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GUDRUN KEINDORF

Ein Deutscher Traum? · Überlegungen zu Karl Mays Verhältnis zum ›Kaiserreich‹



Die Feststellung, daß Karl May ein deutscher Autor war, kann mit Recht als Binsenweisheit bezeichnet werden. Daß er als Deutscher für Deutsche schrieb, mag ähnlich banal klingen, und doch sind diese beiden Aussagen grundsätzliche Prämissen, wenn wir uns anschicken, Mays Verhältnis zum ›Kaiserreich‹ zu thematisieren. Die dritte wesentliche Prämisse ist die, daß May ein Autor des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts war; notwendigerweise dürfen wir sein ›Weltbild‹, so es denn vorhanden ist, nicht an den Maßstäben des ausgehenden 20. Jahrhunderts messen, sondern müssen es aus seiner Zeit heraus verstehen. Gemeint ist damit weniger eine politische Einstellung; die Frage, welche politische Partei er wohl gewählt haben könnte,1 ist höchstens hypothetisch zu erörtern. Die Kernfrage, auf die wir zielen, ist vielmehr: Wie ›deutsch‹ sind Mays Protagonisten? Oder anders ausgedrückt: Inwiefern spielt die Nationalität der handelnden Personen eine Rolle, die darüber hinausgeht, daß ein Deutscher für Deutsche schreibt und darum ›Deutsche Helden‹ in den Mittelpunkt seiner Erzählungen stellt? Was bedeutet dieses ›Deutsch-Sein‹?

   Die folgenden diesbezüglichen Überlegungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern orientieren sich an einzelnen Werken unterschiedlicher Schaffensperioden, deren Befunde sie aufzeigen. Konsequenterweise werden nicht ›Tatsachen‹, sondern ›begründete Hypothesen‹ das Ergebnis unserer Überlegungen sein.



›Fürst und Junker‹,2 ›Der beiden Quitzows letzte Fahrten‹3 (1875-1877)


Der historische Roman ›Der beiden Quitzows letzte Fahrten‹ scheint auf den ersten Blick vortrefflich geeignet zu sein, Mays Geschichtsbild und damit seine Vorstellungen von den ›Ursprüngen Deutschlands‹ zu erhellen. Einschränkung erfährt diese Idee aus methodischen Gründen. Das Autorentrio Axmann-May-Goldmann,4 das für ›Fürst und Junker‹ bzw. die ›Quitzows‹ tätig war, mag im Prinzip auseinander zu differenzieren sein,5 doch müssen wir bei der Analyse berücksichtigen, daß der jeweilige Nachfolger nicht anders konnte, als die Strukturen des Vor-Schreibers aufzunehmen. Zwar ist es verführerisch, dem Redakteur May von Anfang an Mitbe-


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stimmung am Werk des Autors Axmann zu unterstellen, doch dürfte es im Einzelfall schwierig bis unmöglich sein, diese Mitbestimmung zu beweisen, wie das folgende Beispiel verdeutlicht.

   »Trotzdem die vormals so mächtigen Wenden schon seit 250 Jahren den Deutschen unterworfen waren, hatte sich ihr fanatischer Haß gegen das weit überlegene Deutschthum nicht um ein Atom gemildert. Man muß freilich zugeben, daß sie keine Ursache hatten, den Deutschen freundlich gesinnt zu sein; denn die übermüthigen Junker, deren Leibeigene sie geworden waren, behandelten sie mit so brutaler Willkür, daß jedes bessere Gefühl in der Brust der Unterdrückten unter dem eisernen Drucke ersterben mußte.«6

   Axmanns Beschreibung des Verhältnisses zwischen Wenden und Deutschen steht im Zusammenhang mit einer Entführungsgeschichte und stellt gewissermaßen die historische Begründung dafür dar, daß aus Opfern Täter wurden, eine Vorstellung, die wir bei May durchaus gewohnt sind zu finden, sei es im Verhältnis Indianer - Weiße oder Chaldäer - Kurden. Trotzdem werden wir kaum behaupten können, May habe hier interpoliert. Schon aus chronologischen Gründen ist eher zu vermuten, daß der junge Redakteur bei Axmann Anregungen fand, die seine Sichtweise unterdrückter Völker mit beeinflußte. Die Erzählung ›Inn-nu-woh‹, die zeitgleich mit ›Fürst und Junker‹ erschien, thematisiert nämlich derartige Gegensätze noch nicht. Die gleich zu Beginn der Erzählung stattfindende Konfrontation des Indianerhäuptlings mit einem weißen Kutscher geht zugunsten des Indianers aus, der von der weißen Polizei in Schutz genommen wird.7 Auch die Erzählung ›Old Firehand‹8 ist noch frei von derartigen Reflexionen.

   Das gleiche gilt auch für den Teil der ›Quitzows‹, der sicher May zuzuschreiben ist. Zwangsläufig übernimmt May einen Teil des Personenbestandes aus ›Fürst und Junker‹, ohne aber das Verhältnis Wenden - Deutsche näher zu thematisieren. Dieses Beispiel mag genügen, um die methodischen Schwierigkeiten im Umgang mit dem historischen Roman anzudeuten, die noch durch einen weiteren Faktor ergänzt werden, nämlich die Abhängigkeit von der literarischen Vorlage.

   In ›Der beiden Quitzows letzte Fahrten‹ treten einige neue Protagonisten auf; man möchte meinen, daß sie sich über ihr Verhältnis zum Kurfürsten bzw. zu den Quitzows definieren. Die erste neu auftretende Person ist Suteminn, der ›Einspänner‹, die (positive) Polarisierung der handelnden Personen erfolgt in bezug auf ihn, nicht auf den Kurfürsten.


Es war eine kolossale Gestalt auf einem ebenso gewaltigen Streitrosse. In der Rechten hielt er eine baumstarke Lanze, unter deren Spitze ein kleines Fähnlein flatterte, dessen Farbe aber bei dem ungewissen Lichte grad so wenig zu erkennen war, wie das Zeichen, welches den mächtigen Schild schmückte, der seine linke Seite bedeckte. Ein ungewöhnlich langes und breites Schwert hing ihm von der Hüfte nie-


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der, und ein doppelschneidiges Messer, wegen seiner Gefährlichkeit »Gnadegott« geheißen, war in lederner Scheide durch eine Kette an den starken Leibgurt befestigt.

   Mit einem raschen Sprunge war er vom Pferde, einem Falben von außerordentlich kräftigem Gliederbaue, und trat lauschend an einen der Läden ...

   Wirklich trug der Eingetretene keine Farben, an denen er zu erkennen gewesen wäre, aber seine aus blau angelaufenem Stahle gefertigte Rüstung war von so eigenthümlicher und zugleich vorzüglicher Arbeit, daß sie recht gut als Merkzeichen dienen konnte, und als ihr Träger statt aller Antwort den Schild erhob, welcher einen Amor mit gespanntem Bogen zeigte, trat der Frager mit einer Ehrerbietung zurück, wie man sie sonst nur hervorragenden Persönlichkeiten zu erweisen pflegt ...9


Ein einzelner Mann, ein charakteristisches Pferd und einmalige Waffen: Wir treffen gleich zu Beginn des Romans auf eine Person, die diejenigen äußerlichen Merkmale aufweist, die später in Mays Reiseerzählungen den omnipotenten Helden ausmachen werden. Ein Wachtmeister erkennt ihn und berichtet seinen Bekannten, was er von »dem gewaltigen Kämpen gehört«10 hat:


»Wer die weiße Kunst versteht, der hat Macht über alle guten und bösen Geister, über Leben und Tod, über Hab und Gut und kann Alles vollbringen, was Gott und den heiligen Engeln wohlgefällig ist. Deshalb ist Suteminn ein so gewaltiger Ritter und zugleich ein Gelehrter, dem nichts verborgen ist in den sieben Reichen der Unterwelt. Er kann das Wetter machen und den Sonnenschein, die giftigen Dünste vertreiben und alle Krankheiten heilen; er fängt den Bären mit der bloßen Hand und spaltet einem Gewappneten den Kopf bis herunter auf die Brust und auch noch weiter, wenn er will; seine Haut ist fest wie Eisen, denn er hat sie mit Drachenblut bestrichen, und durch seine Rüstung dringt weder Schwert noch Dolch, weil sie von den guten Zwergen geschmiedet worden ist. Er ist keinem Menschen unterthan und Niemand, kein Herzog und kein Fürst, darf ihn zu einem Heereszuge entbieten; er kommt von selbst, und die Seite, auf welche er sich stellt, gewinnt den Sieg.«11


Zu den körperlichen Vorzügen gesellt sich geistige Überlegenheit; gerade diese Kombination ist es ja, die Old Shatterhand hervorragenden Westmännern wie z. B. Old Surehand gegenüber Überlegenheit sichert. Auch Kara Ben Nemsi war mit ungeheurer Schnelligkeit in den Ruf eines Arztes gekommen, der mit dem Scheidan im Bunde stehe, weil er mit drei Körnchen Durrhahirse Tote lebendig machen könne.12

   Hervorragendes Merkmal des omnipotenten Helden ist seine Unabhängigkeit und, daraus resultierend, die Tatsache, daß er sich nichts befehlen läßt. Die oben zitierte Vorstellung, Suteminn dürfe nicht zum Heerzug entboten werden, ist völlig ahistorisch, da zu Beginn des 15. Jahrhunderts die Heerfolge nach Sachsenspiegelrecht geregelt war. Unter einem ›Einspänner‹ versteht man zunächst den Mann, der nur ein einziges Spanntier besitzt


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oder mit ihm Dienst leistet. Erst im Verlauf des 16. Jahrhunderts kennt man den ›Einspänner‹ auch im militärischen Bereich als selbständigen Kämpfer, der zwar über dem unselbständigen Lanzenträger steht, aber in der Hierarchie unter dem ›gleve‹, dem schwer bewaffneten Ritter mit Reservepferden und Gefolge. Keineswegs ist damit ein einzeln reitender und kämpfender Ritter zu verstehen.13

   Nicht Teil des Sozialgefüges zu sein, bedeutete, rechtlos zu sein, und nicht, über allen anderen zu stehen. Immer wieder ist von ›alten Rechten‹ die Rede, auf die sich die Quitzows und ihre Verbündeten berufen: Gewohnheitsrecht und obrigkeitliche Rechtssetzung prallen aufeinander.14 Daß Suteminns Charakterisierung dennoch durch seine Unabhängigkeit gekennzeichnet ist, ist einmal durch die maytypische Erzählweise zu erklären. Hinzu kommt der Aspekt, daß Suteminn als eine Art ›Siegfried‹ dargestellt wird, von dem in der Nibelungenüberlieferung des 19. Jahrhunderts ebenfalls gesagt wird, daß er keiner Heerfolge unterlag. Anders als dieser braucht er aber keine Tarnkappe oder ähnliche Utensilien, und anders als dieser stirbt er nicht durch Mörderhand und Verrat, sondern ist Herr seines Geschicks. Das Bad im Drachenblut und das angeblich von Zwergen geschmiedete Schwert existieren nur in der Phantasie seiner abergläubischen Zeitgenossen und sind nicht wirklich Teil von Suteminns Existenz. ›Der Nibelungen not‹15 ist inhaltlich für ›Der beiden Quitzows letzte Fahrten‹ nicht relevant. Hier spiegelt sich lediglich die Vorstellung, daß das Nibelungenlied im Mittelalter mündlich tradiert worden sei.16

   Die im 19. Jahrhundert anerkannt beste Darstellung der Auseinandersetzungen des märkischen Adels mit dem vom König eingesetzten Markgrafen stammt von Karl Friedrich von Kloeden17 und diente May vermutlich als Vorlage.18 Bei von Kloeden sind einige, aber längst nicht alle Charakterzüge von Mays Suteminn vorgeprägt, werden aber anders gewertet.


Ueber seine Abstammung schwebte kein Dunkel, er gehörte einer altmärkischen Familie an, die 1384 zu Tangermünde wohnte, und in der Gegend angesessen war; er hatte in seiner Jugend die Erziehung eines Geistlichen genossen, und war nicht ohne Bildung, ein großer Hang zu den Waffen ließ ihn die Laufbahn des Geistlichen verschmähen, aber ein lebhafter Freiheitssinn und Hang zur Ungebundenheit erlaubte ihm nicht, in die Dienste irgendeines Herrn zu treten. Er konnte sich nicht fügen, und sein Jähzorn, verbunden mit einer großen körperlichen Kraft, ließen ihn in einem solchen Verhältnisse nur Unglück voraussehen.19


Gemeint ist allerdings ein Gehrke Suteminn, dessen persönlicher Lebensweg ein deutlich anderer ist als bei Mays Figur; Gehrkes Unabhängigkeit wird von von Kloeden durchaus kritisch gesehen.20 Auch der Zusammenhang, in dem dieser Ritter erstmals auftritt, ist anders gelagert.21


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   Vergleicht man Mays Suteminn mit der gleichzeitigen ›Old Firehand‹-Erzählung, so fällt auf, daß der omnipotente Held hier noch fehlt. Der Ich-Erzähler ist noch ohne Namen, er hat zwar gute Anlagen, ist aber noch zu sehr ›Greenhorn‹, um diese Rolle auszufüllen. Old Firehand selbst ist bereits in einem Alter, in dem die Spannkraft nachläßt. Seine ehemals vorhandene körperliche Überlegenheit kommt zwar in Notsituationen durch, rettet ihn aber nicht vor dem Skalpiertwerden. Außerdem läßt er sich von seiner Rachsucht leiten und verliert dadurch den Blick für die Notwendigkeiten. Winnetou ist zwar allen überlegen, es fehlt ihm aber der weitreichende Durchblick, der ihm in den späteren Reiseerzählungen zu eigen ist und dank dessen er sich als Anführer durchsetzen wird.

   Wir können also Suteminn mit einiger Berechtigung als den ›Prototyp‹ von Old Shatterhand/Kara Ben Nemsi betrachten. Die Verwandlung des historischen Gehrke Suteminn, so wie ihn zeitgenössische Darstellungen präsentierten, in einen omnipotenten Helden müssen wir als eine initiale Handlung für den jungen Schriftsteller May betrachten. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir annehmen, daß May ein persönliches Interesse für den historischen Gehrke Suteminn entwickelte, so daß er ihn zu einer der Hauptpersonen seines Romans machte. Zum Priester bestimmt, wird Suteminn entgegen den Wünschen seiner Eltern zum von allen anerkannten bürgerlichen Krieger. Zum Lehrer bestimmt, will May (nach dem aus seiner Sicht unverschuldeten Scheitern) zum von allen anerkannten bürgerlichen Schriftsteller werden. Die Parallele ist um so eindeutiger, als »May als Lehrer auch die Qualifikation zum Vikar erworben hatte«.22 Mays Fähigkeit, seine Niederlagen solange zu zerträumen, bis sie zu literarischen Triumphen werden, wird hier am Fremden (in der dritten Person) erprobt.

   Dieser psychologisch zwangsläufige Vorgang der Umformung scheint uns wesentlicher zu sein als die Abenteuerhandlung, obwohl die Aufdeckung versteckter Identitäten ebenfalls ein maytypisches Handlungsmuster darstellt. Bei von Kloeden gibt es kein Geheimnis um Suteminn. Anders bei May: Bereits recht früh wird die wahre Existenz Suteminns angedeutet, als der Bote des Markgrafen, Henning von Bismarck, in einem Pergament auf den Namen Moltke stößt.23 Die beiden verbünden sich, um den Markgrafen zu unterstützen, der nicht nur den märkischen Adel unterwerfen, sondern auch den Papst züchtigen will:


»Ein kleines, unscheinbares Burggräflein kommt herbei, wirft sich binnen wenigen Wochen den trotzigen, kraftvollen und weit überlegenen Adel des Landes zu Füßen, und - noch ist die Ruhe und der Frieden nicht hergestellt, noch gährt es und bebt der Boden auf allen Seiten, die Grenzen sind bedroht, die Polen, Pommern, Mecklenburger, die Herren von Wenden, die Herzöge zu Sachsen erheben drohend die Schwerter - da wagt das Burggräflein, den mächtigsten Mann der Christenheit, den Beherrscher von Millionen und Abermillionen Gewissen, den Stell-


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vertreter Gottes auf Erden beim Schopfe zu nehmen, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen vor den Augen des gesammten Volkes! ...

   Und wer sind die Männer, die er sich zu diesem verwegenen Vorhaben ausersehen hat? Niemand nennt sie im großen Reiche, kaum daß man sie im eigenen Lande kennt; der Eine saß über seinen Büchern, der Andere jagte den Hirsch in seinen Wäldern; Größeres thaten sie nicht. Der Eine hat keinen Namen, der andere kaum - einen  B i s m a r c k, nur Wenige haben ihn bisher gehört - Beide aber werden ohne Wanken und mit treuen Kräften an ihrem Werke schaffen - hier meine Hand!«24


Die Parallelen zur Reichsgründung sind unübersehbar: Bedrohte Grenzen, mühsam geeinte Kräfte, Kulturkampf kurz nach der (Reichs-)Gründung, der Herrscher, ein Bismarck und ein unbekannter Krieger - eine deutliche Anspielung auf den in Deutschland nach 1870/71 gepflegten Mythos, die Franzosen hätten die militärische Schlagkraft Deutschlands völlig unterschätzt. Richtig ist, daß Helmuth Karl Graf von Moltke (1800-1891), preußischer Generalfeldmarschall und Chef des Generalstabes, schon 1828 für den Generalstab vorgesehen war25 und seitdem nie wieder im Truppendienst Verwendung fand. Auch an der preußischen Heeresreform war er nicht beteiligt, was zu Folge hatte, daß sein Name nicht sonderlich bekannt war. Er ist aber nicht erst 1870/71 wie ein ›Deus ex machina‹ aufgetaucht, sondern war auch an den preußischen Siegen von 1864 und 1866 aktiv beteiligt.26 Er ist zwar mit dem mecklenburgischen Adelsgeschlecht von Moltke in Verbindung zu bringen,27 aber die Angehörigen dieses Geschlechtes spielen bei von Kloeden nur eine untergeordnete Rolle. Einmal wird »einer von Moltke«,28 ein weiteres Mal ein »Heinrich von Moltke«, der unrühmlich gefangen genommen wird,29 erwähnt. Gemeint ist damit der 1398 und 1417 auf Stridfeld und Radow genannte Heinrich von Moltke, während May Suteminn den Vornamen Otto gibt, ein Name, der zwar für 1441 und 1479 belegt ist,30 bei von Kloeden aber nicht auftaucht. Henning von Bismarck, der als Bote des Markgrafen Suteminn in Tangermünde aufsucht und der danach auch aktiv in die Kämpfe um die Mark eingreift, ist bei von Kloeden genau einmal erwähnt.31

   Definiert werden die Verhältnisse des frühen 15. Jahrhunderts nicht durch politische Zusammenhänge,32 sondern durch das Verhältnis der Einzelpersonen zueinander. Das gilt nicht nur für die Dreiheit Markgraf - Suteminn/Moltke - Bismarck, sondern auch für die Quitzows und deren Verwandte, ja sogar für den Papst, gegen den die zukünftige Allianz gerichtet sein soll. Diese Personalisierung geschichtlicher Vorgänge hängt zum einen mit dem Stil der zeitgenössischen konservativen Geschichtsschreibung zusammen,33 zum zweiten entspricht sie der Struktur der Vorlage,34 zum dritten dürfte sie Mays Mentalität entgegenkommen.

   Die Gründe für die Ausnutzung dieser Vorfahren zeitgenössischer Staatsgrößen dürften nicht schwer zu benennen sein: Der gerade aus der Polizeiaufsicht entlassene Ex-Sträfling35 bemüht sich, staatstreue Gesin-


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nung zu zeigen, indem er die Vorfahren der personifizierten Staatsgewalt auftreten läßt und ihnen die Absicht unterstellt, ›Recht und Ordnung‹ wiederherstellen zu wollen. Die Vielzahl märkischer Adelsgeschlechter korrespondiert dabei mit der Vielstaaterei vor der Reichsgründung.

   ›Der beiden Quitzows letzte Fahrten‹ trägt den programmatischen Untertitel ›Historischer Roman aus der Jugendzeit des Hauses Hohenzollern‹; wir könnten also vermuten, daß im Mittelpunkt der Handlung die Kämpfe mit dem märkischen Adel bzw. mit dem Papst stehen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Im Mittelpunkt steht zum einen der Handlungsstrang um die Identifizierung Suteminns als ein Moltke, die Wiederfindung der verschollenen Gattin des englischen Grafen von Warwick und die damit verbundene Familienzusammenführung, da sich die Pflegekinder Suteminns als deren Kinder herausstellen, sowie die Versöhnung Suteminn-Moltkes mit seinem ebenfalls unter anderem Namen lebenden Bruder. Der zweite Handlungsstrang umkreist die Fragen nach Schuld und Sühne, gekoppelt mit der der Treue. Dietrich von Quitzow kann als politischer Gegner des Markgrafen nicht nur auf Verständnis, sondern auch auf Achtung rechnen, die Offenlegung seiner Verbrechen aber sorgt für seine gesellschaftliche Ächtung. Die Söhne treten schließlich an, um die Schuld des Vaters zu sühnen, und werden durch die persönliche Freundschaft des Markgrafen entschädigt.

   Der Wechsel der Autorenschaft von May zu Goldmann erschwert die Einordnung des Handlungsabschlusses. Berücksichtigt man das Arbeitspensum, das May zu dieser Zeit zu leisten hatte, so muß man annehmen, daß nicht sehr viel Manuskript bereitlag, auf das Goldmann sich stützen konnte.36 Goldmann beschränkt sich darum im wesentlichen darauf, die handelnden Personen durch ›Happy-End‹ bzw. Tod in den literarischen Ruhestand zu schicken.

   Trotzdem dürfen wir wohl mit Recht annehmen, daß der Kampf der handelnden Personen im Erstlingsroman, zumal so kurz nach der Haftentlassung, zunächst einmal den Kampf in Mays Inneren auf eine Abenteuerebene transponiert. Die dualistische Gegenüberstellung Suteminn - Dietrich von Quitzow bildet, unabhängig von den Nebenhandlungen, von denen wir nicht wissen, wie sie mit der Haupthandlung gekoppelt worden wären, hätte May den Roman zu Ende geführt, den Dreh- und Angelpunkt der Auseinandersetzungen. Der Markgraf als der sozial Höchstgestellte ist diesem Gegensatzpaar in der Handlung untergeordnet.

   Für den ewigen Kampf des Guten gegen das Böse im Menscheninneren ist es unwesentlich, ob die Handlung in fernen Gegenden oder fernen Zeiten spielt. Die historischen Ereignisse in der Mark Brandenburg zu Beginn des 15. Jahrhunderts sind dabei Kulisse, nicht Handlungsmittelpunkt. In der Figur des Suteminn steckt vor allem das ›mehr Sein als Schein‹, der Hang zur Maske, der Mays Hauptpersonen so oft zu eigen ist. Dietrich von Quitzow ist nach dem gegenläufigen Prinzip ›mehr Schein als Sein‹ angelegt;


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sein wahrer Charakter enthüllt sich erst nach und nach in seiner ganzen Schlechtigkeit. Daß May aus Suteminn ausgerechnet einen Moltke macht, ist ein Versuch staatsbürgerlicher Selbstdarstellung, für den Handlungsverlauf ist es nicht relevant. Entscheidend für die schriftstellerische Entwicklung Mays ist die erstmalige Schaffung des omnipotenten Helden. Hierin scheint uns die eigentliche Relevanz des Romans zu liegen.



›Die Liebe des Ulanen‹ (1883-85)37


Etwa 15000 Druckseiten hat Karl May zwischen Herbst 1882 und Herbst 1888 für den Verlag Münchmeyer produziert.38 Wir können dieses Mammutwerk an dieser Stelle nur ansatzweise analysieren. Aus methodischen Gründen erscheint uns dabei die Konzentration auf ein Werk angemessener als ein Überblick über alle fünf Lieferungsromane, die in den genannten sechs Jahren entstanden. Die Auswahl fällt aus verschiedenen Gründen auf ›Die Liebe des Ulanen‹. Zum einen erschien dieser Roman »als einziger der für den MMV geschriebenen Romane zuerst in einer Zeitschrift (...) und unter Karl Mays Namen«.39 Wir dürfen also - im Vergleich zu den anderen Münchmeyer-Romanen - eine höhere Identifikation des Autors mit seinem Werk vermuten. Zweitens weisen die anderen Münchmeyer-Romane gewisse Eigenschaften auf, die dagegen sprechen, sie an dieser Stelle exemplarisch auszuwerten. Das ›Waldröschen‹ ist zunächst »mit leichter Hand entworfen, munter dahinfabuliert«,40 danach »erleben wir (...) einen Karl May, der plötzlich sein Konzept revidierte, und sich dabei verzettelte«.41 Wo aber das Konzept ständigen Wandlungen unterworfen ist, können wir schlecht nach einem ›Programm‹ suchen.42 Ähnliche Schwierigkeiten sind auch beim ›Verlornen Sohn‹ nicht zu leugnen. »Verschlungene Handlungsfäden, die jäh abreißen, um später wieder geknüpft zu werden, lassen Rahmen-, Haupt- und Nebenerzählung inhaltlich kaum erkennbar werden.«43 ›Der Weg zum Glück‹ steht in einer Reihe mit vielen ›Ludwig‹-Romanen, die nach dem tragischen Tod des ›Märchenkönigs‹ den Markt überfluteten und deren Analyse noch aussteht.44 Zudem verläßt der Roman kaum die Grenzen Bayerns. Es handelt sich dabei um ein Königreich, das sowohl vor als auch nach der Reichsgründung eine Sonderstellung beanspruchte.45 Darum erscheint es uns problematisch, die handelnden Personen im Rahmen unserer Fragestellung als ›Deutsche‹ zu subsumieren.

   Anzubieten scheint sich der Roman ›Deutsche Herzen, deutsche Helden‹, der schon im Titel andeutet, welcher Nationalität die Personen angehören. Im Mittelpunkt steht die Familienzusammenführung derer von Adlerhorst, einer deutsch-englischen Adelsfamilie, deren Angehörige auf diversen Kontinenten ihrer Wiederentdeckung harren.

   Wenn trotzdem an dieser Stelle ›Der Liebe des Ulanen‹ der Vorzug gege-


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ben wird, so liegt das an der speziellen Thematik des Romans. Gerade das Verhältnis zu Frankreich spielt im deutschen Sprachraum im Verlauf des 19. Jahrhunderts eine wesentliche Rolle46 und bildet den Handlungsraum für drei Generationen derer von Königsau. Spielt ›Der beiden Quitzows letzte Fahrten‹ gewissermaßen in einem historischen Parallelraum zur Reichsgründung, so endet ›Die Liebe des Ulanen‹ kurz vor derselben. Der Vergleich von historischem und zeitgenössischem Handlungsraum scheint uns am ergiebigsten zu sein.

   Wir wollen unter Berücksichtigung dessen, was über die Erzählanfänge Mays bekannt ist,47 zunächst das erste Kapitel von ›Die Liebe des Ulanen‹ analysieren.

   Was oben in bezug auf die Personalisierung von Geschichtsschreibung festgestellt wurde, wird auch in ›Die Liebe des Ulanen‹ bestätigt. Das erste Kapitel des, so der Untertitel, ›Original-Romans aus der Zeit des deutsch-französischen Krieges‹ lautet ›Zwei Gegner‹ und läßt den französischen Grafen Oberst Rallion und den deutschen Rittmeister Hugo von Königsau alias Dr. Andreas Müller aufeinanderprallen. Diese Konfrontation ist nur in zweiter Linie eine nationale, in erster Linie ist sie eine persönliche, die durch grundlegende Charaktereigenschaften hervorgerufen wird. Schon der Untertitel des Romans zeigt, daß der Begriff ›deutsch-französischer Krieg‹ temporal und nicht thematisch aufzufassen ist. ›Aus der Zeit‹ weist auf den Handlungszeitraum hin; wir können daraus nicht zwangsläufig ableiten, daß es sich um eine romanhafte Schilderung des Krieges handelt.

   Während einer fahrplanmäßigen Moselfahrt von Koblenz nach Trier treffen einige Personen zu- und aufeinander, die im späteren Romanverlauf wichtige Rollen zu spielen haben. Eine Gesellschaft junger Herren belästigt die Mitreisenden durch rücksichtsloses Verhalten und lärmende Gesprächsführung. Unter diesen hebt sich eine Person besonders hervor.


Einer von ihnen, welcher ein riesiges Monocle in das Auge gepreßt hatte, deutete mit seinem Stöckchen auf das Ufer und sagte so laut, daß es Jedermann hören konnte:

    »Lieber Graf, ist es nicht eine Schande, daß ein so schöner Fluß und ein so reizendes Land unserem Frankreich noch immer vorenthalten wird? Wann endlich werden wir einmal marschiren, um uns die linke Seite des Rheines, welche uns gehört, zu holen. Ich hasse die Deutschen!« ...

   »... Diese Herren Spießbürger sind sehr ungefährlich. Ein Kampf mit ihren tapferen Heerschaaren müßte ein wahres Vergnügen sein. Ich bin überzeugt, daß wir im Falle eines Krieges mit ihnen einen sehr unterhaltenden Spaziergang nach Berlin machen würden.«48


›Die Promenade nach Berlin‹ wurde von den Vertretern der deutschen Staaten als synonymer Ausdruck für die unbegründete Überheblichkeit Frankreichs interpretiert und entsprechend in der Propaganda verwertet.49 Der Ausdruck entstand in Frankreich im Zusammenhang mit der Kriegser-


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klärung vom 19. Juli 1870. Da die Handlung des Romans früher einsetzt, begegnet uns also gleich auf der ersten Seite eine ›Unzeitmäßigkeit‹. Rallion gibt als Grund für einen möglichen Krieg die Eroberung der linken Rheinseite an. Seine vorangegangene Reise durch Deutschland bezeichnet er als Prüfung des Gegenstandes, den man erlangen wolle. Indirekt wird hier auf den Imperialismus angespielt, der den Franzosen aus Sicht der Deutschen zu eigen sein sollte.50

   Dann wird das französische Deutschenbild ausgebreitet: Spießbürgertum, ein langweiliges Volk, roh, grob zugehackt, die Frauen nicht wert, geküßt zu werden. Die letztere Bemerkung von Rallions Gesprächspartner dient lediglich der Überleitung, um die nächsten Hauptpersonen in die Handlung einzuführen: Marion de Sainte-Marie und ihre Freundin Nanon Charbonnier. Erstere soll nach dem Willen ihres Großvaters den Grafen Rallion heiraten, kennt diesen aber noch nicht. Das Gespräch zwischen den beiden jungen Frauen ergibt, daß Marion sich in Berlin in Richard von Königsau verliebt hat, ohne ihn jedoch persönlich kennengelernt zu haben. Dieser befindet sich, als Schullehrer verkleidet, mit Perücke und künstlichem Buckel versehen, auf dem Weg nach Frankreich, um auf Schloß Ortry als Hauslehrer für den Stiefbruder Marions zu arbeiten. Unter dieser Tarnung soll er etwaige Kriegsvorbereitungen ausspionieren. Die erste Rückblende des Romans deutet diesen dienstlichen Auftrag nur vage an: »Also, lieber Königsau, Ihre Instruction haben sie begriffen?« fragte der General. »Sie ist nicht sehr schwer zu verstehen, Excellenz,« antwortete der Gefragte. »Sehr wohl! Den Feldzugsplan müssen Sie sich selbst entwerfen. Ich kann Ihnen dies ohne Furcht überlassen, da ich weiß, was für ein gewandter Taktiker Sie sind.«51

   Ausführlich hingegen wird der Leser im Rahmen dieser Besprechung darüber informiert, daß Königsau die Baronesse liebt, deren Namen er erst im Gespräch mit dem General erfährt: »Ja, Du bist's, Du bist's, nach der ich mich so heiß gesehnt habe. O, nun werde ich Dich sehen; ich werde Deine Stimme hören und in Deiner Nähe sein dürfen! Aber - ach, dieser Oberst, dieser Rallion! Soll er sie bekommen? Er kennt sie nicht und sie ihn auch nicht. Also eine Convenienzheirath, oder vielleicht noch schlimmer. Pah, wir werden jetzt wohl sehen! Anstatt vor einer, stehe ich jetzt vor zwei Aufgaben; ich habe meine Pflicht zu erfüllen und meinem Herzen zu genügen. Laßt uns sehen, wer den Preis erhält, der Franzose oder der Deutsche!«52

   Nachdem er seine Verkleidung angelegt hat, macht er sich auf den Weg nach Trarbach, wo er genau den Gasthof betritt, in dem die Schiffspassagiere die Nacht verbringen. In diesem Gasthof erreicht die Rückblende die Gegenwart, um in einem einzelnen Strang fortgeführt zu werden. Sogleich kommt es zum ersten Zusammenstoß zwischen Oberst Rallion und Königsau/Müller, bei dem letzterer dem Franzosen überlegen ist, nicht körperlich, sondern in bezug auf Verstellungskunst, Selbstbeherrschung und


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Wortgewandtheit. Er läßt alle Demütigungen scheinbar über sich ergehen, bestraft den Oberst für seine Dreistigkeit, indem er beim Billard das Tuch zerfetzt, das dieser dann bezahlen muß, und bleibt am Ende derjenige, der das letzte Wort hat: »Ich bitte öffentlich um Verzeihung, daß der Herr Graf Rallion durch mich nichts fertig bringt als Löcher in's Tuch. Ich hoffe, daß bei der nächsten Parthie nicht wieder ich Derjenige bin, der um Verzeihung bittet. Gute Nacht!«53

   Dieses Rencontre ist nach unserer Auffassung nicht als personalisierter deutsch-französischer Zusammenstoß zu interpretieren. Mag auch Müllers Aussage als versteckte Kriegserklärung an Rallion gelten, so spiegelt sich darin nicht die tatsächliche Kriegserklärung. Diese wurde von Frankreich ausgesprochen. Der Vorwand, unter dem sie erfolgte, war die Bewerbung eines Hohenzollern auf den vakanten spanischen Thron bzw. das Verhalten des preußischen Königs in diesem Zusammenhang. Es handelt sich um eine Kriegserklärung gegen Preußen, wobei Frankreich darauf spekulierte, daß die süddeutschen Staaten sich neutral verhalten würden und daß sich Österreich auf die Seite Frankreichs schlagen würde. Zum deutsch-französischen Krieg wird die Angelegenheit erst, als nach erfolgter Kriegserklärung die norddeutschen Bundesstaaten sowie Bayern und in seinem Gefolge die süddeutschen Staaten Mobilmachung befahlen und sich auf die Seite Preußens stellten. Gleichzeitig erklärte Österreich seine Neutralität.54

   Daß dieser Sachverhalt May bekannt war, wird in der Episode deutlich, in der Hohenthal/Belmonte ein Gespräch zwischen einem französischen Würdenträger und der Gattin Napoleons III. belauscht.


»Ich wage es, mich für vollständig informirt zu halten. Der Deutsche ist uns überlegen.«

   »Das sagt auch dieser Oberst Stoffel. Aber er hat einen deutschen Namen und es fehlt ihm an Scharfsinn. Der Kriegsminister kennt unsere Schlagbereitschaft.«

   »Die Deutschen sind ebenso schlagbereit.«

   »Sie wollen vielleicht sagen, der Preuße!«

   »Ich schließe keineswegs die Süd- und Mitteldeutschen aus.«

   »Pah, man fürchtet sie doch nicht. Der Sachse pflegt die Traditionen, welche ihn mit dem Neffen des großen Kaisers verbinden. Man hofft, daß er neutral bleiben werde.«

   »Ich befürchte das Gegentheil.«

   »Bayern, Würtemberg und Baden trauen einander selbst nicht. Man trennt sie und besiegt sie.«55


Aus diesem Grund sind wir geneigt, das Rencontre zwischen den beiden Männern zunächst als ein persönliches aufzufassen. Und in der Tat finden sich im Verlauf der Handlung reichlich Konfliktsituationen, in denen es nicht um die Rettung des ›Vaterlandes‹, sondern um die Wahrung der per-


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sönlichen Ehre geht, z. B. beim ersten Zusammentreffen Gebhardt von Königsaus mit seiner zukünftigen Frau und deren Verwandten.56

   Beim Verlassen des Raumes bzw. auf dem Weg in sein Zimmer trifft Müller auf Marion in all' ihrer Pracht und Herrlichkeit, so wie sich nur die Freundin der Freundin, oder das Weib dem geliebten Manne zeigt.57 Jetzt ist es endgültig um ihn geschehen. Müller gesteht sich ein, daß er Marion liebt, und auch diese glaubt, in ihm den Rittmeister zu erkennen, es wird aber noch rund 1700 Druckseiten dauern, bis die beiden sich endlich in die Arme schließen können. Damit ist einer der Haupthandlungsstränge vorgegeben.

   Während der Schiffsreise am folgenden Tag klären sich die Fronten deutlich, auch werden zwei wichtige Helfer Müllers charakterisiert. Fritz, in Dienstzeiten sein Bursche, beweist durch seine eigenmächtige Verkleidung als junger lothringischer Landmann, daß er ein schlauer und vorsichtiger Kopf war, auf dessen Treue und Verschlagenheit er [Müller] sich vollständig verlassen konnte.58

   Als weiterer Verbündeter wird Dr. Bertrand aus Thionville, Hausarzt auf Ortry, in die Handlung eingeführt. In einer Rückblende in den preußisch-österreichischen Krieg 1866 wird geschildert, wie Königsau diesem das Leben rettete.


»Ich muß Ihnen nämlich sagen, daß ich im letzten deutsch-österreichischen Kriege auf der Seite Oesterreichs als Arzt thätig war. Bei Gitschin passirte es mir, daß ich den Verbandplatz wechselte und dabei vor ein preußisches Ulanenregiment gerieth, welches zur Attaque vorstürmte ... Das heransausende Regiment bildete eine fest geschlossene, eisenstarrende Masse; man sah, es werde unwiderstehlich Alles vor sich niederreißen. In seiner Fronte war nicht die geringste Lücke zu bemerken; ich war verloren und erwartete, im nächsten Augenblicke die stampfenden Pferdehufe auf meinem Körper zu fühlen. Da bemerkte ein Officier meine emporgestreckten Hände; er spornte sein Pferd zu doppelter Eile, in weiten, tigergleichen Sätzen kam er voraus- und herangesprengt, und indem er an mir vorüberschoß, bog er sich zu mir herab, faßte mich mit starker Faust beim Arme, riß mich empor, warf mich vor sich über seine Kniee und nahm nun wieder Fühlung mit den Seinen. Das geschah so exact, so elegant und mit solcher Entwickelung einer ungeheuren Körperstärke, als habe er sich für diesen Fall besonders eingeübt.«59


Königsau beweist also körperliche und geistige Gewandtheit im hohen Maße, verbunden mit tadellosem Benehmen (Marion gegenüber) ist er damit deutlich als Held gekennzeichnet. Er achtet nicht nur die Genfer Konvention (1864), sondern schützt aktiv einen Angehörigen der anderen (in dem Moment feindlichen) Nation. Menschlichkeit steht für ihn also über der Politik und auch über dem soldatischen Gehorsam, da er für seine Rettungsaktion eigenmächtig die anbefohlene Angriffsformation verläßt.

   Was sich aus der Vergangenheit ableiten läßt, beweist er bereits kurz darauf in Aktion. Der Dampfer verunglückt. Die Damen werden von Rallion


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schmählich im Stich gelassen, Müller und Fritz retten die beiden Damen schwimmend ans Ufer. In diesem Handlungszusammenhang beweist Fritz, daß er Müller in puncto körperlicher Gewandtheit in nichts nachsteht. Rallion aber deklassiert sich in Marions Augen als Feigling; als Dr. Bertrand ihn wegen seiner Handlungsweise zurechtweist, urteilt er: »Jedenfalls auch ein Deutscher! Es wird hohe Zeit, daß wir die Faust auf diese rohe Menschenklasse legen.«60

   Mit dieser Aussage beweist er neben der nationalen Überheblichkeit vor allem auch die Unfähigkeit, an seinem Charakter zu arbeiten. Im Rahmen einer Gesamtanalyse des Romans, die hier den Rahmen sprengen würde, wird zu prüfen sein, ob diese Gegensätzlichkeiten zwischen Müller und Rallion zwei Nationalcharakteren zuzuordnen sind oder ob es sich um zwei Helden- bzw. Antihelden-Charaktere handelt. Wir müssen also die Frage stellen: Sind in ›Die Liebe des Ulanen‹ alle Deutschen charakterstarke Heldenfiguren, während die Franzosen überhebliche Feiglinge sind, oder funktioniert die charakterliche Aufteilung nach anderen Prinzipien?

   Daß es so etwas wie ›Nationalcharaktere‹ gibt, war im 19. Jahrhundert eine geläufige Vorstellung. In Mays Bibliothek findet sich die sechsbändige ›Völkerpsychologie‹ von Wilhelm Wundt.61 Bereits seit 1860 erschien regelmäßig die ›Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft‹, in der u. a. Fragen der ›Nationalcharaktere‹ erläutert wurden. So kann es uns nicht verwundern, wenn May im ›Ulan‹ (ab?-)schreibt:


Der Deutsche ist der Phlegmatiker in der europäischen Völkerfamilie. Unter seinem ruhigen, anspruchslosen, scheinbar gleichgiltigen und träumerischen Wesen verbirgt sich eine außerordentlich kraftvolle, widerstandsfähige Constitution. Seine sprichwörtlich gewordene Geduld giebt ihm den Anschein eines Menschen, den man ungestraft am Barte zausen könne; aber unter dieser äußeren Ruhe verbirgt sich ein reges Ehrgefühl, welches, wenn rücksichtslos beleidigt, sich plötzlich gewaltig emporbäumt, und dann pflegt der so falsch beurtheilte »deutsche Michel« ein ganz anderer Kerl zu werden. Er geht dann gerade auf seine Feinde los und schlägt mit dem Kolben so machtvoll drein, daß es »fluscht,« wie der alte Blücher zu sagen pflegte. In solchen Fällen pflegt der sonst so stäte Germane sogar eine Beweglichkeit zu entwickeln, gegen welche die sogenannte »affenartige Behendigkeit« der französischen Gamins nicht aufzukommen vermag.62


May gibt jedoch auch entgegengesetzten Überlegungen Raum. In Zusammenhang mit dem von Capitän Richmonte eingefädelten betrügerischen Erwerb der Königsauschen Güter erläutert Hugo von Königsau die Gründe für die unterschiedlichen ökonomischen Fähigkeiten in Frankreich und Deutschland.


»In der Bewirthschaftung größerer Complexe sind die Deutschen den Franzosen doch entschieden überlegen. Finden Sie das nicht auch, Herr von Königsau?«


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   Der Gefragte antwortete langsam und bedächtig:

   »Ich möchte das nicht so ungeprüft gelten lassen, denn es entgehen mir die Erfahrungen, um hier einen entscheidenden Vergleich ziehen zu können. Wollte ich nach Ihren Worten gehen, so müßte ich schließen, daß die Franzosen uns in der Bewirthschaftung kleinerer Liegenschaften überlegen sind.«

   »Das ist es, was ich meine.«

   »Nun, das liegt doch wohl weniger in den individuellen Eigenschaften, oder gar in der Verschiedenheit des Nationalcharakters, sondern vielmehr an den wirthschaftlichen Zuständen der beiden Länder. Frankreich ist ein Wein bauendes Land, und bei dieser Art der Fruchtgewinnung ist der Parzellenbau ein einträglicherer.«63


Bereits anhand der wenigen Beispiele läßt sich konstatieren, daß May Unterschiede im Wesen der Angehörigen unterschiedlicher Nationen macht. Daraus resultiert die Frage, ob diese Unterschiede eine Wertung beinhalten: Ist der ›deutsche Charakter‹ besser als der französische?

   Zumindest teilweise wird diese Frage von den handelnden Personen selbst beantwortet. Fritz Schneeberger meint: »Ich lasse alle Nationalitäten gelten. Ich bin kein Menschenfresser. Jedes Individuum und so auch jedes Volk hat die Berechtigung zu existiren. Man verkehrt, wenn man ein gebildeter Mann ist, mit jedem Menschen höflich; in ganz derselben Weise so auch die Völker unter einander verkehren.«64 Der dicke Maler Hieronymus Schneffke ist derselben Auffassung: »Also! Alle Menschen sind Vettern, und alle Deutschen sind Brüder.«65

   Das zweite Kapitel trägt den Titel ›Ein Veteran‹ und stellt den Lesern den eigentlichen Hauptschurken vor. Seine Physiognomie bzw. seine Körpersprache weisen ihn sofort als unangenehmen Zeitgenossen aus:


Oefters jedoch stieg eine lange, hagere, weißköpfige Gestalt vom Schlosse hernieder, um, ohne ein Wort zu sagen, langsamen Schrittes die Fabrikräume zu durchwandern, und dann flüsterten die Arbeiter einander warnend zu: »Der Capitän geht um!«

   Dieser Capitän war der Vater des Barons. Man erzählte sich, daß er bereits neunzig Jahre alt sei; aber seine Haltung war kerzengerade, sein dunkles Auge noch voll Leben, und sein Mund noch voll der schönsten Zähne. Diese Letzteren bemerkte man, wenn er sich in zorniger Stimmung befand. Er zog dann mit einer fletschenden Bewegung seiner Oberlippe den dicken, schneeweißen Schnurrbart empor, so daß sein starkes, blendendes Gebiß zu sehen war und demjenigen eines Hundes glich, der sich anschickt, sich auf seinen Gegner zu werfen.66


Die Bewohnerschaft von Schloß Ortry entspricht in ihrer Charakterisierung den genretypischen Anforderungen: Der Capitän als Haustyrann, Graf de Sainte-Marie als geistesgestörter Schönling, die Baronin als untreue Kokette, die Baronesse als verfolgte Schöne und ihr Stiefbruder als Plagegeist. Nimmt man dazu den Grafen Rallion als Bewerber um eine


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Geldheirat und den Hauslehrer als solchen um die Liebe der Baronesse, dann ist aus dieser personellen Konstellation die Struktur eines Liebesromans vorgegeben, dessen zu erwartendes glückliches Ende nur darin bestehen kann, daß die Liebe siegt. Der Beginn des zweiten Kapitels enthält jedoch eine Reihe Elemente, die darauf hinweisen, daß es im folgenden nicht nur um den zu erwartenden Sieg der Liebe gehen wird. Ein Turm im Wald, an dem Gespenster hausen sollen, deren Existenz jedoch sogleich wieder in Frage gestellt wird, wird in Verbindung zum Capitän gebracht. Somit ist klar, daß man ihm später auf diversen Schleichwegen wiederbegegnen wird. Die Fabrik dient neben anderem auch Rüstungszwecken:


Seit einiger Zeit hatte sich die Zahl der Arbeiter vermehrt. Es war eine Abtheilung für Feuergewehre errichtet worden. Es langten, man wußte nicht woher, ganze Wagenladungen alter Gewehre an, welchen eine neuere Construction gegeben wurde. Hatten sie diese erhalten, so verschwanden sie, ohne daß die Arbeiter wußten, wer sie abgeholt habe. Dann wurden auch bedeutende Vorräthe von Hieb- und Stoßwaffen geschmiedet, und diese Abtheilung der Fabrik war es, welcher der alte Capitän seine besondere Aufmerksamkeit widmete, allerdings auch, ohne jemals den Mund zu einem lauten Worte zu öffnen.67


Daß diese Waffen gegen Deutschland gerichtet werden sollen, wird mit keinem Wort gesagt und kann zu diesem Zeitpunkt des Romangeschehens allenfalls assoziativ aus dem Untertitel und aufgrund von Müllers Spionageauftrag erschlossen werden. Daß aus Sicht des Capitäns dieser Kampf unvermeidlich erscheint, wird bereits auf der nächsten Seite deutlich, als sich sein Enkel Alexander (der als Franzose eigentlich Alexandre heißen müßte) darüber beschwert, daß er einen Deutschen als Hauslehrer erhalten soll. Dabei unterbreitet der Capitän sein Deutschenbild:


»Aus mehrerlei Gründen, mein Sohn,« antwortete der Alte. »Zunächst zeigten sich Deine bisherigen französischen Lehrer in vieler Beziehung zu selbstständig; diese Deutschen aber sind gewohnt, zu gehorchen; sie sind die besten, die unterthänigsten Dienstleute, weil sie gewohnt sind, keinen Willen zu haben.« ...

   »... ein zweiter Grund ist der, daß diese Deutschen ganz außerordentlich gelehrt sind. Bei deinem neuen Lehrer wirst Du in einer Woche mehr lernen als früher in einem Monat.«

   »Das heißt ja beinahe, daß die Franzosen gegen die Deutschen dumm sind!«

   »Nein. Wir sind die Meister im practischen Leben; sie aber träumen gern; sie hocken über ihren Büchern und wissen vom wirklichen Leben nichts. Dieser Doctor André Müller wird vom Fechten, Reiten, Schwimmen, Tanzen, Exercieren, Jagen, Schießen, Conversiren und vielen anderen nothwendigen Dingen gar nichts verstehen, aber er wird Dir von Griechenland, Egypten und China Alles sagen können, obgleich er kaum wissen wird, wie groß Paris ist, und daß wir bei Magenta die Oesterreicher geschlagen haben. Die Hauptsache ist, daß Du bei


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ihm die deutsche Sprache sehr bald, sehr leicht und sehr vollständig erlernen wirst.« ...

»Es wird die Zeit kommen, und sie ist vielleicht sehr bald da, daß unsere Adler steigen werden, wie zur Zeit des großen Kaisers. Sie werden über den Rhein hinüberfliegen und Deutschland mit ihren scharfen, siegreichen Krallen ergreifen. Dann werden wir über das Land herrschen, welches einst uns gehörte, uns vom Unglücke aber für einige Jahre wieder entrissen wurde.«68


Was das Bild eines deutschen Schulmeisters angeht, so beweist Müller bereits auf den nächsten Seiten, daß sich der Capitän in bezug auf ihn gründlich geirrt hat. Die in der dritten Lieferung erfolgreich abgelegte Probe seines Könnens bestätigt im erhöhten Maße das Bild, das sich die Leser bereits machen konnten. Wir könnten nun eine weitere Assoziationskette bilden: So wie der einzelne Deutsche dem einzelnen Franzosen seine Überlegenheit zeigt, so zeigt ganz Deutschland Frankreich seine Überlegenheit im Krieg von 1870/71. Diese Überlegung kann nur retrospektiv funktionieren, denn im Handlungszeitraum ist Müller ein preußischer und kein ›deutscher‹ Offizier. Für zeitgenössische Leser Mitte der 80er Jahre bietet die Probensituation - sofern sie in nationalen Kategorien denken - die genannte Interpretation durchaus an. Wir dürfen dabei aber nicht übersehen, daß die Nationalität im Moment des Probenendes keine Rolle spielt. Zwar ist der Capitän im Verlauf der Probenhandlung der Meinung, »daß ein Deutscher es mit keinem Franzosen aufnimmt«69 (im Fechten); nachdem ihm dieser unverzüglich das Gegenteil beweist, ist das jedoch kein Thema mehr. Der Capitän urteilt: »Monsieur Müller, Sie sind ein ganzer Fechter. Man hat sich trotz Ihrer - hm, Unbefangenheit vor ihnen in Acht zu nehmen. Sie haben Ihre Probe excellent bestanden; ich vertraue Ihnen meinen Enkel an.«70

   Erneut machen wir die Beobachtung, daß die Persönlichkeit des Helden das wichtigere Element ist. Auch die soziale Stellung des einzelnen ändert daran nichts. Marion de Sainte-Marie gibt dieser Überzeugung im Gespräch mit Müller Ausdruck: »Sie sind mein Retter und auch der Retter meines Bruders; wie sollte ich Sie kränken wollen! Uebrigens stehen wir uns vollständig gleichwerthig gegenüber. Nur der Zufall ließ mich von Adel sein; Sie aber haben Ihre Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen Ihrem Fleiße zu verdanken. Der Bruder soll von Ihnen lernen; sagen Sie selbst, ob dies Ihren Werth für uns vermindern oder vergrößern muß!«71

   In verschiedenen Rückblenden führt die Romanhandlung durch drei Generationen der verfeindeten Familien sowie deren jeweiligen Verbündeten bzw. Freunden. Die Handlung, d. h. persönliche Konfrontationen, Liebesabenteuer, Intrigen etc. nehmen dabei den weitaus größten Raum ein. Ähnlich wie schon bei den ›Quitzows‹ stellen die historischen Zusammenhänge nicht mehr als einen Hintergrund dar, vor dem die Personen agieren. Dabei fällt auf, daß May vergleichsweise schlampig recherchiert hat. So unterhalten sich zwei französische Offiziere über den Veteran der Befrei-


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ungskriege Hugo von Königsau, den Großvater von Richard alias Müller, »... welcher zuerst unter dem Verräther Lützow und sodann unter Blücher gekämpft hat und in der Schlacht bei Belle Alliance verwundet worden ist«.72

   Über diese Schlacht bzw. über ihre unterschiedlichen Bezeichnungen führt ein Teilnehmer in seinen Lebenserinnerungen aus:


Napoleon nennt diese Schlacht Mont Saint Jean. Die Höhen dieses Dorfes bildeten die letzte Position der Engländer. Hier lag für ihn die Entscheidung. Sie Waterloo zu nennen, ist kein Grund vorhanden; dieses Dorf hat keinen Feind, kein Gefecht, keine Aufstellung gesehen. Es liegt 11/2 St. vom Schlachtfelde. Belle-Alliance ist unstreitig der bezeichnendste Name. Als Blücher von Saint Lambert her das Schlachtfeld und den Kampf sah, gab er seiner Hauptmacht den Befehl, gegen das Wirtshaus la belle Alliance die Direction zu nehmen. Sie ging darauf los, machte den Engländern Luft und erfocht hier den Sieg. Dann sagt Blücher in seinem Armeebefehle: Hier trafen die beiden Feldherren zusammen und begrüßten sich als Sieger. Daher heiße die Schlacht la belle Alliance.73


Wenn also Mays Franzosen die deutsche Bezeichnung der Schlacht verwenden, kann May nur eine deutsche Quelle benutzt haben, ohne zu realisieren, daß der Name in Frankreich ein anderer war.

   Ähnliches gilt für die Episode um die Kriegskasse von Ligny. Von dieser wird berichtet, daß die Franzosen sie im Vorfeld der Schlacht von Ligny versteckt hätten.74 Hugo von Königsau entdeckt die Kasse, kann sie anderweitig verbergen, sich später aber an das neue Versteck nicht erinnern: eine der üblichen Schatzsuche-Erzählungen mit maytypischen Verwicklungen. Die Kriegskasse von Ligny hat es jedoch tatsächlich gegeben. Aber anders als von May angegeben, wurde sie von den deutschen Truppen aufgegriffen und mitgenommen. Außerdem fand die Schlacht von Ligny zwei Tage vor der von Belle Alliance/Waterloo statt und nicht bereits ein Jahr vorher, wie May berichtet.75

   Wir können in diesem Zusammenhang nicht entscheiden, ob derartige Ungenauigkeiten auf Zeitmangel bei der Recherche oder auf ein Desinteresse am Militärwesen zurückzuführen sind. Hierzu müßten alle Schilderungen von Kriegshandlungen auf die zeitgenössischen Quellen zurückgeführt werden, um zu überprüfen, ob die herausgestellten Ungereimtheiten Einzelfälle sind oder ob sie als beispielhaft gelten können. Eine Beobachtung läßt sich jedoch durchgängig machen: Schlachtengeschehen und Truppenbewegungen haben im Romanverlauf nur dann Bedeutung, wenn sie den Aktionsradius der Hauptpersonen betreffen. Diese ordnen sich mit ihren Handlungen niemals dem Kriegsgeschehen unter, sondern agieren selbständig. Das gilt sowohl für die Schlacht bei Gitschin,76 in der Richard von Königsau Dr. Bertrand das Leben rettet, als auch für die Kämpfe um Schloß Malineau77 oder die Schlacht bei Vionville-Mars La Tour.78 In Mays Schil-


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derung des Schlachtfeldes ist weder Patriotismus noch Kriegsbegeisterung zu spüren.


Das Schlachtfeld, über welches die Beiden nun ritten, war ein solches, wie es selbst die Ebene von Leipzig nicht aufzuweisen hat, ein breit gedehntes, wellenförmiges Hochplateau. Man sah es, daß es nicht eine Schlacht, sondern ein Schlachten gewesen war.

   Der Kampf hatte die Spuren einer wahrhaft grauenvollen Vernichtung hinterlassen. Die Felder waren mit Leichen förmlich bedeckt. Weithin schimmerten die rothen Hosen der Feinde, die weißen Lützen der stolzen, zurückgeworfenen Kaisergarde, die Helme der französischen Kürassiere. Im Wirbelwinde jagten die weißen Blätter der französischen Intendanturwagen gleich Mövenschaaren über das Feld. Die Waffen blitzten weithin im Sonnenglanze; aber die Hände Derer, welche sie geführt hatten, waren kalt, erstarrt, im Todeskampfe zusammengeballt. Mit zerfetzter Brust und klaffender Stirn lagen sie gebrochenen Auges in Schaaren am Boden. Schrittweise war jede Elle des Landes erkämpft worden. Zerschmetterte Leiber, Pferdeleichen, zerbrochene Waffen, Tornister, Zeltfetzen, Chassepots und Faschinenmesser lagen umher. Es war ein so entsetzliches Bild, wie es selbst Magenta, Solferino und Sadowa nicht geboten hatte. ...

   Und in den Dörfern, durch welche die Beiden ritten, sah es noch viel, viel gräßlicher aus als auf dem offenen Felde.79


Diese Schilderung ist weit von einem unreflektierten Hurrapatriotismus entfernt. Auch das aus heutiger Sicht unschöne Wort ›Erzfeind‹ sucht man nahezu vergebens, in wörtlicher Rede handelnder Personen ist es nicht zu finden.80

   Diese Zurückhaltung in bezug auf die militärischen Aspekte der Kriege muß Gründe haben. Sowohl für die Befreiungskriege als auch für den Krieg 1870/71 war eine Chronologie der Ereignisse unschwer zu beschaffen.81 Militärische Erfahrungen hat May nur höchst indirekt durch den Drill seines Vaters erfahren: Vater war bald Leutnant, bald Hauptmann, bald Oberst, bald General; ich aber war die sächsische Armee. Ich wurde erst als »Zug«, dann als ganze Kompagnie einexerziert. Hierauf wurde ich Bataillon, Regiment, Brigade und Division.82 Da bei diesem Exerzieren auch Strafen nicht ausblieben, wollen wir gern glauben, daß es sich um eine doch eher negative Erfahrung gehandelt haben dürfte.

   Ein anderer Punkt scheint uns jedoch wesentlicher: May hat weder den Krieg 1870/71 noch die Reichsgründung direkt miterlebt. Das Jahr 1869 ist geprägt durch die zahlreichen Kleindelikte und sein Herumvagabundieren. Zu diesem Zeitpunkt hat er sich sicherlich nicht mit Politik beschäftigt. Am 3. Mai 1870 tritt er seine Strafe im Zuchthaus Waldheim an,83 also rund zehn Wochen vor Beginn des Krieges. Abgetrennt von allen Informationsmöglichkeiten, kann er von den Ereignissen außerhalb der Zuchthausmauern nicht mehr mitbekommen haben, als offizielle Verkündigungen durch das Anstaltspersonal zuließen. Als er am 2. Mai 1874 entlassen wurde,84 war


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die Reichsgründung längst vollzogen, der Kulturkampf im vollen Gange, und die als ›Gründerkrach‹ bekannt gewordene Wirtschaftskrise hatte das neugegründete Reich bereits wieder erschüttert.85 Anders ausgedrückt: Er betritt das Gefängnis als Sachse und verläßt es als Deutscher, ohne eine Chance erhalten zu haben, sich diese Veränderung wirklich bewußt zu machen.



Der Orientzyklus (1881-1888/92)86


Zwischen 1881 und 1888 verfaßte May sieben Erzählungen für den ›Deutschen Hausschatz‹, die er 1892 für die bei Fehsenfeld erscheinende Buchausgabe als Band I bis VI zusammenstellte und um einen ›Anhang‹ erweiterte.87 Die Zeitschriftenfassung entstand teilweise parallel mit den Münchmeyer-Romanen.88 Es sind nur wenige geringfügige Änderungen zwischen den beiden Ausgaben festzustellen,89 so daß wir als Entstehungszeitraum auch des Textes der Buchausgabe (mit Ausnahme des ›Anhangs‹) die Jahre 1881-1888 annehmen dürfen.

   Held des Orientzyklus ist das erzählende Ich, Kara Ben Nemsi, der uns hier zum erstenmal als Alter ego des Autors entgegentritt.90 Namengebende Person ist Hadschi Halef Omar, wie der Erzähler ausführt:

   Der brave Mensch hatte mich einmal nach meinem Namen gefragt und wirklich das Wort Karl im Gedächtnisse behalten. Da er es aber nicht auszusprechen vermochte, so machte er rasch entschlossen ein Kara daraus und setzte Ben Nemsi, Nachkomme der Deutschen, hinzu.91

   Für unsere Überlegungen ist es unwichtig, ob die Über- bzw. Gleichsetzung von Ben Nemsi - Nachkomme der Deutschen richtig ist,92 uns geht es um die Frage, inwieweit dieser ›Deutsche‹ seiner Nationalität eine Bedeutung beimißt (bzw. welche). Bevor der Name des Ich-Erzählers erstmals fällt, vergehen immerhin mehrere Stunden erzählter Zeit. Zunächst einmal ist er ›Sihdi‹ (Herr), ein ›Giaur‹ (Ungläubiger).93 So bezeichnet ihn Halef, Diener und Wegweiser des Ich-Erzählers, seines Zeichens Moslem. Diese Gegensatzpaarung Christ - Moslem wird beim Auffinden der Spuren im Sand, die zu dem ermordeten Franzosen führen werden, (wiederum von Halef) ergänzt: »Was hast du gesehen, Sihdi?« »Es waren zwei Pferde und ein Kamel.«. »Wer giebt dir etwas für diese Weisheit? Ihr Männer aus dem Belad er Rumi, aus Europa, seid sonderbare Leute!«94

   Wenige Stunden später treffen der Ich-Erzähler (christlicher Europäer) und Hadschi Halef Omar auf die mutmaßlichen Mörder des von ihnen aufgefundenen Franzosen. Hier nun legitimiert sich der Ich-Erzähler selbst: »... ich gehöre zu den Beni-Sachsa.«95 Wir könnten unterstellen, daß May in nationalen Kategorien denkt, und diese Aussage als das übliche Understatement des omnipotenten Helden abtun, doch spricht einiges gegen diesen Versuch. Zum Understatement gehören auch immer die Demaskierung


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und die Freude an der Überraschung des Getäuschten. Abgesehen davon, daß dieser Überraschungseffekt im Sinne von ›nicht Sachse, sondern Deutscher‹ ausbleibt, spricht noch etwas anderes dagegen. Zu diesem Zeitpunkt der Erzählung hat sich der Ich-Erzähler zwar bereits durch seine logischen Schlußfolgerungen im Rahmen des Kriminalfalles ›toter Franzose‹ bewährt, doch diese Überlegenheit bezieht sich nur auf seinen Begleiter Halef. Der zeitgenössische Leser hat bis dato keinen Hinweis auf eine ›Omnipotenz‹ erhalten und kann diese auch nicht aus einem Gesamtwerk erschließen, wie es dem heutigen Rezipienten möglich ist. Um die Aussage in ihrem Kontext zu werten, muß alles Wissen über die Old-Shatterhand-Legende, über die Identität von Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi etc. beiseite gelassen werden. Und, so wollen wir vorsorglich hinzufügen: Wir ignorieren in diesem Zusammenhang auch alle Spiegelungs-Qualitäten der übrigen Personen, insbesondere Halef nehmen wir als das, was er auf der Abenteuerebene zu sein hat: ein armer moslemischer Araber von geringer Bildung und desto größerer Geltungssucht, dabei treu, mutig und listig.

   Wir halten also fest: Der Ich-Erzähler bezeichnet sich zu diesem Zeitpunkt des Geschehens nicht als ›Sohn der Deutschen‹, sondern als Angehörigen des ›Stammes der Sachsen‹. Die Namensgebung ›Ben Nemsi‹ erfolgt durch den Angehörigen einer außereuropäischen Kulturgruppe, Halef, gewissermaßen in pars-pro-toto-Funktion. Schon bevor der namensgebende Akt erzählt worden ist, wird diese Methode an dem Toten in der Wüste praktiziert:

   »Was findest du?« fragte Halef. »Dieser Mann ist kein Ibn Arab*).« [Fußnote: *) Araber.] »Was sonst?« »Ein Franzose.« »Ein Franke? Ein Christ?«96

   Halef reagiert hier nach einem durchaus üblichen Beschreibungsmuster: je weiter die geographische Entfernung zum beschriebenen Objekt, desto allgemeiner und ungenauer die Beschreibung. Die Bezeichnungen Nemsi und Franke werden gewissermaßen als die nächst kleinere Einheit zu ›Europäer‹ bzw. ›Abendländer‹ aufgefaßt. Die Ersterwähnung des Namens steht zudem in einem Rahmen, der auf nichts weniger als auf eine Omnipotenz des Ich-Erzählers hindeutet.


»Das ist Kara Ben Nemsi, ein großer Taleb aus dem Abendlande, der mit den Vögeln redet und im Sande lesen kann. Wir haben schon viele große Thaten vollbracht; ich bin sein Freund und Diener und soll ihn zum wahren Glauben bekehren.«

   Der brave Mensch hatte mich einmal nach meinem Namen gefragt und wirklich das Wort Karl im Gedächtnisse behalten. Da er es aber nicht auszusprechen vermochte, so machte er rasch entschlossen ein Kara daraus und setzte Ben Nemsi, Nachkomme der Deutschen, hinzu. Wo ich mit den Vögeln geredet hatte, konnte ich mich leider nicht entsinnen; jedenfalls sollte mich diese Behauptung ebenbürtig


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an die Seite des weisen Salomo stellen, der ja auch die Gabe gehabt haben soll, mit den Tieren zu sprechen. Auch von den großen Thaten, die wir vollbracht haben sollten, wußte ich weiter nichts, als daß ich einmal im Gestrüppe hängen geblieben und dabei gemächlich von meinem kleinen Berbergaule gerutscht war, der diese Gelegenheit dann benutzte, einmal mit mir Haschens zu spielen.97


Diese Fremdbezeichnung wird erst im Rahmen des Zusammenstoßes mit dem Wekil von Kbilli zur Eigenbezeichnung.

»Und wer bist du selbst?« »Du hast es ja gelesen!« »Ich habe es nicht gelesen.« »Es steht in meinem Passe.« »Er ist mit den Zeichen der Ungläubigen geschrieben. Von wem hast du ihn?« »Von dem französischen Gouvernement in Algier.« »Das französische Gouvernement in Algier gilt hier nichts. Dein Paß hat den Wert eines leeren Papieres. Also, wer bist du?« Ich beschloß, den Namen zu behalten, welchen mir Halef gegeben hatte. »Ich heiße Kara Ben Nemsi.«98

Der Wekil kennt die ›Nemsi‹ nicht. Auf die Frage, wo diese wohnen, antwortet Kara Ben Nemsi: »Vom Westen der Türkei bis an die Länder der Fransezler und Engleterri.«99 Mit dieser Beschreibung ist ein geographischer, kein politischer Raum (›Nemsistan‹) gekennzeichnet. Das wird im Verlauf des weiteren Streitgespräches deutlich. Kara Ben Nemsi bezeichnet sich selbst als »... Giölgeda senin kyralün, einer, der im Schatten seines Königs wandelt«.100 Damit kann nicht Wilhelm I. gemeint sein, der zwar preußischer König, aber vor allem ›Deutscher Kaiser‹ war. Wenn der ›Beni Sachsa‹ sich als einem König untertänig bezeichnet, kann damit nur der sächsische König gemeint sein.101 Um eine Verwechslung der Begriffe ›Kaiser‹ und ›König‹ kann es sich nicht handeln. Es hätte May ja freigestanden, den Kaiserbegriff analog zu dem Napoleons, dem ›Sultan el Kebihr‹, zu definieren. Daß diese Unterscheidung zwischen Regionalität und Nationalität nicht unserer eigenen Spitzfindigkeit entspringt, verdeutlicht die Szene am Nil zwischen Kara Ben Nemsi und dem Diener Isla Ben Mafleis.


»Du bist unverbesserlich, wie es scheint. Diese Melodie gehört zu einem deutschen Liede.«

   »Oh, Effendi, was weißt du von Deutschland!«

   »Das Lied heißt: »Was kraucht nur dort im Busch herum? Ich glaub', es ist - - -«

   »Hurrjes, wat is mich denn dat!« unterbrach er mich mit jubelndem Tone, da ich diese Worte in deutscher Sprache gesprochen hatte. »Sind Sie man vielleicht een Deutscher?«

   »Versteht sich!«

   »Wirklich? Ein deutscher Effendi? Woher denn, wenn ich fragen darf, Herr Hekim-Baschi?«

   »Aus Sachsen.«

   »Een Sachse! Da sollte man doch gleich vor Freede 'n Ofen einreißen! Und Sie sind man wohl een Türke jeworden?«


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   »Nein. Sie sind ein Preuße?«

   »Dat versteht sich! Een Preuße aus'n Jüterbock.«102


Dieses gemeinsame ›Deutsch-Sein‹ bezieht sich zunächst auf die gemeinsame deutsche Sprache. Dann aber wird sofort das Herkommen hinterfragt. Hier treffen sich ein Sachse und ein Preuße. Diese Tatsache entspricht durchaus der politischen Wirklichkeit im Umfeld der Reichsgründung. Rein führt dazu aus:


Das Amt des neuen Kaisertums war ein nationales und darin eine selbständige neue Schöpfung - wenn auch die philosophischen Historiker in Norddeutschland meinten: Kaisertum und Nationalität das schlösse sich gegenseitig aus. ›Kaiser der Deutschen‹ hatte, revolutionär nach französischem Muster, das Parlament von 1848/49 gesagt. Jetzt hieß das Oberhaupt: ›Deutscher Kaiser‹ - nicht ›Kaiser von Deutschland‹ -, das schnitt jeden gesamtdeutschen Anspruch ab. Der ›deutsche Kaiser‹ sollte nichts anderes sein als die Bezeichnung für die Spitze des Bundes zwischen Norddeutschland und Süddeutschland, die Erhebung des ›neutralen Präsidiums‹ ins greifbar Persönliche. Das deutsche Volk sah in dieser ›Bundeskrone‹ die sichtbar gemachte Wiederherstellung deutscher Einheit, den ›geschichtlichen Schlußstein‹ eines mehr als hundertjährigen Neubaues.103


Wilhelm hatte sich lange gegen dieses Kaisertum gewehrt. Bereits 1848/49 hatte sein Bruder die ihm angetragene Würde ausgeschlagen, weil er sich zuvorderst in einer preußischen Tradition sah. Die Reichsgründung in Versailles war eine politische Notwendigkeit, der Wilhelm sich pflichtbewußt beugte, wohl wissend, daß er damit die preußische Tradition seines Hauses brach. Nicht umsonst hat er niemals eine Kaiserkrone getragen. Sie existiert nur ikonographisch, z. B. in dem von Wislicenus geschaffenen Gemäldezyklus im Kaiserhaus in Goslar oder als oberer Abschluß des Kaiser-Wilhelm-Denkmals auf dem Kyffhäuser.104

   Entsprechend diesem Bundesgedanken interpretieren wir die Erkennungsszene zwischen dem Barbier aus Jüterbog und Kara Ben Nemsi als Preußen bzw. Sachsen nicht als Lokalpatriotismus, sondern als Ausdruck des genannten Bundesgedankens. Bezeichnenderweise bezieht sich das gemeinsame Element Sprache auf den ehemalig gemeinsamen Feind: Erkennungsmelodie ist ein Kriegslied gegen Napoleon.

   Eine ganz ähnliche Situation findet sich kurze Zeit später, als Kara die Bekanntschaft von Martin Albani macht. Auch hier sind wieder Lieder, also die gemeinsame Sprache, das Erkennungszeichen.105 Albani bewirtet Kara Ben Nemsi mit heimischen Köstlichkeiten. Dabei entwickelt sich ein interessantes Gespräch: Wir aßen mit Lust. »Ich bin ein Sachse,« sagte ich und nannte ihm meinen Namen. »Sie sind in Triest geboren?« »Ja. Ich heiße Martin Albani. ... Haben Sie nicht geglaubt, einen Bayern oder Tyroler in mir zu finden, als Sie mich singen hörten?« »Ja; aber doch fühle ich mich nicht etwa


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enttäuscht - wir sind ja trotzdem Landsleute und freuen uns, einander getroffen zu haben.«106

   Die Frage, die wir aus diesem Dialog zwangsläufig ableiten müssen, lautet: Wieso kann der Ich-Erzähler, unabhängig davon, ob wir die frühen 1870er Jahre als Handlungszeit annehmen wollen oder uns auf das Datum 1881, das Entstehungsjahr, beziehen, einen Triester als Landsmann bezeichnen? Triest gehörte damals zu Österreich-Ungarn. Die ›Landsmannschaft‹ kann sich also nicht auf eine politische, sondern nur auf eine kulturelle Gemeinschaft beziehen. Ob May sich im Zweifelsfall als Verfechter der großdeutschen Lösung geäußert hätte, mag dahingestellt sein. Als ›Sachse‹ dürfte May sich Österreich recht nahe gefühlt haben, denn das sächsische Königshaus hatte familiäre Bindungen zu den Habsburgern, König Johann stand ebenso wie sein Nachfolger Albert politisch an der Seite Österreichs.107 Als Person war May zumindest der böhmische Teil des Vielvölkerstaates Österreich aus seinen Streifereien 1869/70 bekannt.108 Aus seinem ›Faible‹ für Österreich machte er bekanntlich keinen Hehl.109

   Den Angehörigen ausländischer Staaten gegenüber bezeichnet sich Kara Ben Nemsi hingegen als Deutscher, ohne auf seine nähere Herkunft einzugehen. Dies geschieht im Gespräch mit Amscha,110 der (zukünftigen) Schwiegermutter von Halef, ebenso gegenüber Sir David Lindsay,111 den Kurden von Tiah,112 der Presnitzer Harfengruppe113 oder Mohammed Emin, dem er sich als ein Sohn der Uëlad German vorstellt.114 Letzteres ist nur eine Variante von ›Ben Nemsi‹. Ein grundsätzlicher Umschwung in Kara Ben Nemsis Selbstauffassung ist damit nicht verbunden. In ›Durchs wilde Kurdistan‹ wird dies durch sein Gespräch mit dem Kommandanten von Amadijah bestätigt. »Wie heißt das Land, das deinen Tag gesehen hat, Emir?« »Germanistan.« »Hat es einen großen Sultan?« »Es hat sehr viele Padischahs.« »Und viele Krieger?« »Wenn die Padischahs von Germanistan ihre Krieger versammeln, so sehen sie mehrere Millionen Augen auf sich gerichtet.«115

   Nicht der Sultan (Kaiser) ist der entscheidende Herrscher, Deutschland hat viele Padischahs - gleichberechtigte Herrscher müßten wir wohl ergänzen. Hier wird wieder der Bündnischarakter des Reiches hervorgehoben. Auch die Militärverhältnisse gibt May im Prinzip richtig wieder.


Das Verhältnis Sachsens zum Reich während der Bismarck-Ära wird oft falsch eingeschätzt, weil über die Verfassungskonstruktion des Reiches nur ungenügende Vorstellungen herrschen. Den Ländern blieb ein weiter Spielraum eigener Zuständigkeit, weil Bismarck den Bund deutscher Fürsten, als den er das Reich konzipiert hatte, mit großer Rücksichtnahme auf die Empfindlichkeit dieser im Bundesrat zusammengefaßten formalen Träger der Souveränität nicht als zentralistischen, sondern als Bundesstaat betrachtete. Daß der Anschluß Sachsens an den Norddeutschen Bund 1867 und an das Deutsche Reich 1871 keinerlei Veränderungen in seiner staatlichen Struktur zur Folge hatte, zeigt sich schon daran,


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daß die Verfassung von 1831 von diesem wichtigen politischen Schritt keine Notiz nahm und eine Verfassungsänderung nicht notwendig machte. Lediglich die Militärverfassung und die Außenpolitik gingen in die Zuständigkeit des Reiches über, so daß die diplomatischen Beziehungen zu anderen Staaten stark vermindert wurden. Außer den Ämtern der neugeschaffenen Reichspost gab es von 1871 bis 1914 keine Reichsbehörden in Sachsen, die Verwaltung blieb unverändert in ihrer gewachsenen sächsischen Eigenart bestehen, das sächsische Kontingent zum Reichsheer bestand als ein eigenes Armeekorps und somit als eine selbständige militärische Einheit.116


Wir können wohl davon ausgehen, daß sich für die sächsischen Bürger durch die Reichsgründung nichts Wesentliches in ihrem Alltagsleben änderte. Kommen wir in diesem Zusammenhang noch einmal auf die oben gemachte Feststellung zurück, daß May das Gefängnis als Sachse betrat und als Deutscher wieder verließ, so müssen wir jetzt ergänzen, daß diese staatsbürgerliche Änderung zwar formal richtig ist, für die reale Lebenswelt des Autors hingegen ohne Belang war. Er wurde nicht in eine deutlich veränderte staatliche Ordnung entlassen, der er sich hätte anpassen müssen, sondern traf auf institutionelle und wohl auch personelle Kontinuitäten. Darum ist die Selbstdarstellung als Sachse nur konsequent, wie auch das Gespräch mit Schimin, dem Schmied, ›In den Schluchten des Balkan‹ verdeutlicht: »Wirst du nun Zeit haben, mir deinen Namen zu sagen, Effendi?« »Man nennt mich Kara Ben Nemsi.« »So bist du ein Nemtsche, ein Germanly?« »Ja.« »Wohl ein Austrialy oder Prussialy?« »Nein.« »Oder ein Bawarialy?« »Auch nicht. Ich bin ein Saxaly.«117

   Die Tatsache, daß Kara Ben Nemsi ein Deutscher/Sachse ist, hat im Orientzyklus auf verschiedenen Ebenen Auswirkungen. Da ist zunächst die andere Religion. Für die Moslems, auf die er trifft, ist er in erster Linie ein ›Giaur‹, ein Ungläubiger. Wer die Deutschen sind oder was Deutschland ist, spielt dabei eine eher nebensächliche Rolle. Amscha, die also von Napoleon und von dem Ausgang der Freiheitskriege gehört hat, weiß, daß der ›Sultan el Kebihr‹ von den Nemtsche-schimakler*) [Fußnote: *) Nördlichen Deutschen.] und den Nemtsche-memleketler**) [Fußnote: **) Oesterreicher.] besiegt worden ist.118 Auch hier wird wieder auf die kulturelle Gemeinschaft hingewiesen, Deutschland als Sammelbegriff der deutschsprachigen Staaten aufgefaßt. An anderer Stelle finden Kaiser Wilhelm und Bismarck zwar Erwähnung, jedoch nicht als Personen bzw. Politiker, sondern lediglich als Namen, die mit Deutschland assoziiert werden. Dabei stehen sie gleichberechtigt neben Bayern, der Schweiz, der Wolga, der Donau, dem mittelländischen Archipel und dem Bier.119 Ein weiteres Mal wird Wilhelm allein erwähnt, und wieder dient die Erwähnung nur als Assoziationsmarke.120 Beide Male ist es ein Orientale, der durch die Nennung des Namens sein vermeintliches oder tatsächliches Wissen an den Mann bringt. In die gleiche Kategorie gehört die Feststellung, daß Kara Ben Nemsi »... kein Un-


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terthan des Großherrn (ist), sondern zu dem Volk (gehört), welches den großen, siegreichen Krieg gegen die Fransyzler geführt hat«.121

   Der kämpferische Aspekt in Kara Ben Nemsis Dasein ist unter anderem durch seine unübertrefflichen Schußwaffen gegeben. In seiner persönlichen Selbstdarstellung wird diese Überlegenheit jedoch kaum reflektiert. Es gehört zwar zum Charakter des omnipotenten Helden, daß er in den verschiedenen Kampftechniken unbesiegbar ist, dies wird jedoch nicht auf Deutschland übertragen. Wenn einmal von Kampffertigkeit die Rede ist, dann ist die Gegensatzpaarung Orient - Europa. So hat Kara Ben Nemsi z. B. große Lust, dem »Vater des Säbels« die Ueberlegenheit der europäischen Waffenführung zu beweisen.122 Auch gegenüber Mohammed Emin thematisiert er die europäische Kriegskunst und zwar mit dem Ziel, durch den Überraschungseffekt der ungewohnten Taktik Blutvergießen zu verhüten bzw. zu begrenzen: Jetzt erhob ich mich, um eine Rede zu halten, eine Rede über europäische Kriegskunst, ich, der Laie im Kriegswesen. Aber ich mußte mich ja für diesen braven Stamm der Haddedihn interessieren. Ich hielt es keineswegs für eine Versündigung an dem Leben meiner Mitmenschen, wenn ich mich hier beteiligte; es lag vielmehr wohl in meiner Hand, die Grausamkeiten zu mildern, welche bei diesen halbwilden Leuten ein Sieg stets mit sich bringt.123

   Zu dieser Einstellung paßt es auch, daß er der Kriegsbegeisterung des Engländers Sir David Lindsay sogleich sarkastisch einen Dämpfer aufsetzt.

   »Ah! Kein wilder Angriff, sondern militärische Körper! Evolution! Choc! Taktik! Strategie! Feind umzingeln! Barrikade! Prächtig! Herrlich! Ich auch mit! Ihr seid General, ich bin Adjutant!« »Würden uns beide wundervoll ausnehmen in diesen Stellungen! Ein General, der von der Kriegsführung so viel versteht, wie das Flußpferd vom Filetstricken, und ein Adjutant, der nicht reden kann!«124

   Beim Kampf im Tal der Stufen bleibt er nur deshalb nicht am Verbandsplatz zurück, weil das wie Feigheit ausgesehen hätte, erbittet sich aber den Posten, auf dem vermutlich keine Schwierigkeiten und Kampfhandlungen zu erwarten sind.125

   Nur selten thematisiert May im Orientzyklus deutsche Politik. Wie Eckehard Koch in bezug auf die ›orientalische Frage‹ ganz richtig ausgeführt hat, hebt er politische Streitpunkte gern auf eine religiöse Ebene, er hat »die Stimmung im Deutschen Reich zwar übertrieben dargestellt, aber vom Prinzip her nicht falsch getroffen«.126

   Im Streitgespräch mit Schimin, dem Schmied, wird ebenso wie später in der Vorrede zu ›Winnetou I‹ (1893) eine Absage an den Imperialismus deutlich. Wenn May in diesem Zusammenhang die Deutschen ausnimmt,127 so dürfen wir ihm deswegen nicht unterstellen, daß er die Augen vor der Wirklichkeit verschließt. Die Stichworte ›Militarismus‹ und ›Imperialismus‹, die im Zusammenhang mit dem Kaiserreich so oft fallen, beziehen sich vor allem auf die Ära Wilhelms II. Zwar hat Bismarck 1884 die von


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den Kaufleuten F. A. Lüderitz und C. Peters erworbenen Gebiete zu ›Schutzgebieten des Deutschen Reiches‹ erklärt, doch stand er solchen Tendenzen eher ablehnend gegenüber, erst die Gründung des ›Alldeutschen Vereins‹ 1890 änderte das Bild, wobei festzuhalten ist, daß die Menge der kolonialen Neuerwerbungen im Verhältnis zu denen der anderen europäischen Kolonialmächte nur gering war.128

   1987 stellte Peter Krauskopf den Kampf im ›Tal der Stufen‹ versuchsweise in den Zusammenhang der Bismarckschen Schutzgebietspolitik, um der These sogleich selbst zu widersprechen. »Der Sohn der Deutschen hat den Einheimischen den Schutz gewährt, um den sie gebeten haben. Den Interessenten der imperialistischen Mächte England und Türkei sind Grenzen gesetzt worden, nun könnte die eigene Ausbeutung beginnen. Doch Karl May war nicht Politiker, sondern Literat; ihm brachte der Sieg keine Kolonie, sondern eine Legende.«129 Krauskopfs Analyse zielt damit zu Recht auf den gleichen Punkt, der wir bereits mehrfach angesprochen haben, daß nämlich die Person stets wichtiger ist als deren Nationalität. Wenn er mit Jochen Schulte-Sasse David Lindsay als Vertreter des »typisch deutschen Antimaterialismus«130 kennzeichnet, so wollen wir ergänzen: Lindsay kommt während seines gesamten Auftretens im Orientzyklus nicht dazu, seine Absicht, einen Fowling Bull auszugraben und ihn dem Britischen Museum zu schenken, in die Tat umzusetzen. Seine ›Verwalterhacke‹, Sinnbild dieser Absicht, ist zwar immer mit dabei, aber als Werkzeug tritt sie nur einmal in Aktion, beim Ausgraben der gefangenen Dschesidi auf der Tigrisinsel.131 Weiterhin ist anzumerken, daß Kara Ben Nemsi kein Emir in (s)einem Lande ist.132 Er zieht nicht aus, um zu töten, seine Mission ist religiöser Natur;133 diese Tatsache korrespondiert mit den Feststellungen bezüglich der ›orientalischen Frage‹.


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Es stellt sich die Frage, inwieweit der Befund aus dem Orientzyklus sich mit anderen Reise- und auch mit den Jugenderzählungen deckt. Im ersten Winnetou-Band erkennen sich der Ich-Erzähler und Klekih-petra als Landsleute,134 ohne jedoch die regionale Herkunft festzustellen. Klekih-petras Lebensbeichte im Anschluß dieser Erkennungsszene läßt den Schluß zu, daß May Revolutionen nicht als adäquates Modell politischer Auseinandersetzung betrachtete, doch ist diese Tatsache unabhängig von der Nationalität zu betrachten. Sensibilisierte Leser am Ausgang des 20. Jahrhunderts mögen dieser Art von ›Untertanengehorsam‹ zwar zu Recht mit Mißtrauen begegnen, doch geht es uns hier nicht um eine retrospektive Definition typisch deutscher Eigenschaften, sondern um die Frage, was May durch seine Figuren als ›deutsch‹ postuliert. Die gleiche Aussage gilt übrigens auch für das Gespräch mit dem Polen Dozorca in Bagdad im ersten Band von ›Im Reiche des silbernen Löwen‹.135 Beide Gespräche kreisen nicht um


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politische, sondern um religiöse Fragen. Was Klekih-petra kurz vor dem Ende seines Lebens berichtet, erleben wir bei dem Polen als im Entstehen: die (Wieder-)Findung des Glaubens an Gott. Insofern deckt sich der Befund durchaus mit dem Orientzyklus.

   Auch der Regionalitätsfaktor bleibt ein bestehendes Element, das sich jedoch nicht auf Old Shatterhand selbst bezieht, sondern im wesentlichen auf verschiedene Westmänner sächsischer Herkunft. In ›Der Schatz im Silbersee‹ (1890/91) erkennen sich Old Firehand und der schwarze Tom als Deutsche, ohne die regionale Herkunft zu hinterfragen.136 Anders bei Tante Droll, sie stammt aus dem Altenburgischen.137 Die genaue Herkunftsbestimmung zielt auf die Verwandtschaft mit Hobble-Frank. Noch in der relativ späten Erzählung ›Der Schwarze Mustang‹ (1896/97) treffen die Vettern Timpe aufeinander, ohne sich zu kennen, identifizieren einander als Deutsche und stellen sofort die genaue Herkunft fest.138 Als Old Shatterhand Hobble-Frank mit den Vettern bekannt macht, betont er das genaue Herkommen erneut: »Sie wollten mir vorhin eene Freede machen.« »Ja, und zwar dadurch, daß ich dir in diesen beiden Herren zwei Landsleute vorstelle.« »Was, wirklich? Also Deutsche?« »Sogar Sachsen!«139

   Es wäre zu prüfen, inwieweit es sich dabei um eine Ableitung auf verschiedene Ich-Derivate handelt, also um einen psychologisch bedingten Vorgang, und inwieweit mit steigender Popularität des Autors tatsächlich eine verstärkte Identifikation mit dem ›Deutschen Reich‹ stattfindet. Die Erkennungsszene zwischen Hobble-Frank und dem Dicken Jemmy im ›Sohn des Bärenjägers‹ (1887) läßt auf letzteres schließen. Auf die Frage, ob er seine Sprache verlernt habe, antwortet Frank: »Ich? Meine Schprache verlernt? ... Ich bin een Deutscher und bleib een Deutscher, zumal wir jetzt nu eenen Kaiser haben.«140

   Wenig später bezieht er seine ›nationalen Vorzüge‹ hingegen wieder auf Sachsen: »Wir Sachsen sind als die urgemütlichsten Germanen bekannt, aber unsere nationalen Vorzüge können uns doch nimmermehr verpflichten, uns nächtlicher Weile, wenn die Schterne vom Himmel schtrahlen, ungeschtraft bestehlen und lahm schießen zu lassen.«141

   In ›Der Geist der Llano estakata‹ (1888) legt Winnetou dem Häuptling der Shoshonen dar, daß die Deutschen nicht gekommen sind, um die Indianer zu vertreiben:


»Old Shatterhand gehört zu demjenigen Stamme der Bleichgesichter, welcher noch niemals das Kriegsbeil gegen die roten Krieger geschwungen hat.«

   »Wie heißt dieser Stamm?«

   »Es ist der Stamm der Deu-scheh, welcher weit im Osten jenseits des großen Wassers wohnt.«

   »Er ist dessen Häuptling?«

   »Nein. Die Krieger der Deu-scheh haben mehrere Häuptlinge, welche Kön-ig genannt werden; der oberste Häuptling aber wird Kai-sa genannt. Er ist ein alter, kluger, tapferer Krieger, der in allen Kämpfen gesiegt und doch niemals einen


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Skalp genommen hat. Sein Haar ist weiß wie der Schnee der Berge; seine Jahre sind fast nicht zu zählen, aber seine Gestalt ist noch hoch und stolz, und sein Roß zittert vor Freude, wenn er in den Sattel steigt. Sein Arm ist stark und sein Befehl ohne Widerspruch; aber in seinem Herzen wohnt die Liebe, und in seiner Hand glänzt der Stab des Friedens. In seinem Wigwam verkehren die Häuptlinge aller Völker, und sein Rat wird geachtet vom Aufgang bis zum Niedergange der Sonne.«142


Der Bündnischarakter des Reiches wird auch hier wieder betont, doch kommt dem Kaiser eine deutlich stärkere Rolle zu, als dies in den vergleichbaren Passagen des Orientzyklus der Fall ist.

   Allen Erzählungen gemeinsam ist, daß sich innerhalb der Reisegruppen keine Hierarchie herausbildet, die auf der Nationalität der Personen fußt. Der absolute Führungsanspruch Old Shatterhands, der in den Reiseerzählungen stärker als in den Jugendschriften zum Ausdruck kommt, wie z. B. in der stehenden Redewendung vom ›Sitzenlassen‹ in der ›Surehand‹-Trilogie, beruht auf selbsterworbenen und nicht auf angeborenen Fähigkeiten. Ein Hervorstreichen nationaler Eigenheiten ist dabei nicht zu beobachten. Die interne Hierarchie der jeweiligen Gruppe ergibt sich gewissermaßen aus dem Fehlerquotienten des einzelnen. Daß die Charakterisierung der einzelnen Personen in verschiedenen Werken nicht unbedingt einheitlich ist, so z. B. der Snuffles, die in ›Der Geist der Llano estakata‹ ganz brauchbare Westmänner abgeben, während sie sich in ›Im Reiche des silbernen Löwen I‹ wie Anfänger aufführen, hat seine Ursachen wohl eher im Arbeitspensum und in der jeweiligen psychischen Verfassung des Autors während des Schreibvorganges als in einer geänderten Einschätzung nationaler Zugehörigkeiten.



›Und Friede auf Erden!‹ (1904)143


Die pazifistische Tendenz des Werkes braucht hier nicht noch ein weiteres Mal betont zu werden.144 Die Verurteilung der Niederschlagung des sogenannten ›Boxeraufstandes‹ an sich liegt durchaus auf der Linie Mayscher Parteiergreifung für unterdrückte und bedrohte Völker. Die Besonderheit des Romans besteht vor allem in der Abwendung von jeder Art Abenteuerhandlung, deren Strukturen nur an wenigen Stellen schwach durchschimmern, so bei der Szene Wallers an den Pyramiden, dem Hinauswurf der ›Civilisatoren‹ aus dem Hotel, der Rettung Dilkes durch Sejjid Omar, der Befreiung Sejjid Omars durch den Ich-Erzähler aus dem Schiff der Drogen- und Waffenschmuggler sowie der Beschlagnahme des Schiffes. Neu sind die Orientierung der Handlung an einer tatsächlich erlebten Reise und, damit verbunden, eine gewisse Häufung von Hotel-Szenen.145 Neu sind auch der Verzicht auf die Demonstration waffenmäßiger Überlegenheit zwecks friedlicher Beilegung von Konflikten sowie die Delegation von Ret-


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tungselementen vom Ich-Erzähler auf Dritte. Und ausgerechnet in diesem Roman, in dem der Ich-Erzähler sich so stark zurücknimmt, mit seinen bisherigen Erzähltraditionen fast vollständig bricht, tritt er als Personifikation Deutschlands auf. Dieser auffällige Befund verdient Beachtung.


Die Chinesen hatten wohl nur einen kurzen Höflichkeitsbesuch beabsichtigt, aber der Eindruck, dem sie sich nicht entziehen konnten, war so gewaltig und so fesselnd, daß sie garnicht daran dachten, diesen besten Platz, den das Menahouse-Hotel besitzt, so bald wieder zu verlassen. Und mir wurde außerdem die Freude, daß sie, als ich ihnen den Wunsch des Amerikaners mitteilte, mir die Erlaubnis gaben, nicht nur ihn, sondern auch seine Tochter zum Kommen aufzufordern.

   Dann saßen wir wohl bis über Mitternacht beisammen, China, die Vereinigten Staaten und Deutschland, oder Asien, Amerika und Europa, in Eintracht und Frieden auf afrikanischem Boden, von allem Guten, Edlen, Schönen und Erhabenen sprechend, aber nicht vom Unterschiede der Religionen, von den Gegensätzen der Volksinteressen und von dem Vortrittsrechte besonderer Nationalitäten. Es war ein Abend, den ich nie vergessen werde, und als wir uns trennten, taten wir es in dem Bewußtsein, daß alle Menschen so zusammengehören, wie wir in diesen unvergleichlichen Stunden sowohl äußerlich wie auch innerlich vereint gewesen waren.146


In dieser Form steht der Ich-Erzähler gleichberechtigt neben den anderen Personifikationen, hier ist kein ›deutsches Wesen‹, an dem die Welt ›genesen‹ könne oder solle, vorhanden. Im Gegenteil: Wenn England China in so aufrichtiger und reuevoller Weise segnet, ist Deutschlands Unterstützung überflüssig.147 Mary Waller hat bereits in der Szene auf dem Dschebel Mokattam vorgegeben, was sich leitmotivisch durch den gesamten Roman zieht: »Und ich bringe ihnen meine Liebe, meine ganze, ganze, volle Liebe!«148 Daß diese Liebe keine politische, sondern eine christliche utopische Größe der Völkerverständigung darstellt, braucht nicht extra betont zu werden. Utopien scheitern in der Regel an der Realität, und so ist es nur konsequent, daß am Ende des Romans eine Kriegserklärung steht.

   Die vielen Zitate, die klar für Mays Ablehnung imperialistischer Tendenzen stehen, müssen an dieser Stelle nicht erneut aufgelistet werden. Wir möchten statt dessen in Anlehnung an Heinz Gollwitzer hinterfragen, gegen welche Art von Nationalismus May operiert. Nach Gollwitzer findet man bei vielen Autoren um 1900 »neben der Verwendung herkömmlicher staats- und machtpolitischer Kategorien ein Denken in ethnisch-kulturgeographischen (bzw. kulturhistorischen) Begriffen, die sich weit über das Nationale hinaus erstrecken. (...) In den sogenannten Pan-Bewegungen schienen manchen Zeitgenossen diese bis dahin nur unbewußt die historische Dynamik bestimmenden Gruppen zu politischem Selbstbewußtsein zu gelangen.«149 Eine dieser sehr heterogenen Strömungen findet sich in ›Und Friede auf Erden!‹ angeprangert wieder.


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   Seit den 1840er Jahren war die Auffassung, »die Weltgeschichte bestehe in der Rivalität der ›Rassen‹ Germanentum, Romanentum und Slawentum«,150 sehr weit verbreitet, es wurde viel über die Degeneration dieser ›Rassen‹ diskutiert. Gegen diese sozialdarwinistische Vorstellung von ›alten und jungen Völkern‹ wehrt May sich vehement, wie das vom Ich-Erzähler mitgehörte Gespräch zwischen Professor Gardener und dessen unbekanntem Besucher belegt:

   »Well! Auch Völker schlafen. Ihr Schlaf währt freilich länger als nur eine Nacht, und wer die Notwendigkeit dieses Schlafes nicht begreift, der kann leicht versucht sein, ihn für den Tod und sie für abgetan zu halten. Aber diese schlafenden Völker wachen wieder auf, wenn ihnen der Atem nicht genommen wird. Sie haben während der Ruhe neue Kraft gesammelt, und wenn ihr Morgen kommt, dann wehe dem, der sie für tot gehalten und sich als lachender Erbe in ihren Rechten eingenistet hat!«151

   Wahrscheinlich hat May, als er den Anführer der ›Civilisatoren‹, den Neffen Wallers, Dilke nannte, an Sir Charles Dilke gedacht, der »in seinem berühmten ›Greater Britain‹ (1. Aufl. 1868) die Konzeption einer angelsächsischen Welthegemonie entwickelt«.152 Das Werk war »eines der meinungsbildenden Bücher des 19. Jahrhunderts«.153 Wolf-Dieter Bach hat auf die Verbindung Dilke - May hingewiesen.154

   Bedingt durch die internationale Zusammensetzung der handelnden Personen und das Konzept, verbindende Elemente zwischen den Völkern zu finden, stellt ›Und Friede auf Erden!‹ mit seiner urchristlichen Liebesgemeinschaft der ›Shen‹ zwar einen utopischen Lebensentwurf dar, doch ist dieser gerade wegen dieser Internationalität nicht so stark wie das folgende ›Ardistan und Dschinnistan‹ von Gegenbildern zum wilhelminischen Deutschland geprägt. Wie wir an anderer Stelle155 ausgeführt haben, benutzt May die staatstragende Ideologie in seiner sagenhaften Ausformung und Visualisierung in Form von Denkmälern und verkehrt sie in ihr Gegenteil, wobei er die Einzelelemente souverän in einen jeweils neuartigen Kontext stellt.

   Ein Element, nämlich die Abkehr vom Denkmal als Visualisierung von Macht, und die Hinwendung zum nützlichen Denkmal, also einem zweckgebundenen zukunftsorientierten Umgang mit Bauleistungen (Stichworte: Brunnenengel, Altes Ard), ist in ›Und Friede auf Erden!‹ bereits vorgeformt, nämlich in dem neuerrichteten Raffley-Castle. Dieses scheint zunächst die genaue Kopie des schottischen Originals zu sein: »Ihre [Yins] Heimat ist ja unser Raffley-Castle.« »Raffley-Castle?« fragte ich, indem wir miteinander weitergingen, der Treppe nach dem Garten zu. »So gibt es hier eine Kopie dieses Stammsitzes Eures Geschlechtes?« »Das Wort Kopie ist eigentlich falsch, denn mein neues, hiesiges Schloß ist jedenfalls originaler als das alte drüben in der Heimat. Na, Ihr werdet es ja kennen lernen!«156

   Das Paradoxon, daß die Kopie originaler sei als die Vorlage, beruht wohl


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auf der Beobachtung historistischer Bauten, bei denen Stilreinheit angestrebt wurde. Hier könnte man z. B. an die Friedenskirche in Kötzschenbroda denken, die 1885 umgebaut wurde und fast wie eine neogotischer Bau wirkt, oder auch an die 1892 neuerrichtete Lutherkirche im Osten der Stadt.157 Raffley-Castle ist jedoch noch mehr, nämlich ein unabsichtlich entstandenes Zeichen des Christentums.


»Der alte, drüben in der Heimat aufragende Burg- und Schloßbau der Raffleys wurde aus Quadern von allerschwerstem Grampiangranit errichtet. Er ist der Leib, dessen Seele Sir John herüberholte, um sie hier in leuchtenden Pai-tang-schi-tou1) [Fußnote: 1) Weißzuckerstein: Marmor.] zu kleiden. Der Urbau dort hatte nur dem Interesse der Familie, dem Klan zu dienen. Er war der aufwärts ragende Stamm, der sich von diesen Interessen nicht zu lösen vermochte. Sir John und seine Yin aber machten die Seele hier von diesem Zwange frei, indem sie ihr die Flügel gaben, die sich im Dienste unserer ›Shen‹ nach beiden Seiten regen. Das sind die Gebäude, die sich rechts und links vom Stamme zweigen und ganz ausschließlich nur humanen Zwecken dienen. Hierdurch entstand das Kreuz, denn wo der Einzelne oder die Familie beginnt, sich der hilfsbedürftigen Brüder anzunehmen, da steht das Tor zum Himmelreiche offen, von welchem alle unsere Weisen sprachen, bis Christus kam, um diese Worte in Taten zu verwandeln.«158


Ähnlich wie das Schiff Yin, die »Vermählung des Leichtesten und des Unbeholfensten, der Schoner- und Dschonkenform«,159 verbinden die um das neue Raffley-Castle gruppierten Bauten als sichtbares Zeichen der Völkerverständigung europäische und chinesische Baukunst.160

   Das Schloß selbst, an dem »keine Ecke fehlt, kein Erker und kein Türmchen. Alle Türen sind da, alle Fenster, alle Schornsteine und sogar auch alle Wetterfahnen!«,161 ist mehr als ein luxuriöses Wohnhaus. Der Ahnensaal ist doppelt vorhanden und weist damit auf die ›Dschemma der Toten‹ und die ›Dschemma der Lebenden‹ in ›Ardistan und Dschinnistan‹ voraus.162 Das Paradies, das als Kunstwerk Sündenfall und Erlösung behandelt und somit auf eine allgemeine Ebene hebt, was bei Waller im einzelnen zu beobachten war, weist wiederum vorwärts auf die Kirche, die den oberen Abschluß des Bauensembles bildet.

   Es liegt nicht zuletzt wegen der Macao-Ocama-Etymologie nahe, für diese Konstruktion ein ›profanes‹ Vorbild zu suchen, gegen das Raffley-Castle gesetzt wird. Angesichts des höchst artifiziellen Umgangs mit Bildern und Gegenbildern in ›Ardistan und Dschinnistan‹ dürfen wir dieses profane Vorbild nicht unbedingt in einem bestimmten Gebäude suchen; zumindest dürfte es schwierig sein, den Beweis zu führen, daß tatsächlich ein bestimmtes Gebäude antizipiert wurde.

   Raffley-Castle unterliegt wie auch das Haus in Ocama landschaftsgärtnerischen Planungen. Der Durchbruch des Landschaftsgartens wird für Deutschland mit ca. 1770 angesetzt. Als folgenreiches Beispiel wird in der Literatur der Garten des Fürsten Franz von Anhalt-Dessau in Wörlitz


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Abb. 1: Schloß Linderhof von Norden mit Terassenanlage und Venustempel


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bezeichnet, dessen Anfänge um 1765 liegen.163 Inspirationsquelle für die deutschen Gartenarchitekten sind häufig englische Vorbilder, die wiederum sehr stark mit exotischen Pflanzen aus den Kolonien arbeiten. Dazu gehörte auch die Integration sogenannter ›chinesischer Pavillons‹ oder anderer ›orientalischer‹ Bauten, wie z. B. des ›maurischen Kiosks‹ im Ensemble von Schloß Linderhof.164 Wichtige Prinzipien des Landschaftsgartens sind neben Staffagen, die Freiheits- und Tugendprogramme transportieren sollen, »Schlängenwege, Kontrast, Überraschung, Mannigfaltigkeit, Ausblicke in die Umgebung«.165 Zumindest das Element ›Kontrast‹ ist in Raffley-Castle in eine Verschmelzung von Gegensätzen überführt.

   Da die Natur, sofern sie nicht Wüste ist, im Spätwerk in der Regel von Menschen über- bzw. umgeformt ist, betrachten wir eine detaillierte Untersuchung des landschaftsgärtnerischen Prinzips als Desiderat, das wir in diesem Zusammenhang nur postulieren können, um uns statt dessen dem architektonischen Prinzip von Raffley-Castle zuzuwenden. Als Beispiel


Abb. 2: Karl von Effners Plan der Linderhofer Gartenanlage, um 1900


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dient uns das im Zusammenhang mit dem ›maurischen Kiosk‹ bereits erwähnte Schloß Linderhof (Abb. 1),166 wenn auch der Burgencharakter mit den Türmchen und Wetterfahnen eher an Neuschwanstein gemahnt. Beide Bauten hatten denselben Bauherrn, König Ludwig II. von Bayern, der Architekt Georg Dollmann war bei beiden Bauten maßgeblich involviert. Darum scheint es uns legitim zu sein, Neuschwanstein als Burg und Linderhof als Gesamtensemble gewissermaßen zusammenzublenden.

   Raffley-Castle besteht wie Linderhof aus einem zentralen Bau, der hangaufwärts durch Bauten ergänzt wird, wobei die Profanbauten nach oben hin durch einen Sakralbau abgeschlossen werden. Beiden gemeinsam ist die weiße Farbe des äußeren Baukörpers. Die Ähnlichkeiten, aber auch die Gegensätze sind so auffällig, daß ein ›Zufall‹, den es ja für den späten May bekanntlich auch nicht gibt, ausgeschlossen erscheint.

   Linderhofs »›Stil‹ und Struktur der Architektur, deren ikonographisches Programm noch zusätzlich den Anspruch einer ›Herrschaftsarchitektur‹ formulierte«, korrespondiert mit seinem Interieur, dessen Ikonologie von dem »Wunsch nach Verdeutlichung von Machtanspruch und Königswürde geprägt (ist), wobei neben traditionellen Emblemen und ›Personenkult‹ den historischen Sujets des Versailler Hoflebens besondere Bedeutung zukommt«.167 Dieser Egozentrismus findet sich in der Beschreibung des schottischen Raffley-Castle angeprangert. »Der Urbau dort hatte nur dem Interesse der Familie, dem Klan zu dienen. Er war der aufwärts ragende Stamm, der sich von diesen Interessen nicht zu lösen vermochte.«168 Aus diesem Grund wird der Hauptbau durch Sir John und Yin in Kreuzform ergänzt, wobei die Anbauten humanitären und geistlichen Zwecken zu dienen haben.

   Diese Kreuzform ist in Linderhof bereits vorgegeben (Abb. 2);169 hier handelt es sich jedoch lediglich um die axiale Ausrichtung der Anlage. »Erst mit der Ausbildung der südlichen Hauptfassade (...) wird eine umfassende Gartengestaltung möglich. Die architektonische Struktur der Villa und deren Lage zwischen dem nördlich ansteigenden Hennenkopf, und dem südlich sich erhebenden Linderbichl bestimmen den Entwurf Effners. Die Querachse der französischen Parterre wird beibehalten und durch eine Längsachse zu einem Kreuz ergänzt, dessen Achsenschnittpunkt mit dem des Hauses übereinstimmt und zugleich die ›Klappgeraden‹ der einzelnen Gartenteile darstellt.«170 Die profane Kreuzform Linderhofs wird also durch May in eine religiös motivierte, ›dienende‹ transponiert und bildet damit zugleich das architektonische Pendant zu Wallers Entwicklung vom persönlichen zum allgemeinen, ›wahren‹ Christentum. Konsequenterweise findet sich statt des griechischen Rundtempels, der vom ›Pavillon d'amour‹ in Paris sowie von dem von Leo von Klenze im Nymphenburger Park errichteten Monopteros inspiriert ist,171 eine Kirche, wobei der Hangunterschied nicht durch offene Treppenanlagen, sondern durch das Paradies überwunden wird, in dem Sündenfall und Erlösung als zentrale Motive des


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Christentums dargestellt sind. Die Architektur von Raffley-Castle ist somit auch eine Absage an die christliche Philosophie, »welche, ohne zum selbständigen Manne zu werden, noch gegenwärtig an den vertrockneten Brüsten heidnischer Ammen saugt«.172


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Aus der Zusammenfassung der einzelnen Befunde ergibt sich ein erster Überblick über die Entwicklung von Mays Vorstellungen, was ›deutsch‹ ist. Der frisch entlassene Strafgefangene versucht in seinem ersten Roman ›Der beiden Quitzows letzte Fahrten‹, staatsbürgerliches Verhalten an den Tag zu legen, indem er angebliche bzw. tatsächliche Vorfahren der drei Männer, die in der Auffassung ihrer Zeit für die Reichsgründung verantwortlich waren, nämlich Wilhelm von Preußen (Hohenzollern), Moltke und Bismarck, in den Handlungsablauf integriert. Die Bestrebungen um den Friedensschluß in der Mark Brandenburg bilden die Folie, vor der die Abenteuerhandlung spielt. Sie sind im Grunde nicht mehr als Lokal- und Zeitkolorit. Zwar wird die Handlung mit den Geschehnissen der Reichsgründung gewissermaßen parallelisiert, doch sind diese nicht Mittelpunkt der Erzählung. Einzelheiten, wie die Belagerung Friesacks oder die Schlacht am Kremmer Damm, sind zwar ausführlich dargestellt, doch stellt sich hier eher der Verdacht des ›Seitenschindens‹ ein. May ist noch auf der Suche nach der Balance zwischen ethnographischem Detail und Abenteuerstruktur, die später die Reiseerzählungen auszeichnen wird. Mit Suteminn erschafft May erstmals einen onmipotenten Helden, wenn dieser auch noch nicht so zentral im Mittelpunkt der Erzählung steht, wie dies später mit Old Shatterhand/Kara Ben Nemsi der Fall sein wird.

   Der Befund von ›Der beiden Quitzows letzte Fahrten‹ deckt sich in gewisser Weise mit dem von ›Die Liebe des Ulanen‹. Auch hier ist der Krieg nicht das zentrale dargestellte Thema, sondern bildet den Hintergrund für die Abenteuerhandlung. Mays Umgang mit den deutsch-französischen Gegensätzen ist als sehr moderat anzusehen. Direkte Vergleiche zwischen beiden Nationen führen zwar zu deutlichen Unterschieden, doch wird daraus keine deutsche Überlegenheit abgeleitet. Die Darstellung von Kriegshandlung reduziert sich im wesentlichen auf kleinere Umzingelungs- und Überfallmanöver, die zwar von Soldaten durchgeführt werden, nicht aber wirklich militärisch sind. Entgegen dem obligatorischen Gehorsam, der von Soldaten zu erwarten wäre, folgen die Offiziere im Zweifelsfall ihrem Gewissen, wie z. B. Richard von Königsau bei der Errettung des Arztes Bertrand. Die Beschreibung der Schlachtfelder ist zwar nicht ausgesprochen pazifistisch, aber doch von deutlicher Distanz und Skepsis geprägt. Die Gründe hierfür liegen unseres Erachtens darin, daß May den Krieg 1870/71 und die Reichsgründung nicht aktiv miterlebte.

   Wie der Befund des Orientzyklus zeigt, ist Mays nationales Selbstver-


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ständnis Anfang der 80er Jahre durch sein Sachse-Sein geprägt. Damit steht er durchaus im Trend seiner Zeit, wobei die staatsbürgerliche Sozialisation durch die Gefängnisaufenthalte eine deutliche Verzögerung erfuhr. In den Amerika-Romanen ist dieses sächsische Element auf die verschiedenen Ich-Derivate übertragen, während Old Shatterhand in der Regel als ›Deutscher‹ bezeichnet wird. Hier schlägt sich zum einen die steigende Popularität des Autors nieder, dessen Anpassungsbedürfnis wohl mit dem wachsenden Erfolg ansteigt. Die zunehmend selbstherrlichen Tendenzen in der Charakterisierung Old Shatterhands resultieren jedoch aus der psychischen Konstitution des Autors und nicht aus einem geänderten Nationalbewußtsein. Inwieweit diese Entwicklung als ›typisch‹ im zeitgenössischen Kontext anzusprechen ist, läßt sich aufgrund der vorliegenden Befunde nicht entscheiden.

   Der entscheidende Wandel, der das Spätwerk kennzeichnet, resultiert bekanntermaßen aus der veränderten psychischen Konstitution des Autors. In ›Im Reiche des silbernen Löwen‹ Band III und Band IV, die diese Veränderungen spiegeln, verzichtet der Autor auf nationale Kategorien und arbeitet statt dessen mit der Paarung ›Abendland - Morgenland‹,173 wie schon zu Beginn des Orientzyklus. Zwar tritt uns, so einmal die Beschreibung eines Orientalen, Bismarck im orientalischen Anzuge und mit einem lang herabwallenden weißen Bart, aufrecht, stolz und aber doch nachdenklich daherschreitend174 entgegen. Diese Ähnlichkeit ist jedoch nur eine »... zufällige Gleichheit körperlicher Eigenschaften, auf welche man sich ebenso wenig einzubilden hat, wie man darüber in Trauer zu geraten braucht, daß man einem nicht beliebten Menschen ähnlich sieht. Nicht durch seine äußeren, sondern durch seine innern Eigenschaften wird der Wert eines Menschen bestimmt.«175 Wir treffen hier auf die gleiche Unterscheidung zwischen äußerer und innerer Gestalt, die wir auch an Schakara beobachten können.176

   ›Und Friede auf Erden!‹ ist durch die internationale Zusammensetzung des Personals gekennzeichnet. Konsequenterweise wird Deutschland als selbstverständlicher, durch nichts herausragender Teil Europas und der Welt gekennzeichnet. Die langsame Distanzierung von den vorherrschenden geistigen Strömungen seines Vaterlandes macht sich durch den konstruktiven Umgang mit Baulichkeiten bemerkbar. In ›Im Reiche des silbernen Löwen IV‹ stürzt ein von Generationen errichteter Bau zusammen, damit aus diesem Zusammenbruch Platz für etwas Neues entstehen kann. Dieser Zusammenbruch symbolisiert zum einen die seelische Verfassung des Autors und bezieht sich zunächst auf eine religiöse Ebene, da es sich um eine Aufeinanderfolge von Tempelbauten handelt, die einstürzen und so Platz schaffen für eine neu zu errichtende Kirche. Über allem thront das bereits vorhandene Alabasterzelt, das sich nach dem Einsturz als Krone entpuppt, deren durchbrochene Kuppel von acht weißschimmernden Flügeln auf dem Ringe getragen wurde,177 und somit auf die religiös motivierte Um-


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deutung profaner Bauten und Symbole vorausweist, die wir dem Vergleich zwischen Raffley-Castle und Schloß Linderhof entnommen haben.

   Die Hinwendung zum ›nützlichen Denkmal‹ wird in ›Ardistan und Dschinnistan‹ konsequent fortgeführt, während gleichzeitig dem Denkmalskult des Kaiserreiches eine konsequente Ablehnung zuteil wird. Die Sage vom ›schlafenden Kaiser im Berge‹ (Barbarossa im Kyffhäuser), der nach 1870/71 eine immer stärkere ideologische Bedeutung zukommt, wird demontiert, die Einzelelemente werden in andere Handlungszusammenhänge integriert und konsequent umgedeutet.178

   Dieselbe Ablehnung des deutschen Denkmalkultes findet sich auch in ›Winnetou IV‹.179 Das utopische Programm von ›Ardistan und Dschinnistan‹ wird gewissermaßen auf eine konkrete Ebene gehoben. Der Versuch, dem toten Apachenhäuptling ein sichtbares Denkmal am Mount Winnetou zu setzen, entzweit die indianischen Nationen und führt fast zu einer Katastrophe, als das halbfertige Monument, das auf nicht tragendem Untergrund errichtet wurde, in sich zusammenstürzt. Das Erwachen der ›indianischen Volksseele‹ wird durch den Versuch der Übernahme ›weißer‹ Verhaltensmuster gefährdet. Wie in ›Und Friede auf Erden!‹ wird auch hier der Gedanke postuliert, daß Nicht-Europäer zwar Christen, aber niemals Europäer werden können. Dabei zeugen weder ›Und Friede auf Erden!‹ noch ›Winnetou IV‹ von einer rückgewandten Naturverbundenheit, sondern partizipieren nachhaltig an den zeitgenössischen technischen Errungenschaften. Telegraph, Telefon, elektrischer Strom und ›Aviatik‹ werden ganz selbstverständlich integriert. Eine Sache an sich kann nicht schlecht sein, entscheidend ist, in welcher Form, mit welchem Geist sie benutzt wird. Dies wird besonders deutlich am Flugzeug des Jungen Adlers, bei dem es sich um die umgedeutete Realisierung des ›Deutschen Adlers‹, eines Flugzeugprojekts Wilhelm Bauers, handelt, das als Kriegsflugzeug für den Krieg 1870/71 gedacht war, damals aber nicht realisiert wurde.180



Am Anfang der Arbeiten an diesem Thema stand ein Vortrag am 18. 2. 1998 für den Karl-May-Freundeskreis Leipzig, dessen Mitgliedern ich für ihre freundliche Aufnahme und ihr Interesse an dieser Stelle herzlich danke.



1 Stefan Schmatz: Karl Mays politisches Weltbild. Ein Proletarier zwischen Liberalismus und Konservatismus. Sonderheft der Karl-May-Gesellschaft (S-KMG) Nr. 86/1990, S. 50

2 Friedrich Axmann: Fürst und Junker. Historischer Roman aus der Jugendzeit des Hauses Hohenzollern. In: Deutsches Familienblatt. 1. Jg. (1875/76); Reprint hrsg. von Karl Serden/Wolfgang Dörr. Ubstadt 1990

3 Karl May: Der beiden Quitzows letzte Fahrten. Historischer Roman aus der Jugendzeit des Hauses Hohenzollern. In: Feierstunden am häuslichen Heerde. 1. Jg. (1876/77)


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4 Christoph F. Lorenz: Karl Mays »Der beiden Quitzows letzte Fahrten« als historischer Roman. In: Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft (M-KMG) 41/1979, S. 24-28; Joachim Biermann: Wer war Dr. Goldmann? In: M-KMG 74/1987, S. 39-46; Peter Krassa: Friedrich Axmann. Der Mann, der Karl May inspirierte. In: biblos. Beiträge zu Buch, Bibliothek und Schrift. Hrsg. von der Österreichischen Nationalbibliothek. 46. Jg. (1997), Heft 1, S. 187-98

5 Vgl. Karl Serden: Vorbemerkung. In: Axmann, wie Anm. 2, S. X.

6 Axmann, wie Anm. 2, S. 22

7 Karl May: Aus der Mappe eines Vielgereisten. Nr. 1. Inn-nu-woh, der Indianerhäuptling. In: Deutsches Familienblatt. 1. Jg. (1875/76), S. 8-11; Reprint Hamburg 1975 und Reprint Ubstadt 1990 (wie Anm. 2)

8 Karl May: Aus der Mappe eines Vielgereisten. Nr. 2. Old Firehand. In: Deutsches Familienblatt. 1. Jg. (1875/76); Reprint Hamburg 1975 und Reprint Ubstadt 1990 (wie Anm. 2)

9 Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. I Bd. 4: Der beiden Quitzows letzte Fahrten. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Zürich 1992, S. 10f.

10 Ebd., S. 12

11 Ebd., S. 13

12 Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. I: Durch Wüste und Harem. Freiburg 1892, S. 85

13 Scheyhing: ›Einspänner‹. In: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG). Hrsg. von Adalbert Erler/Ekkehard Kaufmann. Band 1. Berlin 1971, Sp. 906-08; vgl. Deutsches Rechtswörterbuch (Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache). Hrsg. von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Bd. II (1932-1935), Sp. 1462; Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch Bd. 3. Leipzig 1862 (Nachdruck München 1984), Sp. 300f. - Daß es den ›Einspänner‹ als rittergleichen Einzelkämpfer als Rechtsstand nicht gab, wird auch darin deutlich, daß der Begriff im Lexikon des Mittelalters. Bd. III. München/Zürich 1896, Sp. 1746, nicht vorkommt.

14 Vgl. Manfred Kaufmann: Fehde und Rechtshilfe. Die Verträge brandenburgischer Landesfürsten zur Bekämpfung des Raubrittertums im 15. und 16. Jahrhundert. Pfaffenweiler 1993. Bereits 1930 hat Willy Hoppe zu Recht darauf aufmerksam gemacht, daß die Quitzows nicht Verursacher der Unruhen in der Mark waren, sondern eher ein Produkt politischer Versäumnisse der Landesherren. Willy Hoppe: Die Mark Brandenburg, Wettin und Magdeburg. Ausgewählte Aufsätze. Eingeleitet und herausgegeben von Herbert Ludat. Köln/Graz 1965, S. 265-87.

15 Karl Lachmann: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin 1816; Der Nibelungen not mit der Klage. In der ältesten Gestalt mit den Abweichungen der gemeinen Lesart. Hrsg. von Karl Lachmann. Berlin 1826

16 Diese Vorstellung ist nachgewiesenermaßen falsch, war aber im späten 19. Jahrhundert allgemein verbreitet. - Vgl. Joachim Heinzle: Das Nibelungenlied. Eine Einführung. Frankfurt a. M. 1994.

17 Karl Friedrich von Kloeden: Die Mark Brandenburg unter Kaiser Karl IV. bis zu ihrem ersten Hohenzollerschen Regenten. Band 1-3. Berlin 1836; Band 4. Berlin 1837

18 Siegfried Augustin: ›Der beiden Quitzows letzte Fahrten‹. Karl Mays literarisches Gesellenstück. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 1991. Husum 1991, S. 250-86 (251) - Ders.: Einleitung (zu ›Feierstunden am häuslichen Heerde‹). In: Karl May: Feierstunden am häuslichen Heerde. 1. Jg. (1876/77); Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 1994, S. 3-32; da sich eine ganze Reihe von Autoren mit den Kämpfen um die Mark Brandenburg beschäftigten und dabei nicht immer auf von Kloeden fußen, ist jedoch nicht ganz auszuschließen, daß May auch


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andere Quellen nutzte. Vgl. z. B. Adolph Streckfuß: Friedrich der Erste und die Quitzow. Historische Bilder. 2 Bde. Berlin 1859, Bd. 1, S. 4.

19 Kloeden, wie Anm. 17, Band 4, S. 303

20 Fälschlicherweise gibt Wohlgschaft einen ›Otto von Suteminn‹ als historische Person an. Vgl. Hermann Wohlgschaft: Große Karl-May-Biographie. Leben und Werk. Paderborn 1994, S. 145.

21 Augustin: Der beiden Quitzows letzte Fahrten, wie Anm. 18, S. 266

22 Andreas Graf: Lektüre und Onanie. Das Beispiel des jungen Karl May, sein Aufenthalt auf dem Seminar in Plauen (1860/61) - und die Früchte der Phantasie. In: Jb-KMG 1998. Husum 1998, S. 84-151 (131)

23 May: Der beiden Quitzows letzte Fahrten, wie Anm. 9, S. 56

24 Ebd., S. 59

25 Moltke erhielt das Kommando zum ›Topographischen Bureau‹, was als Vorstufe zur Generalstabslaufbahn galt. - Vgl. Wolfgang Lange: Helmuth von Moltke auf Schloß Briese. In: Festschrift für Hermann Heimpel zum 70. Geburtstag am 19. September 1971. Erster Band. Göttingen 1971, S. 357-67 (361).

26 Geschichte in Gestalten. Ein biographisches Lexikon in vier Bänden. Hrsg. von Hans Herzfeld. Frankfurt a. M. 1981, Bd. 3, S. 184f.

27 Stammbaum der Familie Moltke. In: Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Gräflichen Häuser. 1900, S. 534-36

28 Kloeden, wie Anm. 17, Band 1, S. 363

29 Ebd., Band 4, S. 50; vgl.: Neues allgemeines Adels-Lexicon im Vereine mit mehreren Historikern herausgegeben von Prof. Dr. Ernst Heinrich Kneschke. 1. Band. Leipzig 1859 (Reprint Hildesheim 1973), S. 442-45.

30 Genealogisches Handbuch des Adels. Adelslexikon. Band I. Limburg a. d. Lahn 1972, S. 412-14

31 Kloeden, wie Anm. 17, Band 3, S. 451

32 Einen Überblick und eine Chronologie der Ereignisse liefert: Johann Schultze: Die Mark Brandenburg. 3. Bd.: Die Mark unter der Herrschaft der Hohenzollern (1415-1535). Berlin 1963, S. 9-29.

33 Vgl. z. B. die »Jahrbücher des Deutschen Reichs«, begründet von Leopold von Ranke. Hierzu: Arno Borst: Ranke und Karl der Große. In: Dauer und Wandel der Geschichte. Aspekte europäischer Vergangenheit. Festgabe für Kurt von Raumer zum 15. Dezember 1965. Hrsg. von Rudolf Vierhaus/Manfred Botzenhart. Münster 1966, S. 448-82. - Deutlich wird die Personalisierung von Geschichte auch im Sybel-Ficker-Streit; vgl. dazu: Heinz Gollwitzer: Zur Auffassung der mittelalterlichen Kaiserpolitik im 19. Jahrhundert. Eine ideologie- und wissenschaftsgeschichtliche Nachlese. In: Ebd., S. 483-512. - Gemeint ist hier ausdrücklich Geschichtsschreibung, nicht Zeitgeschichtsschreibung. Vgl. Ernst Schulin: Zeitgeschichtsschreibung im 19. Jahrhundert. In: Festschrift für Hermann Heimpel zum 70. Geburtstag am 19. September 1971. Erster Band. Göttingen 1971, S. 102-39. Der Persönlichkeitskult zog sich bis hinein in die Schulbücher. - Vgl.: Horst Schallenberger: Untersuchungen zum Geschichtsbild der Wilhelminischen Ära und der Weimarer Zeit. Eine vergleichende Schulbuchanalyse deutscher Schulgeschichtsbücher aus der Zeit von 1888 bis 1933. Düsseldorf 1964, bes. S. 70-103.

34 Kloeden, wie Anm. 17; Siegfried Augustin: Werkartikel ›Der beiden Quitzows letzte Fahrten‹. In: Karl-May-Handbuch. Hrsg. von Gert Ueding in Zusammenarbeit mit Reinhard Tschapke. Stuttgart 1987, S. 365-69 (365)

35 Volker Griese: Karl May. Stationen eines Lebens. Eine Chronologie seiner Reisen. S-KMG Nr. 104/1995, S. 12

36 Biermann, wie Anm. 4, S. 44

37 Karl May: Die Liebe des Ulanen. Original-Roman aus der Zeit des deutsch-franzö-


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sischen Krieges. In: Deutscher Wanderer. 8. Bd. (1883-85); Reprint Bamberg 1993

38 Ralf Harder: Karl May und seine Münchmeyer-Romane. Eine Analyse zur Autorschaft und Datierung. Materialien zur Karl-May-Forschung Bd. 19. Ubstadt 1996, S. 11, S. 237-60

39 Rudi Schweikert: Werkartikel ›Die Liebe des Ulanen‹. In: Karl-May-Handbuch, wie Anm. 34, S. 389-96 (389) (MMV = Verlag Münchmeyer)

40 Harder, wie Anm. 38, S. 144

41 Ebd., S. 147

42 Friedrich Munzel: Karl Mays Erfolgsroman ›Das Waldröschen‹. Eine didaktische Untersuchung als Beitrag zur Trivialliteratur der Wilhelminischen Zeit und der Gegenwart. Hildesheim 1979, geht auf das Verhältnis Kaiserreich - Waldröschen ein, er argumentiert jedoch gegenläufig zu unserem Ansatz, indem er allgemeine Entwicklungsströmungen aufführt und deren Reflex im Roman nachspürt. Dabei argumentiert er, dem Bachschen Ansatz folgend (Wolf-Dieter Bach: Fluchtlandschaften. In: Jb-KMG 1971. Hamburg 1971, S. 39-73), mit dem Begriff der Fluchtfunktion der Kolportage (S. 220), was seine Untersuchung für unsere Überlegungen ungeeignet macht.

43 Klaus Hoffmann: Werkartikel ›Der Verlorene Sohn‹. In: Karl-May-Handbuch, wie Anm. 34, S. 397-404 (399)

44 Reinhard Wittmann: Karl May und der Märchenkönig. In: Charivari. Jg. 1994, S. 66-68

45 Gustav Adolf Rein: Die Reichsgründung in Versailles. 18. Januar 1871. München 1958, S. 75

46 Klaus von See: Deutsche Germanen-Ideologie vom Humanismus bis zur Gegenwart. Frankfurt a. M. 1970, S. 10

47 Neumann spricht in diesem Zusammenhang vom »umsichtig in Szene gesetzten Anfang«, der »den Schluß des jeweiligen Textes - als einen freilich beliebig weiter hinausschiebbaren und okkasionell realisierbaren - wie im Keim immer schon mit enthält«. Gerhard Neumann: »Ich spreche überhaupt alle Sprachen, wie Ihr von früherher wißt«. Die Kunst des Anfangs in Karl Mays Romanen. In: Jb-KMG 1993. Husum 1993, S. 135-70 (161). Schmiedt konstatiert einen »geradezu programmatischen Charakter« der Erzählanfänge. Helmut Schmiedt: ›Ardistan und Dschinnistan‹, S. 1-3. In: Karl Mays »Ardistan und Dschinnistan«. Hrsg. von Dieter Sudhoff/Hartmut Vollmer. Paderborn 1997, S. 96-108 (98).

48 May: Die Liebe des Ulanen, wie Anm. 37, S. 1

49 Theodor Fontane: Der Krieg gegen Frankreich 1870-1871. Berlin 1873, S. 69f.

50 »Mit verschwindenden Ausnahmen (...) war Paris einem chauvinistischen Rausch erlegen. (...) Minister Ollivier's Erklärung, die eine offene Ankündigung war, daß der Krieg da sei, war von der imperialistischen Majorität mit großem Beifall aufgenommen worden (...)« (Ebd., S. 30)

51 May: Die Liebe des Ulanen, wie Anm. 37, S. 6

52 Ebd., S. 7

53 Ebd., S. 8

54 Fontane, wie Anm. 49, S. 47-61

55 May: Die Liebe des Ulanen, wie Anm. 37, S. 962f.

56 Ebd., S. 631-33, 641-49

57 Ebd., S. 9

58 Ebd., S. 10

59 Ebd.

60 Ebd., S. 15

61 Wilhelm Wundt: Völkerpsychologie. 6 Bände. Leipzig 1904-1908; vgl. Franz Kandolf/Adalbert Stütz/Max Baumann: Karl Mays Bücherei. In: Karl-May-Jahrbuch 1931. Radebeul bei Dresden o. J., S. 212-91 (217).


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62 May: Die Liebe des Ulanen, wie Anm. 37, S. 808; zum Bild des ›deutschen Michel‹ vgl. See, wie Anm. 46, S. 46-48.

63 May: Die Liebe des Ulanen, wie Anm. 37, S. 741f.

64 Ebd., S. 1170

65 Ebd., S. 1443

66 Ebd., S. 19 und 21

67 Ebd., S. 21

68 Ebd., S. 22f.

69 Ebd., S. 34

70 Ebd., S. 35

71 Ebd., S. 60

72 Ebd., S. 69

73 Oberst von Rango: Die 8. Brigade des Preußischen 2. Armeecorps in der Schlacht bei Ligny am 16., und als Arrièregarde der Armee vor Wavre am 18. Juni 1815. In: Minerva. Ein Journal für Geschichte, Politik und Literatur. Jg. 1840. Band 3, S. 76-121 (102)

74 May: Die Liebe des Ulanen, wie Anm. 37, S. 277

75 Rango, wie Anm. 73; May: Die Liebe des Ulanen, wie Anm. 37, S. 277; erst nach der Entdeckung der Kasse durch Hugo von Königsau ist die Handlung tatsächlich zu Anfang des ereignisreichen Monats Juni des Jahres 1815 angekommen (S. 293).

76 May: Die Liebe des Ulanen, wie Anm. 37, S. 9

77 Ebd., S. 1654-1670

78 Ebd., S. 1682

79 Ebd., S. 1683

80 Ebd., S. 29; vgl. als Gegenbeispiel: Deutschlands Erb- und Erzfeind. Mahnruf an das deutsche Volk von einem alten Patrioten. Coburg 1862, S. III: »Viele werden beim Lesen des Titels, den wir diesen Blättern vorangesetzt, an den gallischen Hahn denken, der seit Jahrhunderten der Unbill so viel an Deutschland verübt hat. (...) Nicht daß wir blind wären gegen die Gefahren, die uns von Westen bedrohen; nicht als ob wir die Wachsamkeit des deutschen Volkes von dort ablenken wollten; nein, wir rufen mit aller Entschiedenheit: Trutz dem Franzmann, der es wagte, seine Hand nach einer deutschen Rebe, nach einem deutschen Eichenzweig auszustrecken!«

81 Vgl. z. B.: Die Deutschen Freiheitskriege von 1813, 1814 und 1815. Für Schule und Haus bearbeitet von Friedrich Kohlrausch. Hannover 1850; bzw. für 1870/71 Fontane, wie Anm. 49; oder Karl Janck: Der Deutsch-Französische Krieg 1870 und 1871. Historisch, politisch und kriegswissenschaftlich dargestellt. Leipzig 1876

82 Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg o. J. (1910), S. 43; Reprint Hildesheim-New York 1975. Hrsg. von Hainer Plaul

83 Griese, wie Anm. 35, S. 11

84 Ebd.

85 Helmut M. Müller: Schlaglichter der deutschen Geschichte. 2. aktualisierte und erweiterte Auflage Mannheim 1993, S. 186f.

86 Karl May: Giölgeda padi´shanün. In: Deutscher Hausschatz. VII. Jg. (1880/81) - Ders.: Reise-Abenteuer in Kurdistan. In: Deutscher Hausschatz. VIII. Jg. (1881/82) - Ders.: Die Todes-Karavane. In: Deutscher Hausschatz. VIII. Jg. (1881/82) - Ders.: In Damaskus und Baalbeck. In: Deutscher Hausschatz. IX. Jg. (1882/83) - Ders.: Stambul. In: Deutscher Hausschatz. IX. Jg. (1882/83) - Giölgeda padi´shanün. Der letzte Ritt. In: Deutscher Hausschatz. XI./XII. Jg. (1884/85; 1885/86) - Ders.: Durch das Land der Skipetaren. In: Deutscher Hausschatz. XIV. Jg. (1887/88) - Buchausgabe: Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. I-VI: Durch Wüste und Harem; Durchs wilde Kurdistan; Von Bagdad nach Stambul; In den Schluchten des Balkan; Durch das Land der Skipetaren; Der Schut. Freiburg 1892


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87 Hermann Wiegmann: Werkartikel ›Der Orientzyklus‹. In: Karl-May-Handbuch, wie Anm. 34, S. 177-205 (177f.)

88 Harder, wie Anm. 38, S. 237-60

89 Wiegmann, wie Anm. 87, S. 178

90 Christoph F. Lorenz/Bernhard Kosciuszko: Kara Ben Nemsi. In: Großes Karl May Figurenlexikon. Hrsg. von Bernhard Kosciuszko. Paderborn 21996, S. 404-34 (411)

91 May: Durch Wüste und Harem, wie Anm. 12, S. 39

92 Helmut Lieblang: »... Ben Nemsi, Nachkomme der Deutschen ...« Karl May und Gerhard Rohlfs. Analog und disparat. In: Jb-KMG 1998. Husum 1998, S. 293-304

93 May: Durch Wüste und Harem, wie Anm. 12, S. 1

94 Ebd., S. 11f.

95 Ebd., S. 19

96 Ebd., S. 13

97 Ebd., S. 38f.

98 Ebd., S. 55f.

99 Ebd., S. 56

100 Ebd., S. 66

101 König Johann von Sachsen regierte von 1854 bis 1873, gefolgt von seinem Sohn Albert, der bis 1902 regierte. Vgl. Karlheinz Blaschke: Grundzüge sächsischer Geschichte zwischen der Reichsgründung und dem Ersten Weltkrieg. In: Sachsen im Kaiserreich. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Umbruch. Hrsg. von Simone Lässig/Karl Heinrich Pohl. Weimar-Köln-Wien 1997, S. 11-28 (15).

102 May: Durch Wüste und Harem, wie Anm. 12, S. 119f.

103 Rein, wie Anm. 45, S. 90f.

104 Monika Arndt: Die Goslarer Kaiserpfalz als Nationaldenkmal. Eine ikonographische Untersuchung. Hildesheim 1976, S. 64; Monika Arndt: Das Kyffhäuser-Denkmal - Ein Beitrag zur politischen Ikonographie des Zweiten Kaiserreiches. In: Wallraf-Richartz-Jahrbuch. Westdeutsches Jahrbuch für Kunstgeschichte Band 40 (1978), S. 75-127 (82)

105 May: Durch Wüste und Harem, wie Anm. 12, S. 233f.

106 Ebd., S. 237f.

107 Blaschke, wie Anm. 101, S. 15

108 Griese, wie Anm. 35, S. 10f.

109 Vgl. Karl May und Österreich. Realität - Fiktion - Rezeption. Hrsg. von Willlhelm Brauneder. Husum 1996.

110 May: Durch Wüste und Harem, wie Anm. 12, S. 255

111 Ebd., S. 319

112 May: Durchs wilde Kurdistan, wie Anm. 86, S. 375

113 May: Von Bagdad nach Stambul, wie Anm. 86, S. 379

114 May: Durch Wüste und Harem, wie Anm. 12, S. 346

115 May: Durchs wilde Kurdistan, wie Anm. 86, S. 185

116 Blaschke, wie Anm. 101, S. 19f.

117 May: In den Schluchten des Balkan, wie Anm. 86, S. 59

118 May: Durch Wüste und Harem, wie Anm. 12, S. 255

119 May: Durch das Land der Skipetaren, wie Anm. 86, S. 238f.

120 Ebd., S. 543

121 Ebd., S. 574

122 May: Durch Wüste und Harem, wie Anm. 12, S. 204

123 Ebd., S. 398f.

124 Ebd., S. 401

125 Ebd., S. 429

126 Eckehard Koch: »Was haltet Ihr von der orientalischen Frage?« Zum zeitg-


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schichtlichen Hintergrund von Mays Orientzyklus. In: Karl Mays Orientzyklus. Hrsg. von Dieter Sudhoff/Hartmut Vollmer. Paderborn 1991, S. 64-82 (67)

127 May: In den Schluchten des Balkan, wie Anm. 86, S. 68

128 Müller, wie Anm. 85, S. 194f., 203f.

129 Peter Krauskopf: Die Heldenrevision in Karl Mays Reiseerzählung ›Und Friede auf Erden!‹ als Kritik am wilhelminischen Imperialismus (I). In: M-KMG 71/1987, S. 3-10 (7)

130 Ebd.

131 May: Durch Wüste und Harem, wie Anm. 12, S. 477

132 May: Durchs wilde Kurdistan, wie Anm. 86, S. 632

133 Ebd., S. 635f.

134 Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. VII: Winnetou der Rote Gentleman I. Freiburg 1893, S. 126

135 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXVI: Im Reiche des silbernen Löwen I. Freiburg 1898, S. 539-63, S. 594f., S. 606-17

136 Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. III Bd. 4: Der Schatz im Silbersee. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Nördlingen 1987, S.26

137 Ebd., S. 72

138 Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. III Bd. 7: Der schwarze Mustang und andere Erzählungen. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Zürich 1992, S. 13-16

139 Ebd., S. 109

140 Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. III Bd. 1: Der Sohn des Bärenjägers. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Zürich 1992, S. 43

141 Ebd., S. 81

142 Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. III Bd. 1: Der Geist der Llano estakata. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Zürich 1992, S. 350

143 Die Erstausgabe dieses Textes erschien unter dem Titel: Et in terra pax. In: China. Schilderungen aus Leben und Geschichte, Krieg und Sieg. Ein Denkmal den Streitern und der Weltpolitik. Hrsg. von Joseph Kürschner. 3. Teil. Leipzig 1901. May überarbeitete und ergänzte diese Fassung für die Fehsenfeldausgabe (Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXX: Und Friede auf Erden! Freiburg 1904).

144 Vgl. z. B. Ekkehard Bartsch: ›Und Friede auf Erden!‹ Entstehung und Geschichte. In: Jb-KMG 1972/73. Hamburg 1972, S. 93-122; Martin Schenkel: Werkartikel ›Und Friede auf Erden!‹ In: Karl-May-Handbuch, wie Anm. 34, S. 301-08; Martin Schenkel: Ecce homo! Zum heilsgeschichtlichen Friedensmythos in Karl Mays Reiseerzählung »Und Friede auf Erden!«. In: Karl May. Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold. München 1987, S. 191-221 (Sonderband Text + Kritik); Krauskopf, wie Anm. 129, Fortsetzung in: M-KMG 72/1987, S.3-11; Hermann Wohlgschaft: ›Und Friede auf Erden!‹ Eine theologische Interpretation. In: Jb-KMG 1989. Husum 1989, S. 101-45.

145 Vgl. Gudrun Keindorf: Formen und Funktion des Reisens bei Karl May. Ein Problemaufriß. In: Jb-KMG 1996. Husum 1996, S. 291-314 (308).

146 May: Und Friede auf Erden!, wie Anm. 143, S. 99

147 Ebd., S. 489

148 Ebd., S. 16

149 Heinz Gollwitzer: Zum politischen Germanismus des 19. Jahrhunderts. In: Festschrift für Hermann Heimpel zum 70. Geburtstag am 19. September 1971. Erster Band. Hrsg. von den Mitarbeitern des Max-Planck-Instituts für Geschichte. Göttingen 1971, S. 282-356 (282)


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150 Ebd., S. 318

151 May: Und Friede auf Erden!, wie Anm. 143, S. 139

152 Gollwitzer: Germanismus, wie Anm. 149, S. 326

153 Wolf-Dieter Bach: Sich einen Namen machen. In: Jb-KMG 1975. Hamburg 1974, S. 34-72 (34)

154 Ebd., S. 34f.

155 Gudrun Keindorf: »Für mich sind Sagen heilig.« Zu Idee und Programm der Sagen in ›Ardistan und Dschinnistan‹. In: Karl Mays »Ardistan und Dschinnistan«. Hrsg. von Dieter Sudhoff/Hartmut Vollmer. Paderborn 1997, S. 121-41

156 May: Und Friede auf Erden!, wie Anm. 143, S. 497f.

157 Lösnitzstadt Radebeul. Streifzüge durch Geschichte und Gegenwart von Gottfried Thiele. Mit Fotos von Erich Braun. Radebeul o. J. [nach 1992], S. 24

158 May: Und Friede auf Erden!, wie Anm. 143, S. 515f.

159 Ebd., S. 220

160 Ebd., S. 570

161 Ebd.

162 Keindorf: Sagen, wie Anm. 155, S. 136f.

163 Rolf Kirsch: Frühe Landschaftsgärten in Niedersachsen. In: »Zurück zur Natur«. Idee und Geschichte des Georgengartens in Hannover-Herrenhausen. Hrsg. von der Wilhelm-Busch-Gesellschaft e.V. und dem Grünflächenamt der Landeshauptstadt Hannover. Göttingen 1997, S. 95-108

164 Isabella Fehle: Der Maurische Kiosk in Linderhof von Karl von Diebitsch. Ein Beispiel für die Orientmode im 19. Jahrhundert. München 1987 (Miscellanea Bavarica Monacensia. Dissertationen zur Bayerischen Landes- und Münchener Stadtgeschichte Band 130)

165 Kirsch, wie Anm. 163, S. 100

166 Abbildung aus: Schloß Linderhof. Führer mit 24 Farbbildern (deutsch). Foto-Verlag Huber, Garmisch-Partenkirchen o. J., unpag. (S. 6)

167 Monika Bachmann: Schloß Linderhof. Architektur, Interieur und Ambiente einer ›Königlichen Villa‹. Dissertation München 1977, S. 135f.

168 May: Und Friede auf Erden!, wie Anm. 143, S. 515

169 Abbildung aus: Schloß Linderhof. Amtlicher Führer. München 1991, rückwärtige Umschlagseite (Ausschnitt)

170 Bachmann, wie Anm. 176, S. 114

171 Ebd., S. 118

172 May: Und Friede auf Erden!, wie Anm. 143, S. 172

173 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXVIII: Im Reiche des silbernen Löwen III. Freiburg 1902, S. 260

174 Ebd., S. 479

175 Ebd., S. 480

176 Gudrun Keindorf: »Ich bin Schakara, welche du vom Tode errettet hast.« Überlegungen zu Identifikation und Identität. In: M-KMG 104/1995, S. 3-7

177 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXVIX: Im Reiche des silbernen Löwen IV. Freiburg 1903, S. 243f.

178 Keindorf: Sagen, wie Anm. 155

179 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXXIII: Winnetou IV. Freiburg 1910

180 Keindorf: Reisen, wie Anm. 145, S. 310f. mit Tafel III




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