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MA/LGORZATA KLENTAK-ZAB/LOCKA


Die Gemeinschaft der Eingeweihten
Bemerkungen zu Karl Mays exotischer Romanwelt und ihrer Rezeption




Dieser Beitrag beschäftigt sich mit einigen Aspekten der exotischen Romanwelt Karl Mays vor dem Hintergrund des emotionalen Engagements seiner Leser, insbesondere der jugendlichen Lesefaszinationen und ihrer Nachwirkungen. Einer rezeptionsorientierten Analyse der Jugenderzählung ›Die Sklavenkarawane‹ wird ein Exkurs über Besonderheiten der frühen Lektüreerlebnisse, ihre gemeinschaftsstiftende Funktion und den Stellenwert des Exotischen im Leseerlebnis vorausgeschickt.



››Es war einmal... (Ein zum Teil spekulativer Annäherungsversuch)


Wenn man sein Abenteuer mit Karl May Mitte der 1960er Jahre in Polen erlebte, indem man ein über 300 Seiten starkes Winnetou-Exemplar1 in die Hand nahm und sich eines Tages - als von den erwähnten 300 Seiten nichts mehr ungelesen geblieben war und der zweite Band mit der erhofften Fortsetzung erst noch von der Bibliothek herbeigeschafft werden mußte - notgedrungen und ersatzweise dem zunächst ignorierten Vorwort zuwandte, konnte man sich überzeugen, daß es bereits jemand anderem mit diesem Buch ähnlich ergangen war. In dem Vorwort berichtete nämlich ein polnischer Literaturkritiker,2 wie er während einer Krankheit als 11 jähriger dieselben Abenteuer zu lesen begonnen und wie diese Lektüre sein Leben verändert hatte. Es war die Geschichte Jan Alfred Szczepa´nskis, der aus einem schwachen kränkelnden Knaben zu einem Sportler, »waghalsige(n) Bergsteiger« und »kluge(n) Hochalpinist(en)« geworden sein will (eine Geschichte, die übrigens auch in dem ›Karl May in »Ost« und »West«‹ gewidmeten Sonderheft der Karl-May-Gesellschaft zitiert wird3).

   Als ein relativ unerfahrener Leser ahnte man kaum, von der Lektüre des ›Winnetou‹-Romans noch berauscht und nach Fortsetzung gierig, daß man sich einer wahren Millionenschar von polnischen Karl-May-Rezipienten angeschlossen hatte, die für den deutschen Autor spätestens in den 30er Jahren zu schwärmen begonnen hatte,4 aber eine Art von subtiler Schicksalsgemeinschaft, zunächst mit nur diesem einen seiner früheren Leser, bahnte sich dennoch an. Dieser Eindruck wirkte einerseits schmerzlindernd, denn


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er erweckte das dunkle Gefühl einer überraschenden Zusammengehörigkeit, andererseits etwas irritierend, weil in dem besagten Vorwort das zur Debatte stand, worüber man selbst nicht reden wollte, weil es einen selbst zu sehr betraf.

   Zu jener Zeit, als Szczepa´nski über seine Lektüreerlebnisse berichtete, lagen diese bereits ein halbes Jahrhundert zurück, und der inzwischen längst erwachsen gewordene Karl-May-Leser, für welchen Szczepa´nskis Vorwort bestimmt war, kann heute, genauso wie der sichtlich gerührte Autor des Beitrags im ›Sonderheft der Karl-May-Gesellschaft‹, womöglich wehmütig auf die eigene Jugendlektüre zurückblicken. Eine neue Welle von - größtenteils - billigen Ausgaben der Abenteuerromane Karl Mays in den 80er Jahren in Polen dürfte wohl als ein Indiz dafür angesehen werden, daß der von Generation zu Generation kettenartig verlaufende Rezeptionsvorgang ins nächste Jahrtausend fortgesetzt wird, und zwar in einer Weise, über die - angesichts der beispiellos raschen Entwicklungen unserer Zivilisation - nur vage spekuliert werden kann.

   Dies alles ist insofern erwähnenswert, als darin eine interessante, über den subjektiv erfahrbaren Einzelfall hinausgehende, gemeinschaftsstiften-de Funktion eines ergreifenden Lektüreerlebnisses zum Ausdruck kommt. Als ein solches Erlebnis wollen wir ein die Leidenschaften aufwühlendes Über-Sich-Ergehen-Lassen der fiktionalen Welt eines literarischen Werkes verstehen, ein Über-Sich-Ergehen-Lassen, das durch die spezifischen Dispositionen, über die man eigentlich nur als Kind verfügt, ermöglicht wird. Damit werden hier nicht nur die Erwartungen gemeint, die, in der Pubertät wachgerufen, durch entsprechende literarische Texte kompensativ befriedigt werden können, wie dies in bezug auf einen vermeintlich typischen May-Leser behauptet wird. Dieser müßte danach ein »mit dem vollen Recht seiner biologischen Entwicklungsphase aufsässig gestimmte(r) Halbwüchsige(r)« sein, der »soeben seine allmähliche Ablösung von elterlicher Bevormundung und aus dem engsten Kreis heimischer Lebensfürsorge als Autoritätskonflikt erlebt«5 und dem die Literatur die besonders schwierige Phase des Sozialisationsprozesses erleichtern sollte.6

   Es geht jedoch überhaupt um die kindliche bzw. jugendliche Bereitschaft und Fähigkeit, in die fiktionale Welt - fiktionale Welt schlechthin und hier namentlich die eines Romans - naiv, vorbehaltlos und selbstvergessen einzutreten und sich von ihr restlos fortreißen zu lassen. Typologisch wird eine solche Einstellung zum literarischen Text zusammen mit drei anderen in der von Hans E. Giehrl zusammengestellten Leserliste7 erfaßt: Die Einstellung sei für einen ›phantastisch-emotionalen Leser‹ charakteristisch, und zwar komme sie zum Ausdruck in der mangelnden Distanz dem Gelesenen gegenüber und in der Suche nach »Anregungen und Abregungen« in der Lektüre. Entweder befriedige solch ein Leser dadurch sein »Sensationsbedürfnis und Glücksgefühl« oder gebrauche die fiktive Welt (›das wahrhaft Phantastische‹ als »Bühne, auf der sich die gesuchten Gefühlserlebnisse entfal-


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ten können«.8 Da die in der zitierten Typologie dargestellten Leserkategorien sich erst aufgrund unterschiedlicher Sozialisationsbedingungen herausbilden können, ist wohl anzunehmen, daß ein solches unmittelbares ›Erleben‹ der Literatur als eine Art Relikt der frühen Leseerfahrungen betrachtet werden kann und die meisten Kinder und Jugendlichen - in einer Kultur freilich, die auf Bücherlesen überhaupt Wert legt - eben zu der Kategorie der ›phantastisch-emotionalen‹ Leser gerechnet werden müßten. Wenn ein distanzloses Erleben der Literatur mit der pubertären Phase der Persönlichkeitsbildung zusammenfällt9 und nur vorübergehend ist - nicht wenige bleiben allerdings als Leser Kinder für immer, und Giehrls Typologie ist dafür ein Beweis -, wird es im nachhinein als etwas Intimes und Ureigenes empfunden, als hätten ergreifende Lektüreerlebnisse in der Kindheit einen Initiationscharakter10 - schließlich führen sie den Leser in einen magisch-unerklärbaren Bereich ein und sind schwer mitteilbar. Sie sind dann auch im Grunde genommen weder nach- noch wiederholbar: Im Prozeß des Erwachsenwerdens (als Mensch wie speziell als Leser) geht gewöhnlich jener Zauber dahin und wird ersetzt - oder aber nur ergänzt11 - durch zunehmende Distanz, Reflexion und durch ein immer raffinierteres intellektuelles Spiel. Liefert Giehrls Typologie einen objektivierenden Kommentar zu den jugendlichen Lektüreerlebnissen, so wird ihr Wesen in Italo Calvinos berühmtem Leser-Roman weit einprägsamer durch ein literarisches Paradigma wachgerufen, und zwar durch die Gestalt des Verlagsfaktotums Don Cavedagna:


   So viele Jahre lang bin ich nun Lektor ... so viele Bücher gehen mir durch die Hände ... Aber kann ich sagen, daß ich  l e s e? Ist doch kein Lesen, so was ... Zu Hause in meinem Heimatdorf gab's nur wenige Bücher, aber da las ich, jawohl, damals als Kind, da  l a s  ich! ...Immer denke ich, wenn ich mal in Pension gehe, dann werde ich in mein Dorf zurückkehren und wieder lesen wie früher. Alle naselang leg ich mir ein Buch beiseite und sag mir, das wirst du lesen, wenn du mal in Pension bist ... Aber dann, fürchte ich, wird's nicht mehr dasselbe sein ...12



Begegnung mit anderen


Je ferner ein ergreifendes (oft längst vergessenes) jugendliches Lektüre-Erlebnis zurückliegt, desto überraschender - was einerseits erfreulich ist, andererseits aber auch gewissermaßen peinlich, weil es ganz intime Angelegenheiten betrifft - muß die Erkenntnis der emotionalen Gemeinsamkeit mit anderen wirken, denen das Erlebnis allem Anschein nach so wie uns einst zuteil wurde.13 Erst in solchen Augenblicken wird aber auch die sonst gar nicht verspürte Trennungslinie deutlich, die die Menschen als ehemalige Rezipienten von verschiedenen literarischen Texten voneinander abgrenzt. Besonders prägnant wird dieses Phänomen dann, wenn ein derartiger Erfahrungsaustausch - oder, genauer gesagt, die scheinbare Abspiege-


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lung der eigenen Identität, weil in diesem Austausch ›Gleiches‹ dem ›Gleichen‹ begegnet - über die mehr oder weniger deutlich fixierten kulturellen Grenzen hinüber zustandekommt, d. h. wenn sie zwischen Mitgliedern verschiedener Alters-, Geschlechts- und/oder Gesellschaftsgruppen oder sogar zwischen Vertretern verschiedener Sprachen und Kulturtraditionen möglich wird. Dietrich Krusche macht in seiner Studie über Literatur und das Phänomen des Fremden einleuchtend auf die Umstände aufmerksam, die solch eine Begegnung begleiten. Einer der wichtigsten Faktoren ist dabei die Schwierigkeit, in den Diskurs über eigene Lese-Erfahrungen überhaupt einzutreten:


(...) einerseits beanspruchen wir die aus Anlaß des Textes gemachte Erfahrung bereits als ureigenste, den im Prozeß der Konsistenzbildung erlebten ›Sinn‹ als Bestandteil unserer Identität, und diese wollen wir mit dem Schutzmantel decken, den unsere Selbst-Intimität bereit hält; andererseits ist uns die potentielle Wiederholbarkeit der lesend von uns gemachten Erfahrung bewußt, und wir müssen in den Mitlesern des gleichen Textes Träger ähnlicher Sinn-Konkretisa-tionen vermuten; wir begreifen uns als in Ausschnitten gemachter Erfahrung  v e r g l e i c h b a r; auf dieses Bewußtsein der Vergleichbarkeit reagieren wir leicht mit Verstummen. Wir rächen uns dabei gleichsam an uns und an dem Text: Ehe wir das, was er uns bedeutet, mit einem oder mehreren anderen teilen, verzichten wir lieber ganz auf die Kommunikation darüber.14


Die enorme (auch internationale) Popularität Karl Mays, dem man den Titel, der »erfolgreichste Autor der deutschen Zunge«15 zu sein, nicht absprechen kann, legt nahe, daß seine Romane einen gemeinsamen Bezugspunkt für Millionen Rezipienten bilden und daß somit die Einzelheiten des meisterhaften ›Knieschusses‹ etwa - bei dem es darauf ankam, am Lagerfeuer sitzend die nur leicht phosphorescierenden menschlichen Augen unter dem Laub des Gebüsches zu bemerken, in aller Ruhe und scheinbar gedankenlos sein Gewehr an sich zu ziehen und, indem es an dem hochgezogenen rechten Beine gestützt wurde, auf den spähenden Feind zielsicher abzufeuern16 - zum gemeinsamen übernationalen ›Kulturgut‹ gehören.17 Diese Einzelheiten sind nämlich Teil einer gemeinsamen Geschichte, in die mittlerweile Millionen von Lesern ›verstrickt‹ sind,18 um es mit dem bildhaften Ausdruck des Kulturanthropologen Wilhelm Schapp zu umschreiben. In ähnlicher Weise stellt die Kenntnis von dem ›Bwana Kubwa, der den Löwen erschlagen und von dem ›guten Msimu‹ einen festen Bestandteil der polnischen Kulturtradition dar, weil beide Zitate dem bekanntesten polnischen Abenteuerroman für Jugendliche ›W pustyni i w puszczy‹ von dem Nobelpreisträger Henryk Sienkiewicz entstammen. Dieses Werk von Sienkiewicz wurde mehrfach ins Deutsche übersetzt und erschien unter dem (echt Mayschen!) Titel ›Durch die Wüste. Roman aus der Zeit des Mahdi‹ in der Übersetzung von S. Horowitz.19 Da auch dieses Werk in viele Fremdsprachen übersetzt wurde, wäre es durchaus denkbar und natürlich für uns Po-


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len sehr verblüffend, von einem Ausländer20 zu erfahren, er wisse Bescheid in Sachen Sta´s und Nel - so heißen die jugendlichen Protagonisten in Sienkiewicz' Roman.



Ergriffen-Sein und das Exotische, Ergriffen-Sein durch das Exotische?


Man fragt sich, inwiefern und ob überhaupt für die frühen Lektüreerlebnisse, die nachträglich noch so wichtig erscheinen, die Exotik relevant sei. Wird das ›Exotische‹ lediglich im traditionell-engeren Sinne als die räumliche bzw. geographische ›Ferne‹ aufgefaßt, so ist ihre Anwesenheit oder ihr Fehlen in einem literarischen Text für das emotionale Engagement des Lesers natürlich nicht entscheidend. Wird aber als exotisch alles das begriffen, was »jenes dem Menschen angeborene Bedürfnis nach etwas Buntem, Entlassenem, Wildem, Widersprüchlichem, Grenzenlosem, Interessantem«21 befriedigt, kommt man wohl zu Recht zu der Schlußfolgerung, daß Exotik überall anzutreffen sei und alles exotisch sein könne.22 »Liest man für sich«, meint Krusche wiederum,


dann gewinnt der Leseakt ganz unbegrenzt die Faszination, daß man erlebt, wie Text und eigene Subjektivität sich gegenseitig zur Konkretisierung verhelfen, wie man auf die Figuren, die der Text der eigenen Vorstellung einzeichnet, antwortend, sich selbst formuliert. Und gerade das extrem ›Unwahrscheinliche‹, das exotisch Fremde im Leseerlebnis stimuliert unsere Subjektivität zu besonders lebhafter Reaktion (...).23


Auf der einen Seite geschieht also die ›Einweihung‹ des Lesers, indem er von sich allein in die Romanfiktion einzutauchen vermag, auf der anderen kann diese die notwendige Anziehungskraft auf den Leser erst dann ausüben, wenn sie wie ein Sprungbrett in eine andersartige, spannende, ungewöhnliche - kurzum: exotische - Welt wirkt.24 Da das Exotische immer schon vor dem Hintergrund des Eigenen und Wohlvertrauten wahrgenommen wird, wird es in die Vorstellungswelt des Rezipienten als ein fremdartiges, aber relativ ›bezähmtes‹ Zitat integriert.25 Einer nur bedingten Aufnahmefähigkeit an Fremdartigem bei jugendlichen Lesern entspricht ein relativ oberflächliches Besetzen der Texte mit den Elementen des Exotischen, wobei die Texte sich dann oft sogar gegen die Absicht ihrer Autoren als ›Jugendliteratur‹ erweisen.

   Während die erste Generation der Leser Karl Mays, seine Zeitgenossen also, in seinen Büchern die Exotik vorfand, die ihr als exotische  R e a l i t ä t  in Zeitungsberichten und authentischen Reisebeschreibungen begegnete, führt bei späteren, insbesondere jugendlichen Rezipienten ihre zwangsläufige enzyklopädische Armut‹26 dazu, das Dargestellte von den Erfordernissen der Authentizität immer mehr zu befreien und es als pure Unterhaltung zu genießen. Sprachen zunächst die in exotischen Szenerien arrangierten


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Konflikte und Spannungen den deutschen Mittelstand besonders an -»(z)entrale Motive in Mays Werk«, so Helmut Schmiedt, »sind die exotisch verkleideten Lösungen aktueller Sorgen des Lesers«27 -, so übt auf den jugendlichen Leser die Exotik als realitätsferne Sphäre die meiste Anziehungskraft aus. Der Maysche Text wird nun dank seiner Exotik und mit seiner Exotik nicht mehr ›interpretiert‹, sondern ›gebraucht‹ und ›benutzt‹,28 wie es die folgende (diesmal eine deutschsprachige) Jugenderinnerung prägnant zum Ausdruck bringt:


Wir verschlangen von ihm, was erreichbar war, und abonnierten die in Heften erscheinenden neuen Werke. Er bezauberte uns, verzauberte uns. Was frugen wir nach Echtheit, Wirklichkeit! Es genügte, daß immer etwas los war, daß man in fremden Ländern mit sicherer Hand geleitet wurde, daß es Käuze gab, über die man lachen konnte, Helden, für die man schwärmen durfte, Bösewichte, die man verachten mußte.29



Zu Karl Mays exotischer Romanwelt


Die Romane Karl Mays präsentieren das auf den ersten Blick erkennbare ›Emblem‹ des Exotischen; meistens verraten schon ihre Titel, daß sich die (in der Regel recht abenteuerliche) Handlung in weit entfernten Ländern abspielen wird. Berücksichtigt man jedoch die Komplexität der jugendlichen literarischen Faszinationen, so wird klar, daß diese Romanwelt samt ihrer echten oder vermeintlichen Exotik weder zum wiederholten Male betretbar noch aus zweiter Hand kennenzulernen ist. Möglich ist lediglich ihre Beschreibung, wie wenn man die Schauplätze der eigenen oder aber der fremden Kindheitsvergnügen und Spiele nach Jahren besucht. Vielleicht lohnt es sich, noch einmal einen Blick darauf zu werfen, um sich davon zu überzeugen, was einen mitgeprägt hat und was der eigentliche ›Inhalt‹ dieser Spiele war. Für die einen, die dort tatsächlich gespielt haben, und die anderen, denen es versagt geblieben ist oder die woanders gespielt haben, kann die späte Berührung mit jener Exotik von ganz unterschiedlichem Interesse und aber auch von unterschiedlicher Bedeutung sein. Die unsichtbare Trennungslinie zwischen den einst Eingeweihten und denen, die solches nicht erlebt haben, bleibt erhalten. Sie läßt sich vielleicht etwas entschärfen, wenn wir uns dem Thema nicht unbedingt über Karl Mays berühmteste Produktionen nähern, sondern dies über einen weniger bekannten und für den späteren Autor von ›Winnetou‹ insofern nicht ganz typischen Roman versuchen, als dieses Buch von vornherein für Jugendliche bestimmt und in diesem Sinne konzipiert wurde: ›Die Sklavenkarawane‹.30 Die Handlung des Romans spielt im Sudan Ende des 19. Jahrhunderts, in der Zeit unmittelbar vor dem Aufstand des Mahdi. Drei deutsche Gelehrte: die Brüder Emil und Joseph Schwarz - der eine ist Arzt, der andere Natur-


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forscher - sowie ein Ornithologe, Professor Pfotenhauer, bereisen Ostafrika mit dem Ziel, die noch wenig bekannten Gebiete zu erforschen. In ihren naturwissenschaftlichen Studien werden sie durch eine ganze Reihe lebensgefährlicher Abenteuer behindert. Schließlich aber überstehen sie glücklich alles, nicht ohne wesentlich in die Existenz der angetroffenen Völker eingegriffen und zugleich die eigenen Tugenden, Kenntnisse und vortrefflichen Charakterzüge bewiesen zu haben. Bereits im ersten Kapitel schwebt der Arzt Emil Schwarz in Lebensgefahr, weil ihn seine arabischen Begleiter ausrauben und ermorden wollen. Doch dank seines umfangreichen Wissens, dank seiner Vorsicht und Klugheit durchschaut er seine Feinde, und es gelingt ihm nicht nur, aus der schweren Lage unversehrt herauszukommen, sondern auch die meisten seiner Widersacher der Gerechtigkeit zu übergeben. Die Episode wird in dem ganzen Roman mehrmals variiert: Die recht verwickelte Handlung setzt sich aus den für das Genre typischen Bausteinen zusammen - abwechselnd folgen aufeinander: kunstvoll gestellte Fallen, Belauschen der Gegner, Durchschauen ihrer Pläne, Entführungen, Kämpfe, Befreiungen usw.,31 bis endlich zum Schluß die Feinde besiegt und bestraft, die Sklaven gerettet und befreit werden und die Haupthelden in ihre Heimat zurückkehren können.

   In ihren Hauptzügen zeigt die Handlung übrigens viele Ähnlichkeiten mit dem bereits erwähnten polnischen Jugendroman ›W pustyni i w puszczy‹ von Sienkiewicz.32 Die Schauplätze sind in beiden Büchern die gleichen, viele Ereignisse weisen Gemeinsamkeiten auf. Hier wie dort werden Motive wie Grausamkeit der arabischen Sklavenjäger, Befreiung der schwarzen Sklaven durch die weißen Protagonisten, Missionarsarbeit unter der schwarzen Bevölkerung, Gegenüberstellung von Islam und Christentum bzw. religiöse Auseinandersetzungen zwischen ihnen verwendet. Ähnlich sind ebenfalls einzelne einprägsame Episoden, z. B. die Löwenjagd oder die Begegnung mit Elefanten. Gleichermaßen dienen in beiden Werken die Stilisierung der Sprache und häufige Zitate fremdsprachlicher Bezeichnungen dem Zweck, die Authentizität der Darstellung zu bekräftigen. Zwar schöpfen die beiden Autoren ihr landeskundliches, historisches und ethnographisches Wissen aus unterschiedlichen Quellen,33 aber die Welt, die sie konstruieren, ist beinahe dieselbe, weil sie sich auf willkommene Schemata stützt und dem Zeitgeist ganz entspricht. Eine eingehende vergleichende Analyse beider Romane würde den Rahmen dieses Beitrags weit überschreiten, es sei daher nur auf die Strukturelemente jener Weltordnung hingewiesen, die aus heutiger Perspektive als besonders augenfällig einzuschätzen wären. Es sind: ein zum Teil latenter Eurozentrismus, der sich häufig dergestalt zuspitzt, daß die eigene Nation idealisiert und deutlich bevorzugt wird, ein klares Primat des Christentums und eine nicht vorurteilsfreie bis paternalistische Einstellung den afrikanischen Völkern gegenüber.

   Unter den vielen Gestalten, die die Romanwelt der ›Sklavenkarawane‹ bevölkern, treten die Gebrüder Schwarz entschieden in den Vordergrund,


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und zwar mit Zügen der bekanntesten Mayschen Figur Old Shatterhand bzw. Kara Ben Nemsi und damit als die wahrhafte Krone der Schöpfung: Schön von Angesicht und Gestalt, besitzen sie ein unvorstellbar großes Wissen in allen möglichen Bereichen, welches sie jederzeit in die Praxis umsetzen können. Beide Brüder kennzeichnen Edelmut, unbeugsame Strenge allem Bösen gegenüber und eine natürliche Güte, die nichts von billiger Affektiertheit hat und einzig dem praktizierten Christentum entspringt.

   Das Verhältnis zwischen den weißen und schwarzen Protagonisten findet in der exemplarischen Szene mit Lobo (einem der beiden schwarzen Sklaven, die ihren Verfolgern entlaufen sind) und Joseph Schwarz ihren Ausdruck: Lobo, dem kurz davor sein Freund Tolo in einigen einfachen Worten den Sinn der christlichen Nächstenliebe zu erläutern suchte, ist bereit, für seinen Freund zu sterben. In seiner kindlichen Naivität ist er unbewußt dem Ideal der für ihn ganz neuen Lehre zweifellos am nächsten. Sein heroischer Entschluß, die Aufmerksamkeit der Verfolger auf sich zu lenken, um den Freund zu retten, wird bald belohnt: Erschöpft fällt er in Ohnmacht, wird aber von Schwarz und seinen Leuten aufgefunden und gerettet. Als Lobo langsam wieder zu sich kommt und das männlich schöne, wohlwollend ernste Gesicht von Joseph Schwarz erblickt, wähnt er sich bereits im Himmel und meint, »über den Sternen« vor Gottes Antlitz zu stehen.34

   Die im Roman dargestellten Afrikaner erscheinen zumeist wie Kinder: Naiv, entweder unwissend oder höchstens tragisch-heroisch, in ihrer Unbeholfenheit zur Niederlage verurteilt (im ungleichen Kampf gegen die Sklavenjäger kommen sie zu Hunderten ums Leben), sind sie fast immer auf fremde Hilfe angewiesen (die schließlich von den europäischen Romanhelden geleistet wird).

   Indessen werden die arabischen Protagonisten - als Vertreter einer Kultur, die sich mit der abendländischen messen könnte - ganz anders geschildert: Hier haben wir es mit einer Reihe typischer negativer Gestalten, in verschiedenen Abstufungen und Schattierungen ihrer Bösartigkeit, zu tun. Als gefährliche Gegner der Brüder Schwarz sind sie dementsprechend meistens grausam, verräterisch, hinterlistig und habgierig, bestenfalls komisch oder unglücklich und dann um so mehr der Unterstützung der weißen Helden bedürftig. Die Religiosität der Araber scheint allein darauf zu beruhen, die Gebote des Korans blind zu befolgen, als gelte es, einzig dem Buchstaben der religiösen Vorschriften treu zu bleiben, nicht aber ihrem Geist, was ein ständiges Kontrastelement, aber auch die immer aktuelle Auseinandersetzung zwischen den Moslems und Emil Schwarz darstellt.

   Ein wesentliches Merkmal der Mayschen Exotik ist, daß sie trotz des Reichtums ihrer Erscheinungsformen, die in dem Roman eingeführt werden (Tier- und Pflanzenwelt Afrikas, Naturerscheinungen, fremde Sitten und Bräuche bei den angetroffenen afrikanischen Stämmen, fremde Sprache), dennoch ›transparent‹35 bleibt: Die Gebrüder Schwarz treten in die fremde Welt, ohne ihre bisherigen Überzeugungen revidieren zu müssen;


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im Gegenteil, die exotische Umgebung hat sich ihren Eingriffen unterzuordnen. Die eigenen mitgebrachten Kenntnisse und Vorstellungen benötigen keinerlei Überprüfung oder Umorientierung, selbst wenn die Männer auf entgegengesetzte, mit dem eigenen Weltbild schwer zu vereinbarende Einstellungen stoßen - im Wortgefecht wie im Kampf sind dann die Haupthelden letztendlich die unumstrittenen Sieger.

   Diesem Befund, der sich zu einem ziemlich eindeutigen Bild zusammenfügt, wäre allerdings eine Reihe von Beispielen entgegenzusetzen, die gerade von Toleranz und Vorurteilslosigkeit der Mayschen Helden den fremden Völkern gegenüber zeugen könnten. Darunter überwiegen jedoch die deklaratorisch-verbalen Stellungnahmen, die eigentlich im krassen Widerspruch zu den tragenden Elementen der Handlung stehen. Die Erklärung für eine solche Widersprüchlichkeit wäre in dem komplizierten biographischen Hintergrund der Romane Karl Mays zu suchen.36 Für unsere Überlegungen sind aber nicht so sehr die Entstehungsumstände als die - allerdings schwer zu untersuchenden - Folgen und Auswirkungen seiner Texte von Bedeutung. Des weiteren ließe sich gegen die Aufzählung der aus heutiger Sicht schwer akzeptablen Inhalte einwenden, sie berücksichtige den künstlerischen Wert des Buches nicht, indem sie dessen ideellen ›Inhalt‹ seiner literarischen Realisierung entreiße, oder sie ließe die Spezifik der Jugendliteratur außer acht, die klarer Identifizierungsvorlagen und somit etwa einfacher Einteilung in ›gut‹ und ›böse‹ bedürfe. Selbst dann aber, wenn der ›Sklavenkarawane‹ als einem Werk, das speziell für Jugendliche geschrieben wurde, dem unter der Berücksichtigung der besonderen Erfordernisse dieses Genres das »Maß klassischer Leistung« (wie es in einer Kritik gewürdigt wird37) auch tatsächlich zukomme, werden doch dadurch die von uns beanstandeten Sinngehalte aus dem Roman nicht getilgt. Im Gegenteil: Das Problem der Rezeption eines Buches von künstlerischem Rang und einem auch nur zum Teil fragwürdigen Inhalt ist um so komplizierter, insbesondere dann, wenn es sich um Werke der Jugendliteratur handelt. Während man nicht umhin kann, einfach und zugleich ratlos zu fragen: ›Was bleibt? ‹, drängt sich die Antwort wie von selbst auf, und die mutet eher gespenstisch an.

   Sind die jugendlichen literarischen Faszinationen, wie sie von May/Sienkiewicz ausgehen, imstande, eine dauerhafte emotionale ›Abhängigkeit von jeweiligen Lektüren zu bewirken (was offenbar der Fall ist), so ist es klar, daß sie ebenfalls dauerhaft mentale Einstellungen prägen können, insbesondere in der Gestaltung von Fremdbildern und in der Herausbildung von Stereotypen (was allerdings erst durch entsprechende soziologische Untersuchungen genauer belegt werden könnte).

   Eine nicht zu übersehende emotionale ›Abhängigkeit‹ der ehemaligen Rezipienten von den Texten solcher Autoren wie May oder Sienkiewicz schlägt sich selbst in der Literaturkritik bzw. Literaturwissenschaft nieder, indem hier nur selten neutrale Positionen bezogen werden und sich entwe-


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der eingefleischte Gegner oder glühende Anhänger des jeweiligen Autors zu Wort melden. Im Ergebnis haben wir einerseits nicht selten eine schroffe Ablehnung dessen, was man (vielleicht erst) im späteren Alter revidiert hat (oder erst dann - aus der Position eines Ausgeschlossenem - kennengelernt hat), oder andererseits kritiklose Zuneigung, Idealisierung, Minimalisierung der Makel.38

   Ein in diesem Zusammenhang interessantes Beispiel, wie die eigenen Faszinationen und/oder die eigenen Interpreten-Qualen zum Ausdruck gebracht und zugleich hinterfragt werden können, indem sie eigens ins Literarische transponiert werden, liefert der ›verwirrte Germanist‹ Peter Henisch. Sein Buch, dessen vielsagender Titel ›Vom Wunsch Indianer zu werden. Wie Franz Kafka Karl May traf und trotzdem nicht in Amerika landete‹ lautet,39 erzählt von einem fiktiven, wenn nicht undenkbaren Treffen von May und Kafka an Bord eines Schiffes während der - authentischen - Amerika-Reise Karl Mays im Jahre 1908. Eine relativ gute Kenntnis der Werke und Lebensläufe der beiden - so unterschiedlichen und doch für ihre Zeit so exemplarischen - Autoren ist hier die Voraussetzung, mit dem Text überhaupt etwas anfangen zu können. Die einst ›Eingeweihten‹ sind eingeladen, noch einmal an dem - diesmal kunstvollen intertextuellen -Spiel teilzunehmen, und sie können Gefallen daran finden. Nur für diejenigen, denen das zu erleben erlaubt ist, erschließt sich der Roman. Anderenfalls wird er eine unlesbare Chiffre bleiben - gleichermaßen deutungs- und bedeutungslos.



1 Karol May: Winnetou I. Warszawa 1956 (Verlag Nasza Ksi,egarnia); dieser Ausgabe liegt die polnische Erstausgabe, die ›Winnetou‹-Edition des Verlages ›Przez l,a dy i morza‹ (›Über Land und Meer‹), zugrunde: Karol May: Winnetou, czerwonoskóry gentleman. Lwów 1910.

2 Vgl. Jan Alfred Szczepa´nski: O Karolu Mayu i jego ›Winnetou‹ (dt.: Über Karl May und seinen ›Winnetou‹ [Vorwort]). In: May: Winnetou I, wie Anm. l, S. I-XI. Szczepa´n ski beruft sich in seinem Bericht auf die in Anm. l genannte (gekürzte) Ausgabe von 1910.

3 Vgl. Pete Wolf: Karl May in »Ost« und »West« (Karl May's Literary Offences). Sonderheft der Karl-May-Gesellschaft Nr. 77/1988, S. 18f.

4 Es gebe schließlich »zwei bedeutende Sachsen, die Einfluß auf Polen nahmen: Der eine war August der Starke, als Kurfürst von Sachsen zur Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert König von Polen - der andere war Karl May.« (Klaus-Peter Heuer: Bibliographie. In: Wolf, wie Anm. 3, S. 59). Wenn man berücksichtigt, daß die Auflagen der Werke Karl Mays in Polen allein in der Nachkriegszeit zwei Millionen Exemplare überschritten haben (siehe Norbert Honsza/Wojciech Kunicki: Karol May - anatomia sukcesu. .Zycie - twórczo´s´c - recepcja. Katowice 1986, S. 259), kann man dieser Einschätzung nicht eine gewisse Angemessenheit absprechen.

5 Heinz Stolte: Ein Literaturpädagoge. Untersuchungen zur didaktischen Struktur in Karl Mays Jugendbuch ›Die Sklavenkarawane‹. 2. Teil. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 1974. Hamburg 1973, S. 172-94 (174)

6 Den kompensatorischen Aspekt der Karl-May-Lektüre behandelt ausführlich in Anlehnung an Sigmund Freud Otto Brunken in dem Aufsatz: Der rote Edel-


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mensch. Karl Mays ›Winnetou‹. In: Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur. Hrsg. von Bettina Hurrelmann. Frankfurt a. M. 1995, S. 293-318 (313ff.).

7 Vgl. Hans Dieter Zimmermann: Vom Nutzen der Literatur. Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der literarischen Kommunikation. Frankfurt a. M. 1977, S.159-67.

8 Ebd. Siehe auch: Arbeitstexte für den Unterricht. Text und Leser. Hrsg. von Otto Schober. Stuttgart 1979, S. 55.

9 Mehr dazu bei: Maria Tyszkowa: Metodologiczne problemy bada´n nad odbiorem sztuki dla dzieci. In: Sztuka dla dzieci szkolnych. Teoria - Recepcja - Oddzia/lywanie. Hrsg. von Maria Tyszkowa. Warszawa-Pozna´n 1979, S. 83ff; Umberto Eco: Pejza.z semiotyczny. (Aus dem Italienischen von A. Weinsberg.) Warszawa 1972; Maria Tyszkowa: Recepcja i oddzia/lywanie literatury pi,eknej w okresie dzieci´nstwa i m/lodo´sci. Próba psychologicznej interpretacji. In: Wybrane problemy literatury dla dzieci i m/lodzie.zy. Bearb. von Zofia Brzuchowska. Rzeszów 1984, S. 235ff.; Romana Miller: Wychowanie przez ´swiat fikcyjny dla ´swiata rzeczywistego we wczesnym dzieci´nstwie. In: Sztuka dla najm/lodszych. Teoria - Recepcja - Oddzia/lywanie. Warszawa-Pozna´n 1977, S. 61.

10 Vgl. auch Joanna Papuzi´nska: Inicjacje czytelnicze - problemy pierwszych kontaktów dziecka z ksi,a.zk,a. In: Sztuka dla najm/lodszych, wie Anm. 9, S. 131ff.

11 Interessant ist in diesem Zusammenhang, was Fritz Hermanns in Anlehnung an Bachtins Kategorie des »aktiven Verstehens« zu dem »reflektierte(n) und bereits distanzierte(n) Verstehen des Kritikers und Literaturhistorikers« sagt: »Dieses spontane, primäre Verstehen heißt bei Bachtin ein aktives Verstehen, weil es ein Antworten ist. Verstehen, was ein anderer sagt, bedeutet nach Bachtin, sich in Beziehung dazu setzen. Man tut dies, indem man das Gesagte in einen neuen, einen eigenen Kontext bringt, und zwar den Kontext der eigenen, inneren Sprache. (...) (Das) reflektierte, sekundäre Verstehen erklärt, wieso ein bestimmtes primäres Verstehen der Intention eines Autors entspricht oder nicht entspricht, indem es historische, biographische, linguistische, philologische Gründe dafür anführt, daß in einem Text etwas so oder so gemeint ist. Es ist außerdem ein totalisierendes Verstehen, das den Text als ein Ganzes, dessen Lektüre schon abgeschlossen ist, nachträglich und gewissermaßen von außen betrachtet, aus der zu ihm durch Reflexion gewonnenen Distanz, gleichfalls im Gegensatz zum primären Verstehen, das jeweils an Ort und Stelle im Text unmittelbar auf alles reagiert, was der Text in seinem Verlauf ihm sagt.« (Fritz Hermanns: Doppeltes Verstehen. Überlegungen zur Begründung einer dialogischen Hermeneutik. In: Jahrbuch ›Deutsch als Fremdsprache‹ 13/1987, S. 145-55; zit. nach: Alois Wierlacher / Corinna Albrecht: Fremdgänge. Eine anthologische Fremdheitslehre für den Unterricht Deutsch als Fremdsprache. Bonn 1995, S. 124f.) Somit würde jenes distanzlose Eintauchen in den Text die Voraussetzung des Verstehens schlechthin sein.

12 Italo Calvino: Wenn ein Reisender in einer Winternacht. München 31987, S. 116

13 Es sind freilich auch andere kulturelle Phänomene aufzuzählen, die eine ähnliche Funktion erfüllen können: Kultfilme, Musikhits bzw. Schlager (hierzu siehe: Pior Bratkowski: ´Swiaty z list przebojów. In: Gazeta Wyborcza 2./3. Mai 1998), wichtige Sportereignisse; ihr Wesen ist jedoch von dem kollektiven Charakter ihrer Distribution und Rezeption nicht zu trennen im Unterschied zu der in der Regel individuellen Aufnahme eines literarischen Textes durch den Leser. Daher hat der Weg von der ›Abkapselung‹ in dem individuellen und einsamen Erlebnis hin zu anderen ›Mitrezipienten‹ eines literarischen Textes mehr von der ›Wundersamkeit‹ und der Überraschung, die ein absoluter Zufall mit sich bringt, als es bei anderen der erwähnten Phänomene der Fall wäre.

14 Dietrich Krusche: Literatur und Fremde. Zur Hermeneutik kulturräumlicher Distanz. München 1985, S. 142


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15 Werner Raddatz: Das abenteuerliche Leben Karl Mays. Gütersloh 1965, S. 7; vgl. Helmut Schmiedt: Karl May. Leben, Werk und Wirkung. Frankfurt a. M. 31992, S. 9.

16 Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. VII: Winnetou der Rote Gentleman I. Freiburg 1893, S. 487f.

17 Das Beispiel ist insofern authentisch, als es tatsächlich in der Funktion eines solchen Paradigmas in einer deutsch-polnischen Diskussion auftauchte; und zwar während eines internationalen Seminars ›Exotik in der Literatur - die gemeinsame Fremde‹, das von dem Lehrstuhl für Germanistik der Nikolaus-Kopernikus-Universität in Toru´n im Mai 1998 veranstaltet wurde.

18 Vgl. Gerd Vonderach: Gry j,ezykowe, opowie´sci i rzeczywisto´s´c kulturowa. (Aus dem Deutschen von Ma/lgorzata Klentak.) In: AUNC Socjologia Wychowania VIII. Heft 216 (1990), S. 67-87, insbesondere S. 79ff.

19 Einsiedeln 1911. Weitere Übersetzungen dieses Werkes: Henryk Sienkiewicz: Durch die Wüste. Hamm 1912, und ders.: Durch Wüste und Wildnis. Berlin 1913; dieser letzte Titel ist dem polnischen Originaltitel am ehesten adäquat.

20 Ganz gemischte Gefühle müßten sich dazu gesellen, wenn der Ausländer ein Afrikaner wäre. Dieser Aspekt wird im folgenden eingehender behandelt.

21 Erazm Ku.zma: Semiologia egzotyki. In: Miejsca wspólne. Szkice o komunikacji literackiej i artystycznej. Hrsg. von Edward Balcerzan und Seweryna Wys/louch. Warszawa 1985, S. 303 - der Autor beruft sich in dem angeführten Fragment auf Ferdinand Brie: Exotismus der Sinne. Eine Studie zur Psychologie der Romantik. Heidelberg 1920.

22 Vgl. Andrzej Stoff: Egzotyka, egzotyzm, egzotyczno´s´c. Próba rozgraniczenia poj,e´c. In: Egzotyzm w literaturze. Szczecin 1990, S. 7.

23 Krusche, wie Anm. 14, S. 131

24 Zum funktionalen Charakter der Exotik vgl. auch: Ku.z>! Punkt über z >ma, wie Anm. 21, S. 303ff.

25 Vgl. ebd., S. 309.

26 Vgl. Umberto Eco: Lector in fabua. Wspó/ldzia/lanie w interpretacji tekstów narracyjnych. (Aus dem Italienischen von Piotr Salwa.) Warszawa 1994, S. 85.

27 Schmiedt, wie Anm. 15, S. 239

28 Vgl. Eco, wie Anm. 26, S. 85f.

29 Theodor Heuss: Vorspiele des Lebens. Jugenderinnerungen. Tübingen 1953; zit. nach: Brunken, wie Anm. 6, S. 315

30 Siehe Karl May: Die Sklavenkarawane. Stuttgart 1893 - Karl May verstand sich vordergründig nicht als Jugendbuchautor. Als Jugenderzählungen gelten die in der Zusammenarbeit mit der Zeitschrift ›Der Gute Kamerad‹ geschriebenen acht Werke, zu denen auch ›Die Sklavenkarawane‹ (1889/90) zählt. Zu Mays Publikum siehe: Schmiedt, wie Anm. 15, S. 235-46; Honsza/Kunicki, wie Anm. 4, S. 25ff.

31 Auf die »immergleiche Handlung« der Mayschen Romane macht Schmiedt aufmerksam (wie Anm. 15, S. 154).

32 Auf die Ähnlichkeiten zwischen May und Sienkiewicz gehen beiläufig auch Honsza/ Kunicki ein (wie Anm. 4, S. 235f.).

33 Zu den Quellen der Sudanromane von May siehe Heinz Stolte: Werkartikel ›Die Sklavenkarawane‹. In: Karl-May-Handbuch. Hrsg. von Gert Ueding in Zusammenarbeit mit Reinhard Tschapke. Stuttgart 1987, S. 338; Martin Lowsky: Karl May. Stuttgart 1987, S. 57-62. Zu den Quellen, die Sienkiewicz für ›W pustyni i w puszczy‹ benutzte, siehe Jadwiga Rusza/la: W krainie egzotyki i przygody. O 'W pustyni i w puszczy‹ Henryka Sienkiewicza. S/lupsk 1995, S. 12ff.

34 May: Sklavenkarawane, wie Anm. 30, S. 158

35 Vgl. den Abschnitt über ›Deutsche Assoziationen bei Schmiedt, wie Anm. 15, S. 166-69.

36 Das Thema wurde von Schmiedt, ebd., behandelt; siehe speziell S. 158-66.


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37 Hans Wollschläger: Karl May. Grundriß eines gebrochenen Lebens. Zürich 1977, S. 71

38 Vgl. Schmiedt, wie Anm. 15, S. 9ff. Oft verrät die Thematik der Beiträge allein, daß ihre Autoren den frühen Faszinationen treu geblieben sind; reichliche Beispiele hierfür liefern die alten und neueren Jahrbücher (z. B. Adalbert Stütz: Die Bedeutung des Wortes ›Winnetou‹. In: Karl-May-Jahrbuch 1922. Radebeul 1921, S. 255-63; Werner Poppe: »Winnetou«. Ein Name und seine Quellen. In: Jb-KMG 1972/73. Hamburg 1972, S. 248-53; Bernhard Kosciuszko: »In meiner Heimat gibt es Bücher«. Die Quellen der Sudanromane Karl Mays. In: Jb-KMG 1981. Hamburg 1981, S. 64-87.) Ähnliches, wenn auch in einer anderen Form, gilt auch für Sienkiewicz in der polnischen Literaturwissenschaft. Selbst in einer der neuesten Studien zu ›W pustyni i w puszczy‹ (Krystyna Heska-Kwa´sniewicz: Tajemnicze ogrody. Rozprawy i szkice z literatury dla dzieci i m/lodzie.zy. Katowice 1996, S. 95-112) wird Sienkiewicz' schwer zu verteidigende Einstellung den Arabern gegenüber mit der bloßen Feststellung quittiert, er ›möge Araber nicht‹ (S. 99).

39 Peter Henisch: Vom Wunsch Indianer zu werden. Wie Franz Kafka Karl May traf und trotzdem nicht in Amerika landete. Salzburg-Wien 1994




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