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Hans-Joachim Jürgens


Männlichkeitskonstruktionen in Karl Mays Reiseerzählungen





Das Thema ›Männlichkeit‹ ist in den letzten zwei Jahrzehnten zusehends in den Mittelpunkt sozialwissenschaftlichen Interesses gerückt und hat eine Vielzahl oftmals heftiger Kontroversen in den verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen entzündet. Diese Diskussionen haben wiederum eine Reihe von literaturwissenschaftlichen, historischen, ethnologischen, sozialwissenschaftlichen und anthropologischen Untersuchungen initiiert, die zu bemerkenswerten Ergebnissen führten. So wurde vor dem Hintergrund feministischer Wissenschaftskritik im Rahmen der Gender-Studien herausgearbeitet, daß, entgegen soziobiologischer Positionen, das soziale Geschlecht (gender) nicht durch das Körpergeschlecht (sex) determiniert wird. Vielmehr konnte festgestellt werden, daß das soziale Geschlecht aus einer Vielzahl in ständiger Wandlung begriffener Bedingungen entsteht.1 Die Analyse dieser Männlichkeit konstituierenden bzw. relativierenden Bedingungen bildet neben der Untersuchung der »verschiedenste(n) Entwürfe«2 von Männlichkeit und den aus diesen »ontoformativ(en)«3 Entwürfen resultierenden Wirkungen den Gegenstand kritischer Männerforschung.4

   Im Sinne Connells, eines der exponiertesten Vertreter sozialwissenschaftlicher Männerforschung, lassen sich Männlichkeiten als »durch das Geschlechterverhältnis strukturierte Konfigurationen von Praxis« beschreiben. »Sie sind von Grund auf historisch; und ihre Entstehung und Wiederherstellung ist ein politischer Prozeß, der das Interessengleichgewicht in der Gesellschaft und die Richtung sozialen Wandels beeinflußt.«5

   Der Historizität und Komplexität von Männlichkeiten tritt bei fortgesetzter Analyse deren Fragilität zur Seite. Verschiedene Männlichkeiten können nicht nur in einer Zeit, sondern auch in einer Gesellschaft und sogar in einem Mann nebeneinander bestehen.6

   Im folgenden soll der Weise dieses Nebeneinanderbestehens verschiedener Männlichkeiten in einigen Amerika-Reiseerzählungen Karl Mays nachgespürt werden. Angesichts der Tatsache, daß May - bei ca. 80-100 Millionen Buchkäufern und einer weit größeren Zahl von Lesern fraglos einer der erfolg- und folgenreichsten deutschen Autoren - im Begriff stand, für sich und seine Leser eine reine Männerwelt zu erschaffen, liegt es nahe, sowohl in seinen Romanen Repliken des zeitgenössischen Diskurses über Männlichkeit zu vermuten als auch aus seinem Werk erwachsende Impulse für eben diesen Diskurs anzunehmen.


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   Den Gegenstand der Untersuchung bilden die Reiseerzählungen ›Der Oelprinz‹7 und ›Old Surehand I-III‹.8 Diese Werke spielen in den Vereinigten Staaten von Amerika. Der von May aus verschiedenen zeitgenössischen Reiseberichten, Lexikonartikeln und ungezählten weiteren Versatzstücken imaginierte ›wilde Westen‹ stellt allerdings kein realitätsgetreues Abbild der westlichen Staaten der USA im 19. Jahrhundert dar, sondern erweist sich vielmehr als ein fiktives Utopia, ein Nirgendwo, in welches Karl May alias Old Shatterhand und mit ihm der Leser zu fliehen vermag.9

   Auf seiner kraft auktorialer Erzählhaltung geleiteten Reise durch die fiktionale Welt des von May ausphantasierten ›wilden Westens‹ begegnet der Leser einer Vielzahl von Männern, die als Träger unterschiedlichster Männlichkeiten fungieren. Angesiedelt zwischen den beiden Extremkonstruktionen der ›Westläufer‹-Männlichkeit Old Shatterhands auf der einen und der Oststaatler-Männlichkeit des Bankiers Rollins auf der anderen Seite, reicht die Bandbreite in Figuren vorgeführter geschlechtsbezogener Praxen von der soldatischen Männlichkeit der Kavallerieoffiziere über die Cowboy-Männlichkeit Old Wabbles bis hin zur indianischen Männlichkeit To-ok-uhs.

   Im Sinne kritischer Männerforschung gilt es zunächst exemplarisch die Männlichkeiten der ›Westmänner‹ und der ›Oststaatler‹ einer genauen Untersuchung zu unterziehen.



›Westmann‹ und ›Oststaatler‹


Ein Westmann im Sinne Mays bedarf zuoberst einer ungewöhnlichen Körperkraft, eiserne(r) Muskeln und Sehnen wie der Stahl.10 Ferner hat er sich durch ein ungeheures Maß an Willenskraft auszuzeichnen, welches ihm gestattet, eine Härte gegenüber sich und seinem Körper an den Tag zu legen, die beinahe Übermenschliches leisten läßt. So vermag der Westmann Helmers in einem Akt des Willens sowohl die Schwäche des eigenen Körpers als auch den Widerstand eines wilden Mustangs zu brechen:


Es war zunächst ein Kampf der menschlichen Intelligenz gegen die Widerspenstigkeit eines wilden Tieres, dann aber wurde es ein Kampf allein der menschlichen Muskeln gegen die tierische Kraft. Das Pferd schwitzte förmlich Schaum, es schnaubte nicht, sondern es grunzte, stöhnte; es strengte den letzten Rest seines Willens an, aber der eisenfeste Reiter [sic!] gab nicht nach; mit stählernem Schenkeldrucke preßte er das Pferd zusammen, daß diesem der Atem auszugehen drohte ...11


An Mut darf es dem Westmann natürlich ebensowenig wie an Willenskraft gebrechen. Die Gemeinschaft der Männer, oftmals eine zufällig auf Zeit verbundene Nutzgemeinschaft, getragen vom Gefühl wachsender oder neubelebter Kameradschaft, exklusiv durch das Distinktionssymbol des


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sich von Lagerfeuer zu Lagerfeuer potenzierenden Rufes, kann die Furchtsamkeit einzelner im Interesse des Gemeinwohles, für welches jeder eine gefährliche Funktion zu erfüllen hat, nicht dulden. In diesem Sinne besänftigt Old Shatterhand den Ärger seiner mutigen Kameraden über die ängstliche Flucht ehemaliger Gefährten durch die Bemerkung:


»Wir andern freuen uns darüber, daß wir sie los sind. Wir werden in Lagen kommen, wo wir ganze Männer [sic!], aber keine Memmen brauchen können. Und wenn der Ausdruck Memme zu stark sein sollte, so waren sie doch auch nicht Personen, auf welche man sich verlassen kann.«12


Als signifikantester Indikator für und Gradmesser von Männlichkeit gilt May allerdings die Kampfestüchtigkeit des Westmannes. Sie wird in den Initiationsriten, die das ›Greenhorn‹ zum ›Westmann‹ erwecken, geprüft, in Schießwettbewerben demonstriert, bei Jagden für den Ernstfall geschult und in Messer- sowie Faustkämpfen ausgelebt. Die vielgerühmte List und Umsicht des besonnenen Westmannes potenziert die Kampfestüchtigkeit via Intellekt. Als männlich erweist sich folglich, wer keine Angst zeigend, befeuert durch Kampfeslust, kraft optimierten Einsatzes seiner körperlichen und geistigen Mittel den Sieg davonträgt.13 In diesem auf Sieg und Niederlage codierten System zeigt sich der beste Kämpfer als männlichster Mann. Beschlichen und überwältigt worden zu sein, Schläge empfangen und Fehlschüsse getan zu haben demontiert die Männlichkeit des Westmanns und degradiert ihn zum belehrungsbedürftigen Greenhorn.

   Männlichkeit im Sinne Mays konstituiert sich also aus den eindeutig männlich codierten Qualitäten: Stärke, Willenskraft, Umsicht, Mut und Kampfestüchtigkeit. Dieser gleichsam ›urmännliche‹ Kern, der, obwohl essentiell gedacht, durchaus normativen14 Charakter besitzt, befeuert eine Reihe männlich konnotierter Fertig- und Tätigkeiten. So ist der Westmann in der Regel ein hervorragender Schütze, gewiefter Nahkämpfer, Meister des Fährtenlesens und begnadeter Späher. Er bestreitet seinen Lebensunterhalt durch die Jagd, lebt von vereinzelten Goldfunden oder verdingt sich von Zeit zu Zeit als Scout.

   Diese Vorstellung von Männlichkeit kennzeichnet May deutlich als Kind seiner Zeit und verweist auf die Befangenheit seines Denkens im ›polaren Geschlechtermodell‹, das infolge der als ›Kontrastprogramm‹ konzipierten psychischen ›Geschlechtseigentümlichkeiten‹ von einer naturgegebenen Prädestinierung des Mannes für den öffentlichen und der Frau für den häuslichen Bereich ausgeht.15 Willkürlich herausgegriffene Aspekte sozialer Praxen als Grundprinzipen von Männlichkeit verabsolutierend, konstruiert May so in seinen Romanen eine fraglos individuelle, aber dennoch deutliche Spuren seiner Zeit tragende Vorstellung von ›wahrer‹ Männlichkeit.

   Innerhalb der Binnenstruktur des Kompositums ›Westmann‹ bildet diese ›wahre‹ Männlichkeit essentiell-normativer Natur den semantischen Gehalt des Kernsubstantivs ›-mann‹. Das Genetivdeterminans ›West-‹ hinge-


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gen verortet das Agitationsfeld des Westmannes geographisch im ›wilden Westen‹ und konkretisiert den essentiellen Männlichkeitskern insofern, als dem ›Mann des Westens‹ vermeintliche Qualitäten eben dieses geographischen Gebietes attribuiert werden. In diesem Sinne gilt der Westmann als wild, hart und frei.

   Der ›wilde Westen‹, (j)ene weiten Prairien Nordamerikas, welche sich westlich vom ›Vater der Ströme‹, dem Missisippi, bis an den Fuß des Felsengebirges und von dem jenseitigen Abhange derselben wieder an die Küste des stillen Weltmeeres erstrecken,16 stellt in Mays Fiktion einerseits eine Welt fortwährender existentieller Bedrohung dar: Skrupellose Verbrecher, blutrünstige Indianer, wilde Tiere und unbändige Naturgewalten bedrohen den einsame(n) Jäger,17 der auf dem Rücken eines guten Pferdes die abenteuervollen Hinterländer der Vereinigten Staaten18 durchstreift.


Der Westen hat einen rauhen Sinn und duldet weder Zartgefühl noch Schonung; er ist den physikalischen Stürmen widerstandslos preisgegeben, kennt keine andre Herrschaft als diejenige des unerbittlichen Naturgesetzes und bietet darum auch nur Männern Raum, die ihren einzigen Halt in der eigenen knorrigen Naturwüchsigkeit suchen.19


Andererseits stilisiert May den ›wilden Westen‹ zu einem Reich der Freiheit, in welchem »verwegene Westmänner«,20 deren Heimat das Unterwegs ist, Heldenthaten verrichten, welche dem, was von unsern klassischen Heroen berichtet wird, getrost und vollgültig an die Seite gestellt werden21 können. May erklärt die vagierende Unabhängigkeit der von ihm erdachten Westläufer,22 die er mit dem Diktat der Konvention brechen, sich dem Regelungs- und Interventionsinteresse des Staates widersetzen und die individuelle Verfügungsgewalt über das eigene Leben einfordern läßt, in zivilisationskritischer und utopiestiftender Absicht zur Voraussetzung ›wahrer‹, ursprünglicher Männlichkeit.

   Fußend auf dem Konzept neuhumanistischer Bildung, konzipiert er den Westmann als autonome Persönlichkeit, deren Denken und Handeln im Einklang stehen und die sich jenseits gesellschaftlicher Zwänge allseitig auszuformen sucht. Individuelle Obrigkeit verfechtend, agiert der Westmann, dem Zugriff wie dem Schutz staatlicher Instanzen gleichermaßen entzogen, im quasi rechtsfreien Raum der ›dark and bloody grounds‹ je nach Lage der Dinge als Kläger, Richter, Henker, Angeklagter und Opfer des Savannengerichtes.

   Dieses Gericht gilt als frei von klassenspezifischer Präjudizierung. Soziale Unterschiede, die im sozialen Leben des als Pars pro toto für die zivilisierte Welt stehenden und ebenso fiktiven Ostens unüberbrückbar scheinen, werden im Westen Mays nivelliert, oftmals sogar umgekehrt. Das Leben im ›wilden Westen‹ offeriert daher die attraktive Möglichkeit, soziale Schranken niederzureißen und die Gleichrangigkeit aller männlichen Individuen zu realisieren. Hier zählen weder Vermögen noch Herkunft, son-


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dern es gilt einzig die kampfestüchtige Leistung eines Mannes im Moment existentieller Bedrohung. Die Kampfestüchtigkeit wird somit zum Garanten der Stellung des einzelnen in der Hierarchie der Westmänner - und Männlichkeit zur nobilitierenden Kraft. Dem Westmann Mays eignet ein ›ritterlicher‹, ein gleichsam aristokratischer Zug.

   Der ›wilde Westen‹, konzipiert als Raum fortwährender existentieller Bedrohung, der nur ein Leben im Angesichte des Todes, der dem Auge überall unverhüllt in seiner fürchterlichsten Gestalt23 entgegentritt, zuläßt, fordert im Sinne Mays von seinen Bewohnern eine archaische, essentielle Männlichkeit, verlangt nach im Kampfe mit den Elementen und in tausenderlei Gefahren gestählten Naturen.24

   Gerade dadurch aber, daß das Leben im Westen eine archaische Form der Männlichkeit erfordert, wird der Beruf des Westmannes zur Berufung, bietet er doch eine Tätigkeit, in der ein Mann noch Mann sein kann, wo die Qualitäten ›wahren‹ Mannseins noch vonnöten sind, wo ›Memmen‹ unweigerlich versagen müssen. Vor dem Hintergrund eines Glaubens an die Virilität befeuernde Wirkung der Wildnis konzipiert May für die Westmänner eine Existenz fortwährenden Abenteuers als Antipoden zu zivilisationsbedingter Verweichlichung und Feminisierung. Jede Heldentat eines Westmannes hat unter den Bedingungen des Westens existentiellen Charakter, immer geht es um Leben oder Tod.

   May begreift die Männlichkeit der »Helden des Westens«25 also zuoberst als urmännliche Summe von Kriegertugenden, die sich in einer Reihe männlich konnotierter Fertigkeiten wie Schießkunst, Fährtenlesen, Jagen, Anschleichen artikulieren und auf spezifisch männlich codierten Tätigkeitsfeldern wie Jagd und Feldzug einsetzen lassen. Der ›wilde Westen‹ bildet das ideale Umfeld zur Agitation dieser ›wahren‹, dem Kriegerkanon entsprechenden Männlichkeit:


Er wagte sich auf seinem Pferde mitten in die Büffelherde hinein. Er kämpfte mit dem Mustang, den er sich fangen und zähmen wollte; er trat selbst dem grauen Bären kühn entgegen; sein Leben war ein unaufhörlicher, aber ritterlicher Kampf mit feindlichen Verhältnissen, feindlichen Tieren und feindlichen - Menschen.26


Und doch ist die Westmänner-Männlichkeit eigentümlich gebrochen, konterkariert durch Elemente des Tragischen und Komischen. Fast allen Westmännern eignet etwas Defizitäres. So wird Old Surehand, ein moralisch integrer Vorzeigeheld gewaltiger Kraft und Größe, der aufgrund einer verwickelten Familientragödie seinen Glauben verloren hat, von rastloser Melancholie durch den Westen getrieben. Sam Hawkens, der skalpierte Ausbilder (Elementarlehrer) Old Shatterhands, »ein verteufelt feiner Pfiffikus«,27 leidet an seiner unansehnlichen Gestalt und seinen skurrilen Marotten. Auch der ältere Westmann Josua Hawley trägt schwer an einer moralischen Last, seit er vor ca. 30 Jahren im Mistake-Cañon irrtümlich den


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Apachen Tkhlisch-Lipa, der ihm aus Dankbarkeit für die Rettung seines Lebens ein Goldlager zeigte, erschoß.

   Vor den traumatisierenden Erlebnissen einer schicksalhaften Vergangenheit fliehend, unstet und getrieben, erscheinen die heldenhaften Westmänner Mays angesichts ihrer Mängel und neurotischen Unzulänglichkeiten (Grillen, Eigen- und Redensarten etc.) als vom Hauch der Melancholie umwehte Heimatlose:


Die wilde Prairie kennt keine Heimat, keinen häuslichen Herd, an welchem die Familie ihr Glück zu genießen und zu feiern vermag. Wie das Wild, vorsichtig, scheu und heimlich, jagt oder schleicht der Jäger sich über die weiten Savannen, vor, neben, hinter und um sich die Gefahr und den immerfort drohenden Tod.28


Der Preis vagierender Unabhängigkeit ist notwendig die Einsamkeit. Aus Mangel an Gelegenheit lebt der Westmann in der Regel zölibatär. In der Männerwelt des ›wilden Westens‹ treten Frauen mit wenigen Ausnahmen29 nur peripher als Objekte männlichen Schutzes, paternalistischer Zuwendung und männlicher Verletzlichkeit30 in Erscheinung. Der Westmann selbst hat keine Frau, kann keine Frau haben, denn seine unstete Lebensweise verträgt sich nicht mit der von May favorisierten Begegnung der Geschlechter, der bürgerlichen Ehe. Sind keine Kameraden vorhanden, teilen einzig Gewehr und Pferd die Einsamkeit des Westmannes:


Das Pferd war daher sein Freund, die Büchse seine Freundin. ... Er gab beiden Namen wie menschlichen Personen und sprach mit ihnen wie mit Menschen, wenn er einsam, nur mit ihnen allein sich in das Gras der Prairie oder in das Moos des Urwaldes gelagert hatte.31


Eine Rückkehr in die Zivilisation ist dem Westmann Mayscher Prägung unmöglich. Auf der Ebene faktischer Besitz- und Lebensverhältnisse unterbemittelt, im Umgang mit gesellschaftlichen Konventionen unbeholfen, geprägt durch das Leben in der Savanne, wild, gewalttätig und unzivilisiert, läßt May ihn zwangsläufig in einer durch den ›Fluch und Segen‹ der Zivilisation strukturierten Sphäre scheitern. Lebensstil, Umgangston, äußere Erscheinung und psychische Disposition verraten den Außerordentlichen, den aus der Ordnung Fallenden, dessen Glaube an individuelle Obrigkeit und Anspruch auf durch Leistung erringbare Ränge als soziale Anmaßung, als Verstoß gegen die Prinzipen einer ökonomisch, kulturell und sozial äußerst differenzierten Gesellschaft verstanden wird. Zwangsläufig muß er gegen eine Gesellschaftsordnung, die seine Männlichkeit demontiert, die ihm aufgrund seiner Herkunft und ökonomischen Ausstattung eine sozial inferiore Position zuweist, aufbegehren und damit untergehen.32 Einzig unter den historisch, kulturell und sozial spezifischen Bedingungen des von


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May imaginierten ›wilden Westens‹ vermag er zu existieren. Seine Männlichkeit ist nicht übersetzbar:


»Ein - - Sachse?« fragte Schmidt im Tone des Erstaunens, indem er Sam vom Kopfe an bis zu den Füßen herunter betrachtete. »Das ist doch gar nicht möglich! Wenn bei uns in Sachsen jemand in solcher Kleidung herumliefe, würde er auf der Stelle arretiert!«

   »Aber wir sind glücklicherweise jetzt nicht in Sachsen,« antwortete Hawkens ganz freundlich; »darum werde ich meine Freiheit wahrscheinlich behalten, wenn ich mich nicht irre. Ihr werdet hier noch ganz andre Anzüge zu sehen bekommen, als der meinige ist. Es gibt im wilden Westen nicht auf je zwanzig Schritte zehn Kleidermagazine.«33


In der fiktionalen Welt Karl Mays ist dem Westmann der Oststaatler diametral gegenübergestellt. Er repräsentiert eine gänzlich andere Form von Männlichkeit. Bereits das Gewicht des Kernsubstantivs ›-mann‹ innerhalb des Kompositums ›Westmann‹ zeigt die Bedeutung des ›Mannseins‹ im ›wilden Westen‹. Auffälligerweise wird im Werk Mays nie von einem ›Ostmann‹, sondern immer nur von Bewohnern der ›Oststaaten‹ gesprochen. Während also der ›Westen‹ nach einem ›Mann‹ verlangt, scheint im ›Osten‹ ein ›Staatsbürger‹ vonnöten.

   In diesem Sinne übt der von May imaginierte ›Oststaatler‹ einen ehrbaren Beruf aus, ist Bankier, Buchhalter oder Kaufmann und gilt als angesehener Bürger und Funktionsträger seiner Stadt. Eingebunden in gesellschaftliche Konventionen und soziale Hierarchien, agiert seine Männlichkeit in streng normierten Bahnen, im Kreis der Familie und des Geschäftes. Sein Tage- und Lebenswerk ist das gewissenhafte Anhäufen und Verzeichnen, sein Ruhm erwächst aus ordentlicher Lebensführung, beruflicher Pflichterfüllung und wirtschaftlichem Erfolg.

   Unter den Bedingungen des Mayschen ›Westens‹ erweist sich die Männlichkeit des Oststaatlers allerdings als feige, schwächlich und feminisiert. May konzipiert in der ›Surehand‹-Trilogie und der ›Oelprinz‹-Erzählung zwei Weisen des Eintritts von Oststaatlern in den ›wilden Westen‹. Zum einen erscheint der Oststaatler als Vertreter einer verweichlichten Zivilisation, der durch nutzlose Gewalt am Ruhm der ›Westmännermännlichkeit‹ zu partizipieren sucht und vom Westmann aufgrund seines feige-destruktiven Verhaltens verachtet wird:


Wenn ein Millionär, ein Bankier, ein Offizier, ein Advokat, meinetwegen auch der Präsident der Vereinigten Staaten selbst, nach dem Westen geht, ausgerüstet mit den jetzigen massenmörderischen Waffen, ängstlich behütet und bewacht von einer zahlreichen Begleitung, damit ihm ja keine Mücke in die Hühneraugen beißt [sic!], und von einem sicheren Standorte aus das Wild zu hundert Exemplaren niederknallt, ohne dessen Fleisch gegen den Hunger zu gebrauchen, so wird dieser hohe


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und vornehme Herr von dem wirklichen Westmann eben zum »Rabble«, zum Gesindel gerechnet.34


Zum anderen läßt May einige Oststaatler als formbare, da unerfahrene »Neuling(e)«35 auftreten, die die Option besitzen, unter Anleitung eines erfahrenen Westmannes via Initiation vom Greenhorn zum Westmann werden zu können. Gemeinsam ist beiden Vertretern oststaatlicher Männlichkeit allerdings das geputzte Äußere:


»Ich war ein Greenhorn, ein vollständiger Neuling, und nahm, um die erhofften Reichtümer nicht mit vielen teilen zu müssen, nur einen Begleiter mit, Ben Needler, welcher den wilden Westen ebensowenig kannte wie ich. Als wir in Eagle-Rock den Wagen verließen, waren wir ausstaffirt wie Stutzer und bepackt wie Lastesel, mit lauter schönen, guten und glänzenden Dingen, welche nur leider die Eigenschaft hatten, daß sie nicht zu gebrauchen waren.«36


Korrekte Kleidung und polierte Waffen gelten als Insignien mangelnder Nutzung und hobbyhaften Gebrauchs, degradieren den Tragenden zu einer unwürdigen Version männlichen Geschlechtes. Figurationen und Träger dieser Männlichkeit sind in Mays ›Oelprinz‹-Erzählung der Bankier Rollins und sein Buchhalter Baumgarten. Während Baumgarten, nicht zuletzt durch seine deutsche Abstammung, auf die May immer wieder rekurriert, die Anlagen zum Westmann besitzt, bleibt diese Option Rollins durch Unbeherrschtheit (aus Geldgier läßt er es an der notwendigen Umsicht fehlen) und fortgeschrittenes Alter verwehrt. Biologische Determinanten, psychische Dispositionen und Alter gelten als Aufnahme- und Ausschlußkriterien innerhalb der kraft Kriegerkanon strukturierten Welt der Westmänner.

   Eine Modifikation der oststaatlichen Männlichkeit stellt fraglos die soldatische Männlichkeit dar. Abfällig sprechen die Westmänner von den »Uniformen«37 und verweisen durch die Gleichsetzung von Dienstkleidung und Persönlichkeit auf die Existenzweise des Soldaten als fremdbestimmtes funktionalisiertes Individuum. Im System von Befehl und Gehorsam, dessen Befehlskette durch Herkunft und Dienstalter strukturiert wird, hat der Soldat in den Augen des Westmannes seine Autonomie verloren, hat aufgehört, Mensch zu sein, und ist zum willenlosen Befehlsempfänger geworden.

   Aber auch die an der Spitze der militärischen Hierarchie stehenden Offiziere gelten dem Westmann als überhebliche, für das Leben im Westen untaugliche Oststaatler. Abgehoben von der zivilen Gesellschaft, gegen jede Kritik von außen weitgehend immunisiert und durch Distinktionssymbole wie Offiziersehre und Duellpflicht sozial exklusiv, agiert der Offizier aus einer Position der Arroganz, die zwangsläufig zu einer Konfrontation mit den nach Autonomie und individueller Integrität strebenden Westmännern führen muß. Der gemeine Westmann kann in die unangenehme, aber so-


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wohl zeitlich als auch räumlich begrenzte Ausnahmesituation geraten, der Verfügungsgewalt eines Offiziers vor dem Hintergrund militärischer Operationen in der Prärie ausgeliefert zu sein. So fürchten die Westmänner Parker und Hawley im Feldlager der Kavalleristen vom Kommandanten desselben als Scouts für den Comantschenfeldzug verpflichtet zu werden:


»Bin ganz derselben Meinung,« antwortete er. »Es fehlte grad noch, gezwungen zu sein, für diese Uniformen die Kastanien aus dem Feuer zu holen und sich die Vorderpranken dabei zu verbrennen. Hätten sie doch Old Wabble festgehalten; der war der richtige Mann dazu. Mich bekommen sie nicht. Will froh sein, wenn ich hier fort bin und den Mistake-Cañon im Rücken habe.«38


Nur hervorragenden Westmännern gelingt es, militärischen Befehlshabern Paroli zu bieten. In diesem Sinne weist Sam Hawkens einen Dragoneroffizier in seine Schranken:


»Uebrigens, daß ich damals Offizier wurde, darauf gebe ich keinen leeren Kürbiskern. Zu einem tüchtigen Westmanne gehört weit mehr als zu einem Subalternoffizier, und ein Westmann bin ich, Sir; ja, der bin ich ganz gewiß, und wenn Ihr es nicht glaubt, so bin ich bereit, es Euch zu beweisen. Wollen wir uns einander gegenüberstellen, um zu erfahren, wessen Kugel ganz genau das Herz des andern trifft? Bin sofort bereit dazu, Sir, sofort, wenn Sie es wünschen!«39


Hier deutet sich bereits ein die Werke Karl Mays strukturierender Konflikt zwischen zwei Männlichkeiten an, den die westmännische Männlichkeit in der Ausprägung von Westmännern gehobenen Ranges in der Regel letztlich für sich zu entscheiden weiß: »Vielleicht wißt Ihr nun, welches Kleidungsstück mehr zu bedeuten hat, der Jagdrock eines Westmannes oder die Uniform eines Dragoneroffiziers. Nehmt das zu Herzen, und lebt wohl!«40

   Im deutschen Kaiserreich von 1871 genoß die Armee als »Staat im Staate, der sich, unter direkter königlicher Kommandogewalt stehend und mit einer eigenen Gerichtsbarkeit ausgestattet, nachdrücklich von der zivilen Gesellschaft abhob«,41 nicht zuletzt durch die erfolgreichen Kriege der 1860er und 1870er Jahre eine gesellschaftlich hochangesehene Position und galt als »›Schule der Männlichkeit‹«, an deren Vorbild sich selbst »›Ungediente‹« orientierten.42 Im Zuge der sogenannten »›sozialen Militarisierung‹«43 nistete »sich das Ideal des militärischen Mannes auch in den Köpfen von Nichtmilitärs«44 ein. Frevert führt aus, daß es für Zivilisten, zu denen fraglos auch May gehörte, als über jeden Zweifel erhabener Männlichkeitsbeweis galt, es im Duell mit Offizieren aufnehmen zu können.45 May läßt seine Westmänner diese »männliche Tat par excellence«46 wiederholt erbringen und erhebt sie somit in den Stand von ›Ehrenmännern‹.

   Die Konstruktion heldenhafter Westmänner, orientiert am Ideal des militärischen Mannes,47 stellt eine spezifisch Maysche Weise der Kritik an der


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sozialen Exklusivität des Offiziersstandes dar. Den Geschlechtscharakter der von ihm erdachten Westmänner »durch Anleihen bei den heldenhaften Siegern«48 aufpolierend, versucht May deren und damit seine soziale Ebenbürtigkeit einzuklagen.



»Hegemoniale Männlichkeit«49 im ›wilden Westen‹


Die Beziehungen zwischen den verschiedenen Männlichkeiten bzw. die Weisen ihres Aufeinandertreffens in der von May phantasierten Welt des ›wilden Westens‹ lassen sich durch Connells Konzept »hegemonialer Männlichkeit« differenziert und präzise erfassen. Hegemonie meint in diesem Zusammenhang, fußend auf dem zur Analyse von Klassenbeziehungen entwickelten Konzept von Antonio Gramsci, »nichts Statisches, Unveränderbares«,50 sondern eine »historisch bewegliche Relation«.51 Als hegemonial wird betrachtet, »was sich in einer historisch spezifischen Situation gegen konkurrierende Möglichkeiten durchsetzt«, allerdings jederzeit auch »herausgefordert und bei neuen Konstellationen auch verändert oder verstoßen werden« kann.52 Der Terminus ›hegemoniale Männlichkeit‹ benennt in diesem Sinne nicht nur


jene Konfiguration geschlechtsbezogener Praxis (...), welche die momentan [d. h. in der spezifischen historischen Situation] akzeptierte Antwort auf das Legitimationsproblem des Patriarchats verkörpert und die Dominanz der Männer sowie die Unterordnung der Frauen gewährleistet (oder gewährleisten soll),53


sondern auch Herrschaftsverhältnisse zwischen verschiedenen Männlichkeiten »in einer Zeit, in einer Gesellschaft und in einem Mann«.54

   In Mays Amerika-Reiseerzählungen erweist sich die Männlichkeit der Westmänner unter den spezifischen Bedingungen des fiktionalen ›wilden Westens‹ als hegemonial. Der Westmann steht in diesem Sinne an oberster Stelle innerhalb der männlichen Geschlechterhierarchie. Der normative Zug des Westmann-Begriffes impliziert allerdings unterschiedliche Grade der Ausprägung von Westmann-Männlichkeit in verschiedenen Westmännern und konstituiert so an der Spitze der männlichen Geschlechterhierarchie eine Binnenhierarchie der Westmänner:


OS [Old Shatterhand] (und Winnetou) stellen die Spitze dieser Hierarchie dar, sie sind Westläufer ›ersten Ranges‹. Beide sind aufgrund ihrer überragenden Kenntnisse und Fähigkeiten einzeln oder gemeinsam gewissermaßen ›geborene‹ Führerpersönlichkeiten, denen sich alle Gefährten von Beginn des Zusammenseins oder gleich nachdem die beiden Helden zu einer Gruppe stoßen schon ihres Ruhmes wegen unterordnen. Westmänner ›zweiten Ranges‹, die OS und Winnetou an


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Erfahrung zumindest nahekommen, sind Old Firehand, Old Death, Sans-Ear, Sam Hawkens, Old Surehand. Sie unterscheiden sich in der ›Kampfkraft‹ und vor allem in ihrer Einstellung zum Blutvergießen von den beiden höchsten Helden. Eine Stufe darunter sind Westmänner einzuordnen, die May als liebenswürdige, skurrile Kauze darstellt, die dazu neigen, sich selbst zu überschätzen. Zu dieser Gruppe gehören etwa der Hobble-Frank, der Dicke Jemmy, Der Lange Davy, Gunstick-Uncle und der Humply-Bill.55


Bei den Westmännern dritten Grades treten allerdings Relationen wie ›age‹, ›race‹ und ›handicap‹ hierarchisierend hinzu. In diesem Sinne steht die ›werdende‹ Männlichkeit Schi-sos, eines in Deutschland sozialisierten Indianers, der trotz seiner Jugend über ein beachtliches Maß an männlichen Qualitäten verfügt, über der Cowboy-Männlichkeit Old Wabbles, dessen Gottlosigkeit, Indianerhaß und altersbedingte Gebrechlichkeit demontierend auf sein Mannsein wirken. Ebenso steht die ›versehrte‹ Männlichkeit Hobble-Franks, der seine Männlichkeit beschränkende Behinderung via Willenskraft auszugleichen versteht, über der ›schwarzen‹ Männlichkeit des Clownstereotyps Bob, an dessen Person sich wiederholt christlich-paternalistische Rassismus-Diskurse entzünden und der an unterster Stelle in der Hierarchie der Westmänner verortet wird.

   Zwei weitere Männlichkeiten sind der Westmann-Männlichkeit allerdings in der Weise der Rivalität und der Allianz nebengeordnet. Während die Westmann-Männlichkeit mit der soldatischen Männlichkeit arroganter Offiziere konkurriert, koaliert sie mit der ›roten‹ Männlichkeit ›edler Wilder‹, die zu West(männern) vom Fache56 stilisiert werden.

   Unterhalb der Westmänner manifestiert sich die männliche Geschlechterhierarchie am deutlichsten in der Unterordnung der zivilen oststaatlichen Männlichkeit, kraft derer Oststaatler zu »Mannskind(ern)«57 stigmatisiert und durch eine Reihe handfester Praktiken dominiert werden. Die ›musische‹ Männlichkeit des »Kantor emeritus Matthäus Aurelius Hampel aus Klotzsche bei Dresden«58 trägt ebenso wie die ›familiäre‹ Männlichkeit der unter dem Pantoffel von »Frau Eberschbach, geborene Morgenschtern und verwitwete Leiermüllern«59 stehenden Auswanderer aus der Perspektive ›hegemonialer Männlichkeit‹ das Stigma ›feminoider‹ Mentalität an sich. Diese als feminin disqualifizierten Männlichkeiten bergen in einer durch das polare Geschlechtermodell strukturierten Welt aus Sicht der ›hegemonialen Männlichkeit‹ das größte Bedrohungspotential für die ›hegemoniale Männlichkeit‹ in sich und werden deswegen innerhalb der männlichen Geschlechterhierarchie an unterster Stelle situiert.

   An der Spitze der männlichen Geschlechterhierarchie und damit auch an der Spitze der Westmannhierarchie steht fraglos die Männlichkeit Old Shatterhands. Seine Männlichkeit überragt alle anderen Männer, stellt gleichsam den Generalnenner dar, der alle anderen Männlichkeiten durchklingt. Seine Männlichkeit bewegt sich jenseits hegemonialer Vorstellun-


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gen. Kraft der auktorialen Erzählhaltung Mays gewinnt die Männlichkeit Old Shatterhands sogar diktatorischen Charakter.



Old Shatterhand


In der Romantrilogie ›Old Surehand‹ tritt dem Leser der die Amerika-Reiseerzählungen dominierende Ich-Erzähler Old Shatterhand erstmals als vervollständigte, d. h. um jenes ausgeprägte religiöse Sendungsbewußtsein, welches zuvor vornehmlich dem Orientreisenden Kara Ben Nemsi eignete, bereicherte »Helden- und Vorbildfigur«60 entgegen. Die »Kenntnisse und Fähigkeiten der Vorläufer-Figuren zu einer Überfigur«61 bündelnd, stilisiert Karl May sein ›Alter ego‹ Old Shatterhand zu einem »omnipotenten Ich-Helden«,62 der sich sowohl für May selbst als auch für dessen Leserschaft als Männlichkeitsideal hervorragend eignete.

   Dieses Männlichkeitsideal, fraglos »eine überlebensgroße Projektion der Wunschträume seines Autors«,63 birgt in seinem Zentrum einen als essentiell männlich phantasierten Kern, der sich aus einer Reihe als ›urmännlich‹ zelebrierter Qualitäten zusammensetzt und quasi die normative Reinform westmännischer Männlichkeit darstellt. Innig verwoben scheint dieser ›urmännliche Kern‹ mit einem christlichen Glauben Mayscher Auslegung zu sein. Die gesamte Persönlichkeit Old Shatterhands durchwirkend, speist und befeuert diese Religiosität seine Männlichkeit mit Mut, Zuversicht und Sinn: Wie tröstlich und beruhigend, wie ermunternd und anspornend ist es doch, zu wissen, daß Gottes Boten stetig um uns sind! Und welch große sittliche Macht liegt in diesem Glauben!64

   Umlagert wird der religiös-urmännliche Kern des Männlichkeitsideals Old Shatterhand von einem Kranz sowohl christlich als auch männlich konnotierter Sekundärtugenden: Freiheitssinn, Sauberkeit, Aufmerksamkeit, Gelehrsamkeit, Ernst, Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit, Klugheit, Schweigsamkeit, Sendungsbewußtsein, Ausdauer, Orientierungssinn, Umsicht, Geschicklichkeit, Scharfsinn, Listigkeit, Treue, Hilfsbereitschaft, Nächstenliebe und nicht zuletzt Paternalismus.

   Zudem werden Old Shatterhand im Angesichte schwieriger Situationen je nach Bedarf verschiedene Fertigkeiten und Kenntnisse attribuiert: So ist er in medizinischen Fragen bewandert, sowohl in geographischer als auch ethnologischer Hinsicht kundig, ein Universalgelehrter gleichsam, der sich zudem auf die ›Artistik des Anschleichens‹ versteht, verschiedene Reitstile und Sprachen beherrscht und sich in beispielloser Weise als Schwimmer, Schütze, Messerkämpfer, Tomahawkwerfer und Faustkämpfer hervortut. Zur Ausstattung eines solchen Mannes gehören fraglos Waffen, die seine Männlichkeit in bezug auf Reichweite (der Bärentöter kann meilenweit schießen) und Ausdauer (der Henrystutzen schießt unentwegt) zu potenzieren vermögen. Hinzu kommt ein außergewöhnliches Pferd, das die


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männliche Stärke durch ›Pferdestärke‹ weit über sich selbst hinaus wachsen läßt, und ein Kriegsname, der seinem Besitzer einen geradezu mythischen, ebenfalls zerstörerische Kraft und ängstigende Wirkung entfaltenden Nimbus verleiht.

   Der Körper Old Shatterhands wird hingegen marginalisiert. Männer wie Old Shatterhand scheinen keine menschlichen Bedürfnisse zu kennen. Stundenlanges Anschleichen vollzieht sich ohne Unterbrechung durch Körperlichkeit. Der Akt des Anschleichens gerät so zu einem Akt des Willens, zu einem Sieg des Geistes über den Körper. Niemals würde Old Shatterhand im Gegensatz zu schwitzenden Raufbolden, die im Kaiserreich von 1871 als Inbegriff grobschlächtiger Körperlichkeit galten,65 eine längere körperliche Auseinandersetzung dulden. Körperlichkeit gilt es während des Kampfes weitgehend zu minimieren. Auch wenn sich die ›Messerkämpfer‹ des ›wilden Westens‹ fraglos über Minuten hinweg umschleichen, währt die eigentliche Begegnung der Körper doch nur Sekunden, nur für den Augenblick eines gekonnt ausgeführten Todesstichs. Körperlichkeit wird durch Technik ersetzt, der Westmann ersten Ranges agiert in einer Weise des ›Geistes‹. Auch hier orientiert sich May am zeitgenössischen Ideal des ›Ehrenmannes‹. Innerhalb der ›satisfaktionsfähigen Gesellschaft‹, die May bewundernd und argwöhnisch beobachtete, wurde die Ansicht vertreten,


daß ein Duell Männern weit mehr abverlange als bloße ›tierische‹ Körperkraft. Fechtexperten betonten, daß es nicht nur körperlicher Gewandtheit und Stärke bedürfe, um die Klingen zu kreuzen, sondern auch »der Geist dabei nicht untätig bleibe«. Sehr viel deutlicher kam dieses ›geistige‹ Element beim Pistolenzweikampf zum Vorschein. Hier entschieden nicht die physische Geschicklichkeit und behende Bewegungen über den Ausgang, sondern eine ruhige Hand und ein scharfes, nicht vor Angst flackerndes Auge. In jedem Fall war es eine große Anstrengung, dem immer vorhandenen Risiko des Todes gefaßt und gelassen zu begegnen und das »physische System«, wie sich Professor Paulsen ausdrückte, der »Herrschaft des Willens« zu unterwerfen. Manche Duellanhänger gingen sogar soweit, dem Duell geradezu antikörperliche, rein geistig-idealische Züge zuzuschreiben, indem es »nur unter Überwindung des so starken Hanges am Leben, des mächtigsten tierischen Triebes, erfolgen« könne. Der Körper, jenes »unverantwortlich genießen« wollende »Fleisch«, müsse gleichsam gezwungen werden, das ihm innewohnende Lebensprinzip aufzugeben und sich der Möglichkeit des Todes auszusetzen. Im Duell triumphierte damit noch einmal der Wille, das geistige Prinzip, über das physische, das letztlich nur dazu da sei, den Anspruch des Individuums auf »Souveränität« und »Eigenmacht« zu unterstreichen und zu realisieren.66


Auch der jäh betäubende Fausthieb Old Shatterhands, der seinen berühmten Kriegsnamen begründet, erweist sich in diesem Sinne als dem »Geist« entsprungene Technik, um bei möglichst geringem Aufwand ein Maximum an Wirkung zu erzielen. Als zeitlich auf einen einzigen Augenblick begrenzter Akt mobilisierter Körperlichkeit stellt May die Kampfkunst des


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Ich-Helden als eine weitgehend entkörperlichte und damit sterile Weise der Gewaltanwendung dar. Frevert berichtet, daß in den zeitgenössischen Diskussionen über Vor- und Nachteile von Säbel- bzw. Pistolenduellen Mißfallen über die »betonte Körperlichkeit des Säbelduells, in dem die Kämpfenden ›säbelfuchtelnd, füßestampfend, keuchend, schwitzend, hüpfend herumhauen‹«, geäußert wurde. »Pistolenduelle erschienen demgegenüber als »›reinlicher‹«.67

   Weder im Privatleben noch im Kampf wird Old Shatterhand von Leidenschaften getrieben, immer bleibt er kühl und berechnend. Indianische Mutproben ohne Wimpernzucken ertragend, spielt der Todesverachtung demonstrierende Held aus pädagogischen Gründen im Glauben an die kathartische Wirkung existentieller Bedrohungen eher noch mit der Angst des Gegners. Er weiß seine Affekte und Triebe zu zügeln, alle Körper- und Seelenfunktionen stehen unter dem Diktat des Geistes.

   Fußend auf dem polaren Geschlechtermodell seiner Zeit, das dem Männlichen die Sphäre des Geistes zuweist, während es das Weibliche im Körperlichen verortet,68 begreift May den Körper des Mannes als hochgradig ambivalent. Einerseits erscheint der Körper als Sitz der Bedürfnisse, erwachsen doch aus ihm bedrohliche, dem zeitgenössischen Programm von Selbstbeherrschung und Affektkontrolle entgegenlaufende Triebe und Leidenschaften, die es zu unterdrücken gilt. Andererseits läßt sich eben dieser Körper funktionalisieren, kann er durch den Zwang des Geistes gleichsam über sich selbst hinauswachsen. Diesen Körper gilt es zu nutzen, zu fördern und gegebenenfalls durch Instrumente wie Waffen und Pferde zu potenzieren.

   Die Formen des schriftstellerischen Umgangs mit dem männlichen Körper zeigen deutlich, inwieweit May Diskurse seiner Zeit verinnerlichte und in seinen Werken reproduzierte. In diesem Sinne werden, den wilhelminischen Geist couleurstudentischer Natur protegierend, die körperfeindlichen Seiten des Ich-Helden konzipiert, nicht zuletzt unter Bezugnahme auf die jugendliche Leserschaft, orientiert am Ideal des Verbindungsstudenten, der im Zuge seiner disziplinierenden Erziehung zum ›Ehrenmann‹ während des ›Offizes‹ der ›studentischen Kneipe‹ seine körperlichen Bedürfnisse zu beherrschen lernen muß. Ebenso finden die in Kämpfen Old Shatterhands wiederholt zur Schau gestellten Qualitäten


Gelassenheit und Kaltblütigkeit (...) ihre Parallele in einem bürgerlichen Erziehungsideal, das es verbot, Triebe, Passionen und Affekte ungeläutert an die Oberfläche treten zu lassen, und statt dessen verlangte, sie zu sublimieren und in produktive, zielgerichtete Energien zu verwandeln.69


Selbst die in Old Shatterhand repräsentierte Form ›freizügiger‹ Männlichkeit verweist wie schon die freiheitliche Gesinnung der übrigen Westmänner auf das dem neuhumanistischen Bildungsbegriff erwachsene Ideal au-


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tonomer integrer Persönlichkeit. Old Shatterhand, die Personifikation männlicher Superlative, ist allerdings nicht wie der gewöhnliche Westmann an einen spezifischen Raum gebunden. Er ist im Gegensatz zum Westläufer ein Weltläufer,70 vollkommen frei vermag er sich in den verschiedensten Kulturen zu bewegen. In Sachsen ist er ebenso beheimatet wie in Arabien, die Existenz in der Weise des Abenteuers eignet ihm ebenso wie die Mitgliedschaft im Gesangsverein von Dresden. Geographisch ungebunden, zeigt sich der omnipotente Ich-Held auch in sozialer Hinsicht als frei. Vollkommen autonom setzt sich Old Shatterhand über staatliche und militärische Autoritäten hinweg und folgt einzig dem Gebot seiner inneren Obrigkeit: »Vor der Menschlichkeit, vor meinem und vor Eurem Herzen ist das sehr leicht zu verantworten; andre Autoritäten gehen mich nichts an.«71

   Auf zeitgenössische Diskurse rekurrierend, läßt May den umherschweifenden Helden vor einer angesichts der Emanzipation zusehends ›verweiblichenden‹ Zivilisation in das von Friedrich Gerstäcker als Land der Freiheit und des ursprünglichen Lebens gepriesene Amerika fliehen. Die Indifferenz gegenüber der dürftigen weiblichen Staffage, legitimiert durch die über den Tod hinausreichende Treue zur verstorbenen Geliebten, gewährt dem freizügigen Heros ein Dasein als Mann unter Männern. Und doch kehrt das »auf der Handlungs- und Figurenebene weitgehend ausgeschlossene Weibliche (...) auf der metaphorischen und symbolischen Ebene (...) in den Text zurück. Es ist verlagert in die Landschaft«,72 in die der Held eindringt, die ihn zu verschlingen droht und die es zu erkunden und zu unterwerfen gilt. Seiner Zeit gemäß figuriert Old Shatterhand in diesem Zusammenhang zum Ideal eines patriarchalisch-paternalistischen Kolonialisten. Connell betont, daß in


unserer populären Kultur (...) Vorbilder für Männlichkeit, ob nun fiktiv oder real, von Paul Bunyan in Kanada, über Davy Crockett in den USA, bis zum Lawrence von Arabien in England, (...) oft Männer von der kolonialen Front73


waren. Ferner führt er aus,


daß diese Grenzkämpfer [an der Siedlungsgrenze Nordamerikas] bereits als Vorbilder für Männlichkeit propagiert wurden, bevor sich durch den militärischen Sieg über die Ureinwohner die weiße Besiedlung über den ganzen Kontinent ausbreitete und die Grenze damit hinfällig wurde.74


Fraglos hat sich May von diesen Männlichkeitskonstruktionen, nicht zuletzt durch die Schriften Gerstäckers, inspirieren lassen. Andererseits war May die reale Brutalität des Krieges »zwischen Cowboys und Indianern«75 jenseits der beschönigten Versionen aus der populären Kultur durchaus bewußt. Wiederholt läßt er Old Shatterhand den Völkermord an den Indianern heftig kritisieren, was ihn aber nicht hindert, durchweht von wilhelmi-


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nischem Geist, der die Welt am deutschen Wesen genesen zu lassen gedenkt, Old Shatterhand als Zivilisationsbringer und Missionar auftreten zu lassen.

   Als generative Regel zur narrativen Konstruktion des Männlichkeitsideals ›Old Shatterhand‹ läßt sich die Addition verschiedener Männlichkeitsideale des deutschen Kaiserreiches von 1871 eruieren. Old Shatterhand stellt gerade deswegen ein Männlichkeitsideal dar, weil er verschiedene, oftmals disparate Männlichkeiten ungebrochen in sich zu vereinen vermag. In ihm kommt die Männlichkeit des Westmannes ebenso zu ihrem Recht wie ›christliche‹, ›soldatische‹ und ›gelehrte‹ Männlichkeiten. Das Wesen mythisierter Männlichkeit besteht also gerade in diesem Fehlen von Fragilität, es zeigt sich in der bruchlosen Vereinigung disparater Männlichkeiten. Durch das Element des Fiktionalen kann Old Shatterhand idealtypisch konstruiert werden, die Gebrochenheit von Männlichkeit, die Konfrontation verschiedener Männlichkeiten wird kraft der Fiktion nivelliert. Old Shatterhand ist Kleinbürger, Sänger, Schriftsteller, Offizier, Akademiker, Couleurstudent, Missionar, Westmann und Indianerhäuptling zugleich. Im Vergleich zu ihm müssen die anderen Männlichkeiten fragil erscheinen, eignet ihnen doch allen durch ihre Eingebundenheit in spezifischen Relationen etwas Defizitäres.



Karl May und Old Shatterhand


Das Gefühl defizitären Daseins war Karl May bestens vertraut. Mit Ernst Bloch läßt sich sagen, daß fast sein gesamtes Werk »nach außen gebrachter Traum der unterdrückten Kreatur, die großes Leben haben will«,76 sei. Geboren in einer Zeit, die unter dem Diktat der Männlichkeit stand, die Männlichkeit allerorts zelebrierte, aber nur wenigen, einem kleinen Kreis der Auserwählten, den Mitgliedern der ›satisfaktionsfähigen Gesellschaft‹, gestattete, ihre Männlichkeit zu inszenieren, kämpfte der Kleinbürger May, degradiert durch Herkunft und Vergangenheit, um einen anerkannten Platz in der Welt der Männer.

   Wo aber konnte sich ein Mann seiner Stellung in einer Zeit, die nach Helden verlangte, als Held erweisen? Einzig auf dem Wege der Fiktion. In seinen Romanen erschuf er sich selbst als Helden, reinkarnierte zum männlichsten Mann - zu ›Old Shatterhand‹. Die fortschreitende »literarische Formung des Tagtraumes«77 fiktionalisierte zusehends seine Wirklichkeit und generierte die Identität des Autors Karl May mit seiner Schöpfung ›Old Shatterhand‹ im realen Leben. May ließ folglich Visitenkarten drucken, auf denen ›Dr. Karl May, genannt Old Shatterhand‹ zu lesen stand.

   Man täte May als Mensch und Schriftsteller allerdings unrecht, wollte man nicht bemerken, inwieweit er die Literarisierung seines Lebens in seinem Werk selbst reflektierte. In der Figur Hobble-Franks ironisiert May das


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eigene Bemühen nachhaltig. Die Parallelen liegen auf der Hand: Hobble-Frank plant für seine Aufenthalte in Deutschland den Bau der Villa Bärenfett, Karl May lebt in der ähnlich eingerichteten Villa ›Shatterhand‹. Jener trägt auf seinen Reisen eine Imitation des Jagdanzugs von Old Shatterhand, dieser läßt sich in der Kleidung Kara Ben Nemsis für die Familienzeitschrift ›Deutscher Hausschatz‹ ablichten.

   Jenseits seiner Fiktionen war die Männlichkeit Mays in doppelter Hinsicht bedroht. Einerseits verweigerte ihm der gesellschaftliche Status quo, sich seiner Männlichkeit zeitgemäß in Männlichkeitsritualen zu vergewissern, und trennte ihn weitestgehend von der Ausschüttung »der patriarchalen Dividende«78 ab, andererseits sah er seine ohnehin fragile Männlichkeit durch emanzipatorische, nicht zuletzt in seiner Ehe wirksam werdende Tendenzen gefährdet. Die Flucht in die Fiktion, in einen imaginären Raum, den Frauen nicht bedrohen konnten, in dem Frauen noch auf Schutz angewiesen waren und den jeder, der die notwendigen ›männlichen‹ Charaktereigenschaften besaß, unabhängig von seiner Herkunft und Vergangenheit, erobern konnte, wurde zu Mays ureigener Befreiungstat. In der Figur des Westmanns und vor allem in der Figur Old Shatterhands gelang es ihm, eine Gegenmännlichkeit zur ›hegemonialen Männlichkeit‹ des Offizierstandes und des gehoben Bürgertums zu konstruieren. In diesem Sinne ließ May einerseits die Vertreter der gesellschaftlichen Eliten des deutschen Kaiserreiches von 1871 in seinen Fiktionen als geringer, als weniger tauglich erscheinen und kritisierte so deren soziale Exklusivität, andererseits okkupierte er wesentliche Qualitäten der ›hegemonialen Männlichkeit‹ für seine fiktiven Gestalten.

   Connell führt aus, daß beim »Kampf um die Hegemonie in der Geschlechterordnung (...) auch die Kultur als disziplinarisches Mittel eingesetzt« werde: »um Standards zu setzen, um die Akzeptanz zu erhöhen und jene herabzusetzen, die dem Anspruch nicht genügen. Die Schaffung männlicher Vorbilder ist deshalb integraler Bestandteil hegemonialer Männlichkeitspolitik.«79 Es stellt sich die Frage, ob die Reiseerzählungen Mays, beziehungsweise die darin als Vor- und Leitbilder funktionierenden Männlichkeitskonstruktionen, in diesem Sinne eine Form »hegemonialer Männlichkeitspolitik« darstellen.

   Zweifellos stellt sich May mit seinen Fiktionen in den Dienst des Systems des Patriarchats, eines Systems wohlgemerkt, das ihm nicht zuletzt aufgrund seiner Klassenzugehörigkeit eine sozial inferiore Rolle zuweist. In ihm einen »Ideologen des Patriarchats« zu sehen, der »die Reproduktion von Männlichkeit zu kontrollieren und lenken«80 versucht und der bei seiner überwiegend jugendlichen Leserschaft eine »bestimmte Ausprägung von Männlichkeit«81 zu fördern wünscht, täte ihm allerdings unrecht. Bei Karl May handelt es sich um einen Unterdrückten des Patriarchats, der im hilflosen Versuch, der Unterdrückung zu entkommen, dieselbe nachhaltig festigt.


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   Hierbei ist die Wirkung Karl Mays im Angesichte von 80-100 Millionen verkauften Büchern nicht zu unterschätzen. Es darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, daß einige ›Ideologen des Patriarchats‹, allen voran der bayerische Kulturminister und nationalsozialistische Gauleiter Hans Schemm, von der Jugend der dreißiger Jahre neben Schneid und Ehre auch Karl-May-Gesinnung forderten, und daß sich die Texte Mays aufgrund der Vielzahl Identifikationsangebote bietender Männlichkeitsideale einer politischen Funktionalisierung strukturell nicht zu widersetzen vermögen.



1Vgl. Gender-Studien: Eine Einführung. Hrsg. von Christina von Braun/Inge Stephan. Stuttgart/Weimar 2000. Die aus dem polaren Geschlechtermodell erwachsende Vorstellung einer einzigen, immer gleichen, gleichsam überzeitlichen Männlichkeit erwies sich durch diese Studien als nicht haltbar. Es zeigte sich vielmehr, daß jede Zeit und jede Kultur ihre eigenen, von den anderen unterscheidbaren Arten von Männlichkeiten hervorbringt.
2Robert W. Connell: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Opladen 1999, S. 58 (Originaltitel: Masculinities. Berkeley 1995)
3Ebd., S. 84; Connell rekurriert hier auf die Begrifflichkeit des tschechischen Philosophen Karel Kosik. Männlichkeit als Konfiguration sozialer Praxis »steht [einerseits] immer in Wechselwirkung mit Situationen, die so strukturiert sind, daß sie bestimmte Möglichkeiten zulassen und andere ausschließen«, andererseits überführt sie »die Ausgangssituation in eine neue Situation. Praxis konstituiert und rekonstruiert Strukturen«.
4Vgl. neben Connell auch: Willi Walter: Gender, Geschlecht und Männerforschung. In: v. Braun/Stephan, wie Anm. 1, S. 97-115; Kritische Männerforschung. Neue Ansätze in der Geschlechtertheorie. Hrsg. von BauSteineMänner. Berlin/Hamburg 1996; MannBilder. Ein Lese- und Quellenbuch zur historischen Männerforschung. Hrsg. von Wolfgang Schmale. Berlin 1998.
5Connell, wie Anm. 2, S. 64
6Vgl. Thomas Kühne: Männergeschichte - Geschlechtergeschichte. Männlichkeit im Wandel der Moderne. Frankfurt a. M./New York 1996, S. 19.
7Karl May: Der Oelprinz. In: Der Gute Kamerad. 8. Jg. (1893/94); Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 1990
8Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. XIV: Old Surehand I. Freiburg 1894; ders.: Gesammelte Reiseromane Bd. XV: Old Surehand II. Freiburg 1895; ders.: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XIX: Old Surehand III. Freiburg 1896; alle Reprint Bamberg 1983
9Trotz der überall lauernden Gefahren und Abenteuer, in denen sich der Held zu bewähren hat, erweist sich der ›wilde Westen‹ doch als geborgenheitsstiftende Heimat. Der Leser wird in eine eigenständige, die einzelnen Romane verknüpfende Welt entführt. Diese Welt ist dem Leser bald bestens vertraut, er erlebt keine unliebsamen Überraschungen. Überall trifft er auf alte Bekannte: Sam Hawkens, Winnetou, den Hobble-Frank - Männer, auf die man sich verlassen kann. Er kennt sie, ihre Vorlieben und Eigenarten, aus vorausgegangenen Abenteuern und fühlt sich beheimatet. Selbst Unbekannte vermögen sich durch ihre Deutschstämmigkeit als vertrauenswürdig auszuweisen.
10May: Surehand I, wie Anm. 8, S. 171; Körperstärke im Sinne Mays ist eine Frage des Trainings und des Willens. Körperliche Veranlagungen spielen in der Konzeption Mays nur eine untergeordnete Rolle.


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11May: Surehand II, wie Anm. 8, S. 303
12May: Surehand I, wie Anm. 8, S. 199
13Vgl. ebd., S. 171.
14Vgl. Connell, wie Anm. 2, S. 88-90.
15Vgl. Karin Hausen: Die Polarisierung der »Geschlechtscharaktere« - Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben. In: Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas. Neue Forschungen. Hrsg. von Werner Conze. Stuttgart 1976, S. 363-393; Christina von Braun: Gender, Geschlecht und Geschichte. In: v. Braun/Stephan, wie Anm. 1, S. 16; Connell, wie Anm. 2, S. 88.
16May: Surehand II, wie Anm. 8, S. 116
17May: Surehand I, wie Anm. 8, S. 149
18May: Surehand II, wie Anm. 8, S. 117
19Ebd., S. 117f.
20May: Oelprinz, wie Anm. 7, S. 18
21May: Surehand II, wie Anm. 8, S. 118
22May: Oelprinz, wie Anm. 7, S. 86; »Frag den Wind, wohin er geht! Er weht bald hierhin, bald dorthin. So ist's auch mit dem Jäger des Westens, der nie heut sagen kann, wo er sich morgen befinden wird.« (May: Surehand I, wie Anm. 8, S. 174)
23May: Surehand I, wie Anm. 8, S. 148
24Karl May: Aus der Mappe eines Vielgereisten. Nr. 2. Old Firehand. In: Deutsches Familienblatt. 1. Jg. (1875/76); Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 1975, S. 206
25May: Oelprinz, wie Anm. 7, S. 18
26Ebd., S. 19
27Ebd., S. 18
28May: Surehand II, wie Anm. 8, S. 470
29Eine Ausnahme stellt beispielsweise die Jüdin Judith aus dem Roman ›Satan und Ischariot‹ dar. Sie greift aktiv in die Handlung ein, ist aber als äußerst negative Gestalt konzipiert. May mischt bei der Darstellung Judiths antisemitische Vorurteile (geldgierig) mit Attributen einer femme fatale (Schönheit, Erotik, Macht).
30So führt Old Shatterhand auf dem Kriegszug befindlichen Indianern wiederholt schmerzlich vor Augen, daß ihre Frauen während des Kriegszuges ungeschützt in den heimatlichen Weidegründen möglichen Attacken der Feinde preisgegeben sind.
31May: Oelprinz, wie Anm. 7, S. 19
32In Mays Fiktion sind die Westmänner, mit Ausnahme Old Shatterhands und Hobble-Franks, zu diesem Schicksal verdammt. Die Alternative, sich mit der gegebenen Situation zu arrangieren, kam für May nicht in Frage. Seine Auflösung dieser Diskrepanz bestand in der fortschreitenden Fiktionalisierung seines Lebens.
33May: Oelprinz, wie Anm. 7, S. 61
34Ebd., S. 19
35May: Surehand I, wie Anm. 8, S. 15
36Ebd.
37Ebd., S. 12
38Ebd.
39May: Oelprinz, wie Anm. 7, S. 127
40May: Surehand I, wie Anm. 8, S. 494
41Ute Frevert: Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft. München 1995, S. 109 - speziell zu May siehe jetzt auch: Hans Hintz: Zum Zweikampf bei Karl May. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 2002. Husum 2002, S. 95-179 (insbes. S. 99-105, 157-164)
42Frevert, wie Anm. 41, S. 272
43Ebd., S. 109


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44Ebd., S. 271
45Vgl. ebd., S. 272.
46Ebd., S. 273
47Die Einarbeitung des Ideals des militärischen Mannes in seine Fiktionen gestaltet sich äußerst ambivalent. Fraglos benutzt er alle Exklusivität und Männlichkeit demonstrierenden und soziale Anerkennung verheißenden Attribute des ›Offiziers‹ für seine Westmänner. Hierbei handelt es sich allerdings um eine reduzierte Form von Offiziersmännlichkeit. Die zwangsläufige Einordnung des militärischen Mannes in die militärische Hierarchie wird bei der Konstruktion seiner Westmänner ignoriert.
48Frevert, wie Anm. 41, S. 271
49Connell, wie Anm. 2, S. 97f.
50Walter, wie Anm. 4, S. 101
51Connell, wie Anm. 2, S. 98
52Walter, wie Anm. 4, S. 101
53Connell, wie Anm. 2, S. 98
54Kühne, wie Anm. 6, S. 19
55Christoph F. Lorenz: Old Shatterhand. In: Das große Karl May Figurenlexikon. Hrsg. von Bernhard Kosciuszko. 3., verbesserte und ergänzte Auflage. Berlin 2000, S. 344
56May: Oelprinz, wie Anm. 7, S. 19
57May: Surehand I, wie Anm. 8, S. 10
58May: Oelprinz, wie Anm. 7, S. 58
59Ebd., S. 88: »Ich bin die Frau Eberschbach, geborene Morgenschtern und verwitwete Leiermüllern. Der da« - - - dabei deutete sie auf einen der drei jüngeren Auswanderer - - »is mein gegenwärtiger Gemahl und Ehemann, Herr Schmiedemeester Ebersbach; so wird's nämlich geschrieben, gesprochen aber Eberschbach. Und daß Sie's gleich von vorn'rein wissen, er tanzt nich etwa so, wie Sie pfeifen, sondern er hat sich nach mir zu richten, [sic!] weil ich elf Jahre älter bin und also mehr Verschtand und Erfahrung haben muß als er. Ich bleibe hier und er folglich ooch. Bei nachtschlafender Zeit wird nich in der Welt herumgefahren.«
60Lorenz, wie Anm. 55, S. 336
61Ebd., S. 340
62Ebd., S. 342
63Ebd.
64May: Surehand III, wie Anm. 8, S. 152
65Vgl. Frevert, wie Anm. 41, S. 242.
66Ebd., S. 237f.
67Ebd., S. 252 (das Binnenzitat nach Heinrich Graf Coudenhove)
68Vgl. v. Braun, wie Anm. 15, S. 16-57. Der Grad der Körperlichkeit wirkt innerhalb der Gruppe der Westmänner ebenfalls hierarchisierend. Während Old Surehand nach seiner Befreiung sofort wieder kraft seiner Willensstärke zu kämpfen vermag, bedarf der Schwarze Bob erst der Befriedigung körperlicher Bedürfnisse durch Essen, um wieder zu Kräften zu kommen. Je unentrinnbarer der Körper, je stärker ein Mann seinem Körper ausgeliefert ist, desto niedriger wird er in der Hierarchie der Westmänner verortet.
69Frevert, wie Anm. 41, S. 241
70May: Surehand III, wie Anm. 8, S. 308
71May: Surehand I, wie Anm. 8, S. 464
72Inge Stephan: Musen & Medusen. Mythos und Geschlecht in der Literatur des 20. Jahrhunderts. Köln u. a. 1997, S. 8
73Connell, wie Anm. 2, S. 205
74Ebd., S. 215


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75Ebd., S. 205
76Ernst Bloch: Erbschaft dieser Zeit. Frankfurt a. M. 1962, S. 172
77Werner Kittstein: Fiktion als erlebte Wirklichkeit: Zur Erzähltechnik in Karl Mays Reise-Romanen. Teil I: Literaturwissenschaftliche Grundlagen - Einzeluntersuchungen an Beispielen des Frühwerks und des Orientzyklus. In: Jb-KMG 1997. Husum 1997, S. 117
78Connell, wie Anm. 2, S. 100f.
79Ebd., S. 236
80Ebd., S. 215
81Ebd.


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