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GUDRUN KEINDORF


Weibliche Seele - Männlicher Geist?
Zur Rollenverteilung im Spätwerk Karl Mays





Einleitung


Frauen spielen bis weit in die 1890er Jahre hinein in Mays Werk eine eher untergeordnete Rolle; sie sind meist Nebenpersonen, was nicht bedeutet, daß sie für die Handlung der Erzählungen verzichtbar wären. Bereits recht früh wurde in der Sekundärliteratur darüber diskutiert, welchen Stellenwert die Frauen in Mays Werk haben. So zielten Eicke,1 Stolte,2 Forst-Battaglia3 und Böhm4 auf den stereotypen Charakter der Protagonistinnen ab, eine Feststellung, die sicher nicht von der Hand zu weisen ist, doch müssen wir dabei bedenken, daß auch die Männer in den frühen Schaffensperioden eher genretypischen Ansprüchen genügen, als daß wir sie als Charakter bezeichnen könnten.

   Wie Tippel und Wörner nachgewiesen haben, sind


die Frauenschilderungen und -Charaktere durchaus gleichrangig neben den männlichen ›Hauptdarstellern‹ zu nennen (...). Die Frauenschilderungen dieser relativ frühen Werke des Dichters erreichen natürlich bei weitem noch nicht die Qualität der späten Jahre, in denen Karl May immer mehr zur Allegorie überging. Vorerst ist alles noch unvollkommen, ja grobschlächtig, dafür aber turbulent und farbig, voller Leben. (...) »Der Samiel«, die Zofe Ella, die schöne Judith Levi und die Tänzerin Leda (die letzten drei stammen aus dem »Verlorenen Sohn«) z. B. geben Einblick, wie Karl May die Frauen in der Rolle von Gesetzesbrecherinnen sah und einschätzte: bei ihnen verwendete er schwarze Farben, sie hatten nicht die Kraft, aus eigenem Entschluß dem Sumpf zu entkommen, in den sie geraten waren. May macht dieses deutlich, ohne dabei dem Bild der Frau insgesamt Schaden zuzufügen; er individualisierte in solchen Fällen, genau wie er es in der »Männerwelt« zu handhaben pflegte.5


Dabei ist eine durchaus klischeehafte oder, um es freundlicher auszudrücken: gesellschaftlich sanktionierte Rollenverteilung zu beobachten, die sich auch in den Illustrationen, wie z. B. dem Titelblatt zur Lieferungsausgabe von 1905-06 ›Die Liebe des Ulanen‹, niederschlägt (Abb. 1).6

   Physiognomische Besonderheiten prägen von jeher die Beschreibung der handelnden Personen, wir denken hier z. B. an die zahlreichen Variationen zum Thema ›Nasen‹. In der Mitte der 1890er Jahre bekommen diese Beschreibungen zunehmend eine neue Qualität. In ›Old Surehand III‹ tritt den LeserInnen mit Kolma Puschi eine Art weiblicher Doppelgänger


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Abb. 1: Titelbild zur Lieferungsausgabe von ›Die Liebe des Ulanen‹ von 1905-06
Winnetous entgegen.7 Und, wie wir jüngst nachgewiesen haben, ist die Romantrilogie ›Satan und Ischariot‹ (1896-1897) von einer ganzen Reihe ›gebrochener‹ Persönlichkeiten geprägt, wobei die physiognomischen Phänomene dieser Personen nicht mehr statisch sind, sondern sich mit der charakterlichen Entwicklung der Helden verändern.8 Das Beziehungsgeflecht ist wesentlich dynamischer als in den früheren Erzählungen, wenn auch die Hierarchie der ›Westmännergesellschaft‹ bestehen bleibt. Neu ist auch die Verwendung von zwei, kontrastierend gestalteten, Frauen, Judith Silberstein und Martha Vogel. Man kann für erstere durchaus Vorläuferinnen in der Miß Admiral aus ›Auf der See gefangen‹
(1878), der Frau Fährmann aus ›Des Kindes Ruf‹ (1879) oder der Kronenbäuerin aus ›Der Weg zum Glück‹ sehen. Und auch Martha Vogel weist sicher eine gewisse Verwandtschaft zu einigen früheren Kolportage- bzw. Dorfgeschichten-Damen auf. Neu ist jedoch, daß beide nicht nur räumlich in Gebiete der Abenteuerhandlung vordringen,9 die früher stets den Männern vorbehalten waren, sondern daß sie gleichwertig in das gesamte Beziehungsgeflecht des Personals eingegliedert sind.

   Im nach dem sogenannten ›Umbruch‹ entstehenden Spätwerk erhalten Männer und Frauen auf allen vier Leseebenen10 gleichermaßen eine neue Qualität. Im folgenden sollen die biographischen Bezüge im Spätwerk unberücksichtigt bleiben. Ob und in welchem Maße reale Personen aus Mays Umfeld Vorbilder für das Romanpersonal darstellen, ist für unsere Fragestellung nicht relevant. Ebenso bleibt die Frage der theologischen Einordnung von Mays Auffassungen bezüglich des Verhältnisses von Geist und Seele unberücksichtigt.

   Ohne hier im einzelnen auf die methodischen Grundlagen der modernen Frauen- bzw. Genderforschung eingehen zu wollen,11 lautet die Kernfrage: Gibt es im Spätwerk geschlechterspezifische Verhaltensweisen bzw. Charaktereigenschaften, und, wenn ja, wie wirken sich diese auf die Handlung aus? Auf der ›allegorischen‹ Ebene haben wir außerdem zu fragen, ob es Eigenschaften gibt, die als spezifisch männlich oder weiblich angesehen werden.


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   Methodisch hilfreich wäre hierbei ein Blick in Mays Bibliothek, doch ergab die Durchsicht12 von 18 Werken, die aufgrund eines Titelstichworts als möglicherweise bedeutsam ausgewählt wurden, ein eher ernüchterndes Ergebnis. Allein in neun Fällen war der Buchblock gar nicht13 oder nur teilweise aufgeschnitten.14 Vier weitere Werke weisen keine Gebrauchsspuren auf.15 Drei Bände weisen Anstreichungen auf, doch sind diese weder zu datieren noch sicher Karl May zuzuordnen.16 Lediglich zwei Werke weisen neben Anstreichungen auch Randbemerkungen auf. Die 1907 bzw. 1908 erschienenen Werke kämen als Quellen also allenfalls für ›Ardistan und Dschinnistan‹, ›Merhameh‹ und ›Winnetou IV‹ in Betracht.17 Doch ist selbst in diesen beiden Fällen keineswegs klar, wie die Kausalitäten beschaffen sind. Statt um ›Quellentexte‹ kann es sich bei den mit Randbemerkungen versehenen Passagen auch lediglich um einen positiven oder negativen ›Aha-Effekt‹ bei der Lektüre handeln. Hinzu kommt die nicht en détail greifbare Nutzung der Dresdner Stadtbibliothek: 50.000 [Bände]. Bin da unentgeltlich. Aber zum Mitnehmen muß man Staatsdiener [sein] oder die Caution eines solchen haben. Ein Schulmeister z. B. kann für mich garantieren. Ich gehe viel hin.18 Angesichts dieses indifferenten Bildes vom Leser Karl May, zumindest was Literatur zum Thema ›Seelenleben‹ angeht, müssen wir zunächst auf den Nachweis möglicher Quellentexte verzichten und uns auf den literarischen Befund konzentrieren.



Der ›Umbruch‹


Die Tetralogie ›Im Reiche des silbernen Löwen‹ gehört zu den inhomogensten mehrbändigen Werken, die May in Buchform herausgab. Band I (1898) spielt räumlich in den USA, in Arabien und im Zweistromland und steht noch in der Tradition der ›Old-Shatterhand-Legende‹.


Seiner Strategie folgend, die Reiseerzählungen zu einer einzigen imaginären Vita zu verknüpfen, greift May auf Figuren früherer Romane zurück: den Bimbaschi aus Von Bagdad nach Stambul, To-Kei-Chun aus Winnetou III wie auch verschiedene andere Statisten aus der Orientreise.19


In den ersten beiden, in Amerika spielenden, Kapiteln tauchen Frauen überhaupt nicht auf. Die zeitlich nach dem Tode Winnetous angesetzte Handlung scheint zunächst den üblichen Strukturen der Amerikaromane zu folgen, doch wird bald deutlich, daß eben diese Strukturen beharrlich ad absurdum geführt werden.

   Daß Old Shatterhand nicht immer auf Anhieb erkannt wird, ist ein bereits aus ›Old Surehand I‹ (1894) bekanntes Motiv, und das Spiel aus List und Aberlist, das er sich in ›Satan und Ischariot I‹ mit Harry Melton liefert, stellt eine kompositorische Höchstleistung dar.20 Die Erkennensszene in


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›Im Reiche des silbernen Löwen I‹ gestaltet sich dagegen äußerst mühsam. ›Die beiden Snuffles‹, Zwillingsbrüder und Westmänner, glauben dem in Hinterwälderleinen gekleideten Ich-Erzähler nicht, daß er Old Shatterhand ist, denn diese ›Schmetterhand‹ »... ist ja eine Frauenhand. So weiche Finger hatte unsere Tante selig. Ich weiß das sehr genau, denn ich habe manche tüchtige Backpfeife von ihr bekommen, bin aber nicht davon umgefallen oder gar ohnmächtig geworden.«21 Old Shatterhand ist weit davon entfernt, deswegen böse zu sein, er nimmt im Gegenteil die Rolle an.


Das amüsierte mich im stillen, und als ich jetzt auf das Pferd gestiegen war und wir fortritten, nahm ich die Haltung eines Mannes an, welcher nicht gar zu oft im Sattel gesessen hat. Dies bestärkte sie noch mehr in der Ueberzeugung, daß ich eine fragwürdige Persönlichkeit sei; sie tauschten oft und heimlich ihre Meinungen über mich aus, und ich bemerkte, daß sie mich scharf im Auge behielten.

   Ich hätte ihnen nur den Henrystutzen zu zeigen gebraucht, um ihnen eine andere Ansicht beizubringen, aber es gefiel mir nun einmal, sie in ihrer Besorgnis stecken zu lassen, und so kam es, daß sie schließlich zu bereuen schienen, mich mitgenommen zu haben.22


Natürlich kommt es zu der üblichen Aufklärungsszene, aber anders als bisher gelingt es Old Shatterhand nicht, die sich zusammenfindende Gruppe wirklich unter Kontrolle zu bringen. Die Snuffles folgen ständig ihren eigenen Ideen und bringen damit Schwierigkeiten, der Perser Dschafar vergißt über den Schönheiten der persischen Dichtung, auf den Weg zu achten, und wird mehrfach gefangengenommen; die übrigen Westmänner sind froh, wenn sie möglichst nicht beachtet werden. Auch in der zwangsläufigen Konfrontation mit den Indianern, das heißt den Komantschen unter To-kei-chun, entwickeln sich die Dinge anders als in gewohnten Abenteuerbahnen. Abgesehen von kompositorischen Ungenauigkeiten - so fehlt nach der ersten Befreiung Dschafars ein Pferd, und eine Person muß laufen,23 nach der Überrumpelung To-kei-chuns aber haben auf einmal alle Pferde24 - scheint es, als würde es May Schwierigkeiten machen, die Abenteuerhandlung logisch aufzubauen. Zweimal läßt er To-kei-chun scheinbar entkommen, um ihn dann sofort wieder einzufangen, aus keinem anderen Grund als der Freude am Fangen:


Ich hätte To-kei-chun sehr leicht am Entweichen hindern können, aber es machte mir nun einmal Spaß, ihn nochmals zu überlisten.25

   Ich brauchte mich nur mit hinzustellen und die Zügel in die Hand zu nehmen, so konnte er nicht fort; aber ich hatte gar nichts dagegen, daß er den Fluchtversuch unternahm; ich wollte ihn nämlich gern abermals beschämen.26


Auch die Verhandlungen über den Austausch von To-kei-chun gegen die gefangenen Weißen gestalten sich schwierig. Der Häuptling pocht wiederholt darauf, daß Old Shatterhand dafür bekannt ist, seine Gefangenen zu


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schonen. Wenn aber der drohende Tod als Druckmittel unwirksam ist, entsteht eine Pattsituation. Nach ermüdenden Dialogen über das ›Recht der Prairie‹ und die Menschlichkeit, vergeblichem gegenseitigen Beschleichen, Hin- und Herreiten zwischen den immer gleichen Plätzen und mehr oder minder fruchtlosen Diskussionen über die richtige Vorgehensweise rafft sich der Ich-Erzähler endlich dazu auf, ein Machtwort zu sprechen, um die Sache zu Ende zu bringen.


»Es hat niemand notwendig, Anträge zu stellen, denn ich werde jetzt sagen, was zu geschehen hat, und dann sind wir fertig.«

   »All devils! Giebt es hier etwa einen Kaiser, dessen Unterthanen wir sind?«

   »Nein. Aber es giebt hier einen Westmann, der nicht noch monatelang mit euch herumreiten will, um bald den einen, bald den andern von euch aus den Händen der Indianer zu holen. Das müßte ich nämlich thun, wenn ich mich nach euch richten wollte.«27


Danach geht die Freilassung der Weißen schnell vonstatten, To-kei-chun wird noch einige Tage als Geisel behalten und dann freigelassen, worauf sich Old Shatterhand von der Gruppe trennt, um zu den Mescaleros zu reiten. Man sollte annehmen, es wäre eine logische Fortsetzung, die Ankunft am Pueblo und die daraus resultierenden Ereignisse (z. B. Rachefeldzug gegen die Mörder Winnetous bzw. Verhinderung desselben) zu erzählen. Statt dessen springt die Erzählung nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich: von Amerika nach Arabien und ›viele Jahre‹ weiter. Die äußerst lose Verknüpfung der Episoden, eingeleitet durch einen Absatz über den Einfluß der himmlischen Vorsehung,28 erfolgt über die Erinnerung an den Perser Dschafar.


So war es auch in Beziehung auf mein Zusammentreffen mit Dschafar, welches in meinem viel bewegten Leben den Raum einer kurzen Episode einnahm, an die ich nur höchst selten einmal dachte. ... Und doch sollte diese halb vergessene Episode mir noch nach einer Reihe von Jahren ihre Konsequenzen zeigen; die Ereignisse, von denen ich jetzt erzähle, werden das beweisen. - -29



Hanneh emanzipiert sich


Der Einstieg in die neue Abenteuerebene in ›Im Reiche des silbernen Löwen‹ folgt wieder den bekannten Schemata. Der Ich-Erzähler Kara Ben Nemsi befindet sich auf dem Weg zu den Haddedihn, um Hadschi Halef Omar zu einem Erinnerungsritt aufzufordern, der zum Birs Nimrud, dem Schauplatz der gemeinsamen Pesterkrankung, führen soll. Im Verlauf der Ereignisse - die zunächst einmal in eine ganz andere Richtung, nämlich zu anderen Abteilungen der Schammar-Araber, führen - wird deutlich, daß Hanneh, Halefs Ehefrau, eine nicht zu unterschätzende Emanzipation voll-


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zogen hat. Bei ihrem Kennenlernen in ›Durch die Wüste‹ war sie eine vielleicht fünfzehnjährige, aber bereits vollständig erwachsene dunkeläugige Schöne, die Halef zu gefallen schien.30 Obwohl ihre Mutter Amscha eine wahre Amazone ist: »Ein Weib, welches Waffen trägt? Welches Männer tötet? Welches sogar seinen Stamm regiert?«,31 entspricht Hanneh einem eher konventionellen Frauenbild. Sie liebt Halef32 und würde mit ihm »bis an das Ende der Welt gehen«,33 sie ist »wie eine Houri des Paradieses«,34 trotzdem muß sie zulassen, daß Halef sie verläßt, um Kara Ben Nemsi nach Amadijah zu begleiten. Bezeichnenderweise wird sie dabei gar nicht erst gefragt. Halef will Kara begleiten und beschließt, Hanneh zurückzulassen. Auf Karas Einwand, daß diese Idee Hanneh nicht begeistern wird, antwortet er lapidar:


»Hanneh ist in guter Hut, aber du, Herr, brauchst einen treuen Diener! Darf ich dich begleiten?«

   »Gut, so nehme ich dich mit; doch frage vorher Scheik Mohammed Emin und Scheik Malek, ob sie es erlauben.«35


Hannehs nächste Handlung besteht darin, ihrem Mann in seiner Abwesenheit einen Stammhalter zu schenken und durch die Namenswahl ihren Gefühlen Ausdruck zu geben.


Er [Halef] war ganz entzückt von ihrem [Hannehs] Anblick, und sein Entzücken verdoppelte sich, als sie ihn und mich in das Zelt führte, um ihm einen kleinen Hadschi zu zeigen, welcher während unserer Abwesenheit sich zur irdischen Pilgerreise eingefunden hatte.

   »Und weißt du, Sihdi, welchen Namen ich ihm gegeben habe?« fragte sie mich.

   »Nun?«

   »Er heißt - nach dir und seinem Vater - Kara Ben Halef.«36


Im ersten Band von ›Im Reiche des silbernen Löwen‹ - Kara Ben Halef hat inzwischen das Knabenalter erreicht - wird deutlich, daß sich das Verhältnis zwischen Hanneh und Halef grundlegend geändert hat. Halef ist inzwischen oberster Scheik der Haddedihn-Araber geworden37 und gesteht Kara Ben Nemsi, daß er den Frieden als Grundvoraussetzung für den Wohlstand seines Stammes erkannt hat. Er gibt zu, daß diese Erkenntnis auf Kara Ben Nemsi zurückgeht, daß es jedoch Hanneh sei, die ihn dazu gebracht hat, danach zu handeln.


»Deine Stimme klang aus dem Munde meines Weibes Hanneh, der schönsten Rose unter allen Blumen der Frauenzelte. Du hattest so oft von Gottes Liebe, Gnade, Barmherzigkeit und Güte gesprochen; du hattest so oft gesagt, daß der Mensch ein Ebenbild Gottes sein solle. Du hattest gelehrt, daß die Liebe die größte Macht des Himmels und der Erde sei, der nichts widerstehen könne. Das waren deine Worte gewesen. Aber deine Thaten wirkten noch mächtiger als deine Worte. Du hast selbst


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deine ärgsten Feinde so oft und so lange geschont, wie es nur möglich war. Du hast lieber durch Milde oder List zu erreichen gesucht, was du durch Strenge oder Kampf viel leichter und schneller hättest erreichen können. Du hast dein Leben zehnmal gewagt, um dasjenige eines Feindes zu schonen. Diese deine Thaten haben noch lauter als deine Worte zum Herzen meiner Hanneh gesprochen, welcher der Preis unter allen Töchtern und Müttern der Erde gebührt. Als du längst, längst von uns gegangen warst, hat sie still in ihrem Zelte gesessen und durch die Wand desselben andächtig zugehört, wenn von dir erzählt wurde. Sie hat dich zu ihrem Chajali [Fußnote: Vorbild, Ideal] erwählt und nicht geduldet, daß mein Säbel aus der Scheide fahre. Du weißt, daß wir beide, du und ich, damals die Feinde der Haddedihn besiegten und für lange Zeit unfähig machten, sich wieder zu erheben. Als ich Scheik wurde, vereinigten sie sich zu einer Erhebung gegen uns. Ich wollte sie mit der Schärfe des Schwertes niederschlagen; aber Hanneh, welcher unter den Frauen der Vorrang zukommt, den der Diamant unter den Edelsteinen besitzt, sagte, du würdest an meiner Stelle anstatt der Gewalt die Klugheit wählen. Sie gab mir den Rat, die Feinde untereinander zu entzweien; sie sagte mir auch, in welcher Weise mir das sehr leicht gelingen werde, und so habe ich den Kampf vermieden und dennoch unsere Macht verdoppelt.«38


Im weiteren Gespräch wird deutlich, daß in Wirklichkeit Hanneh den Stamm regiert, gewissermaßen ›aus der zweiten Reihe‹, und ihre ›Pantoffelherrschaft‹ hat nichts gemein mit der der ›Zeterweiber‹, die ihre Männer z. B. im Orientzyklus drangsalieren.39


»Hanneh ist nämlich nicht nur die lieblichste unter den Haremsblumen, sondern auch außerordentlich klug. Sihdi, ich sage dir: sie hat immer recht!«

   Fast hätte ich über die stolze Ueberzeugung, mit welcher er dies sagte, laut aufgelacht. Also mein tapfrer Halef stand unter dem Pantoffel! Nicht er, sondern seine »lieblichste der Blumen« war Scheik der Haddedihn! Aber das konnte mich nur freuen, und es fiel mir gar nicht ein, ihn darum weniger zu achten. Es ist jeder heiß- oder schnellblütig angelegte Mann nur glücklich zu preisen, wenn er eine bedachtsame Frau besitzt, welche es versteht, ihn in freundlicher, aber ja nicht herrischer Weise vor Unbedachtsamkeiten zu bewahren. Und doppelt glücklich zu preisen ist er, wenn er trotz seines Temperamentes so einsichtig ist, sich von ihr raten, mahnen und lenken zu lassen! Es geht ihm dadurch kein einziges Atom von seiner Manneswürde verloren.40


Das ›Machtinstrument‹ Hannehs ist ihr Lächeln, und auf dem Weg über Halef verteilt sich dieses Lächeln auf den ganzen Stamm.


»Zuweilen will es mir nämlich scheinen, als ob man auch einmal widersprechen müsse; aber wenn ich dann der lieblichsten der Frauen in das Antlitz blicke, so hat sie sicher recht. Wie könnte ich solche Freundlichkeit betrüben und so ein Lächeln in Wehmut verwandeln! Ich muß dir sagen, daß ihr Lächeln sich sehr schnell auf meinem Angesichte widerspiegelt und dann - - dann - - dann, dann geht - - geht - - geht - -«


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   Er stockte und so fuhr ich, auch lächelnd, fort:

   »Dann geht es wohl auch auf deine Haddedihn über, und schließlich lächelt der ganze Stamm?«

   »Ja, Effendi, fast ist es so. Es geht von Hanneh, der Krone aller Frauen, eine Milde aus, welche sich erst mir und dann auch allen, mit denen ich verkehre, mitteilt.«41


Ausgehend von dem Irrtum, daß der Islam den Frauen die Seele abspricht,42 entwickelt sich wenig später ein Gespräch zwischen Kara Ben Nemsi und Hanneh über das weibliche Seelenleben. Hanneh erbittet sich von Kara Auskunft darüber, ob sie eine Seele hat, denn die Zweifel nagen an ihr.


»Unser heiliges Buch sagt: Gott schuf den Menschen zu seinem Ebenbilde, und er schuf sie, einen Mann und ein Weib. Gott ist allmächtig, allwissend, allweise; er ist auch gnädig, barmherzig und von ewiger Güte. Der Mann soll ein Bild der göttlichen Allmacht, das Weib ein Bild der göttlichen Güte und Liebe sein. Sind beide das, sind sie Mensch im wahren Sinne, sonst nicht! Kann ein Wesen, welches ein Ebenbild der göttlichen Liebe ist, ohne Seele sein?«

   »Nein, denn grad die Liebe erfordert mehr Seele als alles andere auf der Erde.«

   »Hat also das Weib eine Seele oder nicht?«

   Sie blickte mir eine Zeit lang stumm in das Gesicht, dann sank sie langsam auf die Kniee nieder, schlug die Hände zusammen, holte lange, tief und laut Atem und sagte dann im innigsten Tone:

   »Sie hat eine! Oh Allah, ich habe eine Seele, eine Seele! Und davon hat dieser Effendi mich durch so wenige Worte überzeugt. Ich habe gezweifelt und gekämpft so viele Jahre hindurch, und nun kommt dieses Glück so plötzlich und strahlend über mich! Ich bin kein hohles Gefäß, welches keinen Inhalt hat. Ich wurde nicht bloß für den Mann geboren, um dann wieder nichts zu sein. Ich habe eine Seele, welche lebt, solange es einen Gott und einen Himmel giebt! Nicht wahr, so ist es, Sihdi?«43


Halef will an diese Seele nicht glauben, Kara Ben Nemsi hat auch dafür eine Erklärung:


»Es scheint mir, daß er sich zuweilen ein wenig vor der deinigen gefürchtet hat.«

   »Maschallah! Du hast es getroffen! Er ist der beste Mann, soweit die Erde reicht; er ist sehr klug und auch sehr tapfer, aber er bedarf zuweilen eines guten Rates und eines Kopfes, der ihn zwingt, diesen Rat zu befolgen. Gerade dadurch, daß ich seine Beraterin und Helferin wurde, begann ich zu ahnen, daß wir Frauen auch nicht ohne Geist und Seele sind, denn wenn die Frau den Geist des Mannes zu lenken und zu beherrschen vermag, so kann sie doch nicht bloß Körper ohne Inhalt sein. Nun bitte ich dich, ihm mit Vorsicht und Sanftmut beizubringen, daß ich meine Seele gefunden habe und daß er sich aber ja nicht vor ihr fürchten soll. So oft er versuchte, sie mir abzusprechen, mußte ich sie gegen ihn verteidigen, und da hat er sie wohl nicht in ihrer großen Freundlichkeit und Güte kennen gelernt. Er liebte mich, aber meine Seele nicht. Jetzt nun, da ich sie in Wirklichkeit und mit voller Ueberzeugung besitze, kann sie nicht mehr Gegenstand des Zweifels und des Streites sein; sie wird ihm also stets ihr lieblichstes Angesicht zeigen, denn ich wünsche, daß er sie recht lieb gewinnt. Willst du ihm das sagen?«44


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Kara verspricht es ihr und spricht mit Halef darüber. Der durchaus humoristisch angehauchte Dialog kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die weibliche Seele - hier verstanden als Quelle weiblicher Stärke - dem Mann etwas unheimlich ist. Zwar läßt sich Halef überzeugen, daß Hanneh eine Seele hat, doch hält er sie für etwas ›Innerliches‹, das im Körper ›steckenbleiben‹ soll.


»Es soll aber Seelen geben, die sich auch äußerlich sehen und hören lassen; das liebe ich nicht.« ...

   »Wenn du glaubst, daß sie [Hanneh] eine Seele habe, so soll dieselbe stets im Innern stecken bleiben.« ...

   »Maschallah! Gott thut Wunder! Wie freue ich mich darüber, daß sie mir den Vorschlag machte, sie mit dir sprechen zu lassen! ... doch sage ich dir, wenn die Seele eines Weibes das Innere verläßt, so nimmt das Gesicht sehr ernste Züge an, und die Stimme wird gebieterisch. Und dann, eben dann hat sie allemal recht!«45


Kurz nach diesen Gesprächen reisen die beiden Helden ab, und Hanneh tritt als Protagonistin zunächst nicht wieder in Erscheinung. Auch im zweiten Band des ›Silberlöwen‹ tritt sie nicht auf. Ihr Verhalten im dritten Band der Tetralogie baut nicht etwa auf Band I auf, sondern auf ›Am Jenseits‹, das 1899 nach ›Im Reiche des silbernen Löwen II‹ (1898) und vor dem dritten Band (1902) entstand.

   Gleich zu Beginn des Romans wird der im ›Silberlöwen I‹ ausgesprochene Gedanke des Mannes als Abbild der göttlichen Allmacht und der Frau als Abbild der göttlichen Liebe wieder aufgenommen, diesmal jedoch in einem Gespräch zwischen Kara Ben Nemsi und Halef.


»Seit du mir diese Erklärung gegeben hast, bin ich stets bemüht gewesen, ein Bild von Allahs Allmacht zu sein. Du weißt, wie tapfer und umsichtig ich im Kampfe und wie weise, klug und gerecht ich in der Regierung meines Stammes bin. Diese eine Seite meines menschlichen Wesens läßt also wohl kaum etwas zu wünschen übrig. Und die andere Seite, welche dort in der Sänfte sitzt und ihre freundlichen Augen unaufhörlich auf micht richtet, ist auch genau so, wie Allah sie wünscht, nämlich ein Bild der Liebe, die mir jeden Tag zur Wonne und jede Stunde zum Vergnügen macht.«46


›Am Jenseits‹ ist in mehrfacher Hinsicht ein ›Übergangswerk‹; zum einen vollzieht sich hier der Wechsel zur symbolisch gemeinten Schreibweise, zum anderen ist die Abenteuerhandlung durchaus noch dominant. Wesentlicher als diese ›Zwitterstellung‹ aber ist die Abwendung vom omnipotenten Helden und die Hinwendung zum ›weiblichen Prinzip‹ als Handlungsträger. Der Kara Ben Nemsi des Orientzyklus war noch der Meinung, Halefs Ehefrau könnte aber doch nicht mit umherziehen,47 der Kara Ben Nemsi in ›Am Jenseits‹ hat nichts dagegen, daß Hanneh sie auf der Reise nach Mekka begleitet, ja er ist sogar entgegen allen früheren Aussagen bereit, eine größere Gruppe Krieger mitzunehmen. Das altbewährte Argument, daß wenige


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oder einzelne Leute immer besser durchkommen als eine große Gruppe, wird zu den Akten gelegt. »Ich kann als Christ im Gegenteile nur wünschen, möglichst viele Freunde bei mir zu haben, die im Augenblicke der Gefahr an meiner Seite stehen.«48

   Bezeichnenderweise macht er diese Aussage in einem Gespräch mit Hanneh, nicht etwa mit Halef. Mußte letzterer im ›Silberlöwen I‹ noch umständlich zu nachtschlafender Zeit dafür sorgen, daß sein Sihdi und seine Frau ungestört miteinander sprechen konnten, so verläßt er jetzt einfach das Zelt, um Kara Ben Nemsi das Gespräch mit Hanneh zu überlassen. Hinzu kommt, daß Hanneh nicht etwa fragt, ob sie mitkommen darf, sie beschließt es einfach, und dem Ich-Erzähler fällt es nicht ein, dagegen auch nur mit einem Wort zu protestieren - im Gegenteil.


Sie sah eine Weile schweigend und überlegend vor sich nieder und sagte dann:

   »Er soll dich nicht allein begleiten, Effendi; ich reite mit!«

   Man mag sich mein frohes Erstaunen denken! ...

   »So sind wir also einig, und ich werde jetzt gleich Halef suchen, um ihm zu sagen, daß er seine Vorbereitungen beginnen könne.«

   Das war ihre mir wohlbekannte Energie. Wenn sie einmal einen Entschluß gefaßt hatte, so pflegte sie mit der Ausführung desselben nicht auf sich warten zu lassen.49


Und so nimmt Hanneh im Verlauf der Reise Planungskompetenz für sich in Anspruch, und keinem der männlichen Protagonisten fällt es ein, sich gegen ihre Einfälle ernsthaft zu wehren.

   Während der Reise nach Mekka stoßen die Haddedihn auf einen Trupp persischer Soldaten, der El Ghani und seine Kumpane verfolgt, weil diese in Mesched Ali den ›Schatz der Glieder‹ gestohlen haben. Diese Truppe wird am ›Bir Hilu‹ von den Beni Khalid gefangen genommen, unter deren Schutz sich die Mekkaner begeben hatten. Ziel der Handlung ist es, die Mekkaner des Diebstahls zu überführen, die geraubten Gegenstände wiederzufinden, die Perser zu befreien und mit den Beni Khalid gütlich auseinanderzukommen. In diesem Zusammenhang entwickelt Hanneh einen ›geistreichen‹ Plan, um die Soldaten zu befreien, ohne um sie kämpfen zu müssen, und bevor die Verhandlungen beginnen. Halef ist natürlich davon sehr angetan und teilt ihn Kara Ben Nemsi mit.


»... als kluge Frau ist sie doch der ganz richtigen Ansicht, daß man, wenn man die Wahl besitzt, ganz denselben Erfolg durch List oder durch Gewalt zu erreichen, der List den Vorzug geben soll. Und kaum hatte sie diesen Gedanken ausgesprochen, so war auch schon der Plan zu Ausführung in ihrem lieben Köpfchen fertig.«50


Hanneh entwickelt die Idee, den Münedschi, vor dem die Beni Khalid sich fürchten, »... weil sie ihn für ein Gespenst hielten«,51 als Geist erscheinen zu lassen. Kara Ben Nemsi hält den Gedanken für ›echt weiblich‹ und steht der


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Idee sehr skeptisch gegenüber. Halef aber hat festes Vertrauen in Hannehs Intuition.


»Sie [die Beni Khalid] reißen aus!« behauptete er. »Hanneh hat es gesagt, und folglich thun sie es! Ich weiß zwar, daß du ein vollständig nüchterner Mensch bist, aber so viel Phantasie besitzest du doch wohl, dir ausmalen zu können, welcher Schreck sie erfaßt, wenn der Geist plötzlich abermals bei ihnen erscheint, und zwar mitten unter ihnen und mit brennenden Fackeln in den Händen!«52


Kara Ben Nemsi läßt sich schließlich auf die Durchführung ein, wobei Hanneh in ihrem weiblichen Scharfsinne so vorsichtig gewesen war, ihm [dem Münedschi] über die Vorgänge der letzten Stunden nichts mitzuteilen.53 Nur mit Mühe läßt sie sich davon abhalten, an der Aktion selbst teilzunehmen.

   Die Befreiung der Soldaten gelingt, anschließend soll über die Bestrafung der Mekkaner abgestimmt werden. Es gibt ein Versprechen, sie nicht an Leib und Leben zu strafen; die Protagonisten haben deshalb Schwierigkeiten, sich über das Strafmaß zu einigen. Als auch Kara Ben Nemsi keinen Rat weiß, beschließt Halef, Hanneh zu befragen. Und genau das, was bisher immer seine Spezialität war, nämlich sich in Worten kaum überlisten zu lassen, wird jetzt Hannehs Part, die einen Weg findet, den Wortlaut des Versprechens zu halten und trotzdem zu strafen.


»Es giebt bei jeder Verlegenheit einen Weg, ihr zu entgehen, also auch bei dieser. Es gehört zwar Klugheit dazu, aber glücklicherweise kenne ich den Ort, wo ich sie zu suchen habe. Was man im Selamlück [Fußnote: Empfangs- oder Herrenzimmer] nicht findet, das muß man im Harem [Fußnote: Frauengemach] suchen, und da mein Effendi keinen Rat weiß, werde ich zu Hanneh gehen!« ...

   »Ihr Mittel heißt Bastonnade. Ist das nicht großartig?«54


Auch Kara Ben Nemsi ist in diesem Fall eher begriffsstutzig und muß erst durch Halef von Hannehs Plan überzeugt werden.


»Ihr habt folgendermaßen gedacht: Die Mekkaner dürfen nicht an Leib und Leben gestraft werden; die Bastonnade aber trifft den Leib und kann sogar, wenn der Hiebe zu viele fallen, tödlich wirken; folglich dürfen wir sie nicht in Anwendung bringen.« ...

   »Das ist aber falsch, vollständig falsch! Hanneh, die scharfsinnigste aller Frauen, macht das viel besser. ... Wenn die Bastonnade nicht tötet, ist sie da eine Strafe am Leben?«

   »Nein.«

   »Du ziehst die Pantoffel an die Füße; sind sie da eine Bekleidung für den Leib?«

   »Eigentlich nicht.« ...

   »Wohin bekommt man die Bastonnade?«


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   »Auf die Fußsohlen.«

   »Wird da der Leib bestraft?«

   »Ja, denn die Füße sind ein Teil des Leibes.«

   »Nein! Sie sind ein Teil des menschlichen Körpers, aber nicht des Leibes. ...

   Nun gut! Hanneh hat also vollständig recht, wenn sie sagt: Wenn ihr ihm die Bastonnade in der Weise gebt, daß er nicht daran stirbt, so handelt ihr nicht gegen euer Versprechen, denn er bekommt sie nicht auf den Leib, sondern auf die Sohlen seiner Füße, welche zwar Teile des Körpers, aber nicht des Leibes sind. Nun, Effendi, was denkst du nun? Bewunderst du nicht die Folgerichtigkeit der unübertrefflichen weiblichen Gedanken, welche ich euch jetzt aus meinem Tachtirwan herübergeholt habe?«55


Hanneh geht aber noch einen Schritt weiter. Sie bringt nicht nur strategische Ideen ein, sie mischt sich sogar direkt in die Verhandlungen mit dem Scheik des feindlichen Stammes ein, der Halef der Feigheit zeiht, weil dieser nicht um etwas kämpfen will, das er durch List bereits erworben hat. Damit schneidet sie sogar Kara Ben Nemsi das Wort ab, der allenfalls mit einer Uebereilung Halefs gerechnet hatte.


»Einen solchen Vorwurf läßt kein Krieger der Haddedihn auf sich sitzen!«

   Da klang es hinter uns:

   »Auch keine Frau der Haddedihn!«

   Ich drehte mich um. Da stand Hanneh mit blitzenden Augen und dunkel geröteten Wangen. Die erregte Verhandlung war so laut geführt worden, daß sie drüben an der andern Seite des Brunnenplatzes alles gehört hatte. Nun war sie eilends herübergekommen, um auch ihrerseits die beschimpfende Anschuldigung energisch zurückzuweisen, ein Vorgang, dessen Ungewöhnlichkeit eine augenblickliche Stille hervorbrachte. Tawil Ben Schahid war der erste, der sie unterbrach.

   »Ein Weib, ein Weib!« höhnte er. »Das beweist die Wahrheit dessen, was ich gesagt habe, denn wir hören nun ja, daß bei den Haddedihn die Frauen mutiger als die Männer sind!«

   Da ergriff Hanneh des Hadschi Arm, zog ihn mit einem kräftigen Ruck zu sich heran und sagte:

   »Halef, weißt du, was ich jetzt von dir verlange?«

   »Ja«, antwortete er. ...

   »Ja, ich bin Hanneh, die Tochter der Atheïbeh, die Frau des obersten Scheik der Haddedihn vom Stamme der Schammar. ... Wir werden diese Niederträchtigkeit zurückweisen und bestrafen, und ich will haben, daß außer Omar Ben Sadek mein Gatte und mein Sohn es sind, in deren Hände man diese Aufgabe legt! ... Wir leisten Verzicht auf alles, was wir bereits errungen haben, sogar auf die gestohlenen und wiedererlangten Glieder. Wir kämpfen um sie; aber wer uns nach unserm Siege noch als Diebe bezeichnet, den geben wir den Hyänen und Schakals zu fressen. Ich, das Weib, habe gesprochen; nun mögen die Männer handeln!«56


Eine der kompositorischen Schwierigkeiten des Spätwerkes besteht darin, altbekannte Figuren mit neuen Inhalten zu füllen, so daß sie sich nahtlos in das symbolisch gemeinte Personal einfügen. Im Falle von Hanneh halten


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wir den Versuch für durchaus geglückt, denn ihre Emanzipation setzt sich, basierend auf den oben zitierten Werken, im ›Silberlöwen III und IV‹ logisch und konsequent fort. Sie selbst führt sich mit Worten ein, die auf die symbolische Bedeutungsebene der Figur verweisen. Halef und Kara Ben Nemsi werden nach dem ›Sprung über die Vergangenheit‹ als Todkranke von den Dschamikun aufgenommen, und auf Kara Ben Nemsis Betreiben werden Boten zu den Haddedihn geschickt, die Kara Ben Halef holen sollen, jedoch strikte Anweisung haben, Hanneh nichts von dem Gesundheitszustand ihres Mannes zu verraten. Kurz vor Anbruch der Nacht, in der sich entscheiden wird, ob Halef überlebt, kommt Kara Ben Halef gemeinsam mit einem ›Fremden‹ an, der sich als Hanneh entpuppt, die in Männerkleidung den weiten Weg auf sich genommen hat.

   Mit tiefer Erschütterung erkennt Kara Ben Nemsi in dem verschleierten Fremden Hanneh, die jetzt - in einem vierten Emanzipationsschritt (1: heimliche Unterredung mit Kara Ben Nemsi, 2: nicht heimliche Unterredung mit Kara Ben Nemsi, 3: öffentliche Einmischung in ›Männerangelegenheiten‹) - sogar den körperlichen Kontakt sucht.


Da that er die drei Schritte zu mir her, warf sich vor mir nieder, zog meine beiden Hände unter seinen Schleier und drückte sein Gesicht hinein. Es waren glatte, bartlose Wangen, die ich fühlte. Sein Körper bewegte sich konvulsivisch. Er wollte den Ausbruch des Schmerzes, das Schluchzen unterdrücken und konnte es doch nicht. Aus seinen Augen floß eine Flut von Thränen über meine Hände. ...

   »Das, das ist mein Sihdi! Der einzige Freund meines irdischen Lebens! Der kluge Berater meines Herzens! Der treue Leiter meiner irrenden Seele! Der unerschütterliche Fels in jeder Not! Kennst Du mich?«

   »Hanneh!«

   Ich konnte dieses kleine Wort kaum über die Lippen bringen, so tief erschüttert war ich. Meine Augen standen voller Thränen, und meine Stimme bebte. Da warf sie den Turban vom Kopfe, riß den Schleier herab und rief jammernd aus:

   »Ja, ich bin es! Aber bist du der noch, der du warst?«

   »Ich werde es wieder sein!«

   »Ja, du mußt, du mußt, du mußt es wieder sein! Ich mache dich gesund, ich, ich, ich! Und ich beginne damit gleich, gleich jetzt, in diesem Augenblick! Kennst Du das Märchen von Chakika [Fußnote: Die »Wahrheit«], welche vom Himmel kam und dem Tode begegnete? Sie küßte ihn; da wurde aus ihm das Leben.«

   »Ich kenne es. Diese lichte, himmlische Chakika ist die herrlichste Wahrheit, die es giebt.«

   »So laß mich dieses Märchen sein, und zürne mir wegen meiner Kühnheit nicht!«57


Die Männerkleidung, die Hanneh trägt, hat lediglich praktische Gründe, denn sobald sie sich halbwegs eingerichtet hat, legt sie einen mitgebrachten Frauenanzug58 an. Sie ist kein ›Mannweib‹ wie ihre Mutter Amscha oder Adsy, die verkleidete Kurdin, die im ›Silberlöwen II‹ auszieht, um Mann


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und Kind zu befreien,59 sie ist und bleibt ganz Frau. Die ›Wahrheit‹ kommt vom Himmel, begegnet dem Tod, küßt ihn, und aus ihm wird das Leben. Wir können auch sagen: das weibliche Element verwandelt durch den Kuß Tod in Leben und rettet so das männliche Element. Daß wir diese Szene nicht überinterpretieren, beweist die Begrüßung des Ustads.


»Ich sehe dich heut zum erstenmal, und doch ist es mir, als seist du mir schon längst, schon längst bekannt. Ich höre, daß du Hanneh bist, unsers Hadschi Halef Weib; aber für mich und uns bist du in diesem Augenblicke mehr. Du bist die Seele des weiblichen Geschlechtes, die aus der Höhe niederstieg, um Geist in Seele zu verwandeln.«60


Anders als beim Anblick Kara Ben Nemsis beherrscht sie ihren Schmerz beim Anblick ihres Gatten. Der Grund hierfür liegt in einer ganz besonderen Stärke der Frauen.


Ihre Augen blitzten. Sie war ganz Entschlossenheit.

   »Kennst Du das Weib, Ustad?« fragte sie.

   »Ich kenne es,« lächelte er, »und ich sehe, daß du es bist!«

   »Vielleicht erschrecke ich, doch eine Klage wirst du nicht aus meinem Munde hören. Auch mein Sohn ist stark. Komm, Kara, laß uns zum Vater gehen!«

   Welch eine Frau! Der Ustad ergriff ihre Hand, um sie zu leiten. Sie gab die andere Kara; so gingen sie hinein. Ich horchte. Sie schritten langsam nach der Ecke, in welcher Halef lag; dann war es still, kein Wort, kein Laut zu hören. Wie war sie über mein leidendes Aussehen erschrocken! Halefs Anblick aber war noch schlimmer. Und doch diese Ruhe hinter mir! Ich wiederhole: Welch eine Frau!61


Diese Stärke des Duldens, vor der der Ich-Erzähler fast fassungslos steht, ist nur ein Aspekt von Hannehs Wesen. Ein weiterer ist ihr Scharfsinn. Der Scheik der mit den Dschamikun befreundeten Kalhuran und seine Frau Amineh müssen vor dem Bluträcher Gulam el Multasim fliehen, weil letztere dessen Sohn getötet hat, der ihren Mann hatte schlagen lassen. Durch die Mithilfe von Kara Ben Halef und Tifl gelingt es ihnen, das Gebiet der Dschamikun zu erreichen, auf dem ewige Waffenruhe herrscht. Da Amineh eine Dschamika ist, wird sie vor die Dschemma geladen, um wegen der Tötung gerichtet zu werden. Hanneh wird zu dieser Dschemma eingeladen, um Amineh zu verteidigen. Damit ist sie als Frau im öffentlichen Leben nicht nur den Männern gleichgestellt, sie wird zugleich in den Rang einer ›Ältesten‹ erhoben.


»Was hat ein Weib in eurer Dschemma und mit dieser Blutrache zu schaffen?«

   »Weil ein Weib, die Frau des Scheikes der Kalhuran, mit in sie verstrickt ist. Wir möchten dich ersuchen, an ihrer Stelle zu sprechen. Kara Ben Nemsi wird sich ihres Mannes annehmen. Unser Ustad wollte es selbst thun; aber weil die Beratung so


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plötzlich kommt und er fortgegangen ist, um erst gegen Abend wiederzukommen, kann ich ihn nicht damit belästigen.«

   Als er fort war, sagte Hanneh:

   »Ist das nicht sonderbar, Sihdi, daß man mich zu der Versammlung der Aeltesten ruft?«

   »Es ist noch eine viel größere Ehre für dich, als für mich, Hanneh; du kannst stolz auf sie sein!«62


Kara Ben Nemsi gibt Hanneh den Tip, möglichst herauszufinden, ob der Multasim ein Christ oder ein Mohammedaner ist, da er im ersteren Fall nach islamischer Rechtsgepflogenheit kein Blut, sondern nur den Preis zu fordern habe. Abgesehen davon, daß der omnipotente Held der früheren Jahre diese wichtige Erkundigung sicherlich keinem anderen überlassen hätte, offenbart sich jetzt der weibliche Scharfsinn in einer dem männlichen Prinzip entgegengesetzten Weise, will sagen: ohne Anschleichen, Belauschen oder ähnliches, sondern durch ein direktes Gespräch, dessen Folgen der Multasim in der Dschemmah zu spüren bekommt.


»Ich ging vorhin an diesem Lügner vorüber und würdigte ihn, von meinen Lippen gegrüßt zu werden. Er dankte. Ich hatte eine Frage. Er antwortete. Da war ich so höflich, mich zu entschuldigen, daß ich durch den Schleier zu ihm sprechen müsse, weil er kein Dschamiki, sondern ein Moslem sei. Da sagte er, ich brauche das nicht zu thun, denn er sei armenischer Christ. Das war die Wahrheit. Sie entfuhr seiner Unbedachtsamkeit. Als Muhammedaner hat er sich uns jetzt nur vorgelogen!«

   Und sich nun direkt zu ihm kehrend, fügte sie hinzu:

   »Wähle! Bist du ein Christ, so giebt es keine Rache. Bist du ein Anhänger des Propheten, so habe ich dir, weil du mich belogst, mein Angesicht gezeigt, und diese Schande schreit nach deinem Blute. Du wirst diesen Berg nicht lebend verlassen. Ich rufe meinen Sohn, der die Ehre seiner Mutter wieder herstellen und dich niederschießen wird wie einen Schakal. Also, wähle!«

   Der Multasim war, wie schon einmal gesagt, ein Feigling. Hanneh stand so außerordentlich drohend, und er wußte nicht, daß ihr Sohn jetzt gar nicht hier sei. Die Situation kam ihm bedenklich vor. Das Leben war ihm lieber als die Ehre ...63


Wir sollten meinen, mit der öffentlichen Teilnahme an der Dschemma sei das höchste Maß an Emanzipation erreicht, doch geht Hanneh noch einen Schritt weiter. Sie, die in ›Am Jenseits‹ im Tachtirwan mitreist, was von der Reisegruppe allerlei Rücksichtnahmen fordert, unternimmt im ›Silberlöwen III‹ eine gefährliche, strapaziöse Reise im Männersattel, um zu ihrem Mann zu kommen. Im ›Silberlöwen IV‹ übernimmt sie ganz selbstverständlich einen männlichen Part und reitet im Wettrennen höchst erfolgreich mit.


Unsere Hanneh schwang sich mit einer Miene in den Sattel, als ob es sich um etwas ganz Alltägliches handle. ...

   Da ertönte die Kärna. Die Schnur verschwand. Sechs Zurufe erschollen. ...


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Inzwischen waren die drei Gegner sofort im eiligsten Laufe davongeritten, Hanneh und der Haddedihn aber erst langsam hinterher. ... Aber die Schnelligkeit unserer Hedschihn vergrößerte sich; sie vergrößerte sich auch dann noch, als sie diejenige der Vorläufer erreicht hatte; sie nahm zu, immer zu, als ob sie sich bis in das Unheimliche steigern wolle. Jetzt war der hinterste Gegner erreicht; er wurde überholt. Bald auch der zweite. Der erste war weiter voran. Er schaute sich wiederholt nach dem Verhängnisse um, dem er so gern entrinnen wollte und doch nicht konnte. Es kam; es kam! Es flog an ihm vorüber, weiter, immer weiter, den Geisterhedschahn gleich, von denen man in den Steppen des Sudan erzählt - - - jenseits am See zurück, vom brausenden Jubel der staunenden Menge begleitet, herbei, herbei, um endlich bei uns zu halten.

   Hanneh wartete das Niederknieen ihres unübertrefflichen Tieres gar nicht ab. Sie schwang sich von oben herunter, ging leuchtenden Auges dorthin, wo der Scheik ul Islam und der Mirza saßen, schlug mit ihrem Stabe laut auf die Bank vor ihnen und sagte:

   »Ihr lachtet über das Weib; das Weib lacht nicht, aber es siegt!«64



Seelenverwandtschaften und die Geburt des Geistes


In der kontinuierlichen Emanzipation Hannehs vollzieht sich Mays schrittweise Abkehr vom männlichen, omnipotenten Helden. Männliche und weibliche Protagonisten halten sich im ›Silberlöwen III und IV‹ in Anzahl und Bedeutung in etwa die Waage. Teils tauchen dabei neue Personen auf, teils werden bereits bekannte in die Handlung integriert. Bereits früher haben wir darauf aufmerksam gemacht, daß Ingdscha, die sowohl in ›Durchs wilde Kurdistan‹ als auch in ›Im Reiche des silbernen Löwen II‹ eine aktive Rolle spielt, danach aus der ›Silberlöwen‹-Konzeption verschwindet. An ihre Stelle tritt Schakara, ›Schah-Kara‹, der Teil Karas, der vom Schah (Gott) kommt, also seine Seele,65 eine These, die durch einen Brief Marah Durimehs an Schakara gestützt wird: »Er sei der Geist; du aber sei die Seele, seine Schwester. Das zeige ihm und grüße ihn von mir.«66 Diese Begrifflichkeiten von Seele und Geist entwickeln sich erst im Spätwerk. Doch bereits im ›Silberlöwen II‹ gewinnt May der (Einzel-)Seele bemerkenswerte Aspekte ab, die auf die beiden späteren Bände vorausweisen. Beim unerwarteten Wiedersehen mit Ingdscha und Mandana beschreibt letztere ihre Gefühle für Kara Ben Nemsi:


»Meine Seele hat sich nach ihm gesehnt ohne Unterlaß, wie das Mehl sich nach dem Wasser sehnt, um mit ihm in Teig verwandelt zu werden, und nun mir dieser heiße Wunsch in Erfüllung geht, soll ich meine Augen nicht aufschlagen zu dem, den meine Seele liebt!«67


Was auf den ersten Blick wie eine humoristische Szene wirkt, ist in Wirklichkeit eine Adaption des Hoheliedes Salomons:68


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Des Nachts auf meinem Lager suchte ich, den meine Seele liebt. Ich suchte, aber ich fand ihn nicht. Ich will aufstehen und in der Stadt umhergehen auf den Gassen und Straßen und suchen, den meine Seele liebt. Ich suchte; aber ich fand ihn nicht. Es fanden mich die Wächter, die in der Stadt umhergehen: »Habt ihr nicht gesehen, den meine Seele liebt?« Als ich ein wenig an ihnen vorüber war, da fand ich, den meine Seele liebt. Ich hielt ihn und ließ ihn nicht los, bis ich ihn brachte in meiner Mutter Haus; in die Kammer derer, die mich geboren hat.69


Diese Adaption bezieht sich keineswegs nur auf die Formulierung ›den meine Seele liebt‹. Folgt man der Abenteuerhandlung, so ist Mandana ausgezogen, um Marah Durimeh zu suchen; ein Treffen mit Kara Ben Nemsi dürfte dabei kaum im Bereich des Möglichen gelegen haben. Es ist ihre Seele, die ihn gesucht hat, sie findet ihn, und wie im Hohelied, so führt sie ihn zur ›Mutter‹, denn sie hat bereits ausgekundschaftet, wo Marah Durimeh gefangen gehalten wird. Die durchaus sinnliche Vorstellung, daß das Mehl sich zum Wasser sehnt, weist dabei, hier in positiver Deutung, bereits ansatzweise auf Pekala hin, deren Reich die Küche des Ustad ist, und widerspricht dabei in keiner Weise den durchaus sinnlichen Anschauungen des Hohelieds.

   Natürlich schildert die Szene nicht wirkliche verwandtschaftliche Verhältnisse; und sicherlich ist Mandana nicht in Kara Ben Nemsi verliebt. Eine solche körperliche Verwandtschaft bzw. Beziehung ist auch nicht nötig, denn May ist davon überzeugt, daß es so etwas wie seelische Verwandtschaft gibt. So wie die Seele (Schakara) die Schwester des Geistes (Kara Ben Nemsi) ist, so gibt es auch seelische Verwandtschaften ohne familiäre Beziehungen. Marah Durimeh beschreibt dieses Verhältnis zu Kara Ben Nemsi nach ihrer Befreiung im ›Silberlöwen II‹. »Du bist mein Sohn, mein Kind, nicht nach dem Körper, sondern nach dem Streben meiner und deiner Seele, nach dem geistigen Wandel, der uns zu gleichem Ziele nach oben führt.«70

   Seelisches Streben und geistiger Wandel sind also verbunden, und im ›Silberlöwen IV‹ bemüht sich May, die beiden Begriffe auseinanderzuhalten - zu definieren wäre zuviel gesagt; es sind mehr unterschiedliche Eigenschaften, welche Geist und Seele kennzeichnen. Im sogenannten ›Nachtgespräch‹ diskutieren der Ustad und Kara Ben Nemsi über »den Tod einer vollen, vielleicht bedeutenden oder sogar großen geistigen Persönlichkeit«71 bzw. ob ein solcher überhaupt möglich sei. Während der Ustad diese Möglichkeit bestreitet, ist Kara der Meinung, ein solches Sterben sei sehr wohl möglich.


»An einem plötzlichen, scheinbar wohlbegründeten Entschlusse. Oder auch an einer selbstverschuldeten, langsamen Verzehrung. In beiden Fällen liegt Selbstmord vor, falls der Geist vorher gesund gewesen ist.«

   »Effendi weißt du, wie hart du sprichst?«

   »Wir sprechen vom Geiste. Darum mag der Geist zum Geiste reden. Der Geist aber ist hart, vielleicht härter als alles, was wir hart zu nennen pflegen. Du wolltest


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meine Ansicht über den Tod hören; diese ist nicht Herzenssache. Sobald du mein Herz fragst, wird es sprechen, und zwar so gern, so gern!«72


Im weiteren Verlauf des Nachtgesprächs wird der Abschied vom omnipotenten Helden dann endgültig öffentlich gemacht.


Wir standen Mann gegen Mann einander gegenüber. Oder war es Seele gegen Seele, Geist gegen Geist?

   »Du bist Old Shatterhand?« fragte er. »Ich habe diesen Namen von meinem Freunde Dschafar gehört.«

   »Ich war es,« antwortete ich ruhig, aber bestimmt. ...

   »Du bist Kara Ben Nemsi Effendi?«

   »Ich war es,« erwiderte ich abermals.

   »Bist es nicht mehr? Beides nicht mehr?« ...

   »Beides nicht mehr! ... Seit diese beiden Namen das geleistet haben, was sie leisten sollten und leisten mußten! In diesen zwei Namen habe ich denen, die es lösen wollen, ein Rätsel aufgegeben, aus dessen Thür das von seinen psychologischen Fesseln befreite Menschheits-Ich wie ein im Freudenglanze strahlender Jüngling hervorzutreten hat. Dieses so viel verachtete und so grimmig angefeindete ›Ich‹ in meinen Büchern hat allen denen, welche Ohren haben, von einer neuen, ungeahnten Welt zu erzählen, in welcher Leib, Geist und Seele nicht ineinander gekästelt und ineinander geschachtelt sind, sondern Hand in Hand nebeneinander stehen und miteinander wirken.«73


Leib, Geist und Seele bilden also eine Symbiose.74 Die Gestalt dieses Leibes ist biologisch vorgegeben, der ›harte‹ Geist vertritt das männliche, das ›weiche‹ Herz, die Seele, das weibliche Prinzip. Diese Kombination ist in jedem Menschen vorhanden, und in diesem Sinne ist Schakara »die Seele, seine Schwester«75 als eines der bei May so häufig auftretenden ›Ich-Derivate‹ anzusprechen, nicht als zu zerstörende Eigenschaft, sondern als gleichberechtigter Partner bzw. gleichberechtigte Partnerin. Und die Handlungsstränge im ›Silberlöwen IV‹ sind in der Tat von dieser Gemeinsamkeit gekennzeichnet. Als der Multasim versucht, sich ins ›Hohe Haus‹ einzuschleichen, um Kara Ben Nemsi zu ermorden, schießt Schakara eine Pistole ab, um die Bewohner zu warnen, und schließt das Tor.


»Wenn der Geist des Hauses von unnützen Dingen träumt oder gar im vollen Wachen sich unvorsichtig erweist, so hat dann freilich die Seele die Augen offen zu halten. Und die bist du für uns gewesen, o Schakara! ...«76


Der Geist kann also ohne die Seele nicht bestehen, und um eine Persönlichkeit im vollen Sinne des Wortes zu sein, ist es nötig, Körper, Geist und Seele in das richtige harmonische Verhältnis zu bringen. Als Kara Ben Nemsi die Zeitungsausschnitte des Ustad verbrennen will, ist dieser einverstanden, weil er ›freien Geistes‹ werden will.


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»Unfreie Geister gibt es nicht. Wer in Fesseln liegt, ist vielleicht eine Intelligenz, doch niemals Geist! Du willst also nicht mehr bloß ein denkendes, ein nach Regeln, welche von Menschen vorgeschrieben sind, denkendes Wesen sein, sondern ein Geist, für den diese Regeln nur in so weit vorhanden sind, als sie mit seinen eigenen Wegen zusammenfallen. ... Das ist ein großer Entschluß, den du nur dann auszuführen vermagst, wenn du ... deine bisherige Sklavin, die krank in dir darniederliegende Seele, zu deiner Freundin, deiner allereinzigen Freundin erhebst. Denn wisse: der Geist wird ohne Seele nie den Weg empor zum Geiste aller Geister finden!« ...

   »Die Person ›Geist‹ sollst du sein, und die Person ›Seele‹ sollst du sein! Eine vollständige Persönlichkeit im Reiche der Geister und eine vollständige Persönlicheit im Reiche der Seelen, beides zu Einem vereint in dir, wie Licht und Wärme in der brennenden Flamme, das sollst du sein. Der Körper sei - - - der Docht!«77


Im Falle des ›Silberlöwen‹-Personals korrespondieren seelische und körperliche Verwandtschaft miteinander. Schakara ist über Marah Durimeh sowohl mit dem Ustad als auch dem Pedehr verwandt.


»Unser Pedehr. Sein Vater Abd el Fadl war der Sohn einer Schwester unserer Marah Durimeh.«

   »Und der zweite Oheim?«

   »Das ist der Ustad selbst. Auch er ist mit Marah Durimeh verwandt; aber wie, das weiß ich nicht genau.«78


Doch diese körperliche Verwandtschaft ist nicht der wesentliche Faktor, wie der Ustad Schakara bereits früher einmal erklärt hat und wie diese nun auch Kara Ben Nemsi berichtet.


»›Der Körper, welcher sich fort und fort erneuert, bleibt nicht derselbe Leib, den uns die Mutter gegeben hat. Er verändert zwar nicht die Gestalt, doch stets und ununterbrochen die Stoffe, aus denen er zusammengesetzt ist. Er nimmt sie auf und giebt sie ab, beides zu gleicher Zeit. Der Körper, in dessen Ohr du heut das liebe Wörtchen ›Vater‹ rufst, ist durch die Ausscheidung seiner jetzigen und die Aufnahme neuer, ihm ganz fremder Bestandteile nach zwei Jahren ein vollständig anderer geworden, und du aber nennst auch diesen gänzlich fremden noch deinen ›Vater‹. Der Stoff also ist es nicht, der uns befreundet.‹«79


Diese Einstellung ist weit davon entfernt, ein anarchistischer Gegenentwurf zur bürgerlichen Familienstruktur zu sein; die Elternliebe bildet die Hauptsubstanz im familiären Miteinander, doch ist die seelische Verwandtschaft diejenige, die den Menschen hilft, sich zu vervollkommnen:


»›Der Körper, den heut unsere Marah Durimeh besitzt, ist mir vollkommen fremd; er hat mit dem meinigen nichts, als die menschliche Form gemein. Und was verbindet diese beiden Gestalten mit den längst verwesten Körpern unserer Ahnen? Nichts, nichts und wieder nichts! Das, was ich Verwandtschaft nenne, besteht nur und allein


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in der liebenden Zuneigung zwischen Geist und Geist, zwischen Seele und Seele. Kann ich da aber von Onkel und Tante, von Neffe und Nichte sprechen? Giebt es da Vater und Mutter, Sohn und Tochter? Wenn ein großer, hoch entwickelter Geist einen kleinen, unentwickelten an sich zieht und zu sich emporhebt, ist der eine dann der Vater und der andere der Sohn? Oder wenn eine zarte, kindlich schwache Seele sich an eine gottbegnadete, starke schmiegt, um bei ihr Schutz und Sicherheit zu finden, ist die eine dann die Mutter und die andere die Tochter? ... Es kann ein neuer Geist von einem oder einigen anderen geboren werden; Seelen aber stammen nicht von Menschenseelen, sondern nur allein von Gott, dem Herrn! Mein Leib und Marah Durimehs Leib gehen einander nichts an, obwohl wir gleiche Ahnen haben. Unsere Seelen kamen von Chodeh. Aber mein Geist wurde aus dem ihrigen geboren. Willst du nun noch fragen, ob ich vielleicht ihr Vetter oder wohl ihr Neffe sei?‹«80


Eine der hervorstechendsten Eigenschaften der Seele (Schakaras) ist ihr Ahnungsvermögen, das sie sicherer lenkt als alle Logik:


»Du fühlst das Richtige; aber es in Worten auszudrücken, das würde ich nicht wagen. ... Ahnest du vielleicht einen gewissen Zusammenhang zwischen diesem Berge und dem alten Gemäuer hier im Gebiete der Dschamikun?«

   »Ich ahne ihn nicht nur, ich fühle ihn ganz deutlich.«81


Dieses Ahnungsvermögen ist dem forschenden Geist oft überlegen, doch erst in der Zusammenarbeit beider entsteht eine hilfreiche Erkenntnis; das wird aus dem Gespräch zwischen Kara Ben Nemsi und Schakara bezüglich des Versammlungsplatzes der Sillan deutlich.


»Daß du so deutlich ahnst! Daß das in dir so klar am Tage liegt, was ich aus der Verborgenheit mit aller Mühe zerre! Du sollst die Seele sein und bist sie wirklich! Dschanneh, Dschanneh, die sicherer empfindet und überzeugender das Ferne schaut, als es dem Geist, dem stolzen, möglich ist!«

   »Dschanneh?« fragte sie. »Hast du dieses Wort von Marah Durimeh gehört? Es ist mein Kosename. So nannte sie mich stets, wenn sie mich zärtlich, lobend an sich zog und mir das Haar mit Mutterlippen küßte.«

   »Wirklich? Wirklich? Kosename? Mein Kind, wenn Marah Durimeh in solchem Augenblick dir einen Namen gibt, so liegt in diesem Kosen tiefste Wahrheit. Man ruft dich ›Schakara‹, damit du ›dankbar‹ seist. Wofür? Nicht nur Dschanneh zu heißen, es wirklich auch zu sein!«

   »Ich verstehe dich nicht, Effendi, doch fühle ich, daß du nichts Falsches sagst. Ich sprach von meiner Wiederkehr nach jener Ecke dort. Ich wollte gern erfahren, ob sich in dieser Mäjmä-i-Yähud [Fußnote: Siehe Band I, pag. 409.] vielleicht ein - - -«

   »Mäjmä-i-Yähud?« unterbrach ich sie schnell. »Sonderbar, höchst sonderbar! Wie kommst du auf diesen Namen für grad diese Etage?«

   »Ich weiß es nicht. Ich halte sie dafür. Das kommt mir so empor und auf die Zunge!«

   »Ja, ich verstehe. So muß es sein! Du ahnst und darfst nicht ahnen! Dschanneh, Dschanneh, das unbewußte Wissen! Wir gehn gleich jetzt nach dieser deiner Ecke und setzen uns dort nieder. Ich habe zu erzählen. Du wirst sie kommen sehen, am


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hellen Tageslicht, die Schatten alle und zuletzt die Männer, die du des Nachts damals gesehen hast.«82


Geist und Seele verständigen sich also über ihr gemeinsames Vorgehen, und dabei hat die Seele ihren eigenen und keineswegs passiven Spielraum. Ähnlich wie schon Hanneh in ›Am Jenseits‹ mischt sich auch Schakara in die Diskussionen der Männer öffentlich ein und setzt den bereits erworbenen Gewinn aufs Spiel. Anders als bei Hanneh handelt sie jedoch nicht aus verletztem Stammesstolz, sie hat andere, ›höhere‹ Gründe. Und da Hanneh in ›Am Jenseits‹ bereits in äußerst dramatischer Form den Weg zu einem derartigen Verhalten bereitet hat, beschränkt sich der Ich-Erzähler an dieser Stelle auf die indirekte Rede.


Schakara verließ nämlich, ohne uns vorher hierüber zu verständigen, ihren Sitz, stieg die Stufen zum Stand hinauf und winkte Schweigen. Das Erscheinen eines Mädchens da eben [!] verwunderte. Man war still. Da begann sie zu sprechen, kurz, klar, bestimmt. Sie forderte Ahriman Mirza auf, seinen Chandschar mit zu den Preisen zu legen, dann werde das dritte Rennen sofort stattfinden, und wer es gewinne, der habe gesiegt. Sie tat sogar noch mehr: Sie setzte gegen den Dolch die bereits gewonnenen Kamele, so daß also dem Sieger dieser letzten Tour der ganze Gewinn und dazu der Chandschar zu gehören habe.

   Wir staunten! Der Mirza auch! Woher nahm dieses sonst so bescheidene, zurückgezogene Mädchen den Mut, hier in dieser Weise öffentlich aufzutreten? Uns allen in einer so wichtigen Sache ohne Erlaubnis vorzugreifen? Da drückte mir der Ustad die Hand und sagte:

   »Erschrecke nicht! Du weißt, sie kommt von Marah Durimeh! Sie hat geheime Gründe! Wenn der Mirza darauf eingeht, tue ich es gern. Du hast ja den Syrr!«83


Die Ahnung und das Befolgen der ›inneren Stimmen‹ ist keineswegs eine Erscheinung des Spätwerks, neu ist hier nur die Aufteilung auf verschiedene Ich-Derivate. Bereits im ersten Band des ›Silberlöwen‹ macht Kara Ben Nemsi im Gespräch mit dem polnischen Bimbaschi entsprechende Bemerkungen. Logik und Gefühl ergänzen sich dabei. Der omnipotente Held sagt:


»Ich ziehe nur den einfachen, gesunden Menschenverstand zu Rate und hole aus den klar daliegenden Thatsachen ebenso einfach meine Schlüsse. Das kann jeder thun, der seine Gedanken nicht ohne Aufsicht spazieren gehen läßt.«84


Dann beweist Kara dem Bimbaschi, daß seine Familie noch leben kann und daß sie wohl in ihrer Heimat Persien zu suchen ist. Der zunächst ungläubige Bimbaschi reagiert überschwenglich und ist fest davon überzeugt, daß die von Kara genannte Möglichkeit wahr ist. Daraufhin will Kara ihm all die Argumente aufzählen, die dafür sprechen, daß die Familie tot ist. Der Bimbaschi verspricht, »... zwischen Hoffnung und Befürchtung ...« zu gehen, »... bis die eine oder die andere zur Gewißheit wird!«85 Erst jetzt weist Kara


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auf seine innere Stimme hin, die ihn bisher nie im Stich gelassen hat und der er auch jetzt vertraut.


»... sie [die innere Stimme] hat mich oft, sehr oft aus schweren Gefahren geführt und mir bei der Lösung von Aufgaben beigestanden, zu der ich ohne sie zu schwach gewesen wäre. Es ist, wenn ich diese Stimme wahrnehme, als ob mein Schutzengel mit mir spräche, und indem ich sie höre und ihr gehorche, fühle ich mich selig und mein Herz gehoben wie in Engelsnähe. Als sie sich vorhin wie eine freundliche Ahnung, und doch viel heller, klarer und bestimmter als eine Ahnung, in mir bemerkbar machte, konnte ich ihr nicht widerstehen; ich mußte ihr meine Bedenken opfern und von der Möglichkeit eines Morgens nach lange, dunkler Nacht zu dir sprechen. Ich glaube nicht, daß ich diese Stimme heut falsch verstanden habe, aber ich warne dich dennoch, mehr zu erwarten, als eine bloße Möglichkeit versprechen und erfüllen kann.«86


Dieses Ahnen wird im Spätwerk eindeutig als ein weiblicher Aspekt aufgefaßt, der dem männlichen Geist manches Mal voraus ist.


Ich bin nämlich gewohnt, die Gedanken und Gefühle meiner Frau in allen Stücken mit in Erwägung zu ziehen. Ihr angeborener Scharfsinn kommt mir oft zu Hilfe, während mein mühsam erworbener Scharfblick mich in die Irre führt. Ich gebe gern zu, daß die Frau dem Manne in Beziehung auf die feineren Instinkte überlegen ist. Darum freue ich mich immer, wenn die meinige mir sagt, daß sie einen »Gedanken« oder eine »Ahnung« habe, denn ich weiß, daß es mir zur Hilfe dient.87


Wer diesen inneren Stimmen gehorcht, der wird mit Erfolg belohnt. Diese Erfahrung macht auch Kara Ben Halef, der im ›Silberlöwen‹ als weiteres Ich-Derivat die Abenteuerrolle Kara Ben Nemsis übernimmt, als er während der Spurensuche auf einem Platz, an dem Waffen versteckt worden waren, einen bedeutsamen Fund macht.


»Indem es [mein Pferd] graste, betrachtete ich den alten Märwer [Fußnote: Holunder], der neben mir am Mauerpfeiler stand. Er war hohl. Das Loch befand sich ungefähr zwei Fuß über der Erde. Und nun komme ich auf etwas, was du so oft behauptet hast, Sihdi, nämlich, daß es keinen Zufall gibt. Es war auch wirklich keiner, sondern ich fühlte es wie eine ganz deutliche Aufforderung in mir, in dieses Loch zu greifen, weil etwas darin stecke, was ich unbedingt sehen müsse. Begreifst du das?«88



Äußerer Abglanz und physiognomische Warnungen


Wie wir bereits ausgeführt haben,89 sind die physiognomischen Eigenschaften der handelnden Personen für May ein wichtiges Hilfsmittel der Charakterisierung. Bei einer vollentwickelten Persönlichkeit wie dem Pedehr treffen äußere und innere ›Schönheit‹ zusammen.


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Er ... war ganz weiß in weite, kurdische Hosen und ein bis auf die Kniee reichendes Obergewand gekleidet, welches an der Taille von einer blauen Schärpe zusammengehalten wurde. Da steckten anstatt der Messer und Pistolen einige schön erblühte, purpurglühende Schirasrosen. Sein langes, seidengrau glänzendes Haar war von vorn nach hinten zurückgekämmt und hing bis über die Schultern herab. Sein ... Ehrfurcht erweckendes Angesicht wurde von jenem Hauche innerer Jugend verschönt, welche aus der Seele auf den Körper überstrahlt und selbst im höchsten Lebensalter nicht vergeht. Man sah ihm an, daß er mit vollem Rechte Pedehr genannt wurde, ein Vater, der den Seinen nichts als Liebe giebt, Liebe mit verständiger Einsicht gepaart, und von ihnen dafür wieder Liebe erntet.90


Geist und Seele hinterlassen bei jeder Person äußere Spuren, doch ist es keineswegs so, daß alle Bösewichter abgrundtief häßlich wären. Hier gibt es verschiedene Abstufungen. Der Pädär-i-Barat, Unteranführer der Schmuggler am Birs Nimrud, ist aufgrund seiner äußeren Erscheinung für den erfahrenen Kara Ben Nemsi leicht zu durchschauen.


Dieses viel durchfurchte, tief gebräunte Gesicht mit der niedrigen Stirn, der langen, scharfen, dünnen Nase, deren Flügel sich in fortwährendem Zittern befanden, den aufgeworfenen, breitgezogenen Lippen, dem mächtig entwickelten Kinn, den kleinen, scharfen, rotgeäderten, und unruhigen Augen machte auf mich den Eindruck einer alle Milde verachtenden und mit großer List gepaarten Rücksichtslosigkeit. Dieser Eindruck wurde durch den dichten, dunklen Schnurrbart nur erhöht, dessen Spitzen wie schwarz gefärbte Eiszapfen steif herunterstachen. Seine Züge sprachen nur von tierischen Instinkten, und wenn es wahr ist, daß nur der offene Blick des Mannes Mut verrät, so konnte dieser Perser, im Falle, daß es galt, nur das Gegenteil davon, ein Feigling sein. Ein gefährlicher Mensch, rücksichtslos und feig, so dachte ich, und als mir auch noch seine langen, knochigen, krallenhaften Hände in die Augen fielen, deren Zeigefinger fast über den Mittelfinger hinausragten, da war ich fest überzeugt, daß ich mit diesem Urteile das Richtige getroffen hatte. ... Die Hand eines Menschen ist das genaueste Abbild seines Innern; es ist ihr unmöglich, auch nur das geringste von seinem Denken und Fühlen zu verheimlichen. Sie ist das Werkzeug des Geistes und der Seele, und jedes Werkzeug läßt ohne Irrtum auf den Meister schließen.91


Die Einsicht, daß ein reiches Seelenleben wichtiger ist als alles andere, erleichtert es Hadschi Halef Omar, auf die im Birs Nimrud entdeckten Schätze zu verzichten.


»In den Augen, von denen du sprichst, wohnt ein Licht der Liebe, gegen welches dieses Gefunkel hier die reine Finsternis, der unsichtbare Neumond ist. ... Ein fröhliches Lachen aus dem Munde meiner Hanneh, der herrlichsten aller Frauen, klingt schöner als das Klirren dieser Münzen. In ihren Augen und ihrem Lächeln wohnt die Seele, in diesen toten Schätzen aber ist keine ...«92


Bei diesen Schätzen entdeckt Kara Ben Nemsi ein Miniaturporträt von seinem Bekannten Dschafar und einer als ›Gul‹ bezeichneten Dame, die sich


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später als die mit den Feinden verbündete Gul-i-Schiraz entpuppen wird. Auch hier sind es wieder Ahnungsvermögen und Kombinationsfähigkeit gemeinsam, die Kara Ben Nemsi auf die richtige Spur bringt.


Neben ihm [Dschafar] sah ich ein wunderschönes, orientalisches Frauenangesicht mit geheimnisvollen Dunkelaugen, aber kalten, unerbittlichen Lippen und rätselhaften Sphinxzügen, ein Gesicht, welches mich sofort, doch nicht etwa den Menschen, sondern den Psychologen in mir, gefangen nahm. Das Original zu diesem weiblichen Porträt war sicher keine im Harem psychisch vernachlässigte, sondern ganz gewiß eine geistig bedeutende Persönlichkeit.

   ... Aus dem Umstande, daß sie sich dem Verbote des Islam entgegen hatten abbilden lassen, war zu schließen, daß sie über der gewöhnlichen muselmännischen Denkweise erhaben standen, was bei dem weitgereisten Dschafar Mirza kein Wunder war; in Beziehung auf die Schahzadeh Khanum aber ergab sich daraus die wahrscheinlich berechtigte Folgerung, daß sie eine jener selbständigen Damen sei, vor denen der Orientale ein Grauen hat. ... Wer es fertig bringt, alle Traditionen und Rücksichten außer acht zu setzen und die Fesseln des so streng abgeschlossenen dortigen Frauenlebens zu sprengen, der ist gewiß mit einem explosiven Temperamente ausgerüstet ...

   Daß die Prinzessin Gul hieß, war eigentlich gar nichts Auffälliges, und doch dachte ich sonderbarerweise dabei sogleich an die Gul-i-Schiraz. Vielleicht war das eine Folge des Eindruckes, den das Bild auf mich machte. Die sphinxartigen Züge des Gesichtes paßten ja ungemein zu der Rätselhaftigkeit, welche die geheimnisvolle »Rose von Schiras« für mich hatte.93


Die Schönheit dieser Frau wird durch ihre ›kalten, unerbittlichen Lippen‹ nicht zer-, aber doch gestört und fordert gerade darum zu einer psychologischen Bewertung heraus. Äußere Schönheit ist kein automatischer Garant für ein ebenso schönes Seelenleben, wie der erste Auftritt von Ghulam el Multasim, dem Bluträcher, beweist.


Er war ein schöner Mann von gegen sechzig Jahren, schwarzgrau bebartet, sehr wohlhabend gekleidet und außer mit ausgelegten Schießwaffen mit einem krummen Säbel versehen, dessen von Steinen blinkende Scheide für sich allein ein kleines Vermögen bedeutete. Ich habe überhaupt keine besonders große Vorliebe für sogenannte schöne Männer, und wenn sie sich selbst bei gewöhnlichen Gelegenheiten so herausputzen wie dieser hier, so lasse ich sie am liebsten ihrer Selbstbewunderung über. Die wahre, edle Schönheit bedarf des Putzes und des Tandes nicht.94


Der oberste der Schurken ist Ahriman Mirza, dessen Schönheit durch bestimmte Elemente gestört wird. In physiognomischer Hinsicht ist er stark mit Harry Melton aus ›Satan und Ischariot‹ verwandt.


Habe ich jemals einen schönen Mann gesehen, so war es dieser hier! Hoch und schlank gewachsen, doch stark und voll gebaut, ließ der edel geformte Kör-Seine wohlgebaute Gestalt war gut und sorgfältig gekleidet und sein Gesicht vollständig glatt rasirt. Aber was für ein Gesicht war das! Sobald ich es erblick-


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per ungewöhnliche Kraft und große Gewandtheit ahnen. Und dieser Kopf! ... Ich hatte einmal ein Bild gesehen: Loki mit dem herrlichen Heimdall um Friggas Halsband kämpfend. Der Künstler hatte es verstanden, dem Kopfe und den Zügen Lokis jene dämonisch verführende Schönheit zu geben, welche Seligkeit verspricht und doch nur Verderben giebt. Und nun ich diesen Ahriman Mirza vor mir stehen sah, war es mir, als ob er jenem Maler als Modell gesessen haben müsse. Ganz besonders deutlich war ihm die Ueberzeugung anzusehen, daß er ein schöner Mann sei, dem niemand widerstehen könne. Aber das »Licht« seiner Augen stand nicht gerade, sondern schief; das willensstarke Kinn zog das Lächeln des Mundes nieder, und die begehrlichen, zum Hohne geneigten Lippen waren voller und breiter, als sich mit dem übrigen Gesicht vertrug.
   Und seine Stimme! Kraftvoll und wohllautend, der feinsten Schattierung, der unwiderstehlichsten Ueberredung fähig. Aber plötzlich zischend scharf, schrill, widerlich rauh. Es war die Stimme eines Verführers unter zweien, aber auch eines grausamen Kommandanten unter vielen!
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te, fielen mir jene eigenartigen Züge ein, welche der geniale Stift Gustave Dorés dem Teufel verliehen hat. Die Aehnlichkeit war so groß, daß man hätte meinen mögen, der Mormone habe Doré zu dieser Zeichnung gesessen. Er konnte nicht viel über vierzig Jahre alt sein. Um seine hohe, breite Stirne rollten sich tiefschwarze Locken, welche hinten fast bis auf die Schultern niederwallten; es war wirklich ein prächtiges Haar. Die großen, nachtdunklen Augen besaßen jenen mandelförmigen Schnitt, den die Natur ausschließlich für die Schönheiten des Orientes bestimmt zu haben scheint. Die Nase war leicht gebogen und nicht zu scharf; die zitternde Bewegung ihrer hellrosagefärbten Flügel ließ auf ein kräftiges Temperament schließen. Der Mund glich fast einem Frauenmunde, war aber doch nicht weibisch oder weichlich geformt; die etwas abwärtsgebogenen Spitzen desselben ließen vielmehr auf einen energischen Willen schließen. Das Kinn war zart und doch zugleich kräftig gebaut, wie man es nur bei Personen findet, deren Geist den tierischen Trieben überlegen ist und sie so vollständig zu beherrschen vermag, daß andere das Vorhandensein derselben gar nicht ahnen. Jeder einzelne Teil dieses Kopfes, dieses Gesichtes war schön zu nennen, aber nur schön, vollkommen für sich, denn in ihrer Gesamtheit fehlte diesen Teilen die Harmonie.96


Wir könnten nun annehmen, die Ähnlichkeit zwischen den beiden Personen wäre ein Beweis für Mays begrenztes erzählerisches Repertoire; die Gründe hierfür liegen jedoch vielmehr in der Vorstellung begründet, daß gleiche Ursachen gleiche Wirkungen hervorrufen.


»Das Böse hat für den ersten, flüchtigen Augenblick wohl immer eine verlockende Gestalt. Aber wenn man sie zwingt, den Mund zu öffnen, so ist das sicherste Erkennungszeichen die Leidenschaft, mit der sie alles treibt und thut und redet. Der, welcher einst dem Teufel den Quastenschwanz und Pferdefuß verlieh, hat sicherlich in seinem Dienst gestanden. Die Hölle ist ein Sumpf, auf dem die Decke üppig grünt


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und blüht, den irren Lebenswanderer anzulocken. Der Himmel glänzt, sie aber kann nur gleißen. Ihr Gold ist falsch, wie ihre Diamanten. Die flimmernden Steine des Mirza sind wohl auch nicht echt!«97


Ebenfalls nicht echt sind die Zöpfe der Khanum Gul. Hinten hingen die Zöpfe fast bis auf den Boden herab. Sie waren mit goldenen Schnuren, Fransen und Trotteln durchflochten, also sehr wahrscheinlich nicht echt.98 Damit deutet sich bei dieser Frau durch ihre physiognomischen Attribute bereits an, daß sie zu den Feinden gehört. Die Gul trägt keinen Schleier, hatte sich also von der in ihrem Kreise gebotenen, schamhaften Zurückhaltung emanzipiert.99 Im Gegensatz zu Hanneh, deren Emanzipation wir als eine positive Entwicklung auffassen dürfen, ist die Gul so lebhaft, so bestimmt und so gebieterisch, so wegwerfend und, ich möchte sagen, so keck, wie ich bisher noch keine einzige Orientalin zu sehen bekommen hatte.100 Es ist also keineswegs so, daß Frauen die besseren Menschen wären; die Khanum Gul legt ein deutliches Zeugnis davon ab, daß auch Frauen als Schurken eine nicht zu unterschätzende Rolle einnehmen können. Im direkten Vergleich mit Schakara schneidet die Gul schlecht ab. Sie hatte erstere als ›Geschöpf‹ bezeichnet und wird vom Ustad mit deutlichen Worten zurechtgewiesen.


»Ja, du hast recht gesagt, ohne es zu wollen: Sie ist ein Geschöpf Gottes, des Allerhabenen, des Allreinen; sie wurde von ihm erschaffen in seiner Weisheit und Güte. Du aber bist kein Geschöpf. Du wurdest nicht von dieser Weisheit und Güte erschaffen, sondern von sündigen Menschen in Sünde erzeugt und geboren. Darum wird sie, die körpergewordene Reinheit der Frauenseele, sich jetzt von uns entfernen, weil die Tugend geht, sobald das Laster naht!«101


Bezeichnenderweise gelingt es dem Ustad, Ahriman Mirza mit Hilfe von dessen Glauben an den ›Chodem‹ des Menschen zu besiegen. Indem er ihm in der eigenen Maske entgegentritt, treibt er Ahriman Mirza in den Irrsinn, er drückt den Geist aus der Schablone. Die Khanum Gul aber versucht, selbst in den Kampf einzugreifen, und stürzt am Ende in ihren eigenen Säbel.102 Dieses Ende läßt sich auf verschiedene Weisen erklären. Zum einen haben die Mayschen Helden immer Schwierigkeiten, wenn es gilt, eine Frau zu bestrafen, so z. B. Josefa Cortejo im ›Waldröschen‹ oder Judith Silberstein in ›Satan und Ischariot‹. Zum anderen folgt der Tod der Gul sicher dem biblischen ›Wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen‹. Gleichzeitig aber sehen wir in dem Verhältnis der Gul zu Ahriman Mirza ein Gegenbild zu der Verbindung zwischen Hanneh und Halef als Sinnbild einer glücklichen Kombination von Seele und Geist zum besten ihrer Umwelt und ihrer selbst.


Aber nicht der Mirza lachte, der sich immer noch nicht regen zu können schien, sondern die Gul war aufgesprungen, um in dieser Weise zu zeigen, daß das Weib in den Augenblicken der Gefahr oft hoch über dem Manne stehe. Sie riß dem voll-


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ständig Ratlosen den Säbel aus der Scheide, trat bis ganz an den Rand der hohen Mauer vor und schrie herab:

   »Erzähle keine Fabeln, sondern schau dich nach der Wahrheit um! Die Lawine will nicht erst kommen, sondern sie ist schon da. Sie wird euch packen, sofort, sofort! Heran, Ihr Leibscharen des neuen Schah-in-Schah, heran! Hier blitzt der Stahl; ich rufe Euch zum Siege! Yallah [Fußnote: Vorwärts, drauf!] - yallah - - yallah!«

   Sie schwang den Säbel hoch empor, indem sie diesen Ruf ebenso hinausschmetterte, wie vorher das Gelächter und - - - war das tollkühne Absicht oder die Folge des unvorsichtigen, zu weiten Vortretens? Sprang sie, oder stürzte sie? Ließ sie die Klinge fallen, oder hielt sie sie fest? Man konnte das nicht unterscheiden, aber - - - bei dem dritten Yallah flog sie von der Mauer herunter. Das sah genau so aus, als tue sie das, um durch diesen verwogenen Sprung in die Feinde herunter die zögernden Schatten zum Angriff zu begeistern.103



Männliche Frauen und weibliche Männer?


Wir könnten aus dem Ende der Khanum Gul folgern, daß kämpfende Frauen keine Chance haben, nicht existieren dürfen, doch das wäre wohl überinterpretiert, denn nicht sie allein, auch der Scheik ul Islam wird von der Lawine getötet.104 Was wir aber wohl aus allem Vorausgehenden schlußfolgern dürfen, ist, daß jeder Mensch gute und schlechte Eigenschaften, aber auch weibliche (›seelische‹) und männliche (›geistige‹) Elemente in sich vereint und die Aufgabe hat, durch den gemeinsamen Einsatz von Seele und Geist die schlechten Eigenschaften zu überwinden, um ein besserer Mensch zu werden. Dazu ist es notwendig, daß die jeweiligen Personen diese gegengeschlechtlichen Aspekte ihrer Identität akzeptieren, eine Anfang des 20. Jahrhunderts nicht gerade geläufige Vorstellung.

   Soweit es die Frauen betrifft, schildert May ihre männlichen Aspekte durch ihr Verhalten, die physiognomischen Attribute und den Wechsel ihrer Kleidung. Dies trifft sowohl für Kolma Puschi in ›Old Surehand III‹ als auch für Adsy im ›Silberlöwen II‹ zu.


Die Stimme des Grüßenden war ein hoher, gutturaler Tenor oder tiefer Alt, der mit dem unbärtigen Gesicht in Einklange stand. Die Züge desselben waren außerordentlich regelmäßig, für einen Mann zu weich, fast weiblich schön. Das Alter ließ sich nicht bestimmen; ich fragte mich vergeblich, warum. Ich hätte behaupten mögen, daß dieses Gesicht noch niemals rasiert worden sei. Da aber kam mir der Gedanke: Hätte dieser Reiter nicht so sicher und nach wohlgeübter Mannesart im Sattel gesessen und wäre er nicht als Mann gekleidet gewesen, so hätte ich ihn für eine Frau gehalten, obgleich der Blick so männlich ernst, so selbstbewußt und ruhig forschend war, wie ihn nur ein Mann, der seine Würde kennt und seinen Willen durchzusetzen weiß, zu haben pflegt.105


Es ist also nicht nur die Verkleidung, die glauben läßt, daß Kara Ben Nemsi in Adsy einen Mann vor sich hat. Ihre männlichen Charakteranteile haben


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sich auf ihre Physiognomie ausgewirkt. Darum sind es auch die Reste nicht völlig entfernter Schminke, die Kara Ben Nemsi auf die richtige Spur bringen, und nicht das Verhalten.


Er machte den Eindruck körperlicher Kraft und geistiger Energie; er war ein Mann. Und doch, wenn ich sein Gesicht zwar heimlich aber scharf betrachtete, wurde es mir schwer, ihm das Prädikat Mann zu lassen. Diese schmale, niedrige Stirn, aus welcher der Turban zurückgeschoben war, diese sanfte Rundung der Wangen und des Kinns, die Bartlosigkeit und Fülle der Lippen und vor allen Dingen der, wenn er sich unbeobachtet wähnte, seelisch weiche Blick des großen Auges, das alles war ganz und gar nicht männlich, sondern ausgesprochen weiblich, trotz aller Thatkraft, welche sich auch auf diesem Gesicht aussprach. Auch die Stimme lag zwar tief und hatte einen sehr bestimmten, befehlenden Ton, klang aber doch nicht so wie eines Mannes Stimme. Dazu kam ein leichter Schatten an den Rändern der Augenlider und die stumpfe, wie gebeizte Färbung der langen Wimpernhaare. Das deutete auf die Gewohnheit der morgenländischen Frauen, ihre Wimpern mit Khol [Fußnote: Antimon, Collyrium] dunkel zu färben, um dem Auge mehr Glanz und scheinbare Größe zu verleihen....

   Hierdurch veranlaßt, schenkte ich nun auch dem Körper dieses Kurden mehr Aufmerksamkeit als bisher. Die Hand war eine Frauenhand, und nun sah ich auch im Innern derselben die Spur der Hennahfarbe, welche nicht zu entfernen gewesen war. Nun war ein weiterer Blick auf die Gestalt gar nicht nötig, um überzeugt zu sein, daß es kein Mann, sondern eine Frau war, welche da an meiner Seite ritt.106


Etwas weniger ausgeprägt, besser gesagt: kürzer formuliert, ist auch die Gestalt von Kakho Oto in ›Winnetou IV‹.


Er war keineswegs von hoher, breiter, sehniger Gestalt, sondern eher klein als groß zu nennen. ... und die Haltung des Reiters durfte als selbstbewußt, ja, ich möchte sagen, als indianisch-edel bezeichnet werden. Das Gesicht, ganz selbstverständlich vollständig bartlos, wollte mir bekannt erscheinen .... Er hatte weichere Linien und eine hellere, wärmere Farbe, als Indianer gewöhnlich zu haben pflegen. Und der Blick seines milden, ernsten, offenen Auges, welches fast an Winnetous Schwester Nscho-tschi erinnerte - ah, da kam es mir, da wußte ich es mit einem Male, wo und wann ich diesen Indianer gesehen hatte! ... Die Wangen röteten sich zusehends, fast wie bei einem jungen Mädchen, dem von dem erregten Pulse das Blut in das Gesicht getrieben wird. Er wollte das zwar verbergen, brachte es aber nicht fertig, während er es aber mir ganz gewiß nicht ansehen konnte, daß ich mich seiner erinnerte. Ich konnte mich beherrschen, er aber nicht; ich war ja ein Mann; er aber war keiner.107


Adsy und Kakho Oto sind mehr oder minder als Amazonen anzusprechen, doch treffen wir auch auf einen anderen Frauentyp, der äußerlich rein weiblich wirkt und trotzdem gewisse männliche Elemente besitzt. Mary Waller in ›Und Friede auf Erden!‹ ist eine Vertreterin dieses Frauentyps. Bei ihr wird deutlich, daß es nicht nur eine seelische Verwandtschaft, wie die von Kara Ben Nemsi und Marah Durimeh, sondern auch eine geistige Ver-


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wandtschaft gibt. »Mary Waller ist körperlich die Tochter ihres Vaters, seelisch das Kind ihrer Mutter, geistig aber das meinige [Prof. Gardens], und ich bin stolz darauf, daß sie das ist.«108 Der Ich-Erzähler fühlt sich aufgrund eines belauschten Gespräches Prof. Garden verbunden.


Seine Ansichten waren zwar nicht ganz die meinigen gewesen, ihnen aber doch sehr nahe verwandt, und geistige oder seelische Verwandtschaft ist ein Band, welches nie zerreißt, auch wenn man es nicht pflegt.109


Auch Sejjid Omar macht sich auf seine Weise Gedanken über den weiblichen Einfluß auf den Mann.


»Bei uns sind die Frauen so unwissend, daß die Kinder nichts von ihnen lernen können, auch die Knaben nicht, und wenn sie ihre Klugheit nicht von der Mutter bekommen können, so kann der Vater sie ihnen auch nicht geben, denn wer sich einen Harem anschafft, der keine Seele hat, der hat selbst so wenig Verstand, daß er für seine Kinder keinen übrig hat. ... Warum aber haben wir kein arabisches Wort für Mutterwitz? Weil wir keine klugen Frauen und Mütter haben! ... Ich kenne nur eine einzige, und die ist meine Mutter! Ich denke oftmals: Wenn ich ein guter Mensch bin, so habe ich das von ihr geerbt; der Vater hat es nur unter seinen Schutz genommen.«110


Angesichts der bisher zusammengetragenen Befunde könnten wir versucht sein anzunehmen, daß die wachsende Gleichberechtigung, die sich im Spätwerk abzeichnet, zu einer neuen Form von Androgynität führt, bei der das natürliche Geschlecht der Person keine Rolle mehr spielt.111 Das ist jedoch keineswegs der Fall. Es gibt immer noch gewisse Domänen, in die das andere Geschlecht nicht vordringen kann. Als Mary Waller dem Ich-Erzähler voller Begeisterung beschreibt, wie ihre Wohnung auf dem Schiff Raffleys eingerichtet ist, bemerkt dieser: »Diese Arbeiten machen in China die Männer, welche sogar waschen und plätten.«112 Mary ist über diese Vorstellung geradezu entsetzt.


»Ich begreife allerdings, daß Sie das sagen können; aber kommen Sie, und sehen Sie; dann werden Sie anders sprechen. Ich halte es zwar nicht für unmöglich, daß es ein Tapezierer so weit bringt, in Möbelstoff, in Sammet oder Seide dichten zu können; hier dieses Gedicht aber ist so deutlich fühlbar das Werk einer echten, reinen, edlen Weiblichkeit, daß es fast wehe tut, nur daran zu denken, ob von einem Verfasser anstatt einer Verfasserin, also von einem männlichen Wesen die Rede sein könne.«113


Diese Rollenzuteilung im äußeren Leben ändert aber nichts daran, daß jeder Mensch die Aufgabe hat, in seinem inneren Leben das weibliche und das männliche Prinzip zu harmonisieren. In diesem Sinne interpretiert der malayische ›Heidenpriester‹ die Krankheit des Missionars Waller; diese »... ist eine mehrfache, nicht nur eine leibliche«.114 Der Malaye vertritt,


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ebenso wie der chinesische Arzt Tsi, einen ganzheitlichen Diagnose- und Therapieansatz.


»Nicht nur sein Körper, sondern auch sein Inneres rang mit höchst gefährlichen Ansteckungsstoffen. Die leiblichen hatte er während seiner jetzigen Reise aufgenommen, die geistigen aber aus seiner Heimat mitgebracht. Es war, als ob zwei unsichtbare Mächte in ihm wohnten, die immerwährend mit einander kämpften. Er sprach wiederholt von einer Wette. Die eine Macht wollte diese Wette unbedingt gewinnen; die andere aber bat ihn flehend, sie zu verlieren. Es schien sich um die Bekehrung einer gewissen Anzahl von Chinesen zu handeln. Heidentempel sollten stürzen! Alle Ungläubigen von der Erde ausgerottet werden! Die gute Macht, die das nicht wollte, war ein Weib. Wenn er mit dieser sprach, wurde er sanft und lieb und gut. Er weinte zuweilen dazu und nannte sie seine Seele. Meist redete er mit ihr in jener Sprache, die ich nicht verstand [deutsch]. Kam aber die andere, die böse Macht, die ihn gewinnen lassen will, so sprach er stets englisch und begann, mit lauter, befehlshaberischer Stimme zu predigen. Dann zerbrach er alle Säulen und Pfeiler, die es in seinen wüsten Krankheitsbildern gab. Das war kein Weib, sondern etwas Männliches, Tyrannisches und über alle Maßen Rücksichtsloses! Er hatte es als Kind nicht gehabt, sondern nach und nach von seinem Vater und von seinen Lehrern empfangen.«115


Das Grundübel von Wallers psychischer Erkrankung liegt also in seiner männlichen Sozialisation - eine Vorstellung, die um die Jahrhundertwende wohl ziemlich singulär im Raume gestanden haben dürfte. Wenn wir uns jedoch vor Augen halten, daß May ständig die drohende Aufdeckung seiner Straftaten befürchten mußte, wird verständlich, daß er sich gedanklich damit auseinandersetzte, welche Rolle die Sozialisation bei der Persönlichkeitsbildung spielt - und das schon Jahre vor der Konfrontation mit der von Lebius aufgestellten Behauptung, er sei ein ›geborener Verbrecher‹.116 Auch für sich selbst nimmt er später ja ›geistige Ansteckungsstoffe‹ in Form der Hohensteiner Leihbücherei in Anspruch.


Und doch gab es in dieser Schankwirtschaft ein noch viel schlimmeres Gift als Bier und Branntwein und ähnliche böse Sachen, nämlich eine Leihbibliothek, und zwar was für eine! Niemals habe ich eine so schmutzige, innerlich und äußerlich geradezu ruppige, äußerst gefährliche Büchersammlung, wie diese war, nochmals gesehen! ... und ich muß der Wahrheit die Ehre geben und zu meiner Schande gestehen, daß auch ich, nachdem ich einmal gekostet hatte, dem Teufel, der in diesen Bänden steckte, gänzlich verfiel.117


Die Rolle der Sozialisation beschäftigt May schon vor der Jahrhundertwende. In ›Old Surehand III‹ (1896) äußert er sich ausführlich in diesem Sinne.


Sodann bedenke man wohl, welche Macht in der Erziehung liegt! Ich meine da die Erziehung im weiteren Sinne, nicht bloß die Einwirkung der Eltern, Lehrer und Verwandten. Es sind die tausend und abertausend Verhältnisse des Lebens, welche oft tiefer und nachhaltiger auf den Menschen wirken als das Thun oder Lassen der-


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jenigen Personen, welche nach landläufiger Ansicht seine Erzieher sind. ... Welche Menge, ja Masse von Sünden hat die millionenköpfige Hydra, welche wir Gesellschaft nennen, auf dem Gewissen!118


Mit der Chinesin Yin tritt uns nicht nur die erste der weiblichen Inkarnationen der ›Güte‹ entgegen, sondern auch eine Persönlichkeit, deren wissenschaftliche und interkulturelle Sozialisation die Physiognomie verändert hat. Sie wurde in Tibet als Tochter eines chinesischen Beamten geboren und hat deshalb keine Klumpfüßchen.


Sie kam mit ihrer Mutter nach Peking zu einem sehr wohlhabenden Bruder der letzteren, welcher ohne Frau und Kinder war und sein Leben nur im Studium der buddhistischen und konfuzianischen Lehren verbrachte. Er gewann das schöne, ganz eigen geartete Kind lieb und beschäftigte sich so viel mit demselben, daß es sich nach und nach in ihn einlebte und an seiner geistigen Tätigkeit den größten Anteil nahm. Das Mädchen lernte lesen und schreiben, bei Chinesinnen eine große Seltenheit, wurde in die Gedankenwelt des Oheims eingeführt und von diesem als Erbin nicht nur seines Vermögens, sondern auch seiner Seelenwelt betrachtet. So wuchs sie heran, immer schöner werdend, doch nichts begehrend, als nur für die Mutter und den Oheim leben zu dürfen. Dieser ahnte in seiner Bescheidenheit gar nicht, daß er ein berühmter Gelehrter war, den sogar Ausländer aufsuchten, um ihn kennen zu lernen. Er war der englischen Sprache mächtig und brachte seine Mußestunden gern damit zu, auch seine Nichte in dieselbe einzuführen. So kam es, daß sie europäische Bücher lesen lernte und vom Onkel die Erlaubnis erhielt, mit den Frauen der abendländischen Gesandtschaft zu verkehren. Was bei einem Manne die ganz gewisse Folge gewesen wäre, nämlich ein innerlicher Zwist zwischen der heimischen und der fremden Anschauung, das wurde bei Yin zum freundlichen Streben beider, in ihr zu einer vollen, friedlich klaren Harmonie zusammenzuklingen. Und wie es ganz gewiß wahr ist, daß die Seele die plastische Entwickelung des Körpers beeinflußt, so wurde es je länger desto schwerer, aus den Gesichtszügen dieses Mädchens die mongolische Abstammung zu folgern.119


Mehr erfahren wir über das Äußere Yins nicht, der Ich-Erzähler weigert sich nachdrücklich, ihre Gestalt genauer zu schildern. Der Hauptgrund liegt sicherlich in der Schwierigkeit begründet, eine allegorisch gemeinte Person mit adäquaten äußerlichen Attributen zu belegen. May konstruiert Yin also vice versa, indem er postuliert, daß sie ihren ›sprechenden Namen‹ zu Recht trägt.

   Auch die Männer sind von dieser Entwicklung nicht ausgenommen. Sir John Raffley verändert sich in physiognomischer Hinsicht durch Yins Einfluß bedeutend.


Ich muß sagen, daß Raffley mir jetzt anders vorkam, als er früher gewesen war. Schon körperlich hatte er sich verändert. Seine hagere, knochige Gestalt war voller geworden; die scharfen Linien seines Gesichtes hatten sich gemildert. Die Nase trat nicht mehr so hervor; es zeigte sich alles runder, sanfter, ansprechender als vorher.


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... Seine Physiognomie war früher die eines scharfen Denkers, eines sehr willenskräftigen Mannes gewesen, der mit selbstbewußter Rücksichtslosigkeit seine eigenen Wege geht; nun aber schien der Geist sich mit der Seele vermählt zu haben, und das, das freute mich so sehr.120



Sprechende Namen und Symboltiere


In ›Ardistan und Dschinnistan‹ begegnet uns ein menschliches und tierisches Personal, das durchgängig ›symbolisch‹ gemeint ist. Der optische Eindruck, den der Ich-Erzähler uns schildert, spiegelt diesen Symbolgehalt wider. Die Reiseroute von Ikbal über Ardistan bis zum Fuße der Berge von Dschinnistan beschreibt dabei die Entwicklung, die die Menschheit in Mays Augen zu nehmen hat. Die Parallelen zu Novalis sind dabei unübersehbar.121 Vom ersten ›goldenen Zeitalter‹ (Ikbal) aus gelangen die Reisenden an die Gestade Ardistans und müssen sich von dort emporarbeiten, und zwar sowohl räumlich als auch innerlich, um irgendwann das ›neue goldene Zeitalter‹ zu erreichen. Die Sozialstrukturen der Völker, mit denen die Reisenden in Kontakt kommen, verfeinern sich mehr und mehr, doch ist diese fortschreitende Kultivierung keineswegs nur positiv zu sehen, denn sie bringt eine Reihe von unerwünschten Begleiterscheinungen mit sich. May redet keineswegs einem puren Evolutionismus das Wort; die primitive Kultur der Ussul, der ›Urmenschen‹, stellt keinen zu überwindenden Zustand dar, sondern hat ebenso ihre Existenzberechtigung wie die ›höherentwickelten‹ Kulturen der Tschoban oder Ardistans. Daß sich May die Ussul als Pfahlbauern denkt, ist dabei kein Zufall, denn seit in den 1860er Jahren die ersten Pfahlbauten entdeckt wurden, wurde über diese Kulturform lebhaft diskutiert.122 Auch die Öffentlichkeit wurde damit, wenn auch oft auf sehr unwissenschaftliche Weise, konfrontiert.123 Die Pfahlbauern wurden damals als die älteste Kultur der Menschheit, zumindest in Mitteleuropa, aufgefaßt.


Keine von allen bis jetzt gemachten vorgeschichtlichen Entdeckungen war von so grosser wissenschaftlicher Bedeutung, als die der Pfahlbauten; denn an ihren einstigen Stellen wurden zahlreiche Gegenstände aller Art (...) gefunden. (...) Ausserdem beweisen diese Funde, dass hier die ersten Menschen sich angesiedelt hatten, welche das kostbare Gut, die menschliche Kultur, in das Land gebracht haben.124


Die erste Begegnung mit der Kultur der Ussul läßt den Ich-Erzähler auf eine Art Kentaur stoßen, der ihn an die Bilder Arnold Böcklins erinnert.


Seine Kentauren, sein Einhorn im »Schweigen im Walde« traten mir in die Erinnerung, als ich das Wesen, oder vielmehr das Doppelwesen erblickte, welches mich ganz in derselben Weise anstaunte, wie es von mir angestaunt wurde. Oder waren es zwei verschiedene Wesen, von denen das eine auf dem anderen saß? Ja, richtig! Ein


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Reiter! Aber was für einer! ... bei näherer Betrachtung konnte ich die Idee nicht von mir weisen, daß diese zoologische Merkwürdigkeit den entfernten Zweck verfolgte, ein Pferd zu sein. ... Ganz besonders erwähnenswert an dieser auffälligen Kreatur waren die Augen und der Schwanz. ... Viel Haare aber waren es jedenfalls nicht, und das Wenige, was man sah, war mit einer solchen Kruste von Schorf, Grind und Unrat überzogen, daß man viel eher an einen verunglückten Biberschwanz als an das edle Behänge eines Pferdes denken konnte. ... Er [der Schwanz] hing nicht still, sondern regte und rührte sich immerfort, und zwar meist im Kreise. Es sah ganz so aus, als ob ein unsichtbarer Musikant das Pferd für einen Leierkasten und den Schwanz für den Drehling halte. ... Von ganz derselben Rastlosigkeit waren auch die beiden Augen. »Augen« ist eigentlich Uebertreibung, es muß »Aeuglein« heißen. Sie waren viel, viel zu klein für den Koloß, dessen Körper das Fleisch von zwei ausgewachsenen Ochsen in sich vereinigte. Diese Aeuglein waren ganz unbegreiflich ruhelos. Es erschien fast als unmöglich, sagen zu können, wohin sie schauten. Nach rechts, nach links, nach oben, nach unten, nach hüben, nach drüben, überallhin schauten sie, und zwar, wie es schien, in demselben Augenblick. Man sah immerfort das Weiße des Augapfels. Das wirkte so außerordentlich ungewohnt, so pfiffig, ja fast beängstigend. Es sah aus, als ob in diesem dicken, plumpen, ungeschlachten Körper eine Seele wohne, die während ihres früheren Lebens irgend einem Tausendkünstler oder Geheimpolizisten angehört habe. Gleich beim ersten Blick, den man auf diese überall allgegenwärtigen Aeuglein warf, mußte man sich sagen: Mit dieser Bestie darf man nur in Liebe verkehren, über das Ohr hauen läßt sie sich nicht.125


Auf gewisse Weise ist der zugehörige Reiter ähnlich gestaltet. Alles an ihm ist riesenhaft, er ist von oben bis unten behaart, die Augen sind dagegen zu klein geraten.


Die Augen dieses Mannes konnten, genau wie diejenigen seines Pferdes, nur als »Aeuglein« gelten; sie waren viel zu klein für diese Hünengestalt, für diesen Riesenkopf und für dieses breite Gesicht, über dessen Haarwald sich eine zwar niedrige, aber außerordentlich kräftige Stirn erhob.126


Pferd und Reiter sind nur sehr lose miteinander verbunden, was dem Pferd eine große Bewegungsfreiheit einräumt. Erstaunlicherweise erfahren wir, daß diese humoristische Schilderung gar nicht ›heiter‹ gemeint sei.


Man denke ja nicht, daß es in der Absicht dieser Beschreibung liegt, Roß und Reiter lächerlich zu machen. Ich habe ganz im Gegenteile zu konstatieren, daß die ungewöhnlichen Formen beider mich zwar überraschten, doch keineswegs nach der heiteren, sondern nur nach der ernsten Seite hin. Die Doppelfigur, die vor mir stand, machte den Eindruck der aufrichtigen, ungekünstelten Natürlichkeit, der ungeschmälerten Kraft, der unbedingten Furchtlosigkeit, der überstrotzenden Gesundheit und - last not least - jener geraden, unbekümmerten Gutmütigkeit, die allen ihrem Ursprung noch ziemlich nahestehenden Wesen eigen ist. »Ursprung«, ja, das war das richtige Wort für die Vorstellung, die man sich bei dem Anblicke dieses Mannes und dieses Pferdes machte.127


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Im weiteren Verlauf der Handlung wird sich herausstellen, daß der Reiter ein sehr friedfertiger Mann ist, der für den Krieg nur Krüppel übrig hat. »Man kann sich doch ganz unmöglich große Kosten machen, um Leute zu erhalten, die im Grunde genommen nur dazu da sind, Andere umzubringen!«128

   Der Vergleich von Pferd und Reiter mit Böcklins ›Kentaurenkämpfen‹, einem Motiv, das er von 1871 bis 1878 mehrfach umgesetzt hat,129 paßt dabei nicht nur optisch, also in bezug auf den visuellen Eindruck, zu der Gestalt des Ussul-Scheiks (Abb. 2).


Sind zunächst Elemente der Phantasie und der Wirklichkeit noch gleichmäßig verteilt, indem ein blonder ›Recke‹ (später ein ›Neger‹) den Kampf gegen die Kentauren aufnimmt, läßt sich hierbei das literarische Thema des mythischen Streits zwischen Kentauren und Lapithen rekonstruieren, sind darüber hinaus noch landschaftliche Präzisionen erkennbar, so scheint man diesen Kampf auch als blutigen Streit, der mit dem Schwert noch verschärft wird, ansehen zu können (...). (Der Kampf) verlagert sich in der letzten Fassung (...) auf eine andere Ebene, indem die Szenerie nur noch von einer Partei allein, den Kentauren bestimmt wird, die sich in nahezu ohnmächtiger Wut und Kraft bekriegen. Ein Sinn ist nicht mehr auszumachen, das Objekt des Kampfes fehlt. Die Demonstration martialischer Kraft, die zudem ihre Opfer schon links und rechts gefordert hat, wird zur erstarrenden Pose der Sinnlosigkeit von Kampf in einer Natur, die eine irdische Lokalisierung fast unmöglich gemacht hat (...). (...) das klassisch anmutende Thema kräftestrotzender Männlichkeit und Kriegsgerassels, das durch die steigende ›Historisierung‹ des Gemäldes vom ›blonden Heroen‹ zum ›antiken‹ Kentaurenkampf eine geschichtliche Legitimierung von Kampf vermuten ließe, fällt als zwar tödliches, doch hohles ›Kriegsspiel‹ in sich zusammen.130


Abb. 2: Arnold Böcklin: Kentaurenkampf, 1872/73, Leinwand 105 x 195 cm, aus: Krimmel, wie Anm. 130, Band 2, Kat-Nr. 70



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Böcklins ›Kentaurenkampf‹ paßt sich auf diese Weise sehr gut in den pazifistischen Anspruch von ›Ardistan und Dschinnistan‹ ein,131 und zwar sowohl in der Grundaussage als auch in dem subtilen Spiel mit Gegenbildern.132 Der Hinweis auf Böcklins 1885 entstandenes Gemälde ›Das Schweigen des Waldes‹ zielt auf die Umdeutung ins Märchenhafte eines überlieferten Bild- und Gedankengutes,133 denn das Einhorn ist als Bildmotiv seit dem Mittelalter populär. Zwar zeigt das Gemälde eine Reiterin, doch dies widerspricht nicht unbedingt der Darstellung der ›Doppelfigur‹. Hier überwiegt bei May in der Assoziation wohl die Bildkomposition.


R. Andree verweist in diesem Zusammenhang auf das Märchenhafte der Darstellung und den bühnenbildähnlichen Charakter des Bildaufbaus (...). Bezeichnend auch der schmale schneisenartige Ausblick aus dem Waldesinneren in einen hellen Horizont, ein kompositorisches Motiv, das in Böcklins Werk des öfteren wirkungsvoll eingesetzt wird.134


Auch hier haben wir es wieder mit einem Mayschen Gegenentwurf zu tun. Der Blick des Ich-Erzählers fällt vom Hellen ins Dunkle, von der Lichtung, auf der er sich befindet, in den Wald hinein, aus dem der Reiter kommt.

   Wie der Ich-Erzähler erfährt, heißt das Pferd ›Smihk‹, ›Der Dicke‹, und hat sein Eigenleben. Mit Vorliebe schleicht es sich von hinten an, um das Gesicht abzuschlecken, und bekommt dann eine Ohrfeige, die es als Liebesbeweis auffaßt. Es gab gar keinen Zweifel darüber, daß dieses Urpferd zugleich auch ein Gemütspferd war!135 Der Reiter heißt Amihn und ist »... der oberste Scheik des unbesiegbaren Stammes der Ussul.«136 Amihn entspricht in seinem Äußeren landläufigen Vorstellungen vom urgeschichtlichen Menschen. Wir denken hier an die älteren Rekonstruktionen des Neandertalers, die auch heute noch durch die populären Schriften verbreitet werden und einen stark bebarteten Mann mit hohen Stirnwülsten zeigen.137 Doch ist dieser Aspekt nicht ausschlaggebend. Amihn steht ganz in der Tradition der Mayschen Protagonisten, bei denen die rohe Kraft überwiegt, die aber einem geschmeidigen Kara Ben Nemsi, Old Shatterhand, Winnetou oder ›Fürst des Elends‹ nicht gewachsen sind. Wir denken hier z. B. an den Riesen Bormann in ›Der Verlorne Sohn‹ oder an Nedschir Bei in ›Durchs wilde Kurdistan‹.


Seine Hände waren fast noch einmal so groß als die meinigen. Diese Breite der Schultern! Ich stand fast wie ein Zwerg vor ihm! Er faßte mich hüben und drüben an den Oberarmen und drehte mich zweimal um mich selbst. Ich ließ mir dies ruhig gefallen, doch nicht etwa aus Angst, o nein! Hier stand der Körper dem Geiste, die rohe, ungefügige Kraft der geschulten Ueberlegung, der Muskel dem Gehirn gegenüber, und wer da schließlich die Oberhand behalten mußte, das kam gar nicht erst in Frage.138


Zwar gelingt es dem Ich-Erzähler problemlos, diesen ›Goliath‹ zu besiegen, doch bekommt die Figur im weiteren Verlauf eine neue Dimension. Wäh-


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rend die oben genannten kraftvollen Riesen Bormann und Nedschir Bei ihre Familien mit Gleichgültigkeit und teilweise sogar Grausamkeit behandeln, hat Amihn in seiner Gattin Taldscha eine kluge Beraterin, vergleichbar in etwa mit dem Verhältnis zwischen Halef und Hanneh im ersten Band des ›Silberlöwen‹.


Es waren neunzehn Männer und nur eine Frau. Von den ersteren fehlte also nur der Scheik, und von den letzteren war es höchst wahrscheinlich nur seiner Frau gestattet, an so wichtigen Vorkommnissen teilzunehmen. ... Als dieser [Amihn] mir den Kosenamen seiner Frau, Taldscha, sagte, hatte ich erwartet, daß ich später über ihn lachen werde; aber sonderbar, nun ich diese Frau vor mir stehen sah, fand ich nicht den geringsten Grund zur Ironie. Im Gegenteil! Die Frau machte Eindruck auf mich, und zwar in einer Weise, die mir anfänglich als ein Rätsel erschien und erst nach und nach begreiflich wurde.139


Taldscha bedeutet ›Schneeglöckchen‹, und angesichts ihres Äußeren, das insgesamt als harmonisch einzustufen ist, kommt der Ich-Erzähler zu dem Eindruck, daß der Name passend sei.


Frisch, rein, unbefleckt, natürlich, lauter, so war der Eindruck, den ich gleich beim ersten Blick auf sie von ihr erhielt, und da kam mir der Vergleich, der in ihrem Namen lag, gar nicht unpassend vor.140


Es ist nicht nur diese äußere Sauberkeit, die den Namen als passend erscheinen läßt. Das Schneeglöckchen ist die erste Pflanze, die es am Ende des Winters schafft hervorzusprießen. Es kündigt also den Frühling bereits dann an, wenn noch Schnee liegt. Im übertragenen Sinne ist es also ein Symbol der Hoffnung auf bessere Zeiten.


Da stand sie jetzt, nur der Zauberer neben ihr, einige Schritte hinter ihnen zunächst fünf Männer, die übrigen dann noch weiter seitwärts oder zurück. Hierin lag für mich der Beweis, daß die Frau, wenigstens in Abwesenheit des Scheiks, die Gebieterin war, wenn auch unter Beihilfe des Zauberpriesters. Später erfuhr ich, daß sie auch den Scheik zu beherrschen wußte und daß dieser nichts tat, ohne sich vorher mit ihr besprochen zu haben. Sie war geliebt und verehrt als eine Art höheres und besseres Wesen und genoß den Ruf, nur das Gute zu wollen und nie etwas Böses getan zu haben.141


Wenn über jemanden eine öffentliche Meinung besteht, so steht er oder sie ›im Geruche‹, dieses oder jenes zu sein oder zu tun. Mag dieses ›im Geruche‹ auch mehr mit ›Gerücht‹ zu tun haben, May nimmt es wörtlich und stattet Taldscha mit einem ganz charakteristischen Duft aus.


Später bemerkte ich, daß ein leiser, feiner, wohltuender Duft von dieser Frau ausging, ein Duft der Gesundheit, der Lebenskraft, der immerwährenden Verjüngung, ein seelischer Zwang, in ihrer Gegenwart Alles, was nicht gut ist, zu vermeiden.142


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Dieser Duft stammt aus Sitara, und Taldscha hat ihn von der Frau des Zauberpriesters erhalten, deren Vorfahren von dort stammen.


»Ich stamme aus Sitara, wo man den Krieg nicht kennt und jedes Wort ein Wort der Liebe und Versöhnung ist. ... du Land der Seelen, Land der Liebe, Land der - - -«

   »Der Sternenblumen!« fiel ich ein. ...

   »Was weißt denn du von ihnen?«

   »Daß Taldscha nach ihnen duftet; nur wußte ich nicht, woher. Jetzt aber weiß ich es: Sie ist deine Freundin. Dir ist dieser Dufthauch angeboren. Sie hat ihn von dir!«143


Die Frau mit dem Blumennamen und dem Blumenduft weist zurück nach Sitara, dem vergangenen ›goldenen‹ Zeitalter, sie lebt mitten im niedrigsten, tiefsten Ardistan144 ihren Mitmenschen ›das Gute‹ vor, wird damit zu einer Verfechterin des ›Gesetzes von Dschinnistan‹ und weist dadurch auf das zu erreichende ›neue goldene Zeitalter‹ voraus - so wie das weiße Schneeglöckchen vom Frühling kündet.

   Das Gesetz von Dschinnistan wird aber nicht nur durch Taldscha und die Priesterin zu den Ussul getragen, es gibt auch einen männlichen Vertreter, den ›Dschirbani‹, Sohn eines Dschinnistani und der Tochter der Priesterin. In ihm vereinigen sich also Sitara (körperliche Verwandtschaft) und Dschinnistan (seelische Verwandtschaft). Zwangsläufig ist er derjenige, der bei den Auseinandersetzungen mit den Tschoban und dem Mir von Ardistan die Fäden in der Hand hält. Der Ich-Erzähler und Halef spielen zwar eine tragende Rolle, doch sind sie keineswegs diejenigen, die alles unter Kontrolle haben. Zunächst ist der Dschirbani, der ›Räudige‹, noch in einem Stachelzwinger gefangen, er wird von Bluthunden bewacht. Der Ich-Erzähler befreit ihn und verwandelt bei dieser Gelegenheit die scheinbaren Bestien in die friedlichen Tiere, die sie eigentlich sind.


Er war von außerordentlich hoher, imponierender Gestalt. Sein langsamer Gang und seine Haltung waren von einem ganz eigenartigen, charakteristischen Stolz. Seine Kleidung bestand aus einem weiten, bequemen Ha¿k, der um die Hüften durch einen schmalen Ledergürtel zusammengefaßt wurde. Sein Kopf war unbedeckt. Ein starkes, fast übervolles Haar hing ihm weit über den Rücken herab. Die Züge seines edel geschnittenen Gesichtes waren von einer ganz eigenartigen, fast augenfälligen Schönheit. Einen Bart trug er nicht. ... Wie er, den Blick zur Erde gesenkt, so allmählich sich der Pforte näherte, hatte es den Anschein, als ob seine Gestalt mit jedem Schritte immer höher und breiter, immer bedeutender und eindrucksvoller werde. Ob dies nur in seiner Persönlichkeit lag oder zum Teil auch mit in der örtlichen Perspektive, das fragte ich mich nicht. Ich nahm die Wirkung in mir auf, ohne nach ihren Ursachen und Gründen zu forschen.145


So wie der Dschirbani perspektivisch beim Näherkommen immer imposanter wird, nimmt im Romanverlauf seine Bedeutung für die Handlung zu. Mit der Befreiung des Dschirbani und der Entdeckung, daß der Ich-Erzähler ein


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Bote Marah Durimehs ist, beginnt die eigentliche Handlung, die wir an anderer Stelle bereits als Vollziehung einer Prophezeiung und zugleich als Gegenwelt zum wilhelminischen Deutschland beschrieben haben.146

   Männliches und weibliches Prinzip gehören in ›Ardistan und Dschinnistan‹ auf Seiten der ›Guten‹ unbedingt zusammen. Der Scheik ist ohne Taldscha weitestgehend handlungsunfähig, der Dschirbani hat in seiner Großmutter und in Taldscha zwei zwar heimliche, aber aufrichtige Freundinnen. Der Ich-Erzähler und Halef erhalten jeweils zwei Hunde, und zwar jeder einen Rüden und ein Weibchen, Aacht und Uucht (Bruder und Schwester) und Hu und Hi (Er und Sie), vier weitere ›Symboltiere‹, die auf die Harmonisierung von weiblichen und männlichen Eigenschaften hinweisen. Am ›Paß der Gefahr‹ treffen sie auf Abd el Fadl und Merhameh, Vater und Tochter, die sie dort erwarten, um ihnen zu helfen.


Indem ich ihm [dem Weg] langsam folgte, dachte ich an das junge, schöne, unendlich sympathische Wesen, welches soeben in meinen Gesichtskreis getreten war. Sie hieß Merhameh, »die Barmherzigkeit«, und gehörte dem uralten, berühmten Geschlecht der Fadl, zu Deutsch »der Güte« an. ... Und jetzt sollte ich so ganz unvermutet einen Abd el Fadl kennen lernen, der ein Abgesandter des Mir von Dschinnistan war und gegenwärtig mit seiner Tochter hier auf dem Felsentore wohnte!147


Diese Inkarnation der Barmherzigkeit ist ein junges Mädchen, was wohl nur in zweiter Linie mit dem Geschlecht des deutschen Wortes zu tun hat. Die Barmherzigkeit ist ebenso wie die Güte, die uns bereits in ›Und Friede auf Erden!‹ entgegengetreten ist, eine weiblich gedachte Eigenschaft. Darum ist es logisch, daß der Merhameh zur Seite gestellte Mann ein ›Diener der Güte‹ ist.


Abd el Fadl war von hoher, edler Gestalt. Seine ruhigen, sichern Bewegungen verrieten Charakterfestigkeit und Klarheit über sich selbst. Sein Gesicht war das eines Mannes von schon über sechzig Jahren, der innerlich aber noch Jüngling ist. Die Familienähnlichkeit mit seiner schönen Tochter war nicht zu verkennen. Er besaß alle ihre Züge, nur daß die seinen ausgeprägter, gereifter, fester waren. Sowohl aus ihnen wie aus seinen Augen, seiner Stimme, seinem ganzen Wesen sprach der Ausdruck einer Güte, einer duldsamen Mäßigung und einer wohlwollenden Ritterlichkeit, die mich sofort für ihn gefangen nahmen, und zwar nicht etwa nur für diesen ersten, kurzen Augenblick, sondern für immer.148


Die Güte und die Barmherzigkeit sind zwar verwandte Eigenschaften, doch immerhin recht unterschiedlich und ohne die Strenge nicht zu denken. Das wird nach der Einschließung der Tschoban im ›Paß der Gefahr‹ deutlich. Merhameh reicht dem gefangenen Scheik einen Schlauch voll Wasser für dessen Pferd.


»Hat sich die himmlische Barmherzigkeit in irdische Form gekleidet? Oder ist hier Merhameh der Name eines wirklichen Menschenkindes?«


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   »Ich bin wirklich!« antwortete sie. »Mein Vater hat mich so genannt. ... Er heißt Abd el Fadl.« ...

   »Etwa gar Abd el Fadl, der Fürst von Halihm, der das berühmte Gelübde tat? ... Darf ich ihn sprechen?«

   »Nein. Sein Name sagt, was er ist und was er will. Er kennt keine andere Herrscherin als nur die Güte allein, der es verboten ist, mit Menschen zu verkehren, die rauben und morden und Blut vergießen wollen. Es gibt nur Zwei, die mit euch reden können, nämlich die Strenge und die Barmherzigkeit.«

   »Die Barmherzigkeit bist du. Und wer ist die Strenge? Wer gebietet hier? Warum hält man uns auf? Man scheint das Felsenloch besetzt zu haben und uns nicht weiterlassen zu wollen. Wer ist es, der das tut?«

   »Das bin ich!« erklang es neben Merhameh.

   Der Dschirbani war von seiner hohen Stelle herabgestiegen und neben Merhameh getreten. Er glich in seiner edlen Haltung, seiner vornehmen Art, sich zu bewegen, und seinem ledernen Gewande einem Winnetou in Riesengestalt, und mit der herabwallenden Haarmähne einem noch nicht ganz gezähmten Löwen.149


Die Tschoban haben also die Wahl zwischen Barmherzigkeit und Strenge als Gesprächspartner und wählen erstere. Der Ich-Erzähler ist über dieses Ansinnen erstaunt, gleich darauf aber gern bereit anzuerkennen, daß Merhameh ihrer Aufgabe mehr als gewachsen ist.


Wie konnte er ein derartiges Verlangen an ein so junges, unerfahrenes Mädchen stellen? So fragte ich mich. Aber Merhameh antwortete sofort, und wie! Weder der Dschirbani noch ich hätten es besser machen können.150


Wenn die Barmherzigkeit spricht, müssen die Helden schweigen, so können wir diese Aussage interpretieren. Betrachten wir die Frauen des Spätwerks in der Reihenfolge ihrer Entstehung, so führt ein direkter Weg von Hanneh über Schakara zu Merhameh. Das Überraschungsmoment, wenn sie sich einmischen, ist bei allen drei Frauen gleichermaßen zu beobachten, doch Merhameh sticht durch ihre Rednergabe dermaßen hervor, daß der Ich-Erzähler sich völlig hinter sie zurücknimmt.


Das war nicht gemacht, das war angeboren; das war Talent oder vielleicht gar Genie. Ich habe viele hervorragende, ja sogar große Redner gehört; nie aber hörte ich in der unbeschreiblich hinreißenden, unbezwingbaren, zugleich überzeugenden und beseligenden Weise sprechen, in der Merhameh zu sprechen pflegte, wenn ihr das, was sie sagte, aus eigenem Herzen kam. Heut hörte ich sie zum ersten Male, und zwar unter erschwerenden Umständen. ... Später habe ich sie noch oft, sehr oft gehört, unter Verhältnissen von viel günstigerer Resonanz, und niemals ist es mir eingefallen, etwa an ihrer Stelle einen Andern sprechen zu lassen oder das Wort gar selbst zu ergreifen.151


Die Figur der Merhameh hat May so beschäftigt, daß er ihr eine eigene Novelle gewidmet hat, die 1910 im ›Eichsfelder Marien-Kalender‹ des Verlags


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Cordier in Heiligenstadt erschien und in der das oben beschriebene Rednertalent eine wesentliche Rolle bei der Konfliktlösung spielt.152

   Der personifizierten Güte begegnen wir in ›Winnetou IV‹ gleich in doppelter Gestalt, in Form von Mutter und Tochter. Die Mutter erscheint zunächst indirekt, als Teil einer Erzählung Max Pappermanns, der sie vor Jahrzehnten am Kanubisee traf. Aus Liebe zu ihr beschützt er Wakon, Aschtas zukünftigen Mann, vor dem Weißen Tom Muddy (der sich im nachhinein als Santer entpuppt) und bekommt durch dessen Schuß ein zur Hälfte blau gefärbtes Gesicht. Bei Aschta harmonieren ebenso wie bei Yin, Taldscha und Merhameh Äußeres und Inneres miteinander.


»Sie war in weiche, weißgegerbte Tierhaut, mit roten Fransen verziert, gekleidet, und ihr langes, dunkles Haar hing, mit Blumen und Kolibris geschmückt, weit über den Rücken herunter. ...

   Sie zog mich an wie ein Magnet, dem man nicht widerstehen kann. ... Sie sah mich nur an. Aber mit so großen, offenen, erwartungsvollen Augen! In diesen Augen lag dieselbe Sonne, die dort im Osten aufgegangen war. ... Aber anstatt höflich zu sein und zu grüßen, beging ich die größte Unhöflichkeit, indem ich sie fragte: ›Wie heißest du?‹ Sie antwortete: ›Ich heiße Aschta!‹ Das kam mir zunächst wie ein Kosename vor; später aber erfuhr ich, daß Aschta ein wirkliches Indianerwort ist und so viel wie ›Güte‹ bedeutet. Also, sie hieß ›die Güte‹, und das war sie auch. Ich habe sie niemals anders als still, fromm, wohltätig, rein und gütig gesehen. Kein Flecken war je an ihrem Gewande, und kein unlauteres Wort ist je über ihre Zunge gekommen.«153


Die Siedlung am Kanubisee bildete eine Friedenstätte ... an der sich Rot und Weiß, Freund und Feind treffen durften, ohne den Ausbrüchen des Hasses unterworfen zu sein.154 Aschtas Mann Wakon ist der Schüler eines berühmten Medizinmannes und lebt nur für die Wampums und alten Schriften. Insofern weist die Siedlung voraus auf den Clan Winnetou und die zugehörige Stadt am Mount Winnetou. Doch offensichtlich war die Zeit damals noch nicht reif für eine solche Friedensstätte, denn nach einigen Jahren ist die Siedlung zerstört.


»Die Seneca waren von einer Bande weißer Buschklepper überfallen und getötet worden bis auf den letzten Mann. Von ihnen allen lebte nur noch Aschta, weil sie den See verlassen hatte, um dem Siou Ogallallah zu seinem Stamme zu folgen.«155


Die Güte mußte also weichen, doch zerstört werden kann sie nicht. Und getreu dem Grundsatz, daß gleiche Ursachen auch gleiche Wirkungen erzielen, trifft die Reisegesellschaft, bestehend aus dem Ich-Erzähler, dem Herzle, dem Jungen Adler und Max Pappermann, am Kanubisee Aschta, die Jüngere. Diese ist das Ebenbild ihrer Mutter.


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Und links von uns, wo die Büsche bis ganz nahe an das Ufer traten, der hohe, weiße, glattgewaschene Stein, und auf ihm stehend - - - eine junge Indianerin, genau, ganz genau so, wie Pappermann sie uns gestern am Abend beschrieben hatte ...156


Die Parallelität der Ereignisse geht sogar so weit, daß auch die jüngere Aschta am Kanubisee ihrem zukünftigen Ehemann begegnet, dem Jungen Adler. Beide sind Mitglieder des Clan Winnetou und vertrauen sich sofort blindlings, obwohl sie zu verfeindeten Stämmen gehören.


Daß seine [des Clans Winnetou] Ziele eminent friedliche waren, konnte man schon aus der Stammesangehörigkeit der beiden Mitglieder ersehen, die ich jetzt kannte: ein Apatsche und eine Siou Ogallallah, also zweien Nationen angehörig, die sich unbedingt als Todfeinde zu betrachten hatten!157


Aschta, der Älteren, begegnet die Reisegruppe am Nugget Tsil. Sie ist die Anführerin von einer ganzen Reihe von Frauen, die zum Clan Winnetou gehören und auf dem Weg zum Mount Winnetou sind. Die Mutter war beinahe fünfzig Jahre alt, aber immer noch schön, und zwar von jener Schönheit, an welcher die Seele nicht weniger Anteil hat als der Körper.158 Begleitet werden die Indianerinnen vom Komitee für den Denkmalsbau, von dem die Reisegruppe des Ich-Erzählers sich vertreiben läßt, doch nicht, ohne vorher zu beweisen, daß nicht die Furcht sie forttreibt. Und wieder sind es die Frauen, denen bei den zu erwartenden Auseinandersetzungen eine wesentliche Rolle zukommt.


»Diese ältere Aschta, die Frau Wakons, hat mir imponiert. Sie ist ein Charakter, eine groß angelegte Frau. Kein einziges von all den Komiteemitgliedern reicht geistig an sie heran. Die ist wahrlich nicht nach dem Mount Winnetou unterwegs, um dort Suffragettenreden zu halten! Die weiß, was sie will! Aber sie sagt es nicht; das imponiert mir ganz besonders! Indem du dich vertreiben ließest, hast du dir in ihr eine Helferin gewonnen, die nicht zu unterschätzen ist.«

   »Ja,« lachte ich fröhlich, »es wird eine Amazonenschlacht zwischen ihr und dem Komitee!« Ich bin außerordentlich gespannt auf die Entwickelung, ... an der wir als Mitwirkende sehr eng beteiligt sind.«159


Diese Mitwirkung an den Ereignissen findet in drei Paarungen statt: Aschta, die Ältere, mit ihrem Mann Wakon, der Ich-Erzähler alias Mr. Burton mit dem Herzle und Aschta, die Jüngere, mit dem Jungen Adler. Ergänzt wird dieses Personal durch Max Pappermann, der als Kontaktmann zu den Brüdern Enters fungiert, und durch Intschu-Inta, der dieselbe Funktion in bezug auf die Mitglieder des ›Clan Winnetou‹ hat. Das überholte Prinzip des Dominant-Männlichen, des Kriege(r)s wird durch die vier alten Häuptlinge der Kiowa, Komantschen, Sioux Ogallallah und Utahs vertreten.


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»Sie denken nur an die Vergangenheit und sind unfähig, die Gegenwart zu begreifen. Zog man früher in den Krieg, so tat man das in einzelnen Trupps, nicht aber gleich in der Stärke von tausend Mann. Und diese Trupps waren leicht zu erhalten und zu pflegen. ... Wer da glaubt, in der alten Weise verfahren zu können, der ist verloren. Mein Bärentöter hängt daheim. Mein Henrystutzen und meine Revolver stecken im Koffer. Sie haben sich überlebt. Was aber tun Kiktahan Schonka und Tusahga Saritsch? Sie sind ausgezogen mit tausend Sioux und tausend Utahs. Mit Leuten und Pferden, die keine Spur von Kriegsgewohnheit besitzen. Und, vor allen Dingen, ohne den nötigen Proviant! Nun sind sie gezwungen, bei den Kiowa und Komantschen zu betteln. Wo aber haben die ihre Fleisch- und Brotvorräte? Sie haben nichts! Auch sie werden ausziehen zu zwei Tausenden, zusammen also wahrscheinlich viertausend Mann und viertausend Pferde, ohne den mitzuschleppenden Troß! ... Es braucht kein einziger von ihnen erschossen oder erstochen zu werden. Sie kommen vor Hunger um, vor Hunger und Durst, alle, alle! Indem ich sie hier an uns vorbeireiten sehe, ist es mir, als ob sie nicht Körper seien, sondern verschmachtete Seelen, die nach dem Jenseits ziehen, um dort in ihren leeren, ewigen Jagdgründen vollends zu verhungern!«160


Diese Feinde wollen den Ich-Erzähler zwingen, mit ihnen zu kämpfen, ihn zurückholen in die alten Zeiten. Doch gerade diese Verwurzelung der Feinde bietet den Vorteil. Da die Häuptlinge noch an die Macht der Medizin glauben, genügt »eine einzige Handbewegung«161 des Herzle, die Häuptlinge zu vernichten. Sie übergibt die vorher aus dem ›Haus der Medizinen‹ entwendeten Medizinen, die der Ich-Erzähler auf sein Herz plaziert, so daß die Häuptlinge ihn nicht erschießen können, ohne ihre Heiligtümer und damit ihr ewiges Leben zu vernichten. Männliches und weibliches Prinzip gemeinsam überwinden also ein weiteres Mal das rein männliche Prinzip, und das natürlich auf friedliche Weise. Die Protagonisten starten einen sehr friedlichen Gegenangriff, indem sie zunächst alle Häuptlinge zu einem Galadiner einladen.


Es gab da zwei Punkte, an die ich mit großer Spannung dachte. Der eine war, ob Old Surehand und Apanatschka erscheinen würden oder nicht. ... Der andere Punkt betraf das Mahl und das ganze Arrangement dieses sehr wichtigen, festlichen Empfanges. ... Ich bat Wakon, mir beim Empfange der Gäste ebenso beizustehen, wie seine Aschta meinem Herzle im Backen und Braten Hilfe leistete. Er war gern einverstanden.162


Das Festmahl dient als Einleitung für die Gründung eines Lesezirkels, bei dem Winnetou selbst sprechen soll, und zwar durch sein Testament.


»Ja, das ist Winnetou, Winnetou selbst! Wenn wir heut abend den vorlesen, wird er sich riesengroß und riesenstark in uns erheben und alle Gegner aus dem Felde schlagen. Ich fühle ihn schon in mir, mild, ernst, rein, keusch und edel, nur aufwärts strebend zur irdisch möglichsten Vollkommenheit. Das wird ein herrliches, ein schöp-


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ferisches Entstehen in uns selbst. Davon soll meine Squaw nicht ausgeschlossen sein. Ich nehme Achta mit!«

   »Und auch mich!« bat das Herzle. »Oder ist es uns Frauen verboten, mit anwesend zu sein?«

    »Eigentlich ja«, antwortete ich. »Aber niemand wird wagen, euch zurückzuweisen. Es handelt sich nicht um eine Häuptlingsversammlung, denn Young Surehand und Young Apanatschka sind auch geladen. Wo diese sein dürfen, dürft auch ihr erscheinen.«163



Noch einmal: Die Frau im Manne


Der Textbefund des Spätwerkes zeigt überdeutlich, welchen Stellenwert das weibliche Prinzip für May bekommen hat. Die kontinuierliche Emanzipation Hannehs kennzeichnet dabei den schleichenden Abschied vom omnipotenten Helden. Die konsequente und gleichberechtigte Einbeziehung der weiblichen Protagonisten in alle Handlungsabläufe beweist, daß wir Hanneh nicht als singuläre Erscheinung, sondern als Präzedenzfall zu betrachten haben. Zwei Faktoren sind dabei auseinanderzuhalten: Die steigende Bedeutung der Frauen für die Handlung und die Entdeckung des weiblichen Anteils in den Männern bzw. des männlichen Anteils in den Frauen.

   Die Harmonisierung des weiblich-seelischen und des männlich-geistigen Elementes in den ProtagonistInnen schlägt sich dabei immer in der Physiognomie nieder, weil die Seele das Äußere des Körpers formt. Wenn wir bedenken, wie vehement May in seinen letzten Lebensjahren darauf bestanden hat, daß auch seine früheren Werke bereits ›symbolisch‹ gemeint gewesen seien, und wenn wir weiter bedenken, welche Bedeutung die Physiognomie bereits in den 1890er Jahren für die Darstellung der charakterlichen Entwicklung der Protagonisten hatte, so wollen wir zum Abschluß fragen, ob sich nicht vielleicht doch in älteren Romanen Indizien finden lassen, die auf eine solche Harmonisierung des weiblichen und des männlichen Prinzips in einer Person hinweisen. Aus naheliegenden Gründen können solche Kontinuitäten nur bei Personen auftreten, die sowohl in den Reiseerzählungen als auch im Spätwerk vorkommen. Angesichts des augenfälligen Abschieds vom omnipotenten Helden beschränken wir uns hierbei auf Old Shatterhand und Winnetou.

   In ›Und Friede auf Erden!‹ spielt ein anonym verbreitetes Gedicht des Ich-Erzählers mit dem Anfang ›Tragt Euer Evangelium hinaus‹ eine wesentliche Rolle. Dem chinesischen Arzt und Psychologen Tsi gibt dieses Gedicht ein unlösbares Rätsel auf.


»Es klingen aus ihm so sanfte, reine Töne, als wehe in ihm ein Hauch aus jenem unbekannten Lande herüber, von welchem uns ein süßes Märchen erzählt, daß dort der Völkerfriede wohne. Ich frage mich vergeblich, ob es von einem Manne oder


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von einer Frau verfaßt worden ist. Der geistige Aufbau läßt auf eine männliche Logik schließen, aber die Seele, welche aus ihm spricht, kann keine andere als nur eine weibliche sein.«164


Der Ich-Erzähler hat also diese Harmonisierung erfolgreich vollzogen. Bei ihm fallen physiognomische Beschreibungen weg, weil dies eine Selbstbeobachtung benötigen würde, die literarisch kaum zu leisten wäre. Entsprechend fällt der physiognomische Hinweis aus der Zeit vor dem Spätwerk dürftig, aber durchaus bezeichnend aus. Als der Ich-Erzähler im ersten Band des ›Silberlöwen‹ versucht, den Snuffles begreiflich zu machen, daß er wirklich Old Shatterhand ist, weisen diese ihn lachend zurück: »Das ist ja eine Frauenhand. So weiche Finger hatte unsere Tante selig.«165 Da nun die Hand eines Menschen ... das genaueste Abbild seines Innern166 ist, symbolisiert dieser kurze Hinweis den weiblichen Anteil an Old Shatterhand, und damit die einsetzende Abwendung vom omnipotenten Helden.

   Winnetou im Spätwerk auftreten zu lassen gleicht einem Anachronismus. Aber Karl May wäre nicht Karl May, wenn er nicht einen eleganten Weg fände, dieses Dilemma zu lösen, ohne den Spiritismus bemühen zu müssen.167 Zum einen ist da der Dschirbani, der als eine Art Reinkarnation aufgefaßt wird. Er glich in seiner edlen Haltung, seiner vornehmen Art, sich zu bewegen, und seinem ledernen Gewande einem Winnetou in Riesengestalt ....168 Zum anderen spricht Winnetou selbst durch sein Testament, das im Lesezirkel am Mount Winnetou vorgelesen wird.


»Ich bin Winnetou. Man nennt mich den Häuptling der Apatschen. Ich schreibe für mein Volk. Und ich schreibe für alle, die da Menschen sind auf Erden. Manitou, der Große, der Allgütige, breite seine Hände aus über dies mein Volk und über alle, die es ehrlich mit ihm meinen!« ...

   Ein voller, inhaltsreicher Lapidarstil war meinem unvergleichlichen roten Bruder eigen gewesen, wie stets im Sprechen, so auch hier im Schreiben. Das wuchtete. Das hob empor! Und das riß hin! ... Es entstand die Seele des Knaben Winnetou, die Seele der einstmals jungen, roten Rasse. Sie entwickelte sich; sie wuchs. Die Schicksale Winnetous waren die Schicksale seiner Nation. ... Ich saß der offenen Tür grad gegenüber. Als ich zwischen den Zeilen einmal aufblickte, sah ich eine Gestalt, welche draußen vor der Tür, im Freien, erschien. Sie kam nicht herein. Sie setzte sich draußen nieder, um zuzuhören. Die Gestalt war jung. Ich konnte ihr Gesicht nicht erkennen. Das Haar hing ihr lang und voll über den Rücken herab. War es Winnetou? Hatte er sich aus jener anderen Welt herniedergelassen, um dabei zu sein, wenn sein Vermächtnis laut zu sprechen begann?169


Es ist natürlich nicht Winnetous Geist, sondern der Junge Adler, der sich diesen Platz erwählt hat, der Repräsentant des beginnenden neuen Zeitalters. Dieses ist durch den Clan Winnetou gekennzeichnet, dessen erstes Mitglied der Junge Adler ist.

   Es stellt sich die Frage, wann die Verwandlung Winnetous vom vollendeten Krieger zur Seele der roten Rasse begann oder, um den obigen terminus tech-


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nicus zu verwenden, wann sich bei ihm männliches und weibliches Element harmonisiert haben. Bereits Franz Kandolf hat in den 1920er Jahren auf die Entwicklung Winnetous, weg vom skalpjagenden und -tragenden, älteren Sioux hin zum jugendlichen und friedfertigen Apatschen, hingewiesen.170 Der Winnetou des ›Winnetou I‹ (1893) ist ebenso wie der der Jugenderzählungen eine vergleichsweise statische Erscheinung, deren äußere Attribute stets fast gleichlautend beschrieben werden, doch bereits in ›Die Felsenburg‹ (1893 im ›Deutschen Hausschatz‹; Buchausgabe ›Satan und Ischariot‹ 1896/97) ändert sich das Bild des bisher stoischen Helden entscheidend. Hier entwickelt Winnetou eine ausgeprägte und beredte Gebärden- und Gestensprache.171 In ›Am Jenseits‹ (1899), das schon oben als ›Übergangswerk‹ gekennzeichnet wurde, berichtet der Ich-Erzähler dann darüber, daß es nicht Winnetous Allwissenheit (der Geist = das männliche Prinzip), sondern oft seine Ahnungen (die Seele = das weibliche Prinzip) sind, die ihn in allen Situationen so überlegen erscheinen lassen. Er hat die Fähigkeit, seine Schutzengel zu sehen, ist also ein ähnlicher ›Grenzgänger‹ zwischen Jenseits und Diesseits wie der Missionar Waller, nur in positiver Ausprägung.


Winnetou, der nüchternste, der hell- und scharfdenkendste aller roten Männer, war gewiß kein Phantast, aber zuweilen, wenn wir miteinander im nächtlichen Dunkel lagen, rings von Gefahr umgeben, da geschah es, daß er die Hand hob, um grüßend rundum zu winken, und als ich ihn einst fragte, warum er das thue, antwortete er:

   »Mein weißer Bruder frage nicht. Wir sind beschützt, das mag dir genügen!«

   Und ehe ihn die tödliche Kugel traf, war er von einer ganz bestimmten Todesahnung ergriffen, die leider auch in Erfüllung ging. Ahnung sage ich, denn er sprach sich nicht deutlich aus; ...

   »Wenn man in Gefahr ist und ihn [Manitou] um Hilfe bittet, so sendet er seine Krieger herab, die für uns kämpfen. Mein weißer Bruder nennt diese Freunde Engel; ich sage Krieger, denn das Leben ist ja stets nur Kampf. Du hast auch zuweilen nicht Engel, sondern Schutzengel gesagt und nur von einem gesprochen; ich aber weiß, daß mehrere bei mir sind, so oft ihr Beistand nötig ist.«

   »Woher weißt du das?« fragte ich.

   »Wenn ich sie sehe, grüße ich sie; also weiß ich es, denn was man sieht, das ist gewiß! Ich werde auch wissen, wenn ich sterbe; sie sagen es mir. ... Du wirst dich wohl schon oft gewundert haben, daß ich in Gefahren etwas ganz Unterwartetes that, was keinen Grund zu haben schien und uns doch errettete. Du schriebst es meiner Klugheit zu, aber ich handelte nur nach dem Willen derer, die du Schutzengel nennst. Vielleicht kommt die Zeit, daß ich dir mehr über sie sage. Jetzt muß ich selbst noch lernen und erfahren, denn es ist nicht leicht, sie zu verstehen, und sehr oft irre ich mich noch. Es könnte jeder Mensch empfinden, was der große Manitou ihm durch die Engel sagt, wenn er mehr auf sich und ihre Stimme achtete und sich befleißigte, sie nicht dadurch zu betrüben und von sich fortzustoßen, daß er Böses thut.«172


Dieses ausgewogene Gleichgewicht zwischen weiblichen und männlichen Eigenschaften, zwischen Logik und Ahnung präsentiert sich uns bereits in


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›»Weihnacht!«‹ (1897), verhüllt in eine Beschreibung seiner physiognomischen Eigenschaften.


Einem jeden, der Winnetou nicht gekannt hat, muß dieser Eindruck seiner Persönlichkeit, wenn auch nicht unerklärlich sein, so doch als höchst ungewöhnlich vorkommen, aber der berühmte Häuptling der Apatschen war auch weit mehr als bloß ein ungewöhnlicher Mann. ... es lag ganz allein nur in seiner Personalität, in der Gesamtheit seiner Vorzüge, seinen geistigen und seelischen Eigenschaften, welche in seiner fehlerlosen männlichen Schönheit eine köstliche Verkörperung gefunden hatten, daß sein Erscheinen überall, wohin er kam, Bewunderung erregte und dabei zugleich jene niemals ausbleibende Ehrerbietung erweckte, deren sofortige Folge stets der unwillkürliche Gehorsam ist.173


In diesem Sinne interpretieren wir den so oft zitierten174 Schwung seiner halbvollen, ich möchte sagen, küßlichen Lippen, welche der süßesten Schmeicheltöne ebenso wie der furchterweckendsten Donnerlaute, der erquickendsten Anerkennung gleichso wie der schneidendsten Ironie fähig waren175 als physiognomisches Abbild dieser Harmonie, und nicht als Symbol einer wie auch immer gearteten Homosexualität.176 Seine Rednergabe ist nur der Merhamehs vergleichbar.


Seine Stimme besaß, wenn er freundlich sprach, einen unvergleichlich ansprechenden, anlockenden gutturalen Timbre, den ich bei keinem andern Menschen gefunden habe und welcher nur mit dem liebevollen, leisen, vor Zärtlichkeit vergehenden Glucksen einer Henne, die ihre Küchlein unter sich versammelt hat, verglichen werden kann; im Zorne hatte sie die Kraft eines Hammers, welcher Eisen zerschlägt, und, wenn er wollte, eine Schärfe, welche wie zersetzende Säure auf den festesten Gegner wirkte. Wenn er, was aber sehr selten und dann nur bei hochwichtigen oder feierlichen Veranlassungen geschah, eine Rede hielt, so standen ihm alle möglichen Mittel der Rhetorik zur Verfügung. Ich habe nie einen besseren, überzeugenderen, hinreißenderen Redner gehört als ihn und kenne nicht einen einzigen Fall, daß es einem Menschen möglich gewesen wäre, der Beredsamkeit des großen, unvergleichlichen Apatschen zu widerstehen.177


Vielleicht ist es an der Zeit, das Wort vom ›Bruch‹ im Werk zu überdenken ...



Der vorliegende Aufsatz basiert auf einem gleichnamigen Vortrag, gehalten am 23. 9. 1999 auf dem 15. Kongreß der Karl-May-Gesellschaft in Hohenstein-Ernstthal.



1 Otto Eicke: Die Frauengestalten Karl Mays. In: Karl-May-Jahrbuch 1922. Radebeul bei Dresden 1921, S. 55-88

2 Heinz Stolte: Der Volksschriftsteller Karl May. Radebeul 1936


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3 Otto Forst-Battaglia: Karl May. Traum eines Lebens - Leben eines Träumers. Bamberg 1966

4 Viktor Böhm: Karl May und das Geheimnis seines Erfolges. Gütersloh 1979

5 Werner Tippel/Hartmut Wörner: Frauen in Karl Mays Werk. Sonderheft der Karl-May-Gesellschaft (S-KMG) Nr. 29/1981, S. 21

6 Karl May: Die Liebe des Ulanen. In: Deutscher Wanderer. 8. Bd. (1883-85); Reprint Bamberg 1993 (die ›Luxusausgabe‹ des Reprints gibt auf dem Einband das Umschlagbild der Lieferungsausgabe ›Karl May's illustrierte Werke‹ wieder); zum gängigen Frauenbild vgl. z. B.: Beatrix Schmaußer: Blaustrumpf und Kurtisane. Bilder der Frau im 19. Jahrhundert. Stuttgart 1991.

7 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XIX: Old Surehand III. Freiburg 1896, S. 179-184; Reprint Bamberg 1983

8 Gudrun Keindorf: Schöne Männer und schmutzige Frauen. Physiognomische Phänomene als Elemente der Charakterbildung in Karl Mays ›Satan und Ischariot‹. In: Karl Mays »Satan und Ischariot«. Hrsg. von Dieter Sudhoff/Hartmut Vollmer. Paderborn 1999, S. 144-179

9 Als Ausnahme könnte man hier mit einigem Recht die weiblichen Angehörigen der Auswandererzüge nennen, die in diversen Erzählungen gerettet werden müssen. Doch sind diese Auswanderer in der Regel eine von den Helden zu rettende ›Masse‹. Frauen wie ›Rosalie Ebersbach, geborene Morgenstern, verwitwete Leiermüllerin‹ aus ›Der Oelprinz‹ (1893) dienen eher der humoristischen Bereicherung, als daß sie wirklich handlungstragend wären. Auch Miss Ella, genannt Bowie-Pater, aus ›Die Juweleninsel‹ (1881), kann nicht unbedingt als Ausnahme gesehen werden, da sie ja im ›Wilden Westen‹ als Mann agiert.

10 Hans Wollschläger: Erste Annäherung an den ›Silbernen Löwen‹. Zur Symbolik und Entstehung. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 1979. Hamburg 1979, S. 99-136 (106-110)

11 Vgl. z. B.: »Denken heißt Grenzen überschreiten«. Beiträge aus der sozialhistorischen Frauen- und Geschlechterforschung. Eine Festschrift zum 60. Geburtstag von Marie-Elisabeth Hilger. Hrsg. von Elke Kleinau/Katrin Schersahl/Dorion Weickmann. Hamburg 1995; Mensch sein als Frau, als Mann. Hrsg. von R. Battegay/U. Rauchfleisch. Basel/Berlin 1995; Hilde Schmölzer: Der Krieg ist männlich. Ist der Friede weiblich? Wien 1996; Gender and History in Western Europe. Hrsg. von Robert Shoemaker/Mary Vincent. London u. a. 1998; Differenzen in der Geschlechterdifferenz - Differences within Gender Studies. Hrsg. von Kati Röttger/Heike Paul. Berlin 1999 (= Münchener Universitätsschriften. Geschlechterdifferenz Literatur. Publikationen des Münchener Graduiertenkollegs. Hrsg. von Gerhard Neumann/Ina Schabert. Band 10); Männlich - Weiblich: Zur Bedeutung der Kategorie Geschlecht in der Kultur. 31. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde (Marburg 1997). Hrsg. von Christel Koehle-Hezinger. Münster 1999.

12 Ich danke Hans Grunert, Karl-May-Museum Radebeul, für die Durchsicht der entsprechenden Werke.

13 Die nachstehend in Klammern angegebenen Nummern beziehen sich auf Karl Mays handschriftlichen Bibliothekskatalog. Die vollständige Titelerfassung entstammt einer Datenbank des Karl-May-Museums. Carl Gustav Carus: Vergleichende Psychologie oder Geschichte der Seele in der Reihenfolge der Tierwelt. Wien 1866 (= Nr. 962, von Klara May erfaßt); Franz Engel: Das Sinnen- und Seelenleben des Menschen unter den Tropen. Berlin 1874 (= Nr. 842, von Klara May erfaßt); F. E. Güntzel: Was lehrt die Natur über das Schicksal unserer Seele? Leipzig o. J. (= Nr. 2231, von Klara May erfaßt); G. v. Langsdorff: Der geistige Körper unserer Seele. Leipzig o. J. [1895] (= Nr. 355); Rudolf Müller: Hypnotismus und objektive Seelenforschung. Leipzig o. J. [1897] (= Nr. 389); Emil


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Schaarschmidt: Die Unsterblichkeit der Menschenseele. Leipzig 1892 (= Nr. 2063, von Klara May erfaßt); J. H. Schmick: Die Unsterblichkeit der Seele naturwissenschaftlich und philosophisch begründet. Leipzig 1886 (= Nr. 2206, von Klara May erfaßt); J. H. Schmick: Geist oder Stoff? Leipzig 21889 (= Nr. 2226, von Klara May erfaßt).

14 Jnazo Nitobe: Bushido. Die Seele Japans. Tokio 1901 (= Nr. 1290, von Klara May erfaßt); an diesem Band sind nur fünf Seiten am Anfang aufgeschnitten.

15 C. F. Flemming: Beiträge zur Philosophie der Seele. 1. und 2. Band. Berlin 1830 (= Nr. 2292, von Klara May erfaßt); Wilhelm Jerwitz: Zum Trost. Worte über das Fortleben der Seele. Dresden 21884 (= Nr. 2209, von Klara May erfaßt); Emanuel Swedenborg: Tractat von der Verbindung der Seele mit dem Körper. o. O., o. J. [1776] (= Nr. 1358); Wilhelm Wundt: Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele. Hamburg 1906 (= Nr. 2375, von Klara May erfaßt).

16 Gustav Theodor Fechner: Nanna oder über das Seelenleben der Pflanzen. Leipzig 1848 (= Nr. 1142); Ludwig Zoeller: Grundzüge einer neuen Glaubens-, Seelen- und Lebenslehre. Zweibrücken 1907 (= Nr. 2214, von Klara May erfaßt). Im Band: Wilhelm Ehrenthal: Das Kutschkelied auf der Seelenwanderung. Leipzig 71871 (= Nr. 842) ist anzunehmen, daß die Anstreichungen auf May zurückgehen. Das Buch gibt Übersetzungen des Liedes ›Was kraucht nur dort im Busch herum? Ich glaub', es ist Napolium‹ in allen möglichen Sprachen wieder, wovon May an verschiedenen Stellen Kostproben gibt, so. z. B. arabisch als »Fid-dagle ma tera jekun? Chammin hu Nabuliun« (Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. I: Durch Wüste und Harem. Freiburg 1892, S. 118; Reprint Bamberg 1982).

17 Emil Lobedank: Der Stammbaum der Seele. Halle/Saale 1907 (= Nr. 1549, von Klara May erfaßt), die Anstreichungen auf S. 69f. behandeln das Thema ›Seelenblindheit‹, gemeint ist eine psychische Sperre, in deren Folge der Betroffene nichts sieht, obwohl keine physiologische Indikation vorliegt. Auf dem hinteren Innendeckel hat May Sujet. 69. 70 vermerkt; ferner: Engelbert Lorenz Fischer: Der Großgeist das höchste Menschenideal. Berlin 1908 (= Nr. 1328, von Klara May erfaßt). Hier interessiert May sich besonders für die Passagen, die sich mit Toleranz, Kritikfähigkeit und Genialität des Geistes beschäftigen, hier S. 22f., 38, 41, 46f., 92f., 150, 196, 224.

18 Konversationsbüchlein (kleines Notizbuch) aus dem Beweismaterial des Münchmeyer-Prozesses, mit Eintragungen von Mays Hand (Nachlaß), zitiert nach: Hans Wollschläger: Karl May als Leser. In: Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Supplemente Bd. 2: Katalog der Bibliothek. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Bargfeld 1995, S. 125-135 (131)

19 Joachim Kalka: Werkartikel ›Im Reiche des silbernen Löwen I-II‹. In: Karl-May-Handbuch. Hrsg. von Gert Ueding in Zusammenarbeit mit Klaus Rettner. 2. erweiterte und bearbeitete Auflage. Würzburg 2001, S. 236-240 (236) - mit den ›Statisten aus der Orientreise‹ sind wohl solche aus dem Orientzyklus gemeint, z. B. Sir David Lindsay, Ingdscha, Mersinah.

20 Vgl. Keindorf: Männer, wie Anm. 8.

21 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXVI: Im Reiche des silbernen Löwen I. Freiburg 1898, S. 12f.; Reprint Bamberg 1984

22 Ebd., S. 19

23 Ebd., S. 83

24 Ebd., S. 138

25 Ebd., S. 113

26 Ebd., S. 132

27 Ebd., S. 259

28 Ebd., S. 267

29 Ebd., S. 268


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30 May: Durch Wüste und Harem, wie Anm. 16, S. 263

31 Ebd., S. 256

32 Ebd., S. 308

33 Ebd., S. 309

34 Ebd., S. 405

35 Ebd., S. 495

36 Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. III: Von Bagdad nach Stambul. Freiburg 1892, S. 354f.; Reprint Bamberg 1982

37 May: Im Reiche des silbernen Löwen I, wie Anm. 21, S. 269

38 Ebd., S. 284f.

39 Vgl. die ›Wekila‹ von Kbilli: Ich blickte auf und bemerkte eine kleine dicke, weibliche Gestalt, welche vom Eingange her mit möglichster Anstrengung auf uns zuge - - kugelt kam. ... Ich blickte in ein farbloses, mattes, verschwommenes Frauenangesicht, welches so fett war, daß man die Augen kaum und das Stumpfnäschen beinahe gar nicht unterscheiden konnte. Madame Wekil war vielleicht vierzig Jahre alt, hatte aber die Folgen dieses Alters durch hochgemalte schwarze Augenbrauen und rotangestrichene Lippen zu paralysieren gesucht. May: Durch Wüste und Harem, wie Anm. 16, S. 69-71. - Im weiteren Gespräch verspricht die Dame Kara Ben Nemsi Gerechtigkeit. Da wollte sich mir die Ueberzeugung aufdrängen, daß der Pantoffel im Oriente dieselbe zauberische Kraft besitzt, wie im Abendlande. Ebd., S. 72. - Die Wekila greift öffentlich in die Amtshandlungen ein und untergräbt damit die Autorität ihres Gatten. Auch Halef erkennt diese Situation und erklärt: »Sie ist der Wekil und er die Wekila, und wir stehen uns hier besser am Giölgeda wekülanün, im Schatten der Statthalterin, als wenn wir ein Bu-Djeruldu hätten und der Giölgeda padischahnün, der Schatten des Großherrn, uns beschützte. Hamdullilah, Preis sei Allah, daß ich nicht so glücklich bin, der Wekil dieser Statthalterin zu sein!« Ebd., S. 82

40 May: Im Reiche des silbernen Löwen I, wie Anm. 21, S. 285

41 Ebd., S. 286f.

42 Vgl. hierzu Wolfgang Hammer: Karl Mays Aussagen über die Seele der Frau im Islam. In: Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft (M-KMG) 107/1996, S. 6-12.

43 May: Im Reiche des silbernen Löwen I, wie Anm. 21, S. 372f.

44 Ebd., S. 374f.

45 Ebd., S. 387

46 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXV: Am Jenseits. Freiburg 1899, S. 3f.; Reprint Bamberg 1984

47 May: Durch Wüste und Harem, wie Anm. 16, S. 309

48 May: Am Jenseits, wie Anm. 46, S. 12

49 Ebd., S. 10-12

50 Ebd., S. 267

51 Ebd.

52 Ebd., S. 268

53 Ebd., S. 276

54 Ebd., S. 286f.

55 Ebd., S. 287-289

56 Ebd., S. 382-384

57 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXVIII: Im Reiche des silbernen Löwen III. Freiburg 1902, S. 301f.; Reprint Bamberg 1984

58 Ebd., S. 311

59 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXVII: Im Reiche des silbernen Löwen II. Freiburg 1898, S. 552; Reprint Bamberg 1984

60 May: Im Reiche des silbernen Löwen III, wie Anm. 57, S. 303

61 Ebd., S. 304


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62 Ebd., S. 570f.

63 Ebd., S. 574f.

64 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXIX: Im Reiche des silbernen Löwen IV. Freiburg 1903, S. 588f.; Reprint Bamberg 1984

65 Gudrun Keindorf: »Ich bin Schakara, welche du vom Tode errettet hast.« Überlegungen zu Identifikation und Identität. In: M-KMG 104/1995, S. 3-7

66 May: Im Reiche des silbernen Löwen IV, wie Anm. 64, S. 219

67 May: Im Reiche des silbernen Löwen II, wie Anm. 59, S. 566

68 Freundlicher Hinweis von Dr. Hermann Wohlgschaft

69 Hld 3,1-3,4. Die Bibel, nach der Übersetzung Martin Luthers. Stuttgart 1985 (Bibeltext in der revidierten Fassung von 1984). Hrsg. von der Evangelischen Kirche in Deutschland.

70 May: Im Reiche des silbernen Löwen II, wie Anm. 59, S. 613

71 May: Im Reiche des silbernen Löwen IV, wie Anm. 64, S. 9

72 Ebd., S. 9f.

73 Ebd., S. 67

74 Das Droschkengleichnis weist in eine ähnliche Richtung. Vgl. Hermann Wohlgschaft: Mays Droschkenparabel und das Enneagramm oder Die Gottesgeburt in der Seele des Menschen. In: Jb-KMG 1999. Husum 1999, S. 297-359.

75 May: Im Reiche des silbernen Löwen IV, wie Anm. 64, S. 219

76 Ebd., S. 189

77 Ebd., S. 162f.

78 May: Im Reiche des silbernen Löwen III, wie Anm. 57, S. 463

79 Ebd., S. 464

80 Ebd., S. 464f.

81 May: Im Reiche des silbernen Löwen IV, wie Anm. 64, S. 218

82 Ebd., S. 387f.

83 Ebd., S. 594

84 May: Im Reiche des silbernen Löwen I, wie Anm. 21, S. 603

85 Ebd., S. 606

86 Ebd., S. 606f.

87 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXXIII: Winnetou IV. Freiburg 1910, S. 238; Reprint Bamberg 1984

88 May: Im Reiche des silbernen Löwen IV, wie Anm. 64, S. 233f.

89 Vgl. oben Einleitung; Keindorf: Männer, wie Anm. 8.

90 May: Im Reiche des silbernen Löwen III, wie Anm. 57, S. 270

91 May: Im Reiche des silbernen Löwen I, wie Anm. 21, S. 404f.

92 May: Im Reiche des silbernen Löwen II, wie Anm. 59, S. 383

93 Ebd., S. 384f.

94 May: Im Reiche des silbernen Löwen III, wie Anm. 57, S. 518f.

95 Ebd., S. 587

96 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XX: Satan und Ischariot I. Freiburg 1897, S. 24; Reprint Bamberg 1983

97 May: Im Reiche des silbernen Löwen III, wie Anm. 57, S. 630

98 May: Im Reiche des silbernen Löwen IV, wie Anm. 64, S. 552

99 Ebd., S. 551

100 Ebd., S. 552

101 Ebd., S. 553

102 Ebd., S. 632

103 Ebd., S. 620f.

104 Ebd., S. 632

105 May: Im Reiche des silbernen Löwen II, wie Anm. 59, S. 489

106 Ebd., S. 550f.


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107 May: Winnetou IV, wie Anm. 87, S. 323

108 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXX: Und Friede auf Erden! Freiburg 1904, S. 138; Reprint Bamberg 1984

109 Ebd., S. 147

110 Ebd., S. 215f.

111 Vgl. Johanna Bossinade: Das zweite Geschlecht des Roten. Zur Inszenierung von Androgynität in der ›Winnetou‹-Trilogie Karl Mays. In: Jb-KMG 1986. Husum 1986, S. 241-267.

112 May: Und Friede auf Erden!, wie Anm. 108, S. 265

113 Ebd., S. 265f.

114 Ebd., S. 342

115 Ebd.

116 Dieser Begriff ist Ende des 19. Jahrhunderts überaus populär und weitverbreitet, May ist wohl kaum das einzige Opfer dieser fragwürdigen Beurteilung. »Die Kriminalanthropologie des Turiner Psychiaters Cesare Lombroso stellt eine regelrechte Zoologie des Verbrechens dar. Lombroso behauptet, daß etwa ein Viertel aller Verbrecher den Typus des ›uomo delinquente‹, des geborenen Verbrechers bilden, der durch anatomische, biologische und psychologische Abnormitäten atavistischer Natur gekennzeichnet ist (daher seine Verwandtschaft mit Kindern und mit Wilden von ›niedrigeren Rassetypen‹). (...) Psychische Symptome seiner Degeneration sind unter anderem der moralische Irrsinn und die Epilepsie, die sich auch bei der Vermessung seines Schädels und bei der Sektion seines Gehirns feststellen lassen sollen.« Martin Stingelin: Der Verbrecher ohnegleichen. Die Konstruktion ›anschaulicher Evidenz‹ in der Criminal-Psychologie, der forensischen Physiognomik, der Kriminalanthropometrie und der Kriminalanthropologie. In: Physiognomie und Pathognomie. Zur literarischen Darstellung von Individualität. Festschrift für Karl Pestalozzi zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Wolfram Groddeck/Ulrich Stadler. Berlin/New York 1994, S. 113-133 (129); vgl. Hartmut Wörner: Vom »geborenen Verbrecher«. In: M-KMG 78/1988, S. 3-9; Claus Roxin: Ein ›geborener Verbrecher‹. Karl May vor dem Königlichen Landgericht in Moabit. In: Jb-KMG 1989. Husum 1989, S. 9-36.

117 Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg o. J. (1910), S. 72f.; Reprint Hildesheim/New York 1975. Hrsg. von Hainer Plaul

118 May: Old Surehand III, wie Anm. 7, S. 2

119 May: Und Friede auf Erden!, wie Anm. 108, S. 460

120 Ebd., S. 238

121 »Für Novalis dagegen liegt der Prozeß der Geschichte zwischen jenem Urzustand der Menschheit, der durch kindliche Unschuld und märchenhaften Einklang der Natur- und Geisterwelt gekennzeichnet ist, und jenem ersehnten Endzustand der Menschheit, der diese Unschuld und diesen Einklang auf höherer Stufe wiederherstellen und die Schranken von Zeit und Ewigkeit aufheben soll. (...) Die ›höhere Welt‹ ist daher allein noch in der Vergangenheit und in der Zukunft wirksam; sie deutet durch die ›Erinnerung‹ auf eine goldene Vorzeit und durch die ›Hoffnung‹ auf eine goldene Endzeit hin (...). In der Gegenwart hingegen ist das Paradies ›verstreut‹, ist die ursprüngliche und die kommende Einheit des Lebens zerfallen und feindselig in gegenständliche Teilbereiche zersplittert (...).« Hans-Joachim Mähl: Die Idee des goldenen Zeitalters im Werk des Novalis. Studien zur Wesensbestimmung der frühromantischen Utopie und zu ihren ideengeschichtlichen Voraussetzungen. Heidelberg 1965, S. 305f.

122 K. D. Hassler: Die Pfahlbaufunde des Überlinger Sees in der Staatssammlung vaterländischer Alterthümer zu Stuttgart. Ulm 1866 (= Veröffentlichungen des Vereins für Kunst und Alterthum in Ulm und Oberschwaben, Band 17); Reinhold Pallmann: Die Pfahlbauten und ihre Bewohner: eine Darstellung der Cultur und


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des Handels der europäischen Vorzeit. Greifswald 1866; Rudolf Virchow: Über Hünengräber und Pfahlbauten: nach zwei Vorträgen im Saale des Berliner Handwerkervereins, gehalten am 14. und 18. December 1865. Berlin 1866 (= Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge, Serie 1, Heft 1); Emil Rückert: Die Pfahlbauten und Völkerschichten Osteuropa's besonders der Donaufürstenthümer. Würzburg 1869; Jacob Heierli: Der Pfahlbau Wollishofen. Zürich 1886 (= Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Band 22,1)

123 Vgl. z. B.: Die Pfahlbauer - Komische Oper in 3 Aufzügen von Josef Laugs. Musik von Wilhelm Freudenberg. Vollständiger Klavierauszug vom Komponisten. Leipzig und Zürich 1906.

124 Eugen von Tröltsch: Die Pfahlbauten des Bodenseegebietes. Stuttgart 1902, S. 5

125 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXXI: Ardistan und Dschinnistan I. Freiburg 1909, S. 66-68; Reprint Bamberg 1984; tatsächlich ist der Titel des Gemäldes ›Das Schweigen des Waldes‹.

126 Ebd., S. 69

127 Ebd., S. 69f.

128 Ebd., S. 296

129 Vgl. Rolf Andree: Arnold Böcklin. Die Gemälde. Basel/München 1977 (Œuvrekataloge Schweizer Künstler. Bd. 6), Kat.-Nr. 263-266, 322.

130 Gert Reising: Arnold Böcklins »Subjektive Historienmalerei« und die Krise des Historismus. In: Arnold Böcklin 1826-1901: Ausstellung zum 150. Geburtstag, Darmstadt 23. Okt. bis 11. Dez. 1977. Redaktion Bernd Krimmel. 2 Bände. Darmstadt 1977, Band 1, S. 82-105 (96)

131 Vgl. Heinz Stolte: Karl Mays ›Ardistan und Dschinnistan‹ und sein Weltfriedensgedanke. In: Jb-KMG 1988. Husum 1988, S. 83-98.

132 May dürfte sich Böcklin auch durch die gemeinsame Begeisterung für das Fliegen verbunden gefühlt haben. Vgl. Heinz Winfried Sabais: Böcklins Traum vom Fliegen. In: Arnold Böcklin, wie Anm. 130, Band 1, S. 140-143.

133 Andree, wie Anm. 129, Kat.-Nr. 388, S. 460

134 Eva Huber: Wirklichkeit und Utopie. Katalognummern 68-84. In: Arnold Böcklin, wie Anm. 130, Band 2, S. 156-187 (Kat.-Nr. 84, Text S. 186)

135 May: Ardistan und Dschinnistan I, wie Anm. 125, S. 73

136 Ebd., S. 70

137 Vgl. z. B.: Die Neandertaler von Salzgitter-Lebenstedt. Hrsg. von Gerd Biegel. Braunschweig 1998, S. 7, S. 11.

138 May: Ardistan und Dschinnistan I, wie Anm. 125, S. 71

139 Ebd., S. 125f.

140 Ebd., S. 127

141 Ebd.

142 Ebd.

143 Ebd., S. 340f.

144 May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 117, S. 8

145 May: Ardistan und Dschinnistan I, wie Anm. 125, S. 264

146 Gudrun Keindorf: »Für mich sind Sagen heilig«. Zu Idee und Programm der Sagen in ›Ardistan und Dschinnistan‹. In: Karl Mays »Ardistan und Dschinnistan«. Hrsg. von Dieter Sudhoff/Hartmut Vollmer. Paderborn 1997, S. 121-141

147 May: Ardistan und Dschinnistan I, wie Anm. 125, S. 528

148 Ebd., S. 536f.

149 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXXII: Ardistan und Dschinnistan II. Freiburg 1909; Reprint Bamberg 1984, S. 33f.

150 Ebd., S. 38

151 Ebd., S. 39


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152 Karl May: Marhameh. In: Eichsfelder Marien-Kalender. 34. Jg. (1910); Reprint in: Christus oder Muhammed. Marienkalender-Geschichten von Karl May. Hrsg. von Herbert Meier. Hamburg 1979, S. 212-219; Manuskript in: Karl May: Merhameh. Materialien aus dem Autographenarchiv der Karl-May-Gesellschaft. Wankendorf 2000; vgl.: Christoph F. Lorenz: Vom Haß zur Liebe. Karl Mays ›Marienkalender-Geschichten‹ als Dokumente der inneren Entwicklung ihres Verfassers. In: Jb-KMG 1980. Hamburg 1980, S. 97-124; Hartmut Vollmer: Merhameh. Studie zu einer Altersnovelle Karl Mays. S-KMG Nr. 44/1983; Gudrun Keindorf: Karl May, die katholische Kirche und das Eichsfeld. In: eichsfeld. Monatszeitschrift des Eichsfeldes. Heft 3/März 1999, S. 84-87.

153 May: Winnetou IV, wie Anm. 87, S. 143f.; zum Kolibrischmuck vgl. Gudrun Keindorf: ›Fliegende Edelsteine‹ - Kolibris in Mays Amerika-Erzählungen. In: M-KMG 129/2001, S. 7-20 (17f.).

154 Ebd., S. 145

155 Ebd., S. 151

156 Ebd., S. 155

157 Ebd., S. 167

158 Ebd., S. 307

159 Ebd., S. 320f.

160 Ebd., S. 358f.

161 Ebd., S. 547

162 Ebd., S. 514

163 Ebd., S. 520f.

164 May: Und Friede auf Erden!, wie Anm. 108, S. 441

165 May: Im Reiche des silbernen Löwen I, wie Anm. 21, S. 12; vgl. hierzu die fast gleichlautende Beschreibung Sternaus im ›Waldröschen‹: »... sehen Sie diese Hand, so weich wie eine Frauenhand.« (Karl May: Waldröschen oder die Rächerjagd rund um die Erde. Dresden 1882-84, S. 739; Reprint Leipzig 1988).

166 May: Im Reiche des silbernen Löwen I, wie Anm. 21, S. 405

167 Vgl. Wolfgang Hammer: Etwas zur Einschätzung des Spiritismus zur Zeit Karl Mays. In: M-KMG 122/1999, S. 5.

168 May: Ardistan und Dschinnistan II, wie Anm. 149, S. 34

169 May: Winnetou IV, wie Anm. 87, S. 522

170 Franz Kandolf: Der werdende Winnetou. In: Karl-May-Jahrbuch 1921. Radebeul bei Dresden 1920, S. 336-360

171 Vgl. Keindorf: Männer, wie Anm. 8.

172 May: Am Jenseits, wie Anm. 46, S. 340f.

173 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXIV: »Weihnacht!«. Freiburg 1897, S. 276; Reprint Bamberg 1984

174 Vgl. z. B. »Winnetou ist eine Frau!« (Peter Krauskopf: »Jedes Weib hat eine Seele«. In: M-KMG 93/1992, S. 5-10 (6)).

175 May: »Weihnacht!«, wie Anm. 173, S. 277f.

176 Arno Schmidt: Sitara und der Weg dorthin. Eine Studie über Wesen, Werk & Wirkung Karl Mays. Reprint der Erstausgabe von 1963. Frankfurt a. M. 1985, S. 83, S. 160

177 May: »Weihnacht!«, wie Anm. 173, S. 278


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