autors, scheint mit den Großtaten Kara Ben Nemsis auch in >Ardistan und Dschinnistan< die seltsamsten Blüten zu treiben. May kämpfte literarisch dagegen an: durch die Kritik an seinen Ich-Derivaten.

Beginnen wir mit Halef, der niedrigen Anima (I 3) Karl Mays.(61) Der Hadschi, der im >Jenseits<-Band und im >Silbernen Löwen III doch so tiefgreifend geläutert wurde, müßte den Edelmenschen Kara Ben Nemsi ja längst schon erreicht oder gar übertroffen haben. Mitnichten! Er treibt es, als bloßer Erdenmensch (I 424), noch schlimmer denn je. Mit seiner Kriegslust erzürnt er den Sihdi (I 417ff.), das Über-Ich Karl Mays. Und in seiner Selbstüberhebung macht er sich lächerlich. Für einen Hanswurst, für den entsprungenen Hofnarren und Leibzwerg des Herrschers von Ardistan wird er gehalten (I 123). In scheinbarer Bescheidenheit (II 199) fällt er seiner Ruhmredigkeit doch immer wieder zum Opfer (II 146), ... und das Schlimmste dabei war, daß man ihm - weil er gar so lieb und possierlich war - überhaupt nicht zürnen konnte (II 147). Denn er selbst gesteht ja dann ein: » Wer sich für mehr ausgibt, als er ist und kann, dem schwindet der Boden unter den Füßen weg« (II 567).

Einen glänzenden Höhepunkt erreicht die Selbstironie des Autors in dem lebenden Reiter auf hölzernem Roß im Lande Ussulistan. Mit der wichtigen Aufgabe betraut, den Mir von Ardistan auf dem Pferde-Sockel zu imitieren, hat er sich - wie einstmals ein deutscher Poet - seine Masken, sein buntes Kostüm, seine martialischen Waffen selbst besorgt. Er sagt, dies gehöre zu seiner hohen Würde. Er hat sich nämlich so in die >hohe Würde< ... hineingelebt, daß er sie bereits für seine eigene


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hält und sich auch dann als Mir von Ardistan gebärdet, wenn er nicht auf dem Pferde sitzt. Man sagt deshalb, er sei im Kopfe irr geworden.(I 309)

Ein übriges tut beim stolzen Reitersmann der Alkohol bzw. - bei May - die exzentrische Sucht, der manische Trieb, die wuchernde Phantasie, die Ekstase des Schreibens. Im Denkmalsreiter sprach sich der Spiritus ... in ganz individueller Weise aus, nämlich durch Vergrößerung der Selbstüberhebung ... : »Ich bi -- bi -- bin nicht nur der Mi -mi-- mir von A --a -- ardistan, sondern sogar der Mi- mi-- mir von Dschi -- dschi -- dschinnistan!« (I 324)

Den neuen, künftigen Mir von Dschinnistan soll es tatsächlich bald geben. Der Dschirbani, der - als solcher noch unerkannte - Sohn des jetzigen Mir, wird es sein. Der Dichter enthält es dem Leser freilich noch vor. Zunächst (I 547ff.) spricht alles dafür: Er selbst, Kara Ben Nemsi, der Sohn eines blutarmen, deutschen Leinewebers (I 437), wird zum Friedensfürsten, zum Herrscher von Dschinnistan, zum Kommandeur der himmlischen Heerscharen erhöht. May spielt immerhin mit dieser Idee.

Im >Panther<, der den Mir von Ardistan seines Amtes enthoben und sich selbst an dessen Stelle gesetzt hat, steigert sich die Großmannssucht ins tödlich Absurde. Der Wahngedanke seines ganzen Lebens, ein großer Herrscher zu werden, kommt schließlich, in aussichtsloser Lage, zum >Ueberschnappen< (II 619): »Dieses Pferd kenne ich. Es ist das Schlachtroß des Kaisers der Ussul und also meiner würdig ... Ich muß ... zu meiner Armee!«(II 648f.) Der Panther, die >Bestie im Menschen<, der irre Stolz, der Größenwahn im Herzen Karl Mays, ertrinkt - weil er es selbst nicht anders will - in den Fluten des Ssul, des zurückgekehrten Flusses des Friedens. Den Panther sah, so die Beschwörungsformel unseres Autors, kein Auge jemals wieder (I 649).

Welcher Wahngedanke soll untergehen im Meer? Die Gleichsetzung des Schriftstellers mit seinem übermenschlichen Ich-Ideal? Die >Old Shatterhand-Legende< ist in der Öffentlichkeit ja längst schon zerstört. Aber das Geltungsbedürfnis des Dichters hatte noch eine andere, weit bedenklichere, im Alter sich verstärkende Komponente. Die narzißtische Neigung hatte eine religiöse, eine theologische Dimension! Gegen die Verdächtigung, sich selbst mit dem Heiland zu identifizieren, habe ich May - an anderer Stelle - verteidigt.(62) Wir müssen nun präzisieren: Die G e f a h r des >Messiaskomplexes< war in Mays Psyche durchaus vorhanden.(63) Dem Textbefund von >Ardistan und Dschinnistan< nach zu schließen, hat er diese Gefahr aber erkannt und ist ihr nicht wirklich erlegen.


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Analog zu den Selbstanklagen des Autors in den Reden des Münedschi, des Khutab Agha,(64) des Missionars Waller oder des Ustad,(65) enthalten die Bekenntnisse Schedid el Ghalabis, des Herrschers von Ardistan, die Beichte (II 353) Karl Mays. Da jeder Mensch in Beziehung auf das, was er innerlich zu leben und zu kämpfen hat, ein größerer oder kleinerer Mir von Ardistan (II 415) ist, liegt es nahe, in der Einkehr, Reue und Umkehr (II 270) des Fürsten auch den Kampf des Dichters mit sich selbst, ... mit seiner eigenen niedrigen Anima (II 145), zu erblicken.

Auf dem Weg zur >Totenstadt< erkennt sich der Herrscher in seiner Schwäche, in seiner Erbärmlichkeit. Gott rüttelt (II 456) an ihm so entsetzlich, daß er - der Verzweiflung schon nahe - zum Selbstmord (II 330) tendiert. Warum? Weil es für gewisse stolze Naturen geradezu fürchterlich ist, Gnade und Barmherzigkeit nehmen zu müssen und auf männlichen Zorn und rächende Kraft (II 381) verzichten zu sollen. Die Arroganz und der Dünkel des Mirs sind noch keineswegs tot. »Der innere Mensch ist nicht so leicht zu erschlagen, wie der äußere! ... Gib mir Zeit; gib mir Zeit« (II 277f.), bittet der Mir seinen >Therapeuten< Kara Ben Nemsi.

Erst in der Totenstadt wird der letzte Hochmut des Herrschers gebrochen. Zum Glauben an Gott hat er sich inzwischen bekehrt. Aber jetzt droht eine neue Gefahr, der r e 1 i g i ö s e Stolz. Der Fürst von Ardistan redet sich ein, er habe mit Gott gekämpft und sei nun eben besiegt worden. Doch damit stellt sich der Emir, wie Kara Ben Nemsi ihm vorhält, auf dieselbe Stufe mit Gott: »Die Wolke, die sich auflösen muß, prahlt, sich mit der Sonne gemessen zu haben! Ein Stück Holz, welches zu Asche verbrennt, rühmt sich knisternd, es ringe mit dem Feuer auf Leben und Tod! ... Wenn du wieder betest, so bitte Gott um Bescheidenheit!« (II 435f.)

Die Bescheidenheit war Mays Stärke nun wirklich nicht. Aber er wußte um ihren Wert. Den Basch Nasrani, den Oberpriester der Christen, läßt er - in Anlehnung an das Wort Martin Luthers(66) - bekennen: » Vor Gott sind wir alle Bettler!« (II 151)

In der Totenstadt will der Mir von Ardistan nicht nur die eigenen Sünden, sondern auch die Verbrechen seiner Ahnen auf sich nehmen. Die totale Verrücktheit? Die absolute Vermessenheit? Eine stellvertretende Sühne, eine Teilhabe des Menschen am Erlösungswerk Christi, hielt Karl May tatsächlich für möglich. Ich werde auf diesen Punkt noch zurückkommen. Für hier, für die Deutung der autobiographischen Leseebene des Romans, mag die These genügen: May durchschaute, zumindest teilweise, die Gefahr, die Versuchung, die mit sei-


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ner Erlösungstheorie verbunden war. Der Dichter stellt klar: Wer die eigene Schuld bekennt und die Sünden anderer auf sich nimmt, hat keine Veranlassung, sich dessen auch nur im allergeringsten zu rühmen. Solcher Erlöserstolz ist Wahnsinn, weiter nichts! (II 436)

May weiß und macht es deutlich im >Mir< Der Wahnsinn des Erlöserstolzes wäre erlöst, wenn der endliche Mensch sich >fallen< ließe in die Hand des unendlichen Gottes. Der Wahnsinn wäre geheilt, wenn der sündige, der Erlösung bedürftige Mensch sich >aufgehoben< wüßte in der Heiligkeit seines Schöpfers, an der er - aufgrund von Gnade - partizipieren darf.

Dem geläuterten Mir von Ardistan gibt der Effendi zu verstehen »Deine bisherige Stärke war Schwäche, aber deine jetzige, vermeintliche Schwäche wird dir zur Stärke und zum Ruhme werden.« (II 456) Also werden >Stärke< und >Ruhm< nun doch wieder zu letzten Zielen erhoben? Kara Ben Nemsis Zuspruch enthält keine andere Dialektik als die paulinische: »Das Niedrige in der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt damit kein Mensch sich rühmen kann vor Gott (...) Wer sich also rühmen will, der rühme sich im Herrn.« (1 Kor 1, 28-31)

III. Die christozentrische Botschaft: Die Wahrheit im Mythos oder Vom Mythos zur Wirklichkeit

Natürlich darf >Ardistan und Dschinnistan< nicht ausschließlich als Selbstbespiegelung des Verfassers interpretiert werden. Das Thema ist nicht nur die Seele Karl Mays, sondern die Menschheitsseele (I 224) überhaupt. In seiner Welt-Parabel will der Dichter von Wirklichkeiten (I 22) berichten, die alle Menschen betreffen und die sie unbedingt angehen.

Mit »rechten Dingen, wie man sie in unserer alltäglichen Lebenswirklichkeit gewohnt ist, geht es freilich in Ardistan und Dschinnistan nicht zu.«(67) Denn die Poesie, erst recht die Traum-Poesie, übersteigt und verdichtet die sichtbare Welt. Aber hat Mays Symbolik zur Wirklichkeit überhaupt noch einen Bezug? Wird die Realität hier nicht eher entstellt als erschlossen?

Hans Wollschläger stimme ich darin zu: Mays Bildsprache dient a u c h , wohl unbewußt, der Verschleierung, die Tabus aus des Dichters Vergangenheit sollen verhüllt, geschützt und verklärt werden.(68) Daß Mays Symbolik n u r in dieser - selbsttherapeutischen - Funktion das Interesse des Auslegers verdiene, ist aber nicht anzunehmen. Daß die allgemeine, die >menschheitliche< Botschaft des Romans »in ihren


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wichtigsten, von May immer wieder als Zentren genannten Partien dunkel und auch dem bemühten Verständnis einfach unzugänglich«(69) sei, das glaube ich nicht.

Sein persönliches Schicksal, »sein Drama vom >Verlorenen Sohn<«, verknüpft Karl May »mit der Geschichte der Menschheitsentwicklung, der inneren Umwandlung des >Gewaltmenschen< und dem geographisch-metaphysischen Aufstieg nach Dschinnistan«.(70) Die Wahrheit des Romans liegt in den (chiffrierten) psychischen Erlebnissen des Autors u n d in der kosmischen - vom Dichter geschauten - Erlösungsdynamik, die vom »Himmel«(71) kommt.

Zeit und Ewigkeit, Ardistan und Dschinnistan, irdische und himmlische Wahrheiten kleidet May in das unscheinbare, aber heilige Gewand des Märchens.(72) Seine Märchen und Mythen sind Friedens-Appelle. Nur politisch, nur ethisch sind diese >Märchen< freilich nicht zu verstehen. Sie enthalten - zum Teil verdeckt, zum Teil offensichtlich - theologische Aussagen: allgemein-religiöse, aber auch spezifisch christliche Botschaften.

In der schauenden Volksseele (I 223) zugeschriebenen Sagen, in erfundenen und dennoch wahren Legenden, nähert sich May dem Geheimnis der göttlichen Liebe. Die in Märchen und Mythen verhüllte, vom Kleid, vom mythologischen Gewand zu unterscheidende(73) religiöse Wahrheit will der Dichter seinen Lesern vermitteln.

Der zum christlichen Glauben bekehrte Mir von Ardistan gibt im Tempel der Totenstadt sein Innerstes preis: »Wo soll ich hingehen vor deinem Geiste? Und wo soll ich hinfliehen vor deinem Angesichte? - Stiege ich in den Himmel, so wärest du da. Stiege ich in die Hölle, so wärest du da. -- Nähme ich mir Flügel von der Morgenröte, und wohnte ich am äußersten Meere, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten!« ... »Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem starken, lebendigen Gott. Wann werde ich hinkommen und erscheinen vor Gottes Angesicht?« (II 376)

Worte der Sehnsucht, des Vertrauens auf Gott! Der Mir hatte mehr, viel mehr gesagt, als ich für möglich gehalten hätte ... Es drängte ihn; er konnte nicht anders. Aber er war noch nicht fertig. Er mußte auch noch das Allerbeste und Allerwichtigste, was er besaß, aus seiner Seele zu uns steigen lassen ... : »Jesus Christus ist derselbe, gestern und heut und auch in Ewigkeit! Amen!« (II 376f.)

Diese Bibelzitate(74) diese Gottes- und Christusbekenntnisse des Fürsten von Ardistan sind keine Zugeständnisse des Schriftstellers an fromme Gemüter. Den theologischen Duktus der Handlungssequenzen bringen sie auf eine einfache, der Überzeugung Karl Mays entspre-


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chende Formel: Das Ziel, die Erfüllung des Menschen ist Gott. Die ewige, die vollkommene Liebe, durch die Gottes Allmacht den Menschen - und die ganze Schöpfung - an sich zieht, ist erschienen in Christus, der für May der Weg, die Wahrheit und das Leben (II 197; vgl. Joh 14,6) ist.

Eine entscheidende Heilsrolle im Romangeschehen kommt Marah Durimeh zu. Die >Bedeutung< dieser Königin ist mehrschichtig. Wir können sie, in einigen Romanpartien, als Allegorie für das mütterliche Antlitz Gottes selbst interpretieren.(75) >Ardistan und Dschinnistan< kann als theologische Dichtung verstanden werden, in welcher sich (in Marah Durimeh) die mütterlichen und (im Mir von Dschinnistan) die väterlichen Züge Gottes widerspiegeln. Zugleich ist die ganze Erzählung, in ihrer zentralen Botschaft, christologisch zu deuten. Dieser Aspekt soll im folgenden herausgearbeitet werden.

Zwar werden in >Ardistan und Dschinnistan<, - wie in >Und Friede auf Erden!<(76) - die Wahrheitselemente auch der nichtchristlichen Religionen gewürdigt; zwar ist, mit großem Respekt, von den heiligen Büchern der Inder, der Parsen, der Chinesen und der Moslems die Rede (I 371); aber alles wird von der Bibel, vom Neuen Testament her gesehen (I 372f.). Die Glocken, die christlichen Glocken geben der ganzen Fabel den Rahmen (I 8; II 636) und schließen jeden anders schwingenden ... Ton in ihr herrliches Abendgeläute (I 8) mit ein.

Der Mir von Dschinnistan, dessen machtvolles Wirken auf G o t t, die transzendente Bestimmung, das absolute Jenseits alles Irdischen verweist,(77) ist ein Christ (II 201). Und die Lösung aller Geheimnisse, die Antwort auf alle Fragen kommt vom Hochaltar der christlichen Kirche (II 207), vom Bildnis dessen, dem alle Macht gegeben ist im Himmel und auf Erden (II 192). Denn das Heil, die Erlösung bringt der Sohn Gottes. In der Symbolsprache Mays: Das Leben, das lebendige Wasser spendet ... der >Sohn< (II 584), die mittlere Kuppe des Dschebel Allah.

Als religiöse Vision, als mystische Prophetie, als christozentrische Dichtung muß >Ardistan und Dschinnistan< gelesen werden. Mit grauem, phantasielosem Dogmatismus hat dieser Roman also nichts zu tun. Dem Sahahr, dem Zauberpriester der Ussul,(78) geht es um »die Bewahrung der Religion vor wahnsinnigfalschen Gedanken ..., die gegen alle Gesetze und Gewohnheiten sind, die wir von unsern Vorfahren ererbt haben.« (I 234f.) Über eine solche - rein konservative - Mentalität will der Autor den Leser hinausführen. Als Dichter ist Karl May ein Visionär und ein Träumer. Doch das >Sehen< und das >Denken< schließen sich hier keineswegs aus. May glaubt an die Evolution. Er hofft auf den Fortschritt auch in der Theologie, in der Reflexion über Gott und die


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Welt. Er postuliert eine Entwicklung - auch im Glaubensbewußtsein der Kirchen.(79)

Wie der Basch Nasrani treibt der Dichter Mission (II 380) für das Christentum. Er versichert, nichts >Unkatholisches< zu verbreiten.(80) Aber er denkt kritisch nach; er kommt auf interessante, auf ungewöhnliche und innovative Gedanken, die von der Redaktion des >Deutschen Hausschatzes< entsprechend beargwöhnt wurden. May tröstet sich mit dem Hinweis: »Es gibt wohl keine große Idee auf Erden, die nicht in den ersten Tagen ihrer Zeit für Wahnsinn galt.« (I 542)

Welche großen Ideen begegnen uns im Roman? Und wie sind sie, aus moderner theologischer Sicht, zu bewerten? Dies zu klären soll nun versucht werden. Angesichts der Kompliziertheit und der Fülle des Materials können wir freilich nicht alle, auch nicht alle theologisch relevanten Motive unter die Lupe nehmen. Wir müssen uns beschränken auf einige Hauptthemen. Über eine die großen Linien herausarbeitende Annäherung an das Werk Karl Mays und über fragmentarische (aber doch wichtige) Kommentare werden wir nicht hinauskommen.

1. Der Engel in der Wüste oder Die Konsekration der Materie

Der Dichter-Fürst Abd el Fadl hat nur ein einziges Buch geschrieben, mit dem er noch gar nicht fertig ist; denn der Reichtum des Stoffes erfordert viele Bände (I 561). Richtig! Die vielen Bücher, die dicken Bände, die May geschrieben hat, sind nur »Teile e i n e r unendlichen, nie zu Ende erzählten, immer erneut variierbaren Geschichte.«(81)

Die Reiseerzählungen sind, wie May selbst ja gesagt hat, nur Skizzen für das eigentliche Werk, das die früheren Motive wiederaufnimmt, sie parallelisiert(82) und emporhebt auf eine höhere Ebene. Das gilt für die Handlungsstrukturen, aber auch für die Schilderung von Landschaften, von Mineralien, von geologischen Formationen, von Pflanzen und Tieren. In >Ardistan und Dschinnistan< sind solche Naturbeschreibungen mit der eigentlichen Fabel und den eingeflochtenen Sagen und Märchen sehr kunstvoll verwoben. Wichtiger noch: Mays Landschaftsbilder erreichen eine andere Qualität, eine - in den >Geographischen Predigten< (1875/76) schon vorprogrammierte und im gesamten Erzählwerk schon angedeutete - religiöse und mystische Dimension.

a) Die Sympathie mit der Schöpfung

Das »Hüterevangelium«(83) Mays, die Erlösungsvision des Dichters hat nicht nur den Menschen im Blick. Ohne die Rangunterschiede von


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höherem und niederem Sein zu verleugnen, sieht der Schriftsteller den ganzen Kosmos, alles Lebendige und selbst die >tote< Materie in die Vollendungsdynamik mit einbezogen.

Diese Denkweise mußte den christlichen Lesern (falls sie Mays Roman überhaupt verstanden hatten) wohl eher befremdlich erscheinen. >Naturfreunde< hat es zwar immer gegeben, auch unter den Christen. Aber die kirchliche Frömmigkeit, der normale Katechismusglaube und das theologische Denken vor allem setzten die Akzente doch anders.

Die Zusammenschau von Gott und Natur wurde sehr schnell als >Pantheismus< verdächtigt. Eugen Drewermann beklagt noch heute eine »gefährliche Enge und Engführung der christlichen Theologie«(84) in der Frage nach dem Wesen und dem Schicksal der Kreatur, des untermenschlichen Lebens. Unter dem Einfluß des weitgehend anthropozentrischen Weltbildes der Bibel hat die abendländische Theologie eine Sichtweise begünstigt, die den Menschen als »von allen anderen Geschöpfen auf unendliche Weise unterschieden und in absolutem Sinne vor allen anderen Lebewesen bevorzugt«(85) erscheinen ließ. Während für Pythagoras und, im Anschluß an ihn, für Platon der Besitz der (unsterblichen) Seele noch nicht allein dem Menschen vorbehalten war,(86) hat das Christentum die Grenze zwischen dem menschlichen Sein und der übrigen Schöpfung verabsolutiert.

Der unbelebten Materie, den Pflanzen und Tieren schenkten die biblischen Heils-Visionäre nur geringe Beachtung. Zwar gibt es, in den Psalmen und bei den Propheten zum Beispiel, auch wichtige Gegenbelege: Feuer und Schnee, Berge und Hügel, die Bäume und »alles Vieh« sollen »preisen den Herrn« (Ps 148, 7ff.). Und Jesaia hat doch verheißen: »Die Wüste und das trockene Land sollen sich freuen, die Steppe soll jubeln und blühen (...) In der Wüste brechen Quellen hervor, und Bäche fließen in der Steppe. Der glühende Sand wird zum Teich und das durstige Land zu sprudelnden Quellen.« (Jes 35, 1.6b-7)11 Und bei Paulus steht, immerhin, ja geschrieben: »Die ganze Schöpfung wartet mit Sehnsucht auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes (...) Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes.« (Röm 8,19ff.) Die Wirkungsgeschichte von solchen - in der Bibel relativ seltenen - Worten blieb in der Theologie aber ziemlich bescheiden. Für naturale Betrachtungen und kosmologische >Träumereien< hatten die europäischen Theologen in der Regel nichts übrig. Ihr Interesse galt fast ausschließlich dem Menschen als dem Ebenbild Gottes.

Den kosmischen Visionen, der schauenden Naturmystik hat die


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kirchliche Orthodoxie (nicht immer mit schlechten Gründen) mißtraut. Als Ausnahme von dieser Regel könnte die »erste große deutsche Visionärin«,(88) die Äbtissin, Naturphilosophin und Medizinerin Hildegard von Bingen (1098-1179) gelten. In ihren von Papst Eugen III. anerkannten und empfohlenen Schriften(89) dringt sie ein in das innerste >Wesen< der Materie. Ihre Bildsprache stellt die sichtbare Schöpfung in den Kontext der >anderen Dimension<, der christlichen Trinitätstheorie. Das Leuchten der Sterne, die Feuerflammen des Himmels, die physikalischen Erscheinungen insgesamt werden zu Zeichen des göttlichen Geistes. Hildegard >sieht<, wie alles Irdische zur Begegnung mit der >kosmischen Sonne<, dem Symbol für Christus, hinaufführt. Denn die Erde ist >heilig<; sie bildet, so die Mystikerin, die »Materie für die Fleischwerdung des Gottessohnes«.(90)

Ähnlich dachte auch Franz von Assisi (1182-1226). Der von der Kirche zwar heiliggesprochene, von nicht wenigen Zeitgenossen aber für verrückt gehaltene und erst in jüngster Zeit, im Zusammenhang mit der Umweltbewegung, in breiteren Kreisen wiederentdeckte Franziskus war eine Ausnahme in jeder Hinsicht. Sein Denken und Handeln sprengten wohl sämtliche Grenzen. Im >Sonnengesang< sah er die ganze Welt, alles Sein und jegliche Kreatur, in der innigsten Verbindung mit Gott und, aus diesem Grunde, in geschwisterlicher Beziehung zum Menschen. Das im abendländischen Denken zerrissene Band, das die Menschheit mit der Schöpfung vereint, stellte er in seinem Lebensgefühl wieder her.

In der Vision des Franziskus hat jedes Ding eine Seele. Alles wird zum »Sinnbild«,(91) zum »Symbol« für den Schöpfer und seine Gegenwart in der Welt. Der Poverello preist den »höchsten, allmächtigen Gott« für die Sonne und alle Gestirne. Er besingt die Erde mit ihren Blumen. Er dankt für den Wind, für die Luft und die Wolken, für das Wasser und für das Feuer. Er lobt sogar den leiblichen Tod, der denen kein Leid tut, die »ausharren im Frieden« und die sich fügen in Gottes Willen.

Die geistliche Poesie, die weltliche Frömmigkeit des >Sonnengesangs< findet sich wieder - auf höherer literarischer Ebene - in der Dichtung des Humanisten, des Weltpriesters und Vorläufers der Renaissance Francesco Petrarca (1304-1374).(92) Er erfaßt die Bedeutung der Landschaft, der Berge und Ströme, der ganzen Natur für die Seele des Menschen. Der Aufstieg auf den Gipfel des Mont Ventoux wird für ihn zum entscheidenden Gotteserlebnis. In seinem Inneren verbinden sich, ohne Preisgabe der christlichen Daseinsdeutung, »erstmals die mystische Liebe zur Erde mit der aufbrechenden Psychologie der Selbstwahrnehmung und -erkenntnis.«(93)


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Auch für den reformatorischen Christen, den Schuster und Autodidakten Jakob Böhme (1575-1624) (94) aus Schlesien, wird die >Sprache der Natur< zum Weg der Gottes- und Christuserkenntnis, zum Weg der >Unio mystica< (wir werden, in anderem Zusammenhang, auf diesen Begriff noch zurückkommen) mit der göttlichen Weisheit und Liebe.

»Eines Tages im Jahr 1600 werden seine Augen von einem strahlenden, geradezu blendenden Widerschein der Sonne in einem blankgescheuerten Zinngefäß getroffen.«(95) Dieser Sonnenstrahl läßt Böhme die Welt als »die göttliche, englische und paradiesische«(96) durchschauen. Die Symbolik des Lichts und der Finsternis, die Dialektik von Gut und Böse, von Leben und Tod, die Sehnsucht nach dem »Leuchtfeuer«(97) Christi, das Verlangen nach der Rückkehr des verlorenen Paradieses, die Suche nach der menschlichen Seele, nach den harmonischen Kräften der Natur, nach der Einheit allen Seins, bestimmen von jetzt an sein Leben. Sie bringen ihn zugleich in Konflikt mit der lutherischen Orthodoxie: »Die Görlitzer Geistlichkeit gewährt dem Sterbenden erst dann das Abendmahl, als er ein mit ihm veranstaltetes Examen bestanden hat.«(98)

Die >naturtheologische< Geisteslinie könnte man weiterführen: über die Weltfrömmigkeit Goethes und die >Theosophie< der Schelling- und Baader-Schule (zu der auch Mays Landsmann Gotthilf Heinrich von Schubert gehörte) bis hin zu Teilhard de Chardin, dem visionären Theoretiker der christozentrisch verstandenen Evolutionslehre; und schließlich bis hin zur - durch die Schule der Tiefenpsychologie gegangenen - Sakramentenlehre des brasilianischen Befreiungstheologen Leonardo Boff.

Und der Roman Karl Mays? Mit den alt- und neutestamentlichen Prophetien, mit dem Sonnengesang des Franz von Assisi, mit der theologischen Poesie und den gedanklichen Reflexionen der großen Naturmystiker ist >Ardistan und Dschinnistan< - in wichtigen Passagen - sehr nahe verwandt: nicht als Imitation und natürlich erst recht nicht als Plagiat (von den erwähnten Schriften wird May nur die Bibel gekannt haben(99)), sondern als eigene Schöpfung, als symbolische Dichtung von hohem Niveau. Nicht die formale Struktur, nicht die spezifische Sprache, aber die Grundmotive, die Botschaft, die Spiritualität des franziskanischen Liedes und ähnlicher Texte begegnen uns wieder - umgesetzt in epische Handlung - im Werk Karl Mays. Belegstellen gibt es genug. Ich wähle, in diesem und im folgenden Unterabschnitt, einige aus.

Mit den Blumen und Tieren hat Franz von Assisi wie mit vernünftigen Menschen gesprochen. Auch Mays Erzählung enthält sehr schöne,


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oft zärtliche Szenen mit - z. T. sehr wild und böse gewesenen, durch die Liebe Kara Ben Nemsis aber verwandelten - Tieren. Wer mit dem Dichter glauben kann, daß auch die Blumen Seelen haben (I 371), den wird es gewiß nicht verwundern, daß auch die Tiere, die Hunde Aacht und Uucht (>Bruder< und >Schwester<), die Edelrosse Assil und Syrr, ja selbst der plumpe Smihk, das Gemütspferd (I 73) des Scheiks der Ussul, ins Transzendente verweisen. Sie gehören zur Vision (I 278), zum >Land der Sternenblumen<, zur lichten Welt Gottes.(100)

»Gelobt seist du, mein Herr, für alles, was du erschaffen hast.«(101) So hat Franziskus gesungen. Und Halef bewundert seinen Effendi: »Euer Vater aber ist überall! Du bist Dichter! Jeder Baum erzählt dir von ihm ... Sihdi, glaube mir, es gibt mehr, viel, viel mehr Gottessehnsucht auf Erden, als du denkst! Aber es fehlt an einem ... natürlichen Weg, Gott kennen zu lernen« (I 426).

Halefs Rede ist ungenau. Es fehlt nicht der Weg; aber er wird von den Menschen oft gar nicht gesehen. Den natürlichen Weg zu Gott will der Autor seinen Lesern erschließen, den Weg, den Gott selbst ja geschaffen hat: Denn die Selbstoffenbarung des Schöpfers in den sichtbaren Dingen (vgl. Röm 1, 19f.)(102) setzt der Dichter voraus.

b) Mays Bildsymbolik als kosmische Gottesschau

Die Offenbarung eines großen ... Zusammenhanges (I 468), das Band, welches die irdische Natur mit dem himmlischen Schöpfer vereint (I 426), beschreibt Karl May in einer Symbolik, deren Bildkraft dem Vergleich mit der biblischen Prophetie und Apokalyptik (mindestens) standhält und deren Botschaft und mystische Tiefe an Hildegard von Bingen, an den Sonnengesang des Franziskus, an Dichter und Seher wie Petrarca und Jakob Böhme erinnern.

Gleich zu Beginn der großen Erzählung spricht Marah Durimeh mit den Sternen (I 14). Doch >in< und >hinter< den Sonnen sieht sie - wie Hildegard von Bingen - noch wesentlich mehr: seelische und ... geistige Firmamente (ebd.), die den Augen des Glaubens sich öffnen.

In Ussulistan, auf dem Dach des Tempels, führen die Priesterin - die Vertraute Taldschas und Marah Durimehs - und der deutsche Effendi ein nächtliches Glaubensgespräch. Sie betrachten den heiligen Dom des Firmaments, in dessen unergründlicher Tiefe soeben das Herz der Erde brach, um ... in alle Welt hinauszurufen, daß auch der scheinbar tote Stoff, die vielverkannte Materie noch Kraft, noch Leben und Seele hat! (I 331f.)

Die Priesterin sieht das geöffnete Paradies, die künftige Gotteswelt.


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Sie zeigt dem Effendi die Flammen, die Feuersäulen der Vulkane von Dschinnistan: Da stieg es empor, ... , langsam, aber mit Macht! Zunächst violett, ... dann blau, ... glühend rot, orange, gelb ... Diese Feuersäulen bestanden aus strahlengefärbter nach aufwärts immer reiner werdender Flammenglut ..., bis sich zuletzt feste, unbewegliche Mauern bildeten, die aus brennenden Regenbogenfarben bestanden und auf ihren Zinnen tausend weithin strahlende Fackeln trugen ... So Etwas hatte ich noch nicht gesehen, noch nie geahnt! Das stand in keiner Physik, überhaupt in keinem Buche! ... Das Leuchten und Glühen, das Flackern und Flammen ... war ein Gebet der Erde (I 330f.).

Die physikalische Erklärung solcher Vulkanausbrüche bleibt an der Oberfläche des Phänomens. Die wissenschaftliche Analyse ist »richtig, ... aber von einer Richtigkeit, deren nackte Kälte uns innerlich frieren läßt.« (I 334). Hinter den Naturerscheinungen sieht die Priesterin die >Seele<, das >Herz< der Materie. Sie weiß, »daß alle sichtbaren Dinge dem Schöpfer dazu dienen müssen, uns die Geheimnisse jenes unsichtbaren Daseins zu enthüllen, dessen Gesetzen wir ... Rechnung zu tragen haben«(ebd.).

Die Priesterin erklärt Kara Ben Nemsi die wahre Bedeutung des Gesehenen: »Erhebe deine Augen, und schau nach Norden! Was du siehst, das ist das Tor des Paradieses. Du kannst seine Säulen, Mauern, Türme, Ecken, Kanten und Linien ganz deutlich erkennen ... Für den Gottesfeind hat sich da draußen die Erde geöffnet ...; für uns aber, die wir von dem Aeußeren auf das Innere ... schließen, werden die Tore des Paradieses aufspringen, damit.., . die Engel sehen können, ob endlich, endlich Friede auf Erden sei, oder leider immer noch nicht!« (I 333f.)

Claus Roxin hat zu >Ardistan und Dschinnistan< bemerkt: »Tempel, Vulkane, Berge, Fluß, Brunnenengel stehen alle miteinander in Beziehungen, die einerseits natürlich physikalischer Art sind, andrerseits aber auch eine göttliche Heilsbotschaft bergen, auf die Grundfragen von Leben und Tod (Wasser und Wüste) verweisen und ihre Beantwortung in den Gedanken von Friede, Liebe und Gewaltlosigkeit suchen.«(103)

Diese Motiv-Zusammenhänge sollen - entlang den Strophen des Sonnengesangs und in Entsprechung zum Handlungsverlauf des Mayschen Romans - entfaltet, theologisch erhellt und christozentrisch gedeutet werden.

Am Ende ihres Weges durchs trockene Land nähern sich Kara Ben Nemsi und seine Begleiter der Grenze von Dschinnistan. Sie erleben, in gefährlicher Nähe, den Ausbruch des >Sohnes<, der mittleren Kuppe


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des Dschebel Allah. Eine Naturkatastrophe, ein gewaltiges, das Kriegsheer des >Panthers< vernichtendes Erdbeben geht dem Ereignis voraus.

»Gelobt seist du, Herr, durch unsere Schwester, die Mutter Erde.«(104) Das Grab der Zerstörung und der Schoß des Lebendigen ist diese Erde. Aus dem Boden ist das stoffliche Leben genommen (vgl. Gen 2, 7), und zur Erde kehrt es wieder zurück (vgl. Gen 3, 19). Doch die Mächte des Todes werden zuletzt unterliegen. In seiner Bildrede über das Kommen der Endzeit hat der Herr des Lebens die Worte des Schreckens mit einer Verheißung verbunden: Die Erde (vgl. Mt 24, 7b) und die Kräfte des Himmels »werden erschüttert werden. Danach wird das Zeichen des Menschensohnes am Himmel erscheinen.« (Mt 24,29f.)

In homerisch(105) anmutenden Bildern schildert Karl May das Beben der Erde und - das Zeichen am Himmel: Es war, als ob sich im Innern der Erde Kräfte gesammelt hätten, die sich befreien wollten und doch nicht konnten. (II 574) ... In der Erde klirrte und rollte es, als ob eherne Sichelwagen, unter uns hinratternd, ihre metallenen Waffen aneinander wetzten; ein scharfer Wind pfiff plötzlich um uns her, und im nächsten Augenblicke stieg aus dem Krater sowohl des >Vaters< als auch der >Mutter<(106) eine glühende Garbe auf, und dabei erklangen Töne, wie wenn Milliarden von Feilen über Stahl und Eisen strichen. (II 576f.) ... Ein dröhnendes Rollen kam aus der Ferne ... Es ging unter uns hindurch. Es war, als ob eine meilenlange Riesenschildkröte unter unsern Füßen hindurchkröche. Sie hob uns, als sie uns erreichte, empor, schob ihren unerbittlich harten Leib immer weiter und ließ uns hinter sich dann wieder fallen ... Hierauf war es, als ob jene Riesenschildkröte sich umgewendet habe und zurückkehre ... Es folgte ein Schlag, als ob eine Gigantenfaust gegen das Innere der Erdrinde schmettere, so daß Alles ... haltlos in sich zusammensinken müsse, und im nächsten Augenblicke stieg etwas - nicht etwa Furchtbares und Entsetzliches, o nein, sondern etwas so unbeschreiblich Schönes aus dem Krater des >Sohnes< empor, daß keine Sprache der Menschen die Worte besitzt, welche nötig wären, es zu schildern ... Es glich einem hellen, tadellos geschliffenen Kelchglase ... (II 581ff.).

Was dieser - rettende - >Kelch< wohl enthält und was er bedeuten mag? Wir werden es sehen.

Der große Vulkan, der Dschebel Allah, der göttliche Berg wird aktiv - wie die Berge von Dschinnistan, deren Glut in Ussulistan, auf dem Dach des Tempels, schon zu erkennen war.

»Gelobt seist du, mein Herr, für Bruder Feuer, durch den du die Nacht erhellst.«(107) Doch das Licht und das Feuer sind ambivalent.(108)


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Man könnte an Verwüstungen denken, an brennende Städte, an verschlingende Flammen aus den Dächern von Kathedralen, an Dresden oder Hiroshima. Ein Feuerstrom entstieg der Erde. Er nahm die Gestalt einer Birne an, mit dem Stile [!] nach unten ... Mich faßte Grauen ... »An jenem Tage werden die Menschen sein wie umhergestreute Motten« (I 422f.).(109)

So spricht der Herr: »Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Was wünschte ich mehr, als daß es schon brenne! « (Lk 12, 49) Die Unheilsbilder, die Zeichen des Todes werden - in der Bibel, in der Mystik, im Spätwerk Karl Mays - zu Heilssymbolen. Diese >Verwandlung< kann das physische Auge nicht fassen. Es sieht nur das äußere Phänomen. Doch der innere Blick, das Herz, der Glaube sieht mehr. »Gibt es da oben wirklich den Vater, nach dem die Menschheit sucht?« (I 427), fragt Halef den Sihdi. Als Heilszeichen, als Leuchtzeichen der Ewigkeit erkennt der Hadschi die Flammen noch nicht: »Ich sehe da oben nur Berge, die Feuer speien.« (Ebd.) Kara Ben Nemsi, der Schauende, aber hat, »wie Moses einst im glühenden Busch, in diesem Feuer Gott gesehen« (ebd.).

Das Feuer zerstört, und es macht auch lebendig. Wie sich später herausstellt, verwandeln die Vulkane von Dschinnistan das tote Eis ins lebendige Wasser, das dem verschmachteten Land, der gestorbenen Gegend von Ardistan (II 271) die Rettung verheißt.

»Gelobt seist du, mein Herr, für Schwester Wasser.«(110) Unsere Flüsse und sogar die Meere drohen zu sterben. Dürrekatastrophen in aller Welt lassen ganze Länder veröden. Auch Kara Ben Nemsi und seine Gefährten reiten durch eine Landschaft, die immer trauriger wird (II 254). Der Boden ist so hart wie gegossenes Metall; er streckt sich der Feuchtigkeit in glühender Sehnsucht entgegen (II 270f.).(111) In der >Totenstadt< ziehen die Reiter an Häuserleichen vorbei, und die Bäume sind eben auch nur Leichen ... ohne Schale, Blatt oder Nadel (II 280f.). Wie schön war sie gewesen, diese einstige ... Residenz von Ardistan! ... Nun lag sie da als Leiche! (II 286f.)

Doch der Dichter fügt hinzu: Nein, nicht als Leiche! ... Diese Stadt lag vor uns wie der ohnmächtig zur Erde gesunkene Körper eines schönen Weibes, ... bewegungslos! Aber sobald das Blut aus dem Herzen zurückkehrt, wird die Ohnmächtige aufspringen (II 287)!

Der Mir von Dschinnistan hat dieser Stadt, vor Jahrtausenden, einen >Engel< geschenkt: den rettenden Brunnen, an dem sie sich wieder lebendig trinken kann (II 325). Schon unterwegs, in der Wüste, finden der Sihdi und Halef - an Jakob Böhmes Sonnenerlebnis (1600) kann man hier denken - ein glimmerreiches, vom Licht durchflutetes Felsenstück,


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das die Gestalt eines Engels besitzt. Die »Poesie des Gottesglaubens ... nennt dieses Zwiegespräch des scheinbar toten Steines mit der Sonne ein Wunder« (I 479), meint der Effendi. Das Wunder liegt in der Tiefe: Der Engel ist, wie die Wanderer feststellen, ein Brunnen, dessen Wasser sehr »kostbar und rein«(112) ist.

Beide Brunnen, die Engel in der Wüste und in der Totenstadt, tragen das Zeichen des Mirs von Dschinnistan: das Symbol Gottes (I 491),(113) das Dreieck mit dem Auge in seiner Mitte. Und beide Brunnen empfangen ihr Wasser von einer dritten, noch größeren und schöneren Engelsfigur: in El Hadd, an der Grenze zwischen Ardistan und Dschinnistan (II 612). Doch der eigentliche Spender ist der Dschebel Allah, das Symbol der göttlichen Trinität.(114) Das Wasser spendet der >Sohn<, der mittlere Krater des feuerspeienden Berges (II 540). »Seine Zeit ist gekommen ... Grün will er werden, ... wie er einstens war, als der Herrgott noch durch Ardistan pilgern konnte. Das Kleid des Lebens ... will er anlegen ... Er, der Segensreiche, der die Wasser von Dschinnistan ... sammelt, um sie tief unter der Erde zu den Engeln der >Stadt der Toten< und des Engpasses von Chatar zu leiten.« (II 576f.)

»Gelobt seist du, mein Herr, durch unseren Bruder, den leiblichen Tod (...) Selig, die ausharren im Frieden. Denn der Tod wird ihnen kein Leid tun.«(115) Vom Tod und vom Frieden wird noch zu sprechen sein. Zunächst nur so viel: Das Beben der Erde und der Ausbruch des >Sohnes< fügen den Friedenstruppen des Schech el Beled(116) kein Leid zu. Und nicht nur die Menschen werden verschont! Die ganze Schöpfung findet den Frieden: Durch die vulkanischen Kräfte, durch die Heils-Energien des >Sohnes<, durch den Ausbruch seiner - das volle Leben enthaltenden - Kelchfontäne (II 584) ist ein neugeborener Strom (II 590) entstanden, der die verödete Steppe ... bewässern und ... segnen wird.

Das ist mehr als bloße Naturromantik! Die Wiedergeburt des >Ssul<, des Flusses des Friedens, ist eine - mythologisch verkleidete -Zukunftsvision, die wahr ist im Sinne der alt- und neutestamentlichen Offenbarung: Wie einen Strom leitet der Herr den Frieden nach Jerusalem (Jes 66,12). Die Quelle des Lebensstromes aber ist Christus, der Sohn des himmlischen Vaters: »Ich bin das Alpha und das Omega, (...) der Anfang und das Ende (...) Wer Durst hat, der komme. Wer will, empfange umsonst das Wasser des Lebens.« (Offb 22, 13.17b)

Mays Wasser-Symbolik erinnert, wie Christoph F. Lorenz bemerkt, an die Taufe, das Sakrament der christlichen >Wiedergeburt<.(117) Ich gehe noch weiter: In >Ardistan und Dschinnistan< wird die ganze Schöpfung als >Sakrament<, als heiliges Zeichen für die Gegenwart


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Gottes verstanden. Das läßt an fernöstliche Religionen (die dem Roman auf weiten Strecken ihr Kolorit verleihen(118)) denken, an den Glauben der Hindus zum Beispiel: »Das ganze Universum ist von Mir durchdrungen,(...) in Mir sind alle Wesen.«(119) Die christlichen Kirchen differenzieren; sie kennen explicite nur wenige, an stoffliche Dinge wie Wasser, wie Brot oder Wein gebundene Heilszeichen. Aber es gibt auch christliche, auch katholische Theologen, die den Sakramentsbegriff in einem weiteren, der Gedankenwelt von >Ardistan und Dschinnistan< entsprechenden Sinne verwenden. Leonardo Boff wäre hier zu nennen.(120) Und auch der Indologe und Jesuit Ignatius Puthiadam, ein profunder Kenner des Christentums und der östlichen Religionen, erklärt: »Von Gottes Licht beleuchtet, wird die Welt zum Sakrament .«(121)

Mays sakrale Deutung der Welt ist theologisch fundiert, und seine Friedensvision ist ohnehin aktuell. Sie meint den Frieden auch mit der Schöpfung. Denn die Erde, der ganze Kosmos verweist auf den Schöpfer: Die Materie, die starre irdische Hülle, kam aus der Höhe und wird durch Wandlungen ... wieder nach dort zurückgeführt (I 345).

Diese Theorie mag neuplatonisch gefärbt sein. Im übrigen aber gilt: Die sinnliche Welt wird bei May eben n i c h t, wie im Neuplatonismus, als »böses Prinzip«(122) angesehen. Denn das höhere Leben Gottes sieht Karl May im >niederen< Leben der Kreatur schon vorgebildet (II 544). Der Dichter ist überzeugt: Gott wohnt überall. Wer so denkt, ist sicher kein Manichäer, kein Verächter des Leibes und der Materie.

In Mays Roman werden Seele und Leib, Geist und Materie, Mensch und Natur, Schöpfer und Schöpfung wohl unterschieden, aber nicht -dualistisch - voneinander getrennt. >Ard< heißt zwar >Erde<, auch >niedere, sumpfige Erde<, und >Dschinn< ist die >Seele<, der >Engel<, der >Geist<. Aber das Stoffliche selbst ist beseelt, und am Ende des Romans steht nicht die Zerstörung oder die Auflösung Ardistans, sondern die Rettung, »die Verwandlung und Erneuerung der alten Welt«(123) durch die Wirkkräfte Dschinnistans.

Unter den Wandlungen (I 345) der Materie versteht Karl May, das folgt aus der Grundgestimmtheit und der Gesamtkonzeption des Romans, die Verklärung, die Vollendung der sichtbaren Welt durch Gottes Allmacht und Liebe. Diese Weltdeutung kommt nahe heran an die »noch wenig begriffenen«,(124) in der Kirche - zum Teil - deshalb angefochtenen Gedanken des Jesuiten Teilhard de Chardin. Der christlichen Mystik, aber auch der biologischen Evolutionslehre verpflichtet, sieht Teilhard (wie Jahrhunderte zuvor schon Hildegard von Bingen und, im Ansatz, schon Paulus) eine Verwandlung, eine Ver-


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göttlichung, eine »Konsekration«(125) der ganzen Materie durch den >kosmischen Christus< im Laufe der Weltgeschichte voraus: »Wenn der Priester die Worte spricht: >Hoc est corpus meum<, dann fällt das Wort unmittelbar auf das Brot (...) Aber die große sakramentale Handlung bleibt nicht bei diesem örtlichen und augenblicklichen Gedanken stehen (...) Mein Gott, (...) gib, daß ich künftig jene unendlichen Perspektiven erkenne, die unter der kleinen, nahen Hostie (...) versteckt sind.«(126) Teilhard fragt seinen Gott: »Ist der unendliche Kreis der Dinge nicht die definitive Hostie, die Du der Wandlung unterziehen willst?«(127)

Die Symbolik Karl Mays weist durchaus in diese Richtung. Wie das Denken Teilhards und wie der Sonnengesang des Franz von Assisi ist >Ardistan und Dschinnistan< ein Lied von der Erde, ein Preislied der Schöpfung und, wie sich zeigen wird, ganz besonders des menschlichen Leibes.

2. Die >Rückkehr< Gottes oder Die Vollendung des Menschen

Mays Thema ist die Vollendung der Welt und des Menschen durch den kommenden Gott. Im Traum sieht Kara Ben Nemsi das letzte Geheimnis des Himmels und der Erde: Ich sah dann auch Gott selber kommen. (I 225)

a) Die Rede des Maha-Lamas von Dschunubistan

In phantastischer und äußerst befremdlicher Weise wird das >Kommen Gottes< zunächst inszeniert. Auf dem Ritt in die Wüste, noch in den Wäldern Ussulistans, belauscht der Effendi den Maha-Lama, den Großpriester (I 444)(128) von Dschunubistan, der als »wirklicher Gott und Herr der Welt in menschlicher Gestalt erschienen« (I 447) ist.

Der menschgewordene >Gott< und sein weltlicher Minister essen zwar wie die Ferkel (I 443); doch um so würdevoller ist die Ansprache des geistlichen Herrn: »Ich bin Gott!« (I 443) »Wer mich sieht, der sieht Gott ... Ich bin vom Himmel herniedergestiegen, um so lange immer wieder von Neuem geboren zu werden, bis ich die Menschheit von den Leiden des irdischen Kreislaufes befreit habe. Dies geschieht, indem alles, was auf Erden lebt, in das Nirwana sinkt. Ist dies geschehen, so ist mein irdisches Werk vollbracht, und ich steige zu andern Sternen auf, um es dort fortzusetzen. In dieser meiner Erlösungstat bin ich jetzt bis Dschunubistan gelangt... « (I 447).


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Seiner Selbstdarstellung fügt der >Gott< noch hinzu: »Diese niedrig stehende Menschheit mag an Liebe glauben ... Sie würde sich entsetzen, wenn sie die Wahrheit hörte ... Jedes lebende Wesen trachtet nach sich selbst, ist Egoist. Auch Gott! Je größer ein Wesen ist, desto gewaltiger ist seine Selbstsucht. Gott ... gibt nicht das Leben, sondern nur den Tod ... Als er das All schuf, vernichtete er sich selbst. Der Geist verwandelte sich in Stoff; der Schöpfer wurde Geschöpf. Um sich als Gott wiederherzustellen, muß er den Stoff in Geist zurückverwandeln, muß er die Schöpfung wieder vernichten, Schritt um Schritt, in umgekehrter Reihenfolge, wie sie entstanden ist. Das ist nicht Liebe und Leben, sondern ... Zerstörung ... Je höher Gott wächst, um so kleiner wird das Geschöpf.« Und auch der Mensch wird »immer kleiner ..., bis seine Existenz vollständig zu Ende ist und er ganz in Gott verschwindet. Dieses Aufhören alles eigenen Seins, dieses völlige, restlose Aufgehen in Gott, so daß es nicht mehr die geringste Spur von Erinnerung gibt, ist unsere Seligkeit, ist unser einziges und höchstes Ziel, ist -- Nirwana!« (I 448f.)

Der Maha-Lama wird insgesamt als negative Figur geschildert. Schon von daher ist klar: Wie die Vollendung der Welt und die Erlösung des Menschen nicht gedacht werden dürfen, will May demonstrieren.

Als Karikatur der östlichen Religionen, aber auch der neuplatonischen Emanations- und Erlösungslehre könnte die Rede des Großpriesters interpretiert werden. Was der >Allerhöchste< verkündet, scheint purer Zynismus und reine Blasphemie zu sein. Die Kritik des Erzählers fällt zunächst aber zurückhaltend aus. Das Gehörte hält Kara Ben Nemsi einstweilen für die höchst seltsame Uebertreibung einer an sich ganz gesunden Idee ..., der man im geistigen Leben der Völker auf Schritt und Tritt zu begegnen pflegt. Sie lieferte dem Maha-Lama das Milieu, in dem er aufgewachsen ... war ... Sie verursachte die religiöse Ueberspanntheit, an der er litt. (I 450)

Nach Walter Schönthal steht May »der Auffassung des Lama gar nicht so ablehnend gegenüber«.(129) Kann man das wirklich so sagen? Wir müssen differenzieren: W e 1 c h e an sich >gesunde< Idee liegt der Rede des Maha-Lamas zugrunde? Die ständige Neugeburt eines Gottes in Menschengestalt? Dieser, im Lamaismus ja tatsächlich verbreitete, Glaube erfüllt das erzählende >Ich< mit Grauen (I 452); der Effendi weist diesen Gedanken zurück.

Welche >gesunde< Idee könnte der Autor dann meinen? Die Erlösung des Menschen vom Kreislauf der >Wiedergeburten(130)


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Mit der >Geburt<, mit dem Segler Wilahde, der die Formen und die Linien vergangener Jahrtausende (I 2) hat, verlassen Kara Ben Nemsi und Halef die Residenz Marah Durimehs und erreichen die Küste der Erde. Ardistan aber ist - wie ein greiser Derwisch dem Hadschi weisgemacht hatte - das Land des Vergessens (I 52). Der Derwisch meinte, »daß die Erde eine Strafanstalt für Geschöpfe sei, die Allah nicht gehorchen wollten. Sobald sie durch das Tor der Geburt in das diesseitige Leben treten, vergessen sie alles Frühere.(131) Sie wissen nicht mehr, wer und was und wo sie gewesen sind, und können sich nur durch ... unerschütterlichen Glauben ... und gute Werke nach dort zurückfinden, woher sie gekommen sind.« (I 52f.).

Der Sihdi lehnt diese Rede nicht gänzlich ab. Über solche Dinge müsse man nachdenken (I 53), räumt er ein. Doch zur Erde als Strafanstalt enthält er sich eines Kommentars. Und daß der Mensch völlig vergessen habe, wer er sei, das läßt er nicht gelten (ebd.).

Der Derwisch »sagte, daß es im Leben eines jeden Menschen Augenblicke gebe, an denen ihm die Erinnerung an das vergangene Leben aufleuchte wie ein Blitz, der ebenso schnell verschwindet, wie er kommt.« (Ebd.).

Hier könnte der Autor jene >Déjà-vu-Erlebnisse< andeuten, die wissenschaftlich noch wenig erforscht sind(132) und von den Anhängern der Seelenwanderungslehre als Beweis für ein früheres Leben der Individuen (auf Erden oder auf anderen Sternen womöglich) betrachtet werden: Bekanntheitsempfindungen z. B. bei der ersten Begegnung mit einem bestimmten Menschen, einem Gegenstand, einem Land usw.

Auf eine genauere Deutung von solchen Erlebnissen läßt May sich nicht ein. Immerhin: daß wir vor der Geburt und der Zeugung im Herzen Gottes schon >existiert< haben, setzt er wahrscheinlich voraus. Doch den leiblichen Tod versteht er nicht als Übergang in ein weiteres irdisches Sein, sondern als endgültiges Tor zur Ewigkeit Gottes:(133) Das jetzige Leben ist ein »Anschauungs- und Uebungsunterricht..., den der Himmel der Erde erteilt, damit sie dann, wenn der Tod die Schule schließt, sich für die neue, herrliche Gotteswelt ... vorbereitet habe.« (I 411).

Was geschieht nun aber mit denen, die den Uebungsunterricht des Himmels nicht genützt und ihr Leben verfehlt haben? Mays Lösung, die stellvertretende Sühne, soll im nächsten Abschnitt besprochen werden. In jedem Fall gilt: Die Identität des - je einmaligen - Menschen steht für May fest. Von einem Kreislauf irdischer Wiedergeburten kann bei ihm keine Rede sein. Er denkt in diesem Punkt orthodox im Sinne der traditionellen - und auch der modernen - christlichen Theologie.(134)


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Was bleibt von der Wahnsinns-Rede des Maha-Lama, als an sich >gesunde< Idee, dann noch übrig? Die Antwort kann nur heißen: die Verwandlung des Alls durch den Schöpfer, die Vereinigung des Menschen mit Gott.

Diesen Gedanken hat der Großpriester pervertiert ins Absurde, in Haß und Zerstörung. Doch wahr ist für May der >Aufstieg<, die stufenweise Rückkehr der Materie und des Menschen zu Gott (II 544).(135) In >Ardistan und Dschinnistan< wie in allen Werken des Dichters ist die größte, die herrlichste und wichtigste Bewegung ... die Bewegung zu Gott empor, die in der Tiefe der Seele beginnt, um nach den ewigen Höhen des Himmels zu steigen (II 166).

b) Mystische Gotteserfahrung und weltliche Frömmigkeit

Wir müssen nun allerdings fragen: Kann der Mensch denn aus eigener Kraft >emporsteigen< zu Gott? An eine Selbsterlösung können Christen nicht glauben. Das Heil kommt von Gott, der dem Sünder entgegengeht - wie der Vater dem verlorenen Sohn (Lk 15, 20). Dem >Aufstieg< des Menschen geht der >Abstieg< Gottes in die Tiefen der Welt und des menschlichen Herzens schon immer voraus. Mays Roman verheißt die >Rückkehr< Gottes nach Ardistan (II 221). Im Kommen des Mirs von Dschinnistan erfüllt sich die Prophetie. Das ist, in der Form, natürlich ein Mythos, dessen wahrer theologischer Kern aber die Gnade ist. Denn die >Umkehr< zu Gott, die der Mensch in Freiheit vollzieht und die Karl May, am Beispiel des Fürsten von Ardistan, zur Anschauung bringt, wird selbst wieder ermöglicht durch Gott.(136)

Den Gnadencharakter des menschlichen >Aufstiegs< zu Gott läßt der Romantext sehr deutlich erkennen: Der Mir von Dschinnistan - auf der theologischen Reflexionsebene: Gott(137) - wohnt in Ardistan mitten unter den Menschen, ohne ihr Wissen und ohne ihre Erlaubnis. Er kennt sie alle von innen und von außen (II 324). Er hat ein Herz (II 326) für die Menschen und wollte nie, daß Ardistan ... zur Wüste werde (II 344). Er sendet auch jetzt seine Boten aus (Abd el Fadl, Merhameh, Kara Ben Nemsi u. a.), zieht dem Mir von Ardistan - dessen Läuterung schon begonnen hat - entgegen und befreit ihn aus Sünde und Tod.

Als Einladung, als Herausforderung, sich dem Mysterium, dem absoluten Geheimnis zu nähern, muß die ganze Erzählung gelesen werden. Mays Spätwerk wird zu Recht als mystisch bezeichnet,(138) obwohl der Autor das eher zurückwies (z.B. I 563). Mystisch und kontemplativ sind die Altersromane des Dichters insofern, als hier - penetrant schon fast - der Schöpfer als der Grund allen Daseins, als die letzte und


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eigentliche Wahrheit des Lebens bekannt und gepriesen wird: »Wir werden geleitet; wir werden geführt. Wir sind hier nicht allein!« (II 415) Der Schriftsteller findet in allen Dingen den Schöpfer. Immer und überall erfahren sich Kara Ben Nemsi, Merhameh, Abd el Fadl, oft auch Halef u. a., als angesprochen von Gott.

Die mystische Dimension im Werk Karl Mays wurde belächelt oder schweigend verehrt, aber noch kaum untersucht.(139) Zwischen wirklicher Gotteserfahrung und diffuser Schwärmerei, zwischen Mystik und Aftermystik zu unterscheiden, ist nicht immer ganz leicht. Theologisches Kriterium für die Echtheit der mystischen Erfahrung ist eine Frömmigkeit, die Gott als bleibendes (von der Seele des Menschen unterschiedenes) Gegenüber erkennt und n i c h t - pantheistisch - zum »Identitätserlebnis mit dem Absoluten«(140) entartet. Zum mystischen Dialog gehören, nach christlicher Auffassung, die Selbstoffenbarung Gottes in allen Dingen und die Antwort des Menschen in Glaube und Gebet.(141) Nach diesen Kriterien ist das mystische Erleben in Mays Roman zu befragen.

Taldscha hat, als Vertreterin einer >Urreligion<, keinen Glauben; ihre Gottesbeziehung ist >unmittelbar<. Sie meint zu Kara Ben Nemsi: »Wir haben Gott. Wozu brauchen wir da noch einen eigenen Glauben an ihn? Wir glauben nicht an ihn, sondern wir haben ihn.« (I 144) Der Effendi ist Diplomat -, aus Gründen des Takts und des Anstands läßt er sich in einen religiösen Streit (ebd.) mit der Scheikin nicht ein. Er hebt sich ihre Gedanken zur späteren Beantwortung auf (ebd.). Die Antwort gibt der Autor nur indirekt, aber deutlich: Schon der Fluß, der die Gärten Sitaras bewässert, heißt ja Ed Din, der >Glaube< (I 2), und nur der Glaube -das Vertrauen auf Gott(142) - kann den Menschen befreien (I 244) aus seiner Bedrängnis.

Daß es hier um letzte, um existentielle Erfahrungen geht, zeigt sehr schön eine Szene im Tempel der Totenstadt. In einer Spirallinie steigen die Begleiter Kara Ben Nemsis hinauf zur Spitze des Tempels. Dort oben können sie alles verstehen, was unten gesagt wird. Der Effendi, der unten bleibt, hört jedoch nicht, was oben gesprochen wird. Es mußte oben bleiben; es konnte nicht herunter zu mir. Um mich gab es nur tiefes, lautloses Schweigen (II 372). Die von den Baumeistern des Tempels gewollte Symbolik (ebd.) besagt vor allem auch dies: Gott hört uns sehr wohl! Aber wir, die wir unten sind, verstehen seine Worte nur schwer oder gar nicht. Die absolute Transzendenz, das scheinbare Schweigen, die vermeintliche Abwesenheit Gottes gehören auch zur Erfahrung des Mystikers.(143) Die Unsicherheit, der Zweifel, das Nichtverstehenkönnen, die dunkle Nacht (vgl. II 291ff.), die Sehnsucht nach


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Trost und die zeitweilige Verweigerung dieses Trostes - das alles ist auch für den Glaubenden eine bekannte Erfahrung.

Der Weg zu Gott, der Weg zum Glauben ist ... das Gebet (II 417). Der Maha-Lama von Dschunubistan betete nicht. Er war ja Gott selbst. Zu sich selbst zu beten, hält er für unsinnig (I 451). Für Merhameh und Abd el Fadl hingegen ist das Gebet, der Lobgesang von Dschinnistan (I 523), der Inhalt ihres Lebens: »Ja Kuda, ja Kuda, ja Kuda -- o Gott, o Gott, o Gott!«(I 513).

Solche Gottes-Minne, solches >Eintauchen< in den Namen Gottes ist in allen Religionen bekannt. Trotz der Offenheit für andere Religionen(145) ist >Ardistan und Dschinnistan< jedoch einer bestimmten Religion, dem alt- und neutestamentlichen Offenbarungsglauben, verpflichtet. Während der Christmette, in der Kathedrale von Ardistan, singen Merhameh und Abd el Fadl den Psalm 103: »Lobe, meine Seele, den Herrn. Der dein Leben vom Untergang erlöset und der dich krönet mit Gnade und Erbarmen. Der Herr ist gnädig und barmherzig, langmütig und von großer Güte ... Lobet den Herrn, ihr all seine Werke.« (II 211f.). Und der Basch Nasrani, der zum Mir von Dschinnistan in engster Beziehung steht (II 511), verkündet das Evangelium von der Geburt Jesu Christi (II 207). Der Weihnachtsgottesdienst, die heiligen Zeichen, die Worte des Evangeliums bewirken die Umkehr (II 376f.) und schließlich die Sühnebereitschaft des Herrschers von Ardistan. Man kann also zumindest sagen: Der spezifisch christlichen Mystik (die von der östlichen Mystik beeinflußt wurde(146)) steht >Ardistan und Dschinnistan< nahe.

Im Alterswerk wurde May »zum Realisten, ja zum höheren Doppelgänger des Realisten: zum Mystiker!«(147) Und doch wollte er, wie gesagt, nicht als Mystiker gelten. Warum? Mit dem Wort >Mystik< sind oft auch Vorstellungen verknüpft, mit denen May nichts im Sinn hatte. In der Mystik gibt es unterschiedliche Richtungen, z. B. die Tendenz, die Welt und den Menschen wirklich >aufgehen< zu lassen in Gott. Dieses Aufhören alles eigenen Seins, dieses >Nirwana<, das der Maha-Lama als Seligkeit, als höchstes Ziel (I 449) bezeichnet, liegt Karl May aber fern.

Manche Mystiker sehen den Sitz der Sünde im >Ich<. Sie versuchen sich ihres persönlichen »Ichs zu entledigen, um im ekstatischen Bewußtsein, in der u n i o mystica aufzugehen.«(148) May dagegen sucht, wie Eckard Etzold richtig herausstellt, »die Erlösung im Raum personaler Erfahrung«, in der c o m m u n i o mystica, in der Gemeinschaft des Individuums mit dem Schöpfer, den Mitmenschen und der übrigen Kreatur. »Mit dieser Akzentverlagerung umgeht May die theologische


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Problematik der deutschen Mystik, in der die Unterscheidung zwischen Schöpfer und Geschöpf nur allzuhäufig zu verschwimmen droht.«(149)

Der christlichen Mystik ist, so Karl Rahner, die Frage zu stellen, »wie in ihr die inkarnatorische Struktur (...) gewahrt bleibe«,(150) der zufolge die Weltlichkeit - durch die Menschwerdung, den Abstieg Gottes ins Fleisch - »gerade zum eigentlich Christlichen gehört.« Denn nicht die Entweltlichung, nicht die Auflösung der Person und nicht die »Lösung von der Materie«,(151) sondern die heilende Verklärung aller gottgeschaffenen Wirklichkeit ist das Merkmal des christlichen Glaubens.

>Ardistan und Dschinnistan< weist dieses Kennzeichen auf. Dem Roman liegt eine ausgesprochen weltliche Mystik zugrunde: ein Glaube, der die Erde liebt und die Leiblichkeit, den Leib des Menschen vor allem, in die Vollendungsvision miteinbezieht.

In der Bildsprache Mays hat Arno Schmidt eine sexuelle Symbolik erkannt. Schmidts Einfälle sind zwar abwegig in vielen Details. Aber etwas Richtiges hat er doch gesehen:(152) Mays Erotik, seine kaum verborgene Leibfreudigkeit, deren theologische Relevanz von Schmidt freilich ignoriert wurde.

In der archetypischen Zuordnung hat die Leiblichkeit eher weiblichen Charakter.(153) Daß das weibliche Prinzip beim späten May dominiert, ist bekannt. Bezeichnenderweise vergleicht er die Totenstadt mit dem Körper einer schönen Frau, die - aus dem Tode erwacht - zu neuem Leben erblühen und noch viel lieber und teurer werden soll, als sie uns vorher gewesen ist (II 287).(154)

Im Traum sieht Kara Ben Nemsi herrliche Wesen ... Ihre Gestalten erschienen mir köstlicher und schöner, als Menschen je gestaltet gewesen sind (I 515). Halef - und mit ihm der Dichter - ist von der Schönheit, dem himmlisch-irdischen Glanz Merhamehs entzückt (I 527). Und zunächst von Marah Durimeh, der herrlichen, mächtigen Frau sprechend, meint die Priesterin der Ussul: Auch unsere eigenen Gestalten sollen verschönert und verklärt (I 345) werden.

Das christliche Glaubenssymbol für solche Hoffnungen ist der verklärte Leib des auferstandenen Herrn, aber auch die leibliche Aufnahme Marias in den Himmel.(155) Beide Glaubenssymbole sind als Verheißung für das ganze Menschengeschlecht zu verstehen. (156)

Da der Leib für die ganze Reichweite des Lebens steht,(157) darf man sagen: »Das Ende der Wege Gottes ist die Leiblichkeit.«(158) Auch im Blick auf Mays Symbolik ist Barbara Gerl, der Guardini-Biographin, zuzustimmen: »Vielleicht werden erst künftige Generationen die Einsicht ganz vollziehen, wie untilgbar und - ich bin versucht zu sagen - wie erotisch und wirksam der Bezug ist, den wir unter der schwachen


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Zuordnung >Himmel< und >Erde< oder >mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen< eher verbergen als offenbaren.«(159)

3. Die Stadt der Toten oder Die stellvertretende Sühne

Leib und Seele, Erde und Himmel, Ardistan und Dschinnistan gehören zusammen. Doch Ardistan hat seine Verbindung mit Dschinnistan gelöst und den Himmel befehdet. Das Band des Lebens ist zerrissen; denn »der Sünde Sold ist der Tod« (Röm 6, 23). Als Symbol eines Menschheitsgrabes(II 493) paßt die Landschaft von Ardistan also gut zu den Menschen. Die Wüste ist ein treues Abbild der verlorenen Seele des Menschen und seiner Trennung von Gott.

In Mays Roman siegt aber die Gnade. >Ardistan und Dschinnistan< ist ein Lied von der Erde, die - entsühnt und wiederbelebt - den Tod überwunden hat. Vom Herrn über Leben und Sterben ist dem vertrockneten Land, in der Vision des Dichters, erlaubt worden ..., heut Auferstehung zu feiern (II 475).

a) Die Dschemma der Lebenden und der Toten

Kara Ben Nemsi, der Mir von Ardistan und ihre Gefährten nehmen die >Auferstehung< vorweg. Sie wurden vom >Panther< gefangen und in die frühere, zur Wüste gewordenen Hauptstadt gebracht. Doch im >Gefängnis Nr. 5< hat der Effendi die Schlüssel zu allen verborgenen Türen gefunden, und die Helden dringen nun ein ins Geheimnis der Totenstadt. Im Souterrain des Gefängnisses, in den Tiefen der Erde, im »regressus ad uterum«(160) hatte der Tod ihnen von allen Seiten entgegengegrinst; aber als wir ihn genauer betrachteten, war er zum Verkünder des Lebens für uns geworden. Wir hatten das Grab gesprengt. Wir strebten aus ihm heraus, und kaum hatten wir diesen Willen bekundet, so kam uns auch Hilfe von außen, von den Bergen herab ... Man mußte an die >Heerscharen Gottes< denken (II 493).

Leben und Tod sind dialektisch zu verstehen. Im Tod verbirgt sich das Leben (I 381f.). Bei May wie in der Bibel sind Leben und Tod zugleich auch Metaphern für die - positive oder negative - Beziehung des Menschen zu Gott und zur Schöpfung: Wer liebt, ist hinübergeschritten vom Tod in das Leben (vgl. Joh 5, 24). Die Herren von Ardistan aber sind im Tode geblieben; denn sie hatten nicht richtig gelebt. Sie hatten nichts getan für die Armen im Land. Ihr Verhalten war rücksichtslos. Die Güte und die Liebe waren, wie der Fluß Ssul, aus


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ihrem Lebensbereich verbannt. Doch mitten im Reiche des Todes(II 326) sieht der jetzige Mir von Ardistan ein: Das »andere Leben wird kommen ... sofort nach dem Tode« und vielleicht »schon im jetzigen Dasein. Denn ich mag zu der Frage der Dschemma >Ja< oder >Nein< sagen, ich lege damit doch den Grund zu dem, was nach dem Tode mit mir geschieht« (II 391).

Mit der Dschemma, dem >Gericht<, hat es eine besondere Bewandtnis. Alle Herrscher von Ardistan träumten denselben Traum: Sie wurden auf einer Sänfte in einen Gerichtssaal getragen. Alle Maha-Lamas und alle Fürsten von Ardistan, die jemals gelebt haben, sind dort versammelt. Sie sind tot und doch »nicht tot. Ihr Fleisch ist warm und weich. Sie können sehen und hören. Sie können sprechen. Sie stehen auf ... ganz wie die Lebenden -« (II 387). Die Herrscher sind gefesselt und sollen von den Lamas gerichtet werden. Den Vorsitz führt Abu Schalem, der gerechteste und gütigste aller Maha-Lamas, die es gegeben hat. Vor dem Träumenden liegt das Schuldbuch sämtlicher Emire und vor jedem der toten Herrscher ein besonderer Kontoauszug aus diesem Buche (II 386). Kein Verbrechen, keine Sünde und keine Unterlassung, die nicht verzeichnet wären im Buche! Die Anstifter eines Krieges sollen am strengsten bestraft werden; für sie »ist der Dschemma kein Erbarmen erlaubt. Das kann nur der höchste Richter, nur Gott allein verzeihen!« (II 386f.)

Die Vergebung durch Gott scheint an eine höchst seltsame Bedingung gebunden zu sein: Der Träumer wird gefragt, »ob er seine Ahnen erlösen und alle diese Sünden, diese Kriege und dieses Blutvergießen von ihnen weg und auf sich nehmen wolle. Tue er es, so seien ihre Seelen sofort frei und die seinige, sobald er gesühnt habe, auch. Tue er es aber nicht, so bleiben ihre Seelen gefesselt wie bisher, und er selbst könne nicht eher sterben und auch nicht eher begraben werden, als bis ein späterer Mir von Ardistan so kühn und opferfreudig sei, sie alle zu erlösen.« (II 387f.)

Noch keiner der Träumer war bereit, zu seiner persönlichen Schuld zu stehen. Und auf die Frage, ob er seine Vorfahren erlösen wolle, gab noch jeder denselben Bescheid: »daß er keine Lust habe, Schulden zu bezahlen, die er nicht gemacht habe, und gewiß auch nicht berufen sei, Ahnen zu erlösen, die genau ebenso keine Lust gehabt hatten, die ihrigen zu erretten. Ein Jeder sühne seine eigene Schuld, wenn es überhaupt nach dem Tode ein ferneres Leben gebe!« (II 388)

Schedid el Ghalabi, der jetzige Mir von Ardistan, erzählt dem Effendi diesen Traum seiner Väter. Er selbst wird, wie er meint, dasselbe bald träumen. Doch der Dichter Karl May verwandelt den Traum in die


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Wirklichkeit. Während das >reale< Geschehen im Schlußband des >Silberlöwen< zum >großen Traum< des Erzählers geführt hat,(161) wählt May - formal - jetzt den umgekehrten Weg: Dem Traum der Ahnen folgt das >wirkliche< Erlebnis des jetzigen (vom >Panther< seiner Macht beraubten) Emirs.

In einem unterirdischen, von Abu Schalem - in der Totenstadt, am einstigen Maha-Lama-See - errichteten Gebäudekomplex(162) erfüllt sich das Schicksal des Fürsten (und seiner Väter). Das Bauwerk besteht aus dreihundert Sälen. Sie enthalten Reis und Getreide, verschiedenste Lebensmittel und Vorräte jeglicher Art. Alles duftet nachfrischer Ernte (II 363). Nichts ist verdorben! Brot für die Vielen, Brot für die Welt! Und in einem anderen Raum, als >Dschemma der Toten< bezeichnet, entdecken Kara Ben Nemsi und seine Begleiter die wie lebendig aussehenden Leichen der Emire und Maha-Lamas von Ardistan!

Der Mir ist außer sich: »Mein Vater! Mein Vater! Gefangen und gefesselt! Du, du! ... Und auch du, auch du! ... Der Vater meines Vaters! Mein Großvater! Was wirft man euch vor ... ? Sagt es mir! Ich muß es wissen!« (II 405)

Die Gesetze von Zeit und Raum gelten nicht mehr. Das Undenkbare, das Unmögliche - hier wird es Ereignis. Die Toten, Abu Schalem, der Vater und der Großvater des Mirs, stehen auf. Sie verlassen ihre Plätze. Sie betreten den Nebenraum. Dort, in der >Dschemma der Lebenden<, soll der jetzige Emir vernommen werden. Der Richter ist Abu Schalem, der Hochbetagte,(163) der Greis aus vergangenen Jahrhunderten. Auch Lebende, Kara Ben Nemsi und andere, sind zu Richtern bestellt. Die Verteidigung übernehmen Abd el Fadl und Merhameh, die >Güte< und die >Barmherzigkeit<.

Marah Durimeh und der Mir von Dschinnistan haben seit langem dies alles vorausgeplant. Eine Zauberei, ein okkultes Spektakel? Ein abergläubisches Schamanenspiel mit den Leichen der Verstorbenen, wie der Scheik der Tschoban im stillen vermutet (II 464)?

»Schon immer haben wir die Szenen bewundert, in denen es May gelang, die Vision der lebenden Toten ohne jede Peinlichkeit zu gestalten.«(164) Mays Erzählkunst steigert sich zur vollendeten Meisterschaft. Diese Partien zu den faszinierendsten und »ergreifendsten Szenen der Weltliteratur«(165) zu zählen wird keine Übertreibung sein. Doch nicht der ästhetische Rang, sondern der theologische Aussagewert dieser Szenen steht hier zur Debatte.

May schreibt bildhaft und surrealistisch. Die lebendig werdenden Leichen gehören ins Reich der Phantasie und des Traumes. Die >Auferstehung des Fleisches< im Sinne der christlichen Hoffnung meint ja


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nicht die Wiederbelebung von Leichen, sondern die endgültige - unsere Vorstellungskraft übersteigende - Bergung des Menschen in der Ewigkeit Gottes.(166) »Gesät wird ein irdischer Leib, auferweckt ein überirdischer Leib.« (1 Kor 15,44) Die irdischen Körper des Abu Schalem und der Fürsten von Ardistan kehren, folgerichtig, in den Tod wieder zurück (II 473f.). Ihre Verwandlung, ihre wirkliche und endgültige Auferweckung, kann, wie May wohl erkennt, nicht adäquat beschrieben werden.

Die >Dschemma der Toten und der Lebenden< ist ein Märchen.(167) Welche Einsichten, welche Wahrheiten enthält dieses Märchen? Das Schuldbuch mit den besonderen Kontoauszügen verweist, theologisch bedeutsam, auf die letzte Verantwortung des Menschen vor Gott. Die biblische Parallele: »Ich sah die Toten vor dem Thron stehen, die Großen und die Kleinen. Und Bücher wurden aufgeschlagen; auch das Buch des Lebens wurde aufgeschlagen. Die Toten wurden nach ihren Werken gerichtet, nach dem, was in den Büchern geschrieben stand.« (Offb 20,12)(168)

In d i e s e r Vision, in der apokalyptischen Schau des Johannes, hätten die Herrscher von Ardistan freilich kaum eine Chance, gerettet zu werden. Mays Roman aber weist einen Weg: die stellvertretende Sühne! Schedid el Ghalabi entlastet seine Ahnen! Er nimmt, unter dem Druck der Ereignisse, die Sünden seines ganzen Stammes auf sich (II 470).

Ist das keine Vermessenheit (II 430)? So fragt der Emir sich selbst. Ist die Übernahme von fremder Schuld keine absurde, keine heillose Selbstüberforderung? Hat nicht jeder an seiner eigenen Last schon genug zu tragen? Ist eine >stellvertretende< Sühne theologisch überhaupt denkbar und möglich? Kann der Mensch durch andere Menschen >vertreten< werden vor Gott? Wird die eigene Verantwortung des Individuums damit nicht aufgehoben? Und wird die Gnade Gottes nicht verdunkelt durch die Sühne-Leistung des Menschen? Diesen Fragen müssen wir uns im folgenden stellen.

b) Mays Roman und der biblische Stellvertretungsgedanke

Es gibt, behutsam formuliert, eine Solidargemeinschaft der Menschen auch in Trauer und Leid. Auch ein gemeinsames Erbe der Schuld ist nicht zu bestreiten: Die Schuld des einzelnen hat Folgen für seine Nachwelt. Über diese Einsicht hinaus war in der älteren Zeit des Volkes Israel die Kollektiv-Haftung eine selbstverständliche Vorstellung: Adams Sünde bringt der ganzen Menschheit den Tod (Gen 3)!


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Schon der Erzvater Abraham ergänzt dieses alte Kollektivdenken durch ein neues, ins Positive gewendetes Solidaritätsdenken: Sollte die Gerechtigkeit von einigen wenigen nicht allen zugute kommen? Der Stammvater Israels fragt seinen Gott: »Vielleicht gibt es fünfzig Gerechte in der Stadt. Willst du (...) nicht dem Ort vergeben wegen der fünfzig Gerechten dort?« (Gen 18, 24) Selbst wenn es nur zehn Gerechte gäbe, würde Gott die Stadt noch verschonen (Vers 32). Und wenn es nur e i n e n Gerechten gäbe? Dies zu fragen, wagt Abraham nicht. Die biblische Erzählung schützt so »die Einzigartigkeit und das Wunder der Botschaft von dem Einen, der für die >Vielen< Heilung und Sühne schafft (Jes 53, 5, l0)«.(169)

In der Religionsgeschichte kommt der - oft magisch verstandenen -Stellvertretungsidee eine hohe Bedeutung zu.(170) Und in der biblischen Offenbarung ist die >Stellvertretung< eine Grundkategorie, die von der christlichen Theologie allerdings »nur kümmerlich entfaltet«(171) wurde. Die Wiederentdeckung des Stellvertretungsgedankens könnte dem Glauben, so Joseph Ratzinger, »zu einer entscheidenden Erneuerung und Vertiefung seines Selbstverständnisses verhelfen«.(172)

Die alttestamentliche Schöpfungsurkunde sieht den Menschen als Mandatsträger für die gesamte Kreatur (Gen 1, 26ff.). In Abraham werden »alle Geschlechter der Erde« gesegnet (Gen 12, 3); und Israels Erwählung geschieht zum Heil aller Völker.(173) Da sich Israel seinem Auftrag entzieht, wird seine Berufung einem »heiligen Rest« (Jes 1, 9; 10, 20f.) übertragen. Dieser Gedanke verdichtet sich in den messianischen Gestalten des >Gottesknechts< (Jes 53, 11) und des >Menschensohnes< (Dan 7,13), die - aus neutestamentlicher Sicht - ihre geschichtliche Realisierung in Christus finden.

Christus ist der Eine, der für alle sein Leben gibt. Aber auch nach Christus behält der Stellvertretungsgedanke seine Gültigkeit: Maria und die Apostel stehen »für die ganze Kirche, diese vertritt die ganze erlöste und zu erlösende Menschheit, welche ihrerseits den ganzen (auch materiellen) Kosmos repräsentiert und der Verklärung teilhaftig machen Soll.«(174)

Das Erlösungswerk Christi setzt sich, in Abhängigkeit von ihm, weiter fort in der Nachfolge des Herrn (vgl. Mt 10, 38). Ein letzter Ernst, eine Relevanz für das Leben der Welt(175) ist dem Heilsdienst der >Nachfolger< verliehen. Paulus (oder ein Schüler des Apostels) schreibt sehr kühn und gewagt: »Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt. « (Kol 1, 24) Joseph Ratzinger drückt denselben Gedanken allgemeiner und vorsichtiger aus: Wir alle sind »gerufen, in Christus zweiter Adam zu


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werden, vom selbstsüchtigen Sein überzugehen zum Sein-für-die-Anderen, an seinem Stellvertretungsdienst teilzunehmen«.(176)

Was speziell die Erlösung oder Läuterung der Verstorbenen betrifft, gilt zumindest in der katholischen Theologie: »Das fürbittende Gebet und das ganze (...) Wirken der Lebenden kann den Verstorbenen in diesem Läuterungsgeschehen helfen (...) Wie ich mein ganzes irdisches Leben niemals absolut unabhängig von anderen Menschen leben konnte, (...) so wird auch in der läuternden Begegnung mit Christus das liebende Gedenken anderer mir wichtig sein: Es wird mich tragen und mich öffnen (oder es wird mir fehlen).«(177)

Der Stellvertretungsgedanke ist wichtig. Einschränkend muß freilich gesagt werden: Durch den Heilsdienst anderer wird der einzelne nicht >überspielt<. Die Zuwendung des Heils an >die Vielen< hebt die Freiheit des Menschen nicht auf, sondern verlangt die - von Gottes Gnade ermöglichte - »innere Zustimmung seitens der Geretteten«.(178)

Nach theologischen Kriterien und in der biblischen Perspektive können wir die stellvertretende Sühne des Emirs von Ardistan nun beurteilen. Jeder Mensch habe »die Aufgabe, seine Ahnen und sich selbst zu erlösen« (II 395), meint Kara Ben Nemsi. Das geht nun freilich zu weit! Diese Formulierung ist theologisch unhaltbar.

Die Rede von der Selbsterlösung nimmt May aber faktisch zurück: Nicht weil er sich selbst erlösen könnte, sondern weil die Güte und Barmherzigkeit Gottes schon unterwegs (II 431) sind zu ihm, darf der Mir von Ardistan die Last seiner Väter auf sich nehmen. Schedid el Ghalabi ist zwar der Träger seines Stammes; auf ihm lastet alles Verborgene, das seine Ahnen zu Berge häuften, das Gute und auch das Böse. (II 352) Aber nicht er selbst, sondern Gott ist die Macht, die alles herrlich hinausführt (ebd.; vgl. Jes 28, 29).

Die Dschemma, vor welcher der Emir sich anklagt und seine Schuld bekennt, setzt sich zusammen aus sündigen Menschen (II 469), die selbst der Gnade bedürfen. Die letzte Instanz, an die der Mir sich wendet, ist folglich nicht die Erde, sondern der Himmel (II 430), die absolute Transzendenz des allgegenwärtigen Schöpfers. Die Dschemma »übe Gerechtigkeit,- die Gnade sendet uns Gott!« (II 468).

Die ganze Last, die gesühnt werden muß, liegt - wie May erst später verdeutlicht - nicht auf dem Mir, sondern in der Hand des höchsten Richters (II 472), in der Hand Gottes. Schedid el Ghalabi wird von aller Schuld und Strafe (ebd.) befreit; er hat, zuletzt, überhaupt nichts zu >sühnen<. Sein Heilsdienst löst das Sühnewerk Christi also keineswegs ab. Der eigentliche Erlöser bleibt Gottes Sohn (I 221). Daß »durch Jesus Christus die Welt schon erlöst ist«,(179) wird hier vorausgesetzt.


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Doch der Mir - und jeder andere Mensch - darf >teilhaben< am Dienst des Erlösers. So verstanden ist der Sühnewille des Mirs legitim und bedeutsam.

Entlastet die >stellvertretende Sühne< - durch Jesus und seine Nachfolger - den Sünder >automatisch< und ohne dessen Mitwirkung?(180) Abu Schalem erklärt dem Fürsten von Ardistan: Die ganze Schuld »falle auf denjenigen ..., der gegen das Versprechen handelt, welches du uns hier und heut gegeben hast! ... Dieses Schuldbuch sei dein! Nimm es hin, doch ... hebe es dir und den Deinen heilig auf, damit ein Jeder von ihnen wisse, welch eine ungeheure Last er auf sich nimmt, sobald er gegen ... Gott und seine Menschheit handelt!« (II 472)

Das Verhältnis von Gnade und Freiheit,(181) von stellvertretender Sühne und bleibender - unvertretbarer - Verantwortung jedes einzelnen, kann spekulativ nicht restlos geklärt werden. Daß keiner verlorengeht, kann man nicht >wissen<. Aber man kann, wie Marah Durimeh, an die Barmherzigkeit Gottes sich wenden: »Gib Frieden, Herr, gib Frieden! Dieser Erde, diesen Menschen, uns allen! Allen denen, die nach uns kommen, und ... auch allen denen, die vor uns waren!« (II 636)

4. Der Berg der Erlösung oder Die theologische Problematik einer neuen Erde

Die Real-Utopie, die frohe Botschaft des Romans, meint durchaus die Erde, die »neue Erde« der Offenbarung (Offb 21, 1). Die religiöse Verkündigung schließt, wie immer bei May, ein weltliches Programm, einen irdischen Zukunftsentwurf mit ein. Drängender noch als in der >Pax<-Erzählung und im Drama >Babel und Bibel< wird die Versöhnung, der Friede im umfassenden Sinne, der Friede auch mit der Schöpfung, zum großen Thema erhoben.

a) Das Paradies auf Erden?

Aufrüttelnd und provozierend ist Marah Durimehs Rede:(182) »>Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden!< Daß man ihm, dem Weltenherrn, die Ehre zollt, ... dafür sorgt er in seiner Allmacht und Weisheit am allerbesten selbst. Aber daß hier auf Erden Frieden werde, das ist zwar sein Gebot, muß aber unsere Sorge sein ... Alle Rüstung der Erde und alle Rüstung ihrer Völker war bisher auf den Krieg gerichtet. Als ob es unmöglich wäre, in eben derselben und noch viel nachdrücklicherer Weise auf den Frieden zu rüsten! ... Wie man den Krieg führt, das weiß


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jedermann; wie man den Frieden führt, daß [!] weiß kein Mensch. Ihr habt stehende Heere für den Krieg, die jährlich viele Milliarden kosten. Wo habt ihr eure stehenden Heere für den Frieden, die keinen einzigen Para kosten, sondern Milliarden einbringen würden?« (I 15ff.)

Alle reden heute vom Frieden. Aber wird auch genügend getan? Konzentrieren sich die Forschung, das ethische Bewußtsein, die religiöse Verkündigung auf den Schutz des Lebens? Mays Friedensbegriff schließt das Überleben der Schöpfung, die Verantwortung für künftige Generationen mit ein. Der Effendi hält dem Mir von Ardistan vor: »Hat ein Einziger von allen diesen deinen sogenannten Vätern auch nur mit einem einzigen Atemzuge an das Wohl und an das Glück seiner Kinder, seiner Enkel und seiner ferneren Nachkommen gedacht? ... Du hast die Feigheit und die Selbstsucht deiner Ahnen nicht nur nach rückwärts, sondern auch nach vorwärts zu betrachten ... Deine Vorfahren ... waren so feig, ... daß sie ... alle ihre Schuld auf ihre unschuldigen Nachkommen vererbten« (II 394).

Der Friede, die Sorge für die Gegenwart und für die späteren Generationen, muß alle Bereiche des Lebens umfassen, auch Handel und Gewerbe, auch die Kunst und die Wissenschaft (I 222). Die Frage liegt nahe: Wird für den Frieden, für die Überwindung des Hungers, für die gerechte Verteilung der Güter, für die Bewältigung unserer - immer gigantischer werdenden - Umweltprobleme nicht zu wenig getan? Die heutigen Dimensionen des >Krieges gegen die Schöpfung< kannte May natürlich noch nicht. Aber wir müssen sie mitbedenken, wenn wir Marah Durimeh hören: »Wo sind eure Friedensfestungen, eure Friedensmarschälle, eure Friedensstrategen, eure Friedensoffiziere?« (I 17)

Für Mays Pazifismus, seine Weltfriedensidee,(183) finden sich in >Ardistan und Dschinnistan< die schönsten Belege. Nicht nur der Krieg, allein schon die Rüstungen, die alles verschlingen (I 222), werden gebrandmarkt. »Laßt Waffen- und Soldatentransporte verschwinden!« (I 21), rät Marah Durimeh. Von den Kanonen soll keine mehr übrigbleiben (II 594), und die Völker sollen ihre Schwerter verrosten (I 22) lassen. »Denn wer zum Schwerte greift, der wird durch das Schwert umkommen!« (I 218; vgl. Mt 26, 52)

Der künftige Friede »hat kein Heer bei sich, keine Art von irdischen Waffen« (II 118). Mays Einstellung zum Militär ist dennoch ambivalent. Einerseits sind seine Auslassungen über die Daseinsberechtigung des Soldatenstandes (I 296) grotesk und ironisch. Den Scheik der Ussul läßt er sagen: »Weißt du, Soldaten haben, ist eigentlich gar nicht übel. Man kann dann doch zeigen, wer man ist. Aber sobald es ... anfängt, Geld zu kosten, so will ich lieber verzichten! Man kann sich doch ganz


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unmöglich große Kosten machen, um Leute zu erhalten, die im Grunde genommen nur dazu da sind, Andere umzubringen!« (Ebd.) Andererseits rügt das erzählende >Ich< die Feigheit und Passivität (I 209) der Ussul, die sich ohne Gegenwehr von den Tschoban überfallen lassen. Zur Abwehr stellt der Dschirbani eine Kampfgruppe auf, deren martialischen Anblick (II 163) Kara Ben Nemsi lobt und bewundert.

Widersprüchlich scheint auch Mays Einstellung zum Obrigkeitsstaat.(184) Der Mir von Ardistan ist ein Despot, der sein Land unterdrückt, den niedrig geborenen Menschen für gefühllos (II 273) hält, ihn nur als Material betrachtet (II 111), ihn demütigt und schikaniert: »O, diese Kriecher, diese ... Wanzen und Flöhe! Es zuckt Einem der Fuß, sie hinabzustoßen, ... gleich tausend auf einen Tritt!« (II 112) Trotzdem bringt der Effendi, schon bei der ersten Begegnung, dem Mir viel Verständnis entgegen: Daß der Herrscher ein Tyrann war, lag vielleicht weniger an ihm als an dem Umstande, daß er es jahraus jahrein nur mit niedrigen, kriechenden Speichelleckern, Schmarotzern und Schranzen zu tun hatte (II 98).

Und doch gibt es Widerstand gegen den Mir. Zu einer Verschwörung, die völlig im Recht (II 143) war, haben sich die Moslems und Lamaisten zusammengefunden. Kara Ben Nemsi aber unterstützt, mit den Christen in Ardistan und dem Heer des Dschirbani, den Mir gegen die Revolution und den >Panther<. Warum? Weil er meint, daß der Mir - Wilhelm der Zweite!(185) - noch zu bessern und zu erziehen (II 484) sei. In der Tat: ein Fürst der Liebe und des Friedens (II 144) wird aus dem Mir!

Karl May ist »ein demütig Fügsamer« und »ein quirlender Rebell«(186) zugleich. Doch zumindest teilweise lösen sich seine Widersprüche in den Spätwerken auf. Die Anwendung von Gewalt wird grundsätzlich abgelehnt. Der politische Friede, der den inneren Frieden des menschlieben Herzens voraussetzt (II 331), kann sich nur nach und nach entwickeln; ihn mit Gewalt und mit den Waffen zu erzwingen, müßte zur Katastrophe führen (I 223). Aber zur reinen »Verteidigung ..., falls es gar nicht anders geht« (I 566), sind Waffen erlaubt. Denn ohne Macht hat der Friede keinen Bestand. »Nur die Macht imponiert, die wirkliche Macht.« (I 17) Auf den Mir von Ardistan trifft dies jedenfalls zu. Nicht nur die Güte, auch die Stärke, die Überlegenheit der Mächte von Dschinnistan bewirken seine Verwandlung und bringen ihn zur Vernunft.

Wie realistisch oder utopisch Mays >politische< Konzeption im einzelnen ist, braucht hier nicht erörtert zu werden. Alle gegenwärtig aufgeworfenen »Menschheitsfragen«(187) will der Dichter beantworten. Aber


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nicht als politisches Handbuch, nicht als Rezept zur Lösung von Einzelproblemen ist sein Werk zu verstehen, sondern als große Vision, als Gesamtschau der Welt in ihrer transzendenten Bestimmung.

Karl May glaubt an den einzigen Sieg, der wirklich Sieg bedeutet: an den Sieg der Liebe (II 646). Er glaubt, daß »Friede werden muß ... Ja, ich weiß es ganz gewiß« (I 340). Der Friede »muß kommen, denn Gott will es« (I 16). Dieser Glaube, diese Hoffnung werden in der Real-Utopie des Romans zur Erfüllung gebracht.

Der Legende vom verschwundenen Fluß, der Vision von der Rückkehr des lebendigen Wassers, dem Märchen von der Dschemma der Lebenden und der Toten fügt May am Ende der Erzählung einen neuen Mythos hinzu: den glühenden Dschebel Muchallis, den - der Vergleich mit Petrarcas Gipfelerlebnis(188) liegt nahe - im mystischen Licht erstrahlenden >Berg der Erlösung<. Hören wir Marah Durimeh: »Setzt euch zu uns, und seht, wie die alte Paradiesessage sich verabschiedet ... Sie geht, um der Wirklichkeit Platz zu machen. Die Mitternacht ist vorüber, der neue Tag beginnt. Ich ahne, daß heut der Dschebel Muchallis seine ... Stimme erhebt, um uns zu sagen, daß das Begonnene sich vollendete und das Gehoffte sich erfüllte. Man sagt, er glühe nur ein einzigesmal ...; dann sei für Jeden, der es sieht, der Friede auf Erden und der Friede mit Gott gekommen. Seht! Schon bildete sich das Paradies!« (II 644)

Das Paradies auf Erden scheint nun gekommen zu sein. Der Friede war geschlossen, und zwar für ewige Zeit. - (II 650) Das Paradies auf Erden? Kann d i e s e r Mythos die Wahrheit enthalten? Kann d i e s e Utopie zur Wirklichkeit werden?

b) Der eschatologische Vorbehalt

Ewiger Friede? Wann wird er kommen? Wie Gert Ueding richtig bemerkte, ist »der wahre Gegenstand auch der letzten Romane Mays nicht der Mythos, sondern die Geschichte«.(189) Mays Epos schildert den geschichtlichen Prozeß, die Entwicklung des Menschengeschlechts: Auf ihrem Uebungsritt, ihrem »Initiations- und Erlösungsweg«(190) durch die Wüste von Ardistan bis zum Hochland von Dschinnistan, haben das >Ich< und seine Gefährten die Räume und auch die Zeiten durchmessen.(191) In EI Hadd, an der Grenze zu Dschinnistan, bietet sich Kara Ben Nemsi - der >Menschheitsfrage<(192) - ein herrliches Panorama: die sämtlichen Terrassen und Daseinsstufen des Erdentums bis hinauf zu dem Engelsgebilde, welches hoch in die Wolken ragt und das ersehnte Wasser ... spendet (II 613).


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Wie der >Sohn<, die Mittelkuppe des Dschebel Allah, kann und muß wohl auch dieser Engel von EI Hadd, dieses Symbol des >Punktes Ornega< der Menschheitsentwicklung, als Christus-Metapher(193) verstanden werden. Denn im Innern des Engels liegt der Schlüssel zum >Wasser des Lebens< verborgen (II 629; >vgl. Offb 22, 13.17b).

Mays Geschichtsverständnis ist teleologisch: Mit dem Höhepunkt der Menschheitsentwicklung wird der ewige Friede, mit dem Endpunkt der geschichtlichen Evolution wird das Paradies auf Erden zusammenfallen. Dies entspricht wiederum der Geschichtsdeutung des Teilhard de Chardin: Die vom Humanismus erahnte Vollendung der Geschichte fällt »konkret mit der von allen Christen erwarteten Krönung der Inkarnation zusammen (...) Das christliche Empor vereinigt sich (...) mit dem menschlichen Voran! Und gleichzeitig gewinnt der Glaube an Gott in eben dem Maße, wie er in seinem eigenen Saft den Saft des Glaubens an die Welt assimiliert und sublimiert, sein volles Verführungs- und Bekehrungsvermögen zurück!«(194)

Der ewige Friede liegt in der Zukunft: »Noch ist nicht Friede, aber Gott hat ihn uns verheißen; ... darum wird er kommen!« (I 339) Schon jetzt, schon hier und heute, müssen wir diesen Frieden mit vorbereiten: durch unsere Sorge (I 15), unsere Menschlichkeit, unsere Güte und Barmherzigkeit (I 579). Kann diese - futuristische und zugleich auch präsentische - Friedensvision aus theologischer Sicht bejaht werden?

Die moderne Friedensbewegung ist für Karl Rahner »einer der erfreulichsten Ausblicke in die Zukunft. Dieses Engagement der Menschen sollte wachsen.«(195) Von der Hoffnungsphilosophie Ernst Blochs beeinflußt, hat die christliche (die katholische wie die evangelische) Theologie ihr >Zukunfts-Erbe< wiederentdeckt.(196) Die theologische Problematik liegt nun aber in der Verhältnisbestimmung von menschlicher Utopie und göttlicher Verheißung, von irdischem Fortschritt und Wachstum des Gottesreiches, von innerweltlichen Zukunftsentwürfen und der »neuen Erde«, die »von Gott her aus dem Himmel herabkommt« (Offb 21, lf.).

Die Geschichte ist nicht, wie Nietzsche meinte, die ewige Wiederkehr des Gleichen.(197) Nach christlicher Überzeugung hat die Welt- und die Menschheitsgeschichte ein Ziel. Aber der endgültige Friede, die Vollendung der Welt und des Menschen, kommt - nach Hans Küng -»weder durch gesellschaftliche (...) Evolution noch durch gesellschaftliche (...) Revolution«, sondern durch Gottes (nicht vorhersehbare) Aktion, die das Tun des Menschen freilich »nicht aus-, sondern einschließt«.(198) Die neue Erde ist, so Karl Rahner, die Gabe Gottes und »nicht einfach das Ergebnis des >progressus terrenus<.«(199) Andrerseits


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sollen die Christen, wie das Zweite Vatikanische Konzil sagt, ihre eschatologische Hoffnung den Strukturen dieser Welt einprägen(200) und »das Werk des Schöpfers weiterentwickeln«.(201) Welcher Stellenwert kommt der menschlichen Arbeit (auch der Nicht-Christen) an der >besseren Welt<, an der »transformatio mundi«, an der »fraternitas universalis«(202) dann aber zu?

Rahner hat diese Frage präzisiert und pointiert: »Ist die Welt, die der Mensch selbst schafft, nur das >Material< einer sittlichen Bewährung, das an sich gleichgültig bleibt, und wird die Welt einfach abgetan, wenn das Endgültige des Reiches Gottes kommt? (...) Oder geht diese (...) Welt, wenn auch unbegreiflich >transformiert<, selbst in das eigentliche Eschaton ein? Senkt die >neue Erde< sich vom Himmel herunter (...) oder wird sie hier vom Menschen in der Zeit gebaut? (...) Sind wir die Täter des Endgültigen selbst, wenn wir gerecht, liebend und gehorsam gegenüber dem innerweltlichen Schöpfungsauftrag Gottes die Vollender seiner Schöpfung sind?«(203)

Im Kontext seiner Auseinandersetzung mit dem Marxismus und den Lehrdokumenten des Konzils hält Rahner an einer »grundsätzlichen dialektischen Schwebe« fest, »die die Zukunft offenhält und die Gegenwart dennoch radikal gewichtig sein läßt.«(204) Das Reich Gottes ist die endgültige Tat des Schöpfers, der die fortlaufende Geschichte beenden und - im dreifachen Sinne (tollere, conservare, elevare) - >aufheben< wird. Die Geschichte der Welt und ihre Vollendung durch Gott sind zwar »immer unterschieden und getrennt durch das, was in der individuellen Geschichte als Tod erfahren wird und eine radikale >Verwandlung< bedeutet«.(205) Dennoch darf das Kommen des Reiches Gottes als » S e l b s ttranszendenz der Geschichte«(206) verstanden werden: Wir selbst bauen das Fundament, das Gott dann vollendet. Das Kommende ist qualitativ etwas Neues, das den >progressus terrenus< übersteigt; aber die irdische Geschichte, die wir selbst zu verantworten haben, geht - analog zur Geschichte des einzelnen - mit »ein in die Endgültigkeit Gottes«.(207)

Die innerweltliche, von der Menschheit erreichbare Zukunft und die absolute, die Welt vollendende Zukunft Gottes dürfen weder total voneinander geschieden noch miteinander verwechselt werden. »Einerseits fordert die Hoffnung auf die absolute Zukunft konkrete innerweltliche geschichtliche Utopien, die das Gegenwärtige kritisieren, die Geschichte unruhig machen und weitertreiben«.(208) Andrerseits muß die Theologie einen letzten Vorbehalt gegenüber allen menschlichen Zukunftsentwürfen dennoch anmelden: Gottes Zukunft ist immer größer als unsere Vorstellungsmodelle, und kein irdisches Ziel darf verabsolutiert werden.


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Mit diesen (etwas abstrakten) Ausführungen haben wir weitere und, wie ich meine, wesentliche Kriterien für die theologische Bewertung von >Ardistan und Dschinnistan< gewonnen. Die dialektische Schwebe, die Rahner postuliert, finden wir hier in exemplarischer Weise. Das >Paradies< sieht May in engster Verbindung mit dem menschlichen Tun und der geschichtlichen Evolution. Daß der >ewige Friede<, die >neue Erde<, dennoch Gnade und Himmelsgabe (I 222) ist, setzt er dabei voraus. Und von der wirklichen Ankunft dieses Gottes-Friedens ist er zu Recht überzeugt: >Dschinnistan< ist für ihn, mit Karl Rahner gesprochen, »nicht nur der ständige Reiz der Geschichte«, nicht bloß ihr »asymptotischer Zielpunkt, der nur die Funktion hätte, die Geschichte in Bewegung zu halten«(209) sondern künftige - und schon heute zu antizipierende Realität. Denn die »Sache Gottes setzt sich durch, in jedem Fall.«(210)

Doch wie steht es bei May mit dem letzten, dem eschatologischen Vorbehalt gegenüber den irdischen Zukunftsentwürfen? Wird die Erde, vielleicht heimlich und unbewußt, verabsolutiert? Wohl kaum. Der Sahahr, der Zauberpriester der Ussul, setzte sein ganzes Hoffen und Wünschen auf seine Tochter, die Zukunft dieses Kindes wurde ihm zur Religion (I 336f.). Deutlicher könnte Mays Kritik an der säkularisierten Hoffnung nicht ausfallen.

Ist die neue, hoffnungsreiche Zukunft, die sich zu entwickeln beginnt (II 501), mit dem Reich Gottes identisch? Ist >Dschinnistan( nur der Endpunkt der geschichtlichen Evolution? Oder gibt es am Ende das Neue, vom >Punkt Omega< des innerweltlichen Fortschritts durch den >Tod< - als letzter Verwandlung - Getrennte?

Angekommen am Ziel ihrer irdischen Sehnsucht ruft Marah Durimeh: »Das ist er, - ja, das ist er, der herrliche Dschebel Muchallis, der Traum meiner Jugend, die Hoffnung meiner Jahre, die letzte Stufe, von welcher aus ich hinüberzugehen wünsche zu den Seligen auch der andern Gotteswelten!« (II 645) Was ist mit den andern Gotteswelten gemeint? Doch wohl die endgültige, die jenseitige Erfüllung in Gottes Reich. Das Gesicht Marah Durimehs, der >Berg der Erlösung<, entspricht der Vision des greisen Simeon im Tempel zu Jerusalem: »Nun läßt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast« (Lk 2, 29f.).

Die endgültige Seligkeit gibt es auch für May »nur im Himmel. Der Mensch sucht Trost bei der Hoffnung; aber erfüllen kann nur Gott allein!« (II 474) Die Erde, auch der Endpunkt ihrer Evolution, bleibt immer das Vorletzte. Das Letzte ist die Transformation, die Verklärung - der Erde und des einzelnen - durch Gottes Liebe.


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In diesem Sinn müssen wir auch den letzten Satz des Romans verstehen: Wir aber wendeten unsern weitern Aufstieg nun den Bergen, über deren Pässe der Weg nach Dschinnistan führte, und unsrem hohen, weiteren Ziele zu. --- (II 651) Dieser offene Schluß ist, wie die ganze Erzählung, literarisch geglückt(211) und theologisch richtig empfunden: Unsere Zukunft liegt noch immer vor uns; sie ist größer als alle Verheißung und jegliche Prophetie.

IV. Zusammenfassung: Biblischer Glaube und tiefenpsychologisches Wissen oder Die Endzeit-Vision Karl Mays

Die Grenzen der Gewöhnlichkeit (II 632) hat der Schriftsteller May nun längst überschritten. Zwar weist auch das Spätwerk noch Schwächen auf; problematische und mißverständliche Formulierungen finden wir auch in >Ardistan und Dschinnistan<. Doch die Harmonie, die innere Geschlossenheit, die große Vision des Romans bleiben, insgesamt, davon unberührt.

Wie in früheren Werken läßt die autobiographische Leseebene den Kampf des Dichters mit sich selbst, seiner Eitelkeit, seiner Ich-Überhöhung, seiner eigenen niedrigen Anima (II 145) erkennen. May weiß: »Vor Gott sind wir alle Bettler!« (II 151) Und er sieht es selbst ein: Der Erlöserstolz des Menschen ist Wahnsinn, weiter nichts! (II 436)

Den >Silberlöwen III/IV< habe ich als theologische Poesie von hohem Niveau bezeichnet.(212) Für die >psychologischen< Bilder, die Märchen und Träume, die Mythen und Legenden in >Ardistan und Dschinnistan< gilt dies mindestens ebenso. Ein großer Gedanke, der Erlösungsgedanke (II 213) verleiht dem Roman seine Würde und Überzeugungskraft. Als christozentrische, vom Mythos zur Wirklichkeit führende Dichtung kann man diese - auch wichtige Erkenntnisse C.G. Jungs vorwegnehmende - theologische Poesie Karl Mays interpretieren. Die Weihnachtsgeschichte, die Geburt des Erlösers, die Ehre Gottes (der >Vater< und >Mutter< zugleich ist), die gesamte Menschheitsentwicklung werden, wie schon im >Friede<-Band und doch wieder anders, mit den österlichen Mysterien zusammengeschaut.(213) Biblischer Glaube und tiefenpsychologisches Wissen, poetische Phantasie und konkrete Lebenserfahrung berühren und durchdringen sich hier. Die ganze Reichweite des Lebens, Freude und Hoffnung, Trauer und Angst, alle Menschheitsfragen und alle Daseinsprobleme werden (zumindest indirekt) angesprochen.

Hymnen auf die Schöpfung, grandios verdichtete >Geographische


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Predigten< sind diese Romantexte Karl Mays. Denn die Vollendungsvision des Schriftstellers hat nicht nur den Menschen im Blick. Mit dem >Sonnengesang< des Franz von Assisi, den Schriften der Naturmystiker und der Weltdeutung Teilhard de Chardins vergleichbar, wird die ganze Schöpfung in die Erlösungsdynamik mit einbezogen.

Mays Thema ist die Vollendung der Welt und des Menschen durch den kommenden Gott. In der Schau des Dichters werden die Materie, die Kreatur und vor allem der menschliche Leib zu ihrer schönsten und besten Möglichkeit befreit. Nicht die Entweltlichung, nicht die Lösung von der Materie, sondern die heilende Verklärung aller gottgeschaffenen Wirklichkeit ist das Kennzeichen dieser weltlichen, in der Menschwerdung Gottes gründenden Mystik.

>Ardistan und Dschinnistan< ist ein Lied von der Erde, die den Tod, d. h. die Trennung von Gott überwindet. Der Sühnewille des Emirs von Ardistan >erlöst< seine Vorfahren und nimmt seine Nachkommen in Pflicht. Es wurde verdeutlicht: Die Teilnahme des Menschen am stellvertretenden, die ganze Schöpfung befreienden Heilsdienst Jesu Christi kommt hier zur Anschauung.

Die frohe Botschaft des Romans meint die »neue Erde« (Offb 21, 1). Mays religiöse Verkündigung schließt ein weltliches Programm, den irdischen Frieden, mit ein. Mit dem Höhepunkt (>Punkt Omega<) der Menschheitsentwicklung, den der kosmische Christus herbeiführen wird, fällt das >Paradies auf Erden< zusammen. Der eschatologische Vorbehalt, der die innerweltliche Zukunft und die absolute, die Welt vollendende Zukunft Gottes unterscheidet, wird in Mays Real-Utopie dennoch gewahrt: Die endgültige Seligkeit gibt es auch für May nur im Himmel (II 474).



1 Vgl. Ekkehard Bartsch: Ardistan und Dschinnistan. Entstehung und Geschichte. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 1977. Hamburg 1977, S. 81-102 - Roland Schmid: Nachwort (zu >Ardistan und Dschinnistan I/II<). In: Karl May: Freiburger Erstausgaben Bd. XXXI. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1984, N 6-17.

2 Der Textansatz ist wiedergegeben bei Hansotto Hatzig: Karl May und Sascha Schneider. Dokumente einer Freundschaft. Beiträge zur Karl-May-Forschung 2. Bamberg 1967, S. 152 - vgl. auch Schmid, wie Anm. 1, N 2-6.

3 Bartsch, wie Anm. 1, S. 86f.

4 Ebd., S. 86 - vgl. aber Wilhelm Vinzenz: Randbemerkungen zu Therese Keiter, Otto Denk und zum >'Mir von Dschinnistan<. In: Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft (M-KMG) 78/1988, S. 24-31 (28).

5 Vgl. Ulrich Schmid: Karl May, Augsburg und die Augsburger Postzeitung. In: Karl May und Augsburg. Sonderheft der Karl-May-Gesellschaft (S-KMG) Nr. 82/1989, S.4-8.

6 Seitenangaben in () beziehen sich auf: Karl May: Ardistan und Dschinnistan I/II. Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXXI/XXXII. Freiburg 1909.


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7 Karl May: Briefe an Karl Pustet und Otto Denk. Mit einer Einführung von Hans Wollschläger. In: Jb-KMG 1985. Husum 1985, S. 15-62 (55)

8 Aus der - von May selbst verfaßten - Ankündigung des Fehsenfeld-Verlags; zit. nach Hans Wollschläger: Das »eigentliche Werk«. Vorläufige Bemerkungen zu >Ardistan und Dschinnistan< (Materialien zu einer Charakteranalyse III). In: Jb-KMG 1977. Hamburg 1977, S. 58-80 (67)

9 Vgl. Heinz Stolte: Der Volksschriftsteller Karl May. Beitrag zur literarischen Volkskunde. Bamberg 1979 (Reprint der Erstausgabe von 1936), S. 103 - Wollschläger: Einführung, wie Anm. 7, S. 16.

10 Wollschläger: Das »eigentliche Werk«, wie Anm. 8, S. 73, sieht den Grund für den Rückgriff auf >Peitsche< und >Waffen< in der zwanghaften »Früherinnerung« Mays an die eigene Kindheit. Ich schließe diese Deutung nicht aus, halte sie aber für unzureichend.

11 Gert Ueding: Leben aus der Totenstadt. Über Karl Mays »Ardistan und Dschinnistan«. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 30.1.1987. Wieder in: M-KMG 74/1987, S. 33ff. (33) - vgl. Heinz Stolte: Werkartikel >Ardistan und Dschinnistan I/II<. In: Karl-May-Handbuch. Hrsg. von Gert Ueding in Zusammenarbeit mit Reinhard Tschapke. Stuttgart 1987, S. 308-320 (310).

12 Vgl. z. B. II 112f. (das Gespräch Kara Ben Nemsis mit dem Mir von Ardistan).

13 Vgl. Hermann Wohlgschaft: Mays Friede-Roman und die Lehre der Kirche. In: M-KMG 83/1990, S. 18-24.

14 Vgl. May: Briefe, wie Anm. 7, S. 30, 39, 42f., 45, 52f., 55f., 59f.

15 Ebd., S. 27

16 Ebd., S. 26

17 Ebd., S. 57

18 Ebd., S. 53

19 Ebd., S. 54

20 Daß May den Roman - als Torso - abgebrochen (so z. B. Wollschläger: Einführung, wie Anm. 7, S. 16) und nicht planmäßig beendet habe, folgt daraus allerdings nicht; vgl. Vinzenz: Randbemerkungen, wie Anm. 4, S. 29.

21 Von persönlicher Feindschaft mit dem Verleger konnte aber wohl keine Rede sein; vgl. Bartsch, wie Anm. 1, S. 99.

22 Hansotto Hatzig/Claus Roxin: Vorwort (zu >Der 'Mir von Dschinnistan<). In: Karl May: Der 'Mir von Dschinnistan. Deutscher Hausschatz XXXIV./XXXV. Jg. (1907-1909); Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg/Regensburg 1976 - vgl. Hansotto Hatzig: Der 'Mir von Dschinnistan. Karl Mays Textvarianten. In: M-KMG 30/1976, S. 23-32 - Udo Kittler: Karl May auf der Couch? Die Suche nach der Seele des Menschen. Eine literaturpsychologische Studie zur Rezeption der »Lehre vom Unbewußten « im Spätwerk Karl Mays. Materialien zur Karl-May-Forschung Bd. 9. Ubstadt 1985, bes. S. 88f. (ebd., S. 89, legt Kittler einen bisher unbekannten Manuskriptteil Mays vor).

23 In einer Besprechung vom 22.1.1910 in der >Driburger Zeitung<; zit. nach Bartsch, wie Anm. 1, S. 97

24 Stolte: Werkartikel, wie Anm. 11, S. 317; ähnlich Walther Ilmer in einem Brief vom 15.11.1989 an den Verfasser

25 Wolfgang Clauß: Werkartikel zu >Ardistan und Dschinnistan<. In: Kindlers Literaturlexikon IV. München 1974, S. 1150f. (1151)

26 Werner von Krenski: Der Weg nach Dschinnistan. In: Karl-May-Jahrbuch (KMJB) 1928. Radebeul 1928, S. 419-428 (419)

27 Arno Schmidt: Abu Kital. Vom neuen Großmystiker. In: Dya Na Sore. Karlsruhe 1958, S. 150-193; auch in: Karl May. Hrsg. von Helmut Schmiedt. Frankfurt a. M. 1983, S. 45-74 (48); ich zitiere (auch künftig) nach Schmiedt.

28 Ebd., S. 68

29 In einem Brief vom 12.1.1981 an Günter Scholdt; zit. nach Günter Scholdt: Sitara und die Marmorklippen. Zur Wirkungsgeschichte Karl Mays. In: Jb-KMG 1982. Husum 1982, S. 158-169 (169, Anm. 21)

30 Dazu auch Werner F. Bonin: Karl Mays Pilgrim's Progress. In: M-KMG 16/1973, s. 3-6; Fortsetzung in: M-KMG 18/1973, S. 7-13


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31 Zit. nach Claus Roxin: Friedrich Dürrenmatt über Karl May. In: M-KMG 81/1989, S.46

32 Hans Wollschläger: Karl May. Grundriß eines gebrochenen Lebens. Zürich 1976, S. 146 (Diogenes Taschenbuch 112)

33 Christoph F. Lorenz: Von der Messingstadt zur Stadt der Toten. Bildlichkeit und literarische Tradition von »Ardistan und Dschinnistan«. In: Karl May. Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold. München 1987, S. 222-243 (222) (Sonderband Text + Kritik)

34 Martin Lowsky: Karl May, Stuttgart 1987, S. 114 (Sammlung Metzler 231)

35 Wollschläger: Das »eigentliche Werk«, wie Anm. 8, S. 61

36 Vgl. Stolte: Werkartikel, wie Anm. 11, S. 317. - Arno Schmidt: Sitara und der Weg dorthin. Eine Studie über Wesen, Werk & Wirkung Karl Mays. Karlsruhe 1963 (Reprint Frankfurt a.M. 1985), S. 307, hat auf die Legende von der >Messingstadt< (566.-578. Nacht in der Märchensammlung >1001 Nacht<) verwiesen, die May »angeregt haben dürfte«; Lorenz, wie Anm. 33, S. 228-233, hat diese Spur weiter verfolgt und interessante Motiv-Parallelen nachgewiesen: »Die Geschichte von der Totenstadt in >Ardistan und Dschinnistan< weist zumindest einige Züge auf, die wir auch in der >Messingstadt< finden können (...) Insgesamt jedoch fallen die Unterschiede zwischen den beiden Texten stärker ins Auge als die Gemeinsamkeiten; sollte May das Vorbild der >Messingstadt< vorgeschwebt haben, so nahm er zumindest gravierende Änderungen vor« (ebd., S. 229f.).

37 Zu Mays Anthropologie vgl. z.B. dessen >Droschkengleichnis< (aus einem in Lawrence, USA, am 18.10.1908 gehaltenen Vortrag; wiedergegeben in: Deutscher Herold vom 19.10.1908. Faksimile in: Karl May. Biographie in Dokumenten und Bildern. Der große Karl May Bildband. Hrsg. von Gerhard Klußmeier und Hainer Plaul. Hildesheim-New York 1978, S. 255); dazu Stolte: Volksschriftsteller, wie Anm. 9, S. 100f.; ausführlich: Sibylle Becker: Karl Mays Philosophie im Spätwerk. Materialien zur Karl-May-Forschung Bd. 3. Ubstadt 1977, S. 8-28. Die Protagonisten in Mays Roman mehr oder weniger eindeutig dem >Körper<, der >Anima<, der >Seele< oder dem >Geist< zuzuordnen (wie es auch Stolte: Werkartikel, wie Anm. 11, S. 316, versucht), halte ich für problematisch und wenig ergiebig.

38 Hatzig/Roxin, wie Anm. 22

39 Vgl. Heinz Stolte: Karl Mays >Ardistan und Dschinnistan< und sein Weltfriedensgedanke. In: Jb-KMG 1988. Husum 1988, S. 83-98 (84) - (Anonymus:) Nachwort. In: Karl May's Gesammelte Werke Bd. 32: Der Mir von Dschinnistan. Bamberg 51.-70. Tsd. 1955, S. 469-483 (472ff.); zur Deutung des Wortes >Sitara< vgl. Wolf-Dieter Bach: Fluchtlandschaften. In: Jb-KMG 1971. Hamburg 1971, S. 39-73 (49f. und 56f.).

40 Vgl. Hermann Wohlgschaft: >Babel und Bibel~. Ansätze zur >feministischen Theologie< im Erlösungsdrama Karl Mays. In: Jb-KMG 1991. Husum 1991, S. 148-181 (161-175).

41 Das etwas spätere >Märchen von Sitara< (Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg o.J. (1910), S. 1-7; Reprint Hildesheim-New York 21982. Hrsg. von Hainer Plaul) setzt eine durchaus andere >Geographie< voraus: Ardistan ist dort ein Teil von Sitara; vgl. R. Schmid, wie Anm. 1, N 7f.

42 Das arabische Wort >Dschinnistan< hat Christoph Martin Wieland »in die deutsche Literatur eingeführt, seine Sammlung >Dschinnistan oder auserlesene Feen- und Geistermärchen< (1786-89) hat aber keine inhaltliche Beziehung zu Mays Roman.« (Lowsky, wie Anm. 34, S. 116)

43 Gott selbst wird hier als >Mir von Dschinnistan< bezeichnet! Zur terminologischen und sachlichen Problematik, die sich hieraus ergibt, vgl. Hermann Wohlgschaft: Der Mir von Dschinnistan und Marah Durimeh oder Steht Gott unter dem Schutz der Menschheitsseele? In: M-KMG 84/1990, S. 8-11 - Ders.: Stimmen zu: »Steht Gott unter dem Schutz der Menschheitsseele?« In: M-KMG 87/1991, S. 56-59; Fortsetzung in: M-KMG 88/1991, S. 48-50.

44 Auch der anfängliche Einwand des Propheten (Jer 1,6) hat im Dialog Marah Durimeh - Kara Ben Nemsi eine Entsprechung (vgl. 1 12f.).


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45 Krenski, wie Anm. 26, S. 422; nach Lowsky, wie Anm. 34, S. 116, hat May die Schilderung Ussulistans »teilweise von Christoph Martin Wielands >Geschichte der Abderiten< (1774) übernommen«.

46 Vgl. Werner Tippel/Hartmut Wörner: Frauen in Karl Mays Werk. S-KMG Nr. 29/1981, S. 47ff.

47 Stolte: Weltfriedensgedanke, wie Anm. 39, S. 90, hebt hervor, daß Jesus in der Sage nur der liebevollste aller Geister (I 217) und also nicht der >Sohn Gottes< sei, was die Proteste der katholischen Hausschatz-Leute verständlich mache; Stolte läßt aber unerwähnt, daß es in Halefs Kommentar ja heißt: »Nur fehlt ihnen [den Ussul] die Lehre von Gottes Sohn, dem Erlöser.« (I 221)

48 Dschinnistan ist in dieser Legende nicht mit dem >Himmel< und der Mir von Dschinnistan nicht mit Gott identisch. In Mays Begrifflichkeit gibt es, besonders was den Mir von Dschinnistan betrifft, manche Widersprüche, auf die schon Wolfgang Wagner: Der Eklektizismus in Karl Mays Spätwerk. S-KMG Nr. 16/1979, S. 10, verweist. Vgl. Wohlgschaft: Der Mir von Dschinnistan, wie Anm. 43.

49 An Dostojewskis Legende vom >Großinquisitor< (der den auf die Erde zurückgekehrten Christus verhaften läßt) könnte man denken!

50 Vgl. Wohlgschaft: Der Mir von Dschinnistan, wie Anm. 43, S. 8f.

51 Vgl. Thomas Rentsch: Martin Heidegger - Das Sein und der Tod. Eine kritische Einführung. München 1989, S. 163: »In naiver Selbstüberschätzung« strebte Heidegger »danach, ( ... ) >den Führer zu führen<, wie Karl Jaspers berichtet. Er erlag einer illusionären Verkennung der politischen Situation und des tatsächlichen Verhältnisses von Geist und Macht; er bot sich dem Regime an, weil er wähnte, jetzt könne es zu einer philosophischen Revolution kommen.« Mein Vergleich hinkt natürlich insofern, als Kara Ben Nemsi sich dem Regime des Tyrannen zwar ebenfalls (aus taktischen Gründen) >anbietet<, die Denkweise des Kriegsherrn aber grundsätzlich ablehnt (was man von Heidegger ja wohl nicht sagen konnte) .

52 Dazu Franz Hofmann: J. H. Pestalozzis politisch-pädagogisches Bekenntnis in seinen >Nachforschungen< als Zeitgemälde in einem Triptychon hoch- und spätbürgerlicher Geschichtsphilosophie und Anthropologie. In: Pädagogische Rundschau 34/1980, S. 143-162; vgl. Lowsky, wie Anm. 34, S. 116f.

53 Vgl. Becker, wie Anm. 37, S. 32-35.

54 Vgl. May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 41, S. 212.

55 Oskar Sahlberg: Therapeut Kara Ben Nemsi. In: Karl May - der sächsische Phantast. Studien zu Leben und Werk. Hrsg. von Harald Eggebrecht. Frankfurt a.M. 1987, S. 189-212 (197, mit Bezug auf Arno Schmidt)

56 Vgl. meine Beiträge in den Jb-KMG 1988-91.

57 Dazu Wollschläger: Das »eigentliche Werk«, wie Anm. 8, S. 69-79

58 Für >Ardistan und Dschinnistan< dürfte dies allerdings in weit geringerem Ausmaße gelten als für den Silberlöwen III/IV<.

59 Vgl. Hatzig: Karl Mays Textvarianten, wie Anm. 22, S. 29f.; zu Merhameh vgl. auch Tippel/Wörner, wie Anm. 46, S. 46f.

60 Hans Wollschläger/Ekkehard Bartsch: Karl Mays Orientreise 1899/1900. Dokumentation: In: Jb-KMG 1971. Hamburg 1971, S. 165-215 (181)

61 Trotz der Abwertung durch den Autor (Halef als >niedere Anima<, die freilich >geläutert< werden soll: I 420) wirkt der Hadschi - als eine der gelungensten Romanfiguren Mays - auch in >Ardistan und Dschinnistan< besonders sympathisch.

62 Vgl. Hermann Wohlgschaft: »Was ich da sah, das ward noch nie gesehen«. Zur Theologie des >Silberlöwen III/IV<, in: Jb-KMG 1990. Husum 1990, S. 213-264 (225) -Ders.: >Babel und Bibel<, wie Anm. 40, S. 157.

63 Noch in Mays Selbstbiographie gibt es bekanntlich Formulierungen, die als Gleichsetzung des Autors mit dem leidenden Christus mißverstanden werden könnten; vgl. Jürgen Lehmann: Privatheit und Selbstenthüllung. In: Jb-KMG 1989. Husum 1989, S. 37-50 (46).

64 Vgl. Eckard Etzold: Karl May: Am Ort der Sichtung. Ein literarisches Todesnähe-Erlebnis. S-KMG Nr. 81/1989, S. 15-23.


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65 Vgl. Hermann Wohlgschaft: »Das ist die Wage der Gerechtigkeit«. Bemerkungen zu Karl Mays >Jenseits<-Roman. In: Jb-KMG 1988 Husum, 1988, S. 184-208 (191f.) -Ders.: >Und Friede auf Erden!<. Eine theologische Interpretation. In: Jb-KMG 1989. Husum 1989, S. 101-145 (106-110) - Ders.: »Was ich da sah«, wie Anm. 62, S.218-221.

66 »Wir sind Bettler. Das ist wahr.« Dieses - nach Luthers Tod auf einem Zettel gefundene - Wort ist als letzter Satz Luthers überliefert; vgl. Hanns Lilje: Martin Luther in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek 1965, S. 124.

67 Stolte: Weltfriedensgedanke, wie Anm. 39, S. 84

68 Vgl. Wollschläger: Das »eigentliche Werk«, wie Anm. 8, S. 70ff.

69 Ebd., S. 71

70 Claus Roxin: Zwischen Ardistan und Dschinnistan. In: Karl May, wie Anm. 55, S. 13-28 (28)

71 Wollschläger: Das »eigentliche Werk«, wie Anm. 8, S. 79

72 Karl Mays Augsburger Vortrag (8.12.1909): >Sitara, das Land der Menschheitsseele. Ein orientalisches Märchen<. Eine Dokumentation für die Karl-May-Forschung. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1989, S. 42

73 Friedrich Delitzsch: Babel und Bibel. Zwei Vorträge. Leipzig-Stuttgart 1903, S. 16 (2. Vortrag), unterscheidet - mit Bezug auf die Bibel - den wahren I n h a l t von der literarischen, z.T. mythologischen, F o r m, die »so recht phantastisch orientalisch« sei. Karl May hat diesen Vortrag gekannt (vgl. Hatzig: Karl May und Sascha Schneider, wie Anm. 2, S. 234) und die wichtigsten Thesen Delitzschs gebilligt. - Zur theologischen Bewertung der Mythen vgl. Heinrich Fries: Mythos, Mythologie. In: Herders Theologisches Taschenlexikon Bd. 5. Hrsg. von Karl Rahner. Freiburg-Basel-Wien 1973, S. 147-153.

74 Der Mir von Ardistan zitiert die Psalmen 139, 7ff.; 42, 2ff.; 119,105 (in meiner Wiedergabe weggelassen) sowie Hebr 13,8.

75 Vgl. Wohlgschaft: >Babel und Bibel<, wie Anm. 40, S. 161ff. - Ders.: Der Mir von Dschinnistan, wie Anm. 43, S. 9f. (Nr. 4) - Hartmut Vollmer: Marah Durimeh oder Die Rückkehr zur >großen Mutter<. In: Karl May, wie Anm. 33, S. 158-190 (183-186) - Sahlberg, wie Anm. 55, S. 197f.

76 Vgl. Wohlschaft: >Und Friede auf Erden!<, wie Anm. 65, S. 114ff.

77 Auf der Handlungsebene des Romans ist der Mir von Dschinnistan (ebenso wie Marah Durimeh) natürlich ein sterblicher Mensch und nicht etwa >Gott<. Es verhält sich hier ähnlich wie in den Gleichnisreden Jesu vom >König<, vom >Weinbergsbesitzer<, vom >Hausherrn<, vom barmherzigen >Vater< usw.: In der Fabel ist der >König< usw. ein richtiger Mensch; gemeint ist aber, auf der transzendenten Ebene, der himmlische Vater. Die - in der Sekundärliteratur übliche - durchgängige Gleichsetzung >Schech el Beled = Mir von Dschinnistan = Gott< stellt Wagner, wie Anm. 48, S. 10, zu Recht in Frage; Wagner vermutet Änderungen in Mays Konzept während des Schreibprozesses: eine Annahme, die ich für denkbar, aber nicht für zwingend halte; vgl. Wohlgschaft: Der Mir von Dschinnistan, wie Anm. 43, S. 8f.

78 Krenski, wie Anm. 26, S. 422, sieht im Sahahr das »Symbol einer barbarisch-grotesken Urreligion«. Der Sahahr ist ein düsterer, ein gebrochener und widersprüchlicher Charakter, dessen nähere Untersuchung auch unter autobiographischen Gesichtspunkten interessant wäre.

79 Vgl. Wohlgschaft: Mays Friede-Roman, wie Anm. 13, S. 20-23.

80 Wie Anm. 14

81 So Walter Jens über Arthur Schnitzler; zit. nach Hanswilhelm Haefs: Kopf-Identitäten. In: M-KMG 81/1989, S. 14-17 (16); Haefs überträgt Jens' These auf May.

82 Vgl. ebd., S. 16.

83 Willy Schlüter: »Ardistan und Dschinnistan«: - eine Denkerbotschaft. In: KMJB 1923. Radebeul 1922, S. 64-75 (71)

84 Eugen Drewermann: Ich steige hinab in die Barke der Sonne. Alt-Ägyptische Meditationen zu Tod und Auferstehung in bezug auf Joh 20/21. Olten-Freiburg 1989, S.229

85 Ebd.


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86 Vgl. ebd., S. 229f.

87 Daß diese Jesaia-Vision den Verfasser von >Ardistan und Dschinnistan< inspiriert haben dürfte, liegt nahe. - Als weitere alttestamentliche Motiv-Quelle Mays käme auch die Vision von der Tempelquelle (Ez 47, 1-12) in Betracht.

88 Johannes Thiele: Die mystische Liebe zur Erde. Fühlen und Denken mit der Natur. Stuttgart 1989, S. 80

89 Vgl. Hildegard von Bingen: Gotteserfahrung und Weg in die Welt. Ausgewählt und eingeleitet von Heinrich Schipperges. Olten 11980 - Thiele, wie Anm. 88, S. 80-91.

90 Zit. nach Thiele, wie Anm. 88, S. 90

91 So heißt es im >Sonnengesang<; zum Text vgl. z.B. Mario von Galli: Gelebte Zukunft: Franz von Assisi. Luzern-Frankfurt a. M. 11972, S. 212ff.

92 Vgl. Francesco Petrarca: Dichtungen, Briefe, Schriften. Hrsg. von Hanns-W. Eppelsheimer. Frankfurt a. M. 1980 - Thiele, wie Anm. 88, S. 124-129.

93 Thiele, wie Anm. 88, S. 129

94 Vgl. Jakob Böhme: Sämtliche Schriften in 11 Bänden. Hrsg. von W. E. Peuckert. Stuttgart 1955-1960 (Nachdruck der Ausgabe von 1730) - Thiele, wie Anm. 88, S. 179-192.

95 Thiele, wie Anm. 88, S. 181

96 Ebd.

97 Ebd., S. 190

98 Ebd., S. 184

99 Abgesehen von Goethe (und der Bibel natürlich) findet sich keiner der hier erwähnten Autoren in der Bestandsliste von Mays Bibliothek (Karl Mays Bücherei. In: KMJB 1931, S. 212-291). Daß May, evtl. vermittelt durch Sekundärliteratur oder womöglich durch Sonntagspredigten, von diesen oder ähnlichen Schriften gewußt haben könnte, ist aber natürlich möglich. Besonders die Ideen v. Schuberts (der aus Hohenstein stammte!) könnten May beeinflußt haben; vgl. Kittler, wie Anm. 22, S. 24-33, bes. S. 30f.

100 Ausdrücklich wird die Zugehörigkeit zu >Sitara< allerdings nur Syrr (1 155f.) und dem Hundepaar Aacht und Uucht (I 156f.) zugesprochen; aber den Weg nach Dschinnistan gehen auch die anderen Tiere mit.

101 Aus dem >Sonnengesang< des Franziskus

102 Vgl. Becker, wie Anm. 37, S. 57f.

103 Claus Roxin in einem Brief vom 14.1.1990 an den Verfasser

104 Wie Anm. 101

105 Auch in anderen Passagen von >Ardistan und Dschinnistan< ist der Einfluß Homers sehr deutlich erkennbar; in II 7 wird Homer ausdrücklich erwähnt.

106 Der Dschebel Allah ist ein Symbol der göttlichen Trinität (vgl. unten Anm. 114). Die >Mutter< würde dann dem >Heiligen Geist< entsprechen, was theologisch nicht unbedingt abwegig sein müßte; vgl. Wohlgschaft: >Babel und Bibel<, wie Anm. 40, S. 163ff.

107 Wie Anm. 101

108 Vgl. Wilhelm Vinzenz: Feuer und Wasser. Zum Erlösungsmotiv bei Karl May. S-KMG Nr. 26/1980, S. 8f. und 42-49.

109 Halef betet die 101. Sure des Koran (nach May die 100. Sure).

110 Wie Anm. 101

111 Vgl. Hartmut Wörner: Wüste und Wasser. Ein Ritt nach der Stadt der Toten. In: Jb-KMG 1985. Husum 1985, S. 152-159 (dort auch - leicht zu erweiternde - Bezüge zu früheren Werken Mays).

112 Wie Anm. 101

113 Vgl. Wohlgschaft: Der Mir von Dschinnistan, wie Anm. 43, S. 8f.

114 Natürlich wird die christliche Trinitätslehre in Mays Roman nicht dogmatisch entfaltet, aber mehrfache Andeutungen gibt es immerhin; vgl. Britta Berg: Religiöses Gedankengut bei Karl May. S-KMG Nr. 47/1984, S. 28; auch Wörner, wie Anm. 111, S. 155; zur autobiographischen Deutung des Dschebel Allah vgl. Wollschläger: Das »eigentliche Werk«, wie Anm. 8, S. 75.

115 Wie Anm. 101


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116 Vgl. Anm. 77.

117 Vgl. Lorenz, wie Anm. 33, S. 242.

118 Vgl. bes. I 371f.; I 443ff.; II 208 u. pass.

119 Bhagavad-Gita IX, 4; zit. nach Ignatius Puthiadam/Martin Kämpchen: Geist der Wahrheit. Christliche Exerzitien im Dialog mit dem Hinduismus. Ein Lese- un Übungsbuch. Kevelaer 1980, S. 154

120 Vgl. Leonardo Boff: Kleine Sakramentenlehre. Düsseldorf 11982.

121 Puthiadam/Kämpchen, wie Anm. 119, S. 149; ähnlich Boff, wie Anm. 120, pass. - Die traditionelle katholische Theologie kennt außer den sieben Sakramenten noch eine Reihe von >Sakramentalien< (weniger bedeutsamen Heilszeichen); die sakramentale Deutung der ganzen Schöpfung kann sich insofern auf die katholische Tradition berufen.

122 Zit. nach Walter Brugger: Neuplatonismus. In: Philosophisches Wörterbuch. Hrsg. von Walter Brugger. Freiburg-Basel-Wien 121965, S. 213ff. (214)

123 Ueding: Totenstadt, wie Anm. 11, S. 34

124 Hanna-Barbara Gerl: Erde und Himmel. In: Christ in der Gegenwart. Katholische Wochenzeitschrift 41. Jg. 1989 (Nr. 33), S. 265f. (265)

125 Textbelege bei Henri de Lubac: Der Glaube des Teilhard de Chardin. Wien-München 1968, S. 66f.

126 Pierre Teilhard de Chardin: Der göttliche Bereich. Ein Entwurf des Innern Lebens. Olten-Freiburg 51965, S. 144 u. 147

127 Zit. nach de Lubac, wie Anm. 125, S. 66

128 Zur Herkunft des von May zusammengestellten Wortes >Maha-Lama< vgl. Jürgen Pinnow: Zu dem Ausdruck »Tau-ma«. In: M-KMG 81/1989, S. 42f. (43).

129 Walter Schönthal: Christliche Religion und Weltreligionen in Karl Mays Leben und Werk. S-KMG Nr. 5/1976, S. 25

130 Vgl. auch Wohlgschaft: >Und Friede auf Erden!<, wie Anm. 65, S. 111 - Ders.: »Was ich da sah«, wie Anm. 62, S. 238.

131 Schmidt: Abu Kital, wie Anm. 27, S. 46, verweist auf die platonische Anamnese-Theorie.

132 Vgl. Herbert Vorgrimler: Der Tod im Denken und Leben des Christen. Düsseldorf 1978, S.135.

133 Vgl. Wohlgschaft: Wage der Gerechtigkeit, wie Anm. 65, S. 194f.

134 Eine ausgewogene und differenzierende theologische Bewertung der >Reinkarnationslehre< finden wir z. B. bei Vorgrimler, wie Anm. 132, S. 131-137 - auch bei Hans Küng: Ewiges Leben? München-Zürich 11985, S. 85-90.

135 Insofern denkt May wohl >neuplatonisch<; vgl. Stolte: Volksschriftsteller, wie Anm. 9, S. 66f. - Berg, wie Anm. 114, S. 26f.

136 Vgl. Wohlgschaft: »Was ich da sah«, wie Anm. 62, S. 245.

137 Wie Anm. 77

138 Vgl. z.B. Hans Wollschläger: Das Alterswerk. In: Karl May's Gesammelte Werke Bd. 34: »Ich«. Bamberg 211958, S. 353-370 (368).

139 Vgl. Wollschläger: Das »eigentliche Werk«, wie Anm. 8, S. 71 - Horst Friedrich: Nochmals Johannes Kochta. In: M-KMG 81/1989, S. 36ff.

140 Karl Rahner: Mystik (V. Theologische Interpretation). In: Herders Theologisches Taschenlexikon Bd. 5, wie Anm. 73, S. 145f. (145)

141 Zum Begriff und zum Wesen der Mystik vgl. Heribert Fischer: Mystik (I.-IV.). In: Ebd., S. 137-144.

142 Vgl. Wohlgschaft: »Was ich da sah«, wie Anm. 62, S. 222ff.

143 Vgl. Bernhard Welte: Das Licht des Nichts. Von der Möglichkeit neuer religiöser Erfahrung. Düsseldorf 1980, bes. S. 37-43.

144 Vgl. Wohlgschaft: »Was ich da sah«, wie Anm. 62, S. 236f.

145 Was mit Bezug auf den >Friede<-Roman gesagt wurde (vgl. Wohlgschaft: >Und Friede auf Erden!<, wie Anm. 65, S. 114ff.), gilt auch für >Ardistan und Dschinnistan<.

146 Vgl. Fischer, wie Anm. 141, S. 142f. - auch Welte, wie Anm. 143, S. 57ff. - Wenn May verschiedene Elemente der indischen und chinesischen Spiritualität mit dem


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Christentum verbindet (z.B. I 371ff.), so ist das, religionsgeschichtlich gesehen, durchaus legitim: Die christliche Mystik wurde von der östlichen Mystik tatsächlich beeinflußt (nach Fischer).

147 Wollschläger: Das Alterswerk, wie Anm. 138, S. 368

148 Etzold, wie Anm. 64, S. 43 (Anm. 33; dort auch das folg. Zitat); Etzold verweist auf Hans Jonas: Gnosis und spätantiker Geist. Erster Teil: Die mythologische Gnosis. Göttingen 41988, S. 179f.

149 Etzold: Ebd.

150 Rahner: Mystik, wie Anm. 140, S. 146; dort auch das folgende Zitat

151 (Anonymus:) Nachwort, wie Arun. 39, S. 469-483 (480); ebd., S. 479, wird - im Kommentar zu Hadschi Halef - ein Gegensatz von >Leib< und >Seele< konstruiert, der Mays Intention eher verdunkelt als erhellt.

152 Vgl. Schmidt: Sitara, wie Anm. 36, pass.; dazu Lorenz, wie Anm. 33, S. 235 u. 241.

153 Vgl. Gerl, wie Anm. 124, S. 265.

154 Dieses Motiv begegnet uns schon in Mays Kolportageroman >Das Waldröschen< (1882-84): Doktor Sternau erweckt die ohnmächtige (und wahnsinnig gewordene) Gräfin Rosa de Rodriganda zu neuem und schönerem Leben (Karl May: Das Waldröschen oder Die Verfolgung rund um die Erde. Dresden 1882; zit. nach dem Reprint einer späteren Ausgabe; Hildesheim-New York 1969ff., S. 280ff.).

155 Papst Pius XII. hat dieses - auf die Frühzeit des Christentums zurückgehende - Glaubenssymbol am 1.11.1950 dogmatisiert.

156 Zur Deutung des Mariendogmas von 1950 vgl. - besonders hilfreich - Karl Rahner: Maria, Mutter des Herrn. Theologische Betrachtungen. Freiburg-Basel-Wien 51965, S.85-95.

157 Vgl. Johann Baptist Metz: Leiblichkeit. In: Handbuch theologischer Grundbegriffe II. Hrsg. von Heinrich Fries. München 1963, S. 30-37.

158 Ein bekanntes Wort des Theologen und Theosophen Friedrich C. Oetinger (1702-1782); zit. nach Gerl, wie Anm. 124, S. 265

159 Gerl: Ebd., S. 266

160 Bernd Steinbrink: Vom Weg nach Dschinnistan. Initiationsmotive im Werk Karl Mays. In: Jb-KMG 1984. Husum 1984, S. 231-248 (241 mit Verweis auf den Religionswissenschaftler Mircea Eliade); vgl. Wohlgschaft: »Was ich da sah«, wie Anm. 62,S.235.

161 Vgl. Wohlgschaft, ebd. S. 235f.

162 Vgl. Wilhelm Koch: Karl Mays Baukunst und ihre Symbolik. In: KMJB 1918. Breslau 1918, S. 113-125 (120ff.).

163 Vgl. die alttestamentliche Gerichtsszene im Buch Daniel (Dan 7, 9f.); dieser Szene (ebenso Offb 20, 11ff.) dürfte May einige Motive entnommen haben.

164 Hatzig: Karl Mays Textvarianten, wie Anm. 22, S. 28

165 Sahlberg, wie Anm. 55, S. 196

166 Vgl. Wohlgschaft: Wage der Gerechtigkeit, wie Anm. 65, S. 194-199.

167 May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 41, S. 212

168 Auf Offb 20 als »Quelle« der Gerichtsszene in der Totenstadt verweist auch Gert Ueding: Der Traum des Gefangenen. Geschichte und Geschichten im Werk Karl Mays. In: Jb-KMG 1978. Hamburg 1978, S. 60-86 (73); vgl. oben Anm. 163.

169 Gerhard von Rad: Das erste Buch Mose. Das Alte Testament Deutsch 2/4. Göttingen 11967, S. 182

170 Vgl. Joseph Ratzinger: Stellvertretung. In: Handbuch theologischer Grundbegriffe II, wie Anm. 157, S. 566-575 (566) - Leo Scheffczyk: Stellvertretung. In: Herders Theologisches Taschenlexikon Bd. 7. Hrsg. von Karl Rahner. Freiburg-Basel-Wien 1973, S. 148-150 (148).

171 Ratzinger, wie Anm. 170, S. 566

172 Ebd., S. 575

173 Vgl. Scheffczyk, wie Anm. 170, S. 149.

174 Ebd.

175 Vgl. ebd. - Wohlgschaft: >Und Friede auf Erden!<, wie Anm. 65, S. 131ff.

176 Ratzinger, wie Anm. 170, S. 571; zur Stellvertretungs-Thematik aus evangelischer


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Sicht vgl. z.B. Karl Barth: Kirchliche Dogmatik II/2. Zollikon-Zürich 1942, S. 375-453 - Emil Brunner: Der Mittler. Zürich 11947, S. 443-466 - Dorothee Sölle: Stellvertretung. Ein Kapitel Theologie nach dem »Tode Gottes«. Stuttgart-Berlin 11966.

177 Franz-Josef Nocke: Eschatologie. Düsseldorf 1982, S. 133

178 Ratzinger, wie Anm. 170, S. 568

179 Berg, wie Anm. 114, S. 24

180 Vgl. Ernst Seybold: Aspekte christlichen Glaubens bei Karl May. S-KMG Nr. 55/1985, S. 20f.

181 Vgl. Wohlgschaft: »Was ich da sah«, wie Anm. 62, S. 245.

182 Marah Durimehs Rede enthält auch chauvinistische Tendenzen, die im späteren Handlungsverlauf aber keine ernsthafte Rolle spielen.

183 Vgl. Stolte: Weltfriedensgedanke, wie Anm. 39, S. 94-98; schon Schlüter, wie Anm. 83, S. 75, würdigt die Friedensidee in >Ardistan und Dschinnistan<.

184 Vgl. Helmut Schmiedt: Karl May. Studien zu Leben, Werk und Wirkung eines Erfolgsschriftstellers. Frankfurt a.M. 21987, S. 132ff. - Wagner, wie Anm. 48, S. 38f.

185 Nach Klara May: Marah Durimeh. Wie hätte Karl May die Fortsetzung von »Jenseits« und »Ardistan und Dschinnistan« gestaltet? In: KMJB 1921. Radebeul 1920, S. 115-119 (117), hatte der Schriftsteller gehofft, daß der Kaiser seinen Roman lesen und beherzigen würde; vgl. Schmidt: Sitara, wie Anm. 36, S. 317.

186 Walther Ilmer: Mit Kara Ben Nemsi >im Schatten des Großherrn<. Beginn einer beispiellosen Retter-Karriere. In: Jb-KMG 1990. Husum 1990, S. 287-312 (309)

187 Wie Anm. 8

188 Vgl. oben S. 299.

189 Ueding: Der Traum des Gefangenen, wie Anm. 168, S. 82; daß »das Sinnzentrum von Mays Erzählungen« nur »die säkularisierte Rettung von Heilsgeschichte« (ebd., S. 83) sei, bezweifle ich allerdings sehr.

190 Steinbrink, wie Anm. 160, S. 246

191 Vgl. Hatzig: Karl May und Sascha Schneider, wie Anm. 2, S. 164.

192 Vgl. May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 41, S. 144.

193 Vgl. (Anonymus:) Nachwort, wie Anm. 39, S. 482: »Der Engel von EI Hadd ist das Sinnbild Christi selbst.«

194 Pierre Teilhard de Chardin: Die Zukunft des Menschen. Olten 1963, S. 353f.

195 Karl Rahner: Die Friedensbewegung ist eine Hoffnung für viele. In: Glaube in winterlicher Zeit. Gespräche mit Karl Rahner aus den letzten Lebensjahren. Hrsg. von Paul Imhof und Hubert Biallowons. Düsseldorf 1986, S. 102ff. (104)

196 Vgl. Nocke, wie Anm. 177, S. 79-99.

197 Dazu Küng, wie Anm. 134, S. 90ff.

198 Ebd., S. 271

199 Karl Rahner: Über die theologische Problematik der »Neuen Erde«. In: Ders.: Schriften zur Theologie VIII. Einsiedeln-Zürich-Köln 1967, S. 580-592 (584 mit Bezug auf das II. Vatikanische Konzil: Die pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute »Gaudium et spes«, Nr. 39)

200 II. Vat. Konzil: Die dogmatische Konstitution über die Kirche »Lumen Gentium«, Nr. 35

201 II. Vat. Konzil: »Gaudium et spes«, Nr. 34; vgl. ebd., Nr. 57

202 Ebd., Nr. 38

203 Rahner: Über die theologische Problematik, wie Anm. 199, S. 586f.

204 Ebd., S. 590

205 Ebd., S. 589

206 Ebd.

207 Ebd., S. 590

208 Nocke, wie Anm. 177, S. 93

209 Rahner: Über die theologische Problematik, wie Anm. 199, S. 588f.

210 Küng, wie Anm. 134, S. 272 - Wenn Gott sich in jedem Fall durchsetzt, stellt sich natürlich die Frage nach der Möglichkeit und der Wirkung eines menschlichen


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Widerstandes gegen Gott; nach May kann die Torheit der Menschen die Ausführung des göttlichen Willens höchstens erschweren und verzögern, nicht aber verhindern (II 352).

211 Vgl. Stolte: Werkartikel, wie Anm. 11, S. 313 - Ders.: Weltfriedensgedanke, wie Anm. 39, S. 98.

212 Vgl. Wohlgschaft: »Was ich da sah«, wie Anm. 62, S. 255f.

213 Vgl. Martin Schenkel: Ecce homo! Zum heilsgeschichtlichen Friedensmythos in Karl Mays Reiseerzählung »Und Friede auf Erden!« In: Karl May, wie Anm. 33, S. 191-221 (192f.)


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