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OTTO RUBNER


Der sächsische Phantast
Eine Pathografie Karl Mays





E i n l e i t u n g 


Eine Pathografie ist eine Biografie einer berühmten, psychisch auffälligen Persönlichkeit unter psychiatrischen Gesichtspunkten mit dem Ziel, die psychopathologisch interessanten Seiten und deren Bedeutung für den Betreffenden und das Werk darzustellen. Sie ist aber nur  e i n e  Seite zur Erfassung der Gesamtpersönlichkeit und darf nicht vereinseitigt werden. Die Entscheidung über die Frage, ob ein Individuum abnorm oder geisteskrank ist, kann eigentlich nur durch die sorgfältigste psychiatrische Untersuchung und persönliche Exploration entschieden werden. Für den Verfasser einer solchen Pathografie bestehen insofern erhebliche Schwierigkeiten, als eine endgültige und zusammenfassende Stellungnahme erst dann erfolgen kann, wenn die zu beurteilende Person gestorben ist und alle Fakten zur Bearbeitung bereitliegen. Die Kernfrage ist, wie man zu sicheren Ergebnissen kommt, ohne den zu Beschreibenden gekannt zu haben, ohne dass eine fachkundige Untersuchung durchgeführt wurde oder durchgeführt werden konnte. Je kürzer der Abstand nach dem Ableben des zu Charakterisierenden ist, umso mehr ist zu erwarten, dass das Urteil des Pathografen noch durch die bestehenden unmittelbaren Erinnerungen und begleitenden Emotionen der Zeitzeugen beeinflusst ist, und je größer der Abstand zu dem Leben des berühmten Mannes wird, umso unsicherer und verschwommener sind die möglichen Erkenntnisse und Aussagen. Es muss in solchen Fällen eben ein angemessener Kompromiss gefunden werden.1

   Ein Psychiater läuft immer Gefahr, bei der Darstellung einer solchen Abhandlung insofern missverstanden zu werden, als man meint, er wolle Werturteile fällen. Dazu ist etwas Grundsätzliches zu sagen:

   Alle in der Psychiatrie benutzten Begriffe und alle ausgesprochenen Sachverhalte sind scharf definiert beziehungsweise klargelegt. Sie haben ausschließlich im Rahmen dieser Aussagen Gültigkeit und werden nur so in Übereinstimmung mit anderen (fachlichen) Gesprächspartnern gebraucht und verstanden. Sie haben niemals wertenden Charakter. Andere Bedeutungen können und dürfen im Interesse der interpersonalen Verständigung nicht erfolgen oder unterlegt werden. Jede Form von metaphorischen Begriffswandlungen ist unzulässig.

   In der Medizin ist ein  › S y m p t o m ‹  eine Bezeichnung, durch die eine Sa-


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che beschrieben wird und die nichts über die Zugehörigkeit zu einer Krankheit aussagt.

   Mehrere Symptome bilden ein  › S y n d r o m ‹,  wenn die Symptome überdurchschnittlich häufig zusammen vorkommen. Man kann beim Auftreten den Verdacht auf die Zugehörigkeit zu einer Krankheit hegen.

   › K r a n k h e i t ‹  ist Ausdruck einer Einheit von Syndromen, zu denen die Gesamtheit der körperlichen und geistig-seelischen Normabweichungen gehört mit zureichendem charakteristischen Verlauf.

   Die Untersuchungen erfolgen mit Hilfe der  › o b j e k t i v e n ‹  Beurteilung des Verhaltens und des Ausdrucks (=  ›e r k l ä r e n d e  P s y c h i a t r i e ‹) und der  › s u b j e k t i v e n ‹  Beurteilung nach den Angaben des Patienten (=  › v e r s t e h e n d e  P s y c h i a t r i e ‹).2

   In den folgenden Ausführungen wird 1. eine kritische Darstellung der bisherigen Untersuchungen seitens der Karl-May-Forschung gegeben, 2. erfolgt ein kurzer Abriss über die allgemeine und spezielle Psychopathologie ohne jeglichen Bezug zum hier vorgelegten Untersuchungsobjekt, um auf diese Weise jede Kreiselschlussmöglichkeit zu vermeiden, 3. werden das Empfinden und Verhalten des Schriftstellers besonders an Hand der bekannten biografischen Fakten und der Selbstbiografie ›Mein Leben und Streben‹ kritisch dargestellt und in eine Beziehung zu den gewonnenen psychiatrischen Erkenntnissen gesetzt, 4. wird versucht, die Erkenntnisse dieser Arbeit forensisch auszudeuten und 5. die Ergebnisse zusammenzufassen.



V e r w e n d e t e  B e g r i f f e  u n d  i h r e  D e f i n i t i o n e n :  G l o s s a r3


Vorbemerkung: Der klinische und wissenschaftliche Psychopathologe benutzt eine ganze Reihe von Begriffen, die von Laien gern übernommen, aber häufig falsch interpretiert werden. Die psychiatrischen Termini sind indessen scharf definiert worden und werden in Fachkreisen auf diese Weise gleichartig verstanden. Jede über die Begriffsbestimmung hinausgehende Wortinterpretation ist abwegig und darf nicht hineinprojiziert werden! Darüber hinaus ist es genauso ein Fehler, Sätze wertenden Charakters bei der Beschreibung einer solchen Persönlichkeit anzuwenden, besonders wenn sie diffamierender Art sind. Solche sind unwissenschaftlich (wie z. B. in ›Sitara und der Weg dorthin‹ von Arno Schmidt). Das Glossar wird vorausgeschickt, damit der nichtpsychiatrische Leser die Termini gleich in richtiger Weise verstehen kann und er keine Vorurteile beim Lesen des Textes hineininterpretiert.


› A u t i s m u s ‹:  Rückzug aus dem Leben der Gemeinschaft. Leben in eigener Gedanken- und Vorstellungswelt. Selbstbezogenheit. Schizophrene Autisten leiden nicht darunter. Neurotische Autisten leiden unter der Einsamkeit. Kommt auch als normale Charaktervariante vor.


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› B o r d e r l i n e - S y n d r o m ‹:  Der Begriff ist sehr umstritten und nicht genügend definierbar und deswegen unbrauchbar. Dass damit ein Grenzfall zu Schizophrenie beschrieben wird, ist falsch, denn es gibt keine wirklichen kontinuierlichen Übergänge zwischen einer Schizophrenie und einem so genannten Borderline-Syndrom. Man kennt zwar gewisse von der Norm abweichende Empfindungs- und Verhaltensweisen, besonders auch vor Beginn einer Schizophrenie oder nach deren Defektheilung, die überhaupt nur schwer einzuordnen sind und psychopathischen Symptomen nahe stehen, jedoch noch nicht als Bindeglied zwischen Psychose und Neurose anzusehen sind. Dafür ist kennzeichnend: Beeinträchtigung der Anpassungsfähigkeit, Rückzugsverhalten, frei flottierende Angst, Streitsucht, Neigung zu Misstrauen. Es handelt sich dabei um die so genannten Basisstörungen.4


› D e p e r s o n a l i s a t i o n s s t ö r u n g e n ‹  (= Gefühl, dem eigenen Ich fremd gegenüber zu stehen, gewohnte Dinge und sonst bekannte Menschen fremd und unwirklich zu empfinden): Der Kranke ist sich stets des Krankhaften bzw. des abnormen Charakters der Wahrnehmung bewusst. Vorkommen erlebnisreaktiv und im Ermüdungsstadium, bei Bewusstseinstrübungen, etwa durch Drogen. Als Symptom beispielsweise beim Grübelzwang, gelegentlich auch bei Psychosen.


› D i s s o z i a l i t ä t ‹:  Konflikte mit der sozialen Umwelt durch Missachtung von Regeln sozialen Zusammenlebens. Als Folge z. B. Streitsucht, Verwahrlosung, kriminelles Verhalten.


› D i s s o z i a t i o n ‹:  Abspaltung des Bewusstseins, Spaltung des Ichs.


› D i s s o z i a t i o n s a m n e s i e ‹:  Erinnerungslücke durch Verdrängung oder Abspaltung von Erinnerungen. Nicht unkorrigierbar, meistens bewusstseinsnah, Auftreten bei Neurosen.


› D i s s o z i a t i v e  S t ö r u n g e n ‹  (oder hysterische Neurosen, dissoziativer Typ): Dazu gehören:  › M u l t i p l e  P e r s ö n l i c h k e i t s s t ö r u n g e n ‹,  unspezifische Ängste, Fluchtneigung, depressive Symptomatik.


› H a f t p s y c h o s e ‹:  Haftreaktion.


› H a l l u z i n a t i o n ‹:  Sinnestäuschung. Sinneswahrnehmung, die ohne Reizung der Sinnesorgane von außen zustande kommt, wobei fest an die Realität der Wahrnehmung geglaubt wird. Beziehungssetzung ohne Anlass. Uneinfühlbar, unkorrigierbar. Nach Virchow halluziniert der Kranke nicht die Umwelt, sondern sich selbst.


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› H y s t e r i e ‹  =  › K o n v e r s i o n s n e u r o s e ‹:  Erscheinung: Der Betroffene stellt sich anders dar, als er ist. Dabei besteht eine Tendenz zum Dramatisieren (s. Pseudologia phantastica). Bewusstseinsnah, einfühlbar.


› K l e p t o m a n i e ‹: Stehltrieb.


› M u l t i p l e  P e r s ö n l i c h k e i t s s t ö r u n g e n ‹  (= innerpsychische Selbstwahrnehmung mehrerer Persönlichkeiten), im Rahmen von Neurosen auftretend.


› N e u r o s e ‹  (Begriff wurde 1776 von dem schottischen Arzt William Cullen geprägt): ursprünglich für Erkrankungen des Nervensystems ohne nachweisbare Ursache stehend. Zur Zeit versteht man darunter eine psychisch bedingte Gesundheitsstörung, deren Symptome unmittelbar Folge eines seelischen Konfliktes sind, teilweise nach psychoanalytischer Auffassung mit symbolischem Ausdruck und verwurzelt durch Konflikte in der Kindheitsentwicklung.

   Man findet verständliche, sinngesetzliche Zusammenhänge. Nach Meinung einiger Psychoanalytiker kommt es zur Komplexverselbständigung, wobei der ursprüngliche Zusammenhang mit der bestehenden Symptomatik nicht mehr bewusst ist. Häufig sind hysterische Neurosen, Hysterien. Vgl. u. Stichwort Psychopathie.5


› N o r m ,  N o r m a b w e i c h u n g e n ‹:  Man unterscheidet bei den Normabweichungen quantitative und qualitative. Die quantitativen werden statistisch erfasst mit Hilfe der verstehend-psychologischen Untersuchung. Dabei unterscheidet man noch die statistische Norm von der Idealnorm, die als Ausdruck einer vorschwebenden Wertnorm gesehen wird und von kulturellen Faktoren abhängig ist. Im Gegensatz zu diesen Normvorstellungen gibt es qualitative Normabweichungen, die psychisch völlig neue Erscheinungen zeigen und nicht im Alltag vorkommende Symptome. Bei deren Nachweis liegt eine sog. Psychose vor. Näheres unter dem Stichwort Psychose.6


› P s e u d o h a l l u z i n a t i o n e n ‹  =  › A l s - O b - H a l l u z i n a t i o n e n ‹:  Berichte des Patienten über erlebte Wahrnehmungen besonderer Art, deren Existenz als unwirklich empfunden wird, aber von ihm korrigiert werden kann. Vorkommen bei Neurosen.


› P s y c h o a n a l y s e ‹  (Freud, etwa 1896): Verfahren zur Untersuchung seelischer Vorgänge.


› P s y c h o s e ‹  (Begriff wurde wahrscheinlich zum ersten Mal 1845 von Ernst Freiherr v. Feuchtersleben gebraucht): Geisteskrankheit; teils durch erkennbare Organ- oder Gehirnkrankheiten verursacht oder vermutlich auf


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organischer Grundlage beruhend. Hauptkriterien: Fehlen von Krankheitseinsicht, Störungen der Kommunikation, fehlende Verstehbarkeit der Erscheinungen, mangelnde soziale Anpassung. Bei einer Psychose kommt es zu einer Unterbrechung oder Störung der Sinnkontinuität und Sinngesetzlichkeit des Denkens oder Handelns. Bestandteile einer solchen Störung sind häufig unkorrigierbare Wahn-Wahrnehmungen oder ein Wahndenken usw. Es tritt eine Unfähigkeit auf, sich aus seinem egozentrischen Denken zu lösen, sich in einen anderen Standpunkt hineinzuversetzen, es wird alles auf sich selbst bezogen. Es fehlt somit die Fähigkeit zum Paradigma-Wechsel. Realitäts-Verlust. Es besteht kein Übergang zu einer Neurose. (Der Schweregrad ist im Gegensatz zu den Auffassungen der US-amerikanischen Forscher für die deutschsprachige Psychiatrie nicht verbindlich.) Die amerikanische Psychiatrie hat versucht, in der gegenwärtigen internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) diesen Begriff ›Psychose‹ ganz abzuschaffen, benutzt ihn aber als Adjektivum, als abgeleitetes Wort ›psychotisch‹, inkonsequenterweise weiter. Damit wird von den betreffenden Autoren ein definitorisches Dilemma herbeigeführt, das nicht sinnvoll aufgelöst werden kann.7


› P s y c h o p a t h i e ‹:  Charakter- und Persönlichkeitsanomalie, unter denen der Betreffende selbst oder unten denen die Gesellschaft leidet. Dazu gehört besonders die Untergruppe der geltungsbedürftigen (hysterischen) Psychopathen mit Renommiersucht. Als Merkmale beschreibt Gerd Huber: Dramatisierung, theatralisches und manipulatives Verhalten, Suggestibilität, oberflächliche und labile Affektivität, dauerndes Verlangen nach Aktivitäten, in denen der Patient im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Der Begriff ist nach den Kriterien von Kurt Schneider den geltungssüchtigen Psychopathen zuzurechnen. Dazu gehören Persönlichkeiten, die mehr scheinen wollen, als sie sind, und deren tiefste Eigenschaft die Eitelkeit und Unechtheit ist, so genannte hysterische Charaktere. Das Bedürfnis mehr zu scheinen, als man ist, kann auf sehr verschiedene Weise befriedigt werden: durch Hypermotilität und Agieren, durch Übertreibung, Renommieren, Aufschneiden und Prahlen bis hin zur Pseudologie, durch eine exzentrische Attitüde oder durch Darstellung einer Krankheit zu geltungsbedürftigen Zwecken. Huber beschreibt den Pseudologen, der Märchen erzählt und erfindet. Es geht ihm dabei um die Rolle, in der er völlig aufgeht, obschon er weiß, dass er den Boden der Wirklichkeit verlässt (insofern kann man nur bedingt von »unbewusst ins Imaginierte veränderten Zuständen« sprechen). Scharfer Unterschied zu Psychosen. Da ›Psychopathie‹ popularisiert wurde, bekam sie, besonders im angloamerikanischen Fachschrifttum, fast durchgehend eine abwertende Bedeutung. Deswegen ist der Terminus möglichst wenig zu benutzen bzw. durch das nicht wertende Wort  › P e r s ö n l i c h k e i t ‹  zu ersetzen.8


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› Z w a n g ,  Z w a n g s e r s c h e i n u n g e n ‹:  Vorstellungen und Handlungsimpulse, die sich einem Menschen aufdrängen und gegen deren Auftreten sich das Ich zugleich vergebens wehrt, Erlebnisse von sich aufdrängenden Gedanken etwa einer ständigen Gefahr, von einem Handlungsantrieb bezwungen zu werden. Der davon Ergriffene empfindet diese Zwänge als fremdartig, unheimlich, unsinnig. Eine Krankheitseinsicht ist immer vorhanden. Es besteht manchmal eine Zweifel- oder Grübelsucht. Häufig wird eine sinnvolle Aktivität vermindert oder verhindert.9


› Z w a n g s h a l l u z i n a t i o n e n ‹:  In zwanghafter Weise immer wiederkehrende Halluzinationen mit plastischer Anschaulichkeit. Es handelt sich aber um › Z w a n g s -P s e u d o - H a l l u z i n a t i o n e n ‹  oder  › Z w a n g s -a l s - o b - H a l l u z i n a t i o n e n ‹.  Sie sind korrigierbar, erlebnisbedingt mit einhergehender Selbstkritik. Die sich aufdrängenden Gedanken sind nicht selten abstrakter Natur mit Erleben von Äußerungen in verbaler Form. Sie haben nicht den Charakter leibnah wahrgenommener unkorrigierbarer Halluzinationen mit Realitätsverlust.



K a r l  M a y  i m  S p i e g e l  d e r  K a r l -M a y -F o r s c h u n g ,
i n s b e s o n d e r e  d e r  V e r ö f f e n t l i c h u n g e n
d e r  K a r l -M a y -G e s e l l s c h a f t 


Vorbemerkung: Als Folge von vielen, teils abwertenden Veröffentlichung hatte sich eine Reihe von Autoren für eine gerechte Beurteilung des Schriftstellers eingesetzt. Einige namhafte Wissenschaftler gründeten dann am 22. März 1969 die Karl-May-Gesellschaft, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Menschen Karl May und sein Werk wissenschaftlich zu erforschen. Als Forum der Forschungsergebnisse entstanden die ›Jahrbücher der Karl-May-Gesellschaft‹, die ›Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft‹ und die ›Nachrichten der Karl-May-Gesellschaft‹. Diese Periodika haben inzwischen zu einem Fundus einer unglaublich differenzierten Darstellung dieser Untersuchungsergebnisse geführt. Ich versuche im Folgenden für mein Thema die einschlägigen Publikationen teils mit kritischen Anmerkungen darzustellen.


Im Jahrbuch 1972/73 erschienen von Hans Wollschläger ›Materialien zu einer Charakteranalyse Karl Mays‹, ›»Die sogenannte Spaltung des menschlichen Innern, ein Bild der Menschheitsspaltung überhaupt«‹.10 Er ist der Meinung, dass, wo »solche Arbeiten sich gar, wie bei May, ganz unverhüllt als Ich-Darstellungen erweisen, (...) das Verbot an die analytische Methode ein Erkenntnisverbot schlechthin« sei.11 Später weist er auf die »Durchlässigkeit des Gedächtnisses« hin, die »starke Suspension der Bewußtseinskontrolle während der Arbeit« erkennen lasse. Schreiben bedeute


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»die Abfuhr von Innen-Konflikten«,12 und deswegen schließt Wollschläger auf eine gewisse Notwendigkeit, Einzelfaktoren für einige Zeit zu vergessen. Der Psychotherapeut Richard Engel habe auf eine schwere Hysterie geschlossen, ebenso wie Otto Forst-Battaglia, und Stolte habe »vom ›psychopathischen Traumgänger‹ May« gesprochen.13 Eine narzisstische Neurose, die bei ihm vorgelegen habe, sei Basis und Voraussetzung einer Paraphrenie. Die Katastrophe Nietzsches in Turin beispielsweise habe den »atypisch jähen Ausbruch« einer progressiven Paralyse herbeigeführt.14 Die von Wollschläger geschilderte Urszene, wonach er meint, dass May als Kleinkind die Mutter mit Liebhaber belauscht habe, ist durch nichts belegt.

   Im Jahrbuch 1978 geht Heinz Stolte auf das Thema ›Zum Identitätsproblem bei Karl May‹ ein.15 Die »Identität des Menschen« sei »sein Mit-sich-selbst-identisch-sein; und das [heiße] zweierlei: die bejahende Übereinstimmung mit dem, was man als Individualität nach Charakter und Fähigkeiten, und das sich selber bescheidende Einverstandensein mit dem, was man als Glied der Gesellschaft in Staat, Beruf und Familie nun einmal« sei. Auf »der Solidität und Nützlichkeit dieses Menschentyps« beruhe »der Bestand unserer gesamten Zivilisation«. Je »unübersehbarer und differenzierter diese Zivilisation« sich entfalte, »um so schwieriger, konfliktreicher« werde es »für namentlich junge, heranwachsende Menschen«, sich persönlich damit abzufinden. Sie könnten »das oft so rätselhafte und problematische Gesellschaftsgefüge« nicht »auf angemessene Weise« integrieren. Ein »Identitätskonflikt« sei eine »spezifisch  m o d e r n e  Erscheinung«. Doch schon Goethe habe im ›Werther‹, im ›Tasso‹, im ›Wilhelm Meister‹ und im ›Faust‹ jeweils Lebenskonflikte von Menschen geschildert, die »den Zugang zur Welt bürgerlicher Nützlichkeit und die Selbstbeschränkung in einer beruflichen Funktion und Rolle« nicht gefunden hätten.16 In Mays exzessiv gesteigerter Vorstellungskraft, der »Fähigkeit, tagträumend die Welt des Wirklichen zu überschreiten, das bloß Mögliche plastisch-anschaulich zu beschwören und das Unmögliche an sich zu reißen«, sei Mays »Begabung, sein Glück, seine Gefahr und sein Inferno«17 gewesen. Solche Geschöpfe hätten, »von wunschhaften Phantasien besessen, sich immerfort über das, was ist, hinwegträumen müssen in das, oder was nicht ist, aber doch sein könnte«. Sie sprengten »den Zwang und die Beschränkung einer Rolle«18 und würden sich mit fremdem Leben identifizieren. Stolte sieht auch etwa in dem Roman ›Am Rio de la Plata‹  d e n  »Roman der Identitätsverwirrung«19 als klassisches Modell. In diesen würden viele Identitäten hineinprojiziert, die in Wirklichkeit Bestandteil seiner überschäumenden Phantasie seien und erst im Rahmen des Alters und Alterswerkes abgeworfen würden.

   In demselben Jahrbuch berichtet Kurt Langer über den ›Psychischen Gesundheitszustand Karl Mays. Eine psychiatrisch-tiefenpsychologische Untersuchung‹.20 Er zitiert anfangs May aus der Selbstbiographie:


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Es war,  a l s  o b  diese Stimmen nicht in mir, sondern grad vor meinem äußern Ohr ertönten. Ich gab mir alle Mühe, sie zum Schweigen zu bringen, doch war das, so lange ich die Feder in der Hand hielt und zum Schreiben sitzen blieb, vergeblich. ... Das ging den ganzen Tag und die ganze Nacht hindurch ... Kein anderer Mensch sah und hörte es ... Jeder Andere hätte das als Wahnsinn bezeichnet, ich aber nicht. Ich blieb kaltblütig und beobachtete mich.21


Langer fährt dann im nächsten Absatz fort: »Karl May schildert neben halluzinatorischen Erlebnissen in seiner Selbstbiographie auch Stuporzustände, Depressionen, Umdämmerungen und Zwangshandlungen unter dem Einfluß imperativer Stimmen: ›Wir zwingen dich, dich zu rächen!‹«22 Langer sieht die Möglichkeit folgender psychiatrischer Diagnosen: »Hysterie in Verbindung mit Kleptomanie, Pseudologia phantastica, narzißtische Neurose, Verlangsamung des seelischen Reifeprozesses (...), Haftpsychose; außerdem müßte auch eine echte endogene Psychose, vor allem eine Schizophrenie oder eine schizoaffektive Psychose, in die Reihe der differentialdiagnostischen Erwägungen mit einbezogen werden«.23 Die Frage, ob Mays Schilderung »wahr ist oder ob (...) sie als apologetische Täuschung bzw. möglicherweise Selbsttäuschung anzusehen« sei, sei von »entscheidender Wichtigkeit«.24 Es sei unvorstellbar, dass er sich selbst bezüglich der Diagnose zu Unrecht belastet haben sollte, denn er neige »viel eher zum Verschweigen oder Verharmlosen«. Deswegen würde es sich lohnen, »Mays Äußerungen ernst zu nehmen«.25 Auf seiner Orientreise sei er »in einen derart unnormalen Zustand« geraten, dass man befürchtet habe, ihn in eine Irrenanstalt führen zu müssen. Er habe zeitweise geglaubt, »von seiner ersten Frau Emma vergiftet zu werden«.26 Wo die »Grenzen zwischen Realität und Phantasie« lägen, sei »zeitlebens unscharf« geblieben. »Die halluzinatorischen Erlebnisse« ließen sich »nach Alfred Adler als ›Objektivierung subjektiver Regungen‹ sehr gut deuten«.27 »Sinnestäuschungen, deren Trugcharakter vom Patienten selbst erkannt« werde, nenne »man Pseudohalluzinationen«. Solche könnten »tatsächlich bei psychotischen Auslenkungen schwer Neurotischer vorkommen« und ließen »die Diagnose Schizophrenie eher unwahrscheinlich«28 sein. Karl May habe »an einem sogenannten Borderline-Syndrom« gelitten, »einem Grenzzustand zwischen Neurose und Psychose bzw. einer schweren Neurose mit Neigung zu psychotischen Eskalationen«.29 Nach heutiger Auffassung würde ein psychiatrischer Gutachter dem Gericht Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB wegen seelischer Störungen empfehlen. Auf dem Kongress der Karl-May-Gesellschaft in Hannover 1979 wurden ausführlich die Karl May bezüglichen Beurteilungen pro und kontra psychoanalytischer Meinungen so leidenschaftlich diskutiert, dass u. a. Claus Roxin polemischen Auseinandersetzungen entgegentreten musste und auch Helmut Schmiedt versöhnend eingriff. Zweifelsohne forderte von jeher die Psychoanalyse sowie auch generell die psychologische und soziologische Betrachtungsweise nicht nur zu diesem Thema Kritik heraus.


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   Sowohl im Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1980 als auch in den Mitteilungen März, Juni, September, Dezember 1979 sowie März 1980 wurden die verschiedensten Meinungen gegenübergestellt.30

   Wolf-Dieter Bach geht von dem als richtig erkannten Vorgehen aus, dass bei den Kriterien »rationale Überprüfbarkeit« erforderlich ist. Er zitiert Kant, wonach im »Bereich des sinnlich Erfahrbaren und des Verhaltens zwischen Menschen«, also in der Ästhetik und der Ethik, eine angemessene »Erhellung der Gegenstände«31 mit den Kategorien theoretisch-logischen Denkens nicht geleistet werden könne. Bach versucht seine Thesen dadurch zu unterstützen, dass es sich nicht auf diese Weise begründen ließe, warum etwa der Mensch gut sein solle oder inwiefern Beethoven'sche Quartette melancholischen Charakter hätten.

   Damit komme ich zur Arbeit von William E. Thomas ›Karl May und die ›Dissoziative Identitätsstörung‹‹ im Jahrbuch 2000.32 Thomas folgt dabei der Darstellung im DSM-IV,33 wo unter dem Oberbegriff ›Dissociative Disorders‹ Diagnosekriterien für folgende Krankheitsbilder aufgeführt sind:

   ›300.14 Dissoziative Identitätsstörung‹ u. a. mit den Kriterien: A) die Existenz von zwei oder mehr unterschiedlichen Persönlichkeiten oder Persönlichkeitszuständen innerhalb einer Person (jede mit einem eigenen relativ überdauernden Muster, die Umgebung und sich selbst wahrzunehmen, sich auf sie zu beziehen und sich gedanklich mit ihnen auseinander zu setzen); B) mindestens zwei dieser Persönlichkeiten oder Persönlichkeitszustände übernehmen wiederholt die volle Kontrolle über das Verhalten des Individuums.34

   ›300.12 Dissoziative Amnesie‹: Die vorherrschende Auffälligkeit ist eine Episode plötzlicher Unfähigkeit, sich an wichtige persönliche Daten zu erinnern, die zu umfassend ist, um als gewöhnliche Vergesslichkeit erklärt werden zu können.35

   ›300.6 Depersonalisationsstörung (oder Depersonalisationsneurose)‹. Kriterien: A) anhaltendes oder wiederkehrendes Erleben einer Depersonalisation angezeigt durch das Gefühl losgelöst zu sein von eigenen psychischen Prozessen und dem Körper, so als sei man ein äußerer Beobachter; sich z. B. ›wie im Traum‹ zu fühlen; B) dabei bleibt die Realitätskontrolle intakt; C) anhaltend, so schwer, um beträchtliches Leid hervorzurufen.36

   ›300.13 Dissoziative Fugue‹: A) die vorherrschende Auffälligkeit ist ein plötzliches unerwartetes Weggehen von zuhause oder vom gewohnten Arbeitsplatz, verbunden mit der Unfähigkeit, sich an die eigene Vergangenheit zu erinnern; B) Verwirrung über die Identität oder Annahme einer neuen Identität (partiell oder vollständig).37

   Thomas behauptet in seinem Aufsatz, dass die Kriterien der genannten Krankheit (Dissociative Identity Disorder = D. I. D.) erfüllt seien. Ausgelöst worden sei sie durch Traumata in Mays Kindheit (Misshandlungen und die - umstrittene - Blindheit in den ersten Lebensjahren). Dann zitiert Thomas die Störungen des Gedächtnisses bezüglich der Ereignisse, die schließlich zur Gerichtsverhandlung und zur Inhaftierung in Waldheim


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führten. Thomas meint, dass diese Darstellungen glaubwürdig seien; May habe mehrere Episoden der Unfähigkeit gehabt, sich an wichtige persönliche Informationen zu erinnern. Die diagnostischen Kriterien für die ›Dissoziative Amnesie‹ träfen zu.38 Trotz seiner Aktivitäten sei es für May eine »verlorene Schlacht«39 gewesen, so dass er dann angefangen habe, mehr und mehr an Halluzinationen zu leiden.

   Thomas schildert dann ausführlich die Krankheit William Ohlerts in ›Der Scout‹ und dazu eben auch viele ›Zeugen‹, die in Wirklichkeit nur schriftstellerische Kunstgriffe zur Bestätigung von Mays Auffassung über William Ohlert sind. »Die Diagnose einer Fugue, Dissoziativen Amnesie, Benommenheit, Trance und Identitätsstörung« könne »bei William Ohlert gestellt werden«40 - es erscheinen Symptome, die der Schriftsteller einer seiner Figuren zuschreibt, wie sie eben auch von dem Autor in der Selbstdarstellung beschrieben wurden. Dann werden weitere Symptome, die auf D. I. D. hinwiesen, aufgeführt, wie die Entstehung der wechselnden Persönlichkeiten (multiple Persönlichkeiten). Diese Phänomene seien während der Straftaten zwischen 1864 und 1870 aufgetreten.41 May habe nach Thomas dann auch an »kurzen psychotischen Episoden« von Mai bis Juli 1869 gelitten, wofür die Tatsache spräche, dass er in »einem Kinderwagen eine Lampe mit einem Lampenschirm, eine Brille in einem Etui, zwei Brieftaschen mit zwei Talern und verschiedene andere kleine Dinge gesammelt«42 habe usw. Dann zitiert Thomas Mays Ausführungen über die ›lauten Stimmen‹ als weiteren Beleg.43

   Die Frage, ob eine echte D. I. D. vorgelegen habe oder ein »einfacher Trick des Bewußtseins«,44 würde dadurch beantwortet, dass alle diese anderen Alter Egos mit Mays Vergangenheit zu tun hätten oder unglaubwürdig seien, was »mehr auf den dissoziativen Prozeß«45 hindeute.

   Vor Gericht habe der Verteidiger ihn als einen ›komischen Menschen‹ bezeichnet, der gewissermaßen aus Übermut auf der Anklagebank zu sitzen schien. Das Vorliegen von Symptomen der D. I. D. »sollte einen Angeklagten für unfähig erklären, unter Anklage zu stehen«.46

   Ohne Unterstützung sei May »von Halluzinationen, Panikattacken und Phobien geplagt« gewesen, »verursacht durch Flashbacks«, ausgelöst durch ein weiteres Trauma.47 Durch die Einwirkung des Katecheten Kochta in Waldheim hätten sich die Symptome zurückgebildet. Es sei zu sagen, dass May im Zuchthaus geheilt worden sei.

   Die Diagnose einer Schizophrenie stehe nicht »im Einklang mit seinen schriftstellerischen Werken und dem Verlauf seines späteren Lebens«.48 D. I. D. sei »bis vor kurzem ein verwirrender Zustand gewesen, der als eine Kuriosität angesehen«49 worden sei, aber nun sei durch das DSM-IV das Krankheitsbild bestätigt. Nach seiner Entlassung 1874 habe May nicht mehr an den entsprechenden Symptomen gelitten und sei völlig geheilt gewesen.

   Claus Roxin50 berichtet über Cesare Lombrosos These aus seinem Werk ›L'uomo delinquente‹. Lombroso hat behauptet, es gäbe den Typ ›delinquente nato‹, den ›geborenen Verbrecher‹. Die medizinische Erklärung


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dafür sei eine »anthropologische Rückbildung«, die vielleicht »auf Degenerationserscheinungen in der Ahnenreihe oder fötalen bzw. frühkindlichen Erkrankungen beruhen könne«.51 Die »Lehren Lombrosos (...) haben späteren Forschungen nicht standgehalten und sind längst aufgegeben«.52 Dagegen sei richtig, dass »jedermann mit Fähigkeiten und Anlagen geboren« werde, »die sich unter dem Eindruck äußerer (meist familiärer oder sozialer) Bedingungen positiv oder negativ auswirken«53 könnten. Die Ursachen chronischer Kriminalität seien häufig Störungen der emotionalen Bindungen an die Eltern in früher Kindheit. Die »gestörte Beziehung der Eltern zueinander« und zu den Kindern begünstigten »den Aufbau asozialer Charakterformationen mehr als alles andere«.54 Mays Straftaten im Rahmen von Identifikationen mit imaginierten charakteristischen Rollen sei eine Art von Selbstverwirklichung, in denen er sich ›auslebte‹. May sei in »selbstgeschaffenen Gestalten mit spielerischem Ernst« aufgegangen und habe damit »Merkmale des Pseudologen«55 aufgewiesen. Anton Delbrück habe den Begriff der ›Pseudologia phantastica‹ 1891 eingeführt. Der Psychiater Gustav Aschaffenburg z. B. habe geschrieben: »Mancher Hochstapler ist in Wirklichkeit nichts als ein Poet mit weitem Gewissen, das unglückliche Opfer einer allzu phantastischen Veranlagung.«56

   Dann führt Roxin aus, dass die »allgemeinsten Charakteristika des Pseudologen (...) seine autistische Denkweise in Verbindung mit einer (...) auf die Realisierung der eigenen Tagträume drängenden Aktivität«57 seien. Nur ein Autist würde die Widersprüchlichkeit mit der Wirklichkeit unberücksichtigt lassen, das Denken über die Realität sei abgespalten.

   Die entwickelten Rachegefühle und der daraus entstandene Entschluss, nun wirklich auch Verbrechen zu begehen, seien auf die unverhältnismäßig harte Bestrafung zurückzuführen. May habe verständlicherweise nach dem demütigenden Ausschluss aus der Gesellschaft eine »gewaltige Überkompensation seiner Minderwertigkeitsgefühle« entwickelt, und das sei »beinahe natürlich«.58 Es sei international unbestritten, dass eine kurzfristige Zeitstrafe bei Ersttätern zu zerstörerischen Wirkungen führe. Der »Hochstapler« erweise »sich als Produkt gesellschaftlicher Bestrafungsmechanismen«.59

   In seinem Aufsatz: ›»Dr. Karl May, genannt Old Shatterhand«‹ führt Claus Roxin zum ›Bild Karl Mays in der Epoche seiner späten Reiseerzählungen‹60 aus, dass Wollschläger den Deutungsansatz vorgelegt habe, dass es Mays »Sehnsucht nach Liebe«, nach dem »emotionalen Kontakt mit den Menschen und nach deren Zuneigung« gewesen sei, die ihn die »Maske seiner Heldengestalten«61 annehmen ließ. Damit wird die Grundlegung der Pseudologie und der grotesken Identifikationen mit anderen beruflichen Personen aufgenommen, ohne dass man diesen Zusammenhang wirklich sehen oder beweisen könnte.

   Später führt Roxin dann aus, dass May durch verschiedene Behauptungen das ›Ich‹ der Reiseerzählungen übertrumpft habe. Dadurch trete das Bedürfnis nach Geltung in den Vordergrund. Dieses stamme aus »dersel-


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ben Wurzel wie das Verlangen nach der Liebe der Menschen«.62 Würde dem Kind das Urvertrauen in den ersten Lebensjahren nicht vermittelt, schlügen dem Entzug folgende Frustrationen in Aggressionen um. Mays »überstarke(s) Verlangen nach Liebe und Geltung« sei durch »die Sehnsucht breiter Leserschichten« gefördert worden, die die Bewahrheitung der Romane herbeisehnten, und der Dichter habe mit seinen Büchern versucht, »die Schatten der Vergangenheit zu tilgen«.63

   Der Psychoanalytiker Otto Rank sei immer wieder »auf die Erscheinung gestoßen, daß die vorzeitlichen Heldenmythen in ihrer Struktur den Wahnsystemen von Paranoikern ebenso wie pseudologischen Fabeln weitgehend gleichen«.64 Weiter entspräche die Arbeitsweise Mays häufig »der Logik des Traumes, wie sie (...) aus den grundlegenden Arbeiten Freuds bekannt« sei, und die »Mittel der Verschiebung und Verdichtung, des Umsetzens von Gedanken in Bilder und Bewegungsabläufe und vor allem das Prinzip der Umkehrung«65 würden verwendet. Dann führt Roxin die ›Untersuchungen‹ C. G. Jungs über ›Psychologie und Dichtung‹ an, wobei sowohl im Traum als auch bei einer Geistesstörung seelische Produkte an die Oberfläche kämen, »›die alle Merkmale des primitiven seelischen Zustandes an sich‹«66 trügen in Form und Sinngehalt.

   In seiner Abhandlung ›Karl May, das Strafrecht und die Literatur‹67 geht Claus Roxin auf die Frage der Zuordnung Mays zum Begriff ›geborener Verbrecher‹ ein, den es nicht gebe. Der Verfasser weist auf »das verhältnismäßig seltene Beispiel einer geglückten Selbstresozialisierung« des sächsischen Fabulierers hin. Seine Delinquenz sei »alles andere als schicksalhaft vorgezeichnet«68 gewesen und sehr wesentlich durch die Erst-Verurteilung entstanden, durch die gesellschaftliche Diskriminierung und die weitere Stigmatisierung, deren verhängnisvolle weitere Folgen von vornherein nahe liegen müssten. Staatliche Überreaktion habe dazu geführt, dass der zu Phantasmen neigende Delinquent seine Rachegefühle entwickelte. Mays eigene Auffassung dazu würde bestätigt durch die Meinung Stephan Quensels, dass Kriminalität Folge einer fehlgeschlagenen Interaktion zwischen dem Täter und der Sanktionsinstanz sei.69 Roxin meint, dass Mays Hochstapeleien auf ein wenig entwickeltes Über-Ich schließen ließen, denn ein »in seinem Persönlichkeitsgefüge intakter Mensch würde auch dann nicht in dieser Weise handeln, wenn ihm so übel mitgespielt worden sei«,70 was man May zugute halten müsse.



D i e  p s y c h i a t r i s c h  r e l e v a n t e  L i t e r a t u r 


Die psychiatrische Literatur ist in Bezug auf das Thema durch folgende allgemeine Vorbemerkungen darzustellen: Die deutsche Psychiatrie hat sich um die Jahrhundertwende vom 18. zum 19. Jahrhundert von der französischen, bis dahin sehr maßgebenden Lehre der Geisteskrankheiten gelöst.


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   1845 erschien die ›Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten‹ von Wilhelm Griesinger, die in der 3. Auflage im Besitz Karl Mays war71 und nach dessen Beschreibungen er vermutlich seine Symptomatologie dargestellt, ausgeschmückt und kombiniert hatte. Danach kannte Griesinger schon die ›sensitiven Elementarstörungen‹.72 Er berichtet über Kranke, die neben ihrem »körperlichen Selbstempfinden zugleich mit tiefgreifenden psychischen Leiden unter dem Wahn einer verwandelten Persönlichkeit«73 litten. Die Kranken hielten sich für Tiere verschiedener Art, für historische Individuen. Es wird über Ekstase-Zustände berichtet, es werden gleichfalls Halluzinationen und Illusionen erwähnt. Erstere hätten eine scheinbare Objektivität und Realität, während letztere als falsche Deutungen äußerer Objekte anzusehen seien.74 Griesinger kann noch nicht die ätiologisch verschieden einzuordnenden Halluzinationen unterscheiden und führt unter anderem auch »religiöse Visionen« sowie bei unterschiedlichen Persönlichkeiten und literarischen Figuren auftretende Wahrnehmungsstörungen an. Sie seien bei »Nicht-Irren durchaus nichts Seltenes«. Er zitiert beispielsweise »lange Zwiegespräche Tassos mit seinem Schutzgeist«, »Goethes Selbstvisionen und seine fantastisch sprossenden idealen Blumen«, Walter Scotts Erscheinung, Jean Paul, Cellinis Sonnenvisionen. Spinoza und Pascal hätten Halluzinationen gehabt usw.75

   Von Gesunden würden solche Halluzinationen ruhig betrachtet und als nur subjektiv entstanden anerkannt. »Aberglaube, Trägheit des Denkens, Lust am Wunderbaren« würden »die richtige Auffassung« dieser Phänomene »trüben und hemmen« oder sie durch »Stimmungen, Leidenschaften und Affekte, Furcht, Zorn, Freude und dergleichen« hervorrufen oder beeinflussen. Halluzinationen allein genügten durchaus noch nicht, um geisteskrank zu sein. Zusätzlich seien u. a. »ausgebildete Wahnvorstellung« erforderlich. »Von Geisteskranken« würden »die Halluzinationen fast immer für Realität« gehalten, in einigen Fällen, »namentlich im Anfang«, würden sie deren krankhafte Natur zugeben. Häufig betrachte der Kranke das als ›geistiges Hören‹. Griesinger macht eine deutliche Unterscheidung zwischen einer Geisteskrankheit und der bloßen Gemütskrankheit.76

   Parallel zu Griesinger, der nicht als einziger und alleiniger Forscher der aufkommenden wissenschaftlichen Periode der deutschen Psychiatrie zu gelten hat, gab es eine Reihe anderer Autoren, die sich zu den in Frage kommenden Symptomen geäußert und diese sowie die möglicherweise dazugehörenden Krankheitseinheiten beschrieben hat.

   So hat Hermann Emminghaus berichtet von den dem damaligen Zeitgeist entsprechenden Hysterien, von »vermeintlicher Besessenheit, teuflischer Buhlschaft«. In diesem Zusammenhang wurde dann auch über »Sinnestäuschung, Delirien, Bewusstseinsstörungen und vollständig systematischen Wahngebilden« als der in den Vordergrund getretenen »Aberglaubensform« berichtet. Sie seien noch »1861 und 1864 in Hoch-Savoyen« aufgetreten, beispielsweise auch epidemisch bei Mädchen von 12 bis 13 Jah-


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ren, ausgelöst durch den »Anblick von Priestern oder Ärzten« oder »durch Schreck, Furcht, Zorn und Schmerz«.77 Dauerhaft trete bei denen die Idee der Bevorzugung und besonderen Erleuchtung auf. Alle solche Phänomene hätten schon im 13. Jahrhundert zu den Kinderkreuzzügen oder auch noch Mitte des 19. Jahrhunderts zu der »Predigerkrankheit« geführt, im Zusammenhang mit religiöser Überspanntheit, wie sie auch im Rahmen der »Verirrungen der Kalvinisten in Frankreich«78 im 17./18. Jahrhundert aufgetreten seien. In den entsprechenden Zeiten sei es zu einer Häufung von Irrenanstaltsaufnahmen gekommen. Emminghaus beschreibt auch das eigentümliche Phänomen, welches man als ›doppeltes Bewusstsein‹ (Jessen), ›alternierendes Bewusstsein‹ (Solbrig) bezeichnete, das ursprünglich aus dem britischen Kulturkreis kam, von nur einem Tag bis zu Monaten anhaltend. Das Phänomen, welches Jessen als »Doppelwahrnehmung« beschrieben habe, käme »nicht selten, häufiger jedenfalls, als man glaube, bei Gesunden vor«.79 Fantasievorstellungen kämen assoziativ oder willkürlich zustande. Wir könnten uns Illusionen machen, als ob ein äußerer Eindruck so oder so verändert erscheine, während man Halluzinationen nicht willkürlich imitieren könne. Die Illusionen seien (nach dem französischen Psychiater Esquirol) durch zusätzliche Einbildungen zur Wahrnehmung entstanden. Man dürfe sie symptomatisch als Übererregbarkeit der Fantasie bezeichnen. Sie seien »reine Urteilstäuschungen«.80

   Halluzinationen dagegen seien »Fantasmen, welchen keine äußeren Eindrücke entsprechen«. Nach Rudolf Virchow »appercipire der Kranke nicht die Welt, sondern sich selbst, das hieße, die Vorgänge in seinem zentralen Nervenapparat«.81 Der Halluzinierende sei völlig von der Realität seiner Eindrücke überzeugt. Ob solche Halluzinationen unter normalen Verhältnissen wirklich vorkämen, gewissermaßen physiologische Halluzinationen, sei schwierig zu entscheiden.

   »Von den willkürlich reproduzierten Vorstellungen einzelner Personen müssten wir allerdings annehmen, dass ihre Empfindungsbestandteile von einer ganz ungewöhnlichen Lebhaftigkeit seien.«82 Cardanus, Goethe, Balzac usw. hätten behauptet, »sich farbige bzw. leuchtende Bilder von Gegenständen vorstellen zu können«. Sie könnten sowohl als »Ausdruck einer einseitigen oder allgemeinen Erleichterung als auch einer Erschwerung der Assoziationen« in Form von Zwangsvorstellungen auftreten.83 Diese kämen auch beim »Gesunden hier und da« vor. Meistens verschwänden sie nach kurzer Zeit, »selten verweilten sie längere Zeit, indem sie fortwährend sich reproduzierend immer wieder in die Bewusstseinsenge« einträten.84 Es komme im chronifizierten Fall zu Ideen vom Verfolgt- und Gepeinigtwerden, vom Nichtloswerdenkönnen von Vorstellungen. Solche inneren Erfahrungen des Menschen könnten unmotiviert erscheinen. Sie würden als Zwangsvorstellungen aufgefasst werden. Sie könnten »wie beim Gesunden auch bei psychopathischen Individuen durch bestimmte und zwar peinliche Gefühle zuerst und in der Folge im-


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mer wieder von neuem angeregt werden oder völlig unabhängig von solchen, also ganz mechanisch auftreten«. Griesinger habe von einer Grübelsucht gesprochen. »Ein solcher Kranker« könne »wohl seine Stellung im Leben ausfüllen und würde sich nur selten in einer Irrenanstalt befinden«. Patienten sprächen wiederholt aus, dass sie nur so »törichte, lächerliche Gedanken hätten, aber sich von ihnen nicht distanzieren könnten«.85

   Emminghaus berichtet in späteren Passagen ausführlich über »krankhafte Impulse«; das seien »eigentümliche psychische Prozesse, welche sozusagen innerlich vernommene Vorschläge zur Vollführung gewisser, unter den obwaltenden Umständen und in unmotivierter, verkehrter oder den Sittengesetzen geradezu in widerstrebender Handlung zum Bewusstsein« brächten. Beispielsweise könne es dabei zu »Grausamkeiten, Mord, Diebstahl, Brandstiftung, zum Begehen anstößiger, obszöner, monströser, exzentrischer Handlungen kommen«.86 Wenn ein ›Kitzel‹ zur Vollführung dieser Zwangsgedanken führe, bedürfe es eines gegenwirkenden energischen Willensimpulses, dem widernatürlichen Antrieb erfolgreich zu begegnen. Manchmal würde »der Patient nicht mehr gewahr werden, dass er seiner nicht mächtig« sei, und dann »instinktiv nach einem Schema« handeln. Hinterher würde ihm klar, dass »die Tat sonderbar, verkehrt, sinnlos oder entsetzlich« gewesen sei. Er könne sich meistens »keiner Motive« entsinnen und würde zum Ausdruck bringen, dass ›ein Etwas in ihm ihn dazu trieb‹. »Entweder bekennt er sich, zur Rede gestellt, sofort zu der Tat, ja er stellt sich wohl selbst vor Gericht, wenn sie verbrecherisch ist oder er sucht, wenn moralische Analgesie bei ihm vorhanden ist, hinterdrein seine Handlung zu beschönigen und mit Scheingründen zu rechtfertigen.« »Intelligenzstörungen, Wahnvorstellungen können fehlen.« Die Symptome gehörten nicht zu abgeschlossenen Irreseinsformen, womit sicher zum Ausdruck gebracht werden soll, dass es sich um Syndrome und keine definierte Krankheit handelt.87

   Heinrich Schüle88 vertritt die Meinung, dass durch zufällige Übereinstimmung von Vorstellungsreihen mit dem Gefühlsleben Zwangsgedanken entständen. Er berichtet auch über das Phänomen des Doppelbewusstseins und des Wechselns der Persönlichkeit. Es träten mehrere kontinuierliche Hauptgipfel auf, welche sich unabhängig voneinander behaupteten: Er sieht das als Spaltung der Persönlichkeit an und spricht auch vom mehrfachen Ich.

   In dem ›Lehrbuch der Psychiatrie‹ von Otto Binswanger und Ernst Siemerling führt A. Westphal aus, »dass Zwangsvorstellungen, ohne durch einen gefühls- und affektartigen Zustand bedingt zu sein, gegen den Willen des betreffenden Menschen in den Vordergrund des Bewusstseins« träten, »den normalen Ablauf der Vorstellungen« hinderten und durchkreuzten, »sich aus dem Ideenkreis nicht verscheuchen« ließen, »obwohl sie von dem Betreffenden als abnorme, ihm fremdartige anerkannt« würden. Inhaltlich gäbe es den »Grübel- und Fragezwang« oder Zweifel in den Ablauf der Vor-


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stellungen. Zu Beginn befinde »sich der Kranke häufig in einer völlig ruhigen Gemütslage«. Versuche er, Widerstand gegen die sich ihm aufdrängenden Zwangsgedanken und Zwangsimpulse zu leisten, so komme es zu Ängsten und »Erregungszuständen«.89

   Richard von Krafft-Ebing berichtet von krankhaften Zwängen, wobei die Patienten über »quälende, lästige Gedanken« klagten, »deren Ungereimtheit sie vollkommen einsehen, jedoch nicht loswerden« könnten. »Die Gedanken« würden »sich beständig in ihr bewusstes logisches assoziiertes Vorstellen« eindrängen, »sie in dem Ablauf (stören), dadurch beunruhigen.« Es komme infolge dieser Zwangsgedanken zu Impulsen, entsprechende Handlungen damit zu verbinden, wobei die Patienten es selbst als »lächerlich oder abscheulich« ansähen. Diese Zwangsvorstellungen entständen spontan oder würden durch »Ereignisse erschütternden Einflusses hervorgerufen«. Sie müssten durch innere, physiologische, das psychische Organ treffende Reize geweckt und unterhalten sein. Solche Gedanken seien nur mit einer »gewissen Aufbietung von Willenskraft und Anstrengung zu verscheuchen«. Im Gegensatz zu Wahnideen unterschieden sich diese Zwangsvorstellungen in ihrem Verhalten gegenüber dem Bewusstsein dadurch, dass die Patienten sie »fortwährend als krankhafte Erscheinungen« beurteilten und damit über ihnen ständen.90

   Störungen des Gedächtnisses »(= der identischen Reproduktion der Vorstellungen)« würden »in Exaltationszuständen überraschend wieder hervorgerufen«.91 In einem Fall des Auftretens handle es sich um bloß funktionelle Störungen im Gedächtnisorgan, wobei die »erschwerte oder temporäre unmögliche Reproduktion« Teil-Erscheinung einer allgemeinen Hemmung der psychischen Vorgänge oder eine »Erschöpfung des psychischen Organs (geistige Ermüdungs- oder Erschöpfungszustände)« sei.92 Entscheidend für die Rückerinnerungsfähigkeit sei die Intensität der Bewusstseinstrübung, welche den Krankheitsvorgang bedingte. Partielle Amnesien seien als temporär episodische, auch bei Hysterikern, nicht selten.

   Im Gegensatz zu den Zwangsphänomenen gäbe es aber Wahnideen. Das seien inhaltliche Störungen im Vorstellen aufgrund einer Hirnerkrankung oder einer geistigen Erkrankung. Bei Wahnideen würde nichts dagegen wirksam sein, und deswegen könne »man dem Kranken seinen Wahn nicht ›wegdisputieren‹ oder seine Krankheit mit Reden kurieren, während der Gesunde seinen Irrtum« einsehen und korrigieren könne, sobald er ad absurdum geführt werde. »Wahnideen« ständen mit dem »früheren Ich des Patienten, mit seiner früheren Denk- und der Erfahrungsweise im grellen Widerspruch«, während der »bloße Irrtum eines Gesunden aus seiner früheren Anschauungsweise, seinem Bildungsgrad eher begreiflich, mindestens damit nicht im Widerspruch« stehe.93 »Der von Halluzinationen Heimgesuchte« höre, rieche, schmecke, fühle »mit der vollen Deutlichkeit einer objektiv begründeten Sinneswahrnehmung Dinge, die einer wirklichen Begründung« entbehrten. Der Vorgang sei entschieden krankhafter.94


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»Von den Halluzinationen« ließen »sich die Illusionen unterscheiden, deren Sinnesempfindungen auf dem Weg zum Apperzeptionsorgan eine Fälschung« erführen »und das Bewusstsein über die Quelle des Empfindungsvorganges« täuschten.95 »Mit Fortschreiten der Trübung« würde »der Betroffene die falschen Wahrnehmungen für Flammen, Teufel, Drohworte und Schimpfreden« halten.96

   Theodor Ziehen97 versucht Halluzinationen einerseits durch das Verhältnis Reiz - Reaktion zu beschreiben, andererseits hirnlokalisatorische Gesichtspunkte zu sehen. Er macht keine deutlichen Unterschiede zwischen Halluzinationen bei Psychosen und bei Hysterien verschiedener Krankheitseinheiten und Syndrome. Dagegen beschreibt er die Zwangsgedanken und Zwangvorstellungen in klassischer Weise (s. oben). Dissoziative Störungen handelt er unter ›Inkohärenz‹ ab. Viele Kranke würden nachträglich zugestehen, Theater gespielt zu haben. An diesen Störungen sieht der Autor häufig Übergänge zu Psychosen (Geisteskrankheiten).



D i e  E n t w i c k l u n g  d e r  P s y c h i a t r i e  n a c h  A b f a s s u n g  d e r  S e l b s t d a r s t e l l u n g  M a y s


Vorbemerkung: Die Literaturstellen beweisen, dass die Symptomatologie Mays unabhängig von seinen Beschreibungen und nicht ad hoc erfolgte.


Alexander Pilcz sieht bei den hysterischen Persönlichkeiten, dass es dort auf autosuggestiven Wegen zur kritiklosen Verfälschung der Vorstellungs-Inhalte komme. Durch Zweckvorstellungen käme es zu dem eigenartigen ›Krankheitswillen‹, teils in Form einer »Flucht in die Krankheit«. »Die Hysteriker wollten krank sein«, im Gegensatz dazu wollten »Simulanten krank scheinen«. Bei der ›Pseudologia phantastica‹ sieht er eine »abnorme Übererregbarkeit der Einbildungskraft und eine außerordentliche Beweglichkeit des Erinnerungs- und Vorstellungsinhalts«. Erlebnisse würden bei maßloser »Eitelkeit sofort in mannigfacher Art verändert«. Man wolle mehr scheinen, als man sei, mehr erlebt haben, als es die »nüchterne Alltagsprosa« mit sich bringe. Gleichgültigste Erlebnisse würden durch Zusätze, Auslassungen und Variationen ausgeschmückt, es träten »Erinnerungen aus Kolportageromanen, Räuberdramen, sensationellen Zeitungsberichten« hervor. »Dieses Krankheitsbild« würde »hinübergleiten zu den harmlosen Renommisten, Leuten mit mangelhafter Gedächtnistreue«.98

   Karl Jaspers99 ist der Meinung, dass im Rahmen hysterischer Persönlichkeiten ein hypnoider Zustand mit Tagträumen und ein Dämmerzustand unter Ausschaltung des normalen Bewusstseins aufträten mit dem Phänomen der doppelten Persönlichkeit oder des ›alternierenden Bewusstseins‹. Das abgespaltene Seelenleben trete so reich entwickelt auf, dass man glaube, es mit einer Persönlichkeit zu tun zu haben. Man habe häufig für eine große


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Zahl hysterischer Phänomene denselben Mechanismus angenommen, wahrscheinlich ausgelöst durch bestimmte Erlebnisse.

   In seinen ›Gesammelten Schriften‹100 berichtet Jaspers über einen Patienten, der nachträglich seine Krankheitserscheinungen darstellt und der über die Realität der von ihm gehörten Stimmen bei der Leibhaftigkeit derselben keine Zweifel habe. Die Stimmen seien unabhängig von seinem Willen und seinen Gedanken aufgetreten. Nur wenn die Stimmen abklängen, glaube er, dass es sich um Halluzinationen handele. Wenn sie wieder aufträten, sei er vom Gegenteil überzeugt (sog. doppelte Buchführung). Nach Meinung von Jaspers seien die Trugwahrnehmungen durch ihre Leibhaftigkeit gegenüber den Pseudohalluzinationen abzugrenzen. Bei den Trugwahrnehmungen hätten wir es mit leibhaften sinnbildlichen Erlebnissen zu tun, nicht mit vorstellungsmäßigen. Manchmal würden Kranke willkürlich aus innerer Lust sich eine eigene Fantasiewelt schaffen, lebhaft mit derselben verkehren, ohne doch im mindesten von ihrer Realität überzeugt zu sein. Sie gäben sich der Situation wie ein Schauspieler hin, aber mit größerer subjektiver Hingabe. Es entstehe der Anschein, als ob sie auch wirklich mit ihren Sinnen die imaginäre Umgebung zu empfinden glaubten. Es handele sich hier überall nicht um Sinnestäuschungen, sondern um lebhafte Fantastereien, die höchstens den Beobachter täuschen könnten. Wenige Kranke versuchten sich auch interessant zu machen, lögen hinzu und gäben nur für Sinnestäuschungen aus, was bloß Fantasterei sei.

   Aus der Literatur gehe hervor, dass es Zwangshalluzinationen gebe. Die Betroffenen würden damit leben bei klarem Bewusstsein mit voller Einsicht in das Krankhafte und mit einem Gefühl des Zwanges, diese Halluzinationen nicht loswerden zu können. Sie könnten in Form von Zwangsbefürchtungen (Phobien) auftreten.

   Friedrich Schulhof spricht von den so genannten unechten Halluzinationen (sich anlehnend an den Philosophen Hans Vaihinger von ›Als-ob‹-Halluzinationen) sowie auch in Ergänzung dazu von ›Als-ob-Gefühlen‹, ›somatischen Als-ob-Halluzinationen‹ und ›somatischen Als-ob-Gefühlen‹, von ›seelisch nervösen Als-ob-Halluzinationen‹. Bezüglich der ›Als-ob-Halluzinationen‹ führt er aus, dass diese die Erscheinungsform hätten, als ob »einer der fünf Sinne etwas wahrnehmen würde«. »Die Kranken sagten sehr oft selbst, es sei ihnen  a l s  o b  ihnen das oder jenes gemacht werden würde.«101 Bezüglich der Hochstapler meint Schulhof, das gemeinsame Merkmal sei bei ihnen die unglaubliche und schnelle Erfindungsgabe der schauerlichsten oder schönsten, der interessantesten oder gefährlichsten Romane, die sie erlebt haben wollen, wie die abenteuerlichsten Erfolge etwa bei Frauen, im Lotto, die Erfolge der Nabobs auf Börsen usw. Viele hätten geradezu eine chamäleonartige Fähigkeit, in jedem Augenblick aus einer Maske in die andere zu schlüpfen. Eine harmlose Untergruppe der Hochstapler seien die Fantasten, mit denen einfach die Fantasie bei allen möglichen Gelegenheiten durchgehe. Sie würden Pläne schmieden, die sie


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weder nach ihren Verhältnissen noch nach ihren tatsächlichen Fähigkeiten jemals ausführen könnten. Hierher gehörten die Erbauer wirklichkeitsfremder Schlösser, die Träumer, die sich eine der wirklichen Welt ganz fremde, andere, schönere und ihnen erwünschte Welt erträumten. Karl Bonhoeffer habe davon »eine Gruppe von ›pseudologischen‹ Fantasten zusammengefasst«, und »den Zustand nannte er auch Pseudologia phantastica«.102 Es gebe Hochstapler, die sonst im Leben ganz anständige Menschen gewesen seien, doch die meisten echten Hochstapler seien hinterher selbst darüber erstaunt, wie sie es hätten so weit kommen lassen können. Hochstapler arbeiteten nicht nach bestimmten, vorher bedachten Plänen und hätten aus ihrer Hochstapelei für sich selbst keine materiellen Vorteile, auch wenn sie anderen Menschen noch so viel materialen Schaden angetan hätten. Sie unterschieden sich dadurch von den gemeinen Betrügern, die nach bestimmten, wohl durchdachten und vorher festgelegten Plänen im vollen Bewusstsein handelten zu dem alleinigen Zweck, für sich selbst materielle Vorteile auszubeuten. Diese zuerst genannte Hochstapelei habe nichts Chronisches, träte höchstens in wiederholten Attacken auf und würde wie eine Krankheit wieder abklingen.

   William McDougall beschreibt eine Reihe von »Dissoziations- (Spaltungs-)Symptomen«, wie beispielsweise »die Amnesie«,103 manchmal auch eine Kontaktstörung im Rahmen eines einfachen Systems von Funktionen, Störungen der Fähigkeit, solche Funktionen zu lenken, zu kontrollieren oder zu benutzen. Häufig trete eine solche Dissoziation als Ausweg aus einem Konflikt auf. Es gebe eine Gruppe von Fällen, die als Fugue (›Flucht‹, im deutschen Fachschrifttum auch ›Poriomanie‹) bekannt seien. Solch ein Patient könne ziellos herumlaufen, könne an einem anderen Aufenthaltsort wiederum eine scheinbar gewöhnliche Lebensführung realisieren. Es könnten »geheime Wünsche« auf diese Weise »Fantasien« erzeugen, wie eine »Verwirrung, einen Traumzustand, einen emotionalen Schock«, eine »die Persönlichkeit aus dem Gleichgewicht werfende Gefühlserregung« von einer Furcht bis hin zu Phobien, und es würden »unkontrollierbare Impulse« auftreten können.104

   Werner Wagner ist der Meinung, dass es bei Zwangserscheinungen zu einem »ständigen, nie oder doch in längeren Perioden nicht zu befriedigenden Kampf« zwischen einer sozialen Eingliederung und den vom Patienten an sich bejahten »höheren Werten« einerseits und »damit nicht vereinbaren (...) Triebregungen« andererseits komme.105

   Oswald Bumke106 erklärt, das Bewusstsein könne sowohl auf gehirnorganischer Grundlage als auch erlebnisbedingt verändert sein. Im Gegensatz zur Erschwerung der Auffassung, des Wahrnehmens, des Denkens und des Merkens bei organisch bestehenden Bewusstseinsstörungen würden bei traumhaften Bewusstseinsstörungen manche Vorstellungen erleichtert, die Rangordnung würde aufgehoben, es kämen Störungen des Zusammenhangs der Denkvorgänge, Trugschlüsse, fantastische Erlebnisweisen zu-


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stande, und in Folge der fehlenden Kritik komme es leicht zu Erinnerungsbildern von bunten und fantastischen Gestalten.

   H. Pauleikhoff107 fordert, man müsse mit Kurt Schneider die Jasper'sche Unterscheidung zwischen kausalen und verständlichen Zusammenhängen sprachlich präzisieren und die Termini sinnlos - sinngesetzlich (= sinnvoll) gebrauchen.

   Der Versuch einer ›Gestaltanalyse des Wahns‹ (hier im Zusammenhang mit einer beginnenden Schizophrenie) durch Klaus Conrad108 ergab zwei zusammenhängende Momente zu Beginn der Erkrankung: das Erlebnis des abnormen Bedeutungsbewusstseins, von Conrad mit ›Apophänie‹ bezeichnet,109 und die so genannte Anastrophé, das Erleben, im Mittelpunkt zu stehen, »so als ob sich alles Weltgeschehen um den Kranken drehen würde«.110 Das sei eine tiefgreifende Störung der Fähigkeit zum Wechsel des Bezugssystems beim Kranken, nämlich der Verlust der Fähigkeit zum so genannten Überstieg (d. h. seine eigene Welt mit der Welt der anderen in Beziehung zu bringen). Den Bewegungszustand des eigenen Bezugspunktes zu sehen sei dem Kranken im Falle einer Psychose, einer Schizophrenie, wie auch bei  e c h t e n  Halluzinationen, nicht möglich. Der Gesunde sei dagegen fähig, sich selbst seinen Bezugspunkt klarzumachen.

   Nach Ausführungen von Gottfried Ewald111 komme es infolge von Irrtümern auch zu wahnhaften Ideen, die aber wieder zur Norm zurückkehrten, den so genannten ›überwertigen oder fixen Ideen‹. Es seien aber Allgemeinerscheinungen im Verlauf jedes Menschenlebens. Meistens klängen diese Ideen wieder ab, und es komme zur Gemütsberuhigung und allmählich auch zur Korrektur. Es könne andererseits aber auch zu einer völlig verschrobenen Einstellung gegenüber der Umwelt, zu einer fixen Idee kommen, die mit Fanatismus lebenslang verfolgt würde, und es entstehe die schiefe Persönlichkeitsentwicklung des Paranoikers, auch mit einer allmählichen Erweiterung zu einem Verfolgungswahn. Doch das Wahnsystem bleibe logisch und verständlich. Man finde solche Wahnentwicklungen auch bei psychopathischen oder hysterischen Persönlichkeiten.

   Henricus Cornelius Rümke berichtet besonders auch über Untersuchungen in der »Klinik und Psychopathologie der Zwangserscheinungen«.112 Er zitiert Friedman, der »unabgeschlossene Vorstellungen für den Ursprung der Zwangsvorstellungen« hält. Es bestehe eine ›Abschlussunfähigkeit‹.113 Durch die »peinliche Wirkung der Abschlussunfähigkeit« könne »eine Erwartungsangst entstehen oder bei skrupulös-pedantischer Wesensart eine abnorme Denkhemmung, wodurch die Abschlussunfähigkeit größer [werde] und damit auch das zwanghafte Zweifeln«. Es könne »die ganze Denkbewegung primär gestört sein«. Nach Meinung von Rümke »entsteht ein Teil der Zwangserscheinungen auf psychasthenischem Boden«.114 Es bestehe beim Zwang nicht eine Störung der Denkfähigkeit, sondern der Gelassenheit, bei subjektiven Zwängen sei die Kritik erhalten. Bei allen schweren Formen sei die Kritik aber verschwunden, und doch bleibe dann noch ir-


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gendetwas von einem Zwangselement erhalten. Rümke zitiert fernerhin Steiner, »die eigentliche krankhafte Störung des Zwangsneurotikers« sei »nicht die Denkautomation, der wir alle gelegentlich einmal unterworfen« seien, »sondern die pathologische Einstellung des Willkürapparates gegen die Denkautomation«. Gehäufter kämen »Zwangserscheinungen im Gebiet der manisch-depressiven Psychosen vor«.115 Noch umfangreicher seien Zwangsphänomene nicht selten im Gebiet der Normalität (z. B. in der Pubertät oder im Klimakterium), und der normale Mensch gehe darüber zur Tagesordnung hinweg. Der Zwang gehöre zu den allgemeinen Reaktionsmöglichkeiten des menschlichen Seelenlebens. Zusammenfassend kämen Zwangserscheinungen »a) bei der Psychasthenie, b) bei einfacher Zwangsneurose, c) bei der malignen Zwangskrankheit sowie d) bei den Zwangserscheinungen infolge degenerativer Erkrankungen vor«.116

   Bezüglich der dissoziativen Störungen sieht Peter Berner117 beispielsweise formale Denkstörungen und die Parathymie, Störungen der Dynamik, wie Affektverflachung, dynamische Entleerung, dynamische Entgleisungen (Ambivalenz, Depersonalisation, Derealisation, Eigenbeziehungen, Wahnbildungen).

   Walter Schulte und Rainer Tölle vertreten zu den Depersonalisations- und Derealisationssyndromen die Meinung, dass »der lebendige Bezug des Patienten zu sich selbst und zu der Umwelt verloren gegangen« sei. Das seien »unspezifische psychogene Reaktionsweisen, die nicht einer bestimmten Krankheitseinheit« zuzurechnen seien.118 Die Schilderung von ›inneren Stimmen‹ der Patienten sei ein Analogon zu eidetischen Bildern, die bei manchen hoch sensiblen, aber gesunden Menschen aufträten, beispielsweise bei der Regung ihres Gewissens. Sie sprächen auch von der Stimme Gottes. Bevor akustische Halluzinationen diagnostiziert würden, müsse geprüft werden, ob es sich nicht lediglich um diese ›inneren Stimmen‹ handele, die noch in den Bereich des normalen Psychologischen fielen.

   Henning Saß119 führt aus: Beginnend mit Lombrosos Auffassungen vom ›geborenen Verbrecher‹ entstanden Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich und schließlich auch Deutschland eine kriminalbiologische Forschungsrichtung auf dem Boden einer Generations- und Konstitutionslehre, nach dem Zweiten Weltkrieg aber eher soziogenetische Theorien bezüglich der Erklärung abweichenden Verhaltens, wobei konstitutionelle und genetische Faktoren weitgehend vernachlässigt würden. Besonders von psychoanalytischer Seite wurden ungünstige emotionale Beziehungen in den Familienverhältnissen und den Milieubedingungen angenommen. Sigmund Freud habe schon 1915 von unbewussten Schuldgefühlen und Selbstbestrafungstendenzen gesprochen, Wilhelm Reich (1925) vom triebhaften Charakter usw. Nach Émile Durkheim (1897) führen belastende soziale Umstände, Armut und Isolation auch zur Delinquenz.120 »Von den charakterologischen Persönlichkeitsauffälligkeiten der dissozialen Charakterstruktur traten am stärksten die Egozentrizität, die mangelhafte Empa-


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thie/Gefühlskälte und die paradoxe Anpassungserwartung hervor.«121 Besonders gemütlose, willenslose und stimmungslabile Persönlichkeiten seien an der Delinquenz beteiligt, äußerst selten anankastische (= unter Zwangsvorstellungen leidende) Persönlichkeiten.122

   Gerd Huber und Gisela Gross123 beschreiben die Gestalt und Struktur psychologischer Wahnbetrachtung (nach den Arbeiten von Klaus Conrad, Werner Janzarik und Karl Peter Kisker), die durch den Verlust der Fähigkeit gekennzeichnet sei, jederzeit den Übergang aus dem solipsistischen-ptolemäischen Standpunkt in die ›kopernikanische Einstellung‹ zu vollziehen (d. h. den Wechsel des Bezugssystems, nach Conrad). Dieser Gestaltwandel sei als ein völlig neues, formales Moment anzusehen und laufe auf den Verlust einer kritischen Subjekt-Objekt-Erkenntnis hinaus, bei Übrigbleiben der protopathischen Leistungsform.

   Lilo Süllwold124 berichtet über das ›Borderline-Syndrom‹, das früher zu den Schizophrenien gerechnet wurde, jetzt als ›schizoide Persönlichkeitsstörung‹ angesehen werde mit ›Beeinträchtigung der Anpassungsfähigkeit‹, ›Rückzugsverhalten‹, frei flottierender Angst bei partieller Einsicht in die Störungen. Die Betreffenden zeigten paranoide (kurzdauernde) Reaktionen, seien streitsüchtige und ständig misstrauische Charaktere. Es komme zu Wahrnehmungsverzerrungen, Entfremdungsideen, Anhedonie.

   In den diagnostischen Kriterien und Differentialdiagnosen nach dem ›Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders‹125 versucht die amerikanische Psychiatrie sich von manchen vorgegebenen Einteilungen der bisherigen europa-kontinentalen abzusetzen insofern, als sie einerseits neue Kriterien festsetzt und andererseits den Anspruch erhebt, weniger als bei den bisherigen Klassifikationen Ursachen psychischer Auffälligkeiten mit einzubeziehen und vermeintlich neutral empirisch vorzugehen. Dabei bleibt auch die American Psychiatric Association deutlich nicht konsequent. Der Begriff der Psychose wurde zwar abgeschafft, tauchte aber dann als Adjektivum (›psychotisch‹) immer wieder auf. In der Ziffer 300.14 wird über das Krankheitsbild der ›Multiplen Persönlichkeitsstörung‹ (Dissociative Identity Disorders) berichtet, wobei zwei oder mehr unterschiedliche Persönlichkeiten oder Persönlichkeitszustände innerhalb einer Person dargestellt werden. Dabei würden mindestens zwei dieser Persönlichkeiten oder Persönlichkeitszustände wiederholt die volle Kontrolle über das Verhalten des Individuums übernehmen.

   Unter 300.13 schildert das DSM die ›psychogene Fugue‹ (Dissociative Fugue) und beschreibt die Kriterien so, dass die vorherrschende Auffälligkeit in einem unerwarteten Weggehen von zuhause oder vom gewohnten Arbeitsplatz bestehe, »verbunden mit der Unfähigkeit, sich an die eigene Vergangenheit zu erinnern«. Es werde dann partiell oder vollständig eine neue Identität angenommen. Unter 300.12 beschreibt das DSM die ›psychogene Amnesie‹ (Dissociative Amnesia), wobei die »vorherrschende Auffälligkeit eine Episode plötzlicher Unfähigkeit« sei, »sich an wichtige


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persönliche Daten zu erinnern«. Die Störung sei umfassender, um als gewöhnliche Vergesslichkeit erklärt werden zu können (was weiter nicht definiert, quantifiziert oder qualifiziert wird).

   Unter 300.6 (Depersonalisationsstörung - Depersonalization Disorder) schildert dieses Manual »das anhaltende oder wiederkehrende Erleben einer Depersonalisation mit dem Gefühl, losgelöst zu sein von eigenen psychischen Prozessen oder dem Körper, als sei man ein äußerer Beobachter« oder fühle sich wie ein Roboter oder ›wie im Traum‹. Die Realitätskontrolle bleibe intakt.126 Unter 300.15 führt das Manual aus, dass zu den dissoziativen Störungen NNB (Dissociative Disorders NOS [Not Otherwise Specified]) folgende Merkmale gehören: »Beeinträchtigung oder Wechsel der normalen integrativen Funktionen und der Identität des Gedächtnisses oder des Bewusstseins.« Dazu zählen auch das Ganser-Syndrom und die mangelnde Ausübung der Kontrolle über das Individuum. Darüber hinaus beständen Trancezustände, das heiße: »veränderte Bewußtseinszustände mit einer deutlich eingeschränkten selektiv gerichteten Empfänglichkeit für Umgebungsreize.« Sie träten z. B. nach »Gehirnwäsche oder Indoktrination während einer Gefangenschaft durch Terroristen oder Anhänger eines Kults« auf. Als weiteres Kriterium werden Fälle aufgeführt, »in denen plötzliche und unerwartete Reisen und ein organisiertes gerichtetes Verhalten bei gleichzeitiger Unfähigkeit, sich an die Vergangenheit zu erinnern«, erfolgten. Nach Angaben des DSM sei die Gesamtheit dieser Symptome oder Syndrome statistisch gesichert worden.

   Gerd Huber, dessen Lehrbuch die Grundlage für die in der vorliegenden Arbeit im wesentlichen angeführten psychiatrischen Aussagen darstellt, nimmt zu den hier relevanten Zitaten folgendermaßen Stellung: Die multiplen Persönlichkeitsstörungen würden fast nur in den USA diagnostiziert. Sie gehörten zu den »hysterischen Persönlichkeitsstörungen, die der Pseudologia phantastica« nahe ständen, und es handle sich »um ein bewusstseinsnahes Syndrom oder sogar eine vorgetäuschte Tendenzreaktion«. Seine Mitarbeiter und er hätten in »Deutschland in 40-jähriger Tätigkeit keinen Fall beobachtet, der die genannten Kriterien erfüllen« würde.127 Er rechnet diese Störung und diesen gesamten Komplex der Dissoziation zu den hysterischen Neurosen, basierend auf unausreichender Erlebnisfähigkeit, Kommunikations- und Bindungsschwäche. Hysteriker verständen es, ihre Mitwelt, auch die untersuchenden Ärzte, die nicht selten ihre ›Pseudologenberichte‹ für bare Münze nähmen, für sich einzunehmen.



D i e  S e l b s t d a r s t e l l u n g  K a r l  M a y s  i n  s e i n e r  A u t o b i o g r a f i e  › M e i n  L e b e n  u n d  S t r e b e n ‹


Vorbemerkung: Über Selbstbiografien in der gesamten Kulturgeschichte, von den Werken des Altertums im Mittelmeerraum über Caesars ›Galli-


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schen Krieg‹ und die Fremddarstellungen wie z. B. Einhards über Karl den Großen bis zur Selbstbiografie etwa Bismarcks ›Gedanken und Erinnerungen‹ oder anderer Staatsmänner und Heerführer (insbesondere dann, wenn sie Schlachten oder Kriege verloren hatten), ja bis zu Churchill - auch Hitlers ›Mein Kampf‹, soweit er sich mit seiner Entwicklung beschäftigt, steht in dieser Reihe -, bestehen durchgängig die kritischen Meinungen und Beurteilungen, dass solche selbstentwickelten und ›gebastelten‹ Erlebnis-Darstellungen aus Gründen des von der Mitwelt und dem eigenen Rechtfertigungsbedürfnis Erwünschten fast immer eine wesentliche Diskrepanz zur Wirklichkeit aufweisen. Das liegt also im Grunde genommen in der Persönlichkeit des Darstellenden. Bei Karl May ist das natürlich in ›Mein Leben und Streben‹ anerkanntermaßen nicht anders. Wenn man also über eine solche berühmte historische Gestalt schreiben will, ist es nie angebracht, sich einzig und allein auf dessen Memoiren zu stützen, sondern es ist sehr notwendig, Zeitzeugen und objektive Darstellungen aus den betreffenden Lebensabschnitten heranzuziehen. Bei Karl May besteht die größte Schwierigkeit darin, wie schon ganz am Anfang erwähnt, dass der später so berühmte und wirkungsvolle Autor zu Lebzeiten nie psychiatrisch oder neurosen-psychologisch untersucht wurde. Wir sind also nur auf die Angaben von ihm selbst, die spärlich überlieferten, mehr oder weniger objektiven, Fakten und die immerhin schon sehr umfangreichen wissenschaftlichen Untersuchungen angewiesen.


Nichtsdestoweniger kann man trotz vieler Unglaubwürdigkeiten und Falschdarstellungen in seiner Selbstschilderung auf diese natürlich nicht verzichten, wenn man nur die Bedenken und Einwände mitverarbeitet und sein Werk äußerst kritisch liest. Dabei kommt es häufig weniger darauf an, das von ihm Geschriebene zu übernehmen, als vielmehr die Stellen zu berücksichtigen, wo er ganz offensichtlich auch Beschreibungen beispielsweise aus dem Lehrbuch der Psychiatrie von Griesinger übernimmt, so dass die daraus entstandenen Fehlleistungen sehr gut verwertet werden können. Im Gegensatz zu sonst gebräuchlichen Bezeichnungen wie Selbstbiografie oder Autobiografie u. a. habe ich bewusst den Ausdruck ›Selbstdarstellung‹ benutzt, weil es sich sehr augenfällig um ein Werk handelt, in dem May sich nicht nur gegen die in seinen letzten Lebensjahren massiven Anwürfe und Beschuldigungen wehrt, sondern auch sein Selbstverständnis über seine Entwicklung von den Anfangsverfehlungen bis zum Verfasser eines wertvollen Alterswerkes darstellt.

   In seiner Darstellung berichtet May über die Diskrepanz zwischen seinem größeren, angelernten Wissen und dem seiner gleichaltrigen Mitschüler, sieht aber in dem Überspringen der Klassen (von ein bis zwei Jahren) einen


schmerzlichen Diebstahl, den man an mir beging. Ich bemerke hier,  d a ß  i c h  s e h r  s c h a r f  z w i s c h e n  G e i s t  u n d  S e e l e ,  z w i s c h e n  g e i s t i g  u n d  s e e l i s c h


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u n t e r s c h e i d e . ... Ich saß nicht unter Altersgenossen. Ich wurde als Eindringling betrachtet und schwebte mit meinen kleinen, warmen, kindlich-seelischen Bedürfnissen in der Luft. Mit einem Worte, ich war gleich von Anfang an klassenfremd gewesen und wurde von Jahr zu Jahr klassenfremder. ... Jeder erwachsene Mensch und noch viel mehr jedes Kind will festen Boden unter den Füßen haben, den es ja nicht verlieren darf. Mir aber war dieser Boden entzogen .. [so] daß ich ... in meiner Heimat fremd bin, ja fremder noch als fremd. Man kennt mich dort nicht; man hat mich dort nie verstanden, und so ist es gekommen, daß um meine Person sich dort ein Gewebe von Sagen gesponnen hat, die ich ganz unmöglich zu unterschreiben vermag.128


Er sei durch den Vater mit vielen Büchern und gelehrten Abhandlungen sondergleichen überfüttert worden. Durch die vom Vater gewünschte Anwesenheit bei Besuchen all seiner Bekannten habe er Dinge hören und Beobachtungen machen müssen, welche der Jugend am besten vorenthalten blieben. Er habe geistig weder innerlich noch äußerlich einen Halt besessen. Er sei nicht gesund, sondern krank, schwer krank gewesen, vergiftet durch die Schundromane der Leihbücherei:


Ich begann, Angst vor mir zu bekommen, und arbeitete unausgesetzt an meiner seelischen Gestalt herum, mich innerlich zu säubern, zu reinigen, zu ordnen und zu heben, ohne fremde Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen, die es ja auch gar nicht gab.129


Nach der Uhren-Affäre, dem angeblichen Diebstahl, wurde May zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt. Dazu führt er aus:


Ob und womit ich mich verteidigt habe; ob ich zur Berufung, zur Appellation, zu irgend einem Rechtsmittel, zu einem Gnadengesuche, zu einem Anwalt meine Zuflucht nahm, das weiß ich nicht zu sagen.  J e n e  T a g e  s i n d  a u s  m e i n e m  G e d ä c h t n i s s e  e n t s c h w u n d e n ,  v o l l s t ä n d i g  e n t s c h w u n d e n .  Ich möchte aus wichtigen psychologischen Gründen gern Alles so offen und ausführlich wie möglich erzählen, kann das aber leider nicht, weil das Alles infolge ganz eigenartiger, seelischer Zustände, über die ich im nächsten Kapitel zu berichten haben werde, aus meiner Erinnerung ausgestrichen ist. ... Als ich mich mühsam erholt hatte und wieder kräftig genug auf den Beinen war, bin ich nach Altchemnitz gegangen, um mein beschädigtes Gedächtnis wieder aufzufrischen. Es war in Beziehung auf die Oertlichkeit vergebens;  i c h  e r k a n n t e  n i c h t s ,  w e d e r  d i e  F a b r i k ,  n o c h  m e i n e  d a m a l i g e  W o h n u n g ,  n o c h  i r g e n d  e i n e  S t e l l e ,  a n  d e r  i c h  g a n z  u n b e d i n g t  g e w e s e n  w a r .130


Nachdem er den Buchhalter zufällig auf der Straße wiedergetroffen hatte und dieser sich zu entschuldigen versuchte, habe er den Mann mitten auf der Straße stehen lassen und sich entfernt, ohne ihm einen Vorwurf zu machen. Ja ich ging fort, aber wohin?!  D a s  a h n t e  i c h  d a m a l s  n i c h t .131


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Weiter schreibt er:


Die im letzten Kapitel erzählte Begebenheit hatte wie ein Schlag auf mich gewirkt, wie ein Schlag über den Kopf, unter dessen Wucht man in sich selbst zusammenbricht. Und ich brach zusammen! Ich stand zwar wieder auf, doch nur äußerlich;  i n n e r l i c h  b l i e b  i c h  i n  d u m p f e r  B e t ä u b u n g  l i e g e n ; w o c h e n l a n g ,  j a  m o n a t e l a n g .132


... denn es herrschte jetzt in mir das strikte Gegenteil von Klarheit; es war Nacht; es gab nur wenige freie Augenblicke, in denen ich weitersah, als grad der heutige Tag mich sehen ließ. Diese Nacht war nicht ganz dunkel; sie hatte Dämmerlicht. Und sonderbar, sie erstreckte sich nur auf die Seele, nicht auch auf den Geist. Ich war seelenkrank, aber nicht geisteskrank.  I c h  b e s a ß  d i e  F ä h i g k e i t  z u  j e d e m  l o g i s c h e n  S c h l u s s e ,  z u r  L ö s u n g  j e d e r  m a t h e m a t i s c h e n  A u f g a b e .  I c h  h a t t e  d e n  s c h ä r f s t e n  E i n b l i c k  i n  a l l e s ,  was außer mir lag; aber sobald es sich mir näherte, um zu mir in Beziehung zu treten, hörte diese Einsicht auf.  I c h  w a r  n i c h t  i m s t a n d e ,  m i c h  s e l b s t  z u  b e t r a c h t e n ,  m i c h  s e l b s t  z u  v e r s t e h e n ,  m i c h  s e l b s t  z u  f ü h r e n  u n d  z u  l e n k e n .  Nur zuweilen kam ein Augenblick, der mir die Fähigkeit brachte, zu wissen, was ich wollte, und dann wurde dieses Wollen festgehalten bis zum nächsten Augenblicke. ...  U n d  i c h  w a r  m i r  d i e s e s  s e e l i s c h e n  Z u s t a n d e s  g e i s t i g  s e h r  w o h l  b e w u ß t ,  besaß aber nicht die Macht, ihn zu ändern oder gar zu überwinden. Es bildete sich bei mir das Bewußtsein heraus, daß ich kein Ganzes mehr sei, sondern  e i n e  g e s p a l t e n e  P e r s ö n l i c h k e i t ,  ganz dem neuen Lehrsatze entsprechend, nicht Einzelwesen, sondern Drama ist der Mensch.  I n  d i e s e m  D r a m a  g a b  e s  v e r s c h i e d e n e ,  h a n d e l n d e  P e r s ö n l i c h k e i t e n ,  d i e  s i c h  b a l d  g a r  n i c h t ,  b a l d  a b e r  a u c h  s e h r  g e n a u  v o n e i n a n d e r  u n t e r s c h i e d e n .

   Da war zunächst ich selbst, nämlich ich,  d e r  i c h  d a s  A l l e s  b e o b a c h t e t e .  Aber wer dieses Ich eigentlich war und wo es steckte, das vermochte ich nicht zu sagen. Es besaß große Aehnlichkeit mit meinem Vater und hatte alle seine Fehler.133


Es sei ihm vorgekommen, als ob die innern Gestalten aus ihm herausgetreten seien und neben ihm herliefen. Nachdem er auf dem Felde Rüben gegessen habe, hätten ihn  S t i m m e n  geweckt und gehöhnt: »Du bist ein Vieh geworden, frissest Rüben, Rüben, Rüben!«134

   Als May den Auftrag erhielt, eine Parodie zum Gedicht ›Des Sängers Fluch‹ von Uhland zu schreiben, traten bei Belastungen Grübel-Wiederholungen der Überschrift auf. Er wiederholte im Innern die Zeilen ›Des Schneiders Fluch‹ oder »Die Hypotheken lauern, die Hypotheken lauern; ihr hörts, verruchte Mauern, ihr hörts, verruchte Mauern!« Das wiederholte sich gedanklich noch mit hundert Stimmen. Die Stimmen seien stundenlang unaufhörlich vorhanden gewesen: ... sie sprachen auf mich ein; sie beeinflußten mich. Und wenn ich mich dagegen sträubte, so wurden sie lauter ...135

   May schildert, wie er nach seiner ersten Haftstrafe von seiner Mutter gedrängt worden sei, das Land zu verlassen. Da sei er wieder krank geworden, (n)icht geistig, sondern seelisch.136  S e i n e  E r i n n e r u n g  h a b e  i h n  i m


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S t i c h  g e l a s s e n .  Wenn er weit weggelaufen sei, habe ihn immer wieder ein unwiderstehlicher Trieb zur Heimkehr gepackt, und dann sei er wieder  u m s o  u n f r e i e r  geworden, je mehr  e r  s i c h  d e r  G e g e n d  s e i n e s  G e b u r t s o r t e s  g e n ä h e r t  h a b e .  Ich folgte teils jenem unbegreiflichen Zwange.137 Ihm seien allerlei Straftaten unterstellt worden, und er habe sich dem Gericht stellen wollen, sei dann allerdings ergriffen und unter Anklage gestellt worden. Er habe alles zugegeben, dessen man ihn beschuldigt habe, um die Sache um jeden Preis los zu werden, um so wenig wie möglich Zeitverlust zu erleiden,138 und sei zu einer schweren und langen Strafe verurteilt worden.

   Über das Erleben im Zuchthaus und den dortigen Werdegang hat jeder May-Leser oder -Forscher aus der Biografie des Schriftstellers Kenntnis. In dieser Zeit habe May bezüglich seines seelischen Zustandes Ruhe, vollständige Ruhe139 gehabt, die Quälereien seitens der dunklen Gestalten und die Zurufe von ihnen und anderen hätten aufgehört. Er behauptet in ›Mein Leben und Streben‹, durch eine ihm zur Verfügung gestellte Aufklärungsschrift mit dem Titel »Die sogenannte Spaltung des menschlichen Innern, ein Bild der Menschheitsspaltung überhaupt«140 sei er zu einer Selbsterkenntnis geführt worden und damit auch zur Fähigkeit, gegen die Gestalten und Stimmen anzukommen.



F o r e n s i s c h e  A s p e k t e


May hatte bekanntlich strafrechtlich relevante Delikte begangen. Diese sind nicht nur für die Biografie und Pathografie von Bedeutung, sondern auch für Form und Inhalt seines Gesamtwerkes.

   Nach Karl Birnbaum141 werden in der Kriminalpsychopathologie im engeren Sinne Beziehungen zwischen Psychopathologie und Verbrechen festgestellt, in der Pönalpsychopathologie Beziehungen zwischen Psychopathologie und Strafvorgängen, und in der kriminalforensischen Psychopathologie werden die Beziehungen zwischen Psychopathologie und strafgesetzlichen Normen untersucht. Dem psychiatrischen Gutachter werden von dem Gericht die Fragen vorgelegt, welche psychiatrische Krankheit vorliege. Das Gericht beurteilt dann aus juristischer Sicht die  S c h u l d f ä h i g k e i t ,  eine  v e r m i n d e r t e  S c h u l d f ä h i g k e i t  (nach § 21 StGB) oder eine  a u f g e h o b e n e  S c h u l d f ä h i g k e i t  (nach § 20 StGB); zu dieser Urteilsbildung soll der Sachverständige zwar beitragen, aber nicht Entscheidungen treffen. Darüber hinaus ist das Gericht an der  K r i m i n a l p r o g n o s e  interessiert.

   Nach Siegfried Haddenbrock142 sollen durch den Sachverständigen die psychiatrischen Tatsachen sehr ausführlich dargestellt werden, während in der  n o r m a t i v e n  Bewertung dieser Tatbestände die psychiatrischen Sachverständigen aber gar nicht zurückhaltend genug sein könnten. Am sichers-


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ten sei die Aktualdiagnose unter Einschluss des vergangenen So-Gewesen-Seins einer leiblichen und seelischen Struktur und Dynamik zu stellen. Die Prognose bezüglich der Selbst- und Gemeingefährlichkeit eines Menschen, der notwendigen Rechtsgüterabwägung, »der mittelgradigen Rückfallwahrscheinlichkeit« und »die Frage der Gefährlichkeit (Sozialprognose)« könne »nur auf Grund eines normativen Kalküls zwischen dem Schutzanspruch der derart gefährdeten Gemeinschaft und dem Freiheitsanspruch des derart gefährlichen Einzelnen vom Gericht beantwortet werden«. Das sei »jedoch nicht Sache der psychiatrischen Seinswissenschaften, sondern der juristischen Sollenswissenschaft«. »Da die spezifisch humane Steuerungsfähigkeit empirisch weder zu erweisen noch zu widerlegen, insbesondere nicht kasuistisch graduierbar ist, entscheidet letztlich die vom Richter heute praktizierte und zu verantwortende Konvention, daß der Psychopath in der Regel für seine angelegten und der Neurotiker für seinen erlebnisbedingten erworbenen Charakter und beide für ihre Straftaten als schuldfähige Täter ihre Tat einzustehen haben.«

   Auch Hermann Witter143 kommt zu ähnlichen Schlüssen. Er ist der Auffassung, dass auch dann, wenn eine Abnormität »eindeutig auf leibliche Krankheit rückführbar« sei, die betreffende Tat »psychopathologisch gesehen grundsätzlich verstehbar« bleibe, also nur quantitativ abnorm sei, »wie als Beispiel die von Kurt Schneider als ›Zuspitzung‹ bezeichnete Übertreibung vorgegebener Persönlichkeitszüge«. Nach Witter gehören dazu also alle Arten von quantitativen Störungen der Verstandestätigkeit, des Willens, des Gefühls- oder Trieblebens, ebenso Psychopathien und neurotische Fehlhaltungen. Forensisch relevant sei das doch nur dann, wenn eine Schwelle überschritten werde, bei der der Täter infolge seiner triebhaft verbundenen Persönlichkeitsentartung der natürlichen Hemmungen entbehre, deren er bedürfe, um der Versuchung zur Tat widerstehen zu können.

   Bezüglich der forensischen Beurteilung damals ist auszuführen: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in der May seine Delikte beging, hatte die rein naturwissenschaftliche Methode eine starke Bedeutung bekommen und dadurch Ableitungen der Straftaten aus Leidenschaften und Sünde weitgehend ersetzt. Damals wurden 1. schwere Desorganisationen, 2. eine Herabsetzung der psychischen Aktivität, dann 3. qualitativ von der Norm abweichende Halluzinationen von Realitätswert und Sinnfälligkeitscharakter des Delinquenten bevorzugt bewertet. Es wurde nach dem Sinncharakter und Inhalt der Halluzinationen gesucht und besonders die imperativen Stimmenhalluzinationen beleuchtet. Man sah krankheitsbedingte Delikte bei der Alkoholhalluzinose, bei Angstaffekten, die mit Sinnestäuschungen einhergingen, und bei epileptischen Dämmerzuständen. Man war der Meinung, dass die illusionären Druckwahrnehmungen, teils Verarbeitungen tatsächlicher Sinneseindrücke, kaum selbständige kriminelle Bedeutung gewönnen. Das Gebiet der pathologischen Emotionserscheinungen in seinem ganzen Umfange umfasste nach damaliger Auffassung einen


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guten Teil der kriminalpsychopathologischen Phänomene, und man glaubte, dass durch die Bearbeitung wesentliche kriminalpsychopathologische Aufgaben gelöst würden. Eine Erhöhung der Gefühlsintensität verstärke die kriminelle Tendenz und Entladungsenergie. Dadurch werde von dem Delinquenten der psychische Kontroll-, Hemmungs- und Reguliermechanismus ausgeschaltet, verstärkt durch eine Einengung der psychischen Bewegung im Rahmen einer Bewusstseinsstörung. Emotionelle Partialeffekte, sozial grundlegende Gefühle speziell moralischer und altruistischer Art, gewönnen zumeist eine schwerwiegende kriminelle Bedeutung. Angst und Verzweiflung müssten von größter krimineller Wertigkeit angesprochen werden. Ein verstärkter Betätigungs- und Expansionsdrang mit gehobenem Selbstgefühl und verflachtem höheren Gefühlsleben könnte zu sozialen Entgleisungen führen. Poriomanische Verstimmungen mit Trieb zum Fortlaufen und Herumtreiben äußerten sich in Phasen zweck- und planlosen Herumschweifens mit oft ungeordnetem, parasitärem Treiben unter Außerachtlassung aller geregelten Lebensbeziehungen (Arbeit, Familie, Wohnung usw.). Man ordnete diese Erscheinungen in Episoden ausgesprochener Asozialität ein. Als Folge davon könnten Zechprellerei, Ruhestörung, Beleidigung, Körperverletzung auftreten. Bei Zwangsvorgängen reiche meistens die psychische Hemmungs- und Steuerungsfähigkeit aus. Alle diese Ereignisse hätten keine große schuldmindernde Bedeutung.

   Birnbaum berichtet weiter über die seinerzeitige Auffassung über den degenerativen Phantasten mit pathologischem Hang zu Fantastereien, Erfindungen, Gründungen, Reformen und sonstigen hochfliegenden Untersuchungen und mit Neigung zu Umsetzung der Fantasieprodukte in die Wirklichkeit ohne Tatsachen- und Realitätssinn und ohne Anpassungsfähigkeit an das reale Leben. Die Betreffenden seien sozial unzugänglich. Der Schwindelfantast mit Großmannssucht sei auf Erhöhung des eigenen Ich ausgerichtet. Er gefalle sich in der ›Romannacht‹ einer fantasievollen Ausschmückung der eigenen Person und versuche sich in Auftreten und Lebensführung entsprechend nach außen darzustellen. Das führe im fließenden Übergang zum pathologischen Schwindler, der zu autosuggestiver Realisierung der selbst erfundenen Schwindelfantasien und zur schauspielerischen Durchführung seiner Rolle neige.

   Die ethisch-philosophischen Kriterien der Zurechnungsfähigkeit (jetzt Schuldfähigkeit) ergäben sich hier nicht nur aus der objektiven Möglichkeit, sondern auch der subjektiven Freiheit. Letztere sei Ausdruck der Willensentscheidung zur Begehung und Unterlassung des Deliktes. Diese freie Willensbestimmung werde als eigentliche Grundlage der Zurechnungsfähigkeit (jetzt: Schuldfähigkeit) angesehen. Schwierigkeiten bestanden nach damaliger Meinung darin, dass die Willensfreiheit als metaphysische Erscheinung im Sinne eines ursachlosen, von aller Kausalität unabhängigen Willens aus aller wissenschaftlichen Diskussion herausfällt. Sie widerspreche aber dem Grundgesetz der Kausalität. Die Erfahrung widerlege eine


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vollständige Determinierung. Die Willensfreiheit sei als psychologische Erscheinung in Wirklichkeit das Produkt einer psychologischen Selbsttäuschung und von Trugschlüssen. Sie beruhe im Wesentlichen auf dem Gefühl der Selbständigkeit.

   Nach Haddenbrock sei jetzt die Willensphäre aus verschiedenartigen psychischen Vorgängen und Abstraktionen zusammengesetzt, wie die inneren Dispositionen und Triebkräfte. Diese stehen für die wichtigsten psychischen Determinanten aus dem Gebiet der regulierenden und hemmenden höheren Gefühle. Sie seien nicht ihrer Wertigkeit entsprechend vertreten. In der Beurteilung fänden sich einerseits neben dem intellektuellen Teil, der Fähigkeit zur Einsicht in das Unrecht der Tat, auch andererseits der emotionell-volutionale Teil der psychischen Selbstregulierung und Hemmung wieder. Es seien zur Beurteilung als eine Ergänzung der qualitativ determinierten psychopathologischen Kriterien auch gradmäßige erforderlich. Der Sachverständige habe nur biologische und psychologische Tatsachen mitzuteilen. Ob eine Psychopathie von Krankheitswert, verminderte Unrechtseinsichts- oder Steuerungsfähigkeit vorliegen, entscheide allein der Richter.

   Belangvoll sei in gewissen Fällen der vorhandene oder fehlende Zusammenhang des strafbaren Tuns mit normalen oder pathologischen Seelenvorgängen für eine partiell bedingte Unzurechnungsfähigkeit (Schuldfähigkeit), die im Rahmen sonstiger Zurechnungsfähigkeit in Betracht kämen. In diesem Sinne etwa könnten Affektdelikte aus pathologischer Reizbarkeit, sittlichkeitsgelenkte Delikte aus sexualpathologischer Disposition und Hochstapelei aus pseudologisch-fantastischer Veranlagung entscheidend sein.

   Haddenbrock ist der Meinung: Für den psychiatrischen Sachverständigen ergibt sich die Notwendigkeit der rückläufigen Rekonstruktion psychopathologischer Tatbestände. Der gesamte psychische und psychopathologische Zustand kann sich nach der Begehung des Deliktes geändert haben. Seitens des Delinquenten komme es dann auch noch zu psychologischen Korrekturen durch Verheimlichung, Lüge, Aggravation und selbst Simulation auf der einen sowie durch unwillkürliche, mehr oder weniger unbewusste Selbstbeeinflussung auf der anderen Seite. Eine Trennung der echten und unechten Elemente sei schwierig, unsicher und bei behaupteten Erinnerungsdefekten überhaupt kaum möglich. Bei der Beurteilung der kriminalforensischen Wirklichkeit müsse allgemein der Wirkungsgrad der pathologischen Erscheinungen auf das gesamte psychische Leben, nicht nur, wie der kriminalpathologischen auf die Kriminalität, zugrunde gelegt werden.

   In den nach dem Zweiten Weltkrieg durchgeführten Strafrechtsreformen ist nach § 20 StGB ein Delinquent wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Artigkeit unfähig, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser


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Einsicht zu handeln. Es bestehe dann eine krankhafte seelische Störung. Dazu wird ein intellektueller Faktor (Unrechtseinsichtsfähigkeit) von einem voluntativen Faktor (Steuerungsfähigkeit) des Handelnden unterschieden. Es werden dabei die so genannten exogenen Psychosen nach Hirnverletzungen, Intoxikationen, Infektionen, genuine Epilepsie und Demenz einerseits sowie andererseits Psychosen aus dem Formenkreis der Schizophrenie und des manisch-depressiven Irreseins erfasst. Als Bewusstseinsstörungen werden Schlaftrunkenheit, Halluzinationen, krankhafte Dämmerzustände, jedoch in der Regel nicht leichtere hypnotische und posthypnotische Zustände und eine schwere Übermüdung in Betracht gezogen. Im Rahmen einer schweren seelischen Abartigkeit werden Psychopathien, welche die soziale Anpassungsfähigkeit beeinträchtigen, aber nur in extremen Fällen, als vermindert schuldfähig angesehen. Neurosen spielen danach strafrechtlich keine besondere Rolle. Wenn ein Delinquent psychische Auffälligkeiten besonderer Art zeigt, verlangt das Gesetz die Einholung eines sachverständigen Gutachtens. Der Sachverständige habe biologische und psychologische Tatsachen mitzuteilen, während die Beantwortung der Frage, ob eine Psychopathie Krankheitswert aufweise und ob Unrechtseinsichtsunfähigkeit und Steuerungsfähigkeit anzunehmen sei, allein beim Richter liege. Wenn die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, erheblich vermindert sei (§ 21), kann die Strafe gemildert werden. Die Steuerungsfähigkeit sei erheblich gemindert, wenn das Hemmungsvermögen des Täters so herabgesetzt sei, dass er den Tatanreizen gegenüber weniger Widerstand leisten könne als der Durchschnittsmensch. Praktisch spielen hier u. a. die Psychopathien und auch Neurosen eine Rolle, jedoch keine bloßen Charaktermängel.

   Infolgedessen rechnete man nach der modernen Rechtsauffassung im Rahmen der Strafrechtslehre dazu, dass einerseits die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, andererseits der Vorsatz dazu gehöre, um sichere Voraussagen machen zu können. Wichtig seien der gesetzliche Tatbestand und ein normgemäßes Verhalten, was der Delinquent verwirklichen und man ihm zumuten kann. Ausschließungsgründe für eine Schuldfähigkeit sind eine Bewusstseinsstörung oder eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit. Bei der Interpretation des Gesetzes werden ›krankhaft‹ und ›Krankhaftigkeit‹ über den medizinisch-psychiatrischen Krankheitsbegriff ausgeweitet und jede hochgradige Abnormität seelischen Geschehens einschließlich abnormer Erlebnisreaktion einbezogen. Im Gutachten muss die psychologische bzw. psychopathologische Diagnostik von der  S t r u k t u r -D y n a m i k  der Persönlichkeit zur Tatzeit ausführlich dargelegt werden. Das Urteil der Schuldfähigkeit und die Vermutung der Sozialprognose unterliegen aber dem Richter. Die Tatsache, dass sich Karl May bezüglich einer Aufklärung seiner Straftaten nicht genügend abgesichert hat, ist im Rahmen einer nicht gewinnorientier-


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ten Hochstapelei immer wieder beschrieben worden und sehr charakteristisch. Er hat in den Konfliktfällen und auch bei den späteren Prozessen niemals die Steuerungsfähigkeit verloren, er war stets einsichtig und auch immer in der Lage, in einer freien Willensentscheidung nach Einsicht zu handeln.

   Bei Karl May wäre zur Beurteilung eines solchen Grenzgebietes natürlich die persönliche Anwesenheit des psychiatrischen Gutachters bei der Gerichtsverhandlung erforderlich gewesen. Die Hinweise, dass der Fabulierer vor Gericht eher einen spielerisch anzusehenden Part abgab, sprechen unter allen anderen Gesichtspunkten, die in den Wertungen schon aufgeführt wurden, dafür, dass May nicht nur die Normabweichungen seiner Taten erkannte, sondern dass er auch die genügende Steuerungsfähigkeit aufzubringen in der Lage war. Die Prognose ist natürlich sehr schwierig zu beurteilen, sie wurde aber von der Anstaltsleitung des Arbeitshauses Zwickau offensichtlich als günstig angesehen, da es zu einer vorzeitigen Entlassung kam. Nachträglich gesehen mit Recht, doch war die günstige Prognose wohl etwas verfrüht.

   Es käme letztendlich (nach Haddenbrock) doch zur Entscheidung, dass der Psychopath in der Regel für seine angelegten und der Neurotiker für seine erlebnisbedingten erworbenen Eigenschaften als schuldfähige Täter ihre Tat einzustehen haben.



W e r t u n g e n  u n d  D e u t u n g e n


Vorbemerkung: Diese Beurteilung richtet sich streng nach den nachweisbaren biografischen Tatsachen, andererseits nach den anerkannten psychiatrischen Erkenntnissen und schließt weitgehend Vermutungen und Spekulationen aus.


Man kann im Gegensatz zu den Befürchtungen von Volker Klotz eine wissenschaftliche Abhandlung auch o h n e  eine »selbstzweckliche Methodendiskussion schierer Wissenschaftstheorie unter Fachsimplern«, o h n e  das »zähnefletschende Bekennen (...) des (...) eigenen Standpunkts«,144 o h n e  Vertreten »literaturkritischer Priesterherrschaft«145 schreiben, wenn das Thema sinnvoll vorgegeben ist und mit Anwendung von Begriffen und Aussagen allgemeingültiger Natur beleuchtet wird.

   Dass May durch die Verurteilungen in ein psychisches Trauma fiel, ist als sicher anzunehmen, das Kausalitätsverhältnis ist zweifellos auch umgekehrt interpretierbar. Die Schlussfolgerungen, dass ein derartiger Zustand den unter traumatischem Schock stehenden Menschen verletzt, sollte man ebenfalls in ein anderes Kausalitätsgeschehen einordnen, denn dieser traumatische Schock, die Behauptung Karl Mays, dass sein Gedächtnis in Teilen oder zur Gänze ausgeschaltet wurde und dass jene Tage aus seinem Ge-


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dächtnis entschwunden seien, muss als Rechtfertigungsversuch, nicht als objektivierbare Tatsache, gesehen werden.

   Der immer wieder geführten Diskussion, ob das Ergebnis einer Charakteranalyse Karl Mays Hinweise für eine ›Spaltung des menschlichen Innern‹ liefert und diese wiederum als ›Bild der Menschheitsspaltung‹ anzusehen ist, und der Annahme einer Notwendigkeit, Einzelfaktoren für einige Zeit zu vergessen und dadurch eine Abfuhr von inneren Konflikten zu erreichen, liegt eine als sehr spekulativ zu bewertende, der Psychoanalyse nahestehende Auffassung zugrunde. An der Verbindlichkeit solcher Auffassungen ist sehr zu zweifeln. Die Erklärung ist schlicht und einfach: Die ›Vergesslichkeit‹ ist gezielt in den Fällen eingetreten, in denen für den Memoirenschreiber unangenehme Ereignisse geschildert werden mussten, die sein Ansehen trüben konnten. Die ›Spaltung der Persönlichkeit‹ ist verstehend-psychologisch das Ergebnis einer Entscheidungsschwäche bei zwei oder mehreren Angeboten von Denk- und Handlungsmöglichkeiten und damit einfühlbar zu erklären. Natürlich kann man auch die Identitätswechsel wie z. B. das Auftreten als Dr. Heilig oder Old Shatterhand oder Kara Ben Nemsi unter dem Gesichtspunkt einer ›gespaltenen Persönlichkeit‹ sehen, man muss aber die Begriffe eindeutig definieren: Die Persönlichkeit als Einheit des Denkens, der Gefühlsintensität, des Selbsterlebens und des Handelns kann nicht, außer in einer Psychose, gespalten sein, sondern es können nur verschiedene Erlebensweisen, Vorstellungen, Entscheidungsplanungen oder Entscheidungsausführungen etwa alternierend oder schwach ausgeprägt sein. Das läuft aber alles bewusst, selbstkritisch und mehr oder weniger willkürlich beeinflussbar ab. Diese Phänomene treten natürlich in grübel-intensiven Perioden, wie etwa betont in der Pubertätszeit, ein. Es handelt sich um den Ausdruck eines intensiven fantasievollen Fabulierens, schon etwa auch als ›rächender Geist‹ nach den überzogenen Verurteilungen, aus Gründen der Befriedigung des Geltungsbedürfnisses: Das ist alles nicht krankhaft.

   Die von Wollschläger angenommene sog.  U r s z e n e ,  wonach May die Mutter mit einem Liebhaber belauscht habe, ist hergeleitet aus einer Spekulation der Psychoanalyse, die aus einer ihrer Theorien ein damit zusammenhängendes ›traumatisches Erleben‹ folgert. Aus dieser Annahme dann wieder auf ein solches Erleben spekulativ zu schließen, ist ein typischer Kreiselschluss und damit logisch unzulässig und völlig unbewiesen und unbeweisbar.

   Die interpretativen Schwierigkeiten der so genannten Zwangshandlungen Mays unter dem Einfluss imperativer Stimmen resultieren aus falschen Begriffsabgrenzungen einer trivialen Definition seltener psychopathologischer Termini. Die Frage, ob bei May wirklich  S t i m m e n h a l l u z i n a t i o n e n  vorgelegen haben, ist aus seinen eigenen Darstellungen meiner Meinung nach mit ›nein‹ zu beantworten, denn aus seiner Selbstbiografie geht hervor, dass er solche  n i c h t  hatte. Er schildert sie z. B. einmal mit der


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Formulierung: als ob diese Stimmen nicht in mir, sondern grad vor meinem äußern Ohr ertönten.146 Das mag für einen Laien nicht eindeutig erkennbar sein, bei einem sehr feinen Sprachgefühl, das übrigens May selbst auch hatte, heißt eine solche Formulierung eigentlich: ›Ich hörte keine Stimmen, sondern nahm nur Phänomene wahr, als ob in meinem Inneren Stimmen aufgetreten seien.‹ Auch weiß ein erfahrener Psychiater, dass Patienten, die in der Vergangenheit echt halluziniert haben, eher, und  n u r  hier, dazu neigen, diese Tatsache zurückzuhalten. Jetzt in einer Dokumentation einen so großen Wert auf diese Erscheinung zu legen, wäre im Falle einer echten Wahnwahrnehmung ungewöhnlich, wenn diese Tatsache auch nicht beweisend ist. Allenfalls spricht aber die Selbstbeurteilung des Phänomens, des erhalten gebliebenen reflektierenden Erkennens eindeutig gegen einen durchgemachten Paradigmenwechsel und ebenfalls gegen das Vorliegen einer früheren echten Halluzination. Die ›imperativen Stimmen‹ sind bei May bereits Selbstbeurteilungen der lebhaften Gedanken im Rahmen der geistigen Beweglichkeit. Ihnen fehlt die Uneinfühlbarkeit, die Unkorrigierbarkeit, die mangelnde Reflexionsfähigkeit.

   Nun ist eine solche Darstellung über ›Stimmenhören‹ sowohl in der Dichtung, wie mehrfach angeführt, als auch durch Politiker in ihren Reden häufig zum Ausdruck gebracht worden. Das Phänomen selbst wird also mit Hilfe einer Metapher ausgedrückt. Diese Metaphorik wird wegen ihrer größeren Eindringlichkeit als Stilmittel gebraucht, zum Beispiel etwa auch in der Physik, in der von der ›Ursuppe‹ nach dem ›Urknall‹ gesprochen wird, ohne dass natürlich der Natur diese Suppe bekannt ist. Sehr häufig findet man die Metapher in wissenschaftstheoretischen Formulierungen beispielsweise auch dann, wenn hier für dieses Metier noch ein zutreffender, eindeutiger Begriff fehlt.

   Dagegen hat bei Karl May im Rahmen der seelischen Belastungen in seinen jungen Jahren ein deutliches  Z w a n g s s y n d r o m ,  ein  G r ü b e l z w a n g  vorgelegen. Ein Zwangssyndrom ist aber für die Entwicklungsjahre ein häufig gesehenes Phänomen, und nicht wenige der Leser werden in ihrer Kindheit, in der Schulzeit oder gegebenenfalls auch im Studium solche Erlebnisse gehabt haben, die aber in den meisten Fällen sehr harmlos und wenig belastend erfolgen und schnell wieder verschwinden. Ein großer Kenner auf diesem psychiatrischen Spezialgebiet war H. C. Rühmke, der in solchen, nur vorübergehenden Stadien von einem Zwangssyndrom sprach. Andere Formen des Zwanges wie das maligne Zwangssyndrom sowie Zwänge bei organischen Krankheiten (z. B. Epilepsie oder nach einer Encephalitis economo) sind wegen dieser zeitlichen Begrenzung und der Flüchtigkeit sowie des Fehlens typischer anamnestischer Ereignisse bei May auszuschließen. Zwangssyndrome haben nach Untersuchungen von Henning Saß äußerst selten eine kriminogene Bedeutung. Es musste darauf aber länger eingegangen werden, um die vielfach aufgetretene Fehldeutung zu analysieren, wonach der Schriftsteller an Stimmenhalluzinationen gelitten habe.


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   Der Meinung, dass ein solcher Patient wegen der belastenden Bedeutung der Diagnose eher zum  V e r s c h w e i g e n  und  V e r h a r m l o s e n  neige, weswegen man Mays Äußerungen ernst nehmen müsse, ist nicht beizupflichten. Der Autor dieser Selbstbiografie neigt eher dazu,  s e l e k t i v  eine Reihe von Phänomen besonders stark hervorzuheben, weil er das Urteil des Lesers, auch der Prozessgegner und der Nachwelt, ganz gezielt zu beeinflussen versucht.

   Der Vermutung, dass May ein starkes Minderwertigkeitsgefühl entwickelt habe, das zu intensiven Sicherungen in einem übersteigerten Geltungsstreben sublimiert wurde, ist ebenfalls nicht beizupflichten. Das ist eine der typischen Hypothesen von Alfred Adler, bei denen fast grundsätzlich mit einer Überkompensation von Organ- und Seelenminderwertigkeiten argumentiert wird, ohne dass diese Phänomene mit der behaupteten Regelmäßigkeit auftreten. Das Minderwertigkeitsgefühl entstand aus verschiedenen Ursachen, schon allein wegen seines körperlichen Minderwuchses. Doch hatte May viele Erfolgserlebnisse, etwa bei der Theateraufführung, wo er eigentlich durch eine Fehlhandlung einen großen Erfolg erzielte. Man könnte in einzelnen Fällen von Höherwertigkeitsgefühlen sprechen, die eben nicht als Reaktion auf die Minderwertigkeitskomplexe oder deren Kompensation, oder besser gesagt auf die Minderwertigkeitserlebnisse, anzusehen sind.

   Dass ein unlösbarer Konflikt zu einer Psychose führe (Freud), ist falsch. Die allmähliche Überleitung von einer erlebnisreaktiven Entwicklung zu einer Psychose kann als absolut widerlegt angesehen werden, und die Interpretation einer solchen psychotischen Reaktion als psychischer Abwehrmechanismus ist höchst spekulativ, hier aber schlichtweg falsch. Wenn ein solcher Eindruck bei den Texten der Biografie-Interpreten besteht, ist eine Verwechslung von Ursache und Wirkung anzunehmen, oder es werden Vorboten einer Psychose, die bei Karl May nicht vorgelegen haben, fälschlich als verursachend angesehen (diesen Fehlschlüssen unterliegt auch Freud häufig).

   Die so genannten psychotischen Auslenkungen eines schwer neurotischen Menschen gibt es nicht, und Langer hat Recht, dass »eine endogene Prozeßpsychose auszuschließen ist«.147 Die zitierte Vorstellung, von seiner ersten Frau Emma vergiftet zu werden, ist eine mehr oder weniger auffällige normale Reaktion, wobei der Schluss, dass bei May die Grenzen zwischen Realität und Fantasie »zeitlebens unscharf«148 gewesen seien, zu Recht erfolgt. Die Deutung der so genannten (und widerlegten) halluzinatorischen Erlebnisse als Optimierung subjektiver Erregungen (nach Alfred Adler) ist eine reine, unbegründete Spekulation. May hatte keine halluzinatorischen Erlebnisse. Das vermutete Borderline-Syndrom kann wegen der schwierigen Definitionsmöglichkeiten nicht als solches angenommen werden. Es ist eher zweifelhaft, dass es überhaupt dieses Syndrom gibt, und ein Grenzzustand zwischen Neurose und Psychose ist auch nur eine psycho-


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analytische Interpretation, die den psychiatrischen Beobachtungen und Erfahrungen völlig widerspricht, und die daraus gezogenen Schlüsse, dass nach heutiger Auffassung ein psychiatrischer Gutachter dem Gericht Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB wegen seelischer Störungen zur Urteilsfindung empfehlen würde, darf keinesfalls aus dem Vorhergesagten geschlossen werden. (Später komme ich noch darauf zurück.) Die von Langer angenommene mögliche Diagnose einer endogenen Psychose ist wegen des Fehlens aller typischen Merkmale (s. Glossar) eindeutig auszuschließen.

   Man muss sich, wie oben bereits ausgeführt, darüber völlig im Klaren sein, dass manche Begriffe und Aussagen nahe an Bewertungen grenzen. Die etwas überspitzt leicht ironischen Bemerkungen von Volker Klotz sind bei allen Interpretationsversuchen im Rahmen einer solchen Pathografie doch ziemlich ernst zu nehmen. Aus dem Dilemma können wir uns nur dann befreien, wenn wir versuchen, im Rahmen einer generell empirisch und theoretisch gesicherten psychiatrischen Wissenschaft zu bleiben (dabei muss der Psychoanalyse eine weitgehend hiervon ausgeschlossene Wissenschafts- oder auch Pseudo-Wissenschaftsnische zugewiesen werden). Sicher wird man die Psychologie, soweit sie auf einer nachvollziehbaren Grundlage und mit scharfer Begrifflichkeit arbeitet, für sehr notwendig erachten, doch muss man der Psychoanalyse, wegen ihrer weitgehenden spekulativen, streckenweise unwissenschaftlichen, Methodik eine notwendige Skepsis zukommen lassen.

   Die Meinung, dass Mays Isolierung in der Kindheit und Schule zur Verminderung des Halts führte, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Seine Behauptung, dass die erste Gerichtsverhandlung im Einzelnen seinem Gedächtnis entschwunden149 sei, muss wohl relativiert werden. Die Beteuerung, alles offen erzählen zu wollen,150 sollte wegen der häufigen Wiederholung als zweifelhaft angesehen werden. Die Aussagen, dass er sich an seine Reise nach Altchemnitz (nach der sechswöchigen Gefängnisstrafe) erinnerte, dass er jedoch die Erlebnisorte nicht wiedererkannte, sind nicht miteinander vereinbar.151 Dass die Verurteilung wie ein Schlag über den Kopf152 mit nachfolgender Betäubung gewirkt habe, ist eine Metapher und deswegen nicht verwertbar. Dafür spricht die von May behauptete und vom weiteren Verlauf bestätigte bleibende Fähigkeit zu jedem logischen Schlusse.153 Seine Darstellung, alle seine inneren Gedanken, Wahrnehmungen und Erlebnisse beobachtet zu haben, spricht eindeutig gegen eine toxische oder gehirnorganische Psychose, aber auch gegen eine so genannte endogene Psychose, da bei dieser, zumindest anfangs, eine affektive, meist ängstliche, Reaktion aufzutreten pflegt. Die Unfähigkeit zum Paradigma-Wechsel, also zum Verlust der Fähigkeit, jederzeit aus dem solipsistischen (›ptolemäischen‹) Standpunkt eine Wende zum ›kopernikanischen‹ Gesichtspunkt zu vollziehen, lag nicht vor; es gab also keinen Verlust einer kritischen Subjekt-Objekt-Erkenntnis. Bei einer endogenen Psychose würde der Übergang zu einem chronischen Verlauf dann in eine Defektsymptomatik mit einer


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chronischen Halluzinose oder zu den so genannten Basisstörungen (nach Huber) führen.

   Schon die eigenkritischen Beobachtungen und Darstellungen sprechen gegen eine Unfähigkeit zum Überstieg in ein erkenntnisgestörtes Paradigma. Diesbezüglich gibt es bei May keine Hinweise. Im Gegenteil schildert er eine distanzierte Beobachtungsrolle bei allen selbstbeobachteten psychischen Auffälligkeiten. Auch die ungeheure Produktivität im Anschluss an die Vagabundenzeit spricht dagegen.

   Typisch für eine Psychogenese (also erlebnisreaktive Störung) ist auch, dass mit zunehmender Entfernung von den Ereignisorten die Symptome abflachten, bei der Rückkehr, die May als unwiderstehlich bezeichnete (als möglichen Ausdruck seiner Zwangskomponente), aber zunehmend in die Erinnerung zurückgerufen wurden.154 Das Verschwinden der Symptome mit der Entfernung von seinem gewohnten Umfeld vermindert die Auslösung der Erinnerung an die Belastungserlebnisse. Dieses Phänomen wird häufig beobachtet und sogar psychotherapeutisch eingesetzt.

   Die Schrift ›Die sogenannte Spaltung des menschlichen Innern‹ könnte in populärwissenschaftlicher Form existiert haben oder in Mays Erinnerung aus solchen popularisierenden Essays ›zusammengebastelt‹ worden sein. Solche Veröffentlichungen könnten für die Konstruktionen in ›Mein Leben und Streben‹ maßgebend gewesen sein. Die Kinderwagengroteske z. B. ist zwar bizarr, aber keineswegs Beweis für eine Psychose. Auf solche Einfälle können auch geistig Gesunde, etwa im Rahmen einer schalkhaften Idee, kommen.

   Die Meinung, dass die Funktionen des Kompensationscharakters des kollektiven Unbewussten auch in der Symptomatologie der Neurosen und der Wahnideen gesehen wurden, ist rein spekulativ. Es handelt sich dabei nicht um verifizierbare Untersuchungen, sondern um Anmutungen der Anhänger Jungs, ohne dass eine Objektivierbarkeit nachgewiesen werden kann. Dafür werden auch keine Kriterien angegeben. Manche Hinweise sind eben nicht propter hoc, sondern post hoc entstanden.

   Zu der Gegenüberstellung Bachs von dem als richtig anerkannten Vorgehen mit den Kriterien rationaler Überprüfbarkeit einerseits und den Faktoren der Ästhetik und Ethik andererseits, die nach Kant mit einem theoretisch-logischen Denken nicht vereinbar seien,155 ist auszuführen: Die Meinung, dass gewisse Thesen theoretisch-logisch nicht begründbar seien wie ethische Kategorien, ist nur relativ zutreffend. Charakterisierungen auf dem Gebiet der Kunst und Poetik weisen darauf hin, dass diese ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten unterworfen sind und nur im Rahmen dieser Gesetzmäßigkeiten Gültigkeit haben, die aber sicher auch unter einer übergeordneten Leitidee stehen, ohne eine Transponibilität auf inadäquate Disziplinen zu besitzen. Viele Ausführungen von Bach sind voll und ganz nachzuvollziehen, aber dass die Psychoanalyse nur annähernd methodisch oder logisch stringent durchgestaltet sei,156 gilt daher bezüglich des Funktionie-


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rens nicht  › g e r a d e  d e s h a l b ‹ ,  s o n d e r n  t r o t z  des nur relativen Annäherungswertes. Die Psychoanalyse funktioniert nur in einem eingeschränkten Rahmen, nur unter ›Gläubigen‹, nur in manchen Fällen praktisch erfolgreich, weil im Rahmen des  g a n z h e i t l i c h  strukturierten  S y s t e m s  statistisch ein gewisser Wahrscheinlichkeitserfolg zu beobachten ist. Die Wahrheit der Freud'schen Interpretationen ›durch die Evidenz des Mitempfindens‹ ist nur im Rahmen eines engen Kreises gleichartig empfindender Personen festzustellen, die sich von einem emotionellen Denken und Werten leiten lassen.157 Die vermutete Gesetzmäßigkeit ist nicht allgemein mitteilbar und auch nicht allgemein gültig.

   Das Problem der fehlenden Anwendbarkeit der Logik von Aristoteles bis Kant löst sich dadurch auf, dass inzwischen im Fortschreiten der Wissenschaftstheorie neue Sichtweisen entwickelt wurden. In dem hier abgehandelten Thema ist die  S t r u k t u r t h e o r i e  in Verbindung mit der vergleichenden Verhaltensforschung, der Ethologie, und der mit ihr verbundenen Evolutionstheorie anzuwenden. Dabei ist das Wesen der zu betrachtenden Zusammenhänge durch die biologisch zu begründende Überlebensfähigkeit des Gesamten, die ›Anpassung‹, zu dem nicht nur die körperliche Auslese, sondern auch die affektiven Beziehungen in der strukturierten Gemeinschaft von Lebewesen und Menschen gehören, zu sehen.

   Zweifellos erweckt Bach durch seine sehr von Emotionen, Anmutungen, durch Ähnlichkeiten ausgezeichneten Vergleiche eine erhebliche Resonanz. Diese aber nur bei denjenigen, die in den gleichen oder ähnlichen mehr oder weniger verschwommenen Begriffswelten wandeln, Psychoanalytikern, so genannten Tiefenpsychologen, Neoanalytikern, auf metaphorischen Begriffen und Sätzen Schwimmenden. Die häufig zitierte  B e w u s s t s e i n s s p a l t u n g  Mays geht in dem gesamten psychopathologischen, neurotischen Bild Karl Mays auf. Diese ›Bewusstseinsstörungen‹ sind nicht psychotischer oder organischer Natur, sie sind von May sehr gut erkannt und beurteilt worden sowie willkürlich beeinflussbar gewesen. Alle diese Störungen einschließlich der Amnesie sind dadurch widerlegt, dass Karl May bei den polizeilichen Verhören und dem Prozessverlauf alle vorgeworfenen Delikte bestätigte und keine Einwendungen geltend machte.

   Die Kriterien der bei May festgestellten so genannten dissoziativen Störungen (auf die Thomas eingeht) müssen als psychogen oder erlebnisbedingt angesehen werden. Dafür spricht, dass May eine Depersonalisation - die bei ihm nicht anhaltend war - hinterher sehr übertreibend beschrieben hat. Die Verifizierungsversuche seitens des Autors Thomas, z. B. Erleiden von Misshandlungen in der Kindheit, die vorgebrachte ›klinisch bedeutsame Erschöpfung‹,158 sind weniger Folge als parallelgehendes Phänomen. Die angeführten ›Ursachen‹ sind völlig unspezifisch und weitverbreitet, ohne dass als Folge die auffälligen Symptome - wie bei May - entstehen müssten. Im Zusammenhang mit den von Thomas geschilderten Halluzinationen muss nun wiederum darauf hingewiesen werden, dass solche nicht vor-


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gelegen haben. Fluchthandlungen, Trance sowie die Wahrnehmung wechselnder Persönlichkeiten sind teils sowieso ubiquitär und teils Folge der Neigungen Mays zu Fantastereien im Rahmen seiner Konversionsneurose. Auch Flash-Backs (d. h. Nach-Halluzinationen, wie etwa nach Missbrauch halluzinogener Drogen) wurden von May oder objektiven Beobachtern niemals geltend gemacht, sind also auch gar nicht aufgetreten. Die angeblichen Halluzinationen sind als Pseudo- oder Als-Ob-Halluzinationen und Ergebnis der lebhaften fantasievollen Verarbeitung des Zwangssyndroms anzusehen.

   Die Symptome im Zusammenhang mit den Zwangserscheinungen waren seinerzeit schon bekannt und auch unter anderem von Griesinger ausführlich beschrieben. Trotzdem ist es vorbehaltlich aller Skepsis bezüglich der eigenen Angaben Mays im Rahmen der lebhaften, relativ echt erscheinenden Schilderung nicht ausgeschlossen, dass er die Symptome wirklich erfahren hat. Im übrigen hat das Zwangs-Syndrom mit dem weiteren psychopathologisch zu beurteilenden Verlauf nur insofern etwas zu tun, als damit die Vermutungen mancher Autoren über Stimmenhalluzinationen widerlegt werden. Es hat fast keine kriminogene Wirkung, wie Saß auch in seinen Untersuchungen feststellt.

   Des Themas ›multiple Persönlichkeit‹ nahmen sich die besonders psycho-dynamisch orientierten Zweige der Psychiatrie an und versuchten dem Phänomen einen Wahrheitscharakter zu geben. Als Merkmale solcher dissoziativer Störungen wurden Depressionen, Ess- und Schlafstörungen, nächtliche Ängste, Panikanfälle, psychoseartige Erscheinungen wie akustische und visuelle Halluzinationen, Gedächtnisverlust (auch so genannter Filmriss) in Verbindung mit körperlichen Erlebnissen geschildert. Von anderen Autoren wird in diesem Zusammenhang ein schreckerregendes Krankheitsbild beschrieben, jedoch auf die Tatsache hingewiesen, dass die dissoziativen Störungen absolut heilbar seien. Die amerikanische Fachliteratur charakterisiert die D. I. D. durch das Vorhandensein zweier und mehrerer unterschiedlicher Identitäten und ihrer Persönlichkeitszustände, die alternierend die Kontrolle über das Verhalten der Personen übernehmen, begleitet durch die Unfähigkeit, sich an wichtige gewöhnliche Informationen zu erinnern, die zu umfassend ist, um durch gewöhnliche Vergesslichkeit erklärt zu werden. Die Krankheit spiegele die Unfähigkeit wider, verschiedene Aspekte der Identität, des Gedächtnisses und des Bewusstseins zu integrieren; gewöhnlich existiere eine primäre Identität, die den Namen der Person trage, die in der Regel passiv abhängig sei, Schuldgefühle erlebe und stimmungsmäßig depressiv sei. Die wechselnden Identitäten hätten, den Darstellungen zufolge, häufig verschiedene Namen, Charaktereigenschaften, die im Gegensatz zur primären Identität ständen. Sie seien beispielsweise feindlich, kontrollierend und selbstzerstörerisch. Es wurde für möglich gehalten, dass eine Identität versucht, durch die Produktion akustischer oder visueller Halluzinationen einen Zugang zum Bewusstsein zu


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erlangen. Dabei handelt es sich um eine durch nichts zu begründende Spekulation.

   Das gesamte Syndrom wird in der gegenwärtigen Psychiatrie, besonders von Gerd Huber, mit  K o n v e r s i o n s s t ö r u n g e n  in einen Zusammenhang gebracht. Auffällig seien bei der Schilderung durch die Patienten die Merkmale der Dramatisierung, des theatralischen und manipulativen Verhaltens, der Suggestibilität, der oberflächlichen und labilen Affektivität und ein dauerndes Verlangen nach Aktivitäten, in denen der Patient im Mittelpunkt der Aufmerksamkeiten stehe. Diese Kriterien seien dem geltungssüchtigen Psychopathen zuzurechnen: Dazu gehörten »Persönlichkeiten, die mehr scheinen wollten, als sie sind und deren tiefste Eigenschaft die Eitelkeit und Unechtheit« sei: »sogenannter hysterischer Charakter«. Das Bedürfnis dieser davon betroffenen Menschen könnte auf sehr verschiedene Weise befriedigt werden: durch Hypermotilität und Agieren, durch Übertreibung, Renommieren, Aufschneiden und Prahlen bis hin zur Pseudologie, durch eine exzentrische Attitüde und durch Darstellung von ›Krankheit‹ zu geltungsbedürftigen Zwecken. Ferner beschreibt Huber einen solchen Pseudologen als eine Person, der Märchen erzählt und erfindet. Es gehe dem Schilderer dabei um die Rolle, in der er völlig aufgehe, obschon er wisse, dass er den Boden der Wirklichkeit verlasse (wie beim Hochstapler und Heiratsschwindler). Insofern kann man nur bedingt von einer ›unbewusst ins Imaginierte veränderten Selbstdarstellung‹ sprechen. Huber rückt das ganze Syndrom in die Nähe von Neurose und Hysterie, Konversionsneurose und Konversionshysterie und damit auf das Gebiet der konversionsneurotischen Störungen.

   Die Ausführungen Karl Mays zu dem Selbsterleben dieses ganzen Komplexes wurden sowohl schon in der Belletristik als auch eben jetzt wieder aus psychiatrischer Sicht von Huber so eindeutig dargestellt, dass die Einschätzung, es handele sich bei allem um eine konversionsneurotische Störung, unausweichlich ist. Die Neigung Mays zum lebhaften Fantasieren kommt den nachvollziehbaren Abläufen am nächsten, sie ist nicht eine Krankheit im Sinne der Psychiatrie, sondern nur eine quantitative Normabweichung.

   Die offizielle Psychiatrie hatte sich, nach anfänglichem Interesse, der Übernahme eines Teils dieses Syndroms besonders Ende des 19. Jahrhunderts angenommen, aber dann doch das Phänomen nicht als genügend objektivierbar angesehen; somit verschwand damals diese Diagnose der D. I. D. immer mehr, wurde von den Lehrbüchern des 20. Jahrhunderts jahrzehntelang nicht mehr erwähnt, jedoch von psycho-dynamischen und psychoanalytischen Autoren weiter gestützt, wobei wir jetzt nachträglich sagen müssen, dass dieses Folge der unscharfen Definitionen und der fluktuierenden Grenzen der Begriffe ist. Alles das muss gewissermaßen als eine Modeerscheinung ›in verschiedenen Kulturen verschieden‹ angesehen werden, die immer wieder auch die Psychiatrie beeinflusst, dann aber beim Nachweis der mangelnden wissenschaftlichen Beweisbarkeit verschwindet.


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   Die amerikanische Diagnostik und die Zusammenstellung der Symptomatik in dem Manual of Mental Disorders (DSM-III, DSM-III-R, DSM-IV, DSM-IV-TR) können keineswegs Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben. Durch mangelnde ätiologische Stellungnahmen fällt das ganze System aus einem klar abgrenzbaren Feld heraus. Ganz unbemerkt schleichen sich psychoanalytische, verstehend-psychologische Begriffe und Interpretationen ein, statt im objektiven psychologischen Bereich zu bleiben. Diese beschreiben zwar in Bezug auf May Zutreffendes, doch verquicken sie die von den US-amerikanischen Psychiatern zusammengestellten Faktoren einschließlich vermeintlich akustischer oder visueller Halluzinationen - die jedoch bei Karl May nicht vorlagen - unzulässigerweise miteinander. Es handelt sich teilweise um diffuse, weniger gut durch Definitionen abgegrenzte ›Anmutungen‹ als reproduzierbare Erscheinungen, die damit wenig brauchbar sind. Formulierungen über Störungen der Erinnerungsfähigkeit, »die zu umfassend sind, um durch gewöhnliche Vergesslichkeit erklärt zu werden«, sind reichlich diffus, nicht exakt definiert. Die »verminderte Integrationsfähigkeit von Teilaspekten des psychischen Geschehens«159 ist ein verstehend-psychologisch darzustellende Symptom, ohne dass sie einer Krankheit im streng psychiatrischen Sinne oder einem einheitlichen Syndrom oder einer Krankheit zuzurechnen ist. Sie sind bewusst und von dem Probanden auch willkürlich beeinflussbar. Sie sind unverbindlich und entziehen sich jeder scharfen Definition. Es sind vorwiegend nur quantitative Abweichungen von der Norm. Wenn angeführt wird, dass die gegebenen Persönlichkeitszustände eine unterschiedliche persönliche Geschichte, ein unterschiedliches Selbstbild und eine unterschiedliche Identität mit verschiedenen Namen hätten, zerfließt alles an den Rändern mit ausgesprochen unscharfen Abgrenzungen. Im Übrigen spricht die detaillierte Schilderung dieser Erlebnisse gegen ein psychotisches unkorrigierbares Geschehen. Für das Vorliegen einer ›psychotischen Episode‹ Mays von Mai bis Juli 1869 liegen keine objektivierbaren Ereignisse und Erlebensweisen bei ihm vor.

   Die Unterscheidung Mays zwischen Geist und Seele oder, wie wir sagen würden, Intellekt und Emotionalität ist richtig und unterstreicht seine distanzierte Selbsteinschätzung.

   Christian Scharfetter hat in seiner ›Allgemeinen Psychopathologie‹160 das Thema (D. I. D.) wieder aufgenommen, aber vor einer vorschnellen ›Pathologisierung‹ gewarnt und den Störungen keinen Krankheitswert oder keine Psychoseverwandtschaft zuerkannt. Er verweist auf die soziokulturellen Bedingungen, das Entgleisen aus besonderen Bewusstseinszuständen, das Festfahren und die sekundären Verarbeitungen und Reaktionen aus der Umwelt. Huber führt aus, dass er und sein Mitarbeiterkreis in Deutschland in vierzig Jahren keinen Fall von D. I. D. beobachtet hätten.

   Ich selbst habe in meiner etwa vierzigjährigen Tätigkeit als Psychiater bei der Untersuchung von circa 25 000 psychiatrischen Fällen (nicht eingerechnet die rein neurologischen oder internistischen Patienten) die aufgeführten Symp-


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tomkombinationen mit mehr als durchschnittlicher Häufigkeit - und somit als Syndromeinheit oder Krankheit - niemals gesehen. Die Syndromatik ist voll und ganz von der Art der psychiatrischen Exploration, von Suggestivfragen oder auch nachträglichen Interpretationen abhängig, ferner von allgemeinen Trends, Modetrends in den verschiedensten Kulturen, insbesondere eben auch von den Schilderungen etwa in der Presse oder in der Belletristik.

   Die Ausführungen Roxins über die Kriminalentwicklung sind sehr treffend. Der Experte und äußerst erfahrene Strafrechtler und May-Kenner dürfte mit der Deutung der Überreaktion des Staates auf die ersten Bagatelldelikte als kriminogen einen Kernpunkt des Fabulierers gefunden haben, nicht nur für diesen speziellen Fall, sondern auch allgemein. Seine Ansicht hat sich sowohl in Deutschland als auch international in Rechtsstaaten durchgesetzt. Soweit Roxin versucht, Wollschlägers Meinungen zu stützen, kann man ihm nicht ganz folgen (darauf bin ich aber oben bei der Interpretation des Schriftstellers Wollschläger eingegangen).

   Die mehrfach erwähnte und May zugeordnete Pseudologia phantastica nach Schulhof kann natürlich nicht im Prinzip als verwerflich gewertet werden. Schon Bonhoeffer charakterisiert sie so: die Betroffenen würden Pläne schmieden, seien im Leben ganz anständige Leute. Die Hochstapler seien hinterher enttäuscht, weil sie es so weit hätten kommen lassen. Sie arbeiteten nicht nach bestimmten, vorbedachten Plänen und hätten aus ihrer »Hochstapelei für sich selbst keine materiellen Vorteile«,161 auch wenn sie anderen Menschen noch soviel materiellen Schaden angetan hätten. Sie würden sich von den gemeinen Betrügern dadurch unterscheiden, dass diese nach bestimmten wohldurchdachten Plänen im vollen Bewusstsein handelten zu dem alleinigen Zweck, für sich materielle Vorteile auszubeuten. Diese zuerst genannte Hochstapelei habe nichts Chronisches, trete höchstens in wiederholten Attacken auf und würde wie eine Krankheit wieder abklingen. Irgendwelche Hinweise für das Vorliegen einer Psychose bei Karl May liegen nicht vor. Alle Definitionskriterien (s. Glossar) fehlen. Die Unfähigkeit, den Bezugspunkt zu wechseln, wie bei einer echten Halluzination, der Anastrophé, liegt bei Karl May ebenfalls nicht vor, und deswegen kann eine Psychose ausgeschlossen werden. Die Annahme Wollschlägers, dass eine narzisstische Neurose Voraussetzung der Paraphrenie (einer Variante der Schizophrenie) sei, ist schlicht unbeweisbar. Der Vergleich mit Nietzsches Katastrophe in Turin (Ausbruch der Progressiven Paralyse, einer Spätfolge der Syphilis) ist unzulässig, da es sich bei der letzteren um eine gehirnorganische Erkrankung handelt, die mit psychischen Erlebnissen keinerlei Zusammenhang hat.

   Betrachtet und analysiert man die Gesamtheit des Lebenslaufes Karl Mays, der erarbeiteten Symptomatik und der psychiatrischen Diagnosen, so muss man ihn für alle seine Taten als uneingeschränkt schuldfähig ansehen. Die von einigen Forschern aufgeführten Argumente für die Einschränkung seiner Schuldfähigkeit sind auch unter Berücksichtigung der


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Erweiterung des juristischen Krankheitsbegriffes über den psychiatrischen Krankheitsbegriff hinaus als nicht forensisch relevant anzusehen. Die von May behauptete Amnesie für bestimmte Ereignisse in der Vergangenheit ist eindeutig widerlegt und erweist sich als bewusst vorgetäuscht. Dafür spricht, abgesehen von den oben geschilderten Faktoren, die konsequente, folgerichtige und lückenlose Planung seiner Delikte, das Fehlen aller Symptome einer endogenen oder exogenen Psychose (also einer von innen herauskommenden oder einer durch Gehirnstörungen verursachten Geisteskrankheit), die relative Motivierung im Rahmen der Fantasietätigkeit und Pseudologismen und bis zu einem gewissen Grade die zeitweilige Reproduzierbarkeit durch den Delinquenten.

   Es liegen also zusammenfassend bei Karl May Persönlichkeitsvariationen, Abweichungen von der Norm, teils erlebnis-, teils anlagebedingt vor. In der Jugendzeit dürften Gefühle von Unsicherheit und Minderwertigkeit vorhanden gewesen sein, zunächst mit mangelndem Selbstvertrauen. Sofern eine sehr starke Sensitivität vorlag, kam es einerseits zu einer erhöhten Eindrucksfähigkeit für Erlebnisse und andererseits zu einem übersteigerten Ehrgeiz und zu sensitiven Beziehungs-Reaktionen und schließlich auch zum Auftreten von Zwangseinfällen und Zwangsbefürchtungen, wie oben geschildert. Es drängten sich Bewusstseinsinhalte auf, die der Betreffende nicht los wurde, obschon er sie gleichzeitig als inhaltlich unsinnig beurteilte. Sie konnten, wie häufig bei jungen Menschen, vorübergehender Natur sein und waren es auch. Fernerhin sind bei May ausgesprochen deutlich geltungsbedürftige Symptome festzustellen, Konversionsstörungen als Ausdruck neurotischer Formen, manchmal ein Teil der eben geschilderten Symptome der so genannten dissoziativen Persönlichkeit. In diese Persönlichkeitscharakterisierung gehört unter anderem der hysterische Charakter, mehr scheinen zu wollen als man ist, der Wunsch zu übertreiben, renommieren, aufschneiden und prahlen bis zur Pseudologie. Dazu ist ein bestimmtes Maß einer erhöhten Einbildungskraft, eine fantasiereiche Gedankenwelt gegeben. Auch hatte May die Neigung zu einer Stimmungslabilität. Gelegentlich kam es bei ihm zusätzlich zu einer einfühlbaren paranoiden Persönlichkeitsstörung, wie sie bei ihm auf der Orientreise 1899/1900 auftrat, wo er etwa meinte, von Emma vergiftet zu werden. Im Rahmen der Konversionsneurose entwickelte er eine sehr erhebliche Fantasie, die in der Jugendzeit zu seinen einfallsreichen Delikten und später zu seiner schriftstellerischen Produktivität und zu der außerordentlich wirksamen Anschaulichkeit der von ihm beschriebenen Figuren und Handlungen führte. Die häufig in der May-Literatur vermuteten Stimmenhalluzinationen waren nachweislich keine zu einer Psychose gehörenden Wahnwahrnehmung, sondern persönlichkeits- und erlebnisbedingte sog. Pseudo- oder Als-Ob-Halluzinationen, einfühlbar, ohne pathologischen Wahncharakter.

   Aus der gesamten Vorgeschichte, den Angaben des Autors Karl May in seiner Selbstdarstellung, der Einarbeitung der gesamten relevanten psy-


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chiatrischen Literatur kann nunmehr eindeutig geschlossen werden, dass bei May  k e i n e  P s y c h o s e ,  also keine Geisteskrankheit mit objektivierbarem, unkorrigierbarem Identitätsverlust, mit Störung der Sinnkontinuität und der Sinngesetzlichkeit oder mit Wahnwahrnehmungen, keine Unfähigkeit zum subjekt-objektiven Paradigmawechsel vorlag. Auch ergaben sich nirgends eindeutige Hinweise für das Vorliegen einer organischen Gehirnstörung. Die erlebnisbedingten, erlebnisreaktiven Störungen einerseits und die persönlichkeitsbedingten Abweichungen andererseits, auf deren Basis die Symptome entstanden sind, wurden im Einzelnen beschrieben. Es sind, populär und verständlich ausgedrückt, nicht Geistes-, sondern Gemütsstörungen. Die Frage, ob eine wie in der auf May bezogenen Literatur häufig dargestellte Persönlichkeitsstörung oder Persönlichkeitsspaltung vorgelegen hat, ist weitgehend eine Frage der Definition.

   Alle die Erscheinungen gehen in eine emotionelle und künstlerische Atmosphäre über. Übergreifend kann argumentiert werden, dass sowohl die Verfehlungen in den jungen Jahren als auch die Entwicklung im gereiften Alter und schließlich die differenzierten Phänomene seines Alterswerkes im Grunde genommen alles Durchgangsstadien ein und derselben Persönlichkeitsstruktur gewesen sind. Die mangelnde Abgrenzungsfähigkeit zwischen der konversionsneurotischen Fantasietätigkeit einerseits und der Realität andererseits dürfte der Charakter des gesamten Denkgefüges des Schriftstellers sein. Vielleicht liegt darin ein Teil der Faszination seines Erfolges, rührt von daher die Resonanz bei der Leserschaft, und vielleicht ist das auch ein Element der Versöhnung des Menschen Karl May mit seinen wissenschaftlichen Interpreten, die bei allen streng objektiven Untersuchungen mit einem Rest von Wertschätzung für den Fabulierer an ihre Aufgaben herangegangen sind.

   Bei der fehlenden qualitativen Abnormität Mays und der nachweisbaren quantitativen, aber nicht krankheitswertigen Normabweichung mit den psychopathischen Reaktionen und neurotischen Entwicklungen kann man also sagen, dass keine schuldfähigkeitsmindernde Störung bei ihm vorgelegen hat. Die in den letzten Jahrzehnten bei Gerichtsgutachten aufgetretene Formel ›Neurose mit Krankheitswert‹ muss man als eine begrifflich nicht genügend fassbare und abgrenzungsfähige Diagnose ansehen. Sie wurde von psychiatrischen Gutachtern im Rahmen einer gewissen Unsicherheit bezüglich des früheren § 51 Abs. 2 und des jetzigen § 21 StGB angewandt. Im streng begrifflichen psychiatrischen Schrifttum werden solche Diagnosen fast nie verwendet. Einem Gericht würde man, wie oben schon ausgeführt, sowohl damals als auch jetzt empfohlen haben, den Delinquenten vom psychiatrischen Standpunkt aus als voll schuldfähig anzusehen. Das geht schließlich aus seiner eigenen Auffassung hervor.

   Alles in allem hat der ruhmreiche Schriftsteller, der sich einer zunehmenden Bestätigung und Anerkennung auch in differenzierteren Kreisen und


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sogar bei Literaturexperten erworben hat, Recht, wenn er sagt: Ich war seelenkrank, - also gemütskrank nach der damals gängigen Bezeichnung - aber nicht geisteskrank!162 Dem ist nichts hinzuzufügen.


Anmerkung: Der Autor dieser Arbeit ist im Jahre 2001 verstorben. Deshalb war es nicht möglich, alle offenen Fragen zu klären und alle Textlücken zu schließen. Der geschäftsführende Herausgeber und die Redaktion bedanken sich herzlich bei Frau Karin Rubner für die engagierte Mitarbeit. Auch Herr Walther Ilmer (†) hat tatkräftige Hilfe geleistet.



1Karl Jaspers: Allgemeine Psychopathologie. 4., völlig neu bearb. Auflage Berlin u. a. 1946 (Erstauflage Berlin 1913); Kurt Schneider: Klinische Psychopathologie. 5., neu bearb. Auflage Stuttgart 1959
2Karl Jaspers: Die phänomenologische Forschungsrichtung in der Psychopathologie. In: Ders.: Gesammelte Schriften zur Psychopathologie. Berlin u. a. 1963 u. 1990, S. 314-328
3Gerd Huber: Psychiatrie: systematischer Lehrtext für Studenten und Ärzte. Stuttgart 51994, bes. S. 312f. u. S. 319 (Erstauflage Stuttgart u. a. 1974)
4Lilo Süllwold/Gerd Huber: Schizophrene Basisstörungen. Berlin u. a. 1986
5Sigmund Freud: Abriß der Psychoanalyse. Frankfurt a. M./Hamburg 1953 u. ö.; ders.: Gesammelte Werke in 18 Bänden. Frankfurt a. M. 1999; Carl Gustav Jung: Bewußtes und Unbewußtes. Beiträge zur Psychologie. Frankfurt a. M. 1957 u. ö.; Alfred Adler: Praxis und Theorie der Individualpsychologie. Hrsg. von Wolfgang Metzger. Frankfurt a. M. 1974 u. ö.
6Hemmo Müller-Suur: Das psychisch Abnorme. Berlin u. a. 1950
7Alfred Erich Hoche: Über den Wert der Psychoanalyse. In: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. Bd. 51 (1913), Heft 3, S. 1055-1079; Emil Kraepelin: Psychiatrie. Ein kurzes Lehrbuch für Studierende und Ärzte. 4 Bde. Leipzig 91927 (in Einzelbänden erschienen ab 1883); Hans Jörg Weitbrecht: Kritik der Psychosomatik. Stuttgart 1955; ders.: Psychiatrie im Grundriß. Berlin u. a. 1963; Gottfried Ewald: Die Grenzen der Psychotherapie. Stuttgart 1952; ders.: Neurologie und Psychiatrie: ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte. 5., verm. und verb. Auflage Berlin/München 1964 (Erstauflage: Lehrbuch der Neurologie und Psychiatrie. München 1944); Karl Jaspers: Psychoanalyse. Berlin u. a. 1957; Meinrad Perrez: Ist die Psychoanalyse eine Wissenschaft? Bern 1972; Christof T. Eschenröder: Hier irrte Freud. Zur Kritik der psychoanalytischen Theorie und Praxis. München u. a. 1984
8Julius Ludwig August Koch: Psychopathische Minderwertigkeiten. Ravensburg 1891-1893; Kurt Schneider: Die psychopathischen Persönlichkeiten. Wien 91950 (Erstauflage 1923)
9Vgl. Henricus Cornelius Rümke: Eine blühende Psychiatrie in Gefahr. Berlin u. a. 1967.
10Hans Wollschläger: »Die sogenannte Spaltung des menschlichen Innern, ein Bild der Menschheitsspaltung überhaupt«. Materialien zu einer Charakteranalyse Karl Mays. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 1972/73. Hamburg 1972, S. 11-92
11Ebd., S. 12
12Ebd., S. 12f.
13Vgl. ebd., S. 14f.
14Vgl. ebd., S. 56.


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15Heinz Stolte: Mein Name sei Wadenbach. Zum Identitätsproblem bei Karl May. In: Jb-KMG 1978. Hamburg 1978, S. 37-59
16Ebd., S. 45f.
17Ebd., S. 47
18Ebd., S. 48
19Ebd., S. 49
20Kurt Langer: Der psychische Gesundheitszustand Karl Mays. Eine psychiatrisch-tiefenpsychologische Untersuchung. In: Jb-KMG 1978. Hamburg 1978, S. 168-173
21Ebd., S. 168; vgl. Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg o. J. (1910), S. 116f.; Reprint Hildesheim/New York 1975. Hrsg. von Hainer Plaul (Hervorhebung durch d. Verf.).
22Langer, wie Anm. 20, S. 168 (das Binnenzitat: May: wie Anm. 21, S. 162)
23Ebd.
24Ebd., S. 169
25Ebd.
26Ebd., S. 171
27Ebd.
28Ebd., S. 172
29Ebd.
30Hans Wollschläger: Das zehnte Jahrbuch. In: Jb-KMG 1980. Hamburg 1980, S. 7-11; Volker Klotz: Über den Umgang mit Karl May. Unter anderm: psychoanalytisch: unter anderm. In: Ebd., S. 12-27; Wolf-Dieter Bach: Erkennen als lebendige Erfahrung. Zur psychoanalytischen Optik, angewendet auf May in essayistischen Formen. In: Ebd., S. 28-34; Martin Lowsky/Volker Klotz: Literatur und Psychoanalyse. In: Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft (M-KMG) 39/1979, S. 3f.; Stellungnahmen zum Thema Literatur und Psychoanalyse (von Heinz Stolte, Gert Ueding, Helmut Schmiedt, Wolf-Dieter Bach, Claus Roxin). In: M-KMG 40/1979, S. 3-9; M-KMG 41/1979 (von Hainer Plaul), S. 3f.; M-KMG 43/1980 (von Hermann Wiedenroth), S. 3f.
31Bach: Erkennen als lebendige Erfahrung, wie Anm. 30, S. 28
32William E. Thomas: Karl May und die ›Dissoziative Identitätsstörung‹. In: Jb-KMG 2000. Husum 2000, S. 195-231
33American Psychiatric Association: Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders. Fourth Edition. Washington 1994 (= DSM-IV)
34Diagnostic criteria for 300.14 Dissociative Identity Disorder. A. The presence of two or more distinct identities or personality states (each with its own relatively enduring pattern of perceiving, relating to, and thinking about the environment and self). B. At least two of these identities or personality states recurrently take control of the person's behavior. C. Inability to recall important personal information that is too extensive to be explained by ordinary forgetfulness. D. The disturbance is not due to the direct physiological effects of a substance (e. g., blackouts or chaotic behavior during Alcohol Intoxication) or a general medical condition (e. g., complex partial seizures). Note: In children, the symptoms are not attributable to imaginary playmates or other fantasy play.
(Zit. nach http://www.behavenet.com/capsules/disorders/did.htm)
35Diagnostic criteria for 300.12 Dissociative Amnesia. A. The predominant disturbance is one or more episodes of inability to recall important personal information, usually of a traumatic or stressful nature, that is too extensive to be explained by ordinary forgetfulness. B. The disturbance does not occur exclusively during the course of Dissociative Identity Disorder, Dissociative Fugue, Posttraumatic Stress Disorder, Acute Stress Disorder, or Somatization Disorder and is not due to the direct physiological effects of a substance (e. g., a drug of abuse, a medication) or a neurological or other general medical condition (e. g., Amnestic Disorder Due to Head Trauma). C. The symptoms cause clinically significant distress


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or impairment in social, occupational, or other important areas of functioning.
(Zit. nach http://www.behavenet.com/capsules/disorders/disamnesia.htm)
36Diagnostic criteria for 300.6 Depersonalization Disorder. A. Persistent or recurrent experiences of feeling detached from, and as if one is an outside observer of, one's mental processes or body (e. g., feeling like one is in a dream). B. During the depersonalization experience, reality testing remains intact. C. The depersonalization causes clinically significant distress or impairment in social, occupational, or other important areas of functioning. D. The depersonalization experience does not occur exclusively during the course of another mental disorder, such as Schizophrenia, Panic Disorder, Acute Stress Disorder, or another Dissociative Disorder, and is not due to the direct physiological effects of a substance (e. g., a drug of abuse, a medication) or a general medical condition (e. g., temporal lobe epilepsy).
(Zit. nach http://www.behavenet.com/capsules/disorders/depersdis.htm)
37Diagnostic criteria for 300.13 Dissociative Fugue. A. The predominant disturbance is sudden, unexpected travel away from home or one's customary place of work, with inability to recall one's past. B. Confusion about personal identity or assumption of a new identity (partial or complete). C. The disturbance does not occur exclusively during the course of Dissociative Identity Disorder and is not due to the direct physiological effects of a substance (e. g., a drug of abuse, a medication) or a general medical condition (e. g., temporal lobe epilepsy). D. The symptoms cause clinically significant distress or impairment in social, occupational, or other important areas of functioning.
(Zit. nach http://www.behavenet.com/capsules/disorders/disfugue.htm)
38Vgl. Thomas, wie Anm. 32, S. 200.
39Ebd., S. 201
40Ebd., S. 209
41Vgl. ebd., S. 213f.
42Ebd., S. 214
43Vgl. ebd.; vgl. May, wie Anm. 21, S. 118f.
44Thomas, wie Anm. 32, S. 215
45Ebd.
46Ebd., S. 216f.
47Ebd., S. 218
48Ebd., S. 225
49Ebd.
50Claus Roxin: Vorläufige Bemerkungen über die Straftaten Karl Mays. In: Jb-KMG 1971. Hamburg 1971, S. 74-109
51Ebd., S. 78
52Ebd., S. 79
53Ebd.
54Ebd.
55Ebd., S. 81
56Ebd., S. 105 (Anm. 52); Roxin zitiert aus: Gustav Aschaffenburg: Zur Psychologie des Hochstaplers (1907).
57Roxin: Vorläufige Bemerkungen, wie Anm. 50, S. 83
58Ebd., S. 97
59Ebd., S. 98
60Claus Roxin: »Dr. Karl May, genannt Old Shatterhand«. Zum Bild Karl Mays in der Epoche seiner späten Reiseerzählungen. In: Jb-KMG 1974. Hamburg 1973, S. 15-73
61Ebd., S. 38
62Ebd., S. 41


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63Ebd., S. 42
64Ebd., S. 46
65Ebd., S. 50
66Ebd., S. 51
67Claus Roxin: Karl May, das Strafrecht und die Literatur. In: Jb-KMG 1978. Hamburg 1978, S. 9-36
68Ebd., S. 16
69Vgl. ebd., S. 18f.
70Ebd., S. 21
71Wilhelm Griesinger: Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten. Stuttgart 1845; Stuttgart 21861; Braunschweig 31871
72Vgl. ebd., 21861, S. 79ff.
73Ebd., S. 80
74Vgl. ebd., S. 81ff.
75Ebd., S. 92
76Ebd., S. 93
77Hermann Emminghaus: Allgemeine Psychopatholgie. Zur Einführung in das Studium der Geistesstörungen. Leipzig 1878, S. 57
78Ebd., S. 59
79Ebd., S. 130
80Ebd., S. 144
81Ebd., S. 153
82Ebd., S. 156
83Ebd., S. 183
84Ebd., S. 184
85Ebd., S. 185
86Ebd., S. 235
87Ebd., S. 236
88Heinrich Schüle: Handbuch der Geisteskrankheiten. Leipzig 1878
89A. Westphal. In: Lehrbuch der Psychiatrie. Hrsg. von Otto Binswanger/Ernst Siemerling. 2. vermehrte Auflage Jena 1907, S. 132 (Erstauflage Jena 1904)
90Richard v. Krafft-Ebing: Lehrbuch der Psychiatrie auf klinischer Grundlage für praktische Ärzte und Studierende. Stuttgart 41890, S. 68f. (Erstauflage Stuttgart 1879-80)
91Ebd., S. 73
92Ebd., S. 74
93Ebd., S. 79
94Ebd., S. 115
95Ebd., S. 123
96Ebd., S. 124
97Theodor Ziehen: Psychiatrie für Ärzte und Studierende. Leipzig 21902, S. 20-37 (Erstauflage Berlin 1894)
98Alexander Pilcz: Lehrbuch der speziellen Psychiatrie für Studierende und Ärzte. Leipzig/Wien 71926, S. 17 (Erstauflage Leipzig/Wien 1904)
99Jaspers: Allgemeine Psychopathologie, wie Anm. 1
100Vgl. Jaspers: Gesammelte Schriften, wie Anm. 2, S. 237.
101Friedrich Schulhof: Praktische Psychiatrie. Wien 1949, S. 90 (Erstauflage Berlin/Wien 1934)
102Ebd., S. 248
103William McDougall: Aufbaukräfte der Seele. Grundriß einer dynamischen Psychologie und Pathopsychologie. Leipzig 1937, S. 172 (englische Erstauflage 1932 unter dem Titel: The Energies of Men. A Study of the Fundamentals of Dynamic Psychology)


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104Ebd., S. 176
105Johannes Lange/August Bostroem: Kurzgefaßtes Lehrbuch der Psychiatrie. Neubearbeitet von Werner Wagner. Leipzig 61946, S. 18 (Erstauflage von Johannes Lange. Leipzig 1935)
106Oswald Bumke: Lehrbuch der Geisteskrankheiten. München u. a. 71948 (die Erstauflage von 1919 erschien unter dem Titel ›Die Diagnose der Geisteskrankheiten‹; ab der 2. umgearbeiteten Auflage (1924) heißt das Werk ›Lehrbuch der Geisteskrankheiten‹)
107H. Pauleikhoff: Möglichkeiten und Grenzen der Erfahrung in der heutigen Psychopathologie. In: Psychopathologie heute. Hrsg. von Heinrich Kranz (Festschrift für Professor Dr. med. Dr. phil. Dr. jur. h. c. Kurt Schneider). Stuttgart 1962, S. 29
108Klaus Conrad: Die beginnende Schizophrenie. Versuch einer Gestaltanalyse des Wahns. Stuttgart 1958
109Conrad beschreibt einen jungen Mann, der seine Außenwelt als verändert erlebt: »Er war nachts dabei, einen Brief an seinen Bruder zu schreiben. Da hatte er plötzlich das unbedingt sichere Gefühl, als wenn sein Zimmergenosse sich nur schlafend stellen würde und so täte, als würde er schnarchen, um ihn zu stören und zu beobachten. Auch hörte er nebenan eine Frau mit dem Schlüssel klappern und andere Geräusche erzeugen, auch wieder mit dem sicheren Empfinden, das sei eigens für ihn gemacht. (...) Indem er Ruhe rief, hatte er das deutliche Gefühl, er könne den andern durch seine Konzentration seinen Willen aufzwingen.« (Ebd., S. 47)
110Ebd., S. 157
111Ewald: Neurologie und Psychiatrie, wie Anm. 7
112Rümke, wie Anm. 9, S. 76
113Ebd., S. 83
114Ebd., S. 84
115Ebd., S. 87
116Ebd., S. 95
117Peter Berner: Die Unterteilung der endogenen Psychosen. In: Empirische Forschung in der Psychiatrie. Symposion zum 60. Geburtstag von Prof. Dr. med. Gerd Huber. Veranstaltet am 5. 12. 1981 in der Psychiatrischen Klinik und Poliklinik der Universität Bonn. Hrsg. von Gisela Gross/Reinhold Schüttler. Stuttgart 1983, S. 83
118Walter Schulte/Rainer Tölle: Psychiatrie. Berlin u. a. 1971, S. 68 (inzwischen 12 Auflagen)
119Henning Saß: Psychopathie, Soziopathie, Dissozialität. Zur Differentialtypologie der Persönlichkeitsstörungen. Berlin u. a. 1977 (Kapitel: Grundprobleme der Persönlichkeitsklassifikation, S. 27ff.)
120Vgl. ebd., S. 48.
121Ebd., S. 92
122Vgl. ebd., S. 59f.
123Gerd Huber/Gisela Gross: Wahn. Eine deskriptiv-phänomenologische Untersuchung. Stuttgart 1977, S. 132
124Lilo Süllwold: Schizophrenie. Stuttgart u. a. 21986, S. 80-88
125American Psychiatric Association: Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders. Third edition. Washington 1980 (= DSM-III); Third edition revised. Washington 1987 (= DSM-III-R); Fourth edition, wie Anm. 33; Fourth edition revised. 2000 (= DSM-IV-TR) (deutsche Übersetzungen: DSM-III. Weinheim u. a. 1984; DSM-III-R. Weinheim 1989 u. ö.; DSM-IV. Göttingen u. a. 1996); zitiert wird im Folgenden aus der deutschen Ausgabe des DSM-III-R (man beachte, dass sich im DSM-IV gegenüber dieser Ausgabe einige Begriffe geändert haben: ›Multiple Persönlichkeitsstörung‹ = ›Dissoziative Identitätsstörung‹; ›Psychogene Fugue‹ = ›Dissoziative Fugue‹; ›Psychogene


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Amnesie‹ = ›Dissoziative Amnesie‹). Übersetzungen aus dem DSM-IV finden sich auf den Internet-Seiten der International Society for the Study of Dissociation - Deutsche Sektion:
http://dissoc.de/issd/issd10.htm
126Vgl. Anm. 34-37.
127Huber, wie Anm. 3, S. 415
128May, wie Anm. 21, S. 52f. (Hervorhebung hier und in den folgenden Zitaten durch den Verfasser)
129Ebd., S. 98
130Ebd., S. 107
131Ebd., S. 108
132Ebd., S. 109
133Ebd., S. 111f.
134Ebd., S. 163f.
135Ebd., S. 116-118
136Ebd., S. 167
137Ebd., S. 168
138Ebd., S. 169
139Ebd., S. 176
140Ebd., S. 177
141Karl Birnbaum: Der Aufbau der Psychose. In: Handbuch der Geisteskrankheiten. Hrsg. von Oswald Bumke. Bd. 5. Spezieller Teil 1: Die psychopathischen Anlagen, Reaktionen und Entwicklungen. Berlin 1928, S. 1-18; ders.: Kriminalpsychopathologie. Systematische Darstellung. Berlin 1921
142Siegfried Haddenbrock: Die psychopathologische Diagnose und ihre normative Bewertung. In: Kranz, wie Anm. 107, S. 278-287
143Hermann Witter: Allgemeine und spezielle Psychopathologie. In: J. Bormann u. a. :Forensische Psychiatrie. Berlin u. a. 1972, S. 429-431
144Klotz, wie Anm. 30, S. 12
145Ebd., S. 14
146May, wie Anm. 21, S. 116
147Vgl. Langer, wie Anm. 20, S. 171.
148Ebd.
149May, wie Anm. 21, S. 107
150Ebd.
151Vgl. ebd.
152Ebd., S. 109
153Ebd., S. 111
154Vgl. ebd., S. 168.
155Vgl. Bach: Erkennen als lebendige Erfahrung, wie Anm. 30, S. 28.
156Vgl. ebd., S. 30.
157Gustav Ernst Stoerring: Das emotionelle Denken und Werten. Sonderdruck
158Vgl. Thomas, wie Anm. 32, S. 200. Siehe jedoch die englische Fassung des Autors (Karl May & Dissociative Identity Disorder; http://www.karl-may-stiftung.de/did1.html), wo Thomas schreibt: »The symptoms cause clinically significant distress (...)« (s. auch Anm. 35), was in der deutschen Ausgabe des Manuals (wie Anm. 125) mit »Die Symptome verursachen in klinisch bedeutsamer Weise Leiden (...)« übersetzt wird.
159DSM-III-R (deutsche Ausgabe), wie Anm. 125, S. 228; vgl. auch Anm. 35.
160Christian Scharfetter: Allgemeine Psychopathologie. Eine Einführung. 3., überarb. Auflage Stuttgart/New York 1991 (Erstauflage Stuttgart 1976)
161Schulhof, wie Anm. 101, S. 248
162May, wie Anm. 21, S. 111





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