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MICHAEL ZAREMBA


Der May-Freund Hans Möller



Das Jahr 1905 war für May von erheblicher Brisanz, denn seine Reputation als Mensch und Dichter wurde durch die Verleumdungen von Rudolf Lebius (1868-1946) angegriffen. Der Journalist und Redakteur veröffentlichte in der eigenen Zeitschrift ›Sachsenstimme‹ mehrere Artikel gegen den Dichter;1 bei einem Beleidigungsprozeß zwischen dem Rechtsanwalt Rudolf Bernstein und Lebius wurden vor dem Dresdner Amtsgericht am 3. Oktober 1905 erstmals Mays Strafakten verlesen.2 Vor dem zunehmenden öffentlichen Druck, der durch die Münchmeyer-Prozesse begünstigt wurde, flüchtete sich der Dichter in eine Ästhetisierung seines Schaffens: Er schuf das Versdrama ›Babel und Bibel‹. Der junge Hans Möller (auch: Moeller) wollte in dieser Zeit zunehmender Anwürfe und Prozesse eine publizistische Kampagne für den sächsischen Autor initiieren. Er trat aus diesem Anlaß seit dem Jahre 1905 in Briefkontakt mit May. Gemeinsam mit seinem Freund Wilfried Freitag, der sich nach einer Erbschaft zu einem gebildeten Autodidakten entwickelt hatte, Dramen schrieb, Naturwissenschaft und Medizin sowie mehrere Sprachen studierte, wollte Möller eine von Verleger Fehsenfeld finanzierte groß angelegte Pressekampagne und Dichterabende zugunsten Mays veranstalten. Möller und Freitag nannten sich in einem gemeinsamen Brief an den Verehrten am 29. August 1907 emphatisch ›Comitee der May-Bewegung‹. Der sächsische Autor verhielt sich jedoch zurückhaltend, so daß das Vorhaben vermutlich niemals verwirklicht wurde. May hielt es offenbar taktisch für klüger, seine Gegner, die strafrechtlich relevante Kenntnisse von seiner Vergangenheit hatten, nicht zu provozieren. Fehsenfeld war gegenüber den Aufrufen ebenfalls zurückhaltend.

  Hans Möller kam in Berlin am 20. Juni 1887 als Sohn des königlichen Musikdirektors Friedrich (auch: Fritz) Möller und dessen Ehefrau Eugenie, geborene Fischer, zur Welt. Der Titel ›königlicher Musikdirektor‹ wurde vom Kaiser aufgrund eines Amtes oder persönlicher Verdienste verliehen. Möllers Vater war eine von May geschätzte Persönlichkeit, die der Dichter im weiteren Sinne mit der ›Aristokratie‹ in Verbindung bringt (Brief vom 21. Januar 1906). Mays sogenannter ›Beethoven-Brief‹ vom 21. Oktober 1905 weist auf den musikalischen Hintergrund Friedrich Möllers hin.3

  Friedrich Möller wurde am 28. Juni 1859 im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin in der zwischen Rostock und Wismar gelegenen


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Stadt Neubukow geboren. Er war Musikdirektor beim Königlichen 1. Garderegiment zu Fuß in Potsdam.4 Laut ›Adress-Kalender für die Königlichen Haupt- und Residenzstädte Berlin und Potsdam auf das Jahr 1905‹ versah er nebenamtlich das Amt des Hofkantors an der Garnison- und reformierten Stadtkirche zu Potsdam, wie ihr offizieller Name lautete. Potsdam war seit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms I. im Jahre 1713 Standort dreier Bataillone; die Garnisonkirche wurde von dem preußischen König 1722 eingeweiht.5

  Das im Brandenburgischen Landeshauptarchiv zu Potsdam aufbewahrte ›Adreß-Buch für die Königliche Residenzstadt Potsdam und Umgebung für 1900‹ erfaßt Friedrich Möller unter der Anschrift Lindenstraße 25. Er wohnte dort an einer wichtigen städtischen Nord-Süd-Achse, welche das Jägertor mit der Breiten Straße verband. In den Adreßbüchern für 1903 bis 1910 lautet seine Anschrift Kiezstraße 24 a, Dienstwohnung des Kantors an der Hof- und Garnisonkirche. Bei beiden Häusern handelt es sich um königliche Gebäude. Der ›Deutsche Ordensalmanach. Handbuch der Ordensritter und Ordensdamen deutscher Staatsangehörigkeit‹ führt eine stattliche Anzahl Orden auf, die Friedrich Möller trug, u. a. die Bayerische Goldene Verdienstmedaille (Königlich Bayerisch) und das Schwerinsche Verdienstkreuz in Gold und Silber (Grossherzog Mecklenburgisch).6

  Fritz Möller gehörte als Anwohner des Stadtteiles ›Am Kiez‹ - die slawische Bezeichnung für Fischerdorf - der Zivilgemeinde der Garnisonkirche an. Aus im Brandenburgischen Landeshauptarchiv befindlichen Unterlagen über das ›Organistenamt der evangelischen Hof- und Garnisonkirche‹, 1910-1923, geht hervor, daß - vermutlich anläßlich des Ausscheidens Möllers - das Organisten- und Kantoramt durch Allerhöchsten Erlaß vom 7. Juni 1910 vereinigt wurden.7 Der königliche Musikdirektor bewohnte die Kiezstraße also von 1903 bis spätestens 1910; ab 1911 erscheint er nicht mehr in den Potsdamer Adreßbüchern.

  Fritz Möller, Bekannter Karl Mays, hat den sächsischen Autor vermutlich in Radebeul aufgesucht (Brief vom 21. Januar 1906); diese Beziehung konnte für Möllers Sohn ein zusätzlicher Anreiz sein, selbst mit dem Dichter in Kontakt zu treten.

  Im Geburtsjahr von Hans endete der ›Kulturkampf‹, was ein wichtiger Beitrag zur sozialen Integration des Kaiserreiches war. Die Gründung der ›Deutschen Kolonialgesellschaft‹ im selben Jahr wies auf eine verstärkte machtstaatliche Ausrichtung Deutschlands hin. Möller, Sohn wohlhabender Eltern und Gymnasiast, gehörte jener jungen Leserschicht an, für die May seit 1887 Jugenderzählungen in der Zeitschrift ›Der Gute Kamerad‹ schrieb. Als Möller lesekundig war, beherrschten die Unionsbände sowie die Fehsenfeld-Ausgabe den Markt der Jugend- und Unterhaltungsliteratur. Der Knabe erhielt vom Vater vermutlich frühzeitig die Bücher zur Lektüre.


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  Dem Besuch des Gymnasiums folgte eine Buchhändlerlehre (1905 bis 1906); in dieser Zeit trat Hans Möller mit May in schriftlichen Kontakt. Er war von 1906 bis 1909 als selbständiger Sortiments-Buchhändler in Nowawes, einer Stadt, die seit 1938 Babelsberg heißt und seitdem zu Potsdam gehört, tätig. Als Sortiments-Händler verkaufte er spezielle Literatur an die zahlreichen wissenschaftlichen Institutionen in der Hauptstadt der preußischen Provinz Brandenburg. May gratulierte Möller zur Eröffnung des nahe dem Potsdamer Fernbahnhof gelegenen Geschäftes, dessen Name und Adresse ›Hans Moellers Buchhandlung, Nowawes-Neuendorf, Eisenbahnstraße 1, Potsdam‹ lautete. Er verkaufte dort unter anderem May-Bücher und erhielt von Fehsenfeld Verlagsprospekte zugesandt.

  Möller, der im Laufe seines Lebens häufig die Wohnung wechselte (1912: Groß-Lichterfelde, Ringstraße 49; 1914: Berlin W 9, Luckstraße 12; 1922: Charlottenburg, Schillerstraße 11; 1928: Berlin W 8, Wilhelmstraße 66; 1935: Berlin W 9, Eichhornstraße 1) wohnte im Jahre 1905 bei den Eltern in der Kiezstraße 24 a in Potsdam. Das Wohnhaus ist leider im Zweiten Weltkrieg einem Bombenangriff zum Opfer gefallen. Die alleenartige Kiezstraße, an der Neustädter Havelbucht gelegen, ist noch heute von klassizistischen, zweistöckigen Häusern aus dem 18. Jahrhundert gesäumt. May weilte mindestens einmal in Potsdam (Brief vom 21. Januar 1906; vgl. auch die Hinweise auf die Potsdamer Region im Brief vom 6. Oktober 1905). Fraglich ist, ob er Fritz Möller in seiner Wohnung aufsuchte, denn darauf hätte der junge Möller vermutlich in seinen Briefen hingewiesen.

  Seit 1909 leitete Hans Möller die Leihbibliothek des neu entstandenen Kaufhaus des Westens am Wittenbergplatz in Berlin. Die mondäne Geschäftswelt hatte sich nach der Jahrhundertwende zunehmend im Westen der Reichshauptstadt etabliert. Das Ka De We war somit ein erstklassiger Standort für eine gehobene Leihbibliothek, in der Bücher gegen Entgelt für eine befristete Zeit verliehen wurden. Möller lieferte das Vorwort zu der Publikation ›Zwei Jahrzehnte deutscher Buchkultur. Ein Katalog schöner Bücher‹ (Herausgegeben vom Kaufhaus des Westens, 1919). Nach Auskunft der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit des Ka De We sind sämtliche Personalakten oder Dokumente über Möller vernichtet worden, als im Jahre 1943 ein amerikanischer Jagdbomber auf das Kaufhaus stürzte, wobei das Archiv verbrannte.

  Am 6. März 1912 erwähnt Klara May, daß Möller nun »Ehemann« sei. Er hatte 1911 Elisabeth Plötz geheiratet. Zwei Jahre später wurde eine Tochter, Ingeborg, geboren, die bereits im Jahre 1919 verstarb. Hans und Elisabeth Möller bekamen noch eine weitere Tochter, Gisela, deren Geburtsjahr uns nicht bekannt ist. Im Jahre 1924 heiratete Möller Charlotte Wagener; diese Ehe hatte vermutlich keine Nachkommen.


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  Seit 1913 arbeitete Möller als Journalist und bekleidete im Archiv für Bibliographische Nachrichten, einem Büro für Zeitungen und literarische Auskünfte, die Position des Chefredakteurs. Am 15. März 1919 gründete er die ›Deutsche Verlagsgesellschaft für Politik und Geschichte‹ in Berlin; der Verlag erlosch im Jahre 1943. Im Adreßbuch des Deutschen Buchhandels von 1925 ist notiert: »Moeller, Hans: Archiv für Bibliographie; Geschäftsführer: Deutsche Verlagsgesellschaft für Politik und Geschichte m. b. H. Berlin«.

  Möller war Mitglied des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig, der Gesellschaft der Bibliophilen und der Goethe-Gesellschaft. Er sammelte Totenmasken sowie Bilder von Alt-Potsdam und Alt-Berlin. Seine Vorliebe galt der Militärschriftstellerei; als Herausgeber und Mitarbeiter war er an folgenden Publikationen beteiligt:


-Deutsche Luftfahrtkorrespondenz
-Der Goebel-Landpanzerkreuzer. Deutschlands neueste Waffe im Weltkrieg (o. J.)8
-Der Goebel-Landpanzerkreuzer, der Bezwinger des Schützengrabens (1916)
-Die Wiederentdeckung des Montgolfierschen Heißluftballons. Der Hildebrandsche Warmluftballon (1918).9


Die meisten Veröffentlichungen, die von Möller bekannt sind, befassen sich wissenschaftlich mit Problemen der militärischen Taktik und Technik im Zusammenhang mit den Erfahrungen des Stellungskrieges im Ersten Weltkrieg. Seine Ideen waren im Rahmen militärischen Denkens fortschrittlich.

  Der Briefwechsel mit Möller zeigt einen May, der sich aus einer philosophischen Grundhaltung heraus einem Jugendlichen zuwendet. Das ›Droschkenkutschergleichnis‹ und die religiösen Erläuterungen sind Ausdruck der Mayschen Altersphilosophie. May, der zur Zeit des ersten Briefkontaktes 63 Jahre alt war, hätte der Großvater des achtzehnjährigen Buchhändlerlehrlings Hans Möller sein können. Der Dichter erhielt ganze Stöße von Zuschriften und klagt: Das Schlimmste ist, daß diese Frager meist junge Leute sind, in denen es noch gährt (Brief vom 6. Oktober 1905). Ein solcher Leser war auch Hans Möller. May konnte nicht sämtliche Leserbriefe beantworten; diese Aufgabe versuchte Klara zu bewältigen. Daß er sich persönlich an den jungen Mann wandte, ist wohl auch auf die Beziehung zum Vater zurückzuführen. Mays Briefe, die einen religiös-humanistischen Grundton haben, zeigen, daß seine Rolle als Leitfigur für Jugendliche bisher noch nicht ausreichend erforscht wurde.10

  Klara Mays Briefe haben Mitteilungscharakter, beschränken sich auf sachliche Hinweise und Fragen, die Möllers Beruf als Buchhändler be-


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treffen. Sie teilt ihm den Tod ihres Mannes mit (Brief vom 31. März 1912). Nach dem Jahre 1914 sind weitere Beziehungen Möllers zu Klara May nicht bekannt.

  Das Geburtsjahr von Tochter Gisela, deren aktuelle Adresse sowie Daten nach 1925 - z. B. das Sterbedatum Hans Möllers - konnten leider nicht ermittelt werden. Immerhin bieten die vorliegenden Daten ein allgemeines Bild von den Lebensumständen Möllers in der Zeit des schriftlichen Kontaktes zu dem Dichter und seiner Frau.



1 Zu Lebius und der ›Sachsenstimme‹ vgl. Volker Griese: Nimbus zerstört. Der Charlottenburger Prozeß und das Urteil der Presse. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 1998. Husum 1998, S. 40-83.

2 Vgl. Hans Wollschläger: Karl May. Grundriß eines gebrochenen Lebens. Zürich 1976, S. 136f.

3 Ich konnte leider bezüglich der Lebensdaten von Fritz Möller in den im Geheimen Staatsarchiv zu Berlin vorhandenen alphabetischen Registern der Taufen von 1860 bis 1887 und der Toten von 1906 bis 1934, in den Militärkirchenbüchern der Garnisonkirchen Berlin und Potsdam sowie im ›Handbuch über den Königlich Preussischen Hof und Staat für das Jahr 1897‹ und im ›Handbuch über den Königlich Preussischen Hof und Staat für das Jahr 1905‹ keine Einträge über den königlichen Musikdirektor ermitteln. In den im Brandenburgischen Landeshauptarchiv zu Potsdam aufbewahrten gedruckten Adreßbüchern für Potsdam von 1900 bis 1910 ist Möller allerdings verzeichnet; im ›Adreßbuch für die Königliche Residenzstadt Potsdam und Umgebung‹ für 1894 ist er noch nicht erfaßt.

4 Vgl. Vera Grützner: Potsdamer Musikgeschichte. Berlin 1992, S. 121.

5 Die Segnung des zweiten Baues mit Querhausanlage, hohem Turm, Rundbogenfenstern und einem Glockenspiel, ausgeführt von Baumeister Philipp Gerlach (1697-1748), erfolgte im Jahre 1732. In der Kirche wirkten ein reformierter Hof- und ein lutherischer Garnisonprediger. Der Kirchenbau wurde durch einen Bombenangriff im April 1945 zerstört und infolge eines Beschlusses der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung im Jahre 1968 abgerissen. Einen guten Überblick über die Geschichte der Kirche bietet Werner Schwipps: Die Königliche Hof- und Garnisonkirche zu Potsdam. Berlin 1991.

6 Weitere Ehrenzeichen, nach Deutscher Ordens-Almanach. Handbuch der Ordensritter und Ordensdamen deutscher Staatsangehörigkeit. Hrsg. von der Deutschen Ordens-Almanach-Gesellschaft. Jahrgang 1904/05, S. 754: Silberner Verdienstorden vom Heiligen Michael (Königlich Bayerisch), Toskanische Goldene Verdienstmedaille (Königlich Italienisch), Zivil-Verdienst-Orden vom Niederländischen Löwen (Königlich Niederländisch), Silbernes Zivil-Verdienstkreuz mit Krone (Kaiserlich und Königlich Österreichisch-Ungarisch), Medaille des Löwen- und Sonnenordens 2. Klasse (Persisch), Goldene Verdienstmedaille (Königlich Rumänisch), Silberne Medaille am Bande des St. Stanislaus Ordens (Kaiserlich Russisch), Verdienstorden 4. Klasse (Königlich Sächsisch), Kleine Sachsen-Coburgische Herzog-Alfred-Medaille in Gold (Vereinigte Herzoglich Sächsisch), Goldene Medaille (Königlich Siamesisch), Silberne Zivil-Verdienst-Medaille (Königlich Württembergisch)

7 Aus dem im Brandenburgischen Landeshauptarchiv zu Potsdam befindlichen Aktenband Pr. Br. Rep. 2A Regierung Potsdam II Nr. 126, geht außerdem hervor, daß Professor Otto Becker, seit dem 1. Juli 1910 Organist an der Garnisonkirche, das Hofkantorhaus, Kiezstraße 24 a, am 6. September 1910 bezogen hat.

8 Es handelt sich um einen frühen Hinweis auf die Notwendigkeit querfeldeinfahrender Panzerkampfwagen für den modernen Krieg. Die deutsche Heeresleitung unterschätzte den taktischen Wert nicht straßengebundener Kampfwagen; bis Kriegsende wurden gegenüber dem alliierten Bestand von ca. 4800 Exemplaren nur 20 ›Sturm-Panzer‹ produziert.


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9 Möller befaßt sich mit der wissenschaftlichen und militärischen Bedeutung von Heißluftballons, nachdem um die Jahrhundertwende bemannte Fahrten in Höhen von über 10 Kilometern stattgefunden hatten.

10 Vgl. aber: Ulrich Schmid: Kupferstecher, Kuhhirt, Seelenführer. Nachdenken über Willy E. und Wiltrud von B. In: Jb-KMG 1994. Husum 1994, S. 30-50.





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