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WILLIAM E. THOMAS


Karl May und die ›Dissoziative Identitätsstörung‹



Ich leugne nicht, daß ich vor nun 40-50 Jahren mit den Gesetzen in Konflikt gekommen und dafür bestraft worden bin; aber was ich damals in tiefster, seelischer Depression und Zwangslage tat, würde in der jetzigen, aufgeklärteren Zeit nicht vor den Richter, sondern vor den Arzt gehören.
Karl May am 4. August 19101



Einführung


In seiner Autobiographie ›Mein Leben und Streben‹ hat May den merkwürdigen Seelenzustand beschrieben,2 in dem er sich in den Jahren 1862 bis 1874 befand, als er mit dem Strafgesetz in Konflikt kam - ein Rätsel für ihn und für alle, die sein Leben und sein Werk erforschen.

   1994 wurde die Dissoziative Identitätsstörung [Dissociative Identity Disorder = D. I. D.] in der vierten Ausgabe des ›Diagnostischen und Statistischen Handbuches der Geistesstörungen‹3 der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung erkannt und beschrieben. Dissoziative Störungen werden jetzt als die Folgen eines schweren Traumas in früher Kindheit angesehen, von wiederkehrendem physischen, emotionalen oder sexuellem Mißbrauch. Wenn ein Kind mit einer traumatischen Situation konfrontiert wird, vor der es keine physische Flucht gibt, kann es auf eine ›Flucht‹ in seinem Kopf zurückgreifen. Durch diesen Prozeß der Loslösung, der eine äußerst schöpferische Überlebenstechnik ist, können Gedanken, Gefühle, Erinnerungen und Wahrnehmungen der traumatischen Erfahrungen psychologisch abgetrennt werden, und er erlaubt dem Kind, zu ›funktionieren‹, als ob das Trauma nicht stattgefunden hätte.

   Die diagnostischen Merkmale von Dissoziativer Identitätsstörung werden in dem ›Statistischen Handbuch (DSM-IV)‹ wie folgt definiert:

A. Gegenwart von zwei oder mehr verschiedenen Identitäten oder Persönlichkeitszuständen.
B. Diese übernehmen wiederholt die Kontrolle des Verhaltens.
C. Die Unfähigkeit, sich an wichtige persönliche Informationen zu erinnern, deren Ausmaß zu groß ist, als daß sie durch gewöhnliche Vergeßlichkeit erklärt werden kann.
D. Die Störung ist nicht die Folge der direkten physiologischen Effekte einer Substanz oder eines allgemeinen medizinischen Zustandes.4


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   Von Wichtigkeit ist auch der Fluchtzustand, bei dem eine Person in einem Zustand geänderten Bewußtseins von zu Hause weggeht. Die diagnostischen Kriterien in DSM-IV sind:

1. Plötzliches, unerwartetes Verlassen von Heim oder Arbeit, verbunden mit der Unfähigkeit, sich an einiges oder alles aus seiner Vergangenheit zu erinnern.
2. Verwirrung über die persönliche Identität oder Annahme einer neuen Identität.
3. Die Störung geschieht nicht ausschließlich während des Anfalls von D. I. D. und tritt nicht als Nebenwirkung einer Substanz oder allgemeinen medizinischen Zustandes auf.
4. Die Symptome verursachen ein klinisch bedeutsames Leiden oder eine Beeinträchtigung der Körperfunktionen.
5. Der Anfang von dissoziativer Flucht steht gewöhnlich in Zusammenhang mit traumatischen, streßbedingten oder überwältigenden Lebenserfahrungen.

   Die bedrückenden Symptome von D. I. D. sind akustische und visuelle Halluzinationen, Gedächtnisschwund, Verlust des Zeitgefühls, Depression, Schlafstörungen wie Schlaflosigkeit, Alpträume, Panikattacken, und psychosen-ähnliche Anzeichen.

   Eine Person mit D. I. D. hat innerhalb ihrer Persönlichkeit zwei oder mehr Wesen oder Persönlichkeitszustände, jedes mit seiner eigenen unabhängigen Art von Beziehung, Wahrnehmung, Denken und Erinnerung in bezug auf sich selbst und sein Leben. In diesem Zusammenhang ist es von Interesse, die Worte von drei außergewöhnlichen Schriftstellern anzuführen: Somerset Maugham, Jack London und Karl May:


Es gibt Zeiten, in denen ich die verschiedenen Teile meiner Persönlichkeit mit Verwirrung betrachte.  I c h  e r k e n n e,  d a ß  i c h  a u s  m e h r e r e n  P e r s o n e n  b e s t e h e, und daß die Person, die im Augenblick die Oberhand hat, unweigerlich einer anderen Platz machen wird. Aber welche ist die wahre? Sie alle oder keine von ihnen? (Somerset Maugham)5


Mein ganzes Leben lang habe ich Kenntnis von anderen Zeiten und Orten gehabt.  I c h  w a r  m i r  a n d e r e r  P e r s o n e n  i n  m i r  b e w u ß t. (Jack London)6


Ich habe meinem Geiste und meiner Seele ein irdisches Gewand gegeben, Roman genannt ... Dieses Gewand ist der einzige Körper, in dem es meinem inneren Menschen möglich ist, mit meinen Lesern zu reden, sich ihnen sicht- und hörbar zu machen. (Karl May)7


Einige Leute mit D. I. D. können verantwortungsvolle Berufe ausüben. Gegenüber Kollegen, Nachbarn und anderen, mit denen sie täglich Umgang haben, scheinen sie normal zu reagieren.

   D. I. D. kann geheilt werden. Der Zustand ist in hohem Maße empfäng-


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lich für eine individuelle Psychotherapie wie auch für eine Vielzahl anderer Behandlungsmethoden, einschließlich Medikation, Hypnosebehandlung und zusätzlicher Therapien wie z. B. Kunst-, Musik- oder Bewegungstherapie. Die Behandlung ist langwierig, hat aber die besten Erfolgschancen. Personen mit D. I. D. wurden erfolgreich von Therapeuten jeglichen berufsmäßigen Hintergrundes in einer Vielfalt von Begleitumständen behandelt.

   Der Fall des Schriftstellers Karl May ist aus vielen Gründen interessant. Er war fähig, genau die Symptome von D. I. D. zu beschreiben, fast ein Jahrhundert bevor es als eine Krankheit erkannt wurde. May versuchte anhand eines zeitgenössischen Lehrbuchs der Psychiatrie8 herauszufinden, was mit ihm geschehen war, und beschrieb ein Symptom, das dort nicht verzeichnet war: den ›Dissoziativen Fluchtzustand‹. Karl-May-Biographen und Kritiker haben oft die Tatsache erwähnt, daß der Autor dieses Lehrbuch in seiner Bibliothek hatte, es durchlas und benutzte, es aber nicht erwähnte.9

   Alle bisherigen Versuche, den Seelenzustand Karl Mays zu erklären, waren unbestimmt und nicht überzeugend. Er wurde als ein hochgradig neurotischer Mensch präsentiert, der an Hysterie litt, ein psychosomatischer Traumwandler. Sogar ein Ausdruck wurde geprägt - ›Pseudologia phantastica‹,10 ein heute unzeitgemäßer Begriff aus der Psychiatrie. Karl May wurde als ein von narzißtischer Selbstliebe geplagter Mensch angesehen. Mays Beschreibung in seiner Biographie, er habe Stimmen gehört, Zeichen von Halluzinationen, ist kaum ernstgenommen worden.11 Falls es so gewesen wäre, müßte May als ein Schizophrener diagnostiziert werden, was mit dem Verlauf seines Lebens und all seinen literarischen Werken nicht übereinstimmen würde.



Trauma - Mißhandlungen, die Karl May in seiner Kindheit erlitt


Karl May wurde sich seiner Blindheit im 3. Lebensjahr bewußt. Er wird zumeist dahingehend interpretiert, daß er sein Augenlicht bereits kurz nach der Geburt verlor: Daß ich kurz nach der Geburt sehr schwer erkrankte, das Augenlicht verlor und volle vier Jahre siechte ...12 Wann er genau das Augenlicht verlor, wird in seiner Satzaufzählung nicht präzise angeben, und er konnte es auch nicht. Kein Mensch kann sich bis ins erste Lebensjahr zurückerinnern. Daß May volle vier Jahre siechte, bezieht sich auf sein allgemeines Befinden,13 denn er kehrte nach einer Augenbehandlung auch im übrigen gesundend14 aus Dresden heim.

   Über die normale Entwicklung des Sehens beim Neugeborenen ist bekannt, daß ein gewisser Zeitraum nach der Geburt notwendig ist, den visuellen Input zu fördern, damit er das Sehzentrum in der Hirnrinde erreicht und sich dort aufbaut. Wir wissen, daß Karl May nicht mit Katarakten geboren wurde. Er erwähnt keine Operation, um sie zu entfernen, noch mußte er dicke Brillengläser tragen. May litt an keinem schädigenden Augenlei-


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den, das seine Hornhaut beeinträchtigt hat, was zu ernsten Sehstörungen im späteren Leben geführt hätte.15 Die wahrscheinlichste Ursache seiner Augenkrankheit ist deshalb Xerophthalmie als Folge eines Vitamin-A-Mangels, ausgelöst durch eine Hungersnot, die 1844 verheerende Ausmaße annahm.16 Seine Augenhornhaut war nicht geschädigt, aber er konnte wegen geschwollener Augenlider seine Augen nicht öffnen.17 Solch ein Verlust eines der wichtigsten Sinne in einem so frühen Alter muß das Kind tief beeinflußt haben.


Ich habe in meiner Kindheit stundenlang still und regungslos gesessen und in die Dunkelheit meiner kranken Augen gestarrt, um nachzudenken ... Ich sah nichts. Es gab für mich weder Gestalten noch Formen, noch Farben, weder Orte noch Ortsveränderungen. Ich konnte die Personen und Gegenstände wohl fühlen, hören, auch riechen; aber das genügte nicht, sie mir wahr und plastisch darzustellen. Ich konnte sie mir nur denken. Wie ein Mensch, ein Hund, ein Tisch aussieht, das wußte ich nicht; ich konnte mir nur innerlich ein Bild davon machen, und dieses Bild war seelisch. Wenn jemand sprach, hörte ich nicht seinen Körper, sondern seine Seele.18


Das Kind lernte erst sehen, nachdem es seine Sehkraft durch eine ›Behandlung‹19 (nicht durch eine Operation!) von zwei Medizinprofessoren zurückerhalten hatte. Vor dieser Zeit pflegte ihn seine Großmutter.20 Sie sprach mit ihm und las ihm Geschichten vor.


Ich war die ganze Zeit des Tages nicht bei den Eltern, sondern bei Großmutter. Sie war mein alles. Sie war mein Vater, meine Mutter, meine Erzieherin, mein Licht, mein Sonnenschein, der meinen Augen fehlte. ... Was sie mir erzählte, das erzählte ich ihr wieder und fügte hinzu, was meine kindliche Phantasie teils erriet und teils erschaute. Ich erzählte es den Geschwistern und auch anderen, die zu mir kamen, weil ich nicht zu ihnen konnte.21


Der Vater, Heinrich August May, war sehr streng mit seinem Sohn. Er wollte all seine eigenen unerfüllten Wünsche im Leben durch Karl realisieren. Die Schule begann für den Jungen ein halbes Jahr eher, und sein Vater zwang ihn, alle Arten von Büchern und Texten abzuschreiben und auswendig zu lernen.


Wie mein Vater sich in Allem ungeduldig zeigte, so auch in dem, was er meine »Erziehung« nannte. Notabene mich »erzog« er; um die Schwestern bekümmerte er sich weniger. Er hatte alle seine Hoffnungen darauf gesetzt, daß ich im Leben das erreichen werde, was von ihm nicht zu erreichen war, nämlich nicht nur eine glücklichere, sondern auch eine geistig höhere Lebensstellung.22


Außerdem schlug der Vater seine Kinder:


Am Webstuhl hing ein dreifach geflochtener Strick, der blaue Striemen hinterließ, und hinter dem Ofen steckte der wohlbekannte »birkene Hans«, vor dem wir Kin-


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der uns besonders scheuten, weil Vater es liebte, ihn vor der Züchtigung im großen »Ofentopfe« einzuweichen, um ihn elastischer und also eindringlicher zu machen.23


Eine weitere Beobachtung durch Karl May:


Mein Vater war ein Mensch mit zwei Seelen. Die eine Seele unendlich weich, die andere tyrannisch, voll Uebermaß im Zorn, unfähig, sich zu beherrschen.24


Uebrigens, wenn die zehn Stunden vorüber waren, so hatten wir nichts mehr zu befürchten; wir atmeten alle auf, und Vaters andere Seele lächelte uns an. Er konnte dann geradezu herzgewinnend sein, doch hatten wir selbst in den heitersten und friedlichsten Augenblicken das Gefühl, daß wir auf vulkanischem Boden standen und von Moment zu Moment einen Ausbruch erwarten konnten. Dann bekam man den Strick oder den »Hans« so lange, bis Vater nicht mehr konnte.25


Die Blindheit bedeutete bestimmt ein nachhaltiges Trauma für Karl, während dessen er lernte, wie man seinem Elend entflieht. Später mißhandelte der strenge Vater, der zu Uebermaß im Zorn neigte, unfähig, sich zu beherrschen,26 seine Kinder - seinen Sohn mehr als die Mädchen, weil er seine unerfüllten Wünsche auf ihn übertrug.



Die Anfänge von Karl Mays D. I. D.


Zwei Ereignisse trugen zu dem voll entwickelten D. I. D.-Zustand in Karl May bei: Der Ausschluß aus dem Lehrerseminar und eine Verhaftung durch die Polizei; die zu einer sechswöchigen Haftstrafe führte.

   Weil die Familie May arm war, hatte der örtliche Schirmherr, der Graf von Hinterglauchau, Karl Mays Ausbildung an dem Lehrerinstitut unterstützt. Mays Schwester berichtete später, wie die Familie sich einschränken mußte, um Karls Ausbildung zu ermöglichen. Jeder mußte einen Teil seines wöchentlichen Verdienstes dazu beitragen.

   Weihnachten 1859 wurden sechs Kerzen, die der Schule gehörten, in Karl Mays Besitz gefunden. May wurde aus dem Seminar am 28. Januar 1860 ausgewiesen. Nach einer Bittschrift an das Erziehungsministerium wurde ihm erlaubt, seine Studien an einem anderen Lehrerseminar zu beenden, wo er die Abschlußprüfungen im September 1861 ablegte.

   Wieder an Weihnachten, 1861, als junger Lehrer, wurde er - sehr wahrscheinlich zu Unrecht - durch einen Mitbewohner angeklagt, eine Uhr nicht zurückgegeben zu haben, die May mit seiner Erlaubnis während der Schulzeit benutzen durfte. Nach zwei erfolglosen Bitten um Nachsicht wurde May zu sechs Wochen Haft verurteilt; er war inhaftiert vom 8. September bis zum 20. Oktober 1862.

   Karl May hatte alle Erwartungen seiner Familie enttäuscht. Seine Laufbahn als Lehrer, zu der sie so viel beigetragen hatten, war für immer rui-


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niert. Später schildert er seinen Seelenzustand zu dieser Zeit mit diesen Worten:


Die im letzten Kapitel erzählte Begebenheit hatte wie ein Schlag auf mich gewirkt, wie ein Schlag über den Kopf, unter dessen Wucht man in sich selbst zusammenbricht. Und ich brach zusammen! Ich stand zwar wieder auf, doch nur äußerlich; innerlich blieb ich in dumpfer Betäubung liegen; wochenlang, ja monatelang. Daß es grad zur Weihnachtszeit geschehen war, hatte die Wirkung verdoppelt. Ob ich mich an einen Rechtsanwalt wendete, ob ich Berufung eingelegt, appelliert oder sonst irgend ein Rechtsmittel ergriffen habe, das weiß ich nicht. Ich weiß nur noch, daß ich sechs Wochen lang in einer Zelle wohnte, zwei andere Männer mit mir.27


Jene Tage sind aus meinem Gedächtnisse entschwunden, vollständig entschwunden. Ich möchte aus wichtigen psychologischen Gründen gern Alles so offen und ausführlich wie möglich erzählen, kann das aber leider nicht, weil das Alles infolge ganz eigenartiger, seelischer Zustände, über die ich im nächsten Kapitel zu berichten haben werde, aus meiner Erinnerung ausgestrichen ist. Ich weiß nur, daß ich mich vollständig verloren hatte und daß ich mich dann in der Pflege der Eltern und besonders der Großmutter wiederfand. Als ich mich mühsam erholt hatte und wieder kräftig genug auf den Beinen war, bin ich nach Altchemnitz gegangen, um mein beschädigtes Gedächtnis wieder aufzufrischen. Es war in Beziehung auf die Oertlichkeiten vergebens; ich erkannte nichts, weder die Fabrik, noch meine damalige Wohnung, noch irgend eine Stelle, an der ich ganz unbedingt gewesen war.28


Es gibt keinen Grund, nicht zu glauben, was Karl May schreibt. Was May darstellt, ist als krankhafter Gedächtnisschwund bekannt, eine Erscheinung, bei der ein Bereich der Erfahrungen der ›bewußten‹ Erinnerung unzugänglich wird. In seinem Fall war der Gedächtnisschwund emotional und dissoziativ. Dissoziativer Gedächtnisschwund ist eine der dissoziativen Störungen, die in DSM-IV29 beschrieben werden. Es gibt drei diagnostische Kriterien:

1. Eine oder mehrere Episoden der Unfähigkeit, sich an wichtige persönliche Informationen, gewöhnlich traumatischen oder streßbedingten Ursprungs, zu erinnern, die zu ausgeprägt sind, als daß sie durch gewöhnliche Vergeßlichkeit erklärt werden könnten.
2. Die Störung geschieht nicht ausschließlich während der Dauer einer anderen Geistesstörung, ist nicht Folge der Nebenwirkungen einer Substanz, eines neurologischen und/oder anderen allgemeinen medizinischen Zustands.
3. Die Symptome verursachen klinisch bedeutsame Erschöpfung oder Beeinträchtigung des Verhaltens.

   Alle drei Bedingungen werden erfüllt in dem, was Karl May über seinen Seelenzustand zu dieser Zeit schreibt. Es ist wichtig, zu bemerken, daß May in diesem Zustand keine Therapie bekam. Er kam zu seiner Familie zurück, die er so sehr enttäuscht hatte und die ein ›Auslöser‹ für weitere psychologische Qual war, da sie ihn ständig an die schlimmen Erlebnisse erinnerte.


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   Es ist nicht schwer, sich die familiäre Situation von Karl May während dieser Zeit vorzustellen. Sein Vater war ein Weber, ein rechthaberischer Charakter. Seine Mutter war eine geachtete Hebamme. Von vierzehn Kindern, die ihnen geboren wurden, haben nur fünf bis zum Erwachsenenalter überlebt: vier Mädchen und Karl. Die Großmutter schien eine wichtige Rolle für die Kinder zu spielen. Zweifellos sind hohe Erwartungen in den einzigen Sohn der Familie, Karl, gesetzt worden.

   Karl Mays Seelenzustand verschlimmerte sich zwischen Januar 1863 und März 1865. Nach seiner Rückkehr aus der sechswöchigen Haft lebte er bei seiner Familie ohne irgendwelche Mittel, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten; seine Laufbahn als Lehrer war endgültig beendet. Er wurde abhängig von der Familie. May versuchte, sein geistiges Gleichgewicht mit Hilfe von Nachhilfeunterricht, was ihm bald untersagt wurde, sowie Auftritten bei musikalischen Veranstaltungen und durch Komponieren zu erhalten. Er fing auch an, Kurzgeschichten zu schreiben. Es scheint, daß es eine harte und verlorene Schlacht für ihn war. May fing an, mehr und mehr an Halluzinationen zu leiden:


Es war, als ob ich aus jener Zelle, in der ich sechs Wochen lang eingekerkert gewesen war, eine ganze Menge unsichtbarer Verbrecherexistenzen mit heimgebracht hätte, die es nun als ihre Aufgabe betrachteten, sich bei mir einzunisten und mich ihnen gleichgesinnt zu machen. Ich sah sie nicht; ich sah nur die finstere, höhnische Hauptgestalt aus dem heimatlichen Sumpf und den Hohensteiner Schundromanen; aber sie sprachen auf mich ein; sie beeinflußten mich. Und wenn ich mich dagegen sträubte, so wurden sie lauter, um mich zu betäuben und so zu ermüden, daß ich die Kraft zum Widerstand verlor. Die Hauptsache war, daß ich mich rächen sollte, rächen an dem Eigentümer jener Uhr, der mich angezeigt hatte, nur um mich aus seiner Wohnung loszuwerden, rächen an der Polizei, rächen an dem Richter, rächen am Staate, an der Menschheit, überhaupt an jedermann! Ich war ein Mustermensch, weiß, rein und unschuldig wie ein Lamm. Die Welt hatte mich betrogen um meine Zukunft, um mein Lebensglück. Wodurch? Dadurch, daß ich das blieb, wozu sie mich gemacht hatte, nämlich ein Verbrecher.30


Hier sei die Frage erlaubt, welche Beweiskraft allein Mays Autobiographie hat, auf die wir uns in erster Linie stützen müssen. ›Mein Leben und Streben‹ ist eine späte Verteidigungsschrift, worin es galt, polemische Presseangriffe abzuwehren. Der Wahrheitsgehalt ist bei May-Kennern umstritten. Zeitzeugen können nicht mehr befragt werden, darüber hinaus sind wichtige Prozeßakten vernichtet. Bezeichnenderweise kombinierte May bereits in seinem frühen Schaffen Tatsachen mit Fiktion, womit sich der Wahrheitsgehalt seiner Autobiographie ›vorsichtig‹ überprüfen läßt. Vorsichtig, weil man seine literarischen Erzeugnisse nicht überbewerten darf - eine gewisse Aussagekraft kann jedoch nicht bestritten werden. So verdient beispielsweise in seiner Erzählung ›Der Scout‹ der Dichter William Ohlert besondere Aufmerksamkeit.


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   Karl May schildert William Ohlert als den einzigen Sohn eines Bankiers. Mehr künstlerisch als praktisch veranlagt, läßt William einige Gedichte herausgeben. Um ein Theaterstück zu schreiben, das einen seelisch kranken Dichter als Hauptfigur hat, fängt William an, Bücher über Wahnsinn zu lesen. Es entwickelt sich eine Veränderung in Williams Persönlichkeit. Er beginnt zu denken und zu handeln wie ein verrückter Dichter. William verfaßt das Gedicht ›Die fürchterlichste Nacht‹: ... den Entsetzensschrei eines begabten Menschen, welcher vergebens gegen die finstern Gewalten des Wahnsinnes ankämpft und fühlt, daß er ihnen rettungslos verfallen müsse.31

   Zu diesem Zeitpunkt ist William von zu Hause weggelaufen, begleitet von Gibson, einem rücksichtslosen Verbrecher, dessen Absicht es ist, in den Besitz seines Geldes zu gelangen. Der Ich-Erzähler, in der späteren ›Winnetou II‹-Buchausgabe Old Shatterhand, wird zum Detektiv und holt William in Mexiko ein. William erhält einen Schlag auf den Kopf, der Ich-Erzähler bringt ihn zu Pater Benito, der ihn völlig von seinem Wahnsinn heilt. Jedoch leidet William an Amnesie. Er kann sich nicht mehr an die Zeit der Flucht bis zu dem Schlag auf seinen Kopf erinnern. Am Ende kommt Williams Vater nach Mexiko, um seinen Sohn nach Hause zu holen.

   Am Anfang seiner Reise war William Ohlert in der Lage, sein Gedicht ›Die fürchterlichste Nacht‹ zur Redaktion einer Zeitung zu bringen und für seine Veröffentlichung zu bezahlen. Er holte unterwegs auch Geld bei einer Bank.

   Wir finden drei Beschreibungen von William Ohlert in der Geschichte durch verschiedene Beobachter:


- Die Besitzerin einer Pension, der Ohlert in Erinnerung blieb:


»... Dieser Herr hat den Eindruck eines fein gebildeten Mannes, eines wahrhaften Gentleman auf mich gemacht. Leider sprach er nicht viel und verkehrte mit Niemanden. Er ist nur ein einziges Mal ausgegangen, jedenfalls als er Ihnen das Gedicht brachte.«32


- Old Death:


»... Schade um den Gefährten [William Ohlert], mit welchem er reiste! Schien ein veritabler Gentleman zu sein, nur immer traurig und düster; starrte stets wie ein geistig Gestörter vor sich hin.«


Auf die Frage von Old Death: »Ist dieser William Ohlert denn vollständig wahnsinnig?« antwortet der Ich-Erzähler:


»Nein. Ich verstehe mich zwar nicht auf Geisteskrankheiten, möchte hier aber doch nur von einer Monomanie reden, weil er, abgesehen von einem Punkte, vollständig Herr seiner geistigen Thätigkeiten ist.«

   »Um so unbegreiflicher ist es mir [sagt Old Death], daß er diesem Gibson einen


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so unbeschränkten Einfluß auf sich einräumt. Er scheint diesem Menschen in Allem zu folgen und zu gehorchen. Jedenfalls geht er schlau auf die Monomanie des Kranken ein und bedient sich derselben zu seinen Zwecken. ...«

   »... Ohlert weiß vielleicht gar nicht, daß er verfolgt wird, daß er sich auf Irrwegen befindet. Er ist wohl in dem guten Glauben, ganz recht zu handeln, lebt nur für seine Idee, und das andere ist Gibsons Sache. Der Irre hat es nicht für unklug gehalten, Austin als Ziel seiner Reise anzugeben. ...«33


- Später erzählt ein deutscher Schmied seine Begegnung mit Ohlert:


»... der Andere ist Master Ohlert, welcher mich in eine nicht geringe Verlegenheit brachte. Er fragte mich immerfort nach Gentlemen, die ich in meinem Leben noch nicht gesehen hatte, so zum Beispiel nach einem Nigger, Namens Othello, nach einer jungen Miß aus Orleans, Johanna mit Namen, welche erst Schafe weidete und dann mit dem König in den Krieg zog, nach einem gewissen Master Fridolin, welcher einen Gang nach dem Eisenhammer gemacht haben soll, nach einer unglücklichen Lady Maria Stuart, der sie in England den Kopf abgeschlagen haben, nach einer Glocke, die ein Lied von Schiller gesungen haben soll, auch nach einem sehr poetischen Sir, Namens Ludwig Uhland, welcher zwei Sänger verflucht hat, wofür ihm irgend eine Königin die Rose von ihrer Brust herunterwarf. Er freute sich, einen Deutschen in mir zu finden, und brachte eine Menge Namen, Gedichte und Theaterhistorien zum Vorscheine, von denen ich mir nur das gemerkt habe, was ich soeben sagte. Das ging mir Alles wie ein Mühlenrad im Kopf herum. Dieser Master Ohlert schien ein ganz braver und ungefährlicher Mensch zu sein, aber ich möchte wetten, daß er einen kleinen Klapps hatte. Und endlich zog er ein Blatt mit einer Reimerei hervor, welche er mir vorlas. Es war da die Rede von einer schrecklichen Nacht, welche zweimal hinter einander einen Morgen, aber das drittemal keinen Morgen hatte. Es kamen da vor das Regenwetter, die Sterne, der Nebel, die Ewigkeit, das Blut in den Adern, ein Geist, der nach Erlösung brüllt, ein Teufel im Gehirn und einige Dutzend Schlangen in der Seele, kurz, lauter confuses Zeug, was gar nicht möglich ist und auch gar nicht zusammenpaßt. Ich wußte wirklich nicht, ob ich lachen oder ob ich weinen sollte.«34


Der Ich-Erzähler will herausfinden, welchen Vorwand der Verbrecher Gibson verwendete, um William Ohlert mitzunehmen:


Dieser Vorwand mußte für den Geisteskranken ein sehr verlockender sein und mit dessen fixer Idee, eine Tragödie über einen wahnsinnigen Dichter schreiben zu müssen, in naher Verbindung stehen. Vielleicht hatte Ohlert sich auch darüber gegen den Schmied ausgesprochen. Darum fragte ich den Letzteren:

   »Welcher Sprache bediente sich dieser junge Mann während des Gespräches mit Euch?«

   »Er redete Deutsch und sprach sehr viel von einem Trauerspiel, das er schreiben wollte, es sei aber nöthig, daß er Alles das, was in jenem enthalten sein solle, auch selbst vorher erlebe.«

   »Das ist ja gar nicht zu glauben!«

   »Nicht? Da bin ich ganz anderer Meinung, Sir! Die Verrücktheit besteht ja grad darin, Dinge zu unternehmen, die einem vernünftigen Menschen gar nicht in den


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Sinn kommen. Jedes dritte Wort war eine Sennorita Felisa Perilla, die er mit Hilfe seines Freundes entführen müsse.«

   »Das ist ja wirklich Wahnsinn, der reine Wahnsinn! Wenn dieser Mann die Gestalten und Begebenheiten seines Trauerspieles in die Wirklichkeit überträgt, so muß man das unbedingt zu verhindern suchen. ...«35


Es gibt eine interessante Bemerkung über William Ohlert, die Old Death von Senor Cortesio hört:


»... Jetzt kehrt er [Gibson] mit einem Yankee zurück, welcher Mexico kennen lernen will und ihn gebeten hat, ihn in das Reich der Dichtkunst einzuführen. Sie wollen in der Hauptstadt ein Theater bauen.«36


Karl May schreibt in seiner Biographie:


..., an dessen ... Ende die Ideale lagen, die ich seit meiner Knabenzeit im tiefsten Herzen trug. Schriftsteller werden, Dichter werden! Lernen, lernen, lernen! ... Die Welt als Bühne kennen lernen, und die Menschheit, die sich auf ihr bewegt! Und am Schlusse dieses schweren, arbeitsreichen Lebens für die andere Bühne schreiben, für das Theater, ...37

Für das Theater schreiben! Dramen schreiben!38


William Ohlert wird während der Reise sehr verschlossen:


»Haben Gibson und William Ohlert von ihren Verhältnissen und Plänen gesprochen?«

   »Kein Wort. Der erstere war sehr lustig und der letztere sehr schweigsam.«39


Gegen Ende der Reise verfällt William Ohlert körperlich und geistig fast bis in einen katatonischen Zustand:


Gibson und William Ohlert saßen ebenfalls in der Runde. Der letztere sah außerordentlich leidend und verkommen aus. Seine Kleidung war zerrissen und sein Haar verwildert. Die Wangen waren eingefallen, und die Augen lagen tief in ihren Höhlen. Er schien weder zu sehen noch zu hören, was um ihn vorging, hatte einen Bleistift in der Hand und ein Blatt Papier auf dem Knie liegend und stierte in einemfort auf dasselbe nieder. Mit ihm hatte ich zunächst nichts zu thun. Er war willenlos.40

   Er [Gibson] deutete ... auf William Ohlert.

   »Der? Ein Zeuge gegen mich?« fragte Gibson. »Das ist wieder ein Beweis, daß ihr mich verkennt. Fragt ihn doch einmal!«

   Ich legte William die Hand auf die Schulter und nannte seinen Namen. Er erhob langsam den Kopf, stierte mich verständnißlos an und sagte nichts.

   »Master Ohlert, Sir William, hört Ihr mich nicht?« wiederholte ich. »Euer Vater sendet mich zu Euch.«

   Sein leerer Blick blieb an meinem Gesichte haften, aber er sprach kein Wort. Da fuhr Gibson ihn in drohendem Tone an:


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   »Deinen Namen wollen wir hören. Nenne ihn sofort.«41

   Der Gefragte wendete den Kopf nach dem Sprecher und antwortete halblaut und in ängstlichem Tone wie ein eingeschüchtertes Kind:

   »Ich heiße Guillelmo.«

   »Was bist du?«

   »Dichter.«

   Ich fragte weiter:

   »Heißt Du Ohlert? Bist Du aus New-York? Hast Du einen Vater?« Aber alle Fragen verneinte er, ohne sich im mindesten zu besinnen.42


Als Karl May am 26. März 1865 festgenommen wurde, war er »anfänglich ganz regungslos und anscheinend leblos gewesen und hat auch, nachdem der Polizeiarzt herzugerufen wurde, nicht gesprochen und erst später [!] angegeben, daß er Karl Friedrich May heiße (...)«43

Der Ich-Erzähler hat eine Idee:


Ich zog die Brieftasche hervor ... Ich hatte das Zeitungsblatt mit Ohlert's Gedicht in derselben, nahm es heraus und las langsam und mit lauter Stimme den ersten Vers. Ich glaubte, der Klang seines eigenen Gedichtes werde ihn aus seiner geistigen Unempfindlichkeit reißen. Aber er blickte fort und fort auf sein Knie nieder. Ich las den zweiten Vers, ebenso vergeblich. Dann den dritten

   ... Die letzten beiden Zeilen hatte ich lauter als bisher gelesen. Er erhob den Kopf; er stand auf und streckte die Hände aus. Ich fuhr fort: ...

   Da schrie er auf, zu mir hinspringend und nach dem Blatte greifend. Ich ließ es ihm. Er bückte sich zu dem Feuer nieder und las selbst, laut, von Anfang bis zu Ende. Dann richtete er sich auf und rief in triumphirendem Tone, so daß es weit durch das nächtliche stille Thal schallte:

   »Gedicht von Ohlert, von William Ohlert, von mir, von mir selbst! Denn ich bin dieser William Ohlert, ich selbst. Nicht du heißt Ohlert, nicht Du, sondern ich!«

   [Leider kommt zu diesem Zeitpunkt der Indianerhäuptling,] ganz die Rathsversammlung und seine Würde vergessend, herbeigesprungen, stieß William auf den Boden nieder und gebot:

   »Schweig, Hund! Sollen die Apachen hören, daß wir uns hier befinden? Du rufst ja den Kampf und den Tod herbei!«

   William Ohlert stieß einen unverständlichen Klageruf aus und sah mit einem stieren Blick zu dem Indianer empor. Das Aufflackern seines Geistes war plötzlich wieder erloschen. Ich nahm ihm das Blatt aus der Hand und steckte es wieder zu mir.44


Karl May gibt uns drei weitere flüchtige Beschreibungen von William Ohlert vor dem großen Finale:


... William Ohlert saß noch auf seinem Platze und starrte auf den Bleistift, den er wieder in den Fingern hielt.45

William Ohlert schrieb auf sein Blatt, taub und blind für alles Andere.46

Er [Gibson] stand noch am Feuer, hatte Ohlert's Arm ergriffen und bemühte sich, ihn vom Boden empor zu zerren.47


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Schließlich entwickelt sich der letzte Höhepunkt der Geschichte:


Ohlert saß wie gewöhnlich ganz theilnahmslos da. Gibson aber faßte sich schnell.

   »Schurke!« schrie er mich an. »Verfolgst du ehrliche Leute auch hierher! Ich will - - -«

   »Schweig', Mensch!« unterbrach ich ihn. »Du bist mein Gefangener!«

   »Noch nicht!« entgegnete er wüthend. »Nimm zunächst das!«

   Er hatte sein Gewehr in der Hand und holte zum Kolbenhiebe aus. Ich fiel ihm in den Arm. Er erhielt dadurch eine halbe Wendung; der Kolben sauste nieder und traf den Kopf Ohlert's, welch letzterer sofort zusammenbrach. Im nächsten Augenblicke drängten sich einige Arbeiter von hinten in das Zelt herein. Sie richteten ihre Gewehre auf Gibson, den ich noch gefaßt hielt.

   »Nicht schießen!« rief ich, da ich ihn ja lebendig haben wollte. Aber es war zu spät. Ein Krach, und er stürzte aus meinen Armen, durch den Kopf geschossen, todt zu Boden.48


Als 20jähriger wurde May, wie erwähnt, zu sechs Wochen Haft verurteilt. Er schreibt später darüber:


Die ... Begebenheit hatte wie ein Schlag auf mich gewirkt, wie ein Schlag über den Kopf, unter dessen Wucht man in sich selbst zusammenbricht. Und ich brach zusammen! Ich stand zwar wieder auf, doch nur äußerlich; innerlich blieb ich in dumpfer Betäubung liegen; wochenlang, ja monatelang.49


Nachdem William Ohlert den Schlag auf seinen Kopf erhielt, lebte [er] zwar, aber er wollte nicht aus seiner Betäubung erwachen.50

   Die Geschichte geht weiter:


Und zwei Monate später saß ich bei dem guten Religioso [Fußnote: Ordensbruder] Benito von der Congregation EI buono Pastor in Chihuahua. Ihm, dem berühmtesten Arzte der nördlichen Provinzen, hatte ich meinen Patienten gebracht, und es war ihm gelungen, denselben vollständig herzustellen. Ich sage vollständig, denn wunderbarerweise hatte sich mit der leiblichen Heilung auch das geistige Normalbefinden eingestellt. Es war, als sei mit dem Kolbenhiebe die unglückselige Monomanie, ein wahnsinniger Dichter zu sein, erschlagen worden. Er war munter und wohlauf, sogar zuweilen lustig, und sehnte sich nach seinem Vater.51


Wir wissen aus Karl Mays Autobiographie, daß die Person, die solch eine wichtige Rolle dabei spielte, May zu helfen, sein geistiges Gleichgewicht zurückzugewinnen, der katholische Katechet Johannes Kochta im Zuchthaus Waldheim war. May stellt ihn wie folgt dar: Er war nur Lehrer, ohne akademischen Hintergrund, aber ein Ehrenmann in jeder Beziehung, human wie selten Einer ...52

   Das endgültige Ende der Geschichte: Ohlert erleidet eine wahre Amnesie.53


... man [mußte] gestehen, daß ein wahres Wunder geschehen sei. Ohlert wollte das


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Wort »Dichter« nicht mehr hören. Er konnte sich an jede Stunde seines Lebens erinnern; die Zeit aber von seiner Flucht mit Gibson bis zu seinem endlichen Erwachen in der Bonanza bildete ein vollständig leeres Blatt in seiner Erinnerung.54

   Da klopfte der Famulus an, öffnete und schob einen Herrn herein, bei dessen Anblick William einen Freudenschrei ausstieß. Welchen Schmerz und welche Sorgen er dem Vater bereitet hatte, wußte er eigentlich nur durch mich. Er warf sich weinend in seine Arme. Wir Andern aber gingen still hinaus.

   Später gab es Zeit, uns auszusprechen und alles zu erzählen. Vater und Sohn saßen Hand in Hand dabei.55


Als Karl May am 2. Mai 1874 aus dem Zuchthaus Waldheim entlassen wurde, war es sein Vater, der zu ihm kam: Vater kam mir entgegen. Es fiel ihm auch dieses Mal nicht ein, mir Vorwürfe zu machen.56

   Das Gedicht ›Die fürchterlichste Nacht‹ spielt eine wichtige Rolle in der Geschichte:


Die fürchterlichste Nacht.

Kennst du die Nacht, die auf die Erde sinkt
   Bei hohlem Wind und scheuem Regenfall,
Die Nacht, in der kein Stern am Himmel blinkt,
   Kein Aug durchdringt des Nebels dichten Wall?
So finster diese Nacht, sie hat doch einen Morgen
O lege Dich zur Ruhe, und schlafe ohne Sorgen!

Kennst Du die Nacht, die auf das Leben sinkt,
   Wenn dich der Tod auf's letzte Lager streckt
Und nah der Ruf der Ewigkeit erklingt,
   Daß dir der Puls in allen Adern schreckt?
So finster diese Nacht, sie hat doch einen Morgen
O lege dich zur Ruhe, und schlafe ohne Sorgen!

Kennst Du die Nacht, die auf den Geist dir sinkt,
   Daß er vergebens nach Erlösung schreit,
Die schlangengleich sich um die Seele schlingt
   Und tausend Teufel in's Gehirn dir speit?
O halte fern dich ihr in wachen Sorgen,
Denn diese Nacht allein hat keinen Morgen!
57


Dies ist eines der frühesten Gedichte Karl Mays. Es könnte im Spätherbst 1863 geschrieben worden sein.58 Die Originalhandschrift - Max Finke weist auf »das Zittrige, Beengende und Beängstigende der Urschrift hin«59 - hat keinen Titel und unterscheidet sich von der veröffentlichten Version in der dritten Zeile der dritten Strophe. Statt wie im Original ums Gedächtniß heißt es in der gedruckten Version um die Seele.60


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   Die frühere Version zeigt ein Hauptsymptom -   A m n e s i e, Gedächtnisschwund. Dies war wirklich 1863 eine der Hauptstörungen, unter denen Karl May litt.61 Das andere Symptom waren  H a l l u z i n a t i o n e n,62 die er ebenfalls poetisch beschreibt: Und tausend Teufel in's Gehirn dir speit.



Die Monomanie


Die Diagnose, die Karl May zu William Ohlerts Geisteszustand stellt, ist Monomanie. Er gibt auch an, daß William vollständig Herr seiner geistigen Thätigkeiten ist. 63

   Es ist wichtig, festzuhalten, wie Karl May seinen eigenen geistigen Zustand von 1864 wiedergibt: Ich war seelenkrank, aber nicht geisteskrank. Ich besaß die Fähigkeit zu jedem logischen Schlusse, zur Lösung jeder mathematischen Aufgabe.64

   Monomanie ist ein Begriff, der nicht mehr benutzt wird. Er wurde verwendet, um eine Psychose zu beschreiben, die dadurch gekennzeichnet ist, daß sich alle Gedanken auf eine Idee oder auf Gruppen von Ideen beschränken, und dies durch einen unmäßigen oder zwanghaften Eifer oder Interesse an einem einzigen Gedankenbild, einer Idee oder einem Thema, oder deren Vorliebe; eine Geistesstörung, die besonders in ihrer Ausdrucksform auf eine Idee oder einen Bereich des Denkens beschränkt ist. Die alten psychiatrischen Lehrbücher klassifizierten zum Beispiel Pyromanie, Kleptomanie und einige impulsive sexuelle Abweichungen als Monomanie.65

   Was ist dann die von Karl May diagnostizierte Monomanie?

   Von den vier Hauptpsychosen - Schizophrenie, Paranoia, Depression und das bipolare Syndrom - sollte im Falle von William Ohlert Schizophrenie in Betracht gezogen werden. Auch eine akute und vorübergehende psychotische Störung kann nicht ausgeschlossen werden.

   William Ohlert zeigt Anzeichen einer perzeptiven Abnormität oder Wahrnehmungsstörung, die eine mögliche psychotische Krankheit anzeigt. Seine Erscheinung, am Anfang sauber und ordentlich, verschlechtert sich während der Reise. Sein Benehmen, zuerst Zurückhaltung, wird zu geistiger Zurückgebliebenheit. Das Gespräch, nach der anfänglichen Flut von Gedanken während der Diskussion mit dem Schmied, wird flach oder hört ganz auf. Einfluß und Stimmung verwandeln sich in Depression. Er scheint für sich oder andere Leute nicht gefährlich zu sein. Er hat keinen Einblick in seinen Zustand und kann die Situation nicht beurteilen.

   Schizophrene Symptome tauchen normalerweise im Alter von 20 Jahren oder Anfang 30 auf. Die Symptome können stark variieren. Erregung und Verzweiflung, ein katatonischer Zustand, einer Trance ähnlich, ein unveränderlicher, teilnahmsloser Zustand sind ziemlich verbreitet. Die Patienten sind realitätsfern oder außerstande, zu unterscheiden, was real, was unwirk-


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lich ist. Sie halluzinieren und leiden oft an Wahnvorstellungen. Es kommt zu Denkstörungen: Rede, Aufmerksamkeit, Benehmen und Gedanken werden unzusammenhängend, ohne logische Reihenfolge. Schizophrenie verursacht eine langsam zunehmende Verschlechterung der Fähigkeit, im Beruf wie im zwischenmenschlichen Bereich zu ›funktionieren‹.

   Wenn Karl May an Schizophrenie gelitten hätte, wäre er nicht in der Lage gewesen, seine Bücher zu schreiben. Seine Persönlichkeit wäre zerstört worden.

   Akute und vorübergehende psychotische Störungen sind in ihrer Erscheinung akuten Episoden der Schizophrenie ähnlich. Halluzinationen, Wahnvorstellungen und andere Symptome der Schizophrenie sind normalerweise am auffälligsten, und es kann Stimmungsschwankungen geben. Es gibt einen akuten Beginn von Symptomen, und der Verlauf der Krankheit ist kurz. Wenn die Symptome länger als einen Monat anhalten, sollte die Diagnose überprüft und genauer als Schizophrenie oder Wahrnehmungsstörungen lauten. Die Genesung ist normalerweise innerhalb von zwei oder drei Monaten, oft innerhalb von einigen Tagen oder Wochen abgeschlossen.

   Ohlert kann nicht von Gibson hypnotisiert werden, weil er beginnt, sich mit dem verrückten Dichter aus seinem Theaterstück zu identifizieren, bevor sie zusammentreffen.

   Es gibt Ähnlichkeiten zwischen dem William Ohlert der Geschichte und dem Verlauf der Ereignisse im Leben von Karl May. Wir können deshalb annehmen, daß Karl May in William Ohlert autobiographische Elemente darstellt.

   D i e  D i a g n o s e  e i n e r  F u g u e,  D i s s o z i a t i v e n  A m n e s i e,  B e n o m m e n h e i t,  T r a n c e  u n d  I d e n t i t ä t s s t ö r u n g  k a n n  b e i  W i l l i a m  O h l e r t  g e s t e l l t  w e r d e n.

   Es gibt eine Szene in der Ohlert-Geschichte, in der er dem Ich-Erzähler antwortet, der ihm das Gedicht vorliest. Dies erinnert an das Erwachen aus der Dissoziativen Benommenheit.66 In Ohlerts Fall wird der Vorgang abgekürzt und kehrt durch die brutale Einmischung des Comanchen-Häuptlings zurück.

   Wenn wir William Ohlert in einem breiteren Kontext der ›Person Karl Mays‹ betrachten, dann können wir erkennen, daß May in den Elementen der Geschichte seinen eigenen geistigen Zustand beschrieben hat.

   Das Gedicht ›Die fürchterlichste Nacht‹ handelt von Amnesie und Halluzinationen. Die Handschrift selbst weist auf Mays gestörten Seelenzustand hin. Die Art, wie William Ohlert sein Zuhause verläßt, ist das, was wir heutzutage als die Fugue kennen - plötzliches, unerwartetes Weggehen von zu Hause oder von der Arbeitsstelle, verbunden mit der Unfähigkeit, sich an etwas oder alles aus der eigenen Vergangenheit zu erinnern. Karl May beschreibt eine Fugue (dissoziative Flucht) in seiner Autobiographie. William Ohlert handelt in einem  Z u s t a n d  v e r ä n d e r t e n  B e w u ß t s e i n s  - als


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eine  a n d e r e  P e r s ö n l i c h k e i t  -, davon überzeugt, daß er der verrückte Dichter aus seinem Theaterstück sei. Die Tatsache, daß Karl May an Amnesie litt, die einige Ereignisse in seinem frühen Leben betrifft, wird nicht nur in seiner Autobiographie, sondern auch durch andere Zeugen geschildert.

   Die  v o l l s t ä n d i g e  H e i l u n g  - mit den Worten Karl Mays ein wahres Wunder67 - von William Ohlerts Seelenzustand mit der Hilfe und Unterstützung von Pater Benito bezieht sich auf den Aufenthalt von May in Waldheim (3. 5. 1870 - 2. 5. 1874). Es war in Waldheim, wo May seinen Psychotherapeuten, den katholischen Zuchthauskatecheten Johannes Kochta, traf. Mays Vater kam, um ihn nach seiner Entlassung abzuholen, genau wie William Ohlerts Vater zu seinem Sohn reiste.

   Was fehlt, um eine sichere Diagnose von Dissoziativer Identitätsstörung (D. I. D.) anhand der Erzählung zu stellen, ist das Kindheitstrauma. Es gibt keine Erwähnung davon in der Geschichte von William Ohlert. Wir wissen aber, daß Karl Mays Erblindung als Kind zusammen mit den Mißhandlungen durch seinen Vater das Trauma darstellt. Natürlich existierten diese Verbindung und die Diagnose von D. I. D. zu Karl Mays Zeit nicht.

   Die Geschichte von William Ohlert gibt wertvolle Hinweise auf Karl Mays Autobiographie und scheint zu bestätigen, daß es tatsächlich die Dissoziative Identitätsstörung war, unter der Karl May in den Jahren 1862 bis 1874 litt.68

   Die Dissoziative Identitätsstörung (D. I. D.) wird oft als eine besonders schöpferische Überlebenstechnik bezeichnet, weil sie es den Personen gestattet, schmerzhafte Umstände zu ertragen, um einige Bereiche gesunden Verhaltens zu schützen. Wiederholte oder verzögerte Dissoziation kann zu einer Reihe von einzelnen Persönlichkeiten oder geistigen Verfassungen führen, die möglicherweise sogar eigene Identitäten übernehmen können. Diese Identitäten können die inneren ›Persönlichkeitszustände‹ oder ein D. I. D.-System (früher M. P. D. - Multiple Persönlichkeitsstörung) werden. Der Wechsel zwischen Bewußtseinszuständen wird als ›Switching‹ bezeichnet.

   Karl May hat bereits ein wichtiges Symptom von D. I. D., den traumatischen Gedächtnisschwund, beschrieben. Andere wichtige Symptome sind visuelle und akustische Halluzinationen.

   Es gibt - wie gesagt - vier diagnostische Kriterien von D. I. D., von denen Karl May alle erfüllte:

1. Die Gegenwart von zwei oder mehr verschiedenen Identitäten oder Persönlichkeitszuständen - beschrieben durch Karl May zuerst als zwei, dann als eine Vielzahl von Persönlichkeiten innerhalb seiner selbst: Es bildete sich bei mir das Bewußtsein heraus, daß ich kein Ganzes mehr sei, sondern eine gespaltene Persönlichkeit ... In diesem Drama gab es verschiedene, handelnde Persönlichkeiten, die sich bald gar nicht, bald aber auch sehr genau von einander unterschieden.69


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2. Mindestens zwei dieser Identitäten oder Persönlichkeitszustände übernehmen die Kontrolle des Verhaltens der Person - die verschiedenen Persönlichkeiten, als die Karl May sich an unterschiedlichen Orten zwischen 1865 und 1869 präsentierte, gehören in diese Kategorie.
3. Die Unfähigkeit, sich an wichtige persönliche Informationen zu erinnern, die zu umfangreich sind, als daß sie durch gewöhnliche Vergeßlichkeit erklärt werden könnten - mehrere Begebenheiten sind bekannt: Gedächtnisschwund nach der Entlassung aus der sechswöchigen Haft 1862; seine Unfähigkeit, einfache Schreibarbeit nach der Gefängnisstrafe von 1865 auszuführen.
4. Die Störung ist nicht eine Nebenwirkung der direkten physiologischen Effekte einer Substanz oder eines allgemeinen medizinischen Zustandes - Karl May war weder Opiumsüchtiger noch Alkoholiker: Der Abscheu vor Branntwein ist mir angeboren, schrieb er in seiner Biographie. ... und auch für Bier besitze ich keineswegs die Zuneigung, welche man empfinden muß, um ein Trinker zu werden ... wenn ich auf meinen Spaziergängen an einem Wirtshause vorüberging, und auch des Abends, wenn Andere nicht mehr arbeiteten, trat mir das Verlangen nahe, die Feder hinzulegen und in die Kneipe zu gehen, wie sie. Ich tat es aber nicht. Vater tat es. ... Ich aber hatte keine Lust dazu und blieb daheim. Das war mir nicht etwa ein Opfer und fiel mir nicht etwa schwer, o nein.70

   Karl May wurde von Ärzten bei mehreren Gelegenheiten untersucht: Im Dezember 1862 wurde er möglicherweise wegen Folgeschäden der Rachitis als nicht tauglich für den Wehrdienst eingestuft; am 27. März 1865 diagnostizierte ein Polizeiarzt nach Mays Festnahme eine überraschende Teilnahmslosigkeit; im Juni 1865 wurde May von Dr. Saxe im Zwickauer Arbeitshaus untersucht, im Mai 1870 durch Dr. Adolf Knecht im Zuchthaus Waldheim. Keiner dieser Ärzte zeichnete irgendeine somatische Abnormalität auf.

   Die Gegenwart von Stimmen, die Karl May in seiner Biographie so eindeutig schildert, ist von verschiedenen Forschungsarbeiten über sein Leben und sein Werk nie ernst genommen worden. Vielleicht weil bei May damals die Diagnose Schizophrenie nicht gestellt wurde, was aber auch weder mit seiner literarischen Leistung noch mit dem Verlauf seines Lebens übereinstimmt. Mein Eindruck ist, daß viele Forscher dachten, Karl May benutze eine allegorische Sprache. Jedoch - Karl May war es sehr ernst mit der Beschreibung seiner Erfahrungen. Psychosenähnliche Symptome wie visuelle und akustische Halluzinationen sind typische Anzeichen von D. I. D.


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Karl Mays Seelenzustand


Karl May beschreibt seinen Seelenzustand ausführlich in ›Mein Leben und Streben‹:


Dieser sich in mir vollziehende Gedanken- oder Willensvorgang war nicht etwa ein klarer, kurz und bündig sich aussprechender, o nein, denn es herrschte jetzt in mir das strikte Gegenteil von Klarheit; es war Nacht; es gab nur wenige freie Augenblicke, in denen ich weitersah, als grad der heutige Tag mich sehen ließ. Diese Nacht war nicht ganz dunkel; sie hatte Dämmerlicht. Und sonderbar, sie erstreckte sich nur auf die Seele, nicht auch auf den Geist. Ich war seelenkrank, aber nicht geisteskrank. Ich besaß die Fähigkeit zu jedem logischen Schlusse, zur Lösung jeder mathematischen Aufgabe. Ich hatte den schärfsten Einblick in alles, was außer mir lag; aber sobald es sich mir näherte, um zu mir in Beziehung zu treten, hörte diese Einsicht auf. Ich war nicht imstande, mich selbst zu betrachten, mich selbst zu verstehen, mich selbst zu führen und zu lenken. Nur zuweilen kam ein Augenblick, der mir die Fähigkeit brachte, zu wissen, was ich wollte, und dann wurde dieses Wollen festgehalten bis zum nächsten Augenblicke. Es war ein Zustand, wie ich ihn noch bei keinem Menschen gesehen und in keinem Buche gelesen hatte. Und ich war mir dieses seelischen Zustandes geistig sehr wohl bewußt, besaß aber nicht die Macht, ihn zu ändern oder gar zu überwinden. Es bildete sich bei mir das Bewußtsein heraus, daß ich kein Ganzes mehr sei, sondern eine gespaltene Persönlichkeit, ganz dem neuen Lehrsatze entsprechend, nicht Einzelwesen, sondern Drama ist der Mensch. In diesem Drama gab es verschiedene, handelnde Persönlichkeiten, die sich bald gar nicht, bald aber auch sehr genau von einander unterschieden.

   Da war zunächst ich selbst, nämlich ich, der ich das Alles beobachtete. Aber wer dieses Ich eigentlich war und wo es steckte, das vermochte ich nicht zu sagen. Es besaß große Aehnlichkeit mit meinem Vater und hatte alle seine Fehler. Ein zweites Wesen in mir stand stets nur in der Ferne. Es glich einer Fee, einem Engel, einer jener reinen, beglückenden Gestalten aus Großmutters Märchenbuche, Es mahnte; es warnte. Es lächelte, wenn ich gehorchte, und es trauerte, wenn ich ungehorsam war. Die dritte Gestalt, natürlich nicht körperliche, sondern seelische Gestalt, war mir direkt widerlich. Fatal, häßlich, höhnisch, abstoßend, stets finster und drohend; anders habe ich sie nie gesehen, und anders habe ich sie nie gehört. Denn ich sah sie nicht nur, sondern ich hörte sie auch; sie sprach.71 Sie sprach oft ganze Tage und ganze Nächte lang in einem fort zu mir. Und sie wollte nie das Gute, sondern stets nur das, was bös und ungesetzlich war. Sie war mir neu; ich hatte sie nie gesehen, sondern erst jetzt, seitdem ich innerlich gespalten war. Aber wenn sie einmal still war und ich darum Zeit fand, sie unbemerkt und aufmerksam zu betrachten, dann kam sie mir so vertraut und so bekannt vor, als ob ich sie schon tausendmal gesehen hätte. Dann wechselte ihre Gestalt, und es wechselte auch ihr Gesicht. Bald stammte sie aus Batzendorf, aus dem Kegelschub oder aus der Lügenschmiede. Heut sah sie aus wie Rinaldo Rinaldini, morgen wie der Raubritter Kuno von der Eulenburg und übermorgen wie der fromme Seminardirektor, als er vor meinem Talgpapiere stand.72


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Mays Darstellung seiner visuellen und akustischen Halluzinationen entspricht die der multiplen Persönlichkeitszustände:


Es wimmelte von Gestalten in mir, die mitsorgen, mitarbeiten, mitschaffen, mitdichten und mitkomponieren wollten. Und jede dieser Gestalten sprach; ich mußte sie hören. Es war zum wahnsinnig werden! Wie es früher außer mir selbst nur zwei Gestalten gegeben hatte, die helle und die dunkle, so jetzt außer mir zwei Gruppen. ...

   Solche innere Kämpfe hat jeder denkende Mensch, der vorwärts strebt, durchzumachen. Bei ihm sind es Gedanken und Empfindungen, die gegen einander streiten. Bei mir aber hatten diese Gedanken und Regungen sich zu sichtbaren und hörbaren Gestalten verdichtet. Ich sah sie bei geschlossenen Augen, und ich hörte sie, bei Tag und bei Nacht; sie störten mich aus der Arbeit; sie weckten mich aus dem Schlafe. Die dunklen waren mächtiger als die hellen; gegen ihre Zudringlichkeit gab es keinen Widerstand. In gewöhnlichen Stunden herrschte Ruhe in mir; da gab es keinen Konflikt. Sobald ich aber zu arbeiten begann, erwachte Gestalt um Gestalt. Eine jede wollte die Arbeit so, wie sie es wünschte. Auch kam es sehr auf das Thema an, welches ich behandelte. Gegen eine lustige Humoreske hatte Niemand etwas. Die konnte ich ohne Streit und Störung vollenden. Bei einer ernsten Dorfgeschichte aber erhoben sich zahlreiche Stimmen für und gegen mich. In diesen Dorfgeschichten wies ich regelmäßig nach, daß Gott nicht mit sich spotten läßt, sondern genauso straft, wie man sündigt. Hiergegen empörten sich gewisse Gestalten in mir. Den größten Widerstand aber fand ich, sobald ich in meinen Arbeiten oder meiner Lektüre noch höhere Linien bestieg. Wenn ich mir ein religiös oder ethisch oder ästhetisch hohes Thema stellte, empörte sich die dunkle Gestalt in mir mit aller Macht dagegen und bereitete mir Qualen, die ganz unaussprechlich sind.73



Wechselnde Persönlichkeiten übernehmen die Kontrolle des Verhaltens der Person


In einer Person, die an D. I. D. leidet, die innerhalb ihrer zwei oder mehrere Wesen hat, können einige von diesen die Kontrolle des Verhaltens der Person für einen Zeitraum übernehmen. Auch wenn diese wechselnden Persönlichkeiten, Bewußtseinszustände, Ich-Zustände, Identitäten sehr verschieden zu sein scheinen, sind sie alle Erscheinungsformen einer Einzelperson.

   Dies scheint die Erklärung für die acht dokumentierten Persönlichkeiten zu sein, unter denen Karl May während der Jahre 1862 bis 1870 auftrat. May präsentierte sich als:

1. Dr. Heilig - am 9. Juli 1864
2. Seminarlehrer Lohse - am 16. Dezember 1864
3. Kupferstecher Hermes - am 20. März 1865
4. Polizei-Oberleutnant von Wolframsdorf aus Leipzig - am 29. März 1869
5. Geheimpolizist - am 10. April 1869


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6. Bote des Rechtsanwaltes Dr. Schaffrath aus Dresden - am 15. Juni 1869
7. Schriftsteller Heichel aus Dresden, leiblicher Sohn des Prinzen von Waldenburg (mit Malvine Wadenbach) - im November 1869
8. Plantagenbesitzer Albin Wadenbach von Orby auf der Insel Martinique - am 4. Januar 1870.

   May litt auch an kurzen psychotischen Episoden während der Monate Mai, Juni und Juli 1869. Wie sonst könnte das Ereignis vom Mai 1869 bezeichnet werden, als May in einem Kinderwagen eine Lampe mit einem Lampenschirm, eine Brille in einem Etui, zwei Brieftaschen mit zwei Talern und verschiedene andere kleine Dinge gesammelt hatte und das ganze Zeug unter den Augen der Nachbarn zu einem Versteck im Wald brachte? Am 31. Mai 1869 entwendete er in einem Restaurant einen Satz Billardkugeln. Während der Nacht vom 3. auf den 4. Juni 1869 nahm May ein Pferd, das er im nächsten Dorf zu verkaufen suchte.

   Und wieder stellt er seinen Seelenzustand während dieses Zeitraums dar:


Wenn ich nicht tat, was diese lauten Stimmen in mir verlangten, wurde ich von ihnen mit Hohngelächter, mit Flüchen und Verwünschungen überschüttet, nicht nur stundenlang, sondern halbe Tage und ganze Nächte lang. Ich bin, um diesen Stimmen zu entgehen, aus dem Bett gesprungen und hinaus in den Regen und das Schneegestöber gelaufen. Es hat mich fortgetrieben, wie weit, wie weit! Ich bin aus der Heimat fort, um mich zu retten, kein Mensch wußte, wohin, doch es zog mich wieder und immer wieder zurück. Niemand erfuhr, was in mir vorging und wie un- oder gar übermenschlich ich kämpfte, weder Vater noch Mutter noch Großmutter noch eine der Schwestern. Und noch viel weniger ein anderer, ein fremder Mensch; man hätte mich ja doch nicht verstanden, sondern mich einfach für übergeschnappt erklärt. Ob irgend Jemand an meiner Stelle das ausgehalten hätte, das weiß ich nicht, ich glaube es aber kaum. Ich war sowohl körperlich als auch geistig ein kräftiger, sogar ein sehr kräftiger Mensch, aber ich wurde dennoch müder und müder. Es kamen zunächst Tage, dann aber ganze Wochen, in denen es vollständig dunkel in mir wurde; da wußte ich kaum oder oft auch gar nicht, was ich tat. In solchen Zeiten war die lichte Gestalt in mir vollständig verschwunden. Das dunkle Wesen führte mich an der Hand. Es ging immerfort am Abgrund hin. Bald sollte ich dies, bald jenes tun, was doch verboten war. Ich wehrte mich zuletzt nur noch wie im Traum. Hätte ich den Eltern oder doch wenigstens Großmutter gesagt, wie es um mich stand, so wäre der tiefe Sturz, dem ich entgegentrieb, gewißlich unterblieben. Und er kam, nicht daheim in der Heimat, sondern in Leipzig, wohin mich eine Theaterangelegenheit führte. Dort habe ich, der ich gar nichts derartiges brauchte, Rauchwaren gekauft und bin mit ihnen verschwunden, ohne zu bezahlen. Wie ich es angefangen habe, dies fertig zu bringen, das kann ich nicht mehr sagen; ich habe es wahrscheinlich auch schon damals nicht gewußt. Denn für mich ist es sicher und gewiß, daß ich ganz unmöglich bei klarem Bewußtsein gehandelt haben kann.74


Dies ist ein sehr interessanter Teil in Karl Mays Biographie. Lange vor der Anerkennung von D. I. D. schildert May die wichtigsten Bestandteile dieser Störung: die Gegenwart mehrerer Identitäten oder Persönlichkeitszustän-


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de (die Versucher in meinem Innern); Halluzinationen (Stimmen - Hohngelächter, Flüche und Verwünschungen); Gedächtnisschwund (... da wußte ich kaum oder oft auch gar nicht, was ich tat); Identitäten oder Persönlichkeitszustände, die tatsächlich die Kontrolle über das Verhalten der Person übernehmen (Das dunkle Wesen führte mich an der Hand ... Bald sollte ich dies, bald jenes tun ...); und höchst interessanterweise einen Zustand, der Dissoziative Flucht genannt wird, d. h. plötzliches, unerwartetes Weglaufen von Heim oder Arbeit (Ich bin, um diesen Stimmen zu entgehen, aus dem Bett gesprungen und hinaus in den Regen und das Schneegestöber gelaufen. Es hat mich fortgetrieben, wie weit, wie weit! Ich bin aus der Heimat fort, um mich zu retten, kein Mensch wußte, wohin ...).

   Zwischen dem 29. März und 1. Juli 1869 litt Karl May an einer Serie kurzer reaktiver psychotischer Zustände. Eine solche Episode besteht aus einer plötzlichen und kurzen Psychose, die von einigen Stunden bis höchstens einem Monat dauert:


Es trieb mich fort, hinaus. Ich lief im Wald herum und kam spät abends todmüd heim und legte mich nieder, ohne gegessen zu haben. Trotz der Müdigkeit fand ich keinen Schlaf. Zehn, fünfzig, ja hundert Stimmen verhöhnten mich in meinem Innern mit unaufhörlichem Gelächter. Ich sprang vom Lager auf und rannte wieder fort, in die Nacht hinein; wohin, wohin, das beachtete ich gar nicht. Es kam mir vor, als ob die innern Gestalten aus mir herausgetreten seien und neben mir herliefen. ... Das verfolgte mich hin und her; das jagte mich auf und ab. Das schrie und jubelte und höhnte, daß mir die Ohren gellten.75


Natürlich würde sich jeder, der mit acht verschiedenen Persönlichkeiten konfrontiert wird, fragen, ob es eine echte Dissoziation (D. I. D.) oder ein einfacher Trick des Bewußtseins war. Es gibt mehrere Punkte, die mehr auf den dissoziativen Prozeß hindeuten. Alle Alter egos haben entweder mit Karl Mays Vergangenheit zu tun oder sind irgendwie unglaubhaft, sind nicht im Einklang mit den gegebenen Umständen, wie die Person Albin Wadenbach.76

   Der Augenarzt Dr. Heilig, »früherer Militair«, erschien (9. Juli 1864), nachdem May für den Wehrdienst am 6. Dezember 1862 ausgemustert wurde. Der Name selbst bedeutet heilig, geheiligt oder Heiliger. Jedoch benutzte May ihn mehr im Zusammenhang mit dem Wort ›heilen‹. Am Lehrerseminar in Plauen, an dem May seine Studien fortsetzte, nachdem er 1860 aus dem Seminar Waldenburg ausgeschlossen worden war, gab es einen Lehrer namens Ernst Lohse. Karl May verwandte den Namen Ferdinand Lohse aus Plauen. Die dritte Persönlichkeit war der Kupferstecher Hermes (am 20. März 1865). In der griechischen Mythologie ist Hermes nicht nur der Gott des Handels, sondern auch der Gott der Trickbetrüger und Diebe. Eine irgendwie ungewöhnliche Kombination mit der Bezeichnung Kupferstecher.

   Wie bereits erwähnt, wurde Karl May am 26. März 1865 verhaftet und »ganz regungslos u. anscheinend leblos« gefunden, »hat auch, nachdem der Poli-


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zeiarzt herzugerufen worden ist, nicht gesprochen.«77 Die Tatsache, daß ein Arzt aufgefordert wurde, Karl May zu untersuchen, deutet auf sein anormales Verhalten hin.

   Die nächsten beiden Identitäten standen in Zusammenhang mit dem Gesetz, vielleicht beeinflußt durch Mays Haftstrafe. Sie waren der Polizei-Oberleutnant von Wolframsdorf (am 29. März 1869), ein Geheimpolizist (am 10. April 1869) und der Assessor Laube, der im Auftrag eines Rechtsanwalts handelt (Juni 1869). Dieses Mal waren es nicht Pelze und Kleidung, mit denen die fremden Identitäten handelten, sondern Geld. Wir besitzen ein interessantes Detail über Karl May aus einem Steckbrief, der von den Behörden am 26. Juli 1869 ausgestellt wurde: »(...) starren, stechenden Blick (...) Er spricht langsam, in gewählten Ausdrücken, verzieht beim Reden den Mund (...)«78

   Das letzte Alter ego, Albin Wadenbach (Januar 1870), ist das interessanteste. Ein ganz unwahrscheinlicher, exotischer junger Mann von einer tropischen Insel, gefunden im Schnee des zentraleuropäischen Januars, ohne Ausweispapiere, der aber handelt und spricht - jedoch auf deutsch - wie ein Einwohner der Insel Martinique, einer der Westindischen Inseln.

   Folgendes hat Karl May am 4. Januar 1870 den ihn verhaftenden Beamten erwidert:


Mein Grundbesitz in Amerika repräsentirt einen Werth von 20.000 Dollars. Ich habe mich mit der practischen Landwirthschaft befaßt, mir nebenbei auch Kenntnisse in der medicinischen Praxis angeeignet. Ich habe von Jugend auf nur Privatunterricht genossen, die practischen Kenntnisse in der Medicin habe ich mir bei einem Arzte namens Legrand(e) angeeignet. - Meine Mutter kannte ich nicht ...79


Karl May schrieb sogar einen Brief ›nach Hause‹ nach Martinique, in dem er eine genaue Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten auf der Insel zeigte.

   Der Pflichtverteidiger Karl Haase, der mit der Verteidigung Karl Mays 1870 beauftragt war, nannte ihn einen ›komischen Menschen‹: »Die ganze Persönlichkeit des Angeklagten machte in der Hauptverhandlung den Eindruck eines komischen Menschen, der gewissermaßen aus Übermuth auf der Anklagebank zu sitzen schien.«80

   Es scheint einen Grund dafür gegeben zu haben.

   Der bekannte Rechtsanwalt Erich Wulffen führt 1908 Karl May als Beispiel in seinem Buch ›Psychologie des Verbrechers‹81 an. Gegenwärtig werden die Gerichte mit dem Problem der Schuldfähigkeit von Leuten mit Multipler Persönlichkeitsstörung konfrontiert, bei der zwei oder mehrere Persönlichkeitszustände innerhalb einer Person existieren und die volle Kontrolle über das Verhalten der Person übernehmen. Dissoziativer Gedächtnisverlust und Schuldfähigkeit, um unter Anklage gestellt werden zu können, wird auch heutzutage diskutiert. Dissoziativer Gedächtnisschwund wie z. B. psychogene Flucht und das Multiple Persönlichkeitssyn-


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drom im besonderen sollten einen Angeklagten für unfähig erklären, unter Anklage zu stehen.



D. I. D. kann geheilt werden


Dissoziative Störungen sprechen auf eine Therapie an. Es stehen zwei Hauptmöglichkeiten für die Behandlung offen: individuelle Psychotherapie und andere therapeutische Mittel. Die Behandlung ist langwierig, intensiv und oft schmerzhaft, falls es die Erinnerung und das Zurückrufen der verdrängten traumatischen Erfahrungen mit sich bringt. Eine erfolgreiche Behandlung könnte nicht nur von Psychiatern oder Psychologen erreicht werden, sondern auch durch andere Therapeuten aus einer Vielfalt von Fachgebieten.

   Ein Therapeut könnte ›Gesprächstherapie‹ anwenden, eine gute Beziehung aufbauen und das Vertrauen seines Patienten gewinnen. Andere Behandlungsmöglichkeiten können heutzutage Hypnosebehandlung, Psychodrama und expressive Therapien wie Tanzen oder die Teilnahme an Theateraufführungen einschließen. Musizieren ist sehr wichtig für einen direkten emotionalen Effekt auf den Patienten. In Psychotherapiesitzungen werden funktionsgestörtes oder unangemessenes Verhalten, Gedanken oder Vorstellungen durch angemessenere ersetzt.

   Was stand Karl May zu seiner Zeit zur Verfügung? Er hatte den Vorteil, musikalisches Wissen zu haben, und hatte die Gelegenheit zu musizieren. Er hatte das Glück, den Katecheten Kochta zu treffen, der den beunruhigenden Seelenzustand Karl Mays erkannte. So nahm er auch als Organist an den Gottesdiensten aktiv teil. Die Gefängnisleitung und die Dauer seiner Haftstrafen unterstützten die bewußte Verhaltenstherapie.

   Wir wissen, daß die Zwickauer Haftstrafe (14. 6. 1865 bis 2. 11. 1868) Karl May nicht geheilt hatte. Erst nach dem zweiten Mal (in Waldheim vom 3. 5. 1870 bis 2. 5. 1874) verschwanden die Halluzinationen. In Waldheim traf Karl May auch den Katecheten Johann Kochta (1824-1886), einen Mann, dessen starken Einfluß auf seine Heilung May selbst anerkannte.82

   Während der Arbeitshausstrafe 1865-1868 wurde Karl May einem geordneten Leben ausgesetzt. Er wurde ein Mitglied eines Bläserkorps und diente dem Gefängnis-Inspektor als Büroassistent. May hatte Zugang zu der Bibliothek. Er fing an, zu schreiben - eine Form von Therapie.

   Zu seinen Halluzinationen schrieb May:


Ich habe die in mir schreienden Stimmen, von denen ich weiter oben sprach, auch in der Zelle vernommen. Ich habe mit ihnen gekämpft und sie stets zum Schweigen gebracht. Sie kehrten zwar zurück; sie ließen sich wieder hören, doch in immer längern Zwischenräumen, bis ich endlich annehmen konnte, daß sie ganz und für immer stumm geworden seien.83


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Karl May wurde am 2. November 1868 freigelassen, nachdem die ursprüngliche Haftstrafe um 253 Tage84 wegen guter Führung gekürzt wurde. Als Karl May nach Hause ging, hörte er wieder Stimmen:


Indem ich hieran dachte, hörte ich ganz dieselbe Stimme erklingen, in mir, ganz deutlich, wie erst nur von Weitem, aber sie schienen sich zu nähern.85

   Ich kam eher, als man mich erwartete. ... Ich grüßte gar nicht und fragte, wo Großmutter sei.

   »Tot - - - gestorben!« lautete die Antwort. »Wann?« »Schon voriges Jahr«.86


Mays Großmutter väterlicherseits hatte großen Einfluß auf ihn, als er blind war. Sie hatte ihm Geschichten erzählt und vorgelesen und sein Talent zum Leben erweckt. Der kleine Karl lernte, ›in seinem Kopf wegzugehen‹, sich loszulösen von seinem Unglück, nicht sehen zu können. Es war ein gesunder, schöpferischer Prozeß. Er wäre ohne die Großmutter nicht möglich gewesen.

   Und jetzt war sie tot. Es ist von Wichtigkeit, zu bemerken, daß Karl May während der Zeit seiner Gefängnisstrafe in Zwickau keine Person getroffen hatte, die wie ein Psychotherapeut gehandelt hätte. Eine solche Beziehung ist eine der zwei Voraussetzungen für eine erfolgreiche Heilung von D. I. D. May sagte auch, daß er niemandem von seinen Halluzinationen erzählt hatte. In diesem entscheidenden Augenblick wäre die Großmutter wahrscheinlich die einzige Person gewesen, zu der May einen Bezug hätte haben können. Es ist auch bekannt, daß während der dritten Haftstrafe Karl May in Waldheim eine Person fand, der er seinen Seelenzustand anvertraute und mit der er sein Problem besprach. Es war der Katechet Johannes Kochta. Er war der Psychotherapeut, der Karl May half, die D. I. D., in Verbindung mit den anderen Mitteln, hauptsächlich der Musik und dem Schreiben, zu überwinden.

   Ein anderes Trauma erlebte May zu Hause, zu einer Zeit, als er um sich selbst und um seine Zukunft gebangt haben mußte:


Es dauerte lange Zeit, ehe ich den Kopf wieder hob, um die Eltern nun zu grüßen. Sie erschraken. Sie sagten mir später, mein Gesicht habe schlimmer ausgesehen als dasjenige einer Leiche.87

Ohne Unterstützung wurde May von Halluzinationen, Panikattacken und Phobien geplagt, verursacht durch Flashbacks:


Es tauchten Vorwürfe in mir auf, aber keine Vorwürfe, die nur Gedanken sind, wie bei andern Leuten, die nicht von derselben Veranlagung sind wie ich, sondern Vorwürfe viel wesentlicherer, viel kompakterer Art. Ich sah sie in mir kommen, und ich hörte, was sie sagten, jedes Wort, ja wirklich, jedes Wort! Das waren nicht Gedanken, sondern Gestalten, wirkliche Wesen, die nicht die geringste Identität mit mir zu besitzen schienen und doch identisch waren. Welch ein Rätsel! Aber welch ein ungewöhnliches, furchtbar beängstigendes Rätsel! Sie glichen jenen in mir schreien-


//219//

den, dunkeln Gestalten von früher her, mit denen ich - - - mein Gott, kaum hatte ich an sie gedacht, so waren sie wieder da, ganz so, wie ich damals gezwungen gewesen war, sie in meinem Innern zu sehen und zu hören. Ich vernahm ihre Stimmen so deutlich, als ob sie vor mir stünden und an Stelle der Eltern und Geschwister mit mir sprächen. Und sie blieben. Sie gingen, als ich mich niederlegte, mit mir schlafen. Aber sie schliefen nicht und ließen auch mich nicht schlafen. Es begann das frühere Elend, die frühere Marter, der frühere Kampf mit unbegreiflichen Mächten, die um so gefährlicher waren, als ich absolut nicht entdecken konnte, ob sie Teile von mir seien oder nicht. Sie schienen es zu sein, denn sie kannten einen jeden meiner Gedanken, noch ehe er mir selbst zum Bewußtsein kam. Und doch konnten sie ganz unmöglich zu mir gehören, weil das, was sie wollten, fast stets das Gegenteil von meinem Willen war. Ich hatte mit meiner Vergangenheit abgeschlossen. Der vor mir liegende Teil meines Lebens sollte ein ganz anderer sein, als der, welcher hinter mir lag. Diese Stimmen aber waren bemüht, mich mit aller Gewalt in die Vergangenheit zurückzuzerren. Sie verlangten wie früher, daß ich mich rächen solle. Nun erst recht mich rächen, für die im Gefängnis verlorene, köstliche Zeit! Sie wurden von Tag zu Tag lauter; ich aber stemmte mich gegen sie; ich tat, als ob ich nichts, gar nichts höre. Das war aber selbst bei der größten Kraftaufwendung nicht länger als höchstens nur einige Tage lang auszuhalten. Indessen besuchte ich einige Verleger, um mit ihnen über die Herausgabe der im Gefängnisse geschriebenen Manuskripte zu verhandeln. Hierbei stellte es sich heraus, daß während dieser meiner Abwesenheit die inneren Stimmen um so mehr verstummten, je weiter ich mich von der Heimat entfernte, und wieder um so deutlicher wurden, je mehr ich mich ihr wieder näherte. Es war, als ob diese finstern Gestalten dort seßhaft seien und nur dann über mich herfallen könnten, wenn ich die Unvorsichtigkeit beging, mich dort einzufinden.88


Die familiäre Umgebung wirkte bestimmt als Reizfaktor und löste die Verschlechterung von Karl Mays Seelenzustand aus. In diesem Stadium seines Lebens, d. h. zwischen dem 2. November 1868 (Entlassung aus Zwickau) und dem 4. Januar 1870 (Verhaftung in Böhmen), litt May sowohl an Anfällen kurzer reaktiver Psychose wie auch an Identitätsstörungen als Teil der D. I. D.

   Die Wichtigkeit einer Art von Psychotherapie in dem Zustand, in dem Karl May sich befand, kann nicht genug betont werden. Leider war keine für ihn verfügbar oder es wurde ihm keine angeboten:


Ich aber fühlte mich einsam, einsam wie immer. Denn auch im ganzen Orte gab es keinen einzigen Menschen, der mich hätte verstehen wollen oder gar verstehen können. Und diese Einsamkeit war mir, grad mir, dem innerlich so schwer Angefochtenen, im höchsten Grade gefährlich. Nichts war mir nötiger als verständnisvolle Geselligkeit. Aber ich stand, wenn auch nicht äußerlich, so doch innerlich stets allein und war also den Gestalten, die mich bezwingen wollten, fast unausgesetzt und schutzlos preisgegeben.89


Karl May erwähnte seiner Familie gegenüber nie seinen Seelenzustand. Seine Mutter bot ihm keine Hilfe an, als er sie am meisten brauchte. Es geschah nach einer kurzen psychotischen Episode, die Karl May selbst bestens beschreibt:


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Das war ein schwerer, ein unglückseliger Tag. Es trieb mich fort, hinaus. Ich lief im Wald herum und kam spät abends todmüd heim und legte mich nieder, ohne gegessen zu haben. Trotz der Müdigkeit fand ich keinen Schlaf. Zehn, fünfzig, ja hundert Stimmen verhöhnten mich in meinem Innern mit unaufhörlichem Gelächter. Ich sprang vom Lager auf und rannte wieder fort, in die Nacht hinein; wohin, wohin, das beachtete ich gar nicht. Es kam mir vor, als ob die inneren Gestalten aus mir herausgetreten seien und neben mir herliefen. Voran der fromme Seminardirektor, dann der Buchhalter, der mir seine Uhr nicht geborgt haben wollte, eine Rotte von Kegelschiebern, mit Kegelkugeln in den Händen, und hierauf die Raubritter, Räuber, Mönche, Nonnen, Geister und Gespenster aus der Hohensteiner Schundbibliothek. Das verfolgte mich hin und her; das jagte mich auf und ab. Das schrie und jubelte und höhnte, daß mir die Ohren gellten. Als die Sonne aufging, fand ich mich im Innern eines tiefen, steilen Steinbruchs emporkletternd. Ich hatte mich verstiegen; ich konnte nicht weiter. Da hatten sie mich fest, und da ließen sie mich nicht wieder hinab. Da klebte ich zwischen Himmel und Erde, bis die Arbeiter kamen und mich mit Hilfe einiger Leitern herunterholten. Dann ging es weiter, immer weiter, weiter, den ganzen Tag, die ganze nächste Nacht; dann brach ich zusammen und schlief ein. Wo, das weiß ich nicht. Es war auf einem Raine, zwischen zwei eng zusammenstehenden Roggenfeldern. Ein Donner weckte mich. Es war wieder Nacht, und der Gewitterregen floß in Strömen herab. Ich eilte fort und kam an ein Rübenfeld. Ich hatte Hunger und zog eine Rübe heraus. Mit der kam ich in den Wald, kroch unter die dicht bewachsenen Bäume und aß. Hierauf schlief ich wieder ein. Aber ich schlief nicht fest; ich wachte immer wieder auf. Die Stimmen weckten mich. Sie höhnten unaufhörlich: »Du bist ein Vieh geworden, frissest Rüben, Rüben, Rüben!« Als der Morgen anbrach, holte ich mir eine zweite Rübe, kehrte in den Wald zurück und aß. Dann suchte ich mir eine lichte Stelle auf und ließ mich von der Sonne bescheinen, um trocken zu werden. Die Stimmen schwiegen hier; das gab mir Ruhe. Ich fand einen langen, wenn auch nur oberflächlichen Schlaf, während dessen Dauer ich mich immer von einer Seite auf die andere warf, und von kurzen, aufregenden Traumbildern gequält wurde, die mir vorspiegelten, daß ich bald ein Kegel, nach dem man schob, bald ein Zigeuner aus Preziosa und bald etwas noch Schlimmeres sei. Dieser Schlaf ermüdete mich nur noch mehr, statt daß er mich stärkte. Ich entwand mich ihm, als der Abend anbrach, und verließ den Wald. Indem ich unter den Bäumen hervortrat, sah ich den Himmel blutigrot; ein Qualm stieg zu ihm auf. Sicherlich war da ein Feuer. Das war von einer ganz eigenen Wirkung auf mich. Ich wußte nicht, wo ich war; aber es zog mich fort, das Feuer zu betrachten. Ich erreichte eine Halde, die mir bekannt vorkam. Dort setzte ich mich auf einen Stein und starrte in die Glut. Zwar brannte ein Haus, aber das Feuer war in mir. Und der Rauch, dieser dicke, erstickende Rauch! Der war nicht da drüben beim Feuer, sondern hier bei mir. Der hüllte mich ein, und der drang mir in die Seele. Dort ballte er sich zu Klumpen, die Arme und Beine und Augen und Gesichtszüge bekamen und sich in mir bewegten. Sie sprachen.90

   [In solchem Zustand kam Karl May zu Hause an:] - Ich war dumm, vollständig dumm. Mein Kopf war wie von einer dicken Schicht von Lehm und Häcksel umhüllt. Ich fand keinen Gedanken. ... Ich wankte beim Gehen.

   Nach einiger Zeit öffnete sich die Schlafkammertür. Mutter trat heraus. Sie pflegte sehr zeitig aufzustehen, ihres Berufes wegen. Als sie mich sah, erschrak sie. Sie zog die Kammertür schnell hinter sich zu und sagte aufgeregt, aber leise:


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   »Um Gottes willen! Du? Hat jemand dich kommen sehen?«

   »Nein«, antwortete ich.

   »Wie siehst du aus! Schnell wieder fort, fort, fort! Nach Amerika hinüber! Daß man dich nicht erwischt! Wenn man dich wieder einsperrt, das überlebe ich nicht!«

   »Fort? Warum?« fragte ich.

   »Was hast du getan; was hast du getan! Dieses Feuer, dieses Feuer!«

   »Was ist es mit dem Feuer?«

   »Man hat dich gesehen! Im Steinbruch - - im Walde - - auf dem Felde - - und gestern auch bei dem Haus, bevor es niederbrannte!«

   Das war ja entsetzlich, geradezu entsetzlich!

   »Mut - - ter! Mut - - ter!« stotterte ich. »Glaubst du etwa, daß - - - «

   »Ja, ich glaube es; ich muß es glauben, und Vater auch«, unterbrach sie mich. »Alle Leute sagen es!«

   Sie stieß das hastig hervor. Sie weinte nicht, und sie jammerte nicht; sie war so stark im Tragen innerer Lasten. Sie fuhr in demselben Atem fort:

   »Um Gottes willen, laß dich nicht erwischen, vor allen Dingen nicht hier bei uns im Hause! Geh, geh! Ehe die Leute aufstehen und dich sehen! Ich darf nicht sagen, daß du hier warst; ich darf nicht wissen, wo du bist; ich darf dich nicht länger sehen! Geh also, geh! Wenn es verjährt ist, kommst du wieder!«

   Sie huschte wieder in die Kammer hinaus, ohne mich berührt zu haben und ohne auf ein ferneres Wort von mir zu warten. Ich war allein und griff mir mit beiden Händen nach dem Kopfe. Ich fühlte da ganz deutlich die dicke Lehm- und Häckselschicht. Dieser Mensch, der da stand, war doch nicht etwa ich? An den die eigene Mutter nicht mehr glaubte? Wer war der Kerl, der in seiner schmutzigen, verknitterten Kleidung aussah, wie ein Vagabund? Hinaus mit ihm, hinaus! Fort, fort!91


Ablehnung von seiner eigenen Mutter in der Stunde seiner großen Not. Was Karl May brauchte, war ein mitfühlendes Ohr, ein Heiler, ein Psychotherapeut. Es gab niemanden.


Ich habe noch soviel Verstand gehabt, den Kleiderschrank zu öffnen und einen andern, saubern Anzug anzulegen. Dann bin ich fortgegangen. Wohin? Die Erinnerung läßt mich im Stich. Ich war wieder krank wie damals. Nicht geistig, sondern seelisch krank. Die inneren Gestalten und Stimmen beherrschten mich vollständig. Wenn ich mir Mühe gebe, mich auf jene Zeit zu besinnen, so ist es mir wie Einem, der vor fünfzig Jahren irgendein Theaterstück gesehen hat und nach dieser Zeit noch wissen soll, was von Augenblick zu Augenblick geschah und wie die Kulissen sich verwandelten. Einzelne Bilder sind mir geblieben, doch so undeutlich, daß ich nicht behaupten kann, was wahr daran ist und was nicht. Ich habe in jener Zeit jenen dunklen Gestalten gehorcht, welche in mir wohnten und mich beherrschten. Was ich getan habe, erscheint jedem Unbefangenen unglaublich. Man beschuldigte mich, einen Kinderwagen gestohlen zu haben! Wozu? Ein leeres Portemonnaie mit nur drei Pfennigen Inhalt!92


Die Anfälle kurzer reaktiver Psychose, die Karl May durchmachte, sind schon erwähnt worden. Einem solchen Ereignis geht ein bedeutendes Erlebnis voraus, das sehr belastend für fast jeden in der gleichen Situation sein


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würde. Die Beschreibung der Ablehnung durch seine Mutter, als May ihre Ermutigung und Hilfe brauchte, ist ziemlich plastisch.

   Karl May stellt sehr genau in den angeführten Teilen seiner Autobiographie die Symptome von D. I. D. dar: Depression, Schlafstörungen wie Schlaflosigkeit, Alpträume, Panikattacken, akustische Halluzinationen, Eßstörungen wie Magersucht. Er schildert außerdem Gedächtnisverlust und den Verlust des Zeitgefühls. Dissoziation - ein Prozeß, den er als blindes Kind lernte - war für ihn eine Überlebenstechnik. Wiederholte Dissoziationen führen zu eigenständigen Wesen oder geistigen Verfassungen, die schließlich eigene Identitäten annehmen können. Diese Wesen werden die inneren ›Persönlichkeitszustände‹ der D. I. D. Der Wechsel zwischen diesen Bewußtseinszuständen wird ›Switching‹ genannt.

   Statt Hilfe angeboten zu bekommen, wurde Karl May alleingelassen:


Man hatte mich festgenommen [am 2. Juli 1869], und wo Etwas geschehen war, da transportierte man mich als »hoffentlichen Täter« hin. ... Ich zerbrach während eines Transportes meine Fesseln und verschwand [am 26. Juli 1869]. ... ein unwiderstehlicher Trieb zur Heimkehr packte (mich) ... Ich folgte teils jenem unbegreiflichen Zwange, teils kehrte ich freiwillig zurück, ... tat dies aber leider nicht stracks, wie es richtig gewesen wäre, sondern verfiel jenen inneren Gewalten, die sich wieder einstellten und mich verhinderten, zu tun, was ich mir vorgenommen hatte. Die Folge davon war, daß ich, anstatt mich freiwillig zu stellen, [am 4. Januar 1870] ergriffen wurde.93


Karl May wußte, was ihn als Gefangener erwartete. Er wußte aber auch, daß sich sein Seelenzustand verbessert hatte, als er das letzte Mal im Gefängnis war, daß die Halluzinationen verschwanden. Als er am 26. März 1865 verhaftet wurde, fand der Polizeiarzt May fast in einem katatonischen Zustand. Über diese Zeit gibt es, wie erwähnt, die Zeugenaussage seines Rechtsanwalts Karl Haase: »[Karl May schien] gewissermaßen aus Übermuth auf der Anklagebank zu sitzen (...)«94

   May wurde zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Seine


Strafe war schwer und lang [3. 5. 1870 bis 2. 5. 1874], und der auf zwei Jahre Polizeiaufsicht lautende Zusatz konnte mir bei meiner Einlieferung keineswegs als Empfehlung dienen. Ich war also auf strenge Behandlung gefaßt. Sie war ernst, aber sie tat nicht wehe. Eine Anstaltsdirektion handelt ganz richtig, wenn sie sich nicht voreingenommen zeigt, sondern ruhig abwartet, ob und wie der Eingelieferte sich fügt. Nun, ich fügte mich! Freilich wurde für dieses Mal auf meinen Stand keine Rücksicht genommen. Man teilte mich derjenigen Beschäftigung zu, in der grad Arbeiter gebraucht wurden. Ich wurde Zigarrenmacher.95


Wie im Arbeitshaus Schloß Osterstein hatte May in Waldheim Eingewöhnungsprobleme. Wahrscheinlich schaffte er zunächst sein Arbeitspensum als ›Zigarrenmacher‹ nicht, denn er wurde vermutlich deshalb disziplinarisch bestraft. Die noch teilweise erhalten gebliebenen Zuchthausakten ge-


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ben hierüber keine genaue Auskunft.96 Fest steht: May hat unter den schweren Haftbedingungen gelitten. Es herrschte im Zuchthaus absolutes Redeverbot! Dazu die monotonen Handgriffe, täglich, mindestens 13 Stunden, unzählige Zigarren zu fertigen. Dennoch sah May seine Waldheimer-Zeit in dichterischer Verklärung positiv. Irgendwie wußte er, daß ihm diese bitteren Jahre gutgetan hatten in dem Sinn, daß ›die Stimmen‹ ihn verlassen hatten.

   Das wichtigste Ereignis in Waldheim war, daß Karl May den katholischen Katecheten der Anstalt, Johannes Kochta, traf. Es gibt keinen Zweifel, daß Kochta einen tiefen Eindruck auf ihn machte.

Bereits 1882 schreibt May im ›Waldröschen‹ über den Pater Dominikaner (Kochta), der Räuber (wie Zuchthäusler) unterrichtet:


»... Aber was sind die Leiden des Körpers gegen die Qualen des Geistes. [!] Diese sind fürchterlich, mein Sohn. Hüte Dich, sie jemals kennen zu lernen.«

   »Du leidest an der Seele? Wende Dich an unseren guten Dominikaner. ... Er ist ein sehr guter und frommer Mann. Er ist mein Lehrer, dem ich Alles [!], was ich weiß, zu verdanken [!] habe.«97


Und in ›Mein Leben und Streben‹ heißt es: Ich war seelenkrank, aber nicht geisteskrank.98 Mag es sich beim ›Waldröschen‹ auch noch so sehr um einen fiktiven Text handeln, die Querverbindungen zu den Qualen des Geistes und Du leidest an der Seele sind eindeutig und erhöhen die Glaubwürdigkeit der Autobiographie.

   Kochta war das fehlende Glied in der Kette, die zu Karl Mays Heilung von D. I. D. führte. Ihm eröffnete May seinen Seelenzustand:


Ich hatte ihm von meinen inneren Anfechtungen nichts erzählt, wie ich in rein persönlichen und familiären Dingen überhaupt nie einen Menschen zu meinem Vertrauten mache. Aber zuweilen fiel doch ein Wort, welches nicht andeuten sollte, aber doch andeutete. Er wurde aufmerksam. Einmal kam ich im Verlauf des Gespräches darauf, von meinen dunklen Gestalten und ihren quälenden Stimmen zu sprechen; aber ich tat so, als ob ich von einem Andern spräche, nicht von mir selbst. Da lächelte er. Er wußte gar wohl, wen ich meinte. ...

   »Nicht wahr, Sie waren es selbst, von dem Sie erzählten?«

   »Ja«, antwortete ich.99


So beschreibt Karl May Johannes Kochta in seinem Buch:


Er war nur Lehrer, ohne akademischen Hintergrund, aber ein Ehrenmann in jeder Beziehung, human wie selten Einer und von einer so reichen erzieherischen, psychologischen Erfahrung, daß das, was er meinte, einen viel größeren Wert für mich besaß, als ganze Stöße von gelehrten Büchern. Nie sprach er über konfessionelle Dinge mit mir. Er hielt mich für einen Protestanten und machte nicht den geringsten Versuch, auf meine Glaubensanschauung einzuwirken. Und wie er sich zu mir, so verhielt ich mich zu ihm. Nie habe ich ihm eine Frage nach dem Katholizismus vor-


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gelegt. Was ich da wissen mußte, das wußte ich bereits oder konnte es in anderer Weise erfahren. Mir war das schöne Verhältnis heilig, das nach und nach zwischen ihm und mir entstand, ohne daß sich störende Gegensätze in das rein menschliche Wohlwollen schleichen durften. Er tat seinen Kirchendienst, ich meinen Orgeldienst, aber im Uebrigen blieb die Religion zwischen uns vollständig unberührt und konnte also um so direkter und reiner auf mich wirken. Grad dieses sein Schweigen war so beredt, denn es ließ seine Taten sprechen, und diese Taten waren die eines Edelmenschen, dessen Wirkungskreis zwar ein kleiner ist, der aber selbst das Kleinste groß zu nehmen weiß.100


Es scheint, daß die zwei Männer einander respektierten. Sie sprachen nie über Religion - May war Protestant - jedoch Kochtas Beispiel, Mays Teilnahme an der katholischen Messe und der Einfluß eines katholischen Pfarrers ließen Karl May wie ein Katholik denken. Karl May schildert eine solche Beziehung sehr gut im dritten Band von ›Winnetou‹, wenn der sterbende Winnetou Old Shatterhand bekennt, daß er gläubig sei, obwohl die beiden über Religion, auf Winnetous Bitte hin, während all der Jahre ihrer Freundschaft nie gesprochen hatten.

   Kochta leitete bestimmte Schritte ein, die den Aufenthalt im Zuchthaus für Karl May erträglicher als eine Verlegung in eine weniger strenge Besserungsanstalt machten. 1874 ermöglichte es Kochta auch für Karl May, eine Arbeit in der Zuchthaus-Bibliothek zu bekommen. Der wichtigste Umstand für May war jedoch, daß er Orgel in der katholischen Messe spielte:


Ich bestand die Prüfung und mußte vor dem Direktor erscheinen, der mir eröffnete, daß ich zum Organisten bestellt sei und mich also sehr gut zu führen habe, um dieses Vertrauens würdig zu sein. Das war der Anfang, aus dem sich so sehr viel für mich und mein Innenleben entwickelte.101


Dissoziative Störungen sprechen - wie gesagt - sehr gut auf individuelle Psychotherapie wie auch auf einen Bereich anderer Behandlungsmethoden und zusätzliche Therapien, wie z. B. Musik, an:


Was für Orgel- und sonstige Musikstücke bekam ich in die Hand! Ich hatte geglaubt, Musikverständnis zu besitzen. Ich Tor! Dieser einfache Katechet gab mir Nüsse zu knacken, die mir sehr zu schaffen machten. Was Musik eigentlich ist, das begann ich erst jetzt zu ahnen, und die Musik ist nicht etwa das allergeringste Mittel, durch welches die Kirche wirkt.102


Karl May wurde jetzt mit Respekt behandelt. Es wurde ihm eine Vertrauensstellung gegeben und die Gelegenheit, aktiv an Gottesdiensten teilzunehmen.


[Der Aufseher] ... kam ... verwundert in meine Zelle, um mich zu fragen, ob vielleicht in meinen Einlieferungsakten ein Versehen unterlaufen sei; da sei ich als evangelisch-lutherisch bezeichnet. Ich verneinte das Versehen. Da sah er mich groß an und sagte:


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   »Das ist noch gar nicht dagewesen! Da mußt du - - - hm, da müssen Sie sehr musikalisch sein!«

   Die Gefangenen werden natürlich »Du« genannt; von jetzt an aber sagte er »Sie«, und Andere taten ihm das nach. Das war eine scheinbar kleine aber trotzdem sehr wertvolle Errungenschaft, weil aus ihr vieles Andere folgerte.103


Der Aufseher (Carl August Leistner) war der Leiter eines Bläserkorps, und er nahm May unter seine Musiker auf:


Dieser Aufseher ist mir ein lieber, väterlicher Freund gewesen, und wir haben, als er später pensioniert war und nach Dresden zog, noch lange in lieber, achtungsvoller Weise miteinander verkehrt.104


All dieses war wohltuend für Karl Mays geistige Gesundheit:


Was meinen seelischen Zustand betrifft, so hatte ich Ruhe, vollständige Ruhe. In den ersten vier Wochen der letzten vier Jahre war es noch vorgekommen, daß die dunklen Gestalten mich innerlich gequält und mit Zurufen belästigt hatten; das hatte aber nach und nach aufgehört und war schließlich still geworden, ohne sich wieder zu regen.105


In der ›Großen Karl-May-Biographie‹ wird gefragt: »Wurde Karl May im Zuchthaus geheilt?« 106 Die Antwort ist: Ja, er wurde geheilt.



Zusammenfassung


Karl May beschreibt sehr genau in seiner Biographie den Seelenzustand, in dem er sich während der Jahre 1862-1874 befand. Bis jetzt waren alle Versuche, seinen geistigen Zustand zu erklären, nicht schlüssig oder unzureichend. Viele Autoren betrachteten Mays Beschreibung von ›Stimmen‹, die er hörte, als ein Sinnbild, eine poetische und symbolische Erklärung von Ereignissen in seinem Leben. In einigen Veröffentlichungen wird vermutet, daß Karl May an einer ›Art von Schizophrenie‹107 gelitten habe. Schizophrenie steht nicht im Einklang mit seinen schriftstellerischen Werken und dem Verlauf seines späteren Lebens.

   Unter Anwendung der Freudschen Psychoanalyse verwandelt sich Karl May in einen Neurotiker oder eine hysterische Persönlichkeit mit narzißtischer Geltungssucht. Die Freudsche Theorie würde voraussetzen, daß May anale und orale Phasen während seiner Erblindung in der Kindheit durchmachte, vermutlich sexuellen Neid und sogar eheliche Untreue seiner Mutter erlebte.108

   Dissoziative Identitätsstörung (D. I. D.) ist bis vor kurzem ein verwirrender Zustand gewesen, der als eine Kuriosität angesehen wurde. 1994 erschien das ›Diagnostische und Statistische Handbuch der Geistesstörungen IV‹,


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das Veränderungen des medizinischen Verständnisses dieser Geistesstörung wiedergibt, die weitgehend auf vermehrter empirischer Erforschung Dissoziativer Störungen basieren, die aus einem Trauma hervorgehen.

   Nur Individuen, die nachweislich an wiederholten, überwältigenden Traumata während einer empfindlichen Entwicklungsphase der Kindheit, für gewöhnlich vor dem neunten Lebensjahr, gelitten haben, entwickeln D. I. D. Es gibt vier diagnostische Kriterien, die in dem Handbuch genannt werden.

   Karl Mays Blindheit zwischen dem dritten und fünften Lebensjahr, zusammen mit den späteren Mißhandlungen durch seinen Vater, stellen das Kindheitstrauma dar. Mays eigene Worte in seiner Biographie beschreiben sehr gut die vier notwendigen Kriterien für die Diagnose von D. I. D. Es sind acht Identitäten von Karl May zwischen 1862 und 1870 bekannt. Auch die diagnostischen Kriterien für einen dissoziativen Fluchtzustand stimmen mit Mays Verhalten zu dieser Zeit überein. Unabhängige Beobachter und Behörden beschrieben Mays Verhalten kurzer reaktiver Psychose.

   D. I. D. ist ein heilbarer Zustand. Der Verlauf der Behandlung ist langwierig. D. I. D. reagiert auf individuelle Psychotherapie und auf einen Bereich anderer Behandlungsmethoden und zusätzliche Therapien. Die Dauer von Mays Strafen, aktive Teilnahme an Gottesdiensten als Organist und Mitglied des Bläserkorps, Beschäftigung mit Büroarbeit und als Bibliothekar, stellten die kognitive Verhaltenstherapie dar. Ein Psychotherapeut fand sich in der Person von Johannes Kochta, dem Zuchthaus-Katecheten, dem sich Karl May mitteilen konnte. Nach Mays Entlassung 1874 litt er nicht an Symptomen von D. I. D., und wir können vermuten, daß er völlig geheilt war.



ZEITTAFEL


BEDEUTENDE EREIGNISSEALTERVERLAUF DER D. I. D.

Blindheit

3-5

Erlernt die Dissoziation (›weggehen in seinem Kopf‹), Großmutters Geschichten

Mißhandlungen durch den Vater

6-15

Unvernünftiger Lernzwang mit körperlicher Züchtigung

Ausschluß aus dem Lehrerseminar (Weihnachten 1859)

17

Depression

Sechs Wochen in Haft (8. September - 20. Oktober 1862)

20

Dissoziativer Gedächtnisverlust




//227//

Keine psychologische Betreuung (Januar 1863 - März 1865) 21Halluzinationen
Multiple-Persönlichkeiten-Phase

Wechselnde Persönlichkeiten übernehmen die Kontrolle

22

Dr.med.Heilig - Juli 1864
Seminarlehrer Lohse - Dezember 1864


23

Hermes Kupferstecher - März 1865

Arbeitshausstrafe in Zwickau
(14. Juni 1865 - 2. November 1868)

23
23-26

Halluzinationen verschwanden

Heimkehr

26

Halluziniert wieder

Wechselnde Identitäten übernehmen die Kontrolle

27

Polizei-Oberleutnant von Wolframsdorf - März 1869
Geheimpolizei-Mitglied - April 1869
Rechtsanwaltsgehilfe - Juni 1869
Schriftsteller Heichel - Nov. 1869
Albin Wadenbach - Jan. 1870

Kurze psychotische Zustände

27

Vorfälle mit:
Kinderwagen
Billardkugeln
Pferd

Zuchthausstrafe abgeleistet in
Waldheim
(3. Mai 1870 - 2. Mai 1874)

28-32

Halluzinationen verschwanden
Psychotherapeut J. Kochta
Eine Art von kognitiver Verhaltenstherapie:
Musik

Heimkehr

32

Frei von D. I. D.





Ich danke Herrn Ralf Harder für wertvollen Rat, Unterstützung und Hilfe.


(Aus dem Englischen: Nicola Pahl)


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1 Karl May: Brief an den ›Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger‹, vom 6. August 1910. In: Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft (M-KMG) Nr. 111/1997, S. 49

2 Vgl. Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg o. J. (1910); Reprint Hildesheim-New York 1975. Hrsg. von Hainer Plaul.

3 American Psychiatric Association: Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders. Fourth Edition. Washington DC 1994 (Version DSM-IV)

4 Ebd., S. 484

5 Somerset Maugham: Of Human Bondage. Zit. nach: Mark Pierce: The Multiple Personality Dispute. New York 1995, S. 135 (Hervorhebung durch den Verfasser)

6 Jack London: The Star Rover. London 1976, S. 9 - London beschreibt ebenfalls Dissoziation: »Und dann, für eine halbe Stunde, zehn Minuten, oder, eine Stunde lang oder so, würde ich unbeständig und töricht durch die gespeicherten Erinnerungen meiner ewigen Wiederkehr auf Erden wandern. Aber Zeiten und Orte wechselten zu schnell. Ich wußte nachher, wenn ich erwachte, daß ich, Darrell Standing, die verbindende Persönlichkeit war, die alle Bizarrheit und alles Groteske verband. Aber das war alles. Ich könnte niemals völlig eine ganze Erfahrung ausleben, einen Punkt des Bewußtseins in Zeit und Raum.« (Ebd., S. 50) (Hervorhebung durch den Verfasser)

7 Karl May: Ein Schundverlag und seine Helfershelfer. Prozeß-Schriften Bd. 2. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1982, S. 372 (Hervorhebung durch den Verfasser)

8 Vgl. W. Griesinger: Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, Braunschweig 1871.

9 Vgl. Hainer Plauls Anhang in: May: Leben und Streben, wie Anm. 2, S. 521-29. »(...) es ist nicht auszuschließen, daß May (...) zur Stützung seines Gedächtnisses oder - mit dem Ziel der Rechtfertigung - um eine besonders glaubhafte und überzeugende Darstellung zu liefern, oder aus beiden Gründen, sich hierfür der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur bedient hat.«, ebd., S. 529. Bereits in dem Roman ›Und Friede auf Erden!‹, Freiburg 1904, S. 377f, schildert May ähnliche Spaltungssymptome, wie später in seiner Autobiographie: So ist es, als ob er aus sich selbst und noch zwei andern Wesen bestehe, welche sich um sein Denken und Fühlen mit einander streiten. ... Die abendländische Wissenschaft aber besitzt, vermute ich, kein einziges Werk oder Buch welches diesen Zustand kennt ... Als May diese Textpassage wohl aus eigenem Erleben schrieb, mußte er seine Vergangenheit noch nicht öffentlich rechtfertigen, was die Glaubwürdigkeit von ›Mein Leben und Streben‹ wesentlich erhöht.

10 Diese ›Geschichten erzählende Lügenhaftigkeit‹ gehört in dieselbe Kategorie wie die chronisch verwirrte Manie (die ›Verworrene Manie‹ bei deutschen Psychiatern); die ›Mania Resonans‹, wenn Patienten abweisend sind, die ganze Zeit streiten und klagen oder die ›Mania Stuporosa‹, bei welcher der Patient einem glücklichen, faulen, trägen Buddha zu ähneln scheint. Perioden der Prahlerei, die mit niedriger moralischer Einsicht (Pseudologia Phantastica) verbunden sind, wechseln mit Perioden tiefer Depression ab. Patienten sind in der Regel nicht zu irgendeiner kreativen, sinnvollen Arbeit fähig.

11 Einige May-Forscher, Claus Roxin (Vorläufige Bemerkungen über die Straftaten Karl Mays. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 1971. Hamburg 1971, S. 100) und Kurt Langer (Der psychische Gesundheitszustand Karl Mays. Eine psychiatrisch-tiefenpsychologische Untersuchung. In: Jb-KMG 1978. Hamburg 1978, S. 169ff.) vor allem, hatten freilich betont, daß Mays Schilderung nicht vorschnell zu verwerfen sei. Hermann Wohlgschaft schloß sich dieser Auffassung an und schrieb dem Mayschen Selbst-Programm in ›Mein Leben und Streben‹ - insbesondere der Theorie einer zeitweiligen Ich-Spaltung in mehrere ›Identitäten‹ - eine »zumindest partikuläre Glaubwürdigkeit« zu (Hermann Wohlgschaft: Große Karl-May-Biographie. Paderborn 1994, S. 89).


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12 May: Leben und Streben, wie Anm. 2, S. 16

13 Vgl. William Thomas: Karl May & Rachitis. http://www.karl-may-stiftung.de/rickets2html

14 May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 2, S. 20

15 Vgl. William Thomas: Karl Mays Blindheit II. In: M-KMG 123/2000, S. 5ff.

16 Die Hungersnot in Hohenstein und Ernstthal ist historisch belegt. Vgl. Entstehung und Entwicklung der Bergstadt Hohenstein. Zusammengestellt und herausgegeben von Oberlehrer Otto Sebastian. Hohenstein-Ernstthal 1927, S. 211f. Ferner: Aus einem Bittgesuch von 1844. Stadtarchiv Hohenstein-Ernstthal. Zitiert nach Hainer Plaul: Der Sohn des Webers - Über Karl Mays erste Kindheitsjahre 1842-1848. In: Jb-KMG 1979. Hamburg 1979, S. 50.

17 Es gibt zahlreiche Werkbeispiele, in denen May seine Kindheitserinnerungen unterschwellig verarbeitet haben dürfte: »O, dann will ich Dir die Augen heilen, die Du nicht öffnen kannst!«, Waldröschen oder die Rächerjagd rund um die Erde, Dresden 1882-1884, S. 1258. Vgl. hierzu Ralf Harder: Die Erblindung - eine entscheidende Phase im Leben Karl Mays. http://www.karl-may-stiftung.de/blind.html

18 May: Leben und Streben, wie Anm. 2, S. 30f.

19 Karl May schreibt in seiner Autobiographie, wie Anm. 2, S. 20, er sei nach Dresden gebracht worden, um behandelt zu werden. Medizinische Laien neigen dazu, insbesondere bei Augenkrankheiten ›behandeln‹ mit ›operieren‹ zu verwechseln. Das jüngstes Beispiel gibt Rudi Schweikert: »Gleich zwei Professoren operieren also einen kleinen Jungen (...)« (»... und eine Geschichte ist besser, als alles was man sehen kann«. Frühe Blindheit: Literatur und Lebensbeschreibung. In: M-KMG 122/1999, S. 21).

20 Seine Großmutter väterlicherseits, Johanne Christiane Kretzschmar (1780-1865)

21 May: Leben und Streben, wie Anm. 2, S. 32

22 Ebd., S. 50f.

23 Ebd., S. 10

24 Ebd., S. 9

25 Ebd., S. 10f.

26 Ebd., S. 9

27 Ebd., S. 109f.

28 Ebd., S. 107

29 American Psychiatric Association, wie Anm. 3

30 May: Leben und Streben, wie Anm. 2, S. 117f.

31 Karl May: Der Scout. In: Deutscher Hausschatz. XV. Jg. (1888/89), S. 203; Reprint in: Karl May: Der Scout / Deadly Dust. / Ave Maria. Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg/Regensburg 1997

32 Ebd., S. 203

33 Ebd., S. 235

34 Ebd., S. 316

35 Ebd.

36 Ebd., S. 346

37 May: Leben und Streben, wie Anm. 2, S. 110f.

38 Ebd., S. 150

39 May: Der Scout, wie Anm. 31, S. 507

40 Ebd., S. 567

41 Ebd., S. 568

42 Ebd., S. 583

43 Aus den Akten des Polizeiamts Leipzig, 1865, zitiert nach Rudolf Lebius: Die Zeugen Karl May und Klara May. Berlin-Charlottenburg 1910, S. 10.

44 May: Der Scout, wie Anm. 31, S. 584

45 Ebd., S. 586


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46 Ebd., S. 599

47 Ebd., S. 600

48 Ebd., S. 730

49 May: Leben und Streben, wie Anm. 2, S. 109

50 May: Der Scout, wie Anm. 31, S. 731

51 Ebd.

52 May: Leben und Streben, wie Anm. 2, S. 172

53 Retrograde Amnesie (rückläufiger Gedächtnisschwund) nach einer Kopfverletzung dauert weniger lange an und umfaßt nicht eine so lange Zeitspanne.

54 May: Der Scout, wie Anm. 31, S. 731

55 Ebd.

56 May: Leben und Streben, wie Anm. 2, S. 178

57 May: Der Scout, wie Anm. 31, S. 203

58 Ralf Harder: Karl Friedrich May (Die Jahre 1842-1874). http://www.karl-may-stiftung.de/biograph.html

59 Vgl. Max Finke: Aus Karl Mays literarischem Nachlaß. In: Karl-May-Jahrbuch 1920. Radebeul 1919, S. 77.

60 Ebd. S. 71f.

61 Vgl. May: Leben und Streben, wie Anm. 2, S. 107.

62 Vgl. ebd., S. 112.

63 May: Der Scout, wie Anm. 31, S. 235

64 May: Leben und Streben, wie Anm. 2, S. 111

65 Vgl. Maxim Zetkin: Wörterbuch der Medizin, Berlin 1956, S. 571 und Karel Kuffner: Psychiatrie II. Prag 1900, S.334.

66 Kurze Dissoziative Benommenheit (BDS) ist für eine neue Kategorie im DSM-IV vorgeschlagen (Alexander PJ, Joseph S., Das A.: Acta Psychiatr. Scand. 95, Heft 3, 1997, S. 177-182).

67 May: Der Scout, wie Anm. 31, S. 731

68 Vgl. Claus Roxin: Vorwort. In: May: Der Scout, wie Anm. 31, S. 7ff.; ferner: Christoph F. Lorenz: Als lyrischen Dichter müssen wir uns May verbitten? In: Jb-KMG 1982. Husum 1982. S. 138ff. und Max Finke: Aus Karl Mays literarischem Nachlaß, wie Anm. 59, S. 71f.

69 May: Leben und Streben, wie Anm. 2, S. 111f.

70 Ebd., S. 159f

71 Hervorhebung durch den Verfasser

72 May: Leben und Streben, wie Anm. 2, S. 111f.

73 Ebd., S. 114f.

74 May: Leben und Streben, wie Anm. 2, S. 118f.

75 Ebd., S. 163

76 Zu dem Folgenden vgl. Klaus Hoffmann : Zeitgenössisches über »ein unwürdiges Glied des Lehrerstandes«. Pressestimmen aus dem Königreich Sachsen. 1864-1870. In: Jb-KMG 1971. Hamburg 1971, S.110-121 und Hainer Plaul: Alte Spuren. Über Karl Mays Aufenthalt zwischen Mitte Dezember 1864 und Anfang Juni 1865. In: Jb-KMG 1972/73. Hamburg 1972, S. 195-214.

77 Aus den Akten des Polizeiamts Leipzig, 1865, wie Anm. 43, S. 10

78 Zit. nach Hoffmann: Lehrerstand, wie Anm. 76, S. 117.

79 Ebd., S. 115

80 Zit. nach May: Leben und Streben, wie Anm. 2, S. 385 (Anm. 145 von Plaul).

81 Erich Wulffen: Psychologie des Verbrechers. Ein Handbuch für Juristen, Ärzte, Pädagogen und Gebildete aller Stände. II. Bd. - Groß-Lichterfelde-Ost 1908, S. 173 und S. 314f.

82 May: Leben und Streben, wie Anm. 2, S. 172f.

83 Ebd., S. 130f.


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84 Wohlgschaft: May-Biographie, wie Anm. 11, S. 103

85 May: Leben und Streben, wie Anm. 2, S. 154

86 Ebd., S. 154f. Das heißt 1867; Johanne Christiane Kretzschmar starb tatsächlich am 19. September 1865; die Familie erzählte Karl May nichts davon.

87 Ebd., S. 155

88 Ebd., S. 156ff.

89 Ebd., S. 160f.

90 Ebd., S. 163ff.

91 Ebd., S. 165ff.

92 Ebd., S. 167

93 Ebd., S. 167f.

94 Ebd., S. 385 (Anm. 145 von Plaul)

95 Ebd., S. 169f.

96 Vgl Hainer Plaul: Resozialisierung durch »progressiven Strafvollzug«. Über Karl Mays Aufenthalt im Zuchthaus zu Waldheim von Mai 1870 bis Mai 1874. In: Jb-KMG 1976. Hamburg 1976, S. 105f., 127 und 155.

97 May: Waldröschen, wie Anm. 17, S. 35

98 May: Leben und Streben, wie Anm. 2, S. 111

99 Ebd., S. 176f.

100 Ebd., S. 172f.

101 Ebd., S. 171

102 Ebd., S. 173

103 Ebd., S. 172

104 Ebd.

105 Ebd., S. 176

106 Wohlgschaft: May-Biographie, wie Anm. 11, S. 127

107 Hermann Wohlgschaft: May im Blickpunkt. In: KMG-Nachrichten Nr.115/1998, S. 46

108 Hans Wollschläger: »Die sogenannte Spaltung des Menschlichen Innern, ein Bild der Menschheitsspaltung überhaupt«. Materialien zu einer Charakteranalyse Karl Mays. In: Jb-KMG 1972/73. Hamburg 1972, S. 11-92, insbes. S. 31




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