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HARRY ZIEGLER


Karl May · Plädoyer für einen kulturwissenschaftlichen Forschungsansatz



Obwohl der sogenannten Postmoderne nachgesagt wird, daß sie die Barrieren zwischen Hoch- und Massenkultur niederreiße, bewegt sich die Diskussion um Karl May scheinbar immer noch in denselben Bahnen, die hauptsächlich von Kategorien der literaturwissenschaftlichen, historischen und literatursoziologischen Disziplinen geprägt sind. Dies mag daran liegen, daß das deutsche Hochschulsystem interdisziplinäre Forschungsansätze nicht besonders begünstigt, aber es ist doch einigermaßen verwunderlich, daß die sogenannten Cultural Studies der anglo-amerikanischen Länder wenig Resonanz in der Bundesrepublik gefunden haben. Vor allem in der Diskussion um Karl May ist dies um so mehr zu bedauern, als die ›Trivialliteratur‹ eines der Forschungsgebiete von Cultural Studies ist, dessen Methoden und theoretische Ansätze zum Verständnis von Mays Werk und Rezeption einiges beitragen könnten. Der vorliegende Artikel versucht, Unzulänglichkeiten in den in Deutschland dominierenden Methoden und begrifflichen Kategorien der Diskussion aufzuzeigen und mögliche Alternativen anzubieten.

  Die ›Trivialliteratur‹ wird im Normalfall von zwei Seiten angegriffen: von den Konservativen, die in ihr eine Ursache des allgemeinen Sitten-, Sprach- und Kulturverfalls sehen, und von den Linken, die in ihr eine ideologische Stütze des herrschenden Status quo sehen. Beide Seiten teilen damit die Auffassung, daß die Literaturproduktion außerhalb der ›Hochkultur‹ schädlich ist, wobei sich die Art des Schadens durch die ideologische Position des Kritikers definiert. Beiden Seiten gemein sind jedoch die Wertmaßstäbe, die eine solche Diskussion erst ermöglichen. Die Kritik an Karl May bildet in diesem Fall keine Ausnahme; sie findet statt in einem ideologischen Verweisungssystem, das zwischen authentischer ›Kunst‹ und ideologischer, formelhafter Massenproduktion unterscheidet, Kategorien, die aus der kapitalistischen Warenproduktion selbst hervorgehen.1 Beide Lager argumentieren im wesentlichen von ihrer Interpretation eines gegebenen Texts her und halten es nicht für nötig, ihre Prämissen einer soziologischen oder psychologischen ›Wirkung‹ entweder auszuweisen oder zu überprüfen.2 In diesen Denkmodellen werden die Leser von Trivialliteratur degradiert zu geistig anspruchslosen Rezipienten, die der Wirkung eines Textes hilflos ausge-


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setzt sind.3 Es scheint daher auch gar nicht erst notwendig, diese Leserkreise, ihre Motivation bei der Textwahl und ihre Interpretationen dieser Texte zu erforschen. Die Verteidiger Mays arbeiten innerhalb desselben Verweisungssystems, so daß zu ihrem Hauptanliegen die persönliche, moralische und textuelle Rehabilitation Mays wird, wenn nicht sogar seine Eingliederung in die ›hohe Literatur‹, was einer endgültigen Kapitulation vor den ahistorisch elitären Kategorien der bürgerlichen Literaturwissenschaft gleichkäme. Damit wird das Terrain der Auseinandersetzung jedoch noch immer von den Kritikern bestimmt, die versuchen, die Diskussion um May vom politischen in den literarisch-ästhetischen oder persönlichen Bereich zu drängen, ganz in der Tradition der Pressekampagnen zu Mays Lebzeiten, anstatt zu fragen, welche Themen May zur Diskussion stellt und warum diese auf Interesse bei den Lesern und auf den Widerstand der Herrschenden stoßen.

  Schmiedt4 hatte bereits argumentiert, daß May im Sinne Walter Benjamins ›verspätet‹ gewesen und es »gewiß auch eine Tat mit avantgardistischen Zügen« gewesen sei, »die humanen Werte der Vergangenheit unter widersprüchlichen Aspekten zur Disposition zu stellen«.5 Obwohl dieser Interpretation zugestimmt werden kann und sie insofern einen wichtigen Kern enthält, als sie Mays Abstammung aus dem proletarisierten Kleinbürgermilieu und deren Einfluß auf sein Werk thematisiert, bleibt sie letztlich doch im literarisch-ästhetischen Bereich stecken. Gramscis Konzept der ›Alltagsphilosophie‹, das ebenfalls auf die Differenz zwischen dem Wissen der Eliten und dem Rest der Bevölkerung eingeht, brächte uns hier weiter; er definiert sie folgendermaßen: »In ihr finden sich Elemente des Höhlenmenschen und Prinzipien der modernsten und fortgeschrittensten Wissenschaft, engstirnige regionale Vorurteile aller vergangenen historischen Phasen und Intuitionen einer zukünftigen Philosophie, die der weltweit vereinten Menschheit eigen sein wird«,6 also als in sich widersprüchlich und inkohärent.

  Diese Alltagsphilosophie derjenigen Klassen, die vom Wissen und von der Diskussion innerhalb der gesellschaftlichen Eliten ausgeschlossen sind, bildet einen Rahmen der Wirklichkeitsinterpretation, der sich von dem der politisch und kulturell Herrschenden partiell absetzt und ihm in Zeiten gesellschaftlichen Konflikts entgegenstehen kann. Weiterhin versucht Gramsci zu erklären, warum die Arbeiterklasse Westeuropas nach 1918 nicht versuchte, ihre Lebensumstände revolutionär zu ändern, bzw. warum dieser Versuch, wo er unternommen wurde, scheiterte oder gar zum Faschismus führte. Zu diesem Zweck führt er den Begriff des ›hegemonialen Konsens‹ ein, d. h. er versucht zu erklären, daß und wie die herrschenden Klassen mit Zustimmung der Beherrschten ihre Macht ausüben, indem sie Forderungen der Beherrschten zu einem gewissen Grade integrieren. Diese Form der Herrschaft ist


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jedoch prekär, nie vollständig gesichert und - vor allem in Zeiten gesellschaftlichen Wandels - inhaltlichen und ideologischen Veränderungen unterworfen. In diesen Zeiten kommt den politischen und kulturellen Eliten die Aufgabe zu, die Zustimmung der Beherrschten zu sichern, die jedoch ihre Vorstellungen ebenfalls geltend machen. In diesem ›Kampf um die Hegemonie‹, der auf allen Ebenen des öffentlichen Lebens geführt wird, kann Alltagsphilosophie subversiv wirken und die dominante Wirklichkeitsinterpretation unterminieren oder doch zumindest in Frage stellen, ohne jedoch, ihrer eigenen Widersprüchlichkeit wegen, je systemtranszendent zu werden.

  Plaul7 analysierte die Kritik an May in der Tagespresse seiner Zeit, versäumte aber, diese in die politischen Auseinandersetzungen des Kaiserreichs einzuordnen. Wie Graf8 und Hoffmann9 sieht er May als das Opfer seiner Verbindung mit dem politischen Katholizismus in einer Zeit, als Teile des Zentrums versuchten, sich in den herrschenden Block zu integrieren,10 ohne daß dieser Versuch in einen größeren sozio-ökonomischen Zusammenhang eingeordnet wird. May wird dann nur zum Sack für die antikatholischen Kräfte, den man schlägt, wo man den (katholischen) Esel meint. So schreibt beispielsweise die Frankfurter Zeitung vom 27. April 1902: »Ueber den Tiefstand der katholischen Literatur braucht man sich nicht zu wundern, wenn von geistlicher maßgebender Seite Bücher und Autoren, deren literarische Qualitäten unter aller Kritik sind, dringend empfohlen werden, blos deshalb, weil sie ›sittenstreng‹ und ›fromm‹ sind!«11

  Dieses Zitat stützt Plauls Interpretation, muß jedoch stärker in die ideologisch-politischen Auseinandersetzungen der Zeit eingebunden werden. Hughes12 beschreibt das Zentrum als »affected by völkisch attitudes‹*,13 und Eley14 argumentiert, daß eine neue Generation bürgerlicher Katholiken in den 1890er Jahren versuchte, sich mittels nationalistischer Töne zu integrieren, um dadurch ihre bürgerliche Gleichstellung zu erreichen.15 Nach der ›Großen Depression‹ kam es dann zu einer erneuten Auseinandersetzung um politischen Einfluß zwischen den verschiedenen, sich teilweise neu konstituierenden Klassen des wilhelminischen Reichs, also zu einem Kampf um politische und kulturelle Hegemonie, in die Teile des politischen Katholizismus einzugreifen versuchten und in der die Verbindung mit May für den politischen Katholizismus dysfunktional wurde, weil er dessen Glaubwürdigkeit innerhalb der kulturellen Eliten unterminierte.16 Gleichzeitig formiert sich aber auch eine Opposition ›von unten‹: zum Beispiel die völkischen Verbände17 und vor allem auch die Sozialdemokratie. Nur in einem Klima, in dem die Macht der politisch Herrschenden von unten (und dazu zählten in diesem Fall wohl auch in gewissem Sinne die politisch ausgegrenzten





*Anm. der Redaktion: Die englischen Zitate werden vom Autor im Anmerkungsapparat übersetzt.


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Katholiken) angegriffen zu sein scheint, der hegemonische Konsens also neu verhandelt werden muß, werden die Schärfe und der Zeitpunkt der Auseinandersetzung um May verständlich. May wurde zu dem, was Cohen einen »folk devil«18 nennt, die Zielscheibe einer »moral panic«.19 Gegen den ›geborenen Verbrecher‹ und Verfasser von ›Pornographie‹, der, obwohl Protestant, sich als Katholik ausgab und der die Jugend verdarb, konnten die moralischen Barrikaden bemannt werden. Der Angriff auf May war deshalb für alle politischen Kräfte von Interesse: Wer ihn attackierte, konnte sich als Verteidiger eines nationalen Interesses gebärden, konnte seine Integrität zur Schau stellen und auf diese Art um Legitimität werben und Ursachen für die allgemeine Malaise namhaft machen. Weiterhin konnten auf diese Art und Weise Interessenkonflikte verdrängt und ein möglichst klassenübergreifender hegemonischer Konsens auf moralischer Basis errichtet werden. Dies schlägt sich deutlich in dem folgenden Auszug aus dem Dresdner Anzeiger vom 27. Nov. 1904 nieder: »In dieser Verwerfung der Mayschen Schriften wissen wir uns eins mit den ernst denkenden Männern aller Richtungen (...) mit den Demokraten der Frankfurter Zeitung, mit den Ultramontanen der katholischen Kölnischen Volkszeitung, mit den Männern des evangelischen Landesvereins für innere Mission, mit dem Kunstwart und allen Pädagogen Deutschlands (...), so gibt es doch Gott sei Dank auch noch Gebiete, wo das Deutschtum (...) sie zu gemeinsamem Vorgehen gegen einen gemeinsamen Gegner zusammenführt. (...) Die Schriften Karl Mays sind Gift für die Jugend, Gift für das Volk. Wer seine Schriften ohne Kritik empfiehlt, der begeht Verrat an der Gesundheit unseres Volkes (...) Darum fort mit ihnen aus jedem deutschen Hause!«20

  Mays Kritiker hängen (damals wie heute) zumeist einem Denkmodell an, in dem Ideologie sozusagen ›subkutan injiziert‹ wird, weil sich die unbedarften Leser mit dem Text oder seinen Protagonisten identifizieren, also Ideologie unkritisch übernehmen; nur in diesem Zusammenhang wird Avenarius' dictum der ›Gehirnerweichung‹ und die Angst der Apologeten des Status quo vor Mays angeblich schädlichem Einfluß auf die Jugend verständlich. Barker schreibt dazu: »The concept of ›identification‹ emerged to give weight to a social and political panic with a century of emotion behind it. Indeed ›identification‹ is less a concept, more a focal point for a series of worries. They are worries about the behaviour of the ›masses‹, and their inexplicable volatility. (...) Identification claimed that a loss of self and/or rationality made us vulnerable. That claim only makes sense within a larger model: a model in which rational judgement, self-awareness and critical thinking are seen as a ›veneer‹ over bubbling primal instincts, pre-rational elements held weakly in check by civilising influences.«21

  Wenn man das wilhelminische Reich zu Beginn unseres Jahrhunderts


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als Schauplatz eines Kampfes um die politische Hegemonie sieht, in dem sich die Herrschenden ›von unten‹ herausgefordert, also unter Legitimationsdruck, sahen, in dem die Bedeutung des Begriffs ›deutsch‹ umstritten war und damit unterschiedlichen Interpretationen offenstand,22 dann mußte auch und vor allem die Jugend Deutschlands zum Ziel konkurrierender Nationalismusdefinitionen werden,23 was sich u. a. darin niederschlug, daß sich die Produktion sogenannter Kinder- und Jugendliteratur vervielfachte.24 So schreibt Coetzee über den völkischen Dürerbündler Richard Nordhausen: »Nordhausen portrayed Germany as a decaying nation and its youth, upon which its future rested, as having strayed from the path of righteousness. The adolescent years were characterised by youthful insubordination, wilfulness, and lust, which triumphed over order and reason. Young men's fancies (...) turned to wine, women and song and to reading deplorable literature (Schundliteratur).«25

  Dies spiegelt wohl auch Barkers Sichtweise wider, daß nach Ansicht bügerlicher Kreise ›Zivilisation‹ nur eine Art von Putz darstellt, unter dem gefährliche Instinkte lauern, die durch das Lesen von ›Schundliteratur‹ zum Ausbruch ermutigt werden. In diesem Zusammenhang gewinnen die Angriffe gegen May ein anderes Gewicht, da May dann Teil nicht nur einer literarisch-kulturellen, sondern vielmehr politischen Auseinandersetzung wird, und Mamroths Kommentar, daß dieser »Schriftsteller (...) auf Wegen, die abseits von der politischen Tagespresse liegen, ein Faktor geworden (ist), mit dem man zu rechnen hat«,26 kann dann als Stütze für eine solche Interpretation herangezogen werden.27 May als ›kleinbürgerlich‹ zu apostrophieren, wie es Altner,28 Mojem29 oder Schulte-Sasse tun,30 mag zwar zutreffend sein, bringt uns aber in diesem Falle weder dem Verständnis Mays noch der Auseinandersetzung um ihn in irgendeiner Weise näher, da damit bereits eine (zu einfache) Antwort auf die Frage seiner Position in der ideologisch-politischen Diskussion seiner Zeit gegeben zu sein scheint, die eine genauere Untersuchung überflüssig erscheinen läßt. Außerdem können die Kampagnen gegen May nicht mehr politisch erklärt werden, da ›kleinbürgerlich‹ im allgemeinen als politisch ungefährlich, wenn nicht gar apologetisch verstanden wird.31

  Albrecht hatte schon 1956 darauf hingewiesen, daß die ›Trivialliteratur‹ sich mit solchen gesellschaftlichen Werten auseinandersetzt, die aufgrund sozialen Wandels unter Druck geraten sind;32 mit dem begrifflichen und theoretischen Instrumentarium, das so weit entwickelt wurde, kann dies auch als Ausdruck einer hegemonischen Auseinandersetzung begriffen werden, wie dies oben kurz am Beispiel des deutschen Nationalismus ausgeführt wurde, obwohl weitere mögliche Themenkreise umrissen werden müssen. Vorher soll jedoch mittels dieses Beispiels ein weiterer Aspekt aufgedeckt werden, der für einen kulturwis-


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senschaftlichen Ansatz von Bedeutung ist. Falls es also den herrschenden Klassen darum ging, alternative Wirklichkeitsentwürfe zu delegitimieren, so konnte dies nicht unbedingt offen politisch verhandelt werden, vielmehr mußte gegen eine moralische Instanz wie May moralisch und ad hominem vorgegangen werden, und, da sein vermeintlicher Einfluß öffentlich war, mußte er auch öffentlich, d. h. in der Presse und durch die Presse vernichtet werden. Es handelte sich also bei den Pressekampagnen gegen May nicht in erster Linie um »Sensationsjournalismus« oder »Versagen der Presse« wie Roxin gern die Kampagne entpolitisieren möchte,33 sondern um eine Strategie in einer politisch-ideologischen Auseinandersetzung, wie auch Heermann durchblicken läßt, der vor allem auf die persönlichen Verbindungen in der antimayschen Fronde hinweist,34 damit aber u. U. einer Verschwörungstheorie Vorschub leistet, wo politische Analyse gefordert wäre.

  Die Angriffe auf Mays ›Phantasie‹35 müssen ebenfalls in diesem Zusammenhang ideologischer Konfrontation gesehen werden, da Phantasie eben auch immer die Möglichkeit alternativer Sinnentwürfe einschließt. Mays Rezeption im wilhelminischen Kaiserreich, im Dritten Reich36 und in der DDR,37 d. h. seine Popularität bei den Lesern und die Angriffe auf ihn durch die jeweiligen politischen und kulturellen Eliten, läßt sich dann in einen Kontext einordnen, der mit dem Begriff eines verschärften hegemonischen Kampfes um Legitimität zu umreißen wäre, in dem auch utopische Alternativen unterdrückt werden müssen, weil sie der Realitätsdefinition der Herrschenden und damit deren Interessen entgegenstehen. Anstatt einer Analyse, die das Lesen von Abenteuerromanen zum Eskapismus stempeln will, könnte die Lektüre der Mayschen Werke dann als Akt des Widerstandes gegen eine durch Eltern und/oder Staat aufoktroyierte Wirklichkeitsinterpretation verstanden werden.38 Der Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Wertvorstellungen unter Druck, Abenteuerroman und Phantasie ließe sich dann für unseren Zweck in einer Weise konstruieren, die der Vorstellung passiven Ideologiekonsums entgegensteht. Die Verlagerung des fiktiven Geschehens in eine andere Zeit und/oder einen anderen geographischen Raums wird dann zu »›distancing devices‹, which ›are used so these stories can be held at a distance, as fantasy, and thus work out displaced emotions and desires‹«,39 und nicht notwendigerweise, wie Altner meint, zu einer »Erziehungsstrategie der herrschenden Klasse«, die »mit dem ursprünglichen Schreibmotiv Mays« übereinstimme, nämlich »der Verdrängung des rebellischen Strebens vom Realen ins Phantastische.«40 Ich habe bereits an anderer Stelle darauf hingewiesen, daß die personae in Mays Werk eher als Charaktermasken im Lukácsschen Sinne gelesen werden sollten,41 eine Lesart, die auch von Ueding42 gestützt wird. Mays Attraktivität und Erfolg könnten dann in dem begründet liegen, was Schmiedt als »das Nebeneinander


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gegensätzlicher Tendenzen« sieht, »das entsprechend konträre Analysen und Bewertungen nicht nur zuläßt, sondern geradezu provoziert«;43 mit anderen Worten, Leser setzten sich mit dem Text in einem sozio-historischen Zusammenhang auseinander, der a) eine verbindliche Interpretation des Textes ausschließt und b) dem Leser nicht eine Ideologie aufdrängt, sondern ihm die Erarbeitung seiner eigenen (innerhalb des gegebenen gesellschaftlichen Rahmens) ermöglicht.44 Was dann zum Forschungsgegenstand gemacht werden muß, sind die Themenfelder, mit denen sich May auseinandersetzt, ihre Relevanz in spezifischen sozio-historischen Situationen, ihre Position innerhalb des gesellschaftlichen Diskurses und damit die verschiedenen Möglichkeiten der Textinterpretation. Dabei liegt diesem Ansatz die Annahme zugrunde, daß Mays Texte ›offen‹ sind und zwei Elemente enthalten:

  1. Themenfelder, die seit seiner Zeit für seine Leser relevant geblieben sind, und hier ist bereits einige Vorarbeit geleistet worden;

  2. Themenfelder, deren Relevanz stärker zeitgebunden ist, die jedoch nur durch empirische Forschung aufgedeckt werden könnten, die bis jetzt jedoch noch zu leisten wäre.

  Andererseits müßte jedoch vor allem Punkt 2 auch hinsichtlich der Veränderung der Texte durch den Karl-May-Verlag (KMV) in Betracht gezogen werden, da dessen Überarbeitungen sich an Marktbedürfnissen orientieren. Wehnerts45 und Wollschlägers46 Kritik an den Überarbeitungskriterien des KMV mag deswegen zwar von einem literaturwissenschaftlichen Standpunkt aus durchaus zutreffend sein, geht aber von einem kulturwissenschaftlichen Ansatz aus am Problem vorbei. Die Position des KMV, daß er durch die Überarbeitung die Verkäuflichkeit, und das heißt zu einem gewissen Grad auch das Interesse an Karl May, erhalten habe,47 ist nicht so einfach von der Hand zu weisen. Auch Heermanns Kritik, daß der KMV Mays Erzählungen ideologisch geklittert habe,48 ist zwar insofern berechtigt, als der Interpretation Mays als simplem und ideologisch unverdächtigem Volksschriftsteller damit Vorschub geleistet wurde, aber dies sind Argumente, die sich letztlich um die Rehabilitation Mays bemühen. Vom kulturwissenschaftlichen Standpunkt aus können die Änderungen des Texts zwar als ideologische Klitterung gesehen werden, Wehnerts Position einer damit verbundenen »trivialisierenden Senkung des Textes«49 bleibt jedoch wiederum im Ästhetischen stecken. Vielmehr können uns Heermanns eigene Beispiele helfen, über diese Änderungen zumindest teilweise Aufschluß zu gewinnen. Er bezieht sich auf rassistische Einschübe während des Dritten Reichs50 und die Verwandlung von negativ dargestellten Jesuiten in ominöse ›Verwandte‹.51 Dies kann nun auf zweierlei Art gesehen werden: erstens, und das ist Wehnerts und Heermanns Argument, als eine ideologische Veränderung von May, um sich den jeweiligen Machthabern anzubiedern, und dem ist sicher auch nichts entge-


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genzustellen; zweitens kann man dies aber auch so interpretieren, daß der KMV den Text durchaus Zeitbezügen angepaßt und damit eine Auseinandersetzung mit ihm ermöglicht hat. Soweit es die Jesuiten betrifft, war eine solche Auseinandersetzung nach dem Ende des Kulturkampfes nicht mehr besonders ideologisch produktiv, und die Einfügung rassistischer Passagen in das Werk Mays konnten ihn letztendlich den neuen Herrn auch nicht näher bringen.52 Geyer-Ryan schreibt, daß »ihn [May] schützt, was ihn aktuell-politisch neutralisiert und dadurch auch diskriminiert hat (...): daß er nämlich ein Schriftsteller des 19. Jahrhunderts sei«.53

  Dem wäre hinzuzufügen, daß Mays Text sich zu einem großen Teil dadurch selbst schützt, daß er eben ideologisch so heterogen ist, daß er letztlich nicht klar politisch eingeordnet und damit ›befriedet‹ werden kann, weil die ideologischen Strukturen eben nicht aufgesetzt sind oder, wie Feilitzsch unterstellt, mit Hilfe einer »pseudo-realistischen«54 Darstellungsweise transportiert werden, sondern der Handlung inhärent und untrennbar mit ihr verbunden sind. Pawling schreibt dazu, daß »the narrative ›constructs‹, rather than reflects, an ideological position, in seeking to give perceptions of historical reality ideological consistency and coherence.«55

  Wenn also rassistische Passagen in Mays Erzählungen hineingeschrieben wurden, so wäre es auch möglich, daß dadurch die humanistisch-pazifistische Grundtendenz des Werks nur noch betont wurde, weil die Erzählstrukturen und Handlungsführung in Widerspruch zu solch expliziten Textpassagen gerieten. An die Stelle der ursprünglichen Widersprüche würden dann neue, vom Bearbeiter geschaffene, treten. In diesem Zusammenhang mag es von Wert sein, darauf hinzuweisen, daß es vor allem die ›Kolportageromane‹ Mays sind, die bis zur Unkenntlichkeit vom KMV entstellt wurden, so daß für die kulturwissenschaftliche Betrachtung deren Veränderung im Vordergrund stehen müßte.56 Wiederum ist die Bezeichnung ›Kolportageromane‹ zu ungenau, und während Klotz vor allem den Roman ›Der verlorne Sohn‹ als Abenteuerroman einordnen will, weil der Schauplatz des Romans »die exotische Kehrseite der bürgerlichen Sekurität« darstellt, »das kriminalisierte Souterrain der Gegenwartsgesellschaft«,57 wäre vielleicht Caweltis Definition des sozialen Melodramas vorzuziehen, von dem er schreibt: »the social melodrama (...) synthesizes the archetype of melodrama with a carefully and elaborately developed social setting in such a way as to combine the emotional satisfactions of melodrama with the interest inherent in a detailed, intimate, and realistic analysis of major social (...) phenomena. (...) the social setting is often treated rather critically with a good deal of anatomizing of the hidden motives, secret corruption, and human folly (...); yet the main plot works out in proper melodramatic fashion to affirm (...) that God is in Heaven and all's right


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with the world.«58 »Because of this [benevolent moral order], melodramas are usually rather complicated in plot and character; (...) the melodrama makes us intersect imaginatively with many lives. Subplots multiply, and the point of view continually shifts in order to involve us in a complex of destinies.«59

  Nicht nur erlaubt Caweltis Definition, das Schreiben von Fortsetzungen und damit die aus der Produktionsweise entstehende Komplexität der Kolportageromane mit aufzunehmen, sondern er weist auch ganz explizit auf die moralische Ordnung hin, die ja Mays meisten Werken unterliegt. Klotz argumentiert wie Cawelti, daß May die kapitalistische Gesellschaftsform entlastet,60 also letztendlich affirmativ wirkt, weil Mays Verfahren eben erlaube, »Kritik zu üben, ohne weh zu tun.«61 Dabei wird leicht übersehen, daß der Schriftsteller Karl May es sich nicht unbedingt leisten konnte, zumindest nicht in den 80er Jahren, offene Kritik zu üben, ohne seinen Lebensunterhalt aufs Spiel zu setzen. Es wäre überhaupt zu fragen, ob offene Gesellschaftskritik, im Gewande der hohen Literatur, politisch wirksamer ist, solange sie sich an Eliten wendet, bzw. ob der Literatur überhaupt eine verändernde oder bewahrende Wirkung zugeschrieben werden kann. May argumentiert zudem von einem christlich-humanistischen Ansatz, von dem jedoch Ueding schreibt: »(...) gewiß haben diejenigen seiner religiösen Kritiker recht, die in Mays Werk ein geheimes Ketzertum witterten und seiner christlichen Botschaft nie recht trauen wollten. Die gereinigte, befreite und befriedete Welt soll das empirische Ergebnis, nicht die metaphysische Hoffnung der Geschichte sein.«62

  Mojem schreibt in seiner Analyse der Trilogie ›Satan und Ischariot‹, daß »(...) niemand May einen Sozialrevolutionär nennen wollen« werde, weil es ihm »nämlich nicht um die Änderung von Gesellschafts- oder Wirtschaftsordnungen geht, sondern um gerechtere und menschlichere Lebensformen«.63 Falls diese und Uedings Interpretationsmöglichkeit zugegeben wird, dann reicht die Palette der möglichen Lesarten Mays vom nationalistischen Apologeten des Bismarckschen Reichs bis zum (zu spät gekommenen) utopischen Frühsozialisten. Welche Lesart dann jedoch gewählt wird, hängt wahrscheinlich mehr von der sozio-historischen Situation ab, in der Leser und Text plaziert sind, als von der Textinterpretation derjenigen, die sich durch ihre Position berufen fühlen, ihre Auslegung, und sei sie noch so intellektuell, als die verbindliche zu präsentieren. Barkers eigene empirische Forschung läßt weiterhin den Schluß zu, daß die Interpretation eines Textes u. a. auch davon abhängt, ob es sich bei den Lesern um ständige oder gelegentliche handelt.64

  Welche Themenbereiche sind nun für wen und wann von Interesse? Zuerst einmal muß davon ausgegangen werden, daß Mays Leserschaft nach Alters- und Klassengesichtspunkten heterogen war und daß er in eine mittelständische Leserschaft einbrechen konnte. So fand es schon


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Avenarius verblüffend, daß unter Mays Lesern »viele kleine Leute« seien, »bei denen der Hereinfall auf May (...) nicht überraschen kann. Aber es sind auch studierte Leute (...)«.65 Wichtiger mag allerdings sein, daß Mays Erzählungen sich »von Beginn an an ›Alte und Junge‹« wandten, was Altner zum Merkmal der sozialistischen Kinder- und Jugendliteratur hochzustilisieren versucht,66 zu der er May sicher nicht gezählt wissen möchte. Heutzutage wird May jedoch in den Buchhandlungen als Jugendschriftsteller geführt, unbeachtet der vom KMV herausgegebenen Sammlerausgaben und der historisch-kritischen Ausgabe von Wiedenroth und Wollschläger: eine Bezeichnung, gegen die sich May bekanntlich immer gewehrt hat. Schulte-Sasse weist schon darauf hin, daß der Anteil der Erwachsenen an der Mayschen Lesergemeinde zwischen 1918 und 1940 von über der Hälfte auf unter ein Fünftel gefallen ist,67 der Verkauf an Büchern nach 1945 jedoch 80% der Gesamtauflage ausmache.68 May, Jugendschriftsteller wider Willen, muß dann seinem Publikum über spannende Unterhaltung hinaus etwas bieten, was seine Leser bei der Stange hält, und es ist einigermaßen zweifelhaft, ob dies nur darin begründet liegt, daß durch die Bearbeitung des KMV »ein in sich geschlossenes, harmonisches Gesamtwerk« entstand, »welcher Umstand nicht zuletzt die Lektüre - wie den Erwerb - sämtlicher 73 Teile begehrenswert erscheinen läßt.«69

  Klotz schreibt in seiner Analyse des Romans ›Der verlorne Sohn‹, daß der Held des Romans beides überwinde, »das  s o z i a l e  Chaos der Unterdrückung und das  e l e m e n t a r e  Chaos einer trügerisch entstellten Wahrnehmungswelt«,70 wobei er soziales Chaos dort sieht, »wo wenige Gewinn erzielen, indem sie viele auspressen«, und als elementares Chaos definiert er eine Situation, »wo keiner mehr so recht auf seine Sinne sich verlassen kann, weil das arbeitsteilige, marktgeregelte Zusammenleben so undurchsichtig wie unanschaulich geworden ist«.71 Dies mag für erwachsene Leser heutzutage in dieser Form nicht mehr von großem Interesse sein, weil die Einbeziehung weiter Bevölkerungskreise in den Industriekapitalismus und die damit verbundenen sozialen Veränderungen beendet sind, aber es wäre möglich, daß jugendliche Leser sich davon angesprochen fühlen, in einer Transitionsphase in die Erwachsenenwelt, wenn sie sich mit dem Spannungsverhältnis zwischen Sein und Schein auseinandersetzen müssen, auf der Suche nach einer eigenen Identität.72 Wenn wir also Walkerdines Analyse eines ›Distanzierungsmechanismus‹ ernst nehmen und den Rückzug in die Phantasie nicht ausschließlich als Flucht vor der Wirklichkeit beurteilen, so könnten Mays Geschichten als Raum gesehen werden, in dem eine solche Auseinandersetzung stattfinden kann und in dem also möglicherweise Strategien entwickelt werden, um entsprechende Spannungen bewältigen zu können. Diese Möglichkeit wird von Barkers Forschung, Comics betreffend, untermauert, wenn er schreibt:


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»[Jack Adrian's comic] stories were essentially moral stories. They are, in the sense that the characters' lives are devoted to maintaining their sense of identity.«73 These characters »have no easy heroism; they have struggled up from under, and must go on struggling. (...) They are driven to prove themselves against an uncaring, unpitying and hostile world (...) their dilemmas perhaps magnifications of the readers' feelings about their own lives.«74

  Die Parallele zu Mays Phantasiewelt (und den Figuren seiner Romane) ist offensichtlich. Themen, die sich aus diesem Spannungsfeld ergeben, sind ferner der ›Wert‹ eines Menschen und das Problem der Heteronomie, Problemfelder also, die gesamtgesellschaftlich wirksam sind, m. E. besonders aber in einer Übergangsperiode, wenn sich Heranwachsende mit ihnen verstärkt auseinandersetzen müssen. In der kapitalistischen Gesellschaft wird der ›Wert‹ eines Menschen hauptsächlich an seiner Stellung im Produktionsprozeß gemessen und in Kaufkraft ausgedrückt. Dagegen stellt May die humanistische Position eines inhärenten Wertes bzw. eines Wertes, der an anderen, vor- oder frühkapitalistischen Wertvorstellungen gemessen wird, wie das folgende Zitat aus ›Winnetou II‹ interpretiert werden kann: »Ich meine sogar, daß die Prairie eine sehr scharfe Distinktion ausgebildet hat, deren Maßstab allerdings nicht der Geldbeutel, sondern das Gewicht des Mannes ist. Gebt einem Eurer arroganten Oelprinzen die Pistole, mit welcher Ihr so vortrefflich umzugehen versteht, in die Hand und schickt ihn nach dem Westen, er wird trotz seiner Millionen untergehen. Und fragt im Gegenfalle einen unserer berühmten Westmänner, die wie unbeschränkte Fürsten mit ihren Büchsen die weite Ebene beherrschen, nach dem Monney, welches er besitzt; er wird Euch in das Angesicht lachen. Da, wo der Mensch grad soviel wiegt wie die Gefahr, welche er zu überwinden vermag, leistet zum Beispiel meine ›Patentmütze‹ bessere Dienste, als der Besitz von einem Viertel- oder halben Dutzend von Oelquellen.«75

  Altner würde dies wohl als trivial bezeichnen, getreu seiner Definition, daß Trivialität »ein sehr praktisches, vordergründiges, betriebsames Verhältnis zur Alltäglichkeit« bezeichne, »das auf tiefgründige philosophische Erörterungen und Entdeckungen verzichtet und daher keine großen Ansprüche erhebt.«76 Auf der anderen Seite gibt diese Passage dem Leser, der sich mit der Definition menschlichen Wertes auseinandersetzen möchte, die Gelegenheit, dies zu tun; da es jedoch andererseits für kaum einen der Leser möglich sein wird, in den Wilden Westen zu gehen, um dort seine Überlebensfähigkeit unter Beweis zu stellen, muß der Leser diese Passage auf seinen eigenen Lebensbereich übertragen - wenn er dies will. Die philosophische Erörterung findet dann nicht im Text statt, sondern zwischen Leser und Text. Dort, wo dem Leser eine bestimmte Lesart aufgedrängt wird, scheint das Lesevergnügen doch etwas geschmälert. So moniert Fritz Helke im Dritten Reich:


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»Nach Mays Tode (1912) wurde es einstweilen wieder still im Bereich des Abenteuerbuches (...) In allerjüngster Zeit hat nun ein junger Schriftsteller die Aufgabe wieder aufgegriffen: Erhard Wittek, der unter dem Pseudonym Fritz Steuben seine Indianer- und Soldatengeschichten erscheinen ließ (...) Wittek ist Frontkämpfer (...) Er weiß, worauf es ankommt. Seine Bücher atmen den Geist unserer Zeit (...) Proben ergaben, daß Jungen, die zwischen Steuben und May wählen sollen, wieder zu May greifen. Fritz Steuben neigt dazu, zu theoretisieren.«77

  Dies heißt doch wohl nichts anderes, als daß zumindest manche Heranwachsenden im Dritten Reich (und wahrscheinlich auch in anderen politischen Systemen) versuchten, der direkten Indoktrination oder geistigen Gängelung auszuweichen, und es vorzogen, sich ihre Alltagsphilosophie aus denjenigen Versatzstücken zusammenzubauen, die für sie selbst, vor ihrem eigenen Erfahrungshorizont, relevant erschienen. Diese Interpretation setzt jedoch ein gewisses Maß an Autonomiestreben bei Heranwachsenden voraus, ein Thema, das ebenfalls im obigen Zitat aus ›Winnetou II‹ zur Sprache kommt und das ein weiteres Feld der Auseinandersetzung sein könnte. Klotz weist auf die »Schrecken der Fremdbestimmung« hin78 und Mojem auf die »Kritik an der als unbewältigbar empfundenen, modernen Welt«,79 emotionalen (und sozialen) Spannungen also, die Barkers Analyse stützen könnten, wonach die jugendlichen Leser Mays in seinen Werken solche Problemstellungen finden, die sie als Vergrößerung ihrer eigenen erkennen. Was dann für erwachsene Leser Nostalgie für eine verlorene, vermeintlich bessere Zeit sein mag (und das ist, was Mojem und Schulte-Sasse unterstellen und was von Gunter G. Sehm in seiner Analyse von ›Winnetou I‹ betont wird80), könnte für jugendliche Leser dann von aktuellem Interesse sein und erklären helfen, warum Mays Geschichten gerade bei diesem Leserkreis auf bleibendes Interesse stoßen.81

  Bis empirische Forschung es erlaubt, diese mögliche Interpretation zu stützen (oder zu entkräften), bleibt das oben Gesagte spekulativ. Es sollte jedoch auch nur dazu dienen, andere Forschungsansätze am Beispiel deutlich und nicht etwa überflüssig zu machen. Die Betonung lag dabei auf der Unmöglichkeit,


-eine allgemeingültige Interpretation des Textes ex cathedra postulieren zu können,
-eine wie auch immer geartete, eindeutige ideologische Wirkung des Textes auf seine Leser durch diese Interpretation zu beweisen,
-die Produktion eines Textes unabhängig vom Kampf um politische und kulturelle Hegemonie in derjenigen Gesellschaft zu sehen, der er sein Entstehen verdankt, und
-die Beziehung zwischen Text und Leser aus ihrem sozio-historischen Kontext mit seinen spezifischen Konflikten herauszulösen.


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Die diesen Ansätzen inhärente Annahme eines passiven, geistig anspruchslosen Lesers, der seinem Alltag nur entfliehe wolle, wurde als elitär und unbegründet zurückgewiesen; statt dessen wurde ein Ansatz formuliert, der den Leser als aktiven (Ko-)Produzenten seines Weltbildes sieht, der sich einer wie auch immer gearteten offiziellen Wirklichkeitsinterpretation zu entziehen versucht, vor allem, wenn sie ihm aufgezwungen werden soll. Ideologisch in sich widersprüchliche Texte, so wurde postuliert, sind dann produktiver, weil sie dem Leser die Möglichkeit eröffnen, sie vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen und des eigenen Weltbildes ›auszuwerten‹ und zu interpretieren. Folglich müssen die vom Autor behandelten Problemstellungen gesellschaftlich, d. h. ideologisch-politisch auf Resonanz stoßen, wobei May zu den Autoren zu gehören scheint, von denen Goethe sagt: »Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen«,82 oder aber zu denen, die Themen behandeln, die im Zuge der Industrialisierung Deutschlands akut wurden und blieben, wenn vielleicht auch für sich wandelnde Leserkreise. Weder die bleibende Attraktivität Mays noch seine postulierte Wirkung können dann mit scheinbar allgemeingültigen, tatsächlich aber ahistorischen Kategorien erklärt werden; statt dessen müßte sich die Diskussion auf ein theoretisches und methodologisches Modell gründen, mit dem empirische Daten über die Leser Mays und ihr Verhältnis zum Text gewonnen und ausgewertet werden können.



1 Christopher Pawling: Popular Fiction: Ideology or Utopia? In: Popular Fiction and Social Change. Hrsg. von Christopher Pawling. London 1984, S. 9

2 Wie fragwürdig beispielsweise viele Forschungsergebnisse sind, die eine Wirkung von ›Gewalt auf dem Bildschirm‹ auf hauptsächlich Heranwachsende und Kinder nachweisen, zeigt David Gauntlett, der in seiner Studie: Moving Experiences: understanding television's influences and effects (London 1995) die Schwächen in den Methoden und Schlußfolgerungen der entsprechenden Untersuchungen und Experimente vorführt.

3 Als Beispiele dazu mögen Heribert Freiherr von Feilitzsch: Karl May. The ›Wild West‹ as seen in Germany. In: Journal of Popular Culture. Vol. 27,3 (1993), S. 173-85, und Manfred Altner: Die deutsche Kinder- und Jugendliteratur zwischen Gründerzeit und Novemberrevolution. Berlin (Ost) 1981, dienen; im letzteren heißt es dazu: »Setzt man aber diese [Kinder- und Jugendliteratur] zum historischen Zeitgeschehen vom deutsch-französischen Krieg über den ersten Weltkrieg bis zum Faschismus in Beziehung, so wird deutlich, welche Macht hier Generationen von Jugendlichen ihren geistigen Stempel aufgeprägt hat, welche Funktion und welche Wirkung diese Literatur in der Realität gehabt hat« (S. 9) - was für einen Marxisten-Leninisten doch wohl eine sehr idealistische Interpretation ist.

4 Helmut Schmiedt: Einleitung. In: Karl May. Hrsg. von Helmut Schmiedt. Frankfurt a. M. 1983, S. 9f.

5 Ebd., S. 11

6 Antonio Gramsci. Marxismus und Kultur. Hrsg. von Sabine Kebir. Hamburg 1991, S. 73

7 Hainer Plaul: Literatur und Politik. Karl May im Urteil der zeitgenössischen Publizistik. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 1978. Hamburg 1978, S. 174-255


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8 Andreas Graf: Der Verlag von Heinrich Theissing. Karl May und die katholische Publizistik. In: Jb-KMG 1995. Husum 1995, S. 93-118

9 Klaus Hoffmann: »Wir empfehlen die Lectüre dieser in der deutschen Literatur einzig dastehenden Reisebeschreibungen wiederholt auf's Beste.« Karl Mays Beziehungen zur zeitgenössischen katholischen Presse Sachsens II. In: Jb-KMG 1995. Husum 1995, S. 119-40

10 Plaul, wie Anm. 7, S. 203

11 Zitiert nach: Bernhard Kosciuszko: Im Zentrum der May-Hetze. Die Kölnische Volkszeitung. Materialien zur Karl-May-Forschung Bd. 10. Ubstadt 1985, S. 116

12 Michael Hughes: Nationalism and Society. Germany 1800-1945. London 1988

13 Ebd., S. 148 (Übersetzung: ›von einer völkischen Haltung beeinflußt‹)

14 Geoff Eley: From Unification to Nazism. Reinterpreting the German Past. London 1986

15 Vgl. ebd., S. 74; Plaul (wie Anm. 7) konzentriert sich zu stark auf den sogenannten Zentrumsstreit zwischen dem pro-kapitalistischen Großbürgertum und der ›kleinbürgerlichen‹ Berliner Richtung (S. 203), die jedoch eine allgemeine Spaltung ideologischer und politischer Positionen innerhalb des Reiches widerzuspiegeln scheint. Christian Heermann (Der Mann, der Old Shatterhand war. Eine Karl May Biographie, Berlin 21990) läßt auf der anderen Seite durchblicken, daß May hauptsächlich von anti-sozialdemokratischen Kräften angegriffen wurde (S. 318).

16 Vgl. Graf, wie Anm. 8, S. 96.

17 Siehe dazu Marylin Sherin Coetzee: The German Army League. Popular Nationalism in Wilhelmine Germany. Oxford 1990, S. 7f., und David Blackbourn: The Politics of Demagogy in Imperial Germany. In: Past & Present. No. 113 (Nov. 1986), S. 152-84 (162f.).

18 Stanley Cohen: Folk devils & moral panics: the creation of the mods and rockers. Oxford 21980, S. 9 (»folk devil« wird wohl am besten mit ›Schreckgespenst‹ übersetzt).

19 Cohen (ebd., S. 9) definiert den Begriff der ›moral panic‹ folgendermaßen: »Societies appear to be subject, every now and then, to periods of moral panic. A condition, episode, person or group of persons emerges to become defined as a threat to societal values and interests; its nature is presented in a stylized and stereo-typical fashion by the mass media; the moral barricades are manned by editors, bishops, politicians and other right-thinking people (...) One of the most recurrent types of moral panic (...) has been associated with the emergence of various forms of youth culture (...)« (Im Deutschen läse sich das ungefähr folgendermaßen: ›Gesellschaften scheinen immer mal wieder moralische Massenhysterien hervorzubringen. Ein Zustand, ein Zwischenfall, eine Person oder Gruppe von Personen tritt hervor, die als Bedrohung der gesellschaftlichen Werte und Interessen definiert wird; ihr Charakter wird von den Massenmedien in stilisierter und stereotypisierter Form dargestellt; Redakteure, Bischöfe, Politiker und andere ›richtigdenkenden‹ Leute bemannen die moralischen Barrikaden (...) Eine ständig wiederkehrende Form der moralischen Massenhysterie (...) ist mit dem Auftreten verschiedener Formen jugendlicher Subkultur verbunden (...)‹) Im Zusammenhang mit Karl May ließe sich dann argumentieren, daß er zum ›Schreckgespenst‹ gestempelt wurde, mitverantwortlich für den (vermeintlichen) Sittenverfall, ein Symptom für den Zustand Deutschlands im allgemeinen und seiner Jugend im besonderen (siehe dazu auch Anm. 25); dazu ist auch anzumerken, daß sich seit 1898 der Stil der politischen Auseinandersetzung änderte, als mehr und mehr ›Volkstribunen‹ und ›politische Freibeuter‹ politisch hervortraten (Blackbourn, wie Anm. 17, S. 166). Weiterhin schreibt Blackbourn: »In making a public issue of their personal virtue, they also traded on a widespread belief that government, officials and established politicians were at best complacent, at worst venal or treacherous.« (Auf deutsch würde das ungefähr so lauten: ›Sie machten aus ihrer persönlichen Tugend eine öffentliche Angelegenheit und nutzten so auch den weitverbreiteten Glauben aus, daß die Regierung, die hohen Beamten und etabilierten Politiker bestenfalls selbstgefällig, oder schlimmer noch, korrupt oder verräterisch waren.‹)

20 Zitiert nach: Kosciuszko, wie Anm. 11, S. 138ff.

21 Martin Barker: Comics: Ideology, Power and the Critics. Manchester 1989, S. 103 und


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109 (›Das Konzept der ›Identifikation‹ kam auf, um einer moralischen und politischen Massenhysterie mit einer hundertjährigen Geschichte von Emotionen Gewicht zu verleihen. Tatsächlich handelt es sich jedoch bei dem Begriff der ›Identifikation‹ weniger um ein theoretisches Konstrukt als um den Brennpunkt einer Reihe von Ängsten. Diese Ängste betreffen vor allem das Verhalten der ›Massen‹ und ihre unerklärliche Impulsivität. (...) Das Konzept der Identifikation behauptet, daß der Verlust unseres Bewußtseins und/oder unserer Rationalität uns wehrlos mache. Diese Behauptung macht jedoch nur innerhalb eines größeren Gedankenzusammenhanges Sinn, in dem rationale Urteilsfähigkeit, das Bewußtsein unserer Identität und kritisches Denkvermögen nur einen dünnen Putz über brodelnden primitiven Instinkten bilden, über vorrationalen Elementen, die nur mit Mühe von zivilisierenden Einflüssen in Schach gehalten werden.‹).

Zur Reaktion der herrschenden Klassen auf die Kulturproduktion außerhalb der Eliten siehe auch Heide Schlüpmann: Unheimlichkeit des Blicks. Das Drama des frühen deutschen Kinos. Frankfurt a. M. 1990, S. 9f.

22 Siehe Eley, wie Anm. 14, S. 74, und Hughes, wie Anm. 12, S. 133.

23 Siehe Eley, wie Anm. 14, S. 68, und Hughes, wie Anm. 12, S. 149.

24 Vgl. Altner, wie Anm. 3, S. 17, der darin jedoch einen besonders bequemen Weg zum schriftstellerischen Erfolg sehen will (S. 14).

25 Coetzee, wie Anm. 17, S. 54 (›Nordhausen stellte Deutschland als niedergehende Nation dar; die Jugend, die seine Zukunft bildete, sei vom Pfad der Tugend abgekommen. Die Jahre des Heranwachsens seien von jugendlichem Ungehorsam, Mutwilligkeit und fleischlichen Begierden geprägt, die über Ordnung und Vernunft triumphierten. Die männlichen Heranwachsenden interessierten sich hauptsächlich für Wein, Weib und Gesang, und für das Lesen von Schundliteratur [dt. im Text].‹)

26 Zitiert in Altner, wie Anm. 3, S. 65.

27 In diesen Zusammenhang paßt auch Plauls Einschätzung, daß Avenarius May bekämpfte, »gerade weil er in ihm einen geistigen Machtfaktor witterte, mit dem er zu rechnen hatte.« (Plaul, wie Anm. 7, S. 218).

28 Altner, wie Anm. 3, S. 62

29 Helmut Mojem: Karl May: Satan und Ischariot. Über die Besonderheit eines Abenteuerromans mit religiösen Motiven. In: Jb-KMG 1989. Husum 1989, S. 84-100 (96)

30 Jochen Schulte-Sasse: Karl Mays Amerika - Exotik und deutsche Wirklichkeit. Zur sozialpsychologischen Funktion von Trivialliteratur im wilhelminischen Deutschland. In: Schmiedt, wie Anm. 4, S. 101-29 (111)

31 Vgl. dazu Altner, wie Anm. 3, S. 75, der in May »den Typus des Jugendschriftstellers der beginnenden imperialistischen Periode« sehen will und deswegen die Pressekampagnen gegen May auf persönliche Motive reduzieren muß (S. 74).

32 Zitiert in John Hall: The Sociology of Literature. London 1979, S. 96; Albrechts Arbeit wird nicht ausdrücklich erwähnt, da ich mich auf Halls Zusammenfassung beziehe.

33 Claus Roxin: Ein ›geborener Verbrecher‹. Karl May vor dem Königlichen Landgericht in Moabit. In: Jb-KMG 1989. Husum 1989, S. 9-36 (28)

34 Heermann, wie Anm. 15, S. 318ff.

35 Siehe dazu Bayerischer Kourier vom 31. 5. 1899, Frankfurter Zeitung vom 9. 11. 1901, Dresdner Anzeiger vom 27. 11. 1904 etc. (in Kosciuszko, wie Anm. 11, S. 77, 89ff., 138).

36 Siehe dazu Helga Geyer-Ryan: Karl May im Dritten Reich. In: Karl May - der sächsische Phantast. Hrsg. von Harald Eggebrecht. Frankfurt a. M. 1987, S. 250-63.

37 Ralf Schnell: Die Schwierigkeit zu erben. Karl Mays Abenteuer in der DDR - Materialien zu einer Rezeptionsgeschichte. In: Eggebrecht, wie Anm. 36, S. 264-97

38 Plaul deutet dieses an, wenn er schreibt »Mays Reiseromane schätzte man [in den Kreisen der linksbürgerlichen, oppositionellen und avantgardistischen Intellektuellen], weil sie (...) mitgeholfen haben, die Unfreiheit ein wenig erträglich zu machen. Aber nicht, indem sie vom Alltag wegführen, sondern indem sie den Widerstandswillen gegen die Unerträglichkeit der Realität kräftigen helfen.« (Plaul, wie Anm. 7, S. 241).

39 Valerie Walkerdine: »Some day may Prince will come«: young girls and the preparation for adolescent sexuality. In: Gender and Generation. Hrsg. von Angela McRobbie / Mica Nava. London 1984, S. 162-184, zitiert in Barker, wie Anm. 21, S. 217


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(›Distanzierungsmitteln, die dazu benutzt werden, Abstand zu diesen Geschichten zu halten, sie als Phantasie zu behandeln, um auf diese Art verdrängte Gefühle und Wünsche aufzuarbeiten.‹).

40 Altner, wie Anm. 3, S. 67

41 Siehe Beilage zu den Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft 109/1996, S. 7.

42 Gert Ueding: Der Traum des Gefangenen. Geschichte und Geschichten im Werk Karl Mays. In: Jb-KMG 1978. Hamburg 1978, S. 60-86

43 Schmiedt, wie Anm. 4, S. 9

44 In seinem Beitrag: »Howgh, ich habe gesprochen«. Beredsamkeit in der Fremde: Mays Rhetorik. In: Jb-KMG 1996. Husum 1996, S. 109-31, weist Ueding auf den Einfluß hin, den die Lehrerausbildung auf Mays literarische Tätigkeit ausgeübt hat, und auf Mays Selbstverständnis als Volkserzieher (S. 116).

45 Jürgen Wehnert: Zur abenteuerlichen Textgeschichte Karl Mays. In: Schmiedt, wie Anm. 4, S. 310-36

46 Hans Wollschläger: Karl May. Eine philologische Streitschrift. Nördlingen 1988

47 Ebd., S. 11

48 Heermann, wie Anm. 15, S. 20

49 Wehnert, wie Anm. 45, S. 319

50 Heermann, wie Anm. 15, S. 19

51 Ebd., S. 20

52 Siehe dazu Geyer-Ryan, wie Anm. 36.

53 Ebd., S. 255

54 Feilitzsch, wie Anm. 3, S. 185

55 Pawling, wie Anm. 1, S. 7 (›die Erzählung konstruiert mehr eine ideologische Position als daß sie sie reflektiert, indem sie versucht, einer wahrgenommenen historischen Realität ideologische Konsistenz und Kohärenz zu geben.‹)

56 In diesem Zusammenhang mag Caweltis Sichtweise, daß das soziale Melodrama von allen Genres der sogenannten popular fiction am zeitgebundensten ist, von Interesse sein, eine Sichtweise, die er damit begründet, daß »the social melodrama is concerned not only with the affirmation of traditional conceptions of morality but with integrating and harmonizing what might be called the conventional wisdom with new currents of value and attitude.« (John G. Cawelti: Adventure, Mystery, and Romance. Formula Stories as Art and Popular Culture. Chicago/London, 1976, S. 267; daß das Gesellschaftsmelodrama nicht nur traditionelle Moralauffassungen bestätigt, sondern versucht, das, was man herkömmliche Überzeugungen nennen könnte, mit neuen Wert- und Verhaltensvorstellungen zu integrieren und in Einklang zu bringen.‹)

Damit bestätigt Cawelti Albrechts Ergebnisse, indirekt aber auch das Konzept der Ausarbeitung eines neuen hegemonischen Konsenses (zu Albrecht vgl. Anm. 32).

57 Volker Klotz: Woher, woran und wodurch rührt ›Der verlorene Sohn‹? Zur Konstruktion und Anziehungskraft von Karl Mays Elends-Roman. In: Jb-KMG 1978. Hamburg 1978, S. 87-110 (97)

58 Cawelti, wie Anm. 56, S. 261 (›das Gesellschaftsmelodrama (...) synthetisiert das archetypische Melodrama mit einem sorgfältig und detailliert ausgearbeiteten gesellschaftlichen Rahmen und verbindet auf diese Art die Gefühlsbefriedigung des Melodrams mit dem Interesse an einer detaillierten, gründlichen und realistischen Analyse größerer gesellschaftlicher Phänomene. (...) Der gesellschaftliche Rahmen wird oft eher kritisch behandelt, wobei verborgene Motive, versteckte Verdorbenheit und menschliche Torheit seziert werden (...), jedoch verläuft die Haupthandlung so, wie es sich für das Melodrama gehört, um letztendlich zu bestätigen, daß Gott im Himmel und die Welt eigentlich in Ordnung sind.‹)

59 Ebd., S. 45 (›Wegen dieser gütigen moralischen Ordnung sind Melodramen in ihrer Art und Handlungsführung normalerweise ziemlich kompliziert aufgebaut; (...) das Melodrama läßt den Leser in seiner Vorstellungswelt die Pfade vieler Menschen kreuzen. Nebenhandlungsstränge vervielfältigen sich, und der Erzählstandpunkt wechselt ständig, um uns in eine Vielzahl von Schicksalen einzubeziehen.‹)

60 Klotz, wie Anm. 57, S. 100, ähnlich argumentierend auch Altner, wie Anm. 3, S. 75.

61 Klotz, wie Anm. 57, S. 101


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62 Ueding: Der Traum des Gefangenen, wie Anm. 42, S. 74; siehe dazu auch die Besprechung von ›Am Jenseits‹ in ›Der Wanderer‹ vom 23. 8. 1899, wo es heißt, daß May »nicht einmal mehr auf dem Boden des Christenthums« stehe (zitiert nach: Kosciuszko, wie Anm. 11, S. 78).

63 Mojem, wie Anm. 29, S. 89f.

64 Barker, wie Anm. 21, S. 39f.

65 Ferdinand Avenarius: ›Karl May als Erzieher‹. In: Der Kunstwart. Jahrgang 15 (1902); zitiert nach Kosciuszko, wie Anm. 11, S. 111

66 Altner, wie Anm 3, S. 183

67 Schulte-Sasse, wie Anm. 30, S. 102

68 Ebd., S. 101

69 Wehnert, wie Anm. 45, S. 318

70 Klotz, wie Anm. 57, S. 108

71 Ebd.

72 Es sollte jedoch auch darauf hin gewiesen werden, daß der KMV eine Ausgabe anbietet, die sich am Preis gemessen wohl an wohlsituierte Erwachsene richtet, so daß angenommen werden darf, daß Mays Leserschaft Schwankungen unterworfen ist, wobei in den 1990er Jahren wohl ein gewisses Maß an Nostalgie verantwortlich für das Entstehen eines solchen Marktes ist. Andererseits könnte argumentiert werden, daß die aktuellen ökonomischen und sozialen Verschiebungen der ›postmodernen‹ Gesellschaft ähnliche Unsicherheiten schaffen wie die des wilhelminischen Reiches und daß deswegen an solchen Texten wieder Bedarf besteht.

73 Barker, wie Anm. 21, S. 45 (›[Jack Adrians Bilder]-Geschichten waren im Grunde genommen moralische Lehrstücke in dem Sinne, daß die Figuren ihr Leben darauf ausgerichtet haben, sich ihr Identitätsbewußtsein zu bewahren.‹)

74 Ebd., S. 49 (›Diese Gestalten »besitzen kein leichtes Heldentum; sie haben sich von unten hochgekämpft und müssen weiterkämpfen. (...) Sie sind gezwungen, sich gegen eine gleichgültige, mitleidlose und feindliche Welt zu behaupten (..., wobei) die Dilemmata, vor die sie sich gestellt sehen, unter Umständen nur Vergrößerungen derjenigen Gefühle sind, die die Leser ihrem eigenen Leben gegenüber empfinden.«‹)

75 Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. VIII: Winnetou der Rote Gentleman II. Freiburg 1893, S. 408

76 Altner, wie Anm. 3, S. 17

77 Fritz Helke: Das Abenteuerbuch - Rückschau und Ausblick. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Nr. 170, 25. 7. 1935; zitiert nach: Geyer-Ryan, wie Anm. 36, S. 257

78 Klotz, wie Anm. 57, S. 95

79 Mojem, wie Anm. 29, S. 95

80 »So schmeicheln Karl Mays Legenden von Karl dem Deutschen (...) auch in der Zeit des Wirtschaftswunders, die das Selbstverständnis des Bundesrepublikaners, der sich damals als ›halber Deutscher‹ verstand, gleichermaßen zwischen wirtschaftlicher Macht und außenpolitischer Ohnmacht gefangen hielt und daher die ratlos und verwundert bestaunte Karl-May-Renaissance der fünfziger Jahre hervorbrachte.« (Gunter G. Sehm: Der Erwählte. Die Erzählstrukturen in Karl Mays ›Winnetou‹-Trilogie. In: Jb-KMG 1976. Hamburg 1976, S. 9-28 (26f.))

81 Hier sei nur spekulativ angefügt, daß der Umstand, daß May sich nach dem Zweiten Weltkrieg in der BRD so gut verkauft hat, darin begründet sein mag, daß es in einer marktorientierten Gesellschaft, in der noch dazu die Heranwachsenden über Geld verfügen, kaum möglich ist, den Verkauf von erfolgreichen Büchern zu unterdrücken; hinzu mag kommen, daß May, verglichen mit anderen Medien, relativ ›ungefährlich‹, weil nun endgültig in den Bereich der Jugendliteratur, d. h. des ›Nichtseriösen‹, verwiesen ist; eine weitere ›Befriedung‹ Mays kann darin zu suchen sein, daß der hegemonische Konsens in der BRD selbst in den scheinbar wilden 60er und 70er Jahren nicht ernsthaft gefährdet war.

82 Johann Wolfgang von Goethe: Faust. Erster Teil. Vorspiel auf dem Theater.





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