//270//

HELMUT LIEBLANG

Im Schatten des Großherrn
Karl May, Charles Didier, von der Berswordt



Wenn die fiktionalen Welten so angenehm sind, warum dann nicht versuchen, auch die reale Welt so zu lesen, als wäre sie ein Roman? Oder umgekehrt, wenn die Welten der erzählerischen Fiktion so klein und so trügerisch angenehm sind, warum dann nicht versuchen, fiktionale Welten zu erschaffen, die ebenso komplex, widersprüchlich und provozierend sind wie die reale Welt?
Umberto Eco.1



Nachdem er den Winter in Kairo zugebracht hatte, schickte er sich an, im Januar 1854 nach Europa zurückzukehren. »(...) und schon war sein Paß nach Athen visirt, als ein Engländer, mit dem er in geselligen Beziehungen gestanden, ihm vorschlug, einen Ausflug nach dem Sinai auf gemeinschaftliche Kosten zu unternehmen, mit dem Vorbehalt, von dort den Weg bis Djeddah zu verfolgen, um dann dem Groß-Scherif einen Besuch zu machen (...)«2

   So beschreibt der Orientreisende Charles Didier die Ausgangslage seiner Reise zum Groß-Scherif, der seinerzeit in Taïf, südöstlich von Mekka, residierte. Seine Reiseerlebnisse wurden acht Jahre später in Deutschland veröffentlicht:


Charles Didier: Ein Aufenthalt bei dem Groß-Scherif von Mekka. Aus dem Französischen übersetzt von Helene Lobedan. Leipzig 1862.3


Wie Didier versichert, veröffentlicht er die Erzählung seiner Reise nicht mit dem Anspruch, »ein historisches Gemälde zu liefern, nicht einmal ein Staffeleibild, sondern eine einfache Reiseskizze«, und er erklärt, daß »er sich in der Schilderung der Menschen und Dinge nicht einen Pinselstrich, nicht einen Federzug erlaubt hat, der nicht der Wahrheit gemäß wäre. Er hat daher auf die Effekte verzichten können, welche unwissende oder übersättigte Augen verführen; aber er tröstet sich darüber und fährt fort, eine Phantasiereise als den schlechtesten aller Romane anzusehen.« (Didier 2f.) Sich auf Montaigne berufend, behauptet er, daß er ein »ehrliches Buch« (ebd.) geschrieben habe, aus eigenen Erinnerungen und Tagebuchaufzeichnungen, weder nach Büchern noch nach den Eindrücken anderer.


//271//

   Die erzählerische Distanz, die Didier in seiner Vorrede durch die auktoriale Form schafft, gibt er allerdings in seiner eigentlichen Reiseschilderung zugunsten des ›Ich‹ wieder auf.

   Am 16. Januar 1854 verließen er und sein Begleiter, der damals hochberühmte englische Reisende und Forscher Richard F. Burton,4 Kairo. Man verzichtete auf die zivilisatorischen Segnungen von Postkutsche und Eisenbahn und begab sich auf Eselsrücken auf den Weg nach Suez: »Unsere kleine Karawane bestand, außer fünf Eseln, aus zehn Kameelen, welche nöthig waren zur Fortschaffung unserer Diener, fünf an der Zahl, und unsres ziemlich umfangreichen Gepäcks; denn wir unternahmen eine lange Reise, auf der wir Alles bei uns führen mußten, Zelte, Betten, Teppiche, Lebensmittel, Vorräthe aller Art, Wein, selbst Wasser, mit einem Worte, Alles, sogar das Tischgeräth und Küchengeschirr.« (Didier 8)



1. ... sprach ich mit einem viel gereisten Gelehrten ...5


Am Abend des 19. Januar lagerte die Reisegesellschaft in der Wüste von Suez am Fuße des Mokattam-Gebirges: »Ein Deutscher, der die Wüste auf einem Kameel und nur von einem Kameeltreiber begleitet, durchstreifte, hielt in der Nähe unsres Lagers an, um dort die Nacht zu verbringen. Wir bereiteten uns vor, ihn freundlich zu empfangen, indem wir ihn einluden, an unserm Abendbrod Theil zu nehmen (...)« (Didier 26)

   Eine Szene, die für Karl May Anregung gewesen sein könnte, den nächsten Abschnitt von Kara Ben Nemsis Reise durch das Reich des türkischen Padischah, die er im sechsbändigen Orientzyklus erzählt, auf den Spuren Charles Didiers zu gestalten. Jedenfalls liefert Didier einige Handlungsmotive und den geographischen Hintergrund für den Weg von Kairo nach Mekka, der Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar durch die Wüste von Suez, über das Rote Meer und Dschidda in die für Christen verbotene Stadt Mohammeds führt. Für Mekka selbst griff May dann auf eine andere Vorlage zurück.6

   Bei der Beschreibung des Lagerlebens liefert Didier ein völkerkundliches Detail, das May dankbar als Realie weiterkolportiert:


Wer arm ist und kein Zelt hat, schmiegt sich bei der Nacht an sein Kamel oder an sein Pferd, um sich während der Ruhe an demselben zu wärmen. (Wüste 183)Die Treiber der Esel und Kameele lagerten zwischen ihren Thieren, keine andere Decke über sich als die des Sternenhimmels (...) (Didier 12)


Kara Ben Nemsi reist natürlich auf andere Art als Charles Didier, der zwar durch wild-exotische Gegenden reiste, aber die Zivilisation im Gepäck mit sich führte. Mays Absicht war es ja auch nicht, dem Leser die Bestandsauf-


//272//

nahme einer Reise zu geben, sondern ihm ein Reizangebot zu machen, das ihm die Möglichkeit eröffnet, aus der Enge seiner bürgerlichen Behausung zu entkommen, zumindest für kurze Zeit und im Kopf. So läßt er denn Kara Ben Nemsi die Motivation für seine schriftstellerische Arbeit offenlegen: »... Ich ziehe das Pferd und das Kamel den Posten und Bahnen, das Kanoe dem Steamer und die Büchse dem wohl visierten Passe vor; auch reise ich lieber nach Timbuktu oder Tobolsk als nach Nizza oder Helgoland; ich verlasse mich auf keinen Dolmetscher und auf keinen Bädeker; zu einer Reise nach Murzuk steht mir weniger Geld zur Verfügung, als mancher braucht, um von Prag aus die Kaiserstadt Wien eine Woche lang zu besuchen, und - ich habe mich über den Mangel an Abenteuern niemals zu beklagen gehabt ...« (Wüste 245)

   Wiewohl Mays Alter ego Kara Ben Nemsi und Didier unterschiedliche Formen des Reisens wählen, beschreiten sie doch denselben Weg und behaupten gleiche Motive:


Um an das rote Meer zu gelangen, hatte ich nicht den gewöhnlichen Weg von Kairo nach Suez eingeschlagen. Die zwischen den beiden Städten liegende Wüste verdient den Namen Wüste schon längst nicht mehr. Früher war sie gefürchtet sowohl wegen ihres vollständigen Wassermangels als auch wegen der räuberischen Beduinen, die auf der öden Strecke ihr Wesen trieben. Jetzt ist das anders geworden, und dies war der Grund, daß ich mich weiter südwärts gehalten hatte. Ein Ritt durch die Einöde hatte für mich mehr Interesse als eine Reise auf gebahnten Wegen. (Wüste 173f.)   Kairo ist von Suez durch eine hundert Meilen lange Wüste getrennt. Früher gefürchtet, sowohl wegen ihres vollständigen Wassermangels, als wegen der die Karawanen plündernden Beduinen, ist diese Wüste jetzt sehr civilisirt, fast zu sehr, möchte ich sagen, um den Namen einer Wüste zu verdienen (...)
   (...) Da ich aber nicht eilig und der Zweck meiner Reise nicht der war, möglichst viel Weg in der kürzesten Zeit zurückzulegen, hütete ich mich wohl, einen der beiden obenerwähnten Wege [Eisenbahn oder Überlandpost] zu wählen, sondern hielt mich an die langsamere, weniger alltägliche und lehrreichere Art und Weise der Eingeborenen. (Didier 5f.)


Nach mehreren Tagen erreichte die Karawane schließlich das Rote Meer. Für May ein Reizwort insofern, als er den halbmissionarischen Kara Ben Nemsi ausführlich die Bibelstelle zitieren läßt, die davon berichtet, wie die Meeresfluten über dem Pharao und seinem Heer zusammenschlagen. Diese Kompositionstechnik, nämlich das Ineinanderschieben verschiedener Quellen und im vorliegenden Fall besonders die Interpolation von Bibelzitaten in einen geographischen Quellentext bei der Erwähnung bibelmächtiger Orte, ist typisch für May. Im besonderen Maß macht er beispielsweise davon Gebrauch bei den Beschreibungen Babylons in den Bänden ›Von


//273//

Bagdad nach Stambul‹ und ›Im Reiche des silbernen Löwen II‹, wo als dritte Komponente noch Texte aus verschiedenen Lexika Verwendung finden. Didiers knappe Ortsmarkierung bietet lediglich den Aufhänger für Mays biblisch-geographische Darstellung, wenn Didier schreibt: »Hier ändert sich die Aussicht. Man erblickt das rothe Meer, dessen klare Bläue seinen Beinamen Lügen straft. Im Südwesten erheben sich die Berge Arabiens, aber über sie hinweg ragen im Halbkreis die hohen Granitzinnen der Sinaikette bis in die fernsten Tiefen des Horizontes. Ihr Anblick ist großartig, und die Erhabenheit der Erinnerung, welche sich an sie knüpft, verleiht ihr einen noch mächtigeren Eindruck.« (Didier 28f.)

   Demgegenüber einige Zitate aus Mays über vier Buchseiten gehender ›Reminiszenz‹:


An diese Stelle im zweiten Buch Mosis (Kap. 14, V. 19-31) mußte ich denken, als ich im »Thale Hiroth, gegen Baal Zephon«, mein Kamel anhielt, um das Auge über die glitzernden Fluten des roten Meeres schweifen zu lassen ... es überlief mich jene heilige, andächtige Scheu, welche jeder Gläubige fühlt, sobald er einen Ort betritt, von dem ihm die biblische Geschichte erzählt ...

   Vor mir, da zu meinen Füßen, funkelten die Fluten des arabischen Golfs im glühenden Strahle der Sonne ... Das waren dieselben Fluten, in denen später auch der »Sultan Kebihr«, Napoleon Bonaparte, beinahe umgekommen wäre.

   Und gegenüber dem Birket Faraun, dem See des Pharao, wie die Araber den Ort nennen, an welchem die beiden Wassermauern über die Aegypter zusammenschlugen, erhebt sich der Felsenstock des Sinai, des berühmtesten Berges der Erde, gewaltig und den Zeiten trotzend, gleichdem unter Donner und Blitz über ihm erschollenen: »Ich bin der Herr, dein Gott; du sollst keine fremden Götter neben mir haben!«

   Es war nicht die Oertlichkeit allein, es war noch viel mehr die Geschichte derselben, deren Eindruck ich nicht von mir zu weisen vermochte, wenn ich es auch gewollt hätte. Wie oft hatte ich lauschend und mit stockendem Atem auf dem Schoße meiner alten, guten, frommen Großmutter gesessen, wenn sie mir erzählte ... (Wüste 170ff.)


Als weiteres Element tritt hier neben die Kumulation fremder Texte Mays persönliche Erinnerung, oder vielleicht besser - Mays Verklärung seiner persönlichen Erinnerung an seine Kindheit und an seine Großmutter. Später, bei der Beschreibung Babylons und des Birs Nimrud, ist es nicht die Großmutter, die ihm die biblischen Geschichten erzählt, sondern er denkt sich in die Heimat, in die stille Stube zurück, mit der aufgeschlagenen Bibel vor mir.7 Indem May Persönliches einflicht, ob historisch oder nur imaginiert sei dahingestellt, führt er bei der Adaption fremder Texte gewissermaßen eine ›Adoption‹ durch. Durch diesen Kunstgriff reklamiert er die Vorlage für sich selbst und kann den neu gewonnenen Text dann mit dem Etikett ›Karl May‹ versehen.

   In den seltensten Fällen hat May fremde Vorlagen  i n s g e s a m t  wortwörtlich oder fast wörtlich übernommen. Meist nimmt er Umstellungen


//274//

vor, schiebt Sätze, auch Halbsätze, aus zwei oder mehr Quellen - manchmal auch bei einer einzigen Vorlage - ineinander, transportiert einzelne Wörter von einem Ende zum andern.8 Ich will das an einigen Beispielen demonstrieren. Im Zusammenhang mit Mays wichtiger Orientquelle von der Berswordt werde ich später noch einmal ausführlicher darauf eingehen.

   Der ›Birket Faraun‹ taucht bei Didier erst im dritten Kapitel auf, 16 Buchseiten nach obigem Zitat: »(...) (wir) waren nicht sehr weit vom Birket Faraun, dem Brunnen des Pharao, wie die Araber den Ort seines Untergangs nennen, den sie seitdem von bösen Geistern bewohnt glauben.« (Didier 44) May macht diesen fremdsprachlichen Einschub aus naheliegenden Gründen: er verleiht dem Text exotisches Kolorit, erweckt den Eindruck des Authentischen und dient der Verfremdung der Vorlage, um sozusagen die ›Adoption‹ vorzubereiten. Bemerkenswert ist hier die Tatsache, daß May den Vorlagentext ›verbessert‹, indem er das arabische ›Birket‹ richtig mit ›See‹ wiedergibt und nicht wie Didier mit ›Brunnen‹, was im Arabischen mit ›Bir‹ zu notieren wäre. Daraus ergibt sich die verblüffende Tatsache, daß die künstliche, fiktionale Erzählung authentischer und ›wahrer‹ ist als die natürliche Erzählung Didiers, der Selbsterlebtes »der Wahrheit gemäß« schildert.9 Nur durch den Paratext, »das heißt an den Informationen, die den Text umgeben, vom Titel bis zur Gattungsangabe ›Roman‹ auf dem Schutzumschlag«10 und in unserem Falle allein schon durch die Autorschaft Karl Mays, erhalten wir ein Fiktionssignal.

   Von Didier übernimmt May ebenfalls die Bemerkung über Napoleon Bonaparte: »Man erzählt, daß er sich bei seiner Rückkehr von der steigenden Fluth überrascht, in ernstlicher Gefahr befunden habe, das Wasser sei seinem Pferde schon bis an den Bauch gegangen, und er aus der üblen Lage nur durch einen Beduinen gerettet worden (...)« (Didier 45) Die Mitteilung Didiers, die in seinem Reisebericht nur anekdotenhaften Charakter hat, erhält bei May eine mythische Dimension, indem er sie in Zusammenhang mit der untergegangenen Armee des biblischen Pharao bringt, so die mythenträchtige, ewige Wirkungsmächtigkeit des Ortes betonend. Darüber hinaus führt er den Ausdruck ›Sultan Kebihr‹ ein. Durch diese für May typische Textmanipulation erhält sein zusammengetragener Text ein eigenes und eigenartiges Gepräge.

   Ein weiteres kleines Beispiel mag diesen Gedanken abschließen. Als der Kapitän des Sambuk, auf dem Didier und Burton das Rote Meer überqueren, von Wechselfieber befallen wird, versuchen die Reisenden, sein Wohlbefinden wieder herzustellen: »Mein Reisegefährte, der sich mit einer homöopathischen Apotheke versehen hatte, versuchte seine kleinen medizinischen Talente an dem Kranken, aber ohne Erfolg.« (Didier 147) Auch Kara Ben Nemsi verfügt über eine solche medizinische Einrichtung, die ihm schließlich ein Abenteuer in Abrahim-Mamurs Harem beschert: Nun war mir unglücklicherweise in Kairo eine alte, nur noch halb gefüllte homöopathische Apotheke von Willmar Schwabe in die Hand gekom-


//275//

men ... (Wüste 85) May greift Didiers Anregung auf und ›verfeinert‹ sie. Es ist eben nicht nur eine homöopathische Apotheke, sondern eine von Willmar Schwabe, was es tatsächlich gegeben hat,11 und mehr noch, sie ist nur noch halb gefüllt. Beide zusätzlichen Informationen tragen den Charakter des Realen, suggerieren Authentisches, klingen ›wahr‹.



2. »... welches die Franken Bar-el-Hamra, das rote Meer, nennen ...«12


Am 21. Januar verließ Didier auf einem arabischen Sambuk die Bucht von Suez, um nach Tor, dem alten Hafen der Mekkapilger auf der Halbinsel Sinai, zu segeln. Anders Karl May, der seine Protagonisten zunächst einmal mehrere Stunden entlang der Küste des Roten Meeres südwärts reiten läßt, bis sie einen Ort erreichen, »an welchem keine Geister wohnen« (Wüste 173). Erst dort, auf der Höhe des Dschebel Gharib, finden sie einen Segler, der sie aufnimmt:


Während unseres Rittes tauchten die beiden kahlen Höhen des Dschekehm und des Da-ad vor uns auf, und als rechts von uns der hohe Gipfel des Dschebel Gharib sichtbar wurde, hatten wir das Grab Pharao's hinter uns. Das rote Meer bildete zu unserer Linken eine Bucht, in welcher ein Fahrzeug vor Anker lag. (Wüste 174)Der Mond schien noch als wir wieder unter Segel gingen, und bei Sonnenaufgang hatten wir das schreckliche Grab Pharao's hinter uns. Wir fuhren bis gegen Abend bei schönem Wetter, noch immer in Sicht der afrikanischen Küste, besonders des hohen Berges Gharib, obwohl wir uns Asien immer mehr näherten. Die dem Ufer nächsten Berge sind der Djekem und der Daád, beide jeglicher Vegetation entbehrend. (Didier 48)


Dadurch, daß May dem Reiseweg Didiers folgt, seinen Helden aber ein anderes Transportmittel unterlegt, ergeben sich zwei geographische Unstimmigkeiten. Einmal läßt sich die Entfernung von der Bucht von Suez bis zum Dschebel Gharib, immerhin fast 300 km, auch mit dem besten Bischarinhedschin nicht in der angegebenen Zeit zurücklegen (»Nicht ganz dreimal die Zeit, welche von den Franken eine Stunde genannt wird.« (Wüste 173)). Zum andern suggeriert Mays Text, daß die Berge Dschekehm und Da-ad auf der afrikanischen Seite des Golfs von Suez liegen, in Wirklichkeit befinden sie sich aber auf dem asiatischen Ufer, wie Didiers Text belegt: »Bei der Abenddämmerung gingen wir in einer kleinen ziemlich sicheren Bucht vor Anker, welche durch eine zierliche Krümmung der Nayazatberge gebildet wird, die, wie die beiden vorhergenannten, zur großen Granitkette des Sinai gehören.« (Didier 49) Karl May greift auch diesen Punkt seiner Quelle auf, ohne sich jedoch irgendwelche Sorgen um den geographischen Sachverhalt zu machen: Der Abend dämmerte bereits, als wir in einer kleinen Bucht vor


//276//

Anker gingen, welche gebildet wird durch eine hufeisenförmige Krümmung des Dschebel Nayazet, der zur großen Granitkette des Sinai gehört. (Wüste 197)

   May verändert auch hier seine Vorlage unmerklich, aber geschickt. Aus der »zierlichen Krümmung der Nayazatberge« wird eine hufeisenförmige Krümmung des Dschebel Nayazet. Sein Text wirkt anschaulicher und durch die Einführung des arabischen Toponyms authentischer. Daß der May-Text Nayazet statt »Nayazat« notiert, scheint ein Abschreib- oder Setzerfehler zu sein, denn an anderer Stelle nennt er, Didiers Schreibweise folgend, die Bucht von Nayazat (S. 182) und das Ras Nayazat (S. 186).

   Von Tor aus unternahm Charles Didier einen mehrtägigen Abstecher durch das Wadi Firhan zum Katharinenkloster am Berg Sinai. Nach seiner Rückkehr ging er wieder an Bord, um an sein ursprüngliches Reiseziel, die Stadt Dschidda, zu gelangen. Auch Kara Ben Nemsi äußert dem Kapitän seines Sambuk gegenüber solch eine Reiseabsicht: »Nach Tor hinüber.« »Und dann?« »Nach dem Manastyr**) [**Kloster.] auf dem Dschebel Sinahi.« (Wüste 181) Die weiteren Ereignisse während der Segelfahrt bringen jedoch eine Änderung des Reisewegs. Bevor die Stadt Tor erreicht wird, geraten Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef in die Hände der Räuberbande des Abu-Seïf vom Stamm der Dscheheïne. Auch die Anregung zu diesem Handlungsteil entstammt Didiers Reisebericht. Werfen wir jedoch zunächst einen Blick auf das Segelfahrzeug:


Es war eine jener Barken, welche man auf dem roten Meere mit dem Namen Sambuk bezeichnet. Sie war ungefähr sechzig Fuß lang und fünfzehn Fuß breit und hatte eines jener kleinen Hinterdecke, unter denen gewöhnlich ein Verschlag angebracht ist, welcher den Kapitän oder die vornehmen Passagiere beherbergt. So ein Sambuk hat außer den Riemen - denn er wird auch gerudert - zwei dreieckige Segel, von denen das eine so weit vor dem andern steht, daß es - vom Winde angeschwellt - ganz über das Vorderteil des Schiffes ragt und dort eine Art halbkreisförmigen Ballon bildet, wie man sie auf antiken Münzen und auf alten Fresken zu sehen pflegt. Man kann getrost annehmen, daß die Fahrzeuge dieses Seestriches in Beziehung auf Bauart, Führung und TakelungDas Fahrzeug, welches ich bestiegen hatte, gehörte zu denen, die man auf dem rothen Meer ein Sambuk nennt. Es war sechzig Fuß lang bei fünfzehn Fuß Breite und nicht verdeckt, ausgenommen am Hintertheil, wo sich eine Art Hinterdeck erhob, unter dem man einen Verschlag angebracht hatte, welche man mit dem Namen Stube beehrte, gerade groß genug um unsere beiden Matratzen zu beherbergen, aber auch nichts Anderes (...) Das Sambuk, welches auch gerudert wird, hat zwei fast dreieckige Segel, von denen eins so weit vor dem anderen steht, daß wenn der Wind es anschwellt, es ganz über das Vordertheil des Schiffes ragt und dort eine Art halbkreisförmigen Ballon bildet, wie ich ähnliche auf antiken Fresken und Münzen gesehen


//277//

ganz noch dieselben sind, wie sie im grauen Altertume hier gesehen wurden, und daß die heutigen Seeleute noch dieselben Buchten und Ankerplätze besuchen, welche bereits belebt waren zur Zeit, als Dionysos seinen berühmten Zug nach Indien unternahm. Die Küstenschiffe des roten Meeres sind gewöhnlich aus jenem indischen Holze gebaut, welches die Araber Sadsch nennen, und das sich mit der Zeit im Wasser dermaßen verhärtet, daß es unmöglich ist, einen Nagel einzuschlagen. Von einer Fäulnis dieses Holzes ist niemals die Rede, und so kommt es, daß man Sambuks zu sehen bekommt, welche ein Alter von beinahe zweihundert Jahren erreichen. (Wüste 174f.)habe. Ich möchte wetten, daß sich seit Jahrhunderten nichts an den Schiffen dieses Seestriches verändert hat, daß die Barken, Segel und Ruder noch ganz dieselben sind, wie im fernsten Alterthum und daß die Seeleute dieselben Ankerplätze aufsuchen, gleiche Gewohnheiten, Vorurtheile und sogar denselben Aberglauben haben, als zur Zeit der Troglodyten.
   Das Fahrzeug war aus einem sehr harten indischen Holze gebaut, welches Sadj heißt. Ich sah im Hafen von Marseille ein altes Schiff der ostindischen Kompagnie, welches aus demselben Holz 1707 in Bombay gebaut war, und dessen Rumpf sich dermaßen verhärtet hatte, daß es die Nägel stumpf machte und umbog, die man hineinschlagen wollte. Dieser Patriarch des Meeres segelte seit hundertundfünfzig Jahren (...) (Didier 117ff.)


Außer einigen stilistischen Glättungen nimmt May in diesem Textteil zwei interessante Veränderungen vor. Die eine, das alte Schiff der ostindischen Kompagnie im Hafen von Marseille betreffend, aus naheliegenden Gründen: May verallgemeinert hier Didiers Beispiel, weil Marseille zu diesem Zeitpunkt nicht gut in die ›Biographie‹ Kara Ben Nemsis gepaßt hätte. Die andere, die »Troglodyten« betreffend, bedarf der näheren Untersuchung. Didiers Bemerkung geht auf Strabon zurück, wonach die Bewohner der afrikanischen Küstengegend des Roten Meeres als ›Troglodytai‹ bezeichnet wurden und das Küstengebiet mit seinem Hinterland danach ›Troglodytike‹ genannt wurde.13 Zeitgenössische Lexika (Pierer, Brockhaus) vermelden entsprechend: »Troglodyten (grch., d. i. Höhlenbewohner) nannte man im Altertum die Völkerschaften, welche in verschiedenen Ländern des alten Asien, in Äthiopien und auch in Ägypten in Höhlen wohnen sollten; insbesondere wurde die Küste des heutigen Abessinien am Roten Meer von Berenice bis weiter nach Süden hinab das Troglodytenland genannt (...)«14

   Wenn May auf diese Umschreibung für das graue Altertum verzichtet und statt dessen eine andere Zeitmarkierung bietet, darf man vermuten, daß er möglicherweise seinen Lesern dieses Spezialwissen nicht zutraute. Was aber ist andererseits von Dionysos zu halten? Wie immer man diese Stelle auch interpretieren mag, ein gewisses Maß an Rätselhaftigkeit bleibt bestehen;


//278//

denn Mays Alternative macht den zeitlichen Zusammenhang bezüglich der langen, ungebrochenen Tradition der ethnographischen und geographischen Verhältnisse im Gebiet des Roten Meeres nicht plausibler, ungeachtet der Frage, ob die Darstellung Didiers denn realistisch sei.

   May vermengt hier zwei unterschiedliche Aspekte, einen historischen und einen mythischen. Der historische Aspekt ist der berühmte Zug nach Indien, womit eigentlich nur der in den Jahren 327 bis 325 v. Chr. unternommene Zug Alexanders des Großen nach Indien gemeint sein kann. Die mythische Dimension wird markiert durch die Einführung des Namens Dionysos, des griechischen Gottes der Ekstase und der Fruchtbarkeit. Die Kombination beider Aspekte ist aber durchaus nicht Mays Erfindung, sondern geht auf die Vorstellung zurück, daß der rauschhafte Kult des Dionysos anscheinend religiöse Bewegungen ausgelöst hat, die zur Zeit Alexanders des Großen auch Indien erfaßt haben sollen: »Eine besondere Gestaltung des D. ist ferner der indische D., welcher mythische Züge von Griechenland bis Indien und wieder zurück unternahm. Diese Vorstellung erhielt durch den Feldzug Alexanders des Großen neue Nahrung, diesem D. huldigten daher vorzüglich die aus dem Reiche dieses Eroberers entstandenen Staaten, u. mit Vorliebe wurde hier der combinierte D- u. Alexanderzug von der bildenden Kunst u. der Poesie verherrlicht.«15

   Das Signal, das May seinen Lesern setzt, ist jedenfalls kaum klarer als die Angabe Didiers. Die Gründe, die ihn dazu verleitet haben könnten, bleiben ungewiß und schwierig zu beurteilen. Es sei dahingestellt, ob er sich am Wohlklang orientierte oder ob es sich bei seiner Bemerkung um eine Lesefrucht aus dem seit der Antike weit verbreiteten ›Alexanderroman‹ handelt oder beides.

   Der weitaus größte Teil der Geographika und Ortsangaben sowie alle Angaben über die Schiffahrt auf dem Roten Meer stammen aus Didiers Buch, ebenso das Erlebnis eines Orkans, den May allerdings in einen anderen Reiseabschnitt verlegt. Während Didiers Schiff nach Umschiffung des Ras Mohammed, an der Südspitze des Sinai, im Golf von Akaba von einem Sturm überrascht wird, gerät Kara Ben Nemsi erst kurz vor Dschidda in einen Orkan. Auf diese Weise bringt er das Ende der Seereise mit einem dramaturgischen Höhepunkt zusammen. Der Sambuk bleibt dabei aber auf Didiers Kurs:


Nach meiner ungefähren Berechnung nahten wir uns der Höhe von Rabbegh, welches von den Arabern Rabr genannt wird, und von da an südwärts giebt es eine Unzahl von Klippen und Korallenbänken, welche der Schiffahrt selbst bei Tage sehr gefährlich sind. Dort liegt auch die Insel Ghauat,Viel südlicher ist Rabegh, was unsere Matrosen Rabr aussprachen; und auf der Höhe dieses Dorfes (...) verbrachten wir die Nacht vom achten Februar. Am neunten trafen wir wieder auf viele Klippen und Korallenbänke, welche alle besondere Namen haben; eine dieser gefährlichen


//279//

und zwischen ihr und Ras Hatiba ragen zwei Korallenklippen empor, zwischen denen die Durchfahrt bei Sonnenlicht und ruhigem Wetter mit den größten Gefahren verbunden ist, und deshalb bereiten sich die Schiffer, ehe sie dieser Stelle nahen, immer durch Gebet vor. Der Ort wird Om-el-Hableïn genannt, »Ort der beiden Seile«, ein Name, welcher auf die Art und Weise hindeutet, in welcher man früher sich vor der Gefahr zu sichern suchte.
   Auf diese Durchfahrt trieb uns der Orkan mit rasender Schnelligkeit zu.
(Wüste 213)
Durchfahrten heißt, wenn ich richtig verstanden, Om-el-Hableijn, das Meer der beiden Seile. Nicht weit davon ist die Insel Ghauat. Dann kommt das Ras Hatiba. Kurze Zeit, nachdem wir es umschifft, fuhr ein Sambuk an uns vorbei, auf dem sich aus Mekka zurückkehrende Derwische befanden, und welches unter einer grünen Flagge segelte. (Didier 150)


Was Karl May hier, wie so oft, scheinbar mühelos gelingt, ist das Verdichten verschiedener, auseinanderliegender Textbausteine seiner Vorlage und das Dramatisieren der Geographie. In seiner Phantasie verbinden sich ein bei Didier 30 Seiten vorher geschilderter Orkan mit der topographischen Marginalie Om-el-Hableijn zu einem handlungstechnischen Höhepunkt. Eine weitere Anregung Didiers greift May ebenfalls dankbar auf, nämlich die Erwähnung der Derwische. Auch der Räuber Abu-Seïf spioniert als angeblicher Derwisch auf der Barke des Wergi-Baschi Murad Ibrahim, die Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef über das Rote Meer trägt. Das kombiniert May mit einer weiteren Information Didiers: »Die folgende Nacht ankerten wir im Schutz von zwei Inseln, die durch einen schmalen Kanal getrennt sind und von denen die eine Libna, die andere Djebel-Hassan heißt. Beide werden während der Weidezeit von den Arabern aus dem Stamme Djeheïne besucht, welche dort an der Küste ansässig sind und ihre Heerden in Booten nach den Inseln übersetzen. Damals waren sie verlassen, aber man sah noch die Hütten, welche die Hirten gebaut hatten, um sie in der nächsten Weidezeit wieder zu beziehen. Diese Beduinen, sowie alle übrigen an der Küste wohnenden, stehen in einem sehr schlechten Ruf bei den Seeleuten. Sie gelten bei diesen für verwegene Diebe und berauben oft die Barken, oder erpressen wenigstens Lösegeld von ihnen. Daher vermeidet man ihre Nähe und hält sich stets in angemessener Entfernung von diesen verrufenen Stellen.« (Didier 131f.)

   Hier hat die Figur des Abu-Seïf ihren Ursprung. Er und seine Bande überwältigen ja Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef, um den von den Engländern in Aden inhaftierten und zum Tode verurteilten Bruder Abu-Seïfs freizupressen. May reicht Didiers Wissen in Dialogform an den Leser weiter:


//280//

»Giebt es hier Räuber?«

  »Die Dscheheïne wohnen hier in der Nähe. Sie sind berüchtigt als die größten Chirsizler*) [*Spitzbuben.] weit und breit, und kein Schiff, kein Mensch ist vor ihnen sicher.« ...

  »... was vermögen wir alle gegen Abu-Seïf, den ›Vater des Säbels‹, der gefährlicher und schrecklicher ist, als der Löwe in den Bergen oder der Haifisch im Meere?« ...

  »... Zur Weidezeit bringen die Dscheheïne ihre Herden nach den beiden Inseln Libnah und Dschebel Hassan und lassen nur wenig Männer bei ihnen. Die andern aber gehen auf Raub und Diebstahl aus. Sie überfallen die Barken und nehmen entweder alles, was sie darauf finden, oder erpressen sich ein schweres Lösegeld, und Abu-Seïf ist ihr Anführer.« (Wüste 189f.)


Wie bisher gesehen, entnimmt Karl May seiner Vorlage also nicht nur getreulich die geographischen Angaben und damit verbundenes Informationsmaterial und reicht sie in möglicher pädagogischer Absicht an seine Leser weiter, sondern er greift auch dankbar Anregungen zur Handlungsgestaltung auf, indem er seinen Vorlagentext dramatisch variiert.

   Die Fülle von Geographika in Mays Erzählungen, seien es ausführliche Beschreibungen oder sei es eine bloße Auflistung von Toponymen, hat außer einer vermuteten kognitiven Dimension auch noch eine weitere Funktion. Die genauen Ortsangaben versetzen den Leser scheinbar in die Lage, das Erzählte zu kontrollieren. Denn viele Orte sind, wenigstens dem Namen nach, bekannt. Unbekannte Orte enthalten immer noch die Option, im Atlas oder auf einer Karte aufgesucht werden zu können. Der fiktionale Text erhält auf diese Weise mittels ›geographischer Realität‹ die Überzeugungskraft von Wahrheit, was ja in Mays Absicht liegt.



3. Dschidda ist eine ganz hübsche Stadt ...16


Nachdem sich Kara Ben Nemsi und Halef in einer Bucht vor Dschidda aus der Gewalt Abu-Seïfs haben befreien können, machen sie sich auf den Weg in die Stadt. Die folgende Beschreibung, die Karl May en bloc und auf verschiedenen Seiten in den Text eingestreut von der Stadt und der Wohnung Kara Ben Nemsis einschließlich der zu bezahlenden Währung (Talaris) gibt, entspricht bis ins Detail den Vorgaben seines Gewährsmanns Didier. Ein Vergleich der beiden Texte erübrigt sich daher, bis auf eine Kleinigkeit, die der kommentierenden Beachtung bedarf:


Der Bazar läuft in der ganzen Länge der Stadt mit dem Meere parallel und mündet in viele Seitenstraßen. Auf ihm sieht man Araber und Beduinen, Fallatah, Händler aus Basra, Bagdad,Der Bazar hat die ganze Länge der Stadt und läuft mit dem Meere parallel, mit dem er durch Seitenstraßen verbunden wird (...) Damascus, Bagdad, Persien, Egypten und


//281//

Maskat und Makalla, Aegypter, Nubier, Abessynier, Türken, Syrer, Griechen, Tunesier, Tripolitaner, Juden, Indier, Malayen: - alle in ihrer Nationaltracht; sogar einem Christen kann man zuweilen begegnen. (Wüste 232)vorzüglich Indien sind durch Rohprodukte und Manufakturen vertreten (...) Die Arbeiter (...) sind fast sämmtlich Nubier oder Eingeborene aus den Bergen (...) Man sieht auch einige wirkliche Schwarze, welche aus den Ländern am Aequator kommen, aber sie sind Sclaven (...) Dieser Bazar, der Vermittler zwischen Afrika und Asien, ist anziehend durch die Mannigfaltigkeit der Gestalten, die er zeigt, von dem von der Natur stiefmütterlich behandeltem niedrigem Typus des Negers an, bis zu dem der bevorzugten kaukasischen Stämme. Die Verschiedenheit der Sprachen und Trachten ist nicht weniger auffallend. Araber aus den Städten und der Wüste, Kaufleute aus Maskat und Basra, Türken, Syrer, Griechen, Egypter, Barbaresken, eine Menge Indier, Malayen, selbst Banianen, ein Jeder in seinem Nationalanzuge und seine eigene Sprache sprechend, drängen sich durch einander (...) die Christen erfreuen sich jetzt hier einer so großen Freiheit und Sicherheit, wie in Egypten oder Konstantinopel. (Didier 155-158)


Der Unterschied ist offenkundig. Didiers ausführliche Beschreibung des Bazars, die sich über drei Buchseiten erstreckt, schrumpft bei May auf einige Zeilen zusammen. Er begnügt sich mit einer knappen Skizze, und indem er so den Vorlagentext ›verdichtet‹, erreicht er den Zweck, den Leser bei der Geschichte zu halten und nicht durch Umständlichkeiten zu ermüden. Sein Bild des Bazar gewinnt noch dadurch an Lebendigkeit, daß er nur Personen auftreten läßt und auf die Beschreibung des Warenangebots verzichtet. Die Universalität des Bazars von Dschidda wird noch unterstrichen durch die Ergänzungen, die May vornimmt und die nicht durch Didiers Text gedeckt sind: Fallatah, Händler aus Makalla, Abessynier und Juden - genaugenommen Verkörperungen der vier Himmelsrichtungen. Die Fallatah (auch Fulbe) - ein Volk aus dem Westen der Großlandschaft Sudan; Makalla - ein Hafen an der südost-arabischen Küste; Abessynier - aus dem am Südende des


//282//

Roten Meeres liegenden Äthiopien; und die Juden - als Signalement für das im Norden liegende Palästina. Außerdem bemerkenswert ist Mays Verzicht auf Didiers rassistische Bemerkungen über den »niedrigen Typus des Negers« und »den der bevorzugten kaukasischen Stämme«.

   Erwähnenswert im Zusammenhang mit Dschidda ist die Person des türkischen Gouverneurs Achmed-Izzet-Pascha. Durch Didiers Buch wird deutlich, daß dieser eine historische Persönlichkeit ist.17 Karl Mays Zeichnung eines korrupten und habgierigen türkischen Beamten entspricht durchaus den Angaben aus seiner Quelle:


»Kennst du Achmed-Izzet-Pascha?«
   »Den Gouverneur von Mekka?«
   »Ja, du mußt ihn kennen, denn jeder Fremdling, der Dschidda betritt, stellt sich ihm vor, um seinen Schutz zu erhalten.« ...
   »... Der Schutz des Pascha ist nur gegen hohen Preis zu erhalten. Ja, er wohnt nicht in Mekka, wohin er eigentlich gehört, sondern in Dschidda, weil dort der Hafen ist. Sein Gehalt beträgt über eine Million Piaster, aber er weiß sein Einkommen bis auf das Fünffache zu bringen. Ihm muß jeder zahlen, sogar der Schmuggler und der Seeräuber ...«
(Wüste 264)
Achmet-Izzet-Pascha, so hieß der Gouverneur (...) (Didier 186)
   Sein jährliches Einkommen beläuft sich auf zwölfhunderttausend Piaster, was er gewöhnlich auf das Doppelte und Dreifache, wenn nicht auf das Vierfache durch ein Verfahren zu bringen weiß, das in der Türkei und auch anderswo üblich ist. Es würde natürlich scheinen, daß er in Mekka residirte, doch macht er dieser Hauptstadt des Muhamedanismus nur selten einen Besuch, noch seltener einen in Medina, und wohnt die ganze Zeit in Djeddah, weil diese Stadt der Sitz der türkischen Duane ist, welche die hauptsächliche und fast einzige Quelle der öffentlichen Einnahmen des Hedjaz ausmacht. Da man nun nach dem Grundsatz des Abbé Terray nur Etwas nehmen kann, wo Etwas ist, so langen hier die Paschas mit vollen Händen zu; denn da wo der Schatz eines Türken ist, da ist auch sein Herz und er selbst. Ich hatte dem Pascha am Morgen nach meiner Ankunft einen Besuch gemacht (...) (Didier 184f.)


Wie Charles Didier gegen Ende seines Buches weiter mitteilt, war bei seiner Rückkehr von Taïf nach Dschidda »die Abberufung des Gouverneurs schon eine Thatsache oder wenigstens öffentlich bekannt; doch hatte er seinen Posten noch nicht verlassen und sollte auch in ihm bis zur Ankunft seines


//283//

Nachfolgers verbleiben« (Didier 382). Ausschlaggebend hierfür war wohl weniger seine oben beschriebene ›Verwaltungspraxis‹ als vielmehr seine wenig diplomatische Haltung in bezug auf die von den Türken unterworfenen Araber und besonders gegenüber dem Groß-Scherif Abd el Muttalib. Didier spricht von dem »unversöhnlichen Haß, mit welchem er den Groß-Scherif beehrte« (Didier 383).

   Obwohl die Figur des Achmed-Izzet-Pascha, wie Didiers Reiseschilderung belegt, eine historische Person genannt werden kann, bleibt doch die Frage, ob der bei Karl May auftretende türkische Gouverneur gleichen Namens dieses Etikett verdient. Ist es nicht vielmehr so, daß May das historische Vorbild als Baustein benutzt, um den Typus des von ihm oft bemühten korrupten türkischen Beamten zu kreieren, eine Symbolgestalt also? Verhält es sich nicht genauso mit der großen Zahl anderer historischer Namen in Mays Werk? Dieser Sachverhalt läßt sich durchaus so interpretieren wie die Fülle geographischer Angaben. Einerseits rückt der Autor seine Kenntnisse in helles Licht, andererseits vermittelt er Bildungsgut, und zum dritten erweckt er den Eindruck von Realität in einer von ihm selbst geschaffenen fiktionalen Welt. Darüber hinaus erübrigt sich die Frage, ob nicht alle schriftlichen oder bildhaften Darstellungen, welcher Art auch immer, lediglich Abbilder von Realität schaffen und nicht die Realität selbst sind.18



4. »Ghalië« fragte ich, mich besinnend ...


Bei einem Ausritt in der Umgebung von Dschidda begegnet Kara Ben Nemsi einer Beduinin vom Stamm der Beni-küfr, die - laut Karl May - zum großen Verband der Ateïbeh gehören. Wie sich später herausstellt, handelt es sich um Amscha, die Tochter des Scheichs Malek. Abu-Seïf hatte sie einst geraubt und gezwungen, seine Frau zu werden. Mit ihrer gemeinsamen Tochter Hanneh, Hadschi Halefs späterer Frau, hatte sie jedoch entkommen können. Zur Charakterisierung dieser arabischen Amazone bedient sich Karl Mays eines Mittels, das er häufiger in seinen Erzählungen anwendet, nämlich des anekdotenhaften Einschubs:


»Ein Weib, welches Waffen trägt? Welches Männer tötet? Welches sogar seinen Stamm regiert? Hast du nicht von Ghalië gehört?«

   »Ghalië?« fragte ich, mich besinnend; »war sie nicht vom Stamme Begum?«

   »Ich sehe, daß du sie kennst.«

   »Sie war der eigentliche Scheik ihres Stammes und schlug in der Schlacht bei Taraba die Truppen des Mehemed Ali, welche Tunsun-Bei kommandierte?«

   »So ist es. Siehst du nun, daß auch ein Weib sein darf wie ein Mann?« (Wüste 256)


//284//

Charles Didier erwähnt die Geschichte Ghaliës in einem längeren historischen Exkurs über die Eroberung des Hedschas durch den ägyptischen Pascha Mehmed Ali. Ausführlich dessen politische Machenschaften und Ränkespiele beschreibend, notiert er: »Mehmet Ali büßte seinen Verrath [an Ghaleb, dem damaligen Groß-Scherif von Mekka] durch eine Reihe von Unglücksfällen, die ihn nahe an den Abgrund des Verderbens brachten. Der erste derselben war die gänzliche Vernichtung seiner besten Truppen unter Tunsun-Bey bei Taraba. Sie waren durch die Araber vom Stamme Begum, Ackerbauer und Hirten, niedergemetzelt, welche von einer Frau, Namens Ghalié, angeführt oder wenigstens durch sie begeistert wurden. Diese Jungfrau von Orleans der Wüste war der wirkliche Scheik ihres Stammes und die Türken hielten sie natürlich für eine Hexe (...)« (Didier 245)19

   Neben der Personencharakterisierung hat die Anekdote die Funktion, die Erzählstruktur aufzulockern und, ein bei May nicht zu unterschätzender Faktor, Wissen weiterzureichen. Die Technik des ›anekdotenhaften Einschubs‹ gehört gewissermaßen zu Mays Standardrepertoire, besonders in seinen Orienterzählungen.20 Grundsätzlich kann man davon ausgehen, daß sie nicht Mays dichterischer Phantasie und Erfindungsgabe entspringt, sondern einer historischen, geographischen oder literarischen Textvorlage entnommen worden ist, so auch die Geschichte Ghaliës. Wiewohl Anekdoten nur Mosaiksteinchen im Gesamtgefüge seiner Erzählungen darstellen, macht der Sachverhalt doch klar, daß May sein Material mit Bedacht auswählte und in seinen Textkörper einfügte.



5. »Die Beni-küfr vom Stamme der Ateïbeh«


Nach seiner Begegnung mit Amscha, der Frau aus dem Stamm der Beni-küfr, gelangt Kara Ben Nemsi in deren Lager. Mit diesem Beduinenstamm hat es eine besondere Bewandtnis, denn es handelt sich dabei um pure Maysche Fiktion. Um aber den Anschein der Realität aufrechtzuerhalten, bedient er sich eines Kniffs, ich möchte ihn den ›Kniff der Übertragung‹ nennen. May überträgt nämlich reale Sachverhalte in eine fiktive Umgebung.21 Er gibt seiner Imagination einen scheinbar realen Raum, indem er Didiers geographische Anmerkungen über dessen Rückweg von Taïf nach Dschidda zwar verwendet, sie aber seinen eigenen Vorstellungen gemäß zu einem topographischen Utopia vermengt und es in der Umgebung von Dschidda plaziert, nicht zuletzt deshalb, weil ihn Didiers Reiseroute dorthin führt:


»Die Beni-küfr*) [*Verfluchten.] vom Stamme der Ateïbeh.«
   »Ich denke, die Ateïbeh wohnen in El Zallaleh, Taleh und dem Wadi el Nobejat?«
Bald verengt sich das Thal, und man betritt eine vollkommen wüste Berggegend, das Thal Taleh, dem die Uadi El Nobéyat folgt. (Didier 338)
(...) nachdem wir diese schlimme


//285//

   »Du bist recht berichtet ...« ...
   »Sihdi,« fragte Halef, »zu welchem Stamme gehören diese Leute?«
   »Zum Stamme Ateïbeh.«
   »Ich habe von ihm gehört. Zu ihm zählen die tapfersten Männer dieser Wüste, und keine Pilgerkarawane ist vor ihren Kugeln sicher. Sie sind die größten Feinde der Dscheheïne, zu denen Abu Seïf gehört ...«
(Wüste 258f.)
Stelle hinter uns hatten, kamen wir in den leichter zu passirenden Hohlweg El-Zallale. Diese Gegend war früher der Schrecken der Reisenden, welche dort gewöhnlich von den Arabern von Ateïbé angefallen und geplündert wurden; es ist ein mächtiger, kampflustiger Stamm, der in den Bergen nördlich von Taif bis nach Medina hin seine Wohnsitze hatte. Er kann gegen achttausend Reiter in's Feld stellen, die meistens mit Flinten bewaffnet sind, und er führt fortwährend Krieg mit seinen Nachbarn. Obgleich er immer noch einen Tribut von den Karawanen erheischt, die über sein Gebiet ziehen, so dehnt er seine Erpressungen doch nicht mehr bis hierher aus. (Didier 339f.)


Zu dieser geographischen und auch historischen Utopie, denn Didier sagt ja, daß zu seiner Zeit (1854) die Ateïbeh das betreffende Gebiet schon nicht mehr kontrollierten, tritt weiter ein ethnographisches Element - der Raum erhält eine Ausstattung. Nachdem man im Lager der Beni-küfr das Mahl eingenommen hat, greift man zur Wasserpfeife. Die Stelle, die May dafür aus seiner Vorlage verwendet, entstammt einem ganz anderen Zusammenhang. Didier berichtet nämlich davon, daß er während seines Aufenthaltes einige Male die Gebrüder Sawa, in Dschidda ansässige griechische Kaufleute, besucht habe. Werfen wir einen kurzen Blick auf die Gegenüberstellung der betreffenden Textteile.


Während wir aßen, ward kein Wort gesprochen. Dann aber wurde uns je ein Bery gereicht, und während wir den scharfen Tombaktabak rauchten, der wohl aus Bagdad oder Basra stammte, begann die Unterhaltung.
   Daß wir nur ein Bery erhielten, war ein sicherer Beweis, daß diese Leute keine Reichtümer besaßen. In der Gegend der heiligen Stadt raucht man nämlich aus dreierlei Pfeifensorten. Die erste und kostbarste Sorte ist der Khedra. Er ruht gewöhnlich auf einem Dreifuß, besteht aus gediegenem,
Diese Herren besitzen für ihren Gebrauch und für ihre Gäste eine große Sammlung persischer Pfeifen, die einzigen, welche in Djeddah geraucht werden. Für Liebhaber bemerke ich, daß es mehrere Arten von diesen giebt, und daß eine jede ihren besonderen Namen hat. Die größte und schönste dieser Pfeifen ist der Kédra, welche auf einem Dreifuß ruht. Er ist aus gediegenem, künstlich ciselirtem Silber und mit einem langen biegsamen Schlauch versehen, der Leiéh heißt. Feinschmecker rau-


//286//

schön ciseliertem Silber und ist mit einem langen Schlauch versehen, welcher Leiëh genannt wird und je nach dem Reichtume des Besitzers mit Edelsteinen oder anderem Schmucke geziert ist. Aus dem Khedra raucht man meist nur den köstlichen Tabak von Schiras. Die zweite Art der Pfeifen ist der Schischeh. Er ist dem Khedra ziemlich ähnlich, nur etwas kleiner und weniger kostbar. Die dritte und gewöhnlichste Sorte ist der Bery. Er besteht aus einer mit Wasser gefüllten Kokosschale, in welcher der Kopf und - statt des Schlauches - ein Rohr befestigt wird. (Wüste 259f.)chen darin Tabak aus Schiraz. Die zweite Sorte ist der Schisché, dem Kédra ziemlich ähnlich, nur ist er kleiner als jener. Die letzte und gewöhnliche Art besteht nur aus einer Kokosnußschale, welche wie die beiden anderen Pfeifen mit Wasser gefüllt wird, und an welcher statt Schlauch ein festes Rohr angebracht ist. Der gebräuchlichste Name dafür ist Beury. Man raucht in diesen drei Pfeifen gewöhnlich sehr scharfen Tabak, der Tombak genannt wird, und welchen man aus Bagdad oder Basra bezieht. (Didier 199)


Als Farbtupfer, der einer abenteuerlichen, imaginierten Szene zu einem orientalischen Make-up verhilft, erfüllt Mays Textauswahl sicherlich ihre Funktion. Unbenommen sei ihm seine dichterische Freiheit, eigene Welten zu schaffen, uneingeschränkt der Freiflug seiner Phantasie über die Grenzen des Realen hinweg. Nur muß sich May an der Elle messen lassen, die er sich selber anlegt, indem er nämlich behauptet und wohl auch glaubt, ›Wahres‹ zu berichten.22 In diesem Zusammenhang muß auch ein Satz Heinz Stoltes relativiert werden, wenn er nämlich sagt: »(...) den Boden der Tatsachen, den verlieren wir in seinen Büchern nicht. Sie sind vielmehr voll von verläßlicher Information, sie sind Lehrbücher der Geographie und Völkerkunde, Schatzkammern der Folklore (...)«23 In Abwandlung eines Wortes von Heraklit muß man hier sagen, ›sie sind es und sie sind es nicht‹. So häufig, wie May Sachtexte seiner Vorlage entsprechend korrekt im gegebenen Zusammenhang zitiert, so häufig bearbeitet er auch Quellentexte seiner eigenen Vorstellung gemäß. Er bietet, vorsichtig ausgedrückt, ein Kaleidoskop des Wissens aus dem 19. Jahrhundert in unterschiedlichen Kenntnisphasen und auf unterschiedlichen Forschungsstufen, teils stark von Subjektivität geprägt, oft auch auf bloßem Hörensagen basierend. Die älteste von May benutzte Quelle stammt aus dem Jahre 1834, und für die Erzählung ›Blutrache‹ griff er sogar auf eine arabische Geographie aus dem Hochmittelalter zurück, die er ins 19. Jahrhundert beamt.24

   Begleiten wir noch kurz Kara Ben Nemsi, Hadschi Halef und die Ateïbeh über 2.000 km »quer durch das Belad Arab nach El Nahman, der Wüste von Maskat« (Wüste 345; Didier 253) und wenden uns dann der Etymologie der Beni-küfr zu.


//287//

6. »... ein Deutscher, der ein bißchen Türkisch probiert«25


Die Ateïbeh [Ötebe, Utaiba], zu denen die Beni-küfr laut May gehören sollen, sind der größte Stammesverband der arabischen Halbinsel.26 Auch heute noch sind die Beduinen stolz auf ihren Stamm, und es ist schlechterdings unvorstellbar, daß sich ein Stamm mit einem Schimpf- oder Spottnamen belegt. Bekannt ist das Beispiel der Beni H.arb, was man als ›Söhne des Krieges‹ verstehen kann, die sehr empfindlich auf die spöttische Bezeichnung Beni Harb, ›Söhne der Flucht‹, reagierten.27 Auch die Ereignisse im Zusammenhang mit den Beni-küfr, Frevel bei der Kaaba und nachfolgende Ächtung, lassen vermuten, daß es sich um eine Maysche Fiktion handelt. Bemerkenswert auch hier, daß er die Underdogs zu Helden macht, genauso wie die Apachen, die im 19. Jahrhundert den Ruf der Erzschurken genossen. Die arabische Bezeichnung ›Beni‹ (Banu) drückt ebenso wie ›Uëlad‹ (Aulad) als Gattungsbegriff in Genitivverbindungen die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft aus. Der zweite Namensbestandteil ›küfr‹, um den es hier geht, enthält die arabische Wurzel ›kfr‹ (Unglaube, Gotteslästerung), woraus sich das bekannte ›Kaffer‹ (eigentlich ›Ungläubiger‹, aus arab. ›kafir‹) ableitet. Auch das in Karl Mays Orienterzählungen häufig auftretende ›Giaur‹, das die Türken über das Persische aus dem Arabischen entlehnten, leitet sich davon ab. Insofern handelt es sich bei den Beni-küfr sicherlich um eine plausible Sprachschöpfung Karl Mays. Im heutigen Türkischen findet sich das Wort ›küfür‹ (Ketzerei, Fluch), und in der Tat entnahm Karl May die Bezeichnung ›küfr‹ einem deutsch-türkischen Wörterverzeichnis. Es findet sich in


von der Berswordt: Neueste Grammatik der türkischen Sprache für Deutsche zum Selbstunterricht. Nebst einer reichhaltigen Sammlung von Gesprächen, so wie einer türkisch-deutschen und deutsch-türkischen Wörtersammlung. Berlin 1839.28


Dort lesen wir auf Seite 188 den Eintrag: ›verfluchen - küfr etmek‹. Unter Auslassung von ›etmek‹ (tun, machen), was vorzugsweise zur Verbalisierung von Substantiven benutzt wird, erhält May den ihm passenden Terminus.

   Ein Vergleich der im Orientzyklus überaus reichlich vorkommenden türkischen Sprachproben macht deutlich, daß sie fast alle aus dem Werk von der Berswordts stammen. Sie zu kommentieren, sei dem kompetenten Sprachwissenschaftler überlassen. Ich möchte nur an einigen Beispielen Mays Arbeitsweise aufzeigen.29

   Konsequent ändert May die Schreibweise der türkischen Vokabeln ab, indem er auf diakritische Zeichen verzichtet. Er folgt dabei von der Berswordts Erklärungen ›Von den türkischen Buchstaben und Lesezeichen‹ (Berswordt 1f.), besonders bezüglich der Phoneme ›`´c‹, ›`´g‹ und ›`s‹, die May um der einfacheren Lesart willen in ›tsch‹, ›dsch‹ und ›sch‹ umschreibt:


//288//

von der Berswordt

Bostan`´gi - Gärtner (79)
El`´ci - Gesandter (208)
Nem`´ce - Deutscher (154)
Padi´sah - Kaiser (122, 164)
´Seitan - Teufel (2)
Wüste

Bostandschi (177)
Eltschi (208)
Nemtsche (177)
Padischah (514)
Scheitan (190)


Prinzipiell kann man feststellen, daß May sich nicht allein auf die Übernahme vorgegebener Vokabeln beschränkt, sondern sich auch bemüht hat, in die Grundlagen der türkischen Grammatik einzudringen. So benutzt er verschiedene von von der Berswordt beschriebene Sprachprogramme, um mittels des Wörterverzeichnisses zu einem ihm passenden Ausdruck zu gelangen:


a) »Die Mehrzahl wird aus der Einheit gebildet, indem man die Sylbe  l e r  oder  l a r  anhängt. Der Gebrauch der einen oder der andern Sylbe richtet sich danach, ob die letzte Sylbe des Wortes hart oder weich ist.« (Berswordt 7)


von der Berswordt

`´Gasus - Spion (182)
Gemi taïfasy - Matrose (169)
Moskow - Russe (177)
Wüste

Dschasusler - Spione (203)
Gemi-taïfasyler - Matrosen (177)
Moskowler - Russen (255)


b) »So werden Hauptwörter aus Hauptwörtern gebildet: A. Durch Anhängung der Sylbe `´gi oder `´ci. Sie bezeichnen meist den Fabrikanten oder den Besitzer des Stammwortes (...) E. Durch Anhängung der persischen Endsylbe  d a r, die den Ausüber eines Amtes bezeichnet (...)« (Berswordt 78, 80)


von der Berswordt

dewe - Kameel (164)
jazmak - schreiben (179)
kürek - Ruder (177)
arka - Schutz (180)
Wüste

Dewedschi - Kamelverleiher (242)
Jazmakdschi - Schreiber (177)
Kürekdschi - Steuermann (186)
Arkadar - Schützling (179)


Man beachte hier, was Berswordt zu der Endsilbe  d a r  sagt: »Ausüber eines Amtes«. Demnach wäre Arkadar bestenfalls als ›Schutzherr‹ zu verstehen. Zum Vergleich nehme man das osmanische Amt des ›Defterdar‹, Finanzminister, abgeleitet von ›defter‹, Rechnungsbuch. Somit erweist sich Arkadar als typisch Maysche Kreation.


//289//

c) »Die Türken haben in ihrer Sprache keine Präpositionen sondern Postpositionen, die sich an einem andern Worte am Ende hinzufügen, um ein bestimmtes Verhältnis von diesem auszudrücken (...) `´g e, `´g a (...)« (Berswordt 64)


arslan - Löwe
(Berswordt 168)
arslandscha - wie ein Löwe
(Wüste 194)


d) »An den Stamm des Zeitwortes die Sylbe mi´s angehängt, giebt die 2te Stammzeit oder das Participium Perfecti (...)« (Berswordt 37)


Fal`´gy - Hexe
(Berswordt 163)
Faldschymisch - verhext, bezaubert
(Wüste 191)


Beachtenswert auch hier Mays Ungenauigkeit: ›fal`´gy‹ ist ein Nomen. Ein Beweis mehr, daß er mit dem von der Berswordt ›gearbeitet‹ hat.


e) »Bei solchen Zeitwörtern aber, deren Imperativ auf einen Vokal endigt, wird des Wohlklanges wegen vor ip oder up ein j eingeschaltet und gehört, z. B.  s ö j l e m e k  -  s ö j l e - j ü p  redend (...)« (Berswordt 48)


hawlamak - heulen
(Berswordt 163)
Hawlajüp - ›Heulende‹, heulende Derwische (Wüste 189)


Einige Maysche Neuschöpfungen seien schließlich noch erwähnt:


von der Berswordt

ke`´ci - Ziege (194); kise - Beutel (152)
Wüste

Ketschikise - aus Ziegenfell gefertigte Beutel (216)
`´cekirge - Heuschrecke (163)Tschekir - Kuchen aus gemahlenen Heuschrecken (247)
aziz - heilig (162); kuma´s - Zeug (194)Aziz-kumahsch - ›heiliges Zeug‹ (226)
keten bezi - Leinwand (168); `´cuwal - Sack (177)Kettschuwal - Leinwandsäckchen (216)


Der ›`´cuwal‹ begegnet uns später noch einmal in ›Von Bagdad nach Stambul‹, dem 3. Band des Orientzyklus:

   »... Weißt du, was ein Tschuwaldar*) [*Wörtlich: Sackmann. Einer, der seine Ermordeten im Sacke in das Wasser wirft.] ist?«

   »Ich weiß es,« antwortete ich, denn ich hatte mir viel von den Tschuwaldar erzählen lassen, welche vor gar nicht langer Zeit Konstantinopel so fürchterlich unsicher gemacht hatten.30

   Offensichtlich hat sich May durch dieses Wort zu der Räuber- und Mörderbande, die Konstantinopel unsicher macht, inspirieren lassen.


//290//

   Mays Eigenart, in übernommene Vorlagentexte fremdsprachliches Material zu interpolieren, ist weiter oben schon erwähnt worden. Seine Absicht dabei ist klar: Authentizität herzustellen, Quellen zu verschleiern und durch diese besondere Art der Variation den Text für sich zu reklamieren. Zwei Beispiele mögen das verdeutlichen.

   Bevor Kara Ben Nemsi den Sambuk besteigt, der ihn und Halef über das Rote Meer tragen soll, gibt May seiner Quelle Didier entsprechend eine Beschreibung des Fahrzeugs.31 Dabei wird ein Verschlag erwähnt, der sich unter dem Hinterdeck befindet. Diese Vorrichtung spielt dann im Laufe der Erzählung eine nicht unmaßgebliche Rolle als Tachta-perde - Verschlag (Wüste 189; Berswordt 189) oder als Oda - Kammer, Kajüte (Wüste 215; Berswordt 164: Kammer).

   Bei der Beschreibung der Stadt Dschidda sagt May mit Didier:


Die Stadt zerfällt in zwei Hälften, in die Nysf*) [*Hälften.] von Syrien und von Yemen ... (Wüste 232)Die Stadt zerfällt in zwei große Hälften, welche nach ihrer geographischen Lage, das Viertel von Yemen und das syrische genannt werden (...) (Didier 154)


Mittels von der Berswordts Wörterverzeichnis: nysf - die Hälfte (Berswordt 162) schafft May sozusagen eine ›Überrealität‹, unter Auslassung des Plurals.

   Am Ende dieses Abschnitts noch ein Wort zum ursprünglichen Titel des Reiseabenteuers, den May dem der Buchausgabe zugrundeliegenden Zeitschriftenabdruck gegeben hatte: Giölgeda padi´shanün,32 was »Im Schatten des Padischa« (Wüste 32) oder »im Schutze des Großherrn« (Wüste 179) bedeuten soll. An anderer Stelle und aus berufenerem Munde ist schon Mays Konstrukt kommentiert worden: »Dieser Ausdruck (...) verstößt hart gegen Regeln der türkischen Lautlehre (Vokalharmonie), Morphologie und Syntax.«33 Dem ist sicherlich nicht zu widersprechen. Anhand von Mays Quelle können wir jetzt allerdings nachvollziehen, wie er zu diesem Ausdruck gelangt ist.

   May entnahm von der Berswordts Wörtersammlung ›giölge‹ (Schatten; S. 178) und ›padi´sah‹ (Kaiser; S. 122, 164). Beide Vokabeln kombinierte er, nach den Anweisungen seines Gewährsmannes, wie er sie auffaßte und wie es ihm gefiel, folgendermaßen: »Unveränderliche Postpositionen. Diese werden wiederum eingetheilt, in solche a) die mit dem Nominativ oder Genitiv zusammengestellt werden.  d e,  d a  in, in dem, in der, z. B.  e w d e  zu Hause (...)  g i t a b d a  im Buche (...)« (S. 64) May entscheidet sich für ›da‹, weil es ihm wohl einfach besser in den Ohren klang.

   Der zweite Bestandteil des Begriffs ergibt sich durch ein Mißverständnis. »Die Bildung des Genitivs geschieht bei Wörtern, die sich auf einen Mitlauter endigen, durch Anhängung der Sylbe  u n, ü n  (...) Bei den Hauptwörtern,


//291//

die sich auf einen Selbstlauter endigen, durch Anhängung der Sylbe  n u n  oder  n ü n. Z. B.  a n a  die Mutter -  a n a n ü n  der Mutter.  b a b a  der Vater -  b a b a n ü n  des Vaters (...)« (S. 8) Da ›padi´sah‹ sich in der ›deutschen‹ Aussprache »auf einen Selbstlauter endigt«, erhält es nach Mays Verständnis eben ein ›nün‹. Voilà.

   Allerdings soll noch auf einen besonderen Umstand hingewiesen werden, nämlich die variierende Schreibweise des Begriffs. Die Titelzeile im ›Deutschen Hausschatz‹ lautet durchgängig ›Giölgeda padi´shanün‹. Die erste Textstelle, in der der Begriff erklärt wird, hat im Zeitschriftenabdruck ›Giölgeda padi´sahnün‹,34 enthält also die ursprüngliche Berswordtsche Schreibweise ›padi´sah‹. Die Buchausgabe bietet unter Auslassung des diakritischen Zeichens ›Giölgeda padisahnün‹ (Wüste 32). Alle weiteren Stellen notieren ›Giölgeda padischahnün‹ (Wüste 66, 164 u. ö.), entsprechen also der oben beschriebenen Konstruktion. Die Vertauschung der Buchstaben ›a‹ und ›h‹ in der Titelzeile ist also vermutlich das Ergebnis eines Schreib- oder Setzerfehlers, der May auch später nicht aufgefallen sein dürfte.

   Trotz der Verzerrungen, die May sich leistet, ist seine Absicht erkennbar und auch anzuerkennen, Authentisches zu schaffen. Für die weitaus größte Zahl seiner Leser spielte und spielt es auch keine Rolle, ob richtig oder falsch, da sie wohl des Türkischen genauso wenig mächtig waren wie er, eher noch weniger als er, den Schreiber dieser Zeilen nicht ausgenommen. Nach Mays pseudologischem Selbstverständnis war er nach Beschäftigung mit von der Berswordts Grammatik des Türkischen mächtig, er hatte es sich auf seine Art ›angeeignet‹, und folgerichtig firmierte er in Kürschners Literaturkalender unter anderem als Übersetzer aus dem Türkischen. Angesichts der Art, wie May mit seinen Quellen umging, kommt man nicht umhin, festzustellen, daß er sich die Welt schreibend, abschreibend und umschreibend, anverwandelte. Seine Phantasie ist demgemäß ungleich höher zu bewerten als seine Erfindungsgabe.35



7. ... Stoff für reiseschriftstellerische Werke ...36


Wie wir gesehen haben, ist Mays Fiktion in starkem Maße von seinen Quellen abhängig. Er verdankt ihnen üppige Anregungen für seinen phantastischen Bilder- und Spiegelsaal. Sie haben seine literarische Produktion nachhaltig bestimmt und auch bedingt. Seine Texte stellen nicht zuletzt eine Metamorphose der Realität dar, die andere mit ihren Augen gesehen und mit ihren Mitteln abgebildet haben. Häufig aber auch bildeten seine Bücher eine Ausgangsbasis für den Lebensweg anderer Menschen. »Es verdient auch festgehalten zu werden, daß gerade die Orientbände Karl Mays vielfach lebensprägend gewirkt und manchen Wissenschaftler bei seiner Berufswahl bestimmt haben.«37 Einer davon


//292//

soll zum Schluß noch kurz vorgestellt werden. Es handelt sich um den Österreicher Alois Musil, einen Vetter des bekannten Dichters Robert Musil.

   Alois Musil (1868-1944) war Priester, Professor für Biblische Hilfswissenschaften, Orientalist und Geograph. Seit 1895 bereiste er systematisch den Vorderen Orient. Wie viele andere Leser begeisterten Karl Mays Reiseerzählungen offensichtlich auch den jungen Musil, »der sich, so weit Indizien einen Sachverhalt beweisen können, entschlossen haben muß, Karl May auf seinen Spuren zu folgen und alles das, was er in Büchern wie ›Durch die Wüste‹ oder ›Von Bagdad nach Stambul‹, aber auch in den Bänden ›Im Reiche des Silbernen Löwen‹ und ›Im Lande des Mahdi‹ wie im Traume miterlebte, auch in Wirklichkeit auszukosten«.38

   Offensichtlich waren Musils Reiserouten und die Reihenfolge einiger seiner wissenschaftlichen Arbeiten besonders von Karl Mays 3. Orientband ›Von Bagdad nach Stambul‹ beeinflußt. Im ersten Kapitel dieses Buches gibt May einen Überblick über die Geographie und die Geschichte Arabiens. Unter anderem schreibt er: Dieses Land ... wurde im Altertum eingeteilt in Arabia peträa, in Arabia deserta und in Arabia felix ...39 Musil ging diesen Fingerzeigen insofern nach, als er »von Anfang an ein Arbeitsprogramm ›Arabia petraea‹ ins Auge faßte und gewissenhaft durchzog. Als zweiten Schritt setzte er dann die Erforschung von ›Arabia deserta‹.«40 Interessanter- und ironischerweise folgte er hierbei eigentlich nicht den Spuren Karl Mays, sondern vielmehr ›Pierer's Universal-Lexikon‹, dem May diese Textpassage entnommen hatte.41

   Musil hat sich aus verschiedenen Gründen nie öffentlich zu Karl May bekannt, wie sein Biograph schreibt, aber er folgt Karl Mays literarischen Spuren, »auch die Erlebniswelt ist die gleiche. Er bricht, wenn er in Damaskus die Abreise in die Wüste vorbereitet, vom Thomas-Tor auf, das auch Karl May erwähnt; er sucht sich einen Damaszener Kaufmann (den Honorarkonsul Chalil Fattal) als bodenständigen Schirmherrn (Karl May quartiert sich bei der Familie Isla Ben Maflei ein) (...)«42

   Musil hat auch eine Reihe Jugendbücher in tschechischer Sprache hinterlassen, deren Titel Maysches Flair haben: ›Durch die Wüste Arabiens‹, ›Nach Bagdad‹, ›Auf den Straßen des Todes‹, ›Unter Schiiten‹. »Musils Bücher sind dabei keineswegs Plagiate, weil er ja mit wissenschaftlicher Akribie so gut wie ausschließlich Selbsterlebtes erzählt oder mit echten, geschichtlichen Ereignissen anreichert (...) Auffallend ist auch, wie sehr Musils Erzählungen über seine Abenteuer mit den Beduinen, die Schilderung der zahllosen Raubüberfälle, denen er auf seinen Reisen zum Opfer fiel, oder der Gefechte, in die er mit Banden verwickelt war, bis in die Einzelheiten hinein mit der Sprache und Erlebniswelt Karl Mays übereinstimmen.«43 Erwähnenswert noch, daß Musil unter dem Namen Musa Scheich der Ruala-Beduinen wurde und rund zwei Dutzend arabische Dialekte beherrschte; er reiste mit einem Ferman des Großherrn und einem Geleitbrief


//293//

des österreichischen Kaisers; seinem Gefährten Karl Waldmann, der ihn 1914/15 durch die Wüste begleitete, gab er den Namen ›Halef‹. Seine deutlichste ›hommage à Karl May‹ unternimmt er, als er unter den Giebel seines Landhauses den Namen ›Villa Musa‹ schreiben läßt, in Anlehnung an Mays ›Villa Shatterhand‹. Wie Feigl schreibt: »Ein erfüllter Lebenstraum, geboren aus der Phantasie eines Knaben und der harten Arbeit des Mannes«.44 Dem ist nichts hinzuzufügen.



1 Umberto Eco: Im Wald der Fiktionen. Sechs Streifzüge durch die Literatur. München-Wien 1994, S. 157

2 Charles Didier: Ein Aufenthalt bei dem Groß-Scherif von Mekka. Aus dem Französischen übersetzt von Helene Lobedan. Leipzig 1862, S. 1; künftig im Text zitiert mit der Sigle Didier.

3 Die französische Originalausgabe erschien 1857 in Paris unter dem Titel ›Séjour chez le schérif de La Mecque‹. Charles Didier teilt das Schicksal vieler anderer Gewährsmänner Karl Mays - heute nahezu vollständig vergessen, haben mehr oder weniger große Teile ihrer Werke anonym überlebt. Die eruierten Daten zu Didiers Leben und Werk sind spärlich genug. Er wurde 1805 in Genf geboren und beging am 8. März 1864 in Paris Selbstmord, nachdem er vollständig erblindet war. Literarischen Ruhm erlangte er in Frankreich durch die Veröffentlichung seines Gedichtbandes ›Mélodies‹ (Paris 1827) und des Romans ›Rome souterraine‹ (1833). Eine Reihe seiner Romane wurde ins Deutsche übersetzt: ›Anselmo‹ (Braunschweig 1835), ›Chevalier Robert‹ (Zwickau 1839), ›Die Geheimnisse von Rom‹ (Halberstadt 1846). Unter dem Reihentitel ›Sämmtliche Schriften‹ erschienen 1845-47 in Nordhausen ›Caroline in Sizilien‹, ›Thekla oder der Consul in Marokko‹, ›Als Geliebte, als Mutter‹ und ›Ritter Robert oder Leben und Ende eines modernen Weltverbesserers‹. Außer dem ›Groß-Scherif‹ veröffentlichte er weitere Reiseberichte: ›Une année en Espagne‹ (1837), ›Campagne de Rome‹ (1842), ›Promenade au Maroc‹ (1844), ›Cinquante jours au désert‹ (1857), ›Cinq cents lieues sur le Nil‹ (1858) und ›Les nuits du Caire‹ (1860). Davon erschienen auf Deutsch zwischen den Jahren 1862 und 1866 in der Reihe ›Bergson's Eisenbahnbücher‹ (Leipzig): ›50 Tage in der Wüste‹ und ›120 Meilen auf dem Nil‹. (Daten nach: Meyers Großes Konversations-Lexikon. 4. Bd. Leipzig und Wien 61909, S. 882; Le Grand Larousse Du XXe Siècle. 2. Bd. Paris 1929, S. 854; Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums (GV) 1700-1910, 12. bzw. 28. Bd. München-New York-London-Paris 1980f., S. 411 bzw. 307)

4 Richard Francis Burton (geb. 19. 3. 1821 in Torquay (Devon), gest. 20. 10. 1890 Triest), hatte 1853 unter der Maske eines mohammedanischen Pilgers als Scheich Abdallah Medina und Mekka besucht. Die Ergebnisse dieser Reise erschienen 1855 unter dem Titel ›Personal narrative of a pilgrimage to El Medinah and Meccah‹. Nachdem er mit Charles Didier Suez erreicht hatte, mußte er seine Reisepläne ändern. Er erhielt von der englischen East-India Company, in deren Dienst er stand, den Auftrag, das Somaliland zu erforschen. Am 27. 1. 1854 brach er von Zeila aus nach Harrar auf, wo vor ihm noch kein Europäer gewesen war. Dort hielt er sich 10 Tage auf. 1856 erschien in London sein Reisebericht: ›First footsteps in East Africa; or an exploration of Harar‹. Für ›Das Waldröschen‹ benutzte Karl May Burtons Mitteilungen in der deutschen Bearbeitung von Karl Andree: Burton's Reisen nach Medina und Mekka und in das Somaliland nach Härrär in Ostafrika. Leipzig 1861. Vgl. dazu Bernhard Kosciuszko: Richard Burtons Reise in das Land der Somali nach Härrär in Ostafrika. In: Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft


//294//

(M-KMG) 57/1983, S. 34-38; Ralf-Peter Märtin: Sorgfalt und Kalkül. Karl Mays Umgang mit seinen Quellen. In: Karl May - der sächsische Phantast. Hrsg. von Harald Eggebrecht. Frankfurt 1987, S. 235-49.

5 Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. I: Durch Wüste und Harem. Freiburg 1892, S. 245; künftig im Text zitiert mit der Sigle Wüste.

6 Vgl. Inge Fortas: Karl May und Heinrich von Maltzan. In: M-KMG 77/1988, S. 41-46 und 78/1988, S. 36-40. Ob Maltzan wirklich die Vorlage für Mays Mekka-Abenteuer bildet, ist fraglich. Hingewiesen sei hier nur auf die unterschiedliche Nomenklatur beider Autoren. Sicher ist, daß May mindestens zwei verschiedene Quellen benutzt hat. Eine gesonderte Untersuchung wird hier noch Klarheit schaffen müssen.

7 Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. III: Von Bagdad nach Stambul. Freiburg 1892, S. 316 - über die biblischen Assoziationen im Orientzyklus, zu denen auch die Jonas-Anspielungen während der Fahrt über das Rote Meer gehören, vgl. auch: Martin Lowsky: Die Reise nach Jerusalem. Zur Dynamik in Karl Mays Orientzyklus. In: Karl Mays Orientzyklus. Hrsg. von Dieter Sudhoff/Hartmut Vollmer. Paderborn 1991, S. 131-35.

8 Vgl. Helmut Lieblang: Englisch-Ostindien. Nach den besten Quellen geschildert von einem Vereine Gelehrter. Eine Quelle Karl Mays. In: M-KMG 108/1996, S. 36-41.

9 Zu dem Problem des natürlichen und künstlichen Erzählens vgl. auch: Eco, wie Anm. 1, S. 160ff.

10 Ebd., S. 160

11 Vgl. Hans Höss: Kara Ben Nemsi als Hekim. In: Vom Lederstrumpf zum Winnetou. Autoren und Werke der Volksliteratur. Hrsg. von Siegfried Augustin/Axel Mittelstaedt. München 1981, S. 81-94.

12 May: Durch Wüste und Harem, wie Anm. 5, S. 184

13 Vgl. das Stichwort ›Trog(l)odytai‹ in: Der Kleine Pauly. Lexikon der Antike. Bd. 5. Hrsg. von Konrat Ziegler/Walther Sontheimer/Hans Gärtner. München 1979, S. 978.

14 Brockhaus' Conversations-Lexikon. 15. Bd. Leipzig 131886, S. 858 (Stichwort: Troglodyten)

15 Pierers Universal-Conversations-Lexikon. 6. Bd. Oberhausen-Leipzig 61876, S. 467 (Stichwort: Dionysos)

16 May: Durch Wüste und Harem, wie Anm. 5, S. 231

17 Vgl. Harald Jenner: Historische Figuren und Namen in Karl Mays Werk. In: M-KMG 96/1993, S. 29-32 (S. 31). Jenner kommt aufgrund anderer Unterlagen zu demselben Ergebnis.

18 Vgl. ebd., S. 29; Helmut Lieblang: Die Berge von Befour. Eine topographische Notiz. In: M-KMG 119/1999, S. 38-41

19 Als erster berichtete Johann Ludwig Burckhardt (1784-1817) in Europa über diese Begebenheiten in seinen posthum erschienenen Werken ›Reisen in Arabien‹ (Weimar 1830, S. 679) und ›Bemerkungen über die Beduinen und Wahaby‹ (Weimar 1831, S. 515).

20 Ein weiterer Einschub, den May übernimmt, ist die Erwähnung der Geisterstadt Medaïhn Saliha (May: Durch die Wüste, wie Anm. 5, S. 227; Didier, wie Anm. 2, S. 126f.), von der Didier bei einem Empfang beim Gouverneur in Dschidda gehört hatte. Diese nabatäische Karawanenstation an der Weihrauchstraße wurde erst 1876 von Charles M. Doughty (1843-1926) wiederentdeckt und erstmals beschrieben. - Beispiele aus Mays Werk sind der Wüstenreisende aus ›Am Jenseits‹ und Scheik Jamir von den Hamawand-Kurden aus ›Im Reiche des silbernen Löwen II‹. Sie entstammen dem Bericht des Baron Eduard Nolde: Reise nach Innerarabien, Kurdistan und Armenien. 1892. Braunschweig 1895.

21 Vgl. Helmut Lieblang: Adolf von Wrede und Karl May. Erlebte und fabrizierte Reisebeschreibungen. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 1995. Husum 1995, S. 252-61.


//295//

22 Vgl. dazu auch Claus Roxin: »Dr. Karl May, genannt Old Shatterhand«. Zum Bild Karl Mays in der Epoche seiner späten Reiseerzählungen. In: Jb-KMG 1974. Hamburg 1973, S. 15-73. Der Aufsatz wurde wiederveröffentlich in Claus Roxin: Karl May, das Strafrecht und die Literatur. Tübingen 1997.

23 Heinz Stolte: Ein Literaturpädagoge. Untersuchungen zur didaktischen Struktur in Karl Mays Jugendbuch ›Die Sklavenkarawane‹, 1. Teil. In: Jb-KMG 1972/73. Hamburg 1972, S. 175

24 Eine Arbeit darüber ist in Vorbereitung.

25 May: Durch Wüste und Harem, wie Anm. 5, S. 234

26 Näheres dazu bei Max Freiherr von Oppenheim: Die Beduinen, Bd. 3. Bearbeitet und hrsg. von Werner Caskel. Wiesbaden 1952, S. 84-97.

27 Freundliche Mitteilung von Herrn Ralph Leuthe, Biel/Bienne (Schweiz).

28 Künftig im Text zitiert mit der Sigle Berswordt. Über die Person des Verfassers kann derzeit lediglich mitgeteilt werden, was der Titel seines Buches über ihn verrät: »1. Königlich Preußischer Lieutenant aggregirt dem 10. Infanterie-Regiment«. - Erstmals hingewiesen auf von der Berswordts Buch als fremdsprachliche Quelle Mays hat Ralf Schönbach: »Zu einem guten Kartenleser gehört schon Etwas ...« In: Karl Mays Orientzyklus, wie Anm. 7, S. 202-18.

29 Erwähnt seien an dieser Stelle einige Ausdrücke, die zu Mays orientalischem Standardvokabular gehören und auch in seinen späten Erzählungen Verwendung finden (in Klammern Angabe der jeweiligen Seite bei Berswordt): giaur (Ungläubiger; 141); hazretin (Hoheit; 88); kismet (Schicksal; 178); kitab (Buch, Bibel; 79); Nemtsche (Deutscher; 154); o jazik (o wehe; 73); scheitan (Teufel; 2); tüfenk (Flinte; 157); tütün (Tabak; 184); wai (wehe; 74); wallahi, billahi, tallahi (Ausruf der Verwunderung; 74).

30 May: Von Bagdad nach Stambul, wie Anm. 7, S. 425

31 Vgl. May: Durch Wüste und Harem, wie Anm. 5, S. 174f.; Didier, wie Anm. 2, S. 117f.

32 Karl May: »Giölgeda padi´shanün«. Reise-Erinnerungen aus dem Türkenreiche. In: Deutscher Hausschatz. VII. Jg. (1880/81); Reprint in: Karl May: Giölgeda padi´shanün / Reise-Abenteuer in Kurdistan. Hrsg. von der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg/Regensburg 1977

33 Jürgen Pinnow: Fremdsprachliche Angaben Karl Mays aus dem orientalischen Raum. In: M-KMG 83/1990, S. 41-45 (S. 41f.); ergänzend sei darauf hingewiesen, daß von der Berswordt nicht auf das ›Gesetz der Vokalharmonie‹ eingeht. May konnte also nicht um dieses den Klang der türkischen Sprache beherrschende Gesetz wissen. Vgl. dazu z. B. Ph. Rühl: Türkische Sprachlehre. Heidelberg 1970.

34 May: Giölgeda padi´shanün, wie Anm. 32, S. 282

35 Vgl. dazu auch Jeffrey L. Sammons: Ideology, Mimesis, Fantasy: Charles Sealsfield, Friedrich Gerstäcker, Karl May, and Other German Novelists of America. Chapel Hill and London 1998 (bes. S. 230).

36 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXVII: Im Reiche des silbernen Löwen II. Freiburg 1898, S. 466

37 Claus Roxin: Einführung (zu ›Giölgeda padi´shanün‹), wie Anm. 32, S. 3

38 Erich Feigl: Musil von Arabien. Vorkämpfer der islamischen Welt. Frankfurt a. M.-Berlin 1988, S. 71

39 Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. III: Von Bagdad nach Stambul. Freiburg 1892, S. 1

40 Feigl, wie Anm. 38, S. 72 - ›Arabia Petraea‹ erschien in drei Bänden in den Jahren 1907/08, ›Arabia Deserta‹ 1927.

41 Pierer's Universal-Lexikon der Vergangenheit und Gegenwart oder Neuestes encyclopädisches Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Gewerbe. 1. Bd. Altenburg 51867, S. 639. May hat sich zwar für seine frühen Reiseerzählungen häufig bei der 4. Auflage des ›Pierer‹ bedient, wie Rudi Schweikert in zahlreichen Beiträ-


//296//

gen in den Mitteilungen und Jahrbüchern der Karl-May-Gesellschaft dargelegt hat, für den 3. Band des Orientzyklus hat er aber eindeutig auch auf die 5. Auflage zurückgegriffen, doch mehr davon ein anderes Mal.

42 Feigl, wie Anm. 36, S. 74

43 Ebd., S. 74f.

44 Ebd., S. 76




Inhaltsverzeichnis


Alle Jahrbücher


Titelseite KMG

Impressum Datenschutz