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ECKEHARD KOCH

Im Lande des Mahdi
Karl Mays Roman zwischen Zeitgeschichte
und Moderne



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»Du weißt, daß alle diese Negerdörfer von hohen Stachelzäunen umgeben sind. Die Dornen sind meist vertrocknet und brennen außerordentlich gut. Sobald man am Abende das Dorf umzingelt hat, brennt man den Zaun an verschiedenen Stellen an. In der Zeit von einigen Minuten brennt er überall; die Funken fliegen auf die Negerhütten, deren Dächer aus Schilf bestehen und sofort auch in Brand geraten. Die Schwarzen erwachen und wollen sich retten. Die kleinen Kinder und die Alten sind zu schwach dazu; sie müssen verbrennen. Den Starken aber, und gerade diese sind es, die man haben will, gelingt es, in kräftigen Sprüngen durch den brennenden Zaun zu brechen. Draußen ist es dunkel; sie sind geblendet und sehen nicht, wen und was sie vor sich haben; sie werden ergriffen und gefesselt. Wer von ihnen sich wehrt, wird niedergestochen, erschossen oder erschlagen! . . . Alte Weiber mit kleinen Kindern, denen es gelungen ist, sich aus dem Brande zu retten, treibt man einfach in das Feuer zurück. Wer unter fünf und über dreißig Jahre alt ist, den können wir nicht brauchen, da niemand einen solchen Sklaven kauft. Und indem man solche unbrauchbare Schwarze in das Feuer zurücktreibt, erspart man das Pulver, welches sie nicht wert sind.«(1)

Karl May steigert sich bei seiner Schilderung der Greuel einer Sklavenjagd noch in weitere grauenvolle Details hinein: Kinder und Erwachsene, die als Sklaven nicht zu gebrauchen sind oder von denen zu erwarten ist, daß sie den Transport nicht überstehen, werden schlicht ermordet. Der Erzähler macht aus seinem Abscheu keinen Hehl: Ich fühlte eine Wut in mir, welche gar nicht zu beschreiben ist . . . Wie oft hatte ich Ibn Asl und mehrere, ja alle seiner Mitschuldigen geschont! In diesem Augenblicke bereute ich dies auf das bitterste. (III 118)

   Es ist verboten, Menschenblut zu vergießen; aber bei dem Anblicke, den ich jetzt hatte, wäre es eine Wonne für mich gewesen, dem Sklavenjäger eine gute Klinge in das Leben zu stoßen. (III 116)

   An anderer Stelle beschreibt May die entsetzlichen Qualen, die versklavte Neger auf dem Transport zu erleiden hatten:

Diese armen Teufel hatten einen sehr weiten Weg hinter sich, den sie in Fesseln und im glühendsten Sonnenbrande zu Fuße durch die ausgetrocknete Chala hatten zurücklegen müssen. Wie sahen sie aus! Zum Erbarmen! Zwar war die mit Recht


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so gefürchtete Schebah . . . nicht in Anwendung gebracht, doch durfte ihre Fesselung trotzdem keine leichte genannt werden. Die Hände waren ihnen nämlich durch Stricke je mit dem Fuße der andern Seite so verbunden, daß sie nur ganz kurze Schritte machen und die Finger nicht zum Munde, ja kaum bis zur Höhe der Brust bringen konnten. Von einem Handgelenke zum andern ging ein dritter Strick, in dessen Mitte ein schwerer Holzklotz hing, den sie tragen mußten, wenn er ihnen nicht die Beine zu Schanden schlagen sollte. Außer einigen Fetzen, die um ihre Lenden hingen, waren sie unbekleidet, und da auch ihre Köpfe vollständig entblößt waren, mußten sie bei der jetzt herrschenden Hitze fürchterliche Qualen ausgestanden haben. Ich sah an ihren Körpern handgroße Stellen, von denen die Sonne die Haut weggefressen hatte. Und das waren keine Neger, keine Heiden, sondern muhammedanische Bagara el Homr . . . (III 412f.)

   Wie schlimm waren dagegen die fast ganz nackten Gefangenen daran! Von keinem wirklichen Kleidungsstücke bedeckt und auch nicht im stande, alle Körperteile mit den Händen zu erreichen, waren sie den schmerzhaften Stichen der Blutsauger vollständig wehrlos preisgegeben. Nur wer die schrecklich verschwollenen, bis zur Unkenntlichkeit entstellten Gesichter solcher Menschen gesehen hat, der weiß, was es bedeutet und welche unendliche Qualen es bereitet, wenn es einem unmöglich ist, sich dieser zwar kleinen aber erbarmungslosen und in wolkigen Massen auftretenden Teufel zu erwehren . . . Die Sklaven kamen von Dar Tagaleh, also von dem mächtigen Bergstocke des Tegeli herab, wo es keine Stechfliegen giebt; sie waren also gegen die Stiche dieser Insekten nicht im mindesten abgehärtet und wälzten sich unter . . . schmerzvollem Wimmern und Stöhnen hin und her . . . (III 415)

Der Erzähler, der selbst eine Zeitlang die Schebah, die Sklavengabel, tragen muß und das Los der Neger somit in gewisser Weise nachempfinden kann, läßt sich von Anfang bis Ende seines ›Mahdi‹ über die Grausamkeit des Sklavenhandels aus. Ebenso ist auch Mays Jugenderzählung ›Die Sklavenkarawane‹(2) vom Antisklaverei-Gedanken getragen. »Fast 2500 Seiten flammender Empörung widmet May dem Kampf gegen den Sklavenhandel. Darin macht er sich zum Anwalt der gequälten und unterdrückten schwarzen Rasse, rüttelt mit den detaillierten Schilderungen der unglaublichen Grausamkeiten das Gewissen der mitteleuropäischen Leser auf und stellt gleichzeitig ein Modell zur Lösung des Problems vor. Zugegeben: ein utopisches Modell, denn einen Reis Effendina hat es so nicht gegeben.«(3)

   Der Reïs Effendina aus dem Mahdi-Roman ist ein hoher, mit Sondervollmachten ausgestatteter Beamter, dessen Aufgabe darin besteht, Jagd auf Sklavenjäger zu machen. Sein Schicksal und das von Kara Ben Nemsi – denn um ihn handelt es sich bei dem Erzähler, was sich jedoch erst in der Buchausgabe in den beiden letzten Kapiteln des dritten Bandes herausstellt – sind eng miteinander verwoben. Die Freundschaft zwischen beiden, die allerdings nie ganz frei von Störungen ist, vor allem wegen Kara Ben Nemsis Humanität auch gegenüber den Sklavenjägern, geht am Ende des Romans in die Brüche, weil der Reïs Kara Ben


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Nemsis Überlegenheit nicht ertragen kann.(4) Bis dahin schlägt sich Kara Ben Nemsi, mit und ohne Reïs, diesem immer ein Stück voraus, mit Sklavenhändlern und -jägern herum. Seine Hauptgegner sind der türkische Kaufmann Murad Nassyr, der ihn erst als Sklaventransporteur anheuern will und, als Kara Ben Nemsi darauf nicht eingeht, ihm größte Feindschaft schwört; ferner Abd el Barak, der Vorsteher der Heiligen Kadirine, einer islamischen Bruderschaft, und sein Gehilfe, der Muza›bir; weiterhin Abd Asl, der sich als heiliger Fakir ausgibt, aber ein blutrünstiger Sklavenjäger ist, überboten allenfalls von seinem Sohn Ibn Asl, dem, wie der Erzähler hervorhebt, bedeutendsten Sklavenjäger am Nil; und schließlich auch Mohammed Achmed, der spätere Mahdi, obwohl ihm der Erzähler das Leben rettet. Bis auf letzteren, der immerhin noch eine weltgeschichtliche Aufgabe zu erfüllen hat, und Murad Nassyr, dem der Reïs auf Drängen Kara Ben Nemsis hin mißmutig das Leben schenkt, erhalten sie alle ihre gerechte Strafe; sie werden hingerichtet, Abd Asl sogar den Krokodilen zum Fraße vorgeworfen. Aber sie – und das macht May in dem Roman überdeutlich – erleiden nichts als nur ihre gerechte Strafe; denn das Schicksal, das sie über die versklavten Neger gebracht haben, ist von unglaublicher Grausamkeit: »Deine Schandthaten zählen nach hunderten«, wirft der Reïs Abd Asl vor – und sein Auge ruhte mit dem Ausdrucke des Ekels, des Abscheues auf dem Alten (II 338) –, als dieser um sein Leben bettelt, »tausende von Menschen verdanken dir die Sklaverei, den Tod oder die Verarmung der Ihrigen. Wie viele Dörfer hast du ausmorden und ausbrennen lassen! Und dabei zeigtest du das Gesicht eines Heiligen, ließest die Gebete eines Ehrwürdigen hören und gabst dich für einen anbetungswürdigen Marabut aus. Diese Rolle ist zu Ende, und ich schicke dich dahin, wo du hingehörst, nämlich in die Hölle. . . . Ich habe die heilige Pflicht, dich auszurotten, damit dein Hirn endlich einmal aufhört, Blutthat nach Blutthat zu gebären« (II 338f.). Und Kara Ben Nemsi begründet seine Absage an Murad Nassyr u. a. mit den Worten: »Die Sklaverei ist eine Schande für die gegenwärtige Menschheit, und die Sklavenjagd ist ein Verbrechen, welches zum Himmel schreit.« (I 390).

   Diese Haltung hält der Erzähler konsequent bei. Er – als Christ – gerät damit aber auch zunehmend in Konflikt mit dem Islam. Islamische Würdenträger oder solche, die sich dafür ausgeben, befürworten die Sklaverei oder sind selber Sklavenhändler. Über die Auseinandersetzung mit der Sklaverei hinaus wird Mays Mahdi-Roman zusehends auch zu einer Auseinandersetzung mit dem Islam. »Islam und Sklaverei, diese beiden Themen hat May – schon durch das eingesetzte Personal – als eng miteinander verbunden dargestellt (. . .) In keinem seiner


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bis dahin geschriebenen Werke wird der Islam derartig negativ beschrieben (. . .)«.(5) Natürlich erhebt sich damit die Frage: Wie weit ist das alles Dramaturgie Mayscher Romane, oder wie weit stimmt seine Schilderung, zeitgeschichtlich gesehen, tatsächlich? Wenn man aber nun weiter bedenkt, daß die Wurzeln des heute im Sudan tobenden Bürgerkrieges, von dem die Weltöffentlichkeit kaum Notiz nimmt, bis in die Zeiten und Zustände hineinreichen, die May beschreibt, und wenn man die Auseinandersetzungen mit dem fundamentalistischen Islam unserer Zeit betrachtet, die ihre Vorläufer auch schon zu Zeiten Mays und des ›Mahdi‹ hatten, so genügt es sicher nicht, nur der Frage nachzugehen, wie weit May die Verhältnisse unter zeitgeschichtlichen Aspekten richtig dargestellt hat, sondern wir können und müssen auch den Bezug seines Werkes zu unserer Zeit herstellen. Dies soll im folgenden versucht werden.


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Die Grausamkeiten, die uns May bezüglich des Sklavenhandels berichtet, sind nicht übertrieben.(6) Im Jahre 1890, zu der Zeit also, als May seine ›Sklavenkarawane‹ praktisch schon beendet hatte, verkündete Papst Leo XII.: »Die Slaverei steht im Gegensatz zur Religion und der Menschenwürde. Wir sind schmerzlich betroffen von dem Bericht über die Leiden, die die gesamte Bevölkerung mancher Gebiete Innerafrikas erdulden mußte. Es ist schmerzvoll und entsetzlich, feststellen zu müssen – zuverlässige Berichterstatter haben es uns übermittelt – daß jedes Jahr 400 000 Afrikaner ohne Unterschied des Alters oder Geschlechts ihren Dörfern gewaltsam entrissen werden. Man schleppt sie mit gefesselten Händen und unter den Peitschenhieben ihrer Begleiter unbarmherzig zu den Märkten, wo man sie wie Vieh auf der Versteigerung ausstellt und verkauft.«(7)

   Die Schätzungen über die Opfer, die der Sklavenhandel den afrikanischen Kontinent kostete, reichen von mindestens 50 bis um 100 Millionen Menschen seit dem 15. Jahrhundert bis zu seinem endgültigen Verbot. Einig sind sich die Zeitzeugen und die Experten auch darüber, daß für einen Schwarzen, der in die Sklaverei getrieben wurde, vier oder fünf weitere gerechnet werden müssen, die in Afrika getötet wurden oder auf dem Transport ums Leben kamen.(8)

   Unterscheiden muß man zwischen dem westlichen Sklavenhandel, der ganz überwiegend in der Hand der Europäer lag und die Zielrichtung Amerika hatte, und dem östlichen, den in erster Linie – ab der


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Wende des 16. Jahrhunderts – die Araber betrieben. »Manche Autoren behaupten, daß der Negersklavenhandel der Araber viel länger dauerte und deshalb auch mehr Menschen aus Afrika herausgeholt habe. Hier muß man zwischen den Ausführenden, die oft skrupellose Räuber waren, und den Nutznießern unterscheiden, denen die Schwarzen meist im Hause dienten (. . .) Aber trotz dieser physischen Trübseligkeit, und obwohl die Pflanzungen, wie in Sansibar, manchmal noch lange die unterwürfige schwarze Arbeitskraft ausnutzten, scheint es mir objektiv unmöglich, den östlichen Sklavenhandel und den des Atlantiks gleichzustellen, der mit mächtigeren und schrecklicheren Mitteln arbeitete.«(9)

   Ein wesentliches Zentrum des Sklavenhandels im Osten Afrikas lag in der Tat in Sansibar; den Höhepunkt erreichten die von hier aus organisierten Sklavenjagden in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. »Das Jahrzehnt von 1880 – 1890 wurde für ganz Ost- und Zentralafrika zu einer Periode beispielloser Verwüstungen. Selbst die Aufhebung der Sklaverei an der Küste trug dazu bei, die Verhältnisse im Inneren zu verschlimmern. Die Sklaven häuften sich als Vorrat in den Durchgangs- und Musterungszentren. Da sie beinahe nichts mehr kosteten, mußte man viele verkaufen, um wenigstens noch einen gewissen Gewinn zu erzielen.«(10) Und andere Autoren ziehen den Schluß: »Man kann mit Fug und Recht behaupten, daß die Anlage der arabischen Plantagen auf Sansibar für Ostafrika die gleiche katastrophale Wirkung hatte wie die der amerikanischen für Westafrika.«(11)

   Ob man nun den europäischen Sklavenhandel von Ausmaß und Brutalität her noch über den arabischen stellen soll oder nicht – beide trugen zu grauenvollen Verwüstungen, gewaltigen Völkerverschiebungen, ungeheuren sozialen Ein- und Umbrüchen, unglaublichem Elend und dem Entstehen verheerender Kriege bei: »Schließlich ließ der Sklavenhandel den Krieg und die Gewalttätigkeit zwischen den Volksstämmen und in ihnen zum chronischen Zustand werden. Und dieser Krieg vollzog sich von nun an mit vernichtenden Mitteln. Mehr verkaufte Sklaven erlaubten, mehr Gewehre zu kaufen, und mehr Gewehre erlaubten, mehr Sklaven zu fangen.«(12) Afrikanische Despoten verkauften am Ende ihre eigenen Untertanen in die Sklaverei, wie es uns May im ›Mahdi‹ schildert.

   Karl May hat in seinem ›Mahdi‹-Roman eine Handlungszeit sowie einen Schauplatz gewählt, wo zu der damaligen Zeit der europäische Sklavenhandel keine Rolle spielte, wohl auch nie ernsthaft von Bedeutung gewesen ist; er hatte somit alle Veranlassung, den arabischen Sklavenhändlern die Schuld an jedweden Greueln aufzubürden. Daß er aber den europäischen Anteil am jahrhundertelangen Sklavenhandel in


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Afrika völlig verschweigt und mit keinem Wort auf die europäische Schuld an diesem ›zivilisierten Barbarentum‹ eingeht, sondern statt dessen die christliche Idee der Nächstenliebe immer wieder gegenüber den von ihm negativ geschilderten Vorstellungen des Islam hervorhebt, zeigt, daß es ihm in seinem ›Mahdi‹ nicht nur um die Auseinandersetzung mit den Greueln des Sklavenhandels ging, sondern gleichrangig oder mehr noch um die zwischen Christentum und Islam. Historisch gesehen hatte er natürlich nicht unrecht: Seit 1772 war auf englischem Staatsgebiet die Sklaverei verboten, ab 1807 auch die Betätigung englischer Untertanen im Sklavenhandel; 1833 wurde in den englischen Kolonien die Sklaverei abgeschafft, und 1834 wurden alle Sklaven des britischen Imperiums freigelassen. 1793 hatte der französische Nationalkonvent die Sklaverei zwar verboten, aber Napoleon hatte sie wieder eingeführt – von ihm nach seinem Ägyptenfeldzug gekaufte Schwarze dienten in seiner großen Armee im unglücklichen Marsch auf Moskau, und erst 1848 wurde die Sklaverei auch in den französischen Kolonien offiziell abgeschafft. Dennoch dauerte es noch bis zum Ende des Jahrhunderts, bis der Sklavenhandel über den Atlantik endgültig verschwand. In den Vereinigten Staaten wurde die Sklaverei bekanntermaßen erst 1865 beendet, in Brasilien und Kuba sogar erst 1888. Bis 1878 war der Sklavenhandel zwischen Angola und Brasilien noch legal, wenn er auch im Geheimen ausgeführt wurde. Immerhin wurden zwischen 1807 und 1860 etwa 70 000 Sklaven von Patrouillen aus Schiffen, die dem Sklaventransport dienten, befreit – 1901 wurde zum letzten Mal ein entsprechendes Schiff auf der Fahrt nach Amerika aufgebracht.(13)

   Hier hat es also mehr als ein Jahrhundert gedauert, bis sich der Antisklavereigedanke – nicht etwa der von May propagierte Gedanke der ›christlichen Nächstenliebe‹ – endgültig durchgesetzt hatte. Dennoch konnte May zu seiner Zeit mit Recht davon ausgehen, daß der Sklavenhandel sein Zentrum überwiegend nur noch im Osten Afrikas hatte. Und indem er das Übel der Sklaverei an diesem Beispiel anprangerte, rüttelte er natürlich auch am – in dieser Hinsicht nur mäßig ausgeprägten – Gewissen der Europäer.


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Das Eindringen der Europäer hat zu großen Umwälzungen überall in Afrika geführt. Jedoch ist die Geschichte Schwarzafrikas in Deutschland nicht einmal annähernd so bekannt und bewußt geworden wie die


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Geschichte des amerikanischen Wilden Westens. Allenfalls ein paar ›Highlights‹, verknüpft mit den Namen Livingstone, Stanley und einigen mit der deutschen Kolonialgeschichte verbundenen Persönlichkeiten, haben ihre Spuren im allgemeinen Wissen über Afrikas Geschichte hinterlassen. Dabei war die Geschichte der Erforschung und Eroberung Afrikas nicht weniger reichhaltig – und auch nicht weniger blutrünstig und brutal – als diejenige Nordamerikas. Mays spannende Schilderungen exotischer Abenteuer in Ägypten und dem Sudan, die sich an denen der farbenprächtigen, im Fernen Westen Amerikas spielenden Erlebnisse durchaus messen lassen, haben ihren realen Hintergrund. Nun mag der ehemalige Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit Hans-Jürgen Wischnewski, der sich in seiner Laufbahn besonders auch der Pflege der deutschen Beziehungen zu den arabischen Nachbarn verpflichtet fühlte, natürlich mit Recht konstatieren: »Nicht Karl May und Romantik, nicht das deutsche Afrikakorps und nicht nur Erdöl sind die Basis unserer Beziehungen zu den arabischen Ländern«;(14) die Tatsache aber, daß er in diesem Zusammenhang Karl May überhaupt erwähnt, zeigt ein weiteres Mal die bekannte Tatsache, daß – ähnlich wie die Welt der Indianer – die Welt der Araber, der Beduinen, des Orients, den Deutschen überwiegend vermittels May ins Bewußtsein gekommen ist und dort entsprechende Sympathien und positive Assoziationen erzeugte. Selbst der Ethnologe Karl-Heinz Kohl, der in verschiedenen Abhandlungen Ansätze einer Motivgeschichte der Ethnologie entwarf und dabei u. a. dem beruflichen Exotismus des Ethnologen den gelebten Exotismus der Zivilisationsflüchtlinge unter ihnen, der ›Kultur-Überläufer‹, gegenüberstellte, verbunden mit der Frage, ob eine von Vorurteilen, Klischees und Eurozentrismen freie Betrachtung fremder Kulturen überhaupt möglich sei, scheut sich nicht, in diesem Zusammenhang Karl May zu erwähnen: »Einer weit verbreiteten Ansicht entgegen, war Burton keineswegs der erste europäische Reisende, der als muslimischer Pilger verkleidet nach Mekka gelangte (. . .) Ähnliche Berühmtheit wie Gordon und Burton in England erlangte zur gleichen Zeit in Deutschland der Abenteurer und Forschungsreisende Eduard Schnitzer (. . .) Sie alle wohl dienten als Vorbilder von Kara Ben Nemsi, dem Ich-Erzähler von Karl Mays Orientromanen.«(15) Mit Eduard Schnitzer, der – 1840 in Oppeln geboren – 1865 als Quarantänearzt in türkische Dienste getreten war, 1878 vom ägyptischen Khediven (d. h. dem Vizekönig des Osmanischen Reiches) zum Gouverneur der Äquatorialprovinz ernannt wurde, jedoch während des Mahdi-Aufstandes flüchten mußte und 1892 während einer Forschungsreise an den Victoria-See von arabischen Sklavenhändlern ermordet wurde, betre-


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ten wir endgültig das Land des Mahdi, wo May seine humanitäre Kampagne gegen Sklavenjagd und Sklavenhandel angesiedelt hat: von Ägypten aus führt uns May in den Sudan.

   1798, als Napoleon sein Abenteuer im damals zum Osmanischen Reich gehörenden Ägypten beginnt, findet er ein Land vor, das sich nicht von dem Ägypten des Mittelalters unterscheidet. »Wie ein Donnerschlag bricht der Westen in den Halbschlaf des osmanischen Ägypten ein, ein Donner, der erst weit hinter den Grenzen des Nil-Landes verhallt (. . .) Der Einfluß der achtunddreißig Monate dauernden Besetzung (Juli 1798 bis September 1801) muß an seinem Ergebnis gemessen werden. Frankreich hat Ägypten mit der westlichen Technik bekannt gemacht und es gleichzeitig veranlaßt, sich im Licht seiner eigenen Geschichte zu begreifen. Diese Wiederentdeckung half ihm, sich seiner Eigenart sowohl gegenüber dem durch Frankreich vertretenen heidnischen Westen als auch gegenüber der osmanischen Türkei bewußt zu werden (. . .) Der Mann, der Ägypten seinen Platz an der Spitze der Mächte des Islam und des Mittelmeers zurückgibt, ist einer der albanischen Feldherren der türkischen Armee. Er ist Analphabet, aber ausgesprochen intelligent«:(16) es handelt sich um Mehemed Ali (1769 bis 1849), der als Begründer des modernen Ägypten anzusehen ist. Das Urteil seines Jahrhunderts über ihn war eher zwiespältig: »Er hat dem Räuberwesen, der Bedrückung des Volkes durch lauter kleine Tyrannen, der kulturellen Abgeschlossenheit des Landes mit starker Hand ein Ende gemacht und sowohl die wirtschaftliche als auch die militärische Kraft seines Gebietes zu äußerster Anspannung getrieben (. . .) Der Vernichter des Mamelukentums hinterließ ein von Fronknechten bewohntes Ägypten, das durch den Anstrich europäischer Zivilisation in Gesetzgebung, höherem Schulwesen, Verwaltungsgang und Verkehr vorläufig nichts gewonnen hatte. Mehemed Ali hatte das Niltal in seinen Privatbesitz gebracht. Gleich nach dem Ende der Mamelukenbeis ließ er 1814 die Güter zur toten Hand sowie alles Stiftungsvermögen in liegenden Gründen (Wakuf), endlich auch alles in Erbpacht befindliche Land für sich beschlagnahmen, nahm den Handel Ägyptens nahezu in eigenen Betrieb und sog den dadurch noch nicht betroffenen Rest der Bevölkerung durch unglaublichen Steuerdruck und den Zwang, alle Ernten an die Regierung zu verkaufen, erbarmungslos aus.«(17) Heutzutage ist das Urteil positiver: »(. . .) so handelt es sich doch nichtsdestoweniger bei Mehemet Ali um eine der großen Persönlichkeiten in der Geschichte Afrikas.«(18) »Sein Unternehmen – oft zu stürmisch, oft zu brutal und meist nur unter dem Gesichtswinkel des Nützlichen in Angriff genommen – muß sehr differenziert beurteilt werden. Er versucht


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zwar, einige der technischen Errungenschaften des Westens zu übernehmen, beschränkt dessen Einfluß aber argwöhnisch nur auf diese. Religion und Gesetz des muslimischen Ägypten bleiben streng und unverändert. Nichtsdestoweniger führt er Ägypten als erstes unter den arabischen Ländern auf den Weg der Modernisierung.«(19)

   Von seinen vielen außenpolitischen Unternehmungen, die – mit Sieg und Niederlagen verbunden: Eroberungen in Arabien mit Einnahme der heiligen Städte (1812), in Kreta (1823) sowie in Syrien bzw. Kleinasien (1831/32) – dann 1841 zu einer gewissen Autonomie Ägyptens gegenüber der Türkei führten: es wurde erbliches Vizekönigreich, ist die Eroberung des Sudan, von Afrika aus gesehen, sicherlich die bedeutendste. Ab 1820 stießen Mehemet Alis Truppen, u. a. mit dem Auftrag, mindestens 40 000 Sklaven mit nach Hause zu bringen, an den oberen Nil und zum Roten Meer vor; die Streitmacht bestand aus 10 000 Mann, davon waren mehr als die Hälfte Türken und Albaner (auch in Mays ›Mahdi‹ treffen wir richtigerweise noch Albaner (Arnauten) an). 1821 wurde Dongola erobert, 1824 Khartum gegründet, wo 1830 ein Gouverneur für den Sudan eingesetzt wurde – Khartum wurde damit Hauptstadt des Sudan. Bald danach wurde Mehemet Ali, der schon die arabische Küste beherrschte, zum Herren des Roten Meeres, damit allerdings auch zum großen Konkurrenten Englands, das um die Sicherung des Weges nach Indien besorgt war. Der Preis für die Eroberung bestand in 50 000 toten Sudanesen; der darauf gründende Haß gegen die Ägypter kam noch zwei Generationen später beim Mahdi-Aufstand zum Ausbruch.(20)

   Es ist wohl auch der Traum von der Macht über den Gold- und Sklavenhandel, der den alten Mehemet Ali, der erst mit 45 Jahren das Lesen lernte, trieb. Fast 70jährig unternahm er eine Fahrt auf dem Blauen Nil bis Fazanguru (1838/39); 1840-42 sandte er drei Expeditionen zur Erforschung des Weißen Nils bis zur Mündung des Sobat. »Diese vier Erkundungsreisen bewirkten leider eine Intensivierung des an sich schon sehr aktiven und besonders grausamen Sklaven- und Elfenbeinhandels, der sich von da an immer weiter nach Süden zu ausdehnte, bis er um 1860 den Norden des heutigen Kongo (Léopoldville) und Nord-Uganda erreichte.«(21)

   Alle diese Hintergründe muß man kennen und sich vor Augen halten, um Mays Schilderung der Verhältnisse im Sudan zeitgeschichtlich richtig einordnen zu können. Der Sudan hat im übrigen schon zur Zeit der alten Ägypter, Griechen und Römer ständig Sklaven (in diesem Fall für die Reiche des Mittelmeerraumes) geliefert, was dann aber nach der arabischen Eroberung noch eine enorme Steigerung erfuhr. Da das


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Wort Sudan, allerdings schon im Mittelalter gebräuchlich, ein jetzt so viel gehörtes ist, so dürfte eine kurze Bemerkung über dasselbe am Platze sein. Beled es Sudan, das ist der vollständige Name. ›Beled‹ heißt Land, und ›es‹ ist der Artikel. Sudan ist der gebrochene Artikel von ›aswad‹ = schwarz (Plural ›sud‹). Beled es Sudan heißt also das Land der Schwarzen. Der Ton wird nicht, wie man oft hört, auf die erste, sondern auf die zweite Silbe gelegt; man sagt also nicht Suhdan, sondern Sudahn (II 1). So belehrt uns May über die Bedeutung des Wortes Sudan – Land der Schwarzen: das ist für seinen Roman auch gleichzeitig Programm: es sind die Schwarzen, die Neger, die unter dem Fluch der ägyptischen Herrschaft und der Sklavenjäger zu leiden haben. »Die Unerschöpflichkeit der oberen Nilgebiete an schwarzen Menschen und an Elfenbein wurde erst recht klar, als auf Veranlassung der Regierung einzelne Expeditionen den Weißen Nil aufwärts drangen und die verhältnismäßig leichte Zugänglichkeit feststellten. Der Ruf, daß im Sudan mühelos Reichtum durch Elfenbeinhandel und Sklavenraub zu gewinnen sei, verbreitete sich rasch in Ägypten und Nubien und lockte zahlreiche Abenteurer nach dem Süden, während gleichzeitig die ersten christlichen Missionare eintrafen: zwei entgegengesetzte Weltanschauungen, die noch einen schweren Kampf hier miteinander auszukämpfen hatten.«(22) Im weitesten Sinn kann auch Kara Ben Nemsis Eintreten für das Christentum durch Wort und Tat gegenüber den Sklavenjägern, denen der Islam keine Hemmschwelle auferlegt, unter diese Auseinandersetzungen subsumiert werden.

   Anfangs war wohl das Elfenbein das Hauptziel des Handels; doch trat die Sklavenjagd mit der Zeit immer mehr in den Vordergrund. »Die Negerstämme, die untereinander in herkömmlicher Feindschaft lebten, erweckten selbst die Habsucht der Händler, indem sie sich mit ihnen gegen ihre Nachbarn verbündeten, vorübergehend dadurch ihre Macht verstärkten, aber schließlich selbst der Raubgier der Sklavenräuber zum Opfer fielen«;(23) so auch bei May im dritten ›Mahdi‹-Band, in dem der Sklavenjäger Ibn Asl die Nuer anheuert und gleichzeitig betrügt. »Bei alledem breitete sich der ägyptische Einfluß wenigstens mittelbar in den Negerländern immer mehr aus. Die Kaufleute mußten feste Mittelpunkte ihrer Macht schaffen, die Handelswege durch Stationen sichern und angesichts der Abnahme des Elfenbeins in immer entlegenere Gebiete vordringen; die Regierung brauchte diesen Spuren nur zu folgen. Unter den Händlern, die wie kleine Fürsten in ihren Raubgebieten hausten und natürlich nicht auf die Dauer mit der Regierung im Frieden bleiben konnten, ist vor allem Siber zu nennen (. . .)«.(24) Auf ihn kommen wir gleich noch einmal zurück.


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   Nicht einmal gefährlich war es, Sklaven zu machen: »Man zieht nach einem Dorfe der Schwarzen, umzingelt es, steckt es in Brand und nimmt die Neger in Empfang, wenn sie aus den brennenden Hütten gesprungen kommen. Die Alten und Schwachen sticht oder schießt man nieder, und mit den andern geht man fort. Wo ist da die Gefahr?« (II 121) Und an anderer Stelle schreibt May sehr richtig:

Diese Menschen, die Bewohner, keineswegs aber die Herren des ›schwarzen‹ Erdteiles, sind alle mehr oder weniger von dunkler Farbe – Neger – – das vielgesuchte Wild der Sklavenjagden.

   Der Weiße kommt, befreundet sich mit einem Negerstamme, erhält durch List oder für einen lumpigen Preis ein Gebiet abgetreten und errichtet auf demselben eine Niederlassung, Seribah genannt. Er ist im Besitze größerer Kenntnisse und überlegener Waffen; seine anfängliche Freundlichkeit verwandelt sich bald in Strenge; die Schwarzen fürchten ihn, während sie ihn vorher liebten.

   Er läßt andere Weiße kommen, die er angeworben hat, Auswürfe aller Gegenden und Bevölkerungsklassen des Orientes. Sie bringen Flinten und Pulver mit, suchen nebenbei durch schlechtes Baumwollenzeug, Branntwein, Tabak, Glasperlen die Schwarzen zu ködern. Sie sind gekommen, um Elfenbein zu suchen, weißes in Gestalt von Elefantenzähnen und schwarzes in – menschlicher Gestalt.

   Der Scheik des schwarzen Stammes wird mit seinen Leuten gewonnen, indem man einen Anteil der Beute verspricht. Der Raubzug beginnt. Die weißen Teilnehmer nennen sich Asaker, Soldaten; sie sind Offiziere, Unteroffiziere und gewöhnliche Asaker; sie wagen am wenigsten und nehmen den Löwenanteil des Raubertrages für sich. Die Schwarzen sind nicht Soldaten; sie müssen die schwersten Arbeiten verrichten, Kundschafterdienste thun, sich den größten Gefahren aussetzen, die vordersten beim Angriffe sein und erhalten so viel oder so wenig, daß die ihnen gewährten armseligen Vorschüsse sich mit dem ihnen zufallenden Anteile gewöhnlich aufheben oder gar der Rest in Schulden besteht.

   Bei größeren und besser organisierten Jagdgesellschaften giebt es auch schwarze Soldaten, die aber gegen die Weißen immer im Nachteile sind. Der Besitzer einer Seribah zahlt den Sold vom Raube aus, mag derselbe nun in Menschen oder Rinderherden bestehen. Die schwarzen Asaker bekommen die alten oder kranken Sklaven und Kühe, von denen sie keinen Nutzen haben.

   Und wie wird eine solche Ghasuah, eine solche Sklavenjagd arrangiert und ausgeführt? Nun, ganz genau in derselben Weise, wie ein Einbrecher verfährt, welcher sich mit fremdem Gute bereichert und früher oder später dem Zuchthause verfällt. Nur ist der Sklavenjäger ein ganz klein wenig schlimmer als der Einbrecher, da er Menschen stiehlt, ganze, große Dörfer verheert und entvölkert, und während er hundert Sklaven macht, wenigstens ebensoviel Greise und Kinder als für sich unbrauchbar umbringt. – (II 518ff.)

Noch viele andere Zitate aus Mays ›Mahdi‹ ließen sich hier anfügen. Er hat die Verhältnisse richtig beschrieben, und auf seine Darstellung einer Seribah oder einer Sklavenjagd kann man sich ebenso verlassen wie auf die meisten Details seiner zeitgeschichtlichen und geographischen Schilderungen. »Was gehen mich die Gesetze des Vicekönigs an!« ruft


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ein Sklavenhändler aus. »Ich diene meinem Könige. Unser Gesetz erlaubt es, Menschen zu verkaufen. Wenn ich darnach handle, kann kein Mensch mir etwas thun.« (II 375), oder: »Ich habe stets geglaubt, der Weiße habe das Recht, den Schwarzen zu fangen und zu verkaufen.« (II 567). Weiße – das sind allerdings bei May nicht etwa die Europäer, sondern im Gegensatz zu den Schwarzen die Ägypter bzw. Araber.

   Während im Süden Ägyptens und vor allem im Sudan chaotische Verhältnisse herrschten, versuchte Ägypten, dem Ruf eines Kulturstaates gerecht zu werden. Mehemet Ali war in geistige Umnachtung gefallen. Sein Sohn Ibrahim, der 1848 – ein Jahr vor Mehemet Alis Tod – zum Nachfolger bestimmt wurde, starb noch im selben Jahr an Schwindsucht. Es folgte Abbaß Pascha, der einerseits den auf der ägyptischen Bevölkerung lastenden Druck milderte, andererseits den europäischen Einfluß zurückdrängte; er fiel 1854 einem Mordanschlag zum Opfer. Sein Nachfolger Muhammad Said war ein Sohn Mehemet Alis und ein abendländisch gebildeter Mann. Zwar dauerte seine Amtszeit nur neun Jahre, aber in dieser Zeit wurden wichtige Fortschritte Ägyptens initiiert. 1859 begann der Bau des Suezkanals, der zehn Jahre später unter großer Pracht eingeweiht wurde. »Unter Muhammad Said (1854-63) und Ismail (1863-79) baut Ägypten intensiv Eisenbahnen, Bewässerungsanlagen, Wasserleitungen, verbessert die Ausstattung der Städte, die Beleuchtung und den Verkehr (1874 wird es in den Weltpostverein aufgenommen) und organisiert Kredit-Institute (. . .) Unter Ismail werden 1 250 000 Morgen Neuland gewonnen (. . .) Im Jahr 1861 werden 596 000 Zentner Baumwolle exportiert und im Jahr 1865 2 507 000 Zentner; das sind 90 Prozent der gesamten Ausfuhr Ägyptens (. . .) Diese große Entwicklung ging nicht vor sich, ohne die Sitten und den Geist des Landes zu verändern.«(25)

   Ismail schaffte das Monopol an Handel und Boden ab und gab Handel und Warenverkehr frei, nachdem Said Pascha schon die freie Verfügung über Ackerbau und Ertrag der Bauernschaft zurückgegeben hatte. Ismail gründete Schulen, förderte die Arbeit ausländischer Wissenschaftler sowie Buchdruck und Presse und rief eine Bibliothek, ein Museum und eine Sternwarte in Kairo ins Leben. 1866 berief er einen Senat: eine beratende Versammlung von Notabeln, und setzte 1875 gemischte Gerichtshöfe für die Verhandlung von Streitfällen zwischen Ägyptern und in Ägypten ansässigen Ausländern sowie zwischen Ausländern ein. Insofern beruft sich Kara Ben Nemsi mit Recht öfter auf seinen Sonderstatus als Ausländer und Deutscher.

   Eine ganz wesentliche Entscheidung hatte vorher jedoch schon Said Pascha getroffen. Die Proteste europäischer Missionare und For-


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schungsreisender gegen den Sklavenhandel hatten dazu geführt, daß er 1855 persönlich nach Khartum reiste und dort den Sklavenhandel kurzweg verbot: ein Jahrzehnt vor der Abschaffung der Sklaverei in den Vereinigten Staaten! Etwas abschätzig urteilten Zeitgenossen nur wenig später über seinen Nachfolger: »Der Einfluß der Europäer und damit der Sklavereifeinde in Ägypten stieg, als 1863 in Ismail Pascha ein Freund der westlichen Kultur auf den Thron kam, ein Mann, dem weniger aus innerer Überzeugung als aus Eitelkeit daran lag, sich allenthalben als aufgeklärten Reformator und Begünstiger des Fortschritts zu zeigen.«(26)

   Erreicht wurde zunächst durch den Verbot des Sklavenhandels nicht viel: der Vizekönig Said Pascha »untersagte vor allem seinen Beamten die bisher üblichen Raubjagden in die Negerländer, wodurch er ihre Einnahmen empfindlich schmälerte. Die Folge war, daß der Handel nur gefährlicher, aber auch einträglicher wurde, und daß die Beamten ihre Einkünfte durch Annahme von Bestechungsgeldern wieder auf die alte Höhe zu bringen suchten. Zuweilen wurde auch ein Transport von Sklaven feierlich mit Beschlag belegt; die ›befreiten‹ Neger aber schickte man nicht in die Heimat zurück, sondern reihte sie in das ägyptische Heer ein.«(27) Jetzt haben wir endgültig den Punkt erreicht, da wir all die Verhältnisse, wie May sie für das ›Land des Mahdi‹ schildert, ohne Abstriche vorfinden. Und wenn der Reïs Effendina Kara Ben Nemsi erklärt: »Der Sklavenhandel ist verboten, wird aber noch immer betrieben. Du hast gar keine Ahnung, wie viel Menschen jährlich an demselben zu Grunde gehen!«, dann kann Kara Ben Nemsi überzeugend antworten: »Ob ich es weiß, das sollst du sogleich erfahren. Sprechen wir nur von Aegypten, wo doch der Sklavenhandel aufgehoben ist. Vom obern Nil werden jährlich 40000 Sklaven über das rote Meer geführt. Davon gehen 16000 in andere Gegenden, 24000 aber nach Aegypten. Dazu kommen 46000, welche auf dem Nile und auf Landwegen nach Nubien und Aegypten geführt werden. Dieses Land erhält also über 4 Hafenplätze und auf 14 Landrouten jährlich 70000 Sklaven. Nun muß man rechnen, daß auf einen verkauften Sklaven vier andere kommen, welche während der Sklavenjagd getötet werden oder während des Transportes umkommen. Das ergiebt den fürchterlichen Schluß, daß die Sudanländer allein für Aegypten jährlich 350 000 Menschen einbüßen . . . Nun, wenigstens wissen wir, daß es noch viel zu niedrig gegriffen ist, wenn man annimmt, daß in den Sudanländern jährlich über eine Million Menschen an den Sklavenjagden zu Grunde gehen.« (I 147f.)

   Und über Ali Effendi el Kurdi, dem Mudir von Faschodah – ein typisches Beispiel eines korrupten ägyptischen Beamten – lesen wir: »Es


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war eine Schande! Man kannte unter ihm in Faschodah zwar das strenge Verbot des Sklavenhandels, aber man sah nichts davon. Die Sklavenjäger gingen ganz offen in seinem Hause ein und aus. Sie zahlten ihm für jeden Sklaven heimlich eine Kopfsteuer und fanden dafür bei ihm Schutz gegen das Gesetz . . . Wenn das der oberste Regent einer Provinz, der Mudir, thut, was kann man dann von den unteren und untersten Beamten erwarten! Faschodah war geradezu der Ausgangspunkt aller Sklavenraubzüge geworden. Die Sklavenjäger versammelten sich dort, um sich vorzubereiten . . .« (II 345f.)

   Wie wahr hat May die zeitgeschichtlichen Verhältnisse geschildert! Immer wieder betont er in Übereinstimmung mit der Geschichte, daß die Sklaverei abgeschafft sei;(28) ebenfalls entsprechend der tatsächlichen Situation im Sudan zeigt er auf der anderen Seite auf, daß die Sklavenjagd, nicht zuletzt sogar wegen des Verbots, ungeahnte Ausmaße annimmt. Wie ein Sklavenjäger sagt: »Die fränkischen Christen mögen in ihrem Lande bleiben und sich nicht in unsere Angelegenheiten mischen. Was für ein Recht haben sie, uns den Sklavenhandel zu verbieten? Nicht das mindeste!« (I 549)


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May hat in seinem ›Mahdi‹, abgesehen von der geschichtlichen Gestalt, die dem ganzen Roman den Titel gab, nur wenige historische Persönlichkeiten genannt. Eine reichhaltige Auswahl hätte er sicher gehabt; vielleicht hätte er sogar noch mehr Anklang bei seinen Lesern gefunden, wenn er – ähnlich wie in den Südamerika-Romanen(29) – mehreren zeitgeschichtlichen Personen in seinem Roman Raum gegeben hätte. Aus den von ihm benutzten zeitgeschichtlichen Quellen(30) hätte er sicher noch eine Reihe weiterer Persönlichkeiten herausgreifen, in seine Romanhandlung einbetten und damit dieser noch mehr den Anstrich des Selbsterlebten verleihen können. Daß er es nicht tat, lag natürlich daran, daß er keine historische Romane schreiben wollte, sondern seiner Phantasie freien Lauf ließ, allenfalls – eher unbewußt/halbbewußt – in seiner Heimat Erlebtes, Autobiographisches in exotisches Gewand kleidete; es lag aber vermutlich auch daran, daß er sich von dem Schicksal und den Taten historischer Gestalten inspirieren ließ, aber dann die Spuren dieser Quellen verwischen wollte. Dies wäre im ›Mahdi‹ nicht zum ersten Mal in seinen Werken geschehen.

   Im Fall von Ali Effendi Abu hamsah miah, dem ›Vater der Fünfhundert‹, den es – wie schon lange bekannt ist – tatsächlich gegeben hat, er-


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lag May im Gegensatz dazu vermutlich dem Reiz, die Eigenart dieses Beamten, Schuldigen 500 Hiebe angedeihen zu lassen, in seine Handlung umzusetzen. Und daß er in diesem Zusammenhang auch die Hintergründe richtig beschreibt, ist dann nur folgerichtig: Der eben erwähnte Mudir Ali Effendi el Kurdi, dessen Unterdrückungen und Gewalttaten zu seiner Amtsenthebung führten, ist – wie May richtig angibt – historischer Vorgänger des ›Vaters der Fünfhundert‹ – mit seiner Absetzung kam es allerdings erst einmal zur Freilassung von Sklavenjägern.(31)

   Abgesehen von der Nennung weniger historischer Gestalten, auf die noch zurückzukommen sein wird, hat sich May im übrigen wohl von einigen zeitgeschichtlichen Personen für seinen Roman inspirieren lassen. Vorbilder für schurkische Sklavenhändler, wie er sie mit Abscheu schildert, hat es im Sudan genügend gegeben. »Er ist der berühmteste Sklavenjäger, und ich bin stolz auf ihn«, sagt Abd Asl über seinen Sohn Ibn Asl (I 496); beide gehören zu Kara Ben Nemsis Hauptgegnern, und beide haben m. E. historische Vorbilder. Im Sudan gab es nämlich ein berüchtigtes Gespann von Vater und Sohn, das von May natürlich nicht geschichtlich-treu dargestellt, sondern für seine Romanhandlung entsprechend passend umgestaltet wurde: es handelt sich um Zubeir Pascha (auch Siber, Ziber, Sobehr) und seinen Sohn Soleiman.

   Zubeir Rahama Pascha, der seine Abstammung sogar auf einen Onkel des Propheten Mohammed zurückführte, wurde 1830 geboren. Schon mit dreißig Jahren war er als Sklavenhändler am Weißen Nil und in der Provinz Bahr el Ghazal berühmt-berüchtigt. Er hielt sich eine Privatarmee, mit der er auch einen Versuch der Regierung, ihn von Khartum aus niederzuwerfen, erfolgreich abwehrte. Um ihn deshalb etwas im Zaum zu halten, machte man ihn 1869 zum Gouverneur der Provinz Bahr el Ghasal, und 1874 eroberte er für den Vizekönig sogar Darfur. Zwei Jahre später begab er sich nach Kairo, um den Anspruch auf das Amt des Statthalters für die eroberte Provinz durchzusetzen. Allerdings sah man ihn in Kairo inzwischen als zu mächtig an; man überhäufte ihn zwar mit Ehren, aber hielt ihn in Kairo fest und ließ ihn nicht zurückkehren. Hier müssen wir den Ereignissen nun etwas vorgreifen. Im Sudan war 1877 General Charles George Gordon Generalgouverneur geworden, der dem Sklavenhandel energisch den Kampf ansagte. Zubeirs Sohn Soleiman erhob sich gegen ihn, sicherlich darin angestachelt von seinem ehrgeizigen Vater, und wurde im Juli 1879 von Truppen unter Befehl des Italieners Romolo Gessi besiegt, gefangen und hingerichtet – so wie es Ibn Asl in Mays ›Mahdi‹-Roman durch den Reïs Effendina erging (Mays Roman spielt angeblich 1879(32)). Selbstver-


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ständlich wurde Zubeir nicht den Krokodilen vorgeworfen; als 1884 der Mahdi-Aufstand tobte, setzte sich Gordon sogar dafür ein, daß Zubeir sein Nachfolger als Generalgouverneur werden sollte, um der Erhebung Einhalt zu gebieten. Dies wiederum lehnte die britische Regierung ab, und ein Jahr später wurde Zubeir nach Gibraltar deportiert, weil man ihn verräterischer Verhandlungen mit dem Mahdi beschuldigte. 1887 durfte er nach Ägypten zurückkehren, und ab 1899 wurde ihm erlaubt, sich auf seinen Besitzungen im Sudan niederzulassen. Dort – in Geili – ist er am 5. Januar 1913 gestorben.(33)

   Halunken als Vorbilder für Mays Roman-Schurken finden wir also durchaus in der sudanesischen Geschichte. Wie steht es nun mit Vorbildern für Mays ›Positiv-Helden‹, den Reïs Effendina? Für die Expedition des Reïs Effendina zum oberen Nil gibt es jemanden, der May m. E. ganz offensichtlich von der Idee her inspiriert hat: die Antisklavenjäger-Kampagne des Engländers Samuel Baker. Daß die Einzelheiten nicht stimmen, ist kein Gegenbeweis; sie brauchen auch nicht zu stimmen; die Realität dieser Expedition, ihr Grundtypus als solcher und ihre Umstände gaben May genug Material und Ideen für die eigene phantasievolle Ausgestaltung des Kampfes des Reïs Effendina und Kara Ben Nemsis gegen die Sklavenhändler an die Hand.

   Samuel White Baker, am 8. Juni 1821 in London geboren und von Beruf eigentlich Ingenieur, ging mit 24 Jahren nach Ceylon, wo er 1848 eine landwirtschaftliche Niederlassung und ein Sanatorium in 1900 m Höhe in Nuwara Eliya gründete. Nach seiner Teilnahme am Krimkrieg überwachte er 1859/60 den Bau einer Eisenbahnlinie am Unterlauf der Donau. In Begleitung seiner jungen Frau Florence, einer Siebenbürgendeutschen, kam er 1861 nach Ägypten – sein Plan war die Suche nach den Nilquellen. Ein Jahr verbrachten beide mit der Erkundung der Nilnebenflüsse an der Grenze Sudan/Äthiopien und fuhren dann auf dem Nil aufwärts, immer weiter nach Süden, bis Gondokoro. Hier trafen sie im Februar 1863 die englischen Afrikaforscher John H. Speke und James A. Grant, die Entdecker des Victoria-Sees. Aufgrund deren Berichte, daß es neben dem Victoria-See noch einen zweiten riesigen See geben müsse, beschloß Baker, ihn zu suchen. Tatsächlich entdeckten er und seine Frau am 14. März 1864 diesen See, den sie Albert-Nyanza-See (heute: Albert-See) tauften. Im Mai 1865 erreichten die Bakers Khartum.

   Hat sich May bei seiner Darstellung Murad Nassyrs, der in Begleitung seiner Schwestern an den oberen Nil reist, vielleicht sogar davon inspirieren lassen, daß Baker seine Frau bei seinen Forschungen dabei hatte? Daß man in der Schilderung der Begegnung Kara Ben Nemsis


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mit Murad Nassyr auch die Nachzeichnung des schicksalhaften Zusammentreffens Mays mit dem Verleger Münchmeyer hat sehen wollen,(34) tut dieser Vermutung keinen Abbruch; denn hier geht es mehr um die Frage, woher May die Ideen und Inspirationen für die Entwicklung seiner Romanhandlungen bezog. In diesem Zusammenhang gewinnt auch ein selbstironisches Aquarell Bakers an Bedeutung, das er etwas spöttisch kommentierte: »Ugander mit Speeren und Schilden, die den auf einem Ochsen reitenden Samuel Baker umtanzen, und seine Eskorte auf dem Weg zum Albert Nyanza, 1864.«(35) Auf Ochsen reiten auch Kara Ben Nemsi und seine Gefährten, und die Ironie kehrt wieder in Mays meisterhafter Schilderung des Zusammentreffens mit dem Stamm der Gohk, wo er »als überdimensionaler Schiller-Rezitator (. . .) die Gohk zu Begeisterungsstürmen hinreißt.«(36)

   Im Oktober 1865 kehrte Baker nach England zurück, wo er ein Jahr später den Titel ›Sir‹ erhielt. Zu der Zeit reiften in ihm Pläne, den ägyptischen Sklavenhändlern im Sudan energisch das Handwerk zu legen. Unterstützung erwartete er von der ägyptischen Regierung, und tatsächlich ging Ismail Pascha auf seine Vorschläge ein. Von da ab verfolgte Ismail die Idee, Europäer als Gouverneure der vom ägyptischen Stammland weit entfernten Provinzen einzusetzen. Baker erhielt den Auftrag, das Becken des Weißen Nils südlich von Gondokoro einzunehmen; damit erreichte Ägypten (das bedeutete: auch England) den Norden des heutigen Uganda; Baker sollte Gouverneur der neuen Provinz Äquatoria werden. Tatsächlich gelang es Baker, dem Sklavenjäger und -händler Abu Saud das Lehen abzunehmen. Bis 1873 dehnte er die ägyptische Herrschaft bis zum Albertsee und an die Grenze von Unjoro aus. In der Folge geriet er aber zunehmend in Konflikt mit einzelnen Eingeborenenstämmen und entkam einmal nur knapp der Hinrichtung durch den König Kabarega von Bunjoro. Das Ziel, den Sklavenhandel am oberen Nil zu beenden, erreichte er nicht; allenfalls hat er, abgesehen von seinem Erfolg gegen Abu Saud, den Sklavenjägern das Leben schwer gemacht. Viel mehr Erfolg hatte auch der Reïs Effendina in Mays Roman nicht. Ist es zu weit gegangen, wenn man hier noch anmerkt, daß der Deutsche Kara Ben Nemsi nach Willen der Gohk den Reïs Effendina als Befehlshaber ablöst und das damit vergleicht, daß der Deutsche Eduard Schnitzer alias Emin Pascha 1878 – nach einer Übergangszeit unter Gordon – Nachfolger von Baker als Gouverneur der Äquatorialprovinz wird?

   Baker war nur bis 1873 im Süden des Sudan geblieben. Später erforschte er die Insel Zypern (1879) und bereiste noch Indien, Ceylon, Syrien, die Vereinigten Staaten und Japan. Dann zog er sich auf seinen


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Landsitz in Yorkshire zurück, schrieb seine Erinnerungen in vielfältigen Reiseberichten auf und starb am 30. Dezember 1893 in Sanford Orleigh in England.

Die Expedition Bakers, über die die Zeitschrift ›Globus‹ ab 1870 berichtete, war May bekannt; der ›Globus‹ diente als eine seiner Quellen.(37) Hat ihn vielleicht auch die teilweise sehr kritische Berichterstattung, über das, was man »als einen Flibustierzug, als eine Civilisationsrazzia«(38) bezeichnete, dazu veranlaßt, das Bild des Reïs Effendina am Ende so negativ zu zeichnen? Oder waren es vor allem autobiographische Bezüge, die sich auch im Bild dieses stolzen Jägers von Sklavenhändlern niederschlugen? Wie dem auch sei: daß die Bakersche Expedition für die Reise des Reïs Effendina und Kara Ben Nemsis vielfältige Anstöße lieferte, erscheint mir unzweifelhaft.


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Die Quellen, die May für den ethnographischen, geographischen und naturkundlichen Hintergrund seines ›Mahdi‹ benutzte, sind bekannt:(39) Für den in Ägypten spielenden Teil des Romans zog er die Zeitschriftentexte ›Durch Gosen zum Sinai‹ von Georg Moritz Ebers (›Aus allen Welttheilen‹, 1871), ›Am Nil‹ von Adolf Rambeau (›Aus allen Welttheilen‹, 1875) und ›Die Krokodilhöhle bei Maabdah‹ von Ernst Marno (›Aus allen Welttheilen‹, 1874) heran, für die im Sudan angesiedelten Teile die Bücher von: Ernst Marno: ›Reisen im Gebiete des blauen und weissen Nil, im egyptischen Sudan und den angrenzenden Negerländern, in den Jahren 1869 bis 1873‹, Wien 1874; Philipp Paulitschke: ›Die Sudanländer nach dem gegenwärtigen Stande der Kenntnis‹, Freiburg i. Br. 1885; sowie Richard Buchta: ›Der Sudan und der Mahdi. Das Land, die Bewohner und der Aufstand des falschen Propheten‹, Stuttgart 1884. Weitere zeitgenössische Quellen sind von Kosciuszko und Unbescheid aufgezeigt worden. Kosciuszko weist darauf hin, daß bis »auf wenige Ausnahmen (. . .) die geographischen, ethnographischen und naturkundlichen Angaben der ›Sklavenkarawane‹ – und der Bände II und III der Mahdi-Trilogie – aus dem erwähnten Werk Marnos« stammen; die ›Sklavenkarawane‹ bezeichnet er sogar als »anonymes Denkmal für den ansonsten in Vergessenheit geratenen österreichischen Afrikaforscher Ernst Marno«.(40) Auf die Angaben, die May zum geographischen Hintergrund oder zu Flora und Fauna macht, braucht in Anbetracht der Arbeiten von Kosciuszko und Unbescheid nicht weiter eingegangen zu werden; sie sind in erster Linie auf Marno zurückzu-


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führen und somit weitgehend verläßlich. Die Quelle des oben erwähnten Reitens auf Ochsen geht auf Marno und möglicherweise Baker zurück. Im Hinblick auf die Schilderung des Mahdi hat sich May dann in erster Linie auf Buchta verlasssen, für seine Darstellung der Eingeborenenvölker am oberen Nil vor allem auf die Arbeit von Paulitschke.

   Marno (1844-83), der aus Wien stammte und in Khartum starb, bereiste 1866/67 Abessinien und unternahm von 1869 bis 1876 verschiedene Expeditionen in das äquatoriale Nilgebiet. In Gondokoro traf er 1872 mit Baker zusammen. 1878 erhielt er von Gordon die Verwaltung der Provinz Galabat übertragen. In Meyers Konversationslexikon heißt es über ihn: »M. vereinigt mit scharfem Blick für alles Neue eine vorzügliche Gewandtheit im Verkehr mit den Eingeborenen, und Muth, Ausdauer und kräftige Gesundheit stempeln ihn zu einem Afrikareisenden, dessen Karriere noch nicht abgeschlossen ist.«(41) Heute ist Marno praktisch vergessen, während er in Helmolts Weltgeschichte (1914) noch zitiert wird.(42) Dank May ist er noch einmal zu späten, aber verdienten Ehren gekommen, und vielleicht hat sich May auch ein wenig mit ihm identifiziert. In einer Hinsicht aber hat May sich auf Marno auf keinen Fall gestützt, nämlich bezüglich dessen Einschätzung der Sklaverei und der Neger als Menschen. Diese Diskrepanz ist von Kosciuszko bereits behandelt worden.(43) Dennoch müssen wir hier noch einmal darauf zurückkommen.

   Marno gibt seiner Meinung Ausdruck, daß das Los der Sklaverei in den islamischen Ländern günstiger sei als in den nichtislamischen. »Der Muhammedaner benimmt sich gegen den Sclaven humaner als der häufig nur auf Geldgewinn bedachte Europäer.«(44) Ähnlich urteilte, wie zitiert (Anm. 9), der Historiker Ki-Zerbo ein Jahrhundert später. Beide sind sich auch darin einig, daß die »Unmenschlichkeiten des Sclavenhandels (. . .) am grellsten beim Einfangen und beim Transport der Sclaven auf(treten), denn mit dem Eintreffen am Orte der Bestimmung erreichen sie gewöhnlich ihr Ende.«(45) Marno verteidigt die Sklaverei nicht direkt, aber läßt sich doch zu den Worten hinreißen: »So betrachtet, erscheint die Sclaverei nicht als jenes Verbrechen, für welches sie häufig ausgegeben wird, da sie eben nur als eine Form des Resultates von Naturgesetzen sich zeigt und deshalb mit eben so wenig Recht und Wirkung verdammt werden kann, wie diese selbst (. . .) So wenig man den Sclavenhandel und jene Uebergriffe, welchen der Sclave ausgesetzt ist, vertheidigen kann, eben so wenig wird man – wenn jene Länder nicht geradezu gänzlich aufgegeben werden sollen [gemeint sind die Sudanländer! E. K.] – einer gewaltsamen, plötzlichen und totalen Veränderung der gegenseitigen Stellung von Freien und Sclaven das Wort reden


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können, während allerdings eine geregeltere und mildere Form dieser Stellung das nächste Ziel des Gesetzes sein sollte.«(46) Aus Marnos Darstellung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Sudan-Provinzen kann man herauslesen, daß die Sklaverei von ihm für die Wirtschaft gewissermaßen als (noch) notwendig angesehen wird. »Zu den wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Ausführungen Marnos konnte May«, wie Kosciuszko schreibt, »natürlich keine Gegendarstellung liefern; er geht auf diese Aspekte des Sklavenhandels gar nicht erst ein.«(47) In seiner Anmerkung zu diesen Hinweisen relativiert Kosciuszko jedoch seine Feststellung und verweist auf Mays Aussage: »Man hat Diener, Haremswächter und Dienerinnen für die Frauen nötig, und weil man sie auf keine andre Weise bekommen kann, so kauft man sie.« (I 47), eine Aussage, die im Zusammenhang mit dem gesamten Gespräch Kara Ben Nemsis mit Murad Nassyr zu sehen ist. Kara Ben Nemsi beteuert: »Pah! Die Sklaverei ist abgeschafft.« »In den Büchern und Verträgen; in der Wirklichkeit besteht sie aber noch, in der Türkei und in Aegypten, und es fragt hier keine Behörde darnach, ob mein Neger mein Diener oder mein Sklave ist . . . Nehmen wir den Haushalt des höchsten Mannes in Aegypten als Beispiel an. Hat der Khedive nur Diener und Dienerinnen und keine Sklaven und Sklavinnen mehr? . . . Denken Sie, der Sudan liefere seit dem Verbote keine Sklaven mehr? Oder denken Sie, es sei nicht allgemein bekannt, auch der Behörde, daß jährlich noch Tausende von Schwarzen auf dem Nile bis herunter ins Delta schwimmen? Man drückt die Augen zu, weil man selbst Neger braucht.« (I 47)

   Kosciuszko schließt an seine oben zitierten Ausführungen an: »Desto nachdrücklicher versuchte May das von Marno gezeichnete – und so im damaligen Europa wohl auch allgemein akzeptierte – Menschenbild der schwarzen Völker zu korrigieren.«(48) In der Tat ist Marnos Darstellung der Kulturstufe der von der Sklaverei betroffenen Völker bedrückend: »Das grosse, theilweise noch unbekannte Innere Africa's wird von einer grossen Anzahl von Negerstämmen bewohnt, welche in einem, nach unsern europäischen Begriffen, mehr thierischen als menschlichen Zustande leben. Die primitivsten Begriffe einer Moral mangeln, die gesellschaftliche Zusammengehörigkeit steht auf der niedersten Stufe der Horde mit dem Stammhaupt, ähnlich wie wir bei den Thieren Heerden finden, welche einem Anführer gehorchen (. . .) die Anwendung der Naturkräfte und die geringen Erzeugnisse (stehen) auf der primitivsten Stufe. Die Stämme befehden einander unausgesetzt; rohe Gewalt gegen rohe Gewalt ist, wie bei den Thieren, auch hier die Losung. Der Gegner erschlägt den Besiegten, frisst ihn vielleicht gar auf


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oder macht ihn zu seinem Sclaven (. . .) Dasselbe geschieht mit seinen eigenen Kindern.«(49)

   Zu Zeiten Voltaires hatte David Boullier, ein protestantischer Theologe, geschrieben: »Die Affen scheinen mehr Geist zu besitzen als die Neger, ihre Landsleute.«(50) Und Voltaire, dieser aufgeklärte Geist, hatte um 1760 von sich gegeben: »Was sie [die Afrikaner] anbetrifft, so ist es eine bedeutende Frage, ob sie von den Affen oder die Affen von ihnen abstammen. Unsere Weisen haben gesagt, daß der Mensch das Ebenbild Gottes sei: das ist wohl ein lächerliches Bild von einem ewigen Wesen mit schwarzer Plattnase, mit wenig oder gar keiner Intelligenz! Zweifellos wird eine Zeit kommen, da diese Tiere die Erde kultivieren, sie mit Häusern und Gärten verschönern können und den Lauf der Gestirne kennen: alles braucht seine Zeit.«(51) Zwar hat sich Voltaire auch positiver über die Schwarzen geäußert; daß er sich aber überhaupt zu solchen Behauptungen hinreißen ließ, zeigt, wie damals allgemein über Schwarzafrikaner in Europa gedacht wurde. Es hatte auch einmal das Bild vom weltgewandten höfischen ›Mohren‹ gegeben, aber dann war er »zum kaum noch menschlichen ›Wilden‹ in der Nähe des Affen degradiert«.(52) Die Leistungen verschiedener Afrikaner, die es in Europa zu hohem Ansehen brachten, darunter Generalingenieur Ibrahim Hannibal (ca. 1698 – 1781), der, aus Äthiopien stammend, 1706 nach Moskau gebracht wurde, in Rußland eine »beispiellose Karriere« u. a. als Festungsbauingenieur machte und eine deutschstämmige Hauptmannstochter heiratete – Puschkin hatte ihn unter seinen Vorfahren – (53)

wurden im allgemeinen gar nicht zur Kenntnis genommen, und nur selten wurde aus ihnen geschlossen, daß sich Schwarze unter gleichen Bedingungen genauso entwickeln wie alle übrigen Menschen. Was von den mit den Afrikanern durchgeführten Erziehungsexperimenten blieb, war vielmehr die Vorstellung, daß ›Neger‹ grundsätzlich unwissend und ›kindisch‹ seien und folglich immer erst von ›vernünftigen Menschen‹ erzogen werden müßten, bevor sie sich als gesellschaftlich nützlich erweisen könnten. Kombiniert mit der Annahme, daß sie wegen ihrer Physis ohnehin nicht zu ›höheren‹ Leistungen fähig wären, bildete sich so bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die noch heute wirksame Überzeugung, daß Afrikaner ›primitiver‹ seien als Europäer.

   Nach einer jahrhundertelangen Entwicklung, in der der überlegene militärische Gegner und Repräsentant einer fortgeschrittenen Kultur zum ›Neger‹ verwandelt worden war und seine einstmals so bewunderten Eigenschaften allenfalls noch untergründig fortbestanden, ließ das bis heute vorherrschende Bild des Afrikaners damit schließlich an der Wende zum 19. Jahrhundert alle seine negativen Züge klar erkennen. Als die Deutschen in der weiteren Geschichte der deutsch-afrikanischen Begegnung mit kolonialen Interessen in Afrika auftraten, nahmen fast alle von ihnen nurmehr ›Neger‹ wahr. In dem veränderten historischen Zusammenhang leistete das Bild, nun erweitert um die Nuance des biolo-


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gistischen Rassismus, neue Dienste für die Legitimation der Unterwerfung und Ausbeutung des Afrikanischen Kontinents. Die mit der kolonialen Praxis einhergehende Zerstörung der Afrikanischen Kulturen formte schließlich viele Menschen selbst nach dem unheilvollen Bild.(54)

Folgerichtig heißt es noch 1914 in Helmolts Weltgeschichte: »Mochten auch die Ägypter und vor allem die verhaßten Dongolaner schwere Schuld auf sich geladen haben, so waren sie doch die höher kultivierten Eroberer, die die Negerbevölkerung in Furcht und Gehorsam erhielten; schränkte man ihren Einfluß ein (Gordon) oder vertrieb man sie völlig (Gessi), so erschütterte man den Grund des Gebäudes und erwartete von der schwarzen Rasse mehr, als sie zu leisten imstande war: der Neger muß nun einmal, wenn er zum Bewohner eines Kulturstaates werden soll, unter straffer Führung von Hellfarbigen stehen.«(55) Und weiter lesen wir dort:

Das Ideal des Afrikaners ist der Besitz möglichst vieler Frauen und Sklaven, die für ihn den Boden bearbeiten und ihm erlauben, von den Erzeugnissen bequem zu leben und einträglichen Tauschhandel damit zu treiben; der Sklave ist in Afrika die beste und sicherste Kapitalanlage (. . .) Darum ist der Hauptzweck aller Kriege das Einfangen von Sklaven, die dann allmählich mit dem Geschlecht ihrer neuen Herren verschmelzen und die Eigenart des siegreichen Stammes beeinflussen. Aber die Sklaven waren nicht nur seit alter Zeit ein wertvoller Besitz, sondern zugleich ein hochgeschätzter Gegenstand des Handels, nach dem auch die Bewohner anderer Erdteile verlangend die Hände ausstreckten (. . .) Daß aber aus den zahlreichen Anfängen eines lebhafteren Verkehrs auf die Dauer so wenig Ersprießliches entstanden ist, liegt an einer verhängnisvollen Eigenschaft des afrikanischen Handels: er beruht fast immer auf Raubbau, und sein Ergebnis ist nach vorübergehendem reichen Nutzen Verfall und dauernde Schädigung. Das gilt am meisten von jenem verderblichen Handelszweige, der sich in keinem Teile der Erde so wie in Afrika entwickelt hat, dem Sklavenhandel. Zugleich aber ist dieser Handel für die Völkerkunde und die Geschichte wichtiger als irgendein anderer: er hat die Ausbreitung der schwarzen Rasse über Länder ermöglicht, nach denen sie sich freiwillig niemals verbreitet hätte; ja auf dem Sklavenhandel beruht lange Zeit nahezu die einzige geschichtliche Bedeutung Afrikas für die übrige Welt.(56)

Welch ein Segen ist die Sklaverei gewesen, könnte man hier zynisch anfügen!

   Wie ganz anders hat May die Schwarzen in seinem Roman vorgestellt und ist gegen das zeitgenössische Bild von ihnen vorgegangen. Mehrfach zitiert er die Ansichten von Arabern, wenn sie behaupten: »Sklaven, überhaupt Schwarze, sind keine eigentlichen Menschen« (II 48), und er weist sie auch zurück, z. B. in dem Gespräch mit einem Sklavenjäger: »Waren das keine Menschen, die ihr getötet oder in die Sklaverei verkauft habt?« »Schwarze sind nur halbe Menschen; sie fühlen nichts!« »Damit


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entschuldigt ihr euch, obwohl ihr sehr gut wißt, daß es nichts als eine Lüge ist.« (III 549) Zwar läßt sich auch May zu Äußerungen hinreißen wie: »Wenn die Schwarzen einmal Blut gesehen haben, hört bei ihnen jedes Gefühl und jede Rücksicht auf« (III 138), oder: Sie [eine Schwarze] war noch sehr jung und hatte nicht die eingedrückte Nase und die wulstigen Lippen der eigentlichen Neger (I 33), was zeigt, daß auch er ein Kind seiner Zeit war und seine Einstellungen gegenüber anderen Völkern differenziert gesehen werden müssen; aber die positive Haltung, das, was Kosciuszko als »direkte Replik auf Marnos abwertende Bemerkungen zur Kulturstufe der Schwarzen«(57) bezeichnet, überwiegt ganz eindeutig: Die befreiten Sklaven thaten mir von ganzem Herzen leid. Sie erhielten zwar ihre Freiheit und ihre Rinder und Schafe wieder, doch konnten sie daheim nur die Trümmer ihrer Hütten und die Leichen ihrer Angehörigen finden. Man sage nicht, der Neger fühle nicht so wie wir; er fühlt sogar leidenschaftlicher als wir und kann dem Unglücke nicht den Trost entgegensetzen, den uns der Glaube an einen Gott der Liebe und der Weisheit gibt. – – – (III 151f.)

   An anderer Stelle schreibt May: Welche Liebe und Anhänglichkeit! Er [ein Dinkajunge] unterstützte sie [seine Schwester], um sie nicht leiden sehen zu müssen! Er hatte sein Land, sein Volk und seine Eltern nicht vergessen. Er wollte zu ihnen zurück; nur darum sparte er. Und wie beschreibt man diese Schwarzen? Auf welche Stufe stellt man sie? Hätte ein weißer Knabe im Alter dieses Negerjungen besser fühlen, denken und handeln können? Gewiß nicht! Wer den Neger nicht für erziehungsfähig hält, wer ihm die besseren Regungen des Herzens abspricht, der begeht eine große Sünde nicht nur gegen die schwarze Rasse, sondern gegen das ganze Menschengeschlecht. (I 45f.) Insgesamt darf gesagt werden: »Man braucht kein ›positives Suchbild‹ zu haben, um zu erkennen, daß sich May in seinem Leben stets der Minderheiten, der Verachteten, Verfolgten, Geknechteten, der unterdrückten Naturvölker oder der von der europäischen Rasse gedemütigten Völker des Orients angenommen hat. Das ist – neben all seinen Leistungen auf literarischem Gebiet – seine eigentliche achtunggebietende und bleibende Leistung, die umso schwerer wiegt, als er damit offen dem Zeitgeist widersprach, gegen die Vorurteile und den Hochmut seiner Zeit ankämpfte (. . .) ganz gleich, ob Indianer, Beduinen, Kurden, Zigeuner, sibirische Naturvölker oder Juden – immer stand er auf der Seite der Verlierer, auch wenn er diesen im Laufe seiner Romane natürlich auch negative Gestalten zuschrieb.«(58)

   Bemerkenswerterweise ließ auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) dieser Haltung Mays späte Gerechtigkeit widerfahren:


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Sie [die Türken] hatten in Khartum einen Generalgouverneur eingesetzt, aber seine Macht und sein Interesse reichten kaum weiter, als man vom Ufer des Nil aus sehen konnte. Den Bachr-el-Gasal hinauf fuhr nur gelegentlich ein Schiff der Regierung, und dann nicht, um zu herrschen, sondern um die arabischen Sklavenjäger abzufangen, die keine Steuern zahlten und das Land der Schwarzen entvölkerten. Die Kunde von den Greueln der Sklavenjagd war bis Radebeul bei Dresden gedrungen. Vom ›Heulen der unglücklichen Neger‹ und dem ›Jauchzen der Sklavenjäger‹, die im ›Schein der lodernden Flammen wie Teufel um die Seelen der Verdammten ihre höllischen Reigen tanzten‹, schrieb Karl May in der ›Sklavenkarawane‹. Er hatte offenbar das zwischen 1889 und 1891 erschienene dreibändige Werk Wilhelm Junkers gelesen, der gerade von seinen ›Reisen in Afrika‹ zurückgekehrt war. Der österreichische Forscher beschrieb, wie die Araber ihre soeben gefangenen Sklaven das gleichfalls geraubte Elfenbein an den Nil schleppen ließen und jeden umbrachten, der unter der Last zusammenbrach. »Oh, daß alle die Klagen, Wehrufe und herzerpreßten Seufzer laut werden könnten, die ein über Tausende von Meilen gewandertes Stück Elfenbein verursacht hat«, schreibt er, »ehe es unter der Hand unserer klavierbearbeitenden Jugend dem zum Hören Verurteilten einen Teil dieser Qual nachempfinden läßt.«(59)


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Der eben zitierte Beitrag in der FAZ führt den Leser ins Land der Dinka, wo auch May große Teile seines ›Mahdi‹ spielen läßt. Über die beiden Sklavenkinder, die soeben erwähnt wurden und die Kara Ben Nemsi befreit und zu ihrem Volk zurückbringt, schreibt May: Welchem Volke die Kinder angehörten, darüber konnte es keinen Zweifel geben; sie waren Dongiols, und dieser Stamm gehört zur Dinkanation, welche sich auch Djangeh nennt. Diese letztere Bezeichnung war hier in Kairo der Name des Mädchens geworden. Die Dinka sind unbedingt der schönste Menschenschlag am weißen Nil; sie sind schlank und von hoher Statur, und ihr Gesichtsausdruck zeigt mehr Milde und Intelligenz, als derjenige anderer Völker. Da war es kein Wunder, daß der Knabe nicht das stumpfsinnige, teilnahmlose Wesen anderer Negerkinder besaß. Hätte er in einer deutschen Volksschule sitzen können, er wäre gewiß gegen keinen der andern Schüler zurückgeblieben. (I 46)

   Wie erwähnt, verwendete May für seine völkerkundlichen Beschreibungen vornehmlich das Buch von Paulitschke, in dem dieser über die den Sudan betreffenden Ergebnisse überwiegend der deutschen Afrikaforscher, darunter des Missionars A. Kaufmann und des berühmten Entdeckers Georg Schweinfurth (1836 – 1925), berichtete. Die eben zitierte Beschreibung der Dinka wurde von ihm von Kaufmann übernommen und noch um die Hinzufügung der Intelligenz gekrönt.(60) Liest


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man dagegen über Schweinfurths Reise, so hört sich das ganz anders an:

[Schweinfurth:] befand sich nun unter den Dinka und seine Beziehungen zu diesem ›seltsamen Hirtenvolke‹ waren in den folgenden zwei Jahren auch im tiefsten Innern selten unterbrochen; so lange er die Seriba des Ghattas bewohnte dienten ihm Dinka als Kuhhirten, versorgten ihm die Küche und sowohl im fernsten Osten wie Westen trat er mit ihnen häufig in Verkehr (. . .) Diese Dinka haben wenig über mittlere Körperhöhe (1,74 Meter bei 26 gemessenen Individuen). In ihrer Statur zeigen sie als Sumpfmenschen dieselbe Langschnittigkeit der Gliedmaßen wie die Nuehr und Schilluk. Am auffälligsten prägen sich die knochigen, sehnigen Körperlinien in den horizontal gestellten und eckig abfallenden Schultern aus; ein langer, an der Basis etwas verschmälerter Hals entspricht dem stets in einem spitzen Hinterkopfe gipfelnden Haupte, das, im Allgemeinen flach, einen hohen Grad von Schmalköpfigkeit aufweist, verbunden mit stark entwickelter Prognathie. Die Dinka zählen zu den am dunkelsten gefärbten Racen, aber die tiefe Schwärze der Haut läßt deutlich einen grauen Ton erkennen, sobald sie von Asche gesäubert ist, die Haut schimmert dann wie braunschwarze Bronze. ›Der angeblich bläuliche Schimmer der Negerhaut beruht auf Einbildung und ist lediglich als Reflex des blauen Himmels zu betrachten. Das kann man mit gutem Gewissen sagen.‹ Die Nasenform ist großen Schwankungen unterworfen; nach unseren ästhetischen Begriffen sind die Männer meist wohlgestalteter als die Frauen gleichen Alters. Einigermaßen einnehmende Gesichtszüge, um nicht zu sagen, menschliche [! E. K.] sind selten; unaussprechlich häßliche Fratzen, gehoben durch ein Grimassenspiel, bei welchem die kurzen Augenbrauen häufig mitwirken und den an und für sich geringen Raum zwischen ihnen und dem Beginne des Haarwuchses auf ein Minimum reduciren, verleihen der großen Mehrzahl einen affenartigen Ausdruck [!! E. K.] der Physiognomie. Doch fehlt es auch nicht an Ausnahmen. Das Haar wird meist kurz geschoren, indem man auf der Höhe des Scheitels einen Schopf stehen läßt, der gern mit Straußfedern geziert wird, um den Reihertypus nachzuahmen. [Hier folgt als Fußnote:] Nirgends in der Welt scheint sich das Gesetz der Natur, demzufolge gleiche Existenzbedingungen analoge Formen unter den verschiedensten Classen des Thierreichs hervorzurufen vermögen, mehr zu bewahrheiten als hier. Daß Menschen und Thiere in vielen Gebieten, deren physikalische Beschaffenheit sie in grellen Gegensatz zu den Nachbarländern stellt, etwas Gemeinschaftliches in der Summe ihrer Merkmale und eine gewisse Harmonie in ihrem Charakter darbieten, läßt sich nicht bezweifeln.(61)

Im Gegensatze zu den Bewohnern der steinigen und felsigen Hochländer, die das Niltal umranden, machen die an den sumpfigen Flußniederungen ansässigen Schilluk, Nu–r und Dinka nach Theodor von Heuglin den Eindruck menschlicher Flamingos; es sind echte Sumpfmenschen. Plattfuß und verlängerte Ferse sind für ihren Bau bezeichnend. Wie Sumpfvögel pflegen sie stundenlang bewegungslos auf einem Beine zu stehen. Ihr Schritt ist gemessen, ihre Gliedmaßen sind dürr und langschüssig, der Hals ist ebenso verlängert und mager. Liegt hier nicht der Gedanke an die Kraniche der Sage nahe, mit denen die Pygmäen kämpften?(62)


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Wie sehr läßt sich hier Kohls zitierte Frage nach den Vorurteilen und Eurozentrismen bei der Betrachtung fremder Kulturen durch europäische Forscher (vgl. Anm. 15) exemplifizieren! Daß May sich auf Kaufmann und nicht auf Schweinfurth stützte, ist aller Ehren wert und zeigt einmal mehr, wie sehr ihm daran gelegen war, das Bild der Europäer, speziell der Deutschen, von den Negern zurechtzurücken. Das war eines seiner Hauptanliegen. Ansonsten teilt er über die Dinka nichts wirklich Nennenswertes mit, abgesehen von der Tätowierung: Der Negerbube war ein höchst aufgewecktes Kerlchen. Er trug das Haar ganz glatt geschoren und war trotz seiner Jugend schon tätowiert. Er hatte einen tiefen Einschnitt zwischen den Augenbrauen, von welchem, als dem Centralpunkte, kreisförmige, punktierte Linien sich nach dem Scheitel und den beiden Seiten der Stirne hinzogen, eine Art der Tätowierung, die bei allen Stämmen der Dinkaneger, und zwar sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen gebräuchlich ist. (I 38, ähnlich auch II 525) Die Angaben entnahm May Paulitschke, der sich hier wiederum auf Kaufmann bezog. Auch die übrigen Angaben zu den drei von ihm erwähnten Dinka-Stämmen, den Dongiol, Bor und Gohk, zu Bevölkerungszahl und Haartracht stammten von dort.(63) Die Gohk hat May im übrigen »ganz nach eigener Phantasie gestaltet; hierzu ist anzumerken, daß gerade die ohne jede Quellenbenutzung gestaltete Begrüßungsszene bei den Gohk wohl die gelungenste Darstellung eingeborener Lebensart ist, die wir in den Sudan-Romanen finden.«(64) Über die Gohk teilt May noch mit: »Die Gohk sind das westliche Dinka-Volk. Sie grenzen mit den Schur zusammen, haben ein großes Gebiet inne und besitzen eine Anzahl reicher Dörfer.« (II 575) Und über die Bor: Da oben wohnen die Bor, welche ungefähr zehntausend Köpfe zählen, die vierzig Dörfer bewohnen und sehr große Rinderherden besitzen. Glücklicherweise sind diese Bor ein Zweig des großen Dinka-Volkes, und da es die Rettung der ihnen stammverwandten Gohk galt, so glaubten wir, bei ihnen die notwendige Unterstützung zu finden. (III 2) In der Tat: Wir alle ritten, und zwar auf den schon erwähnten Ochsen. Voran kam eine Abteilung der Borkrieger, dann ein Trupp Asaker; dann folgten Lastochsen, dann wieder Soldaten und Lasttiere, worauf die andere Hälfte Bor den Zug beschlossen. Es war ein Glück für uns, daß die Schwarzen sich mit uns verbündet hatten, denn ohne sie hätten wir niemals unser Ziel erreicht, sondern wären in diesem unendlichen Sumpfe umgekommen. Sie aber kannten denselben, als ob er ihre Heimat sei. Ihre geübten Augen unterschieden mit Leichtigkeit die Stellen, denen man sich anvertrauen konnte . . . Ich bewunderte den Scharfblick und die Umsicht dieser Leute mehr und mehr und lernte hier auch – – Ochsen achten, denn ohne ihre Tiere hätten auch die Bor nicht


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fortkommen können. (III 66) Wie anders liest sich diese Darstellung als diejenige Schweinfurths – ihm dienen die Dinka als Kuhhirten und Küchengehilfen, für Kara Ben Nemsi sind sie gleichsam Lebensretter, die ihm Bewunderung abnötigen.

   Wer waren und sind die Dinka?(65) Zusammen mit den sich östlich anschließenden Nuer bilden die Dinka eine Unterabteilung der Westnilotischen Sprachgruppe. Die eigentlichen Niloten teilen sich in die Hauptgruppen Schilluk, Dinka und Nuer. Die Dinka bewohnten und bewohnen das sumpfige Tiefland der Bahr el Ghasal-Provinz des südlichen Sudan, im Westen auch die höher gelegenen Savannengebiete des sogenannten Eisensteinplateaus. Schon um das Jahr 1000 lebten die Niloten in diesen wasserreichen Flachländern, wobei sie ihre Dörfer auf natürlichen Anhöhen erbauten. Nach der Jahrtausendwende begannen sie mit Wanderungen – aus Gründen, die wir heute kaum mehr nachvollziehen können. Dinka und Nuer scheinen gemeinsam aufgebrochen zu sein und sich später geteilt zu haben; ihnen folgten die Luo (Schilluk), die sich ebenfalls teilten und verschiedene Wege einschlugen. Im Rahmen dieser Bewegungen erreichten die Dinka ihre heutigen Wohngebiete. Tatsächlich gehören sie – die Männer erreichen 1,80 m Durchschnittsgröße – zu den höchstgewachsenen Menschen der Welt.

   Schon Helmolts Weltgeschichte weist daraufhin, daß die Völker des Niltales zwei große Kulturerrungenschaften hatten: die Rinderzucht und die Eisenbearbeitung, und betont, daß die Hauptstämme Viehzüchter und hervorragende Schmiede waren; letztere bildeten eine eigene – wenn auch nicht sehr geachtete – Kaste. Gezüchtet wurden neben Schafen und Ziegen vor allem Rinder, von den Dinka speziell die langhörnigen Zebu-Rinder. In diesem Zusammenhang waren den Niloten auch Verzierung der Hörner, Fleisch für Opferzwecke oder Vieh als Brautpreis wichtig. Aber auch der Feldbau spielte eine große Rolle; die Niloten bauten auf ihren in höheren Lagen außerhalb der Überschwemmungsgebiete angelegten Feldern Bohnen, Sesam, Durra, Kürbis und Melonen an, heutzutage vor allem Hirse und Mais. May schreibt über das Dorf der Gohk-Dinka im Prinzip richtig: Wir erreichten den Wald und ritten quer hindurch, um an das Ufer eines langgestreckten, seeartigen Wasserbeckens zu kommen. Ein Blick belehrte uns, daß wir uns in der Nähe des Zieles befanden. Die Ufer des Sees waren von Fruchtfeldern umgeben, von denen aus sich Weideplätze bis hin zum Horizonte zogen. Am Rande des Wassers hingen Kähne. Rechts von uns gab es einen Berg, ja wirklich, eine Anhöhe, welche im Verhältnisse zu der sonst ganz platten Gegend recht gut als ein Berg bezeichnet werden konnte . . .


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(III 73), auf dem das Dorf der Neger lag. Es nahm ungefähr die Hälfte des Plateaus ein und bestand aus lauter runden Hütten von der Art, wie ich sie wiederholt beschrieben habe, und war von einem hohen, sehr dichten Dorngestrüpp umgeben. Die Fläche außerhalb des Dorfes war mit kurzem Grase bewachsen. Es gab da mehrere Einzäunungen, um die Herden des Nachts und zur Zeit eines Ueberfalles in Sicherheit zu bringen. (III 82)

   Zwar waren die Niloten keine Nomaden, aber jahreszeitlich bedingte Wanderungen gab es: die Herden wurden in Anpassung an die Weidemöglichkeiten während Regen- und Trockenzeit umhergetrieben, während der Trockenzeit also in die flußnahen Gebiete, wo sie – bei den Dinka – von jungen Männern und Mädchen gehütet wurden. Die Männer beteiligten sich auch an den Feldarbeiten; im Gegensatz dazu wurden die Frauen bei den Niloten in der Regel von der Viehhaltung, selbst vom Melken, ausgeschlossen.

   Die Dinka teilten sich in eine Reihe unabhängiger Stämme wie die Gohk, Bor, Reik, Malwal, Agar, Ngok, Niel, Aliab, Kiec, Twi u. a. Bedeutender waren jedoch als Organisationsformen die Klane; es herrschten Klantotemismus und Vaterrecht. Von einigen Klanen wurde angenommen, daß sie über magische Fähigkeiten verfügten. Dem diesen Klanen entstammenden ›Speerhäuptling‹ wurden bestimmte richterliche und priesterliche Aufgaben übertragen.

   Während die Dinka in den temporär angelegten Trockenzeitlagern in kuppelförmigen Grashütten lebten, bewohnten sie in der übrigen Zeit zylindrische Kegeldachhütten in festen Dorfsiedlungen. Die Männer waren meist unbekleidet, die Frauen trugen überwiegend Blättertracht; man schmückte sich mit Elfenbeinarmringen, Muschel- und Straußeneiperlketten und Hörnerkappen; die unteren Schneidezähne wurden mitunter entfernt. Wegen der Stechmücken rieb man sich mit Asche ein. Wie May richtig schreibt, spielte die Tätowierung eine wichtige Rolle. Als Waffen dienten, wie auch May angibt, Speer, Keule sowie Pfeil und Bogen (III 74); im vorigen Jahrhundert lösten Spitzen aus Eisen bei Speeren und Pfeilen die Spitzen aus Holz und Horn ab.

   Von der Religion her waren die Dinkas Animisten; sie glaubten an den Naturerscheinungen innewohnende Geistwesen, an eine spirituelle Macht, Jok, sowie an einen Hochgott, Nhialic, der – persönlich aufgefaßt – ebenso wie die Macht Jok das Schicksal der Menschen mitbestimme. Auch die Geister der Ahnen wurden verehrt.

   Heute zählen die Dinka wieder etwa 1 bis 1,5 Millionen Menschen, die ihnen verwandten und auch von May mehrfach erwähnten Nuer und Schilluk(66) etwa 300 000 bzw. 120 000. Die Nuer, von denen viele von Dinka abstammten, waren und sind ein Hirtenvolk; ihr gesamtes kul-


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turelles Leben drehte sich um ihre Herden; Anbau von Hirse und das Fischen spielten ebenfalls eine Rolle. Auch hier war – wie bei den Dinka – das Klansystem sehr wichtig, während zwischen den einzelnen Stämmen (Thiang, Lau, Lak, Gaweier, Djekaing, Dok, Djagei, Nuong, Bul, Lek, Kilual) kein großer Zusammenhalt bestand. Die Beilegung von Streitigkeiten und Fehden oblag den sogenannten Leopardenfellhäuptlingen, aber aufgrund rituell-religiösen, weniger politischen Einflusses.

   Das Bauern- und Hirtenvolk der Schilluk am Westufer des Weißen Nils, um Faschodah, hielt Rinder, Schafe und Ziegen; das Hauptnahrungsmittel bestand in Milch. Die Schilluk waren seßhaft und bauten u. a. Hirse an. Die Männer betrieben Jagd und Fischfang und beteiligten sich auch an der Feldarbeit; die Herden wurden – einschließlich des Melkens – von den Männern betreut. Diese wurden (und werden) wie die Dinka-Männer sehr groß, viele bis 2,10 m, im Durchschnitt 1,80 m. Die Schilluk umfaßten die Stämme der eigentlichen Schilluk, der Anuat, Berri, Luo, Thuri, Dembo, Atscholi, Shatt, Lango, Lur, Jopalyuo, Jaluo, Kavirondo u. a. Im Gegensatz zu den Dinka und Nuer war das Gesellschaftssystem komplizierter. Bemerkenswert bei ihnen war das Gottkönigtum, das auf Nyikang, den Begründer und ersten König der Schilluk, zurückgeführt wurde. Nyikang wurde als Stammesheros – sogar in eigenen Tempeln – verehrt; dadurch gerieten der Glaube an einen Himmelsgott und ähnliche Vorstellungen allmählich in den Hintergrund. Der König der Schilluk galt als Nachkomme Nyikangs; er konnte auf königliche ›Beamte‹ zurückgreifen und übte Macht aus über die Fruchtbarkeit des Landes, so auch den Regen, und zu den Elementen seiner Herrschaft gehörten u. a. die heilige Lanze als Köngssymbol, eigene Grabhäuser, der ›heilige Königsmord‹ als Opfertod des Königs, besondere Freiheiten der Königstöchter, die Ehrung der Königsmutter und Geschwisterehen. Unterhalb des Gottkönigs gab es mehrere Adelsränge, freie Bürger und Sklaven.

   Für Mays ›Mahdi‹-Roman waren alle diese interessanten Einzelheiten natürlich nachrangig und hätten auch in die Handlung, in der es vor allem um Sklavenhandel und Sklavenjagd geht, gar nicht gepaßt. Tatsache ist, daß sich die Nuer und Dinka gegenseitig um Vieh und Sklaven bekämpften. Unter den arabischen Sklavenjägern hatten vor allem die Dinka zu leiden, doch gelang es selbst denen nicht, die Stärke und Größe dieses Volkes wesentlich zu beeinträchtigen. Anders bei den Schilluk: sie wurden von den Mahdisten im Laufe der Mahdi-Erhebung unterworfen und erlitten schwerste Verluste. 1903 gab es nur noch 40000 Schilluk, aber um 1960 schon wieder über 100000. Dennoch hat


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der Mahdi-Aufstand im Sudan Spuren hinterlassen, die bis heute nicht getilgt sind.


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Trotz des Verbotes blühte der Sklavenhandel in Ägypten. Drei bedeutende Karawanenwege gab es: die kürzeste Route führte nach El-Obeid in Kordofan und dann über Berber nach Port Suakin und Arabien; entlang des Nils wurden die Sklaven nach Kairo und dem Osmanischen Reich gebracht; am längsten war die dritte Route, die jedoch überwiegend benutzt wurde: das ›schwarze Elfenbein‹ schaffte man über Darfur und Wadai zur Oase Kufra und von dort nach Bengasi bzw. über Kuka nach Tripolis. May beschreibt an verschiedenen Stellen seines Romans Wege, auf denen Sklaven transportiert werden,(67) aber dies sind überwiegend Routen abseits der großen Wege (natürlich um den Häschern des Vizekönigs zu entgehen), abgesehen von der Nilroute, wo der Reïs Effendina auf den großen Fang wartet, der am Ende immer nicht ihm, sondern Kara Ben Nemsi gelingt.

   Wie schon beschrieben, bedeutete das Verbot des Sklavenhandels, auch wenn sich kaum jemand daran hielt und der Vizekönig die Verfolgung der Sklavenjäger und die Bereinigung der Verhältnisse den Europäern überließ, gewaltige wirtschaftliche Einbrüche für zahlreiche Kreise: für die ägyptischen Beamten ebenso wie für die arabischen und ägyptischen Sklavenjäger, für die Händler und Hehler (»Ich habe gar nicht die Absicht, Neger zu fangen, aber ich bin entschlossen, welche zu kaufen«, redet sich Murad Nassyr heraus, worauf ihm Kara Ben Nemsi erwidert: »Das ist sogar noch schlimmer . . . Wenn es keine Sklavenhändler gäbe, würde es auch keine Sklavenjäger geben.« (I 388)), für die Regierung selbst und natürlich auch für die sich untereinander bekriegenden Stämme der Einheimischen, der Neger oder der zwischen Nil und Schari lebenden Araber: »Denke, daß wir Baqquara nur von unsern Herden leben, und daß eine einzige Seuche, welche unter denselben ausbricht, uns leicht zu Grunde richtet. Da war es der Sklavenhandel, welcher uns bei solchen Fällen die Mittel gab, zu leben und, bis unsere Herden wieder gewachsen waren, nicht zu darben. Wir gaben den Sklavenjägern unsere Krieger als Asaker mit und bekamen für jeden gefangenen Schwarzen einen bestimmten, festgesetzten Lohn. Dieser wurde uns in Sklaven ausgezahlt, die man uns billig berechnete, wir aber verkauften sie zu einem weit höheren Preis. Das gab einen Gewinn, welcher uns willkommen war.« (II 455).


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   Auch hier schildert May die Verhältnisse richtig. Die Baqqara oder Baggara beteiligten sich während des 19. Jahrhunderts besonders stark an den Sklavenjagden. Im Grunde gab es die Baggara allerdings nicht; hier handelt es sich um einen Sammelnamen, abgeleitet von bakar = Rind, für Rinder-Halbnomaden, die zahlreiche Stämme umfaßten. Wahrscheinlich stammten die meisten von ihnen von Beduinen ab, die im 14. Jahrhundert in den Sudan vorstießen. Durch zahlreiche Raubzüge und Kriege wurden die Stämme mit den einheimischen Völkern vermischt; die Sudan-Neger wurden im Lauf dieses Prozesses verdrängt oder aufgesogen. Angehörige einzelner Stämme konnten je nach Schicksal oder Lebensraum ebenso Nomaden wie Halbnomaden oder sogar Seßhafte werden. Als Baggara bezeichnete man die Halbnomaden, deren Kultur auf dem Besitz von Rinderherden beruhte und auch heute noch basiert. Ochsen zum Reiten und Lastentransport waren typisch für ihre Lebensart. Die als Nomaden lebenden Stämme, die Kamele und Dromedare besaßen, wurden als Abbala bezeichnet. Die seßhaften Ackerbauern und Händler bilden die dritte Gruppe. Versucht man eine Einteilung nicht nach Lebensweise, sondern mehr nach ethnischen Gesichtspunkten, so gelangt man zu einer Fülle von Stämmen,(68) die hier im einzelnen nicht aufgezählt zu werden brauchen. Die von May in die Handlung einbezogenen El Homr und Fessarah gehören jedenfalls dazu, was May für die Homr auch an einer Stelle angibt. An anderer Stelle erwähnt May noch einen weiteren Stamm: Der Hautfarbe nach sind sie weder Kababisch noch Bagara« (III 396). Tatsächlich hat die Mischung der Völker zu unterschiedlichen Hautfarben geführt; im Süden – mit der Seßhaftwerdung – trat die negride Komponente in den Vordergrund. Nicht recht hat May dagegen, wenn er Baggara und Kababisch als Stämme nebeneinander stellt; vermutlich aber waren zu seiner Zeit die Abgrenzungen zwischen den Völkerschaften noch nicht so klar wie heute. Einen Kababisch hat May in einer seiner größeren Erzählungen, der ›Gum‹, in der für die Erzählstruktur wichtigen Rolle des bramarbasierenden, feigen Dieners gezeichnet: Hassan el Kebihr.

   Zusammen mit den Hamar, Habbania, Tundjer u. a. gehörten die Kababisch zu den Baggara und bildeten wohl deren bedeutendste Gruppe. Sie besaßen riesige Kamel-, Schaf- und Ziegenherden, im Süden ermöglichte ihnen das Land sogar die Rinderhaltung, die hier ein großes Ausmaß annahm. Noch heute leben die Kababisch teilweise beinahe so wie zu Mays Zeiten in den nördlichen Teilen der sudanesischen Provinzen Darfur und Kordofan bis nach Dongola. Ein Teil des Stammes kümmert sich um die Herden, ein Teil betreibt ausgedehnten Handel und verkauft Vieh gegen das Grundnahrungsmittel Hirse. Ein


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Großteil der Viehexporte des Sudan nach Ägypten stammte bis in neuere Zeit von den Kababisch. Daneben war bis in unser Jahrhundert der Handel mit Gummiarabikum, gewonnen aus dem Harz verschiedener im Norden Kordofans beheimateter Akazienarten, ein wesentlicher Wirtschaftszweig dieses Volkes.

   Wie alle anderen Baggara sind auch die arabisch sprechenden Kababisch ethnisch nicht einheitlich, aber sie stellen sicherlich ihre homogenste Gruppe dar und nennen sich mit mehr Recht Araber als die meisten anderen dieser Mischvölker. Sie wurden von Häuptlingen regiert, die an der Spitze der patrilinearen Klans standen und wiederum einem Oberhäuptling (Nasir) unterstanden. Jeder Klan war in Gruppen geteilt, die aus größeren Familien bestanden, zu denen neben den Familienangehörigen auch Sklaven und Schützlinge gehörten. Die Position des Nasir ist wohl erst unter dem Druck der türkisch-ägyptisch-englischen Herrschaft entstanden. Bewaffnet waren die Kababisch mit Lanzen, Speeren und Messer; die Männer spielten – auch in der Erbfolge – die wesentliche Rolle. Der Stamm hing – wie die meisten dieser Völkerschaften – dem Islam an; durchgeführt wurden Knaben- und Mädchenbeschneidung.

   Noch heute wandern die Baggara während der Regenzeit zu den Grassteppen im Norden und kehren in der trockenen Jahreszeit zu den südlichen Flußtälern zurück. Hier sind sich einige der Stämme auch nicht für den Ackerbau (vor allem Hirse) zu schade, der von anderen stolz abgelehnt wird.

   Der große Ein- und Umbruch kam für die Baggara wie für viele andere Völker des heutigen Sudan und der angrenzenden Gebiete durch den Aufstand des Mahdi. Sie wurden zu seinen glühendsten Anhängern.

   Erinnern wir uns: Ismail Pascha, der ägyptische Vizekönig, versuchte, Ägypten auf den Weg zur Moderne zu führen, und überließ den Kampf gegen die Sklavenjäger und die Ordnung der Provinzen des Sudan verschiedenen Europäern. 1874 erlangte Ägypten seine größte Ausdehnung und reichte fast bis zum Äquator. Von 1874 bis 1877 vollendete Charles George Gordon (geb. 1833) – eine »edle, nur zu vertrauensselige Natur, von unverwüstlicher Gesundheit, schien er ganz der geeignete Mann, als Organisator und Soldat die Kultur des Landes zu fördern und die Rechte der Menschlichkeit zu wahren«,(69) wie die Zeitgenossen ihn sahen – die Mission am oberen Nil, die zu Ende zu bringen Baker nicht vergönnt gewesen war. 1877 zum Pascha und Generalgouverneur ernannt, führte er, der über große Erfahrungen aus Kriegen in China verfügte, mit Abessinien lange Verhandlungen um die


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Grenzen zu den ägyptisch-sudanesischen Provinzen und schlug dann in Darfur den erwähnten Aufstand Soleimans, des Sohnes des Sklavenjägers Zubeir, nieder. Da Kairo ihm nicht die erhoffte Unterstützung zuteil werden ließ und die Zustände im Sudan nach wie vor chaotisch waren, trat Gordon Pascha 1880 zurück. Sicherlich war das Urteil seiner Zeit etwas blauäugig, wenn es heißt: »Immerhin waren die Verhältnisse im nördlichen Sudan, in Kordofan, Senaar usw. leidlich geordnet. Auch im Süden hatten Gessi (gest. 30. April 1881 in Suls) und später F. Lupton, die Gouverneure der Provinzen Bahr el-Ghasal, vor allem aber Eduard Schnitzer (Emin Pascha) in der Äquatorialprovinz die Entwickelung in hoffnungsvolle Bahnen gelenkt (. . .)«(70) Eher stimmt wohl Ki-Zerbos Urteil: Der Khedive »vertraute die Grenzgebiete seines Reiches nun europäischen Forschern und Abenteurern an. Die Äquatorialprovinz im Norden der Großen Seen wurde zunächst Samuel Baker und später dem Deutschen Schnitzer (Emin Pascha) überantwortet. Darfur bekam der Österreicher Slatin übertragen. Diese Männer führten nun Ägyptens Politik. Ungeachtet manch schwacher Besserungsversuche setzte sich der Machtmißbrauch gegen die sudanesischen Autochthonen fort und erstickte die regionalen Revolten in einem Strom von Blut.«(71)

   Waren diese Europäer sicher alle auch guten Willens, die Abneigung der Einheimischen gegen die Fremden nahm aufgrund der geschilderten Verhältnisse immer mehr zu. Hinzu kam die Entwicklung in Ägypten selbst: »(. . .) Ismaïl trieb den Prunk seines Auftretens, seine blind verschwendende Gastlichkeit und ähnliche Schwächen ins Grenzenlose.«(72) Ab 1875 geriet Ägypten in den Strudel nicht mehr aufzufangender finanzieller Schwierigkeiten. Selbst der Verkauf der Suezkanal-Aktien konnte die Lawine nicht aufhalten; noch im selben Jahr war der Staat bankrott. 1876 bildeten England und Frankreich eine Finanzkommission, geleitet von einem Engländer und einem Franzosen als Generalkontrolleure für die ägyptischen Finanzen; und 1878 übernahm Nubar Pascha mit Charles R. Wilson als Finanzminister und anderen Europäern im Kabinett auf Druck europäischer Staaten die Regierung. Diese europäische Vormundschaft führte zur Steigerung der Fremdenfeindlichkeit in Ägypten und im Sudan. Ismail geriet unter Druck seiner eigenen Landsleute, aber er konnte sich gegen die europäischen Staaten nicht wehren, die – ausgelöst durch eine Protestnote des Deutschen Reiches anläßlich Ismails Vorgehens gegen die aufgezwungene Regierung – seine Absetzung durch den Sultan betrieben, die dann 1879 erfolgte. Ismail starb 1895 in Konstantinopel.

   Ismails Sohn und Nachfolger Tewfik (1879-92) war ein schwaches


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Werkzeug in den Händen Englands und Frankreichs. Unter ihm erreichten die fremdenfeindlichen Strömungen im ägyptischen Reich einerseits, der Einfluß der Europäer andererseits den Höhepunkt. So war aus der Sicht der einen, wie zitiert, »die Entwickelung in hoffnungsvolle Bahnen gelenkt, als ein ungeheurer Ausbruch des altsudanesischen Glaubenseifers mit einem Schlage das Werk zerstörte, aber zugleich bewies, wie morsch und hohl das äußerlich so glänzende Gebäude gewesen war: Mohammed Achmed, der angebliche Mahdi (Reformator), entrollte 1881 das Banner des Aufstandes und hatte nach wenigen Jahren sich des gesamten Sudan bemächtigt.«(73) Man hat es auch nüchterner gesehen: »Es gab demnach um 1880 von Sennar bis Darfur mehrere Zentren des Widerstands gegen die ägyptische Herrschaft und die ausländischen Beamten, welche deren Vertreter waren; von 1881 an gelang es dem Mahdi Mohammed Achmed, unter dem Banner des Islam so verschiedenartige Forderungen zu vereinigen, wie sie von den ihrer früheren Unabhängigkeit nachtrauernden Volksmassen und den die animistischen Stämme im Süden ausbeutenden Sklavenhändlern erhoben wurden.«(74) Oder poetischer: »In dieser Situation, als der Sturz des Khediven Ismail eine politische Lücke bis in die Randgebiete des ägyptischen Reiches riß, tauchte aus dem trostlosen Dunkel des oberen Niltales der erstaunliche Schatten des Mahdis auf.«(75)


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Die ›Deutsche Hausschatz‹-Fassung der späteren Mahdi-Trilogie erschien 1891 bis 1893; angekündigt worden war der Roman in dieser bedeutenden katholischen Zeitschrift schon 1885, also bereits in dem Jahr, in dem der Mahdi starb. Wie in anderen Fällen ließ sich May von zeitgenössischen Ereignissen, die sich in exotischen Ländern abspielten, für seine Erzählungen inspirieren, um entsprechendes Interesse bei seinen Lesern zu wecken. Die Erzählung, die dann der ›Hausschatz‹ veröffentlichte, hatte den Obertitel ›Der Mahdi‹ und bestand aus den Teilen ›Am Nile‹ und ›Im Sudan‹. Als 1896 die Fehsenfeld-Buchausgabe herauskam, firmierte sie unter dem Titel ›Im Lande des Mahdi‹: zu Recht, denn der Mahdi selbst kommt darin kaum vor, er wird hin und wieder erwähnt, tritt aber nur wenig – vor allem im ersten Kapitel des zweiten Bandes – persönlich in Erscheinung; dennoch hat man als Leser das Gefühl, daß er und sein Gedankengut ihren ›Schatten‹ über den Roman geworfen haben. Um diese Zeit war der Mahdi schon Historie, wenn auch sein Reich noch bestand; von daher ist verständlich, daß May sei-


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nen Roman anderen Themen, nämlich Sklaverei und Islam, widmete, für die der Mahdi dann eben als ›Aufhänger‹ diente. Dennoch konnte er damit rechnen, daß der Klang des Namens ›Mahdi‹ bei seinen Lesern Neugier und Spannung erzeugen würde.

   Wie gesagt, spielt der Roman um 1879, also vor dem großen Aufstand des Mahdi; von der eigentlichen Erhebung erfährt der Leser aber so gut wie nichts. May ging wohl davon aus, daß seiner Leserschaft die Vorgänge im Sudan weitgehend vertraut waren. Er benutzte, wie bereits ausgeführt, als Quelle für seine Darstellung offenbar das Werk von Buchta. Darüber hinaus gab es sicher genügend Zeitungs-, Zeitschriften- und Lexikon-Artikel, aus denen er schöpfen konnte.(76)

   Der Mann war wohl etwas über dreißig Jahre alt, hager und trug einen dunkeln, nicht sehr dichten Vollbart . . . Der Ausdruck seines Gesichtes war streng, düster asketisch . . . Ich ahnte nicht, daß dieser Mann später als Mahdi eine so hervorragende Rolle spielen werde. (II 48) Buchta beschreibt ihn folgendermaßen: »Mohammed Achmed ist vor etwa 40 Jahren in Dongola geboren, ein schlanker, gut gewachsener Mann von tief brauner Gesichtsfarbe, ein echter Nubier und kein Araber.«(77) Nach anderen Quellen war »Mohammed Achmed, der neue Messias, der aus Dongola stammte«, in der Tat »ein Mann von außergewöhnlich eindrucksvoller Erscheinung und feinen, kühnen Gesichtszügen. Diejenigen, die ihm zum ersten Mal begegneten, bemerkten sein Lächeln, das stets auf seinen Lippen zu spielen schien und von großer Anmut war. Das Lächeln versteckte vor gelegentlichen Besuchern einen unerbittlichen Willen und einen Hang zu religiöser und politischer Führerschaft, die eine ganz besondere Charaktereigenschaft bedeuteten.«(78)

   Lassen wir die religiöse Komponente einstweilen noch beiseite; auf den Mahdismus kommen wir gleich noch einmal zurück; begnügen wir uns an dieser Stelle mit den äußeren Ereignissen. May teilt einige Einzelheiten über Mohammed Achmeds Leben mit: Für einige Zeit Steuerbeamter gewesen, hatte er sich gezwungen gesehen, sein Amt niederzulegen, und war Sklavenhändler geworden. (II 49) Ähnliches weiß der Lexikon-Artikel ›Mahdi‹ in Meyers Jahressupplement V, 1884,(79) zu berichten, während Buchta sein Leben prosaischer schildert. Dies gilt ebenso für seinen weiteren Lebensweg; auch hier weiß May Vornehmeres zu berichten (III 444). Kosciuszko vermutet: May »erfindet eine Heiligenlegende, wie sie den einfachen Leuten vielleicht sogar in Wirklichkeit erzählt worden war. Aus der Vertreibung von Tamaniat wird so ein ›heiliger‹ Streit, aus dem der Prophet an Macht und Würde gestärkt hervorgeht. Ein besonders gelungenes Kabinettstückchen fügt May dem hinzu: Die von ihm selbst inszenierte Begebenheit, die Fußsohlen


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des Mahdi und ihre Bekanntschaft mit der ehrwürdigen Einrichtung der Bastonade betreffend (. . .) [II 336f.], läßt er nun als Legende von den im Dienste der heiligen Sendung wundgelaufenen Füßen des Mahdi im Volksmunde weitererzählen.«(80)

   Die prosaischere Seite seines jungen Lebens war offenbar die historisch gesehen richtige. Mohammed Achmed wurde um 1843, wahrscheinlich im Jahr 1844 geboren. Der Vater war Bootsbauer, und auch Mohammed verdiente sich mit diesem Beruf zuerst sein Geld. Aber er fühlte sich zu Höherem berufen und wurde Schüler bedeutender islamischer Lehrer, darunter des Enkels des Gründers des Sammaniya-Derwischordens im Sudan. Weite Missionsreisen führten ihm schon früh eine große Anhängerschar zu. 1870 ließ er sich dann auf der Insel Aba im Weißen Nil nieder und richtete hier sein Hauptquartier ein. Mitte der siebziger Jahre bereiste er Kordofan und gehörte nun schon zu den bedeutendsten Führern des Ordens. Mit dem alten Lehrer gab es Streit (wie auch May erwähnt: III 444), aber Mohammed Achmed setzte seinen Weg nach oben unbeirrt fort.(81)

   Ohne die zeitgenössischen Hintergründe – von Zeitgenossen notiert – zu kennen, ist der Aufstieg des Mahdi nicht zu verstehen:

Mohammed Achmed stammte aus dem alten Mittelpunkte christlicher Glaubenstreue, dem jetzt ebenso eifrig islamischen Dongola, dessen regsame Bewohner im ganzen Sudan als Sklaven- und Elfenbeinhändler verbreitet waren und mit den Europäern in ägyptischen Diensten auf dem schlechtesten Fuße standen. Der künftige Erneuerer der Religion zog längere Zeit als Derwisch im Lande umher, wobei er auf Grund der Lehren Mohammed ibn Abd el-Wachhabs die Unzufriedenheit schürte und Anhänger warb [letzterer gründete die Sekte der Wahabiten, um den Islam zu reformieren, zu reinigen und auf die erste Grundlage zurückzuführen; er starb 1787; seine Ideen liegen noch heute der saudiarabischen Staatsführung zugrunde. E. K.]; seine Klage, daß die Religion im Verfall und durch die Freundschaft der Mohammedaner mit den Christen gefährdet sei, fiel auf fruchtbaren Boden: hier wie in fast allen Glaubenskriegen war ja die Religion das allen verständliche Feldgeschrei für die tieferen nationalen und wirtschaftlichen Gegensätze. Nach Vollendung seiner Reisen zog sich Mohammed Achmed auf die Insel Aba im Weißen Nil zurück, wußte sich bald den Ruf eines Heiligen zu schaffen und machte seinen Zufluchtsort zum Mittelpunkt einer Verschwörung gegen die ägyptische Herrschaft. Lange ließ man ihn unbehelligt, um dann durch unkluge und ungenügende Maßregeln die glimmenden Funken zur hellen Flamme anzublasen.(82)

Ssali Ben Aqil, dem Kara Ben Nemsi das Leben gerettet hat, gerät auf der Suche nach dem Mahdi auf die Insel Aba. Ssali, mit einem ungewöhnlichen Scharfblicke begabt, durchschaute sehr bald das ganze innere Wesen des Mannes, welcher sich bisher den Fakir el Fukara genannt


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hatte, nun den Titel eines Sahed, eines Entsagenden, führte, bald darauf sich als el Murabit, der Heilige, verehren ließ und ihm schließlich die stolze Mitteilung machte, daß er mit Allah in direktem Verkehre stehe und von ihm den Befehl bekommen habe, als der längst erwartete Mahdi den Erdkreis zu erobern und allen Gläubigen das Glück der wahren Erkenntnis zu bringen. Ssali hatte sich mit Schmerzen nach dem Mahdi gesehnt . . . Er erschrak, anstatt daß er sich freute, denn es graute ihm vor dem Manne, welcher sich vermaß, der Menschheit die Seligkeiten aller Paradiese zu bringen. Der sollte der Mahdi sein? Eine größere Lüge oder wenigstens Selbsttäuschung konnte es gar nicht geben. (III 537)

   Mays Verhältnis zum Mahdi erscheint etwas zwiespältig. Einer früheren Analyse zufolge hat May ihn schlechter dargestellt, als den von ihm benutzten Quellen zu entnehmen sei.(83) Die weitere Entwicklung der Mahdi-Bewegung gibt aber Mays am Ende des dritten Bandes zum Ausdruck gebrachte, eindeutig negativen Beurteilung recht; in der Begegnung zwischen Kara Ben Nemsi und dem angehenden Mahdi wird letzterer allerdings noch längst nicht so schlecht dargestellt; Kara Ben Nemsi nimmt ihn zwar nicht ganz ernst, bringt ihm aber doch eine gewisse Achtung entgegen; ja, mitunter scheint auch etwas Sympathie durchzuschimmern, und trotz aller Feindschaftsbekundungen des Mahdi rettet er diesem das Leben. May wußte, daß die üblen Verhältnisse im Sudan, die Ausbeutung der Menschen, den Nährboden für die Mahdi-Bewegung gebildet hatten. Zwar konnte er, wie Kosciuszko(84) richtig bemerkt, dies in einer konservativen Zeitschrift wie dem ›Deutschen Hausschatz‹ nicht so deutlich zeigen, aber der Mahdi, der gegen die Mißstände anging – natürlich nicht der Mahdi, der die Sklavenjäger unterstützte – mußte bei einem Autor, der sich immer wieder aufs neue der Unterdrückten annahm, durchaus Sympathien wecken.

   Gerade während seiner Reise nach el-Obeid in Kordofan hatte Mohammed Achmed gesehen, wie feindselig und ausbeuterisch die ägyptischen Beamten gegen die Einheimischen vorgingen; manche hofften hier auf das Auftreten eines Gerechtigkeit bringenden Mahdi; die meisten waren empört über das Vordringen der Fremden – der Europäer, der Christen. Und diese Haltung war nicht nur auf den Sudan beschränkt. Man kann die Mahdi-Bewegung nicht unabhängig von anderen Erhebungen in Nordafrika, die sich zur gleichen Zeit ereigneten, sehen: »Vom 18. Jahrhundert an und vor dem Masseneinbruch der Christen im mittelmeerischen Afrika hatte das Entstehen neuer Moslembruderschaften die Lebenskraft und gleichzeitig das Bedürfnis nach Eigenständigkeit des afrikanischen Islam unter Beweis gestellt.«(85) Von


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Libyen aus bekehrte Mohammed Ibn Ali es-Senussi (1792 – 1869) die »gesamte Ostsahara bis nach Wadai und Kordofan zum intoleranten und extrem christenfeindlichen Senussismus (. . .) Sein ältester Sohn Scheich el-Mahdi führt das Werk des Vaters fort und stößt im Jahre 1883 in Wadai auf einen Konkurrenten in Gestalt eines anderen Mahdi, der wesentlich berühmter ist als er selbst.«(86) Die Eifersucht der – von May übrigens mehrfach erwähnten (z. B. II 379) – Senussi verhinderte zum gut Teil eine weitere Ausbreitung der sudanesischen Mahdisten in ihren Machtbereich. Zu den entstehenden Moslimbruderschaften gehörten auch der Sammaniya-Orden, aus dem der sudanesische Mahdi hervorging, und die nach Ermittlungen Unbescheids allem Anschein nach ebenfalls historische, ihm nahestehende ›heilige Kadirine‹, der May in seinem Roman so eine finstere Rolle zuschreibt. Regelrecht explosionsartig brach Anfang der 80er Jahre der angestaute Haß der Einheimischen gegen die Europäer, religiös, islamisch untermauert, hervor: ob im südlichen Oranais die Uled Sidi Schech, ob im Ahaggar die Tuareg, in Mali die Samorys oder in Kairo die Aufständischen unter Arabi Pascha – überall gärte es und kam es zur Verfolgung der verhaßten Fremden. Nur selten scheint bei May der Anteil der Christen, der Europäer, an diesen Ereignissen auf: »Beobachte die Christen, was sie thun! Gleichen ihre Werke ihren Lehren? Geben sie nicht Lüge anstatt Wahrheit, Strafe statt Verzeihung, Falschheit anstatt Aufrichtigkeit und Krieg anstatt des Friedens?« (III 296) So mußte es den Ägyptern und Sudanesen trotz aller europäischer Bemühungen erscheinen.

   In Ägypten versuchte eine internationale Kommission, die Finanzen des Staates allmählich zu sanieren. Erfolg war ihr am Ende nicht beschieden, da die fremdenfeindlichen Strömungen immer mehr erstarkten. 1881 kam es zu Militärrevolten, und der Khedive Tewfik sah sich gezwungen, eine neue Regierung einzusetzen, in der der fremdenfeindliche Kriegsminister Oberst Arabi Pascha den Ton angab. Als daraufhin eine englisch-französische Flotte vor Alexandria erschien, gab Tewfik den Europäern vollends nach und setzte Arabi Pascha ab; dies allerdings führte zur Zunahme der Spannungen, zu fremdenfeindlichen Ausschreitungen und – als die Engländer am 11. Juli 1882 die Stadt beschossen – zu Massakern an den Christen in den Siedlungen der Europäer. Die vier Tage später erfolgte Besetzung der brennenden Stadt machte die Toten nicht mehr lebendig. Arabi Pascha seinerseits, dessen Revolte ausgesprochen volkstümlich war, sammelte seine Truppen in Unterägypten, wurde aber am 13. September bei Tell el-Kebir geschlagen und geriet wenig später in Kairo in Gefangenschaft. Er wurde zum Tode verurteilt, aber begnadigt und starb nach langer Verbannung in


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Ceylon 1911 in Kairo. Nach seiner Niederlage kam die ägyptische Verwaltung endgültig unter britischen Einfluß.

   Die Schwächung Ägyptens durch die Erhebung Arabi Paschas begünstigte den Mahdi. Eine Verbindung zwischen beiden vermutet auch May: Mohammed Achmed hatte davon gesprochen, daß der Mahdi sich mit einem höheren ägyptischen Offizier verbünden werde . . . Erst viel später, als der Aufstand im Sudan im Gange war, hörte ich, daß mit jenem Offiziere wohl Arabi Pascha gemeint gewesen sei, doch steht es sehr zu bezweifeln, daß er damals schon mit ihm in irgend einer Beziehung gestanden habe (II 140). Von direkten Verbindungen aber weiß May im Zusammenhang mit Ssali Ben Aqil zu berichten, den Arabi Pascha mit einem Schreiben zu dem späteren Mahdi sendet (III 536f.). Beziehungen zwischen Arabi Pascha und dem Mahdi sind nicht auszuschließen, die zeitgenössischen Quellen heben jedenfalls darauf ab.

   ». . . bald aber kommt die Zeit, und sie ist schon nahe, in welcher ich sprechen werde. Dann werden Millionen auf meine Stimme hören, und du wirst der erste sein, der vor mir im Staube kriecht«, erklärt Mohammed Achmed, an Kara Ben Nemsi gewandt (II 263). Die erste Prophezeiung erweist sich jedenfalls als richtig: 1881 begab sich Mohammed Achmed noch einmal nach Kordofan. Der Ruf, er sei der Mahdi, eilte ihm voraus. Im Juni sandte er dann von seiner Insel Aba aus ein Rundschreiben an die Notabeln des Sudan und teilte ihnen mit, er sei der erwartete Mahdi. Sein alter Widersacher und ehemaliger Lehrer, von dem er im Streit geschieden war, hatte die Regierung gewarnt (auch Kara Ben Nemsi überlegt, ob er die Regierung warnen solle); als der Mahdi einer Aufforderung, sich nach Khartum zu begeben, nicht nachkam, sandte man ein Truppenkontingent aus, aber dieses wurde von den Anhängern des Mahdi im Juli 1881 bis auf den letzten Mann niedergemacht. Nur mit Lanzen, Stöcken und Knüppeln bewaffnet, siegte in diesem ›Wunder‹ die fanatisierte Streitmacht des Mahdi über eine mit Gewehren gut ausgerüstete Armee, und dieses Ereignis führte dem Mahdi zahlreiche weitere Anhänger zu, vor allem die Baggara, aber auch die ausgebeuteten, unterdrückten Einheimischen, die von Gessi aus dem Bahr el-Ghasal vertriebenen Danagla, und bald – auf der anderen Seite – viele südlichen Sudanesen, die hofften, von dem Sieg der Mahdisten bezüglich ihrer einträglichen Sklavenjagden profitieren zu können.

   Im August 1881 erklärte der Mahdi den Heiligen Krieg gegen die fremden Unterdrücker, unter denen er nicht nur die Europäer, sondern auch die ägyptischen Vertreter des Osmanischen Reiches – also auch Mohammedaner – verstand. Er zog von Sieg zu Sieg; wir können die Er-


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eignisse im einzelnen nicht nachzeichnen, aber es sei an das Gespräch zwischen Kara Ben Nemsi und dem künftigen Mahdi erinnert: letzterer behauptet nicht ganz zu Unrecht: »Wir sind unwiderstehlich, wenn wir uns im Kriege über eure Länder ergießen!« (II 106), aber der Deutsche weist ihm, was natürlich aus der Perspektive des späteren Erzählers leicht möglich ist, sehr klar seine Grenzen auf. Auf jeden Fall ließ jeder Sieg des Mahdis Macht zunächst größer werden und führte ihm weitere Anhänger zu. Noch ohne rechte Bewaffnung schlugen seine Truppen in vernichtenden Überraschungsattacken im Dezember 1881 den Mudir von Faschodah, Raschid Bey, und im Juni 1882 den Gouverneur von Kordofan, Jussef Pascha Schellali, mit seinen 6 000 Soldaten. Auf diese Weise zu Waffen und Proviant gekommen, erstürmten die Mahdisten dann unter schrecklichen Grausamkeiten die Städte und Festungen Kordofans. Die Zeit bis zur Aufgabe der Hauptstadt el-Obeid unter ihrem zähen Befehlshaber Mohammed Said Pascha im Januar 1883 nutzte der Mahdi, um sein Heer und Reich zu organisieren und zu festigen.

   Am 12. September 1883 wurde Sir Evelyn Baring, der spätere Earl of Cromer, englischer Hochkommisssar für Ägypten. In der britischen Regierung sah man in der Erhebung des Mahdi eher einen Befreiungskampf; aus diesem Grunde und aus finanziellen Erwägungen hielt man sich mit größeren Unternehmungen zurück, doch legte Baring dem Khediven Tewfik nahe, ein Expeditionskorps gegen den Mahdi zu entsenden, um das Prestige des Vizekönigs zu erhöhen. Die Kampagne des 10 000 Mann starken Heeres unter dem englischen Obersten William Hicks war zunächst erfolgreich – in Senaar schlug es die Baggara entscheidend, aber der Vormarsch durch die Wüsten von Kordofan erschöpfte die Truppe, und am 4. November 1883 wurden 9 500 Soldaten einschließlich Hicks Paschas bei Kaschgil von den Mahdisten niedergemacht. Daraufhin beschlossen die Briten, nur Khartum und Port Suakin am Roten Meer zu behalten und ansonsten den Sudan zu räumen. Im Dezember 1883 übergab Slatin Pascha Darfur und wurde gezwungenermaßen technischer Berater des Mahdi. Erst elf Jahre später gelang ihm die Flucht; entsprechend negativ sind seine Berichte über das Mahdi-Reich.(87) Frank Lupton Bey, der englische Nachfolger des Italieners Gessi, übergab Bahr el-Ghasal im April 1884 und konvertierte zum Islam, kam aber nach langer Gefangenschaft bei den Mahdisten ums Leben. Von Emir Paschas Flucht aus der Äquatorialprovinz nach Süden und seiner Ermordung durch arabische Sklavenjäger wurde bereits berichtet. Am 26. Mai 1884 eroberten die Mahdisten Berber; damit war auch der Fall Khartums vorprogrammiert.


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   Von all diesen Ereignissen teilt May nichts mit. Er erwähnt allerdings den Anführer der Monassir, welche später im Mahdikriege den Adjutanten Gordons, den Obersten Stewart, ermordeten und aus Strafe dafür dann von General Earle überfallen werden sollten. Die Monassir sind ritterlich gesinnte, kriegerische Leute, welche auch heute noch ihre Unabhängigkeit mit größter Eifersucht bewachen. Sie zeigen ihren Haß offen und ehrlich, und sind mir infolgedessen sympathischer als jene Stämme, welche sich kriechend unterwerfen und später hinter dem Rücken des Siegers Heimtücke üben. (I 518) Hier handelt es sich um ein historisches Ereignis: Im September 1884 überfielen Monassir bei Dar Djumna einen auf Grund gelaufenen Raddampfer – auf ihm wollte Oberst Stewart nach Kairo fahren, um dort über die verzweifelte Lage Khartums zu berichten, eine Mission, die er nicht mehr erfüllen konnte. In der Schilderung der Monassir kommen Mays Sympathien für den Mahdi indirekt zum Ausdruck.

   Und noch eine historische Gestalt aus den Mahdi-Kriegen erwähnt May: den Baggara-Scheich Amr el Makaschef, welcher als außerordentlich kriegerisch und gewaltthätig bezeichnet wurde. Damals spielte er seine Rolle noch innerhalb engerer Grenzen, später aber trat er aus denselben heraus. Er war ein Verwandter des Mahdi, und am 6. April 1882 sandte der Mudir von Sennaar an den Vicegouverneur eine Depesche, welche lautete: »Der Baqquara-Scheik Amr el Makaschef, ein Vetter des Mahdi, nähert sich mit mehreren tausend Baqquarakriegern meiner Stadt, um dieselbe für den Mahdi einzunehmen. Sende mir so schnell wie möglich Hilfe!« Dieser Mann war also jetzt mein Gefangener. (II 430f.) Der Vize-Gouverneur war übrigens der Deutsche Giegler Pascha, dessen Truppen die Stadt Sennar retteten – der Scheik wurde dabei verwundet, aber im Sommer 1885 siegten dann doch auch hier die Mahdisten.(88)

   Zu dieser Zeit war Khartum schon gefallen. Auch Gordon Pascha, der als Mann der Stunde galt, konnte das nicht verhindern. Sein Auftrag bestand darin, Khartum und den Sudan von englischen Truppen zu räumen. Gordon, der den Mahdi offenbar unterschätzte, ging widersprüchlich vor und fand sich – nach einigen erfolgreichen Ausfällen – ab Herbst 1884, als der Mahdi mit dem Hauptheer persönlich eintraf, in Khartum eingeschlossen. Halbherzig sandte die englische Regierung ein Hilfskorps, das zwei Tage zu spät eintraf. Am 26. Januar 1885 erstürmten die Mahdisten Khartum; an die 4 000 Angloägypter wurden massakriert, auch Gordon war unter den Toten; das abgeschnittene Haupt wurde dem Mahdi gebracht, dem allerdings eine lebendige Geisel Gordon sicher mehr wert gewesen wäre. »Der Kopf wurde ausge-


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stellt, der Körper im Hof des Palastes von den Lanzenstichen der Vorübergehenden durchlöchert. Die Stadt Khartum verfiel der Verwüstung anheim. Die Frauen, die sich die Haare abgeschnitten und als Männer verkleidet hatten, um den Eroberern zu entkommen, mißhandelte man am schlimmsten. Völlig nackt vergewaltigte man sie, ehe man sie je nach Alter in drei verschiedene Lager verschleppte.«(89)

   Der Fall Khartums bedeutete den Höhepunkt des Ruhms des Mahdi. Seine Hauptstadt wurde – Khartum gegenüber – Omdurman am anderen Ufer des Nils, das bald groß und mächtig war. Zunächst setzte er sich mit unglaublicher Brutalität gegen alle potentiellen Konkurrenten durch. Dann machte er seine besten Gefolgsleute in islamischer Tradition zu Kalifen, die ihn bei der Führung des Landes unterstützen sollten. Als nächstes organisierte er das Steuersystem, aber als er noch dabei war, die Verhältnisse in den Griff zu bekommen, ereilte ihn sein Schicksal. »Das nunmehr ›befreite‹ Land empfand bald die Folgen der beständigen Unruhen, die zur Vernachlässigung des Feldbaues und zur Zusammenhäufung riesiger Menschenmassen führten; eine furchtbare Hungersnot und ansteckende Krankheiten peinigten das Volk gewaltig. Dem Mahdi wurde in ganz anderer Weise sein ungeheurer Erfolg zum Verderben: seiner sinnlichen Natur nachgebend, überließ er sich Ausschweifungen, denen sein Körper auf die Dauer nicht gewachsen war: am 22. Juni 1885 starb er in Omdurman an Herzlähmung.«(90)

   ». . . Du also bist der Auserwählte, zu welchem Allah gesprochen hat!«, verhöhnt Kara Ben Nemsi den angehenden Mahdi bei ihrem Zusammentreffen. »Du willst den Khedive und den Sultan absetzen? Du willst die Erde erobern und die Christen vernichten? Du willst die unvollendete Sendung des Propheten vollenden und das Schwert des Islam von einem Ende der Welt zum andern tragen? . . . Aufrichtig gestanden, du hast mir gar nicht das Aussehen eines Mannes, der auch nur zehn Asaker zu kommandieren vermag, und du willst die Gläubigen, ja sogar den ganzen Erdkreis beherrschen?!« »Spotte nicht, denn es würde dir schlecht bekommen. Ich bin vom Geiste erleuchtet und weiß alle Dinge. Ich weiß, was geschehen ist und was geschehen wird und sehe die Scharen aller Sterblichen schon im voraus um mich versammelt.« (II 113f.) – Des Mahdi Sendung erstickte in einem Strom von Blut. Sein herausragendes Grabmal und Mausoleum steht noch heute in Omdurman, und unsere Zeit hat noch immer an den Folgen der Ereignisse im Sudan des 19. Jahrhunderts zu tragen.


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Von den vom Mahdi eingesetzten Kalifen setzte sich am Ende Abdallah (Abd Ullahi) durch. Er schaltete seine Gegenspieler rücksichtslos aus, schlug etliche Rebellionen nieder – bis hin zur fast vollständigen Ausrottung einiger Araberstämme – und ordnete das Finanz- und Heerwesen in hervorragender Weise. Gegenüber dem christlichen Abessinien errang er blutige Erfolge; als er aber dann durch diese Siege sich ermutigt fühlte, auch den Heiligen Krieg gegen Ägypten zu eröffnen, bedeutete das den Anfang vom Ende. 1889 wurden die Mahdisten zum ersten Mal vernichtend von einem anglo-ägyptischen Heer unter General Grenfell geschlagen. Zwei Jahre lang hatte im Anschluß daran der Sudan unter unsäglichen Epidemien, Hungersnöten und Trockenheiten zu leiden; die Bevölkerung schmolz dahin; Abdallah, der sich speziell auf seine Baggara-Nomaden stützte, hatte diese Gruppen in Omdurman angesiedelt, und es war ihm tatsächlich gelungen, sie weitgehend seßhaft zu machen, aber gerade sie, die die Hauptstützen des Mahdireiches bilden sollten, wurden durch die Katastrophen besonders getroffen. Auch der Druck durch die europäischen Mächte nahm zu. Die Engländer sahen ihre Einflußsphäre durch Belgier und Franzosen in Bahr el-Ghasal und am oberen Nil bedroht und nahmen – mit dem imperialistischen ›vom Kap bis Kairo‹-Gedanken im Hinterkopf – den Vormarsch gen Süden auf, auch um die Italiener zu unterstützen, die sich mit ihren Kolonisationsbestrebungen in Abessinien blutige Köpfe geholt hatten. Das anglo-ägyptische Heer unter General Kitchener ging mit aller Vorsicht vor und errang mehrere Siege, bis es am 2. September 1898 zur Entscheidungsschlacht kam. »Über mehrere Stunden zog sich das wütende Kampfgetümmel hin, bis die modernen Waffen siegten. 27 000 Anhänger des Mahdi kamen auf das Schlachtfeld, 11 000 von ihnen mußten sterben. Kitchener veranlaßte, daß man die sterbliche Hülle des Mahdi aus seinem Mausoleum zerrte; und auf seinen Befehl hin warf man die Leiche in den Fluß.«(91) Als dann auch noch Abdallah 1899 fiel – in einer der letzten Schlachten in diesem Krieg – bedeutete das praktisch das Ende des Mahdi-Reiches. Aber der (unselige?) Geist dieser Bewegung lebt weiter bis in unsere Tage.

   Noch immer tobt der Krieg, ein Bürgerkrieg, im Sudan, dessen Wurzeln tief in die Geschichte des 19. Jahrhunderts hineinreichen.(92) Seit 1983 wieder aufgeflammt, forderte dieser Krieg bis heute in diesen etwa zehn Jahren rund 1,3 Millionen Tote: durch Kampfhandlungen oder Hunger; etwa 3,5 Millionen Menschen wurden vertrieben. Rund 1,5 Millionen Sudanesen waren 1993 auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen.


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Im August 1993 wurden Flüchtlingslager an der Grenze zu Uganda durch Regierungstruppen bombardiert – etwa 200 000 Südsudanesen flohen im nächsten halben Jahr nach Uganda. Im Februar 1994 wurden erneut Flüchtlingslager bombardiert, und wieder flohen fast 300 000 Menschen – einen Monat vorher waren Friedensgespräche zwischen den Bürgerkriegsparteien gescheitert. Ein Jahr vorher hatte der Papst den Sudan besucht, was den dortigen Machthabern sehr gelegen kam, aber vielerorts Unverständnis und Kritik hervorrief. Der Neue Sudanesische Rat der Kirchen schrieb an den Papst: »Sie werden Hände schütteln, von denen das Blut der sudanesischen Christen tropft.«(93)

   Es ist ein Bürgerkrieg, der von der Weltöffentlichkeit, auch von den Kirchen, fast nicht wahrgenommen wird – ein so gut wie vergessener Krieg, der nur selten einen Widerhall in den Medien findet.(94) Oft wird dieser Krieg auf die islamisch-christlichen Gegensätze zwischen dem Norden und dem Süden des Sudan zurückgeführt, also zu einer Art Religionskrieg erklärt, doch liegen die Dinge so einfach nicht.

   Nach dem Ende des Mahdi-Reiches wurde der Sudan ein britisch-ägyptisches Kondominium. Ein gravierender Fehler der britischen Herrschaft bestand darin, den Nord- und Süd-Sudan ›getrennt‹ zu entwickeln. Statt das Zusammenwachsen zu fördern und die berechtigten Ängste der Südsudanesen vor den islamischen Stämmen des Nordens, die jahrhundertelang unter ihnen als Sklavenjäger gewütet hatten, überwinden zu helfen, unterwarfen die Engländer beim Aufbau eines Territorialstaates teilweise blutig die Landstriche im Süden, mißachteten die einheimischen Strukturen und Traditionen, erstickten jeden Widerstand im Keim, ermöglichten viel zu wenig Mitwirkung der Einheimischen an den Entscheidungen und öffneten den Süden dem westlichen, christlichen Einfluß. Das ging so weit, daß die Südsudanesen spezielle Ausweise brauchten, wenn sie in die nördlichen Landesteile reisen wollten. Mit wirtschaftlichen Maßnahmen – dem Anbau von Baumwolle für den Export als Hauptprodukt – schuf man sozioökonomische Gefälle und förderte den Einfluß weniger Elite-Familien, deren Machtkämpfe die Geschichte des Sudans sehr stark beeinflußten. Die Familie des Mahdi spielte trotz oder gerade wegen seiner Entfernung aus seinem Grabmal eine hervorragende, aber keineswegs dem Frieden im Sudan förderliche Rolle.

   So kam es, daß der Süden der christlichen Missionierung geöffnet wurde. Heute (1994) gibt es im Sudan rund 25,7 Millionen Menschen, davon (1992) etwa 74,7 % Moslems, 6 % Katholiken, 3 % Anglikaner, aber noch 17,1 % Anhänger von Naturreligionen (Animisten). Im Süden hat sich das Arabische, die offizielle Verkehrssprache des Sudan,


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der übrigens heute der flächenmäßig größte Staat Afrikas ist – ca. 2,5 Millionen qkm, 11,3 Einwohner pro qkm mit einer Urbanisierung von 22 %, einer Alphabetisierung von 27 % und 1 Arzt auf rund 9000 Einwohner –, bis heute nicht durchgesetzt. Viel zu spät und zu zögernd versuchten die Kolonialherren, die Politik der ungleichgewichtigen Entwicklung der nördlichen und südlichen Provinzen zu korrigieren und den Süden durch Wirtschaftsmaßnahmen stärker zu fördern. Als der Sudan 1956 in die Unabhängigkeit entlassen wurde, fühlte sich der Süden zurückgesetzt und übergangen, und so brach mit der Unabhängigkeit auch der erste Bürgerkrieg aus, der erst 1972 durch das Addis-Abeba-Abkommen beendet wurde. Etwa eine halbe Million Südsudanesen waren dabei umgekommen. Zwar erhielten die drei Regionen des Südens: Bahr el-Ghasal, Äquatoria und Oberer Nil nun endlich begrenzte Selbstverwaltung, aber keine Unabhängigkeit, und als der Norden in der Folgezeit versuchte, seine Übermacht erneut zu demonstrieren, brach schon 1983 der Bürgerkrieg wieder aus, der seitdem an Schärfe noch zugenommen hat. Im Norden bildeten sich zwar keine stabilen Verhältnisse; immer wieder kam es zu Putschen und Umstürzen; aber alle Regierungen verfolgten mit immer größerer Brutalität – bis hin zum (nach Augenzeugenberichten offensichtlichen) Einsatz von Senfgas (1989), bis fast hin zum Genozid – die Unterjochung des Südens.

   Zum einen spielten wirtschaftliche Gründe eine Rolle; beispielsweise strebte der Norden nach Ölfunden eine Änderung der Grenzen an, um in den Genuß der Rohstoffe zu kommen, die vertraglich zur Nutzung den südlichen Provinzen garantiert waren. Überhaupt war der Reichtum des Südens an Rohstoffen ein Grund für den steten Versuch der Regierung, den Süden botmäßig zu machen. Ein weiterer Grund war der geplante Bau eines Kanals, um einen Großteil des Nilwassers, das in den Sümpfen des Südens versickert, in den Norden zu leiten. Schließlich war eine weitere Hauptursache für den Bürgerkrieg die von dem sudanesischen Präsidenten Numeiri 1983 eingeführte Scharia – die islamische Rechtsprechung (und das in einem Land, das in seiner Geschichte viel länger christlich als islamisch gewesen war!); damit verletzte er das Recht der christlich-animistischen Südsudanesen auf freie Religionsausübung zutiefst. Offenbar waren in den ersten Jahren nach ihrer Einführung »86 Prozent der Scharia-Opfer Nicht-Moslems. 1987 und 1988 häuften sich erneut Berichte über grausame Massaker, denen vor allem Dinka zum Opfer fielen. Überlebende wurden in die Sklaverei verkauft, unter anderem nach Libyen. Erst die militärischen Erfolge der SPLA, der SPLM-Armee, die den ländlichen Südsudan weitgehend beherrscht, schränkte den modernen Sklavenhandel ein.«(95)


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   Die Sudanese Peoples Liberation Army / Movement (SPLA/M) unter Führung des Oberkommandierenden John Garang kämpfte nie für einen separaten südsudanesischen Staat, sondern gegen die Zentralregierung und für einen einheitlichen, liberalen Gesamtsudan. Hierin unterschied sich der zweite Bürgerkrieg zunächst vom ersten; die Ziele der ›Befreiungsorganisation‹ waren weder ethnisch noch religiös, aber trotz aller militärischen Erfolge erreichte sie ihre Ziele nicht. Im Lauf der Zeit (1991) spalteten sich andere Gruppierungen ab, die wieder für einen eigenen Staat Südsudan eintreten. An der Hungerkatastrophe 1993 trugen auch die einzelnen Organisationen, die sich inzwischen blutig bekämpften – gegenseitige Massaker und Behinderung bzw. Diebstahl von Lebensmittellieferungen sind gang und gäbe –, mit Schuld. Hinter dieser Spaltung stehen bedauerlicherweise auch ethnische Gründe: Garang und die meisten seiner Anhänger sind Dinka; die abgespaltene Nasir-Fraktion unter Riak Maychar und Lam Akol besteht überwiegend aus Nuer. Eine weitere Gruppierung bildete sich unter dem ehemaligen Stellvertreter Garangs, William Nyong. Diese Spaltungen ermöglichten die erfolgreichen Offensiven des Nordens. Hier wurde Numeiri 1985 gestürzt; nach einigen Zwischenspielen kam 1989 mit einem Militärputsch General al-Baschi an die Macht, der 1993 die Militärherrschaft formell beendete, aber gleichzeitig als Präsident eingesetzt wurde. Er setzte die Scharia rücksichtslos durch. Mit iranischem Geld gekaufte chinesische Waffen wurden gegen den Süden eingesetzt, der lange Zeit von Äthiopien aus unterstützt worden war. Im Norden führte der Krieg zu unglaublicher Verschuldung und internationaler Isolierung, im Süden zu Massensterben und Massenflucht, in beiden Teilen des Landes, wenn auch im Süden unvergleichlich mehr, zu unbeschreiblichem Elend ohne absehbares Ende trotz neuer Friedensgespräche im März, Mai und Juli 1994.

   Wir können in diesem Rahmen nicht alle Einzelheiten und Faktoren, die den Bürgerkrieg im Sudan bestimmen, darlegen; die grundlegenden Strukturen mögen hier genügen. Zweierlei bleibt für unser Thema aber festzuhalten: Die Unterwerfung und Ausbeutung des südlichen (christlich-animistischen) Sudan durch den (islamischen) Norden, an der sich im Prinzip bis heute nichts geändert hat, hat May in seiner Mahdi-Trilogie bezüglich der Sklaverei eindringlich und zutreffend geschildert. Die große Mitschuld der Europäer an den Ereignissen scheint bei ihm allerdings nur sehr selten auf. Im Gegenteil hebt er sogar – darin ganz Kind seiner Zeit und im Einklang mit den damaligen modernistischen Bestrebungen der ägyptischen Regierung – die zivilisatorischen und christlichen Einflüsse der Europäer, speziell bei der Bekämpfung der


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Sklavenjagd, hervor und grenzt davon scharf die die Sklaverei verteidigenden islamischen Vorstellungen ab. Hier erhält sein Werk einen überraschenden Bezug zur Moderne: zum Krieg des islamischen Nordens gegen den christlich-animistischen Südsudan sowie zur heute wieder aktuellen Frage der Auseinandersetzung zwischen Christentum und (fundamentalistischem) Islam und seiner antieuropäischen Haltung. Natürlich müssen wir hier die Frage stellen, wie weit Mays Angaben und Vorstellungen dabei tragen.


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In dem langen Gespräch zwischen dem angehenden Mahdi und Kara Ben Nemsi behauptet der Ägypter:

»Selbst dem weisesten der Weisen ist es unmöglich, ein endgültiges Urteil über unsern Glauben zu fällen, denn Muhammed hat das Werk nur begonnen. Zu Ende führen wird es ein anderer« . . . »Hast du gehört, daß ein Mahdi kommen wird?« »Gehört und auch gelesen. Der Kuran erwähnt nichts von ihm, und auch den Kommentaren ist die Sendung eines Mahdi unbekannt; er lebt nur in der mündlichen Ueberlieferung, auf die ich nichts gebe.« »Ich desto mehr. Allah wird einen Propheten senden, welcher das von Muhammed begonnene Werk zu vollenden hat. Dieser Prophet wird die Ungläubigen entweder bekehren oder, wenn sie sich nicht bekehren lassen, sie vernichten und dann die Güter dieser Erde so verteilen, daß ein jeder nach seiner Frömmigkeit erhält, was ihm gebührt . . . Wenn der Kuran nicht von einem Mahdi redet, so ist das doch kein triftiger Grund, anzunehmen, daß es keinen solchen geben kann und geben wird.« »O doch, denn die Prophetologie des Kuran ist vollständig abgeschlossen. Nach Muhammeds eigenen Worten ist er der letzte Prophet, den Allah gesandt hat und senden wird; seine Lehre, der Islam, ist in sich vollendet und kann nicht durch Zusätze ergänzt oder gar verbessert werden, und nach ihm wird, wie er sagt, nur einer kommen, nämlich Isa Ben Marryam [Fußnote: Jesus, Mariens Sohn.], und zwar am jüngsten Tage . . ., um zu richten die Lebendigen und die Toten. Ganz abgesehen davon, daß Muhammed da den Heiland der Christen als Weltenrichter hoch über sich selbst stellt, macht er damit eure Mahdihoffnung ganz und vollständig zu schanden.« (II 103ff.)

May rührt hier an ein Grundproblem des Islam. Um es zu verstehen, müssen wir etwas weiter ausholen. Bekanntlich ruht der Islam auf ›fünf Säulen‹ oder ›Wahrzeichen‹ des Glaubens. Dabei ist besonders wichtig das Glaubenbekenntnis: »Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist der Abgesandte Allahs«, mit allen seinen Konsequenzen (vgl. May richtig I 173). Wesentlich ist auch das Gebet, das – im Anschluß an die rituellen Waschungen – fünfmal am Tag verrichtet wird (vgl. May richtig III 396ff.). Die weiteren Säulen bestehen im Fasten im Fastenmonat Ramadan, in dem – allen May-Lesern vertrauten – Gebot


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der Pilgerfahrt nach Mekka einmal im Leben (sofern die Verhältnisse es erlauben) und in dem Spenden von Almosen, ursprünglich als freiwillige Wohltätigkeit, bald als Almosensteuer. Bisweilen wird zu diesen fünf Wahrzeichen auch noch der Dschihad gezählt, ein Begriff, der ursprünglich ›Anstrengung‹ bedeutete, eine Anstrengung oder ein Opfer für das Reich Gottes, das durchaus – schon zu Mohammeds Zeiten – militärischer Natur sein konnte: der Glaubenskrieg, der ›Heilige Krieg‹ zur Verteidigung und Verbreitung des Islam. Heutzutage umfaßt der Begriff bisweilen auch den Kampf gegen Hunger und Elend.(96)

   Da der Koran, der die nach seinem Tode gesammelten göttlichen Offenbarungen Mohammeds enthält, nicht auf alle Fragen des praktischen Lebens Antwort gab, wurden neben ihm auch das Verhalten Mohammeds (sunna) und seine unabhängig vom Koran getätigten Aussprüche (Hadithe) zur Quelle des islamischen Rechts. Von daher leitet sich der Name ›Sunniten‹ ab; sie berufen sich für ihre Gestaltung des Lebens unter dem Islam auf diese drei Zeugnisse. »Der Sunnismus fordert den Ausgleich zwischen dem Koran, der Nachahmung des Propheten – der sunna (. . .) – und der Zustimmung der Gemeinde, einen Ausgleich, der, politisch ausgedrückt, den Sunnismus zum politischen Realismus führt (. . .) und am Ende im Islam einem Mittelweg das Übergewicht sichert.«(97) Durch die Institution des Kalifats wird die islamische Gemeinde – die umma – handlungsfähig.

   In den Kämpfen um das Kalifat nach Mohammeds Tod (632) bildeten sich die großen Richtungen des Islam. Neben den Sunniten traten die Charidschiten hervor, ursprünglich eine ›demokratisch-puritanische Partei‹, die für ein durch den Glauben inspiriertes Leben aufgrund des Vorbildes des ursprünglichen Islam (ohne weitgehende Einbeziehung der sunna) und – entgegen den Sunniten und Schiiten – dafür eintraten, daß sich jeder Gläubige um das Kalifenamt bewerben und ein Kalif bei Nichterfüllung seiner Pflichten abgesetzt werden könne; man hat sie mit Maßlosigkeit der Lehre, zügellosem Independentismus, aufrührerischem Partikularismus, aber auch mit leidenschaftlicher und doktrinärer, mutiger und anspruchsvoller Lebensführung in Verbindung gebracht;(98) heutzutage spielen sie keine bedeutende Rolle mehr. Anders die Schiiten, die Anhänger von Mohammeds Schwiegersohn Ali und seinen Nachkommen: Sie »stellen sich das Oberhaupt (imam) der Gemeinde als einen Führer vor, der durch ein ausdrücklich zugunsten der Nachkommen Alis erlassenes göttliches Dekret bestimmt und begnadet ist. Der Gehorsam gegenüber dem Gesetz verschmilzt hier mit der Treue gegenüber einem Menschen, der die Quelle des Gesetzes ist und es nicht nur durchführt, sondern der von der Gnade des Geistes erfüllt


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ist, ja sogar als Person eine Erscheinung des göttlichen Wesens selbst ist. Nach dieser Lehrmeinung kann man sich nicht vorstellen, daß der Tod über eine Person Gewalt hat, die so offensichtlich aus göttlichem Wesen stammt. Der Glaube an den verborgenen Imam, die Erwartung seiner Rückkehr, die Hoffnung auf einen Messias, den Mahdi, sind weitere folgerichtige Entfaltungen des Schiismus.«(99)

   Im Sunnismus, der um politischen Realismus bemüht ist und dem es auf die rechtgeleitete Gemeinschaft unter den Kalifen ankommt, bildeten sich im 8. und 9. Jahrhundert aufgrund der Einsicht, daß Koran und sunna einschließlich der Hadithe für das praktische Leben in der Gemeinde noch immer nicht ausreichen, vier Rechtsschulen, die sich – mit unterschiedlich strenger Auslegung – auf den Konsens der Gemeinde und den Analogieschluß beriefen (vom rigorosen Hanbalismus über Malikismus und Hanafismus bis zum liberaleren Schafiismus), die heutzutage unterschiedliche Hauptverbreitungsgebiete haben und im Sunnismus alle anerkannt sind. Neu auftretende Probleme werden hierbei anhand ähnlicher Entscheidungen mit einem juristisch-religiösen Grundsatzurteil (fatwa) durch einen Mufti gelöst. Diesen vier Rechtsschulen, die man nicht als Sekten bezeichnen kann, werden in der letzten Zeit von islamischer Seite häufig auch die Schiiten hinzugefügt, um bei den Europäern den Eindruck zu vermeiden, es gebe im Islam überhaupt Sekten. Tatsächlich hat sich der Schiismus – der Name leitet sich von der ›Spaltung‹ (Schia) der Anhänger Alis her, die Anspruch auf das Kalifat erhoben – selbst wiederum gespalten: »Die Treue zum Imam als dem Bewahrer der geheimen Erleuchtungen, die von Mohammed an Ali und von diesem an seine Nachkommen weitergegeben wurden, ist das Glaubensprinzip der Schiiten, das zu den fünf traditionellen Säulen der muslimischen Religion hinzukommt. Doch der in diesem Prinzip einige Schiismus spaltet sich, sobald es um die Abstammung der Imame geht«:(100) es entstehen die Zaiditen, die Imamiten (›Zwölferschiiten‹) und die Ismailiten (›Siebenerschiiten‹). Für letztere ist »ein Imam (. . .) aus der Reihe der Träger des Imamats verschwunden und hat sich der Welt entzogen. Es ist der ›verborgene Imam‹; seine Rückkehr wird am Ende der Zeiten erwartet; dann wird die Herrschaft Gottes auf Erden errichtet. Dem ›Richter‹, der Zentralgestalt der muslimischen Apokalypse, die auch der Sunnismus, doch anscheinend nur verschwommen, kennt, verleiht der Schiismus das Aussehen seiner Imame und einen Namen, der ihm allein zusteht: Mahdi, der von Gott Erleuchtete (. . .) Der ismailitische Schiismus ist von der Gnosis durchdrungen, betrachtet den Imam als unmittelbar von Gott erleuchtet und sieht in den heiligen Texten – im Koran, aber auch in den Texten anderer Religionen –


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nur die Mittel, um durch Allegorese eine auf unbestimmte Zeit erschaffene Wahrheit zu erlangen, deren höchste Inkarnation der Mahdi sein wird.«(101)

   Aus all dem folgt, daß Kara Ben Nemsi in seinem Gespräch mit dem angehenden Mahdi zugleich recht und unrecht hat. Er vertritt den Standpunkt eines extremen Sunnismus, läßt praktisch nur den Koran gelten; Mohammed Achmed kann dagegen die Überlieferung des Schiismus für sich in Anspruch nehmen. Während für die Sunniten, wenn überhaupt, ein Mahdi nur der Erneuerer des Glaubens und Wiederhersteller des ursprünglichen Islam bedeuten konnte, war der Mahdi – der ›Rechtgeleitete‹, der ›göttlich Geleitete‹ – für die Schiiten in einem eschatologischen Sinn der Nachkomme des Propheten, der vor dem Ende aller Zeiten ein goldenes Zeitalter der Gerechtigkeit und Wohlhabenheit errichten, die Gläubigen vereinen und die gesamte Welt dem Islam unterwerfen würde. Mohammed Achmed bringt diese Ziele gegenüber Kara Ben Nemsi zum Ausdruck; in der Tat hat noch des Mahdi Nachfolger Abdallah an den ägyptischen Vizekönig Tewfik und an die englische Königin Victoria geschrieben, nach Omdurman zu kommen und sich den Mahdisten zu unterwerfen,(102) und natürlich kann auch Karl May, der die Zeitläufte kannte, Kara Ben Nemsi Worte und Argumente in den Mund legen, die die Ansprüche des Mahdi auf Weltherrschaft ad absurdum führen.

   In der Geschichte des Islam traten mehrere Persönlichkeiten hervor, die sich als der erwartete Mahdi ausgaben: neben dem sudanesischen, zu dessen Zeit es noch zwei weitere gab – der Sohn des Gründers des Senussi-Ordens wurde schon erwähnt, und Abdallah konnte sich glücklich schätzen, daß ein neuer Mahdi, der sich in Darfur gegen ihn erhob, schon 1889 starb –, vor allem Ubaid Allah, der Gründer des Kalifengeschlechts der Fatimiden, der von 909 bis 934 regierte und ein großes Reich in Nordafrika gründete. Das Auftreten mehrerer ›Mahdis‹ etwa zur selben Zeit im ausgehenden 19. Jahrhundert zeigt aber auch die Sehnsüchte der unterdrückten und ausgebeuteten Orientalen, die sich Befreiung aus ihrem traurigen Los – zu dem auch die europäische Kolonialisierung gehörte – erhofften.


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Es wurde schon eingangs erwähnt, daß May den Islam in seinem ›Mahdi‹ überwiegend negativ schildert, vor allem im Zusammenhang mit der Sklaverei. Gläubige Moslems entpuppen sich als Alkoholiker, hohe is-


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lamische Würdenträger als Verbrecher; selbst der Reïs Effendina wandelt sich ins Negative. Hier zeigen sich erste Züge der späteren Marienkalendergeschichten; die Kurdistan-Episode im dritten Band paßt schon ganz in dieses Konzept. Mit manchmal schon ins leicht Abstoßende abgleitender Penetranz wird der Gedanke der christlichen Liebe gegen die Gebetsmühlen der Moslims gestellt: Und so sind sie alle, diese unwissenden Moslemim, deren Frömmigkeit sich meist nur im gedankenlosen Herleiern einiger Gebete bethätigt, verbissene und verständnislose Menschen, welche mit Verachtung selbst auf ihre Glaubensgenossen herabsehen, falls diese nicht Mitglieder einer Verbrüderung sind. (I 96f.)(103) An anderer Stelle kommt es noch eindringlicher: Hier gab es einen frappanten Anlaß, den Einfluß des Islam mit demjenigen des Christentumes zu vergleichen. Welche Liebe, Sanftmut, Demut und milde Freundlichkeit beobachtet man bei den Angehörigen christlicher Kongregationen, und wie hochmütig, verstockt und frech trat dieser Mitleiter einer moslemitischen Verbrüderung auf! (I 96) Oder: »Die Fessarah sind nicht so starre Muhammedaner, wie du denkst. Es sind schon einigemal Franken bei uns gewesen, welche Christen waren, und sie alle waren sehr kluge und sehr gute Menschen. Diejenigen aber, welche uns geraubt haben, sind Muhammedaner. Welche Religion ist da die bessere?« Kara Ben Nemsi weiß es natürlich: »Die christliche; das kannst du mir glauben. Der Christ kennt keine Sklaverei; er ist ein Sohn der ewigen Liebe und befleißigt sich der Geduld, Sanftmut, Freundlichkeit und Barmherzigkeit . . .« (I 590f.) – als hätte es May aus eigener Lebenserfahrung nicht besser gewußt; es klingt so, als habe es May nicht ernst gemeint, als sei es gleichsam eine Parodie, aber, wie gesagt, die Marienkalendergeschichten werfen ihren Schatten voraus. Und trotz aller positiver Zeichnung einzelner Moslims oder der Parteinahme für die Neger kommt häufig die folgende Grundhaltung mehr oder minder zum Tragen: »Ich weiß, daß ihr Europäer viel klüger, geschickter und scharfsinniger seid als wir . . .« (I 301) Oder: »Hütet euch in Zukunft, einen Europäer, zumal einen Christen, gering zu achten, denn er ist euch auf alle Fälle überlegen. Kommt ihr je mit ihm in Zwist, so rechnet weit mehr auf seine Güte als auf eure Macht und Tapferkeit.« (I 468)

   Diese Zitate können noch um viele weitere ergänzt werden. Immer dann, wenn es islamischen Verbrechern ans Leben geht, fordern sie das christliche Gebot der Nächstenliebe ein. Doch auch Kara Ben Nemsi folgt angesichts der Schandtaten der Sklavenjäger hin und wieder der Losung: Wehe dem, der wehe tut!, was nicht ausschließt, daß man ihm sagt: »Du bist ein Christ, Effendi; wären doch alle Moslemim solche Christen!« (II 513) Natürlich trifft der Leser auch sympathische Mo-


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hammedaner, Ben Nil z. B., und auch über den Reïs Effendina heißt es ursprünglich: Er sah mich von der Seite so gutmütig pfiffig an, daß ich fühlte, ich müsse ihn rasch lieb haben können. Er war kein bigotter Moslem; er besaß Lebhaftigkeit, Energie und Wohlwollen . . . Das war kein träger, stumpfsinniger Orientale, der sein Nichts für etwas hält und nichts von Etwas wissen will. (I 146) Aber auch hier kann sich May einer abwertenden Bemerkung nicht enthalten, und diejenigen Gestalten seines Romans, die in irgendeiner Form den Islam ›verkörpern‹, werden negativ gezeichnet. Es wäre dennoch sehr ungerecht, Mays Verhältnis zum Islam am Beispiel der Mahdi-Trilogie zu exemplifizieren. Darum soll dieses Verhältnis, das anhand des Gesamtwerkes untersucht werden müßte, hier nicht vertieft werden; doch einige Grundüberlegungen müssen hier noch angeschlossen werden.

   Die Darstellungen des Islam in zeitgenössischen Werken, z. B. im Brockhaus Conversations-Lexikon in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts, waren nicht undifferenziert, aber tendierten ins Negative. May konnte aus ihnen im Grunde die Haltung entnehmen, die Kara Ben Nemsi vertritt. So heißt es im Brockhaus u. a.:

Die Sittenlehre des Korân und der Sunna ist unstreitig die beste Seite des I. [Islam]. Sie beruht völlig auf dem tiefsten und lebendigsten Glauben an Gott und die Sendung des Propheten. Freigebigkeit, Wohltätigkeit, Brüderlichkeit der Gesinnung, Treue, Mäßigung werden allenthalben in eindringlichster Weise vorgeschrieben, aber diese Tugenden sollen nicht um weltlicher Rücksichten oder irdischen Vorteils wegen, sondern lediglich nur um Gottes und seines Lohnes willen geübt werden, sie sollen also nicht nur äußerlich legale Handlungen, sondern ein Ausfluß der innern sittlichen Gesinnung sein. So tief diese Anschauungen auch sind, so tief auch namentlich die Lehre vom Glauben im I. gefaßt wird (. . .), so zweifelhaft erscheint auf der andern Seite der Wert dieser Moral, wenn man bedenkt, daß der Standpunkt dessen, der sie lehrte, ein durchaus partikularistischer war und diese Bethätigung der sittlichen Gesinnung seiner Meinung nach nicht allen Menschen, sondern nur den Muslims gegenüber in das Werk gesetzt werden sollte. So zog er zwischen den Bekennern seiner Religion und den Andersgläubigen eine unübersteigliche Scheidewand und nährte einen religiösen Partikularismus, welcher notwendig einen unbesiegbaren starren Glaubensstolz zu Folge haben mußte (. . .)(104)

Diese Grundhaltung hat May nachgezeichnet und für seine Zwecke literarisch übertrieben. Da er aber andererseits seinen Roman im Sudan spielen läßt, wo sich die Abneigung gegen Fremde, speziell Christen, ins Unermeßliche gesteigert hatte, liegt er mit seiner Darstellung wiederum nicht falsch. Er hat auch viele Einzelheiten des Islam mehr oder weniger richtig wiedergegeben:

   In der Tat: Der Islam ermöglichte die Sklaverei, wie May richtig angibt (z. B. III 402 – die historisch nachgewiesene Verteidigung der Skla-


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verei durch den Mahdi, so auch III 445): »Du vergissest ganz, daß die Sklaverei eine geheiligte Einrichtung ist. Schon die Erzväter haben Sklaven gehabt, und wir Moslemin, welche den Glauben und die Gebräuche derselben noch heute besitzen, können ohne die Sklaverei gar nicht existieren.« (I 388); der Koran erkannte die Sklaverei an, allerdings nur beschränkt auf im Krieg gefangene Nicht-Moslims sowie auf Kinder, deren Eltern bereits Sklaven waren. Mit Recht schreibt May, daß Moslims nicht versklavt werden durften: ». . . wenn aber Araber, welche noch dazu rechtgläubige Moslemin sind, in die Sklaverei geschleppt werden, so ist das eine Sünde gegen den Kuran, welcher über alle Grenzen geht.« (I 404f.; auch I 495). Gerade Mohammed hat versucht, die Lage der Sklaven zu verbessern.(105)

   Daß die Frauen nach islamischer Überzeugung keine Seele hätten, wie auch May gelegentlich bemerkt (»Das Weib hat keine Seele und kann also auch nicht in den Himmel kommen.« (II 370)), ist dagegen falsch,(106) im Gegenteil, vor Gott sind Mann und Frau im Islam gleich; Mohammed hat die Stellung der Frau in der Gesellschaft entscheidend verbessert; der Niedergang dieser Stellung vollzog sich dann im Gegensatz zur Botschaft des Koran im Lauf der Jahrhunderte, bis hin zum heutigen Tage, da die Fundamentalisten im Islam wieder den Schleierzwang u. ä. einführen, von dem weder Mohammed noch der Koran etwas wußten. Auf Mißdeutung beruht daher auch die Aussage: »Manche tiefgreifende Vorschrift beruht auf persönlichen Neigungen des Propheten; so ist z. B. die ungünstige Stellung, die er dem Weib anwies, und die nicht eigentlich der arabischen Anschauung entspricht, aus seiner sinnlichen, eifersüchtigen Seele entsprungen.«(107) Sie stellt die Wahrheit auf den Kopf. Die Unterdrückung der Frauen im neueren Islam wird auch von May dargestellt: Murad Nassyr verfügt über seine Schwestern vollständig (Verheiratung, Zumutung des Religonsübertritts), aber sowohl diese Schwestern (Rettung Kara Ben Nemsis) als auch die von Kara Ben Nemsi befreiten Sklavinnen wissen sich zu behaupten.

   Eine wesentliche Rolle in Mays Roman spielt sicher die Frage nach der Ausbreitung des Islam und das Verhältnis zu den Ungläubigen. Vielfach stellt May den Islam im Gegensatz zum Christentum als eine Religion dar, die den Haß gegenüber den Andersgläubigen predige. In der Anklage des Ssali Ben Aqil kommt dies sehr deutlich zum Ausdruck: »Lieber mit ihm [Kara Ben Nemsi] in die Hölle, als mit dem Murabit in den seligsten aller eurer Himmel! Sein Glaube führt aus der Hölle in den Himmel; eure haßsprühende Lehre aber macht die sieben Himmel zu Höhlen der Verdammnis. Schau mich nur an! Ist der Schlund des


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Hasses, in den ihr mich geworfen habt, der wahre, der richtige Weg zu den versprochenen Seligkeiten des Propheten? Sind die Krallen der unverdienten Rache, die ihr mir in den Leib und in die Seele schlagt, etwa die weichen Houri-Arme, welche den Moslem im Jenseits empfangen und umfangen sollen?« (III 518)

   Auch wenn in den Anfängen des arabischen Reiches zunächst niemand gezwungen wurde, sich zum islamischen Glauben zu bekennen, und nach Mohammeds Tod ein Jahrhundert lang keine intensive Missionierung stattfand, ja, um 700 sogar der Übertritt zum Islam per Gesetz verboten wurde,(108) – diese Haltung ließ sich auf bestimmte Aussagen im Koran zurückführen, und es ist unbestreitbar, daß der Islam jahrhundertelang in Religionsfragen wesentlich toleranter war als das Christentum –, läßt sich die Aufforderung zum Glaubenskrieg, zum Dschihad, zum Kampf gegen die (zunächst arabischen) Ungläubigen vielfältig aus dem Koran belegen; den im ›Kampf um Allahs willen‹ Gefallenen ist die Aufnahme ins Paradies verheißen. »Seine juristische Ausfaltung im Sinne des ›hl. Krieges‹ erhielt ›djihad‹ sicherlich durch die im islamischen Recht (fiqh) geläufige Grobeinteilung der Welt in zwei Lager: das ›Haus des Islams‹ (dar al-Islam) und das ›Haus des Krieges‹ (dar al-harb). Zur Verteidigung des ›Hauses des Islam‹ und zur Ausweitung seines Bereiches im Sinne der Einführung der islamischen Ordnung ist der ›djihad‹ als probates Mittel gefordert.«(109) Eine allgemeine Aufhetzung zum Krieg läßt sich aus dem Koran jedoch nicht ableiten.(110) Es gibt auch Autoren, die – m. E. zu Unrecht – den Dschihad aus dem Koran heraus in erster Linie als Verteidigungskrieg interpretieren. Aber der Koran verlangt andererseits auch nicht, Böses mit Gutem zu vergelten. Hier oder auch mit seinen Ausführungen zum islamischen Jenseits erweist sich May im großen und ganzen durchaus als Kenner des Islam.

   Aufrüttelnd sind in diesem Zusammenhang auch die Worte Kara Ben Nemsis, gerichtet an Ssali Ben Aqil:

». . . Habe ich dir nicht gesagt, daß die Liebe die Mutter der Erlösung ist? Dein Kismet ist ein Tyrann, vor dem du wie ein Wurm, den es jederzeit zertreten kann, im Staube kriechst; er lebt von dem Marke deiner Knochen und mästet sich an dem Willen deiner Seele; er macht dich taub, daß du das Klirren deiner Ketten nicht vernimmst, und macht dich blind, daß du die Herrlichkeit der Freiheit nicht erblickst . . . Dir ist jeder, wenn auch noch so leise Entschluß verboten; du darfst keinen Wunsch und keine Hoffnung haben, denn das Kismet hat jeden Hauch, der eines deiner Haare bewegt, schon im vorher bestimmt. Die Gewalt ist dieses Tyrannen Scepter, und der Islam ist die Lehre, die er predigt . . . Mit dem Worte Kismet hat er [Muhammed]) und haben seine Nachfolger ihre Streiter in den Tod getrieben . . . und während ihr euch für die bevorzugten Kinder Allahs haltet, seid ihr die Leibeigenen des Hasses, der Rache und der Unversöhnlichkeit geworden.


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So hat euch das Kismet um alle Freiheit, um alle Energie gebracht. Ihr müßt euch ohne Kraft und Licht durch euer Leben schleppen, wie das finstre, ungerechte und unerbittliche Fatum es euch vorgeschrieben hat, und wenn ihr dann einen Christen kennen lernt, dem der Gott der Liebe, der Weisheit und Gerechtigkeit die Fähigkeit verliehen hat, bestimmend, schaffend und gestaltend nicht nur in den Lauf seines eigenen Lebens, sondern auch in das Schicksal anderer Menschen einzugreifen, so ruft ihr ein Maschallah über das andere aus und könnt es nicht begreifen, daß er mit leichter Mühe etwas fertig bringt, was bei euch in das [!] Bereich der Unmöglichkeit gehört.« (III 334f.)

Der Dschihad »setzt in jedem Falle – ob militärisch oder übertragbar verstanden – ein großes Maß an Eigeninitiative und wenig Passivität voraus. Eine solche Vorstellung vom Islam aber widerspricht der landläufigen Meinung, der Islam predige den Fatalismus, ›und magische Vokabel ist das Wort ›kismet‹, das man vermutlich aus Karl May bezieht – in islamischen Quellen taucht es nie auf.‹«(111) Abgesehen davon, daß die Erwähnung Mays in einem Fachbuch über den Islam wiederum ein Licht auf den Einfluß dieses Autors auf der Deutschen Bild vom Orient wirft – ähnliche Zitate sind uns ja schon mehrfach begegnet –, ist es richtig, daß der Begriff Kismet, ein aus dem Arabischen (Kisma: ›Los‹, ›Anteil‹) abgeleitetes türkisches Wort für die unabwendbare Fügung des Schicksals, im Koran noch nicht vorkommt; aber der islamische Glaube an die Vorherbestimmug aller Ereignisse durch Gott hat im Koran eine seiner Wurzeln. Wie in anderen Fällen sind natürlich auch hier die Aussagen des Korans nicht widerspruchsfrei; so gibt es Belege im Koran für die Betonung der Eigenverantwortlichkeit des Menschen, und in der Entwicklung des Islam haben sich viele Denker mit dem Problem befaßt, wie ethisches Handeln Sinn haben könne, wenn alles vom göttlichen Willen verfügt und bis in alle Einzelheiten festgelegt ist. Die Philosophen lösten das Problem: »Gott bleibt so die eigentliche und erste Ursache von allem, was geschieht, während durch die ›Aneignung‹ der Mensch die Tat als seine, eben eine gute oder böse übernimmt, eine Vorstellungsweise, die auch der christlichen Theologie des scholastischen Mittelalters keineswegs fremd ist.«(112) Aber für die allgemeine Denkrichtung blieben doch die Aussagen des Koran maßgebend, die die Vorherbestimmung und sogar eine gewisse Willkür Allahs hervorhoben. »Dieser Glaube an die Prädestination machte den Fatalismus zu einem hervorstechenden Charakterzug des mohammedanischen Denkens. Mohammed und andere Anführer nutzten ihn, um zur Tapferkeit in der Schlacht aufzurufen, da ja keine Gefahr die vorausbestimmte Todesstunde eines Menschen beschleunigen, keine Vorsicht sie aufschieben konnte. Er gab den Muselmanen eine würdevolle Resignation gegenüber den Härten und Bedürfnissen des Lebens, führte aber im Zu-


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sammenwirken mit anderen Triebkräften in späteren Jahrhunderten zu einer pessimistischen Trägheit im Leben und Denken der Araber.«(113)

   Karl May setzt dem entgegen: »Wir Christen glauben, daß Gottes Hand uns vom Anfange bis zum Ende des Lebens leitet, daß es sein liebevoller Wille ist, nach welchem alles, alles geschieht. Und wenn der Mensch sich gegen diese Liebe sträubt und dadurch seinem Lebenswege eine andere, schlimme Richtung giebt, so thut er das nach seinem, des Menschen Willen. Kann man da vom Zufall sprechen? Und euer Islam lehrt, daß alles, was geschieht, im Buche des Lebens vorher verzeichnet sei. Ist da also nicht auch bei euch jeder Zufall ausgeschlossen? . . . Wenn des Menschen Weg und Wollen mit dem Willen und der Liebe Gottes auseinandergehen, so streckt Gott in seiner Allbarmherzigkeit die Hand der Allmacht aus, um den Verirrten zu sich zurückzuführen. Das, was dann die Allmacht thut, ist eben das Wunder, welches an dem Menschen geschieht, zumeist ohne daß er es als solches erkennt.« (III 377)


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Im Karl-May-Jahrbuch 1927 hat Alfred Biedermann die ›Mahdi‹-Trilogie zu den »bestgeglückten Schöpfungen Karl Mays« gerechnet.(114) Von der Handlungführung her, der Konstruktion kunstvoller struktureller Verknüpfungen, der Zeichnung von Typen und Charakteren, dem Aufbau von Spannung, der Entwicklung von Gesprächen (sieht man von einigen ermüdenden Längen in Gesprächen ab, in denen der Ich-Erzähler – vor allem im ersten Band – seine Gefährten oder irgendwelche Schurken immer wieder aufs neue schulmeisterlich belehrt), kann dem nur zugestimmt werden; viele Einzelszenen, von denen die erwähnte Begrüßung von Negern durch Rezitieren von Schillers ›Glocke‹ oder die Nilpferdjagd nur zwei Beispiele sind, sind meisterhaft gelungen. Die Darstellung der ›überragenden Eigenschaften‹ des Ich-Erzählers erscheint zwar verschiedentlich als zu überzogen, wird aber andererseits auch wieder relativiert z. B. durch die Kontrastierung mit den ›Heldentaten‹ des Aufschneiders Selim, die selbst den ›Alleskönner‹ Kara Ben Nemsi gefährden. Hierzu gäbe es noch viel zu sagen, doch kann dies nicht im Rahmen der vorliegenden Arbeit geschehen.

   Ganz sicher kann man auch Walther Ilmer uneingeschränkt folgen, wenn er im Vorwort zum KMG-Reprint des ›Mahdi‹ feststellt, daß dieser keinen reinen Abenteuer- und Reiseroman darstelle, sondern »als flammender Aufruf für die Freiheitsrechte aller Menschen, als Fanfarenstoß gegen Gewalt, Unterdrückung und Gefühllosigkeit, als War-


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nung vor falschen Propheten und sogenannten Heiligen (. . .) zeitlose Gültigkeit«(115) hat. Wenn man vom eigentlichen Schauplatz abstrahiert und nur die Botschaft betrachtet, so gilt Mays Anklage ganz allgemein, auch für die Christen, und wenn May islamische Würdenträger geißelt, so läßt sich das auch auf christliche übertragen – daß sich im ›Mahdi‹ auch Erlebnisse Mays mit ›christlichen‹ Lehrern oder ›christlicher‹ Justiz widerspiegeln, braucht nicht eigens betont zu werden. Engt man aber den Blick vom Allgemeinen zum Konkreten ein, so sind es doch der Islam und seine Repräsentanten, die May vor Augen hat, wenn er gegen Heuchelei, Barbarentum, Grausamkeit und Brutalität zu Felde zieht. Ihnen stellt er die christliche Lehre als Beispiel hin – auch hier kann man sicher mit Recht argumentieren, daß May den Islam negativ überzeichnet, um die wahre christliche Botschaft auch ihren eigenen Bekennern und Verkündern um so deutlicher vor Augen zu führen. Ist nicht auch hier – wie May in manchen in Nordamerika spielenden Romanen am Beispiel der indianischen Religion zeigen wollte(116) – der Islam nur ein Vehikel für die Herausstellung der christlichen Botschaft – und dies nicht im Sinne einer besonderen ›Lobpreisung‹, sondern vor allem im Hinblick auf die Belehrung der sogenannten Christen selbst? Ihnen zeigt er, was unter Christentum wahrhaft zu verstehen ist und wie sich echte Christen zu verhalten pflegen. Schilt er die einen – die Moslims –, um die anderen – die Christen – zu rechtem Tun zu reizen? Ginge es dabei allein um eine Herabsetzung des Islam, um das Christentum triumphierend und fanfarengleich herauszustreichen, wäre es – auch wenn Karl May damals schon vom Geist der Marienkalendergeschichten beseelt zu sein schien – nach allem, was über ihn bekannt ist, eine viel zu enge Sichtweise und Interpretation seines Werkes. So einfach im Geiste ist May denn doch nie gewesen; manchmal hat man auch das Gefühl, daß May, da er es im ›Deutschen Hausschatz‹ nicht direkt sagen konnte, indirekt die vielfach nicht minder heuchlerischen Christen ironisieren wollte.

   Für die These, daß May auch den Christen ein Beispiel geben wollte, sprechen auch die gewisse Sympathie, die er anfänglich dem Mahdi entgegenbringt, und der eine odere andere Hinweis, daß – wie schon einmal zitiert – die Werke der Christen ihren Lehren nicht gleichten: »Geben sie nicht Lüge anstatt Wahrheit, Strafe statt Verzeihung, Falschheit anstatt Aufrichtigkeit und Krieg anstatt des Friedens?« (III 296) Und ganz im Sinne des eben vorgeführten Gedankens setzt May hinzu: »Die das thun, haben gar keinen Glauben; sie nennen sich zwar Christen, sind aber keine!« (ebd.) Da May seinen Roman ursprünglich für den konservativen ›Hausschatz‹ schrieb, konnte er – wie gesagt – noch deutlicher nicht werden.


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   Wenn wir aber nun ungeachtet dieser Überlegungen das Blickfeld weiter einengen: auf den eigentlichen Schauplatz, den Sudan, so hat May, abgesehen davon, daß er, wenn er etwas über den Islam schreibt, so falsch im allgemeinen nicht liegt, sehr viel Wissenswertes und Richtiges vermittelt: über die geographischen Gegebenheiten, die Bewohner, Fauna und Flora, Zeitgeschichtliches und vor allem das zentrale Problem: über Sklavenjagd und Sklavenhandel. Letzteres Thema ist sein Hauptanliegen, und sein Roman stellt sich in der Quintessenz letztlich dar als ein Feldzug gegen die Sklaverei. Der Mahdi als historische Gestalt tritt demgegenüber in den Hintergrund. Allerdings kommt man nicht umhin, May nun gerade in diesem Punkt eine etwas einseitige Sichtweise anzulasten. Er ist – entsprechend dem damaligen Zeitgeist – von dem Segen des europäischen Einflusses, der zu seiner Zeit in Ägypten bestimmend wurde, so überzeugt, daß er den durch eben diesen Einfluß heraufbeschworenen Fremdenhaß im Sudan zwar richtig beschreibt, die Ursachen dafür aber weitgehend ausblendet. Die Schuld der Europäer an den Konflikten wird nicht thematisiert; die Sklaverei bleibt überwiegend ein Übel der im Sudan wütenden islamischen Araber; selbst der geschichtliche Anteil der Europäer an den Sklavenjagden paßt May nicht ins Bild des von ihm propagierten ›wahren Christentums‹.(117) Hier zeigt sich andererseits aber auch, wie differenziert Mays ›Mahdi‹-Roman – und nicht nur dieser – betrachtet werden muß, um ihn einigermaßen gerecht bewerten zu können. Am Ende bleibt m. E. trotz mancher Schwächen vor allem Bewunderung für dieses vielschichtige, inhalts- und lehrreiche, teils von weltanschaulichen, philosophischen Auseinandersetzungen und tiefgehendem Gedankenreichtum getragene Werk, wobei auch die Frage, ob es uns noch heute etwas zu sagen hat (abgesehen natürlich von dem spannenden Leseerlebnis), eindeutig mit ja zu beantworten ist.(118)


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Es wurde schon darauf eingegangen, daß in Mays Mahdi-Trilogie ein ganz wesentlicher Teil der Ursachen beschrieben ist, die zum heutigen, von der Weltöffentlichkeit mehr oder weniger vergessenen Bürgerkrieg im Sudan geführt haben. Die arabischen Jagden im ›Sklavenreservoir‹ des südlichen Sudan, unter den Dinka und anderen Negerstämmen, sind bei diesen eine noch heute lebendige Erinnerung: der Bruch zwischen Nord- und Südsudan, während der gemeinsamen ägyptisch-britischen Herrschaft verfestigt und viel zu spät gelockert, reicht mit seinen


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Wurzeln in die Zeit des arabischen Sklavenhandels, der europäischen Kolonialisierung und des Mahdi-Reiches.

   Mays Roman gewinnt aber noch aus einem anderen Grunde heute wieder Aktualität, ja sogar eine gewisse Brisanz: in seiner Auseinandersetzung mit der aggressiven Form des Islam. Die Fremdenfeindlichkeit der Moslims, die er beschreibt, war nicht seine Erfindung, sondern hier hat er die Verhältnisse richtig getroffen. Die dafür maßgebenden Faktoren sind im Rahmen dieser Arbeit dargestellt worden. May ist einen Teil der Antworten auf die Frage nach den Ursachen schuldig geblieben. Man muß ihm aber Gerechtigkeit widerfahren lassen. Es sind nach seiner Schilderung nicht die Moslims schlechthin, die die christlichen Europäer ablehnen, sondern es sind die Sklavenjäger sowie fanatische Anhänger islamischer Bruderschaften und Sekten, überwiegend Verbrecher, die selbst ihre Glaubensgenossen geringachten und sogar versklaven. Wirft man einen Blick in den heutigen Sudan oder überhaupt in Teile der arabischen Welt, so trifft man in steigendem Maße auf islamische Fundamentalisten, die – ganz in der Art der im Mahdi-Roman beschriebenen fanatischen Moslims – gegen gemäßigte Anhänger einer toleranten, liberalen, modernen Ausprägung des Islam ebenso vorgehen wie gegen Europäer und neben dem Islam und dem damit angeblich (!) verbundenen Recht, der Scharia, keine andere Religion, geschweige denn die aus der europäischen Tradition entwickelten Menschenrechte anerkennen. Diese Bewegung kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht näher diskutiert werden, allenfalls können ein paar Hinweise gegeben werden; aber wir Europäer kommen nicht umhin, uns mit diesem Problem des modernen Islam auseinanderzusetzen und den unweigerlich auf uns zukommenden Entwicklungen zu stellen.(119)

   Bassam Tibi, selbst Moslim, aufgeklärt und besorgt, der europäische Westen könne hinter die Errungenschaft seiner eigenen, von ihm hervorgebrachten individuellen Menschenrechte zurückfallen, schreibt:

Um den sozialen Ursprung des islamischen Fundamentalismus als einer anti-westlichen Ideologie besser zu verstehen, ist es von zentraler Bedeutung, das Verhältnis des Islam zu sozialem Wandel zu verstehen, wie er sich im modernen Zeitalter unter den strukturellen und kulturellen Bedingungen der Globalisierung der europäischen kulturellen und institutionellen Moderne darstellt. Alle Gesellschaften wandeln sich, auch die islamischen (trotz des europäischen Vorurteils vom unwandelbaren  h o m o  i s l a m i c u s  bzw. von der stationären Produktionsweise asiatischer Gesellschaften). Aber jenen Typ sozialen Wandels, der im islamischen Orient seit der Berührung mit dem europäischen Kolonialismus bis heute – und heute noch weit intensiver – vorherrscht, möchte ich als  e x t e r n  a u s g e l ö s t e n  W a n d e l  kennzeichnen. Eben deshalb empfinden die Fundamentalisten, daß alles Übel in ihren Gesellschaften, das dieser Wandel mit sich


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brachte, von außen, d. h. aus der europäisch-westlich dominierten Umwelt des islamischen Orients herrührt. Zur Bekämpfung dieser Übel beleben sie deshalb in defensiv-kultureller Manier einheimische Normen und Werte, die vormals die Sozialstrukturen bestimmten. Die Revolte des islamischen Fundamentalismus gegen den Westen zeigt eine tiefliegende Krise islamischer Gesellschaften an. Die Überwindung dieser Krise ist für die Fundamentalisten beschlossen in der Zauberformel ›islamische Ordnung‹. In Algerien, Tunesien und anderswo in der ›Welt des Islam‹ glauben Fundamentalisten, daß diese ›Ordnung‹ alle Probleme (Überbevölkerung, Wirtschaftskrise, Wohn- und Nahrungsmittelmangel etc.) lösen würde.(120)

   [Die Fundamentalisten haben im Sinn,] die bestehende Ordnung durch ein  N i z a m  I s l a m i  / Islamisches System zu ersetzen, das sie, zunächst in ihren eigenen Ländern durch den Kampf gegen nur nominelle Muslime, mit Gewalt durchsetzen wollen. Nach der Wiederherstellung der Vorherrschaft des Islam im Dar al-Islam / Haus des Islam selbst werden sich die Muslime dann ihren äußeren Feinden zuwenden und das groß gesteckte Ziel, die Welt zu islamisieren, verfolgen. Diese Aussagen sind keine den ›U n t e r g a n g  d e s  A b e n d l a n d e s‹ beschwörenden Hirngespinste, sondern ein Resümee der Lektüre zeitgenössischer, weit verbreiteter Pamphlete islamischer Fundamentalisten.(121)

Hören wir nicht hier im Grunde Gedanken des Mahdi, wie sie uns Karl May – und die Historie – überliefert hat?

Es steht nicht zu befürchten, daß die Rhetorik der Islamisierung der Welt, die sich in der Literatur des  a l - S a h w a  a - I s l a m i y y a  austobt, kurzfristig zu einer realen Bedrohung der Industrienationen in Ost und West, gegen die sich dieser Widerstand richtet, führen wird (. . .) Dennoch gilt es stets zu bedenken, daß in unserer Welt 1,2 Milliarden Muslime leben, deren materielle Lebensbedingungen sich zunehmend verschlechtern und die deshalb massenhaft in die Industrie-länder einwandern.(122)

   Jene aber, die wir in den europäischen Sprachen Fundamentalisten nennen und die im Orient als  U s u l i y y a n  gelten, verstehen den Islam ganz spezifisch als › d i n  w a  d a u l a‹ (wortwörtliche Übersetzung: Religion und Staat, d. h. Gottesstaat). Damit ist gemeint, daß das politische, soziale und ökonomische Leben der Muslime im absoluten Einklang mit den religiösen Vorschriften des Islam zu stehen habe, so wie sie im  K o r a n  und im  H a d i t h  enthalten sind. Mit anderen Worten: Diesen Texten wird unanfechtbare Autorität zugesprochen (. . .) Fundamentalismus, verstanden als Glaube an die absolute Autorität eines Textes, ist möglich, weil Muslime an die exklusive und absolute Wahrheit ihrer Schrift-Offenbarung glauben. Das hindert jedoch nicht, daß in den sakrosankten Text moderne Inhalte eingetragen werden (. . .) Hier wird ein Charakteristikum des Fundamentalismus deutlich: Die Blindheit für die Probleme der Interpretation eines Textes (. . .) Ebenso wie Fundamentalisten die Antinomie ihres Denkens (Akzeptanz der Errungenschaften der Moderne bei gleichzeitiger Ablehnung ihres mensch-zentrierten, rationalistischen Weltbildes) nicht erkennen, bleibt ihnen die Problematik ihrer Deutungen der heiligen Schriften des Islam verschlossen. Wenn richtig ist, was wir behaupten, daß der Fundamentalismus als religiöse, nicht-westliche Ideologie eine defensiv-kulturelle Reaktion auf die europäische


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Moderne darstellt, dann bildet die Globalisierung der europäischen Moderne den historischen Kontext, in dem islamische Fundamentalisten die Lehre des Koran und der Überlieferung des Propheten Muhammed als religiös gebotene Alternative aufbieten. Der Text ist dreizehn Jahrhunderte alt, der Kontext seiner fundamentalistischen Deutung ist die gegenwärtige Krise des modernen Islam im modernen Zeitalter.(123)

Die Wiedereinführung der Scharia, des islamischen Rechts, wie im Sudan, wird in Europa in erster Linie in Verbindung gebracht mit entsprechenden Sitten- und Moralgesetzen, Kleidervorschriften, ›Handabhacken‹, Einführung des Arabischen als einziger Unterrichtssprache in Schulen und Universitäten oder des Korans als Pflichtlektüre, aber das Verständnis von islamischem Recht reicht in Wahrheit viel weiter. Tibi hat – vor allem in seinem lesenswerten Buch ›Im Schatten Allahs‹ – gezeigt, daß die individuellen Menschenrechte europäischer Tradition im (fundamentalistischen) Islam keinen Platz haben:

Das Fehlen der Menschenrechte in der Welt des Islam liegt einerseits aktuell an den verschiedenen bestehenden Herrschaftsformen orientalischer Despotien und andererseits historisch-kulturell an dem Fehlen einer Tradition von Pluralismus und eines Begriffes individueller Menschenrechte im Islam. Beide Eigenschaften charakterisieren die dominierende politische Kultur in der islamischen Geschichte (. . .) Im Islam gibt es ein vormodernes Verständnis von Menschenwürde. Doch spreche ich hier von individuellen, institutionell abgesicherten Menschenrechten im Sinne von Rechten des Individuums gegenüber Staat und Gesellschaft (. . .) Im Islam als einem kulturellen System werden in unserer Gegenwart Reformen benötigt, um zwei zentrale Hindernisse bei der Durchsetzung eines Konzepts der Menschenrechte in der Welt des Islam aus dem Wege zu räumen; und zwar geht es um:

E r s t e n s  die Zwangsjacke der islamischen  U m m a: Alle Muslime bilden eine einheitliche Gemeinschaft / Umma (ohne Opposition), die ein Kollektiv darstellt. Muslime benötigen daher einen Begriff vom Individuum.

Z w e i t e n s  haben Menschen gegenüber der  U m m a  Pflichten, nicht jedoch Rechte. Aus diesem Grunde ist das Konzept der  F a r a i d / Pflichten, und nicht jenes der individuellen Rechte, im Islam das zentrale Konzept. Also benötigen die Muslime einen Begriff von Rechten als individuelle Berechtigungen.(124)

Tibi macht in seinem Buch Vorschläge für die Integration des europäischen Menschenrechtskonzepts in den Islam, benennt aber auch die Hindernisse und Schwierigkeiten bei der Verwirklichung. Er weiß natürlich, daß vom Westen die Menschenrechte oft selbst nicht im Verhältnis zu anderen Ländern, vor allem der Dritten Welt, angewendet werden und daß die Verhältnisse im Westen für überzeugte Moslims genügend Anlaß zur Kritik bieten; zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Christentums hat ja bekanntlich auch May unterschieden. Tibi


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setzt auch den fundamentalistischen Islam natürlich nicht mit dem Islam generell gleich, weiß aber auch um die langfristigen Gefahren, die aus dem fundamentalistischen Islam erwachsen können. »Die Ursache für ihr Elend verorten die heutigen Muslime im Westen, der ihre Desorientierung hervorgerufen hat. Im Verlauf dieser Krise entwickeln sich viele gebildete Muslime zu Fundamentalisten; sie sind die Kinder dieser doppelten Krise, die den islamischen Orient insgesamt betrifft. Heutige Muslime hassen den Westen und glorifizieren alles, was antiwestlich ist, eben weil sie im ›Westen‹ eine moderne Krankheit sehen, die ihr  D a r  a l - I s l a m / Haus des Islam heimgesucht hat. Für sie ist die Wiederbelebung des Islam das probate Heilmittel gegen diese Krankheit, die als ›intellektuelle Invasion‹ diagnostiziert wird.«(125)

   Rund ein Jahrhundert nach dem Erscheinen des ›Mahdi‹ stellen sich ähnliche Probleme, wie sie der Islam damals in ganz Nordafrika, aber vor allem im Sudan, an die Europäer im Zuge ihres Vormarsches und der durch sie ausgelösten Kolonialisierung herantrug. Die Ablehnung des Westens erlebt nach hundert Jahren eine neue Blüte. May hat gegen diesen ›fundamentalistischen‹, von Sendungsbewußtsein getragenen, auf Vernichtung der Europäer und Weltherrschaft des Islam zielenden Anspruch des Mahdi und seiner christenfeindlichen Anhänger die christliche Botschaft der Nächstenliebe gestellt. Auf unsere Zeiten übertragen, hätte er ebensogut das europäische, auch aus der Tradition des Christentums gespeiste Konzept der individuellen Menschenrechte als eines der höchsten Güter europäischer Kultur gegen das islamische (Pflichten-) Recht in fundamentalistischer Ausprägung stellen können. Hier wird Mays Roman gleichsam modern und aktuell. Reinhard Löw stellt im Hinblick auf eine Lösung der Probleme, die zwischen Islam und europäisch-christlichem Westen bestehen, fest: »Die Frage der Toleranz stellt sich, und nicht erst dort, wo Toleranz für Schwäche und Feigheit gehalten wird (. . .) Ein bescheideneres Ziel als die Rettung des Christentums ist das Sorgetragen für ein gedeihliches Nebeneinander von Muslimen und Christen, nicht nur gegen etwas, sondern eher für gemeinsame Ziele. Dafür ist ein Dialog in beiden Richtungen nötig. Wo Vertrauen gebildet werden kann, ist das sicher günstig. Vertrauen ersetzt aber weder Wissen noch Vernunft (. . .) Der günstigste Einstieg in ihn [den Dialog] könnte das Problem der Menschenrechte sein (. . .)«.(126) Diese Gedanken klingen auch in Mays Botschaft – einem Moslim, dem Reïs Effendina, in den Mund gelegt – an: »Allah ist die Liebe und die Gerechtigkeit, und dein Gott ist Allah. Wir Menschen sind alle Gottes Kinder; wir sollen einander lieben und gerecht gegen einander sein. Ich preise meinen Glauben nicht und schände keinen andern; ich mag nicht be-


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kehren und lasse mich nicht bekehren. Meine Augen können nur das Irdische sehen und werden erst, wenn ich gestorben bin, das Himmlische erblicken. Warum soll ich darüber streiten, wer Gott in der rechten Weise anbetet? Wir sind eine einzige große Familie und haben einen einzigen Vater. Jedes Kind hat seine besonderen Gaben und Eigenschaften und spricht in seiner besonderen Art und Weise mit dem Vater. Gieb mir die Hand, Effendi! Du bist ein Christ, und ich bin ein Moslem; aber wir sind Brüder und gehorchen unserm Vater, weil wir ihn lieben!« (I 152)

*

In Erinnerung an meinen Freund Prof. Dr. Dr. Reinhard Löw, zu dessen letzten Werken ein Buch über den Islam und das Christentum und ihre Versöhnung gehörte und der 1994 viel zu früh gestorben ist!



1 Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. XVI: Im Lande des Mahdi I. Freiburg 1896 – Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. XVII: Im Lande des Mahdi II. Freiburg 1896. – Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XVIII: Im Lande des Mahdi III. Freiburg 1896; künftig wird den Zitaten in Klammern die Belegstelle mit Band- und Seitenzahl in Klammern nachgestellt – Zitat hier: III 114f.

2 Karl May: Die Sklavenkarawane. In: Der Gute Kamerad. 4. Jg. (1889/90) / Buchausgabe: Stuttgart 1893

3 Bernhard Kosciuszko: »In meiner Heimat gibt es Bücher« – Die Quellen der Sudanromane Karl Mays. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 1981. Hamburg 1981, S. 64-87 (S. 66); Kosciuszko geht in seiner Studie detailliert auf Mays Quellen, auch bezüglich Geographie, Flora und Fauna, ein und skizziert den zeitgeschichtlichen Rahmen.

4 Zum Inhalt der Mahdi-Romane vgl.: Bernhard Kosciuszko: Werkartikel ›Im Lande des Mahdi I – III‹. In: Karl-May-Handbuch. Hrsg. von Gert Ueding in Zusammenarbeit mit Reinhard Tschapke. Stuttgart 1987, S. 252-59.

5 Ebd., S. 256f.

6 Vgl. z. B. Joseph Ki-Zerbo: Die Geschichte Schwarz-Afrikas. Frankfurt a. M. 1981, S. 217ff.

7 Zitiert in Ki-Zerbo, wie Anm. 6, S. 229.

8 Vgl. ebd., S. 228f, sowie: Robert u. Marianne Cornevin: Geschichte Afrikas von den Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart 1966, S. 226f., und May: Mahdi I, wie Anm. 1, S. 148.

9 Ki-Zerbo, wie Anm. 6, S. 231f.

10 Ebd., S. 344

11 Cornevin, wie Anm. 8, S. 308

12 Ki-Zerbo, wie Anm. 6, S. 231

13 Ebd., S. 228; Cornevin, wie Anm. 8, S. 287ff; vgl. auch: Pierre Bertaux: Afrika. Von der Vorgeschichte bis zu den Staaten der Gegenwart. Fischer Weltgeschichte Bd. 32. Frankfurt a. M. 1966, S. 147-56.

14 Hans-Jürgen Wischnewski: Mit Leidenschaft und Augenmaß. In Mogadischu und anderswo. Politische Memoiren. München 1989, S. 153 (Goldmann Taschenbuch)

15 Karl-Heinz Kohl: Abwehr und Verlangen: Zur Geschichte der Ethnologie. Frankfurt a. M.-New York 1987, S. 147

16 André Miquel: Der Islam. Von Mohammed bis Nasser. Essen 1975, S. 468 u. 472f. (Magnus Kulturgeschichte)


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17 Helmolts Weltgeschichte. Hrsg. von Armin Tille. Bd. 3. 2., neubearbeitete und vermehrte Auflage. Leipzig-Wien 1914, S. 348f.

18 Cornevin, wie Anm. 8, S. 255

19 Miquel, wie Anm. 16, S. 474

20 Vgl. Cornevin, wie Anm. 8, S. 257 u. 305; Miquel, wie Anm. 16, S. 476f.; Albert Hourani: Die Geschichte der arabischen Völker. Frankfurt a. M. 1992, S. 336f.

21 Cornevin, wie Anm. 8, S. 257

22 Helmolts Weltgeschichte, wie Anm. 17, S. 158

23 Ebd., S. 159

24 Ebd.

25 Miquel, wie Anm. 16, S. 479f.

26 Helmolts Weltgeschichte, wie Anm. 17, S. 159

27 Ebd.

28 Vor allem geschieht das in den Gesprächen mit dem Reïs Effendina und Murad Nassyr, doch auch noch an anderen Stellen, u. a. in Gesprächen mit Sklavenjägern.

29 Ekkehard Koch: Zwischen Rio de la Plata und Kordilleren – Zum historischen Hintergrund von Mays Südamerika-Romanen. In: Jb-KMG 1979. Hamburg 1979, S. 137-68

30 Vgl. Kosciuszko: Quellen, wie Anm. 3.

31 Ebd., S. 67f.

32 Kosciuszko: Mahdi, wie Anm. 4, S. 258

33 Helmolts Weltgeschichte, wie Anm. 17, S. 148, 159f.; Cornevin, wie Anm. 8, S. 306, 327; Ki-Zerbo, wie Anm. 6, S. 309, 428, 430; zur Biographie vgl. auch Encyclopedia Americana. Vol. 29. New York 1968 (›Zobeir Rahama Pasha‹).

34 Vgl. Walther Ilmer: Nachwort (zu ›Der Mahdi‹). In: Karl May: Der Mahdi. In: Deutscher Hausschatz. XVIII./XIX. Jg. (1891/92, 1892/93); Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg/Regensburg 1979.

35 Siegfried Schmitz: Große Entdecker und Forschungsreisende. Eine Geschichte der Weltentdeckung von der Antike bis zum 20. Jahrhundert in Biographien. Hermes Handlexikon. Düsseldorf 1983, S. 33; vgl. auch: Richard Hall: Die Liebenden auf dem Nil. Berlin 1981; Samuel Baker: The Albert Nyanza. London 1866; Ders.: The Nile Tributarios of Abyssinia. London 1867; ferner: Cornevin, wie Anm. 8, S. 306; Helmolts Weltgeschichte, wie Anm. 17, S. 159; Ki-Zerbo, wie Anm. 6, S. 336. Vgl. auch den Bericht Bakers über die Zustände am oberen Nil, den ›Die Gartenlaube‹ im Jahrgang 1866 (S. 494ff.) unter dem Titel ›Sklavenjagd am Weißen Nil‹ zusammenfaßte; er wird in den Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft (M-KMG) 106/1995 abgedruckt.

36 Ilmer, wie Anm. 34, S. 5; vgl. May: Mahdi III, wie Anm. 1, S. 76ff.

37 Rudolf K. Unbescheid: Das Land des Mahdi, Sklavenkarawanen und Karl May. II. Teil. Loseblattsammlung. Verlag Christian Heinke. Taunusstein 1984, S. 103ff.; Unbescheid bringt eine Menge lesenswerter Details zu Quellen Mays, zu historischen Persönlichkeiten im Umfeld des Mahdi sowie zum geographischen Hintergrund.

38 Ebd., S. 104

39 Vgl. Kosciuszko: Quellen, wie Anm. 3; Ders.: Mahdi, wie Anm. 4; Unbescheid, wie Anm. 37, Teile I-III. Taunusstein 1979/1984/1986

40 Kosciuszko: Quellen, wie Anm. 3, S. 65

41 Meyers Konversationslexikon. Bd. 11. Leipzig 1877, S. 251; zitiert nach Kosciuszko: Quellen, wie Anm. 3, S. 85

42 Helmolts Weltgeschichte, wie Anm. 17, S. 78

43 Kosciuszko: Quellen, wie Anm. 3, S. 69

44 Ernst Marno: Reisen im Gebiete des blauen und weissen Nil, im egyptischen Sudan und den angrenzenden Negerländern, in den Jahren 1869 bis 1873. Wien 1874, S. 473

45 Ebd., S. 468; zitiert nach Kosciuszko: Quellen, wie Anm. 3, S. 69

46 Ebd., S. 458 u. 468 (zitiert nach Kosciuszko, S. 67f.)

47 Kosciuszko: Quellen, wie Anm. 3, S. 69

48 Ebd.

49 Marno, wie Anm. 44, S. 461f. (zitiert nach Kosciuszko, S. 68)

50 David Bouillier; zitiert nach Ki-Zerbo, wie Anm. 6, S. 227


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51 Voltaire: Lettre d›Amabed; zitiert nach Ki-zerbo, wie Anm. 6, S. 227

52 Peter Martin: Schwarze Teufel, edle Mohren. Afrikaner in Bewußtsein und Geschichte der Deutschen. Hamburg 1993, S. 273

53 Zu Hannibal vgl. ebd., S. 306ff.

54 Ebd., S. 328

55 Helmolts Weltgeschichte, wie Anm. 17, S. 160

56 Ebd., S. 14f.

57 Kosciuszko: Quellen, wie Anm. 3, 69f.

58 Eckehard Koch: ». . . die Farbe der Haut macht keinen Unterschied« – Betrachtungen zum angeblichen Rassisten Karl May. In: Exemplarisches zu Karl May. Hrsg. von Walther Ilmer und Christoph F. Lorenz. Frankfurt a. M. 1993, S. 99-120 (109) – Ruprecht Gammler (Literaturbericht II, in: Jb-KMG 1994. Husum 1994, S. 351) meint zu diesem Aufsatz: der Autor »macht es sich ein wenig zu leicht, wenn er versucht, May durch die Aufzählung zahlreicher positiver Äußerungen gänzlich zu exkulpieren.« Weder handelt es sich um eine Aufzählung von Zitaten noch läßt sich aus dem Wortlaut des Aufsatzes eine völlige Exkulpierung Mays herleiten. Daß bei May, auch wenn er ein Kind seiner Zeit war und man mithin auch entsprechende negative Äußerungen über andere Völker bei ihm findet, doch die hier dargestellte positive Grundhaltung überwog, läßt sich aus seinem Werk belegen und ist nicht nur die Meinung des Autors, sondern auch anderer (z. B. Gurlitt, Forst-Battaglia, Albert Schweitzer, Kosciuszko).

59 Günter Krabbe: Dimiting im Dinkaland. Eine tragische Geschichte aus dem Südsudan. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Nr. 185 vom 12. 8. 1989. – Den Hinweis auf diesen Artikel verdanke ich Claus Roxin und Erwin Müller. Sie gaben auch die Anregung zu der vorliegenden Arbeit.

60 Vgl. Kosciuszko: Quellen, wie Anm. 3, S. 73.

61 Georg Schweinfurth's Reisen in Inner-Afrika. In: Globus. Illustrirte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde. Hrsg. von Karl Andree. Bd. XXVI (1874), S. 307; für den Hinweis auf diese Quelle sowie für weitere Informationen und Anregungen habe ich Bernhard Kosciuszko zu danken.

62 Helmolts Weltgeschichte, wie Anm. 17, S. 78

63 Kosciuszko: Quellen, wie Anm. 3, S. 73

64 Ebd. S. 73f.; Begrüßungsszene bei den Gohk: May: Mahdi III, wie Anm. 1, S. 73-78

65 Zu den Dinka vgl.

(Überblick): Neue Große Völkerkunde. Hrsg. von Hugo A. Bernatzik. Einsiedeln 1974; Lexikon der Völker. Regionalkulturen in unserer Zeit. Hrsg. von Wolfgang Lindig. München 1986; Ki-Zerbo, wie Anm. 6, S. 328f., Helmolts Weltgeschichte, wie Anm. 17, S. 78ff.;

(Spezialliteratur): Audrey Butt: The Nilotes of the Anglo-Egyptian Sudan and Uganda. London 1952 (1964); Hugo A. Bernatzik: Zwischen Weißem Nil und Belgisch-Kongo. Wien 1929; Oswin Köhler: Die Ausbreitung der Niloten. Festschrift Thurnwald. Berlin 1950; Willy Schilde: Die Niloten und ihre Nachbarn. In: Afrika, Handbuch der angewandten Völkerkunde. Hrsg. von Hugo A. Bernatzik. Innsbruck 1947.

66 Die Nuer und die Schilluk spielen in Mays Roman ›Die Sklavenkarawane‹ eine bedeutendere Rolle als im ›Mahdi‹. Literatur vgl. Anm. 65 sowie: Edward Evans-Pritchard: The Nuer. Oxford 1940 (1950); Wilhelm Hofmayr: Die Schilluk. Mödling 1925; Helmut Straube: Die Stellung und die Funktion des Schilluk-Königs als zentrale Autorität. In: Paideuma 19/20 (1973/74), S. 213-57; Dietrich Westermann: The Shilluk People. Berlin 1952. Einen interessanten Überblick gibt auch: Edward Evans-Pritchard: Die Shilluk in der Republik Sudan. In: Bild der Völker. Die Brockhaus Völkerkunde in 10 Bänden. Bd. 2. Wiesbaden [ca. 1974].

67 Z. B. May: Mahdi I, wie Anm. 1, S. 497; May: Mahdi II, wie Anm. 1, S. 370; May: Mahdi III, wie Anm. 1, S. 387f., 408

68 Vgl. Bernatzik: Völkerkunde, wie Anm. 65, S. 225; speziell zu den Baggara vgl. ebd. sowie Lindig, wie Anm. 65, S. 51; Helmolts Weltgeschichte, wie Anm. 17, S. 163, und speziell: Harold Alfred MacMichael: A History of the Arabs in the Sudan. London 1967 (Reprint der Ausgabe von 1922); Ian Cunnison: Baggara Arabs. London 1966;


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Charles Dudley Lampen: The Baggara Tribes of Darfur. In: Sudan Notes and Records 16. Khartum 1933. Zu den Kababish vgl. u. a.: Talal Asad: The Kababish Arabs. London 1970, und MacMichael, a.a.O.

69 Helmolts Weltgeschichte, wie Anm. 17, S. 160

70 Ebd.

71 Ki-Zerbo, wie Anm. 6, S. 428

72 Helmolts Weltgeschichte, wie Anm. 17, S. 351

73 Ebd., S. 160

74 Cornevin, wie Anm. 8, S. 306f.

75 Ki-Zerbo, wie Anm. 6, S. 428

76 Kosciuszko: Quellen, wie Anm. 3, S. 80; Rudolf K. Unbescheid: Der Mahdi. (Karl May, Hakawati und die weltpolitischen Hintergründe in einem Werk), V. Teil. In: Magazin für Abenteuer-, Reise- und Unterhaltungsliteratur. Braunschweig, Heft 17/1978, S. 56; auch: Ders.: Das Land des Mahdi (I), wie Anm. 37, S. 83f.

77 Richard Buchta: Der Sudan und der Mahdi. Das Land, die Bewohner und der Aufstand des falschen Propheten. Stuttgart 1884; zitiert nach Kosciuszko: Quellen, wie Anm. 3, S. 80

78 Gerald Sparrow: Gordon. Mandarin and Pasha. London 1962, S. 155; zitiert nach Unbescheid: Das Land des Mahdi (I), wie Anm. 37, S. 87; übersetzt durch E. K.

79 Vgl. Kosciuszko: Quellen, wie Anm. 3, S. 80; Unbescheid: Der Mahdi, wie Anm. 76, S. 56; Ders.: Das Land des Mahdi, (I), wie Anm. 37.

80 Kosciuszko: Quellen, wie Anm. 3, S. 81

81 Vgl. Unbescheid: Das Land des Mahdi (I), wie Anm. 37, S. 92 u. a., dort angegebene Quellen u. a.: Peter Malcolm Holt: The Mahdist State in the Sudan 1881-1898. Oxford 1958, 1961

82 Helmolts Weltgeschichte, wie Anm. 17, S. 160; zur Geschichte des Mahdi-Aufstandes vgl. Ki-Zerbo, wie Anm. 6, S. 428ff; Cornevin, wie Anm. 8, S. 305ff.; Heinrich Pleticha: Der Mahdi-Aufstand in Augenzeugenberichten. Düsseldorf 1967; Holt, wie Anm. 81; auch Unbescheid: Das Land des Mahdi (I), wie Anm. 37, und Ders.: Der Mahdi, wie Anm. 76.

83 Hofmann/Vorbichler: Das Islam-Bild bei Karl May und der islamo-christliche Dialog. In: Beiträge zur Afrikanistik Bd. 4, Wien 1979; vgl. dazu: Kosciuszko: Mahdi, wie Anm. 4, S. 258, sowie Wolf-Dieter Bach: Mit Mohammed an May vorbei. Zur Kritik I. Hofmanns und A. Vorbichlers an Karl Mays Islam-Phantasien. In: Jb-KMG 1981. Hamburg 1981, S. 375-81.

84 Kosciuszko: Quellen, wie Anm. 3, S. 82

85 Cornevin, wie Anm. 8, S. 270

86 Ebd., S. 271

87 Rudolf Slatin Pascha: Feuer und Schwert im Sudan. Meine Kämpfe mit den Derwischen, meine Gefangenschaft und Flucht 1879 bis 1895. Leipzig 1896

88 Vgl. Holt, wie Anm. 81; Unbescheid: Das Land des Mahdi (I), wie Anm. 37, S. 25ff.

89 Ki-Zerbo, wie Anm. 6, S. 430

90 Helmolts Weltgeschichte, wie Anm. 17, S. 162f.

91 Ki-Zerbo, wie Anm. 6, S. 432

92 Zur modernen Geschichte des Sudan vgl.: Hourani, wie Anm. 20; Ki-Zerbo, wie Anm. 6, S. 648-52; Hanspeter Mattes: Sudan. In: Handbuch der Dritten Welt. Hrsg. von Dieter Nohlen u. Franz Nuscheler. Bd. 5: Ostafrika und Südafrika. Bonn 1993, S. 156-77; Rainer Tetzlaff: Sudan – Selbstzerfleischung eines rassisch zweigeteilten Landes. In: Vergessene Kriege in Afrika. Hrsg. von Rolf Hofmeier und Volker Matthies. Göttingen 1992, S. 215-49; Marina Peter: Krieg im Sudan: Ein vergessener Konflikt? In: Jahrbuch Dritte Welt 1994. Hrsg. von Joachim Betz u. Stefan Brüne, München 1993; Klemens Ludwig: Bedrohte Völker. Ein Lexikon nationaler und religiöser Minderheiten. München 31994 (Artikel ›Südsudanesen‹); Aktuelle Daten in: Lexikon Dritte Welt. Hrsg. von Dieter Nohlen. Reinbek 1993 (Art. ›Sudan‹); Harenberg Länderlexikon ›94/›95. Dortmund 1994 (Art. ›Sudan‹); Der Fischer Weltalmanach 1995. Frankfurt a. M. 1994.

93 Ludwig, wie Anm. 92, S. 181


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94 äußerst wenig weiß darüber zu berichten: Walter Michler: Weißbuch Afrika. Bonn 21991, S. 327f.; Berichte in den Medien: Michael Lüders: Ein Land steht am Pranger. In: DIE ZEIT. Nr. 18 vom 29. 4. 1994; Ders.: Als sei der Tod nichts Besonderes. In: DIE ZEIT. Nr. 22 vom 27. 5. 1994; schon früher: Günter Krabbe in der FAZ (12. 8. 1989) wie Anm. 59; am 5. Juni 1994 (1. Sonntag nach Trinitatis) wurde in den evangelischen Gottesdiensten offiziell für den Frieden im Sudan gebetet. Dazu gab es ein Faltblatt ›Fürbitte für den Frieden im Sudan‹, unterschrieben von Bischof Klaus Engelhardt (Vorsitzender des Rates der EKD). Für die Information danke ich Herrn Wolfgang Richter, Essen.

95 Ludwig, wie Anm. 92, S. 179

96 Die Ausführungen zum Islam beruhen auf: Peter Antes: Der Islam als politischer Faktor. Hannover 21991; Miquel, wie Anm. 16; Karen Armstrong: Nah ist und schwer zu fassen der Gott. 3000 Jahre Glaubensgeschichte von Abraham bis Albert Einstein. München 1993; Hourani, wie Anm. 20; Will Durant: Kulturgeschichte der Menschheit. Bd. X: Die Kultur des Islam. Editions Rencontre Lausanne o. J. [1967] – aus Mays Zeit: Helmolts Weltgeschichte. Hrsg. von Armin Tille. Bd. 2. 2., neubearbeitete und vermehrte Auflage. Leipzig-Wien 1913; Brockhaus’ Conversationslexikon. Bd. 9. Leipzig 131884 (›Islam‹) – Als Koran wurde die vom Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig 1974, vorgelegte Ausgabe benutzt (Übersetzung: Max Henning, Einleitung: Ernst Werner u. Kurt Rudolph, Textdurchsicht, Anmerkungen, Register: Kurt Rudolph).

97 Miquel, wie Anm. 16, S. 90

98 Ebd. S. 89; Brockhaus, wie Anm. 96

99 Miquel, wie Anm. 16, S. 89f.

100 Ebd., S. 141

101 Ebd., S. 142f.

102 Vgl. Ki-Zerbo, wie Anm. 6, S. 432

103 Es gibt eine Fülle von Stellen im ›Mahdi‹, an denen May das Christentum gegenüber dem Islam hervorhebt. Am ergiebigsten sind die Gespräche mit dem Reïs Effendina, verschiedenen Weggefährten, den Sklavenjägern und vor allem die Kurdistan-Episode mit ihrem Nachhall im Sudan.

104 Brockhaus, wie Anm. 96

105 Vgl. Durant, wie Anm. 96, S. 347 u. 402.

106 Antes, wie Anm. 96, S. 48; vgl. auch Durant, wie Anm. 96, S. 347ff, Armstrong, wie Anm. 96, S. 224ff., Miquel, wie Anm. 16, S. 78f.

107 Helmolts Weltgeschichte (Bd. 2), wie Anm. 96, S. 256

108 Armstrong, wie Anm. 96, S. 227

109 Antes, wie Anm. 96, S. 44

110 Vgl. hierzu ebd., S. 44f; Durant, wie Anm. 96, S. 352f.; Werner/Rudolph: Einleitung zum Koran, wie Anm. 96, S. 21.

111 Antes, wie Anm. 96, S. 46

112 Ebd., S. 47

113 Durant, wie Anm. 96, S. 343

114 Alfred Biedermann: Über Karl Mays Mahdi. In: Karl-May-Jahrbuch 1927. Radebeul 1927, S. 304

115 Ilmer, wie Anm. 34, S. 6

116 Ekkehard Koch: Karl May und die indianische Religion. In: M-KMG 6/1970, S. 3-8

117 Dieses Thema schneidet May in einer anderen – allerdings nur kleinen – Erzählung an: In ›Eine Ghasuah‹ ist der Sklavenhändler in der Erstfassung, die im ›Eichsfelder Marien-Kalender‹ 1893 erschien, ein Engländer. In der Buchausgabe: Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. X: Orangen und Datteln. Freiburg 1894, S. 427-61, läßt May die Nationalität offen.

118 Dies gilt natürlich für Mays Orientromane ganz allgemein; sehr zu Recht schreibt Michael Lüders (Karl May im Fach. DIE ZEIT. Nr. 2 vom 6. 1. 1995): »Wer nie Karl May gelesen hat, sollte die Finger vom Fach [Orientalistik, E. K.] lassen. Gewiß, der Sachse schrieb aus einer eurozentrischen, um nicht zu sagen herablassenden Perspektive. Aber das ist nicht entscheidend. Um sich ein Leben lang mit dem Orient zu


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befassen, bedarf es starker Bilder, einer Sehnsucht, einer Legende. Ohne privaten Mythos hält man den Alltag nicht aus.«

119 Es gibt inzwischen eine Fülle von Literatur zum islamischen Fundamentalismus. Empfohlen seien zur weiteren Lektüre neben Antes, wie Anm. 96, vor allem Bassam Tibi: Die fundamentalistische Herausforderung. Der Islam und die Weltpolitik. München 1992; Ders.: Im Schatten Allahs. Der Islam und die Menschenrechte. München 1994. Ferner zum Verhältnis Christentum/Islam: Gerhard Schweizer: Abkehr vom Abendland. Östliche Traditionen gegen westliche Zivilisation. Hamburg 1986; Maxime Rodinson: Die Faszination des Islam. München 21991; Islam und Christentum in Europa. Philosophie und Religion. Bd. 9. (Schriftenreihe des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover.) Hrsg. von Reinhard Löw. Hildesheim 1994; Geschichte der arabischen Welt. Hrsg. von Ulrich Haarmann. München 1994; Tilman Nagel: Geschichte der islamischen Theologie. Von Mohammed bis zur Gegenwart. München 1994.

120 Tibi: Die fundamentalistische Herausforderung, wie Anm. 119, S. 49

121 Ebd., S. 33

122 Ebd.

123 Ebd., S. 43f.

124 Tibi: Im Schatten Allahs, wie Anm. 119, S. 47f.

125 Tibi: Die fundamentalistische Herausforderung, wie Anm. 119, S. 38f.

126 Löw, wie Anm. 119, S. 21


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