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BARBARA SIEBERT


»Ich saß so ruhig im Sattel wie auf einem Stuhl«
Pferde, Reiten und die Reitkunst im Werk von Karl May





Im Folgenden wird nach den ›Beweggründen‹ Karl Mays für die Darstellung der Pferde geforscht, wobei besonderes Augenmerk auf die Biographie des Autors gerichtet ist. Untersucht werden die Beziehung Mays zu Pferden, seine Erfahrungen (positiv oder negativ) im Umgang mit Tieren - soweit nachvollziehbar - und eventuell auffindbare Gründe für die Darstellung insbesondere der eigenständigen Gestalten auf vier Hufen, wie Rih und Hatatitla. Eine Übersicht darüber, aus welchen Quellen und/oder literarischen Werken May seine Informationen bezogen hat, ist schon deshalb recht schwierig zu erstellen, da viele der von May benutzten Werke nicht mehr herangezogen werden können, weil sie aus Bibliotheken - insbesondere den Gefängnisbüchereien - entliehen waren, deren Kataloge nicht (mehr) zugänglich oder nicht mehr vorhanden sind. Jedoch wird für einige sehr detaillierte Beschreibungen in späteren Werken der Nachweis von ›Anleihen‹ bei anderen Autoren zu erbringen sein.

   Es werden hauptsächlich die Amerika- und Orientromane Karl Mays näher untersucht. Diese Reduzierung der benutzten Primärliteratur auf eine ›Auswahl‹ aus dem Werk hat vor allem inhaltliche Gründe:

   Für eine lohnende Sicht auf das Pferdemotiv sollten in den Werken Vierhufer als Reit- und/oder Transportmittel nicht nur kurz erwähnt werden, wie es z. B. in den meisten Kolportageromanen Mays der Fall ist, sondern sie sollten als (möglichst eigenständige) eingehend beschriebene ›Gestalten‹ vorkommen.

   Zwar sind Pferde auch in frühen Erzählungen als Transportmittel erwähnt, u. a. werden die Kutschen von Pferden gezogen, und manche der Reiter sitzen im wirklichen wie im übertragenen Sinn auf mehr oder weniger ›hohen Rössern‹, aber es existieren keine ›unvergleichlichen Tiere‹, die namentlich genannt werden, wie z. B. Rih oder Hatatitla in den späteren Romanen (eine Ausnahme bildet Swallow, mein wackerer Mustang1). Ein Grund dafür liegt sicherlich zum großen Teil im Handlungs-Schauplatz der Geschichten: Weder im Erzgebirge noch im übrigen Deutschland spielte das Pferd als Transportmittel eine derartig entscheidende, ›tragende‹ Rolle wie beispielsweise im Wilden Westen oder an den Schauplätzen der Orientromane, außerdem neigt(e) man hierzulande nicht zu einer derartigen Idealisierung und glorifizierenden Überhöhung der Pferde, sondern sah sie eher als Mittel zum (Transport-)Zweck.


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   Karl May bringt die Bedeutung der Pferde seinen Lesern durch treffende Beispiele nahe:


»Wißt ihr, Gentlemen, was ein gutes, schnelles und ausdauerndes Pferd für den Prairiemann zu bedeuten hat? Nehmt dem Luftschiffer seinen Ballon und dem Seemann sein Schiff, und beide haben aufgehört, zu existieren. Ebenso ist auch ein Savannenjäger ohne Pferd rein undenkbar. Und welch' ein Unterschied ebensowohl unter den Schiffen als auch unter den Pferden!«2


In Amerika wie auch im Orient jedoch waren nicht nur die Personen in den Romanen Mays, sondern auch die in Wirklichkeit dort lebenden Bewohner auf ihre vierbeinigen Kameraden angewiesen; sie sind es teilweise heute noch: In unwegsamem Gelände oder zum Viehtreiben werden heute noch Pferde eingesetzt, was ein Beweis dafür ist, dass auch die fortschrittlichste Industrialisierung und Technologie-Entwicklung in gewissen Bereichen ihre Grenzen hat.



1. Theoretische Möglichkeiten


Welche Bedeutung hat nun die Darstellung der Pferde im Werk Karl Mays? Bei der Suche nach der Antwort zu dieser Frage lohnt ein Blick auf Mays Leben:

   Eine Möglichkeit wäre etwa, dass sich hier die Bestätigung finden lässt, dass der Autor eigene Erfahrungen in seinen Schriften verarbeitet hat, wie etwa ein Schlüsselerlebnis, welches den Menschen in Bezug auf den zu untersuchenden Zusammenhang geprägt hat - in diesem Falle hieße das, dass Karl May nachweislich - in positiver oder negativer Weise prägenden - Umgang mit Pferden hatte.

   Eine andere Möglichkeit besteht in dem (theoretischen) Fall, dass der Lebensweg des ›Menschen hinter dem Werk‹ vielleicht nur kurze Zeit (oder mit geringer Intensität) dem zu untersuchenden Gegenstand verbunden war, dass also z. B. einige kurze, unbedeutende Begegnungen Karl Mays mit Pferden zwar nachzuweisen, aber für die Verarbeitung im schriftstellerischen Werk bedeutungslos sind.

   Wieder eine andere, ganz entgegengesetzte Möglichkeit besteht darin, dass sich schlüssig nachweisen lässt, dass der Autor überhaupt keine Verbindung zum Gegenstand der Untersuchung hatte, dass also Karl May allein aus seiner Phantasie heraus geschrieben hat.

   Es gilt also zu untersuchen, ob Karl May selbst ›nähere Bekanntschaft‹ mit Pferden gehabt hat, um die oben beschriebenen Möglichkeiten zu bestätigen bzw. zu widerlegen. Inwieweit haben eventuell vorhandene Kenntnisse und Erfahrungen Mays - im Reiten und im Umgang mit Pferden - seine vierbeinigen Gestalten geprägt? Welche persönlichen Eindrücke und/oder Erfahrungen mit Pferden könnten ihn zu der Darstellung der ›un-


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vergleichlichen‹ Rappen Hatatitla, Iltschi, Rih, Syrr und der vielen anderen Pferde veranlasst haben?

   Zur Beantwortung dieser Fragen soll zunächst die Biographie Mays im Hinblick auf Umgang mit Pferden untersucht werden, hierauf wird das historische Umfeld einer näheren Betrachtung unterworfen, und zum Schluss werden Rückschlüsse gezogen durch die Analyse aussagefähiger Ausschnitte aus dem Werk auf den (die Pferde betreffenden) Kenntnisstand des  M e n s c h e n  und  S c h r i f t s t e l l e r s  May.



2. Pferde im Leben des Karl Friedrich May


Das Leben Karl Mays ist sowohl durch seine Autobiographie ›Mein Leben und Streben‹3 als auch durch Prozess-Schriften4 und einige Interviews5 und nicht zuletzt durch eine große Anzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen recht ausführlich dokumentiert.6

   Aus diesen Quellen ergibt sich zwangsläufig die Erkenntnis, dass Karl May kein Reiter war, d. h. dass er niemals Unterricht genoss, der ihn in die Lage versetzt hätte, korrekt auf einem Pferd zu sitzen und zu reiten. Das Reiten soll hier nicht verstanden werden im Sinne der heutigen, ›modernen‹ Auffassung einer ›sportlichen Betätigung‹ im so genannten ›Leistungssport‹ auf Turnieren, es ist vielmehr jene Fähigkeit (die das Ich in den May'schen Werken so vollendet beherrscht) damit gemeint, ein Pferd dem Willen des Reiters zu unterwerfen, es (durch korrekte ›Hilfengebung‹) zu beherrschen, somit seine Kräfte zur Entfaltung kommen zu lassen, es aber dabei unter Kontrolle zu halten. Die Erkenntnis, dass May eine solche Kunst nicht beherrschte, ergibt sich aus mehreren Aspekten:

   Erstens äußert sich May selbst in seiner Autobiographie mit keinem Wort darüber, dass (oder gar wann, wo und von wem) er die hohe Schule der Reitkunst erlernt hätte. Sein oftmals belegter Hang zum ›Imponiergehabe‹ - z. B. die Zueignung eines Doktortitels ebenso wie seine behaupteten Sprachkenntnisse7 - hätte ihn eine solche (tatsächlich besessene) Fertigkeit sicherlich nicht verschweigen lassen.

   Zweitens wird in keiner der Schriften, die sich umfassend und eingehend mit dem Leben und Werk des Menschen und Schriftstellers May befassen,8 jemals erwähnt, dass Karl May die Zeit und die (nötigen) finanziellen Mittel - die zum Erlernen der Reiterei Voraussetzung waren und sind - hätte aufwenden können. Bekanntlich war Karl May der Sohn blutarmer Webersleute. In seiner Kindheit und Jugend war das Hauptaugenmerk auf das blanke Überleben, die Ernährung, das Lernen und die Arbeit gerichtet. Von den ›Unterrichtsstunden‹, die May im jugendlichen Alter von seinem Vater erhielt und die aus dem Abschreiben und Auswendig-Lernen aller (un-)möglichen Bücher bestanden, soll hier einmal abgesehen werden.


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   Für den Zeitraum seiner Schulzeit bis zum Eintritt Karl Mays ins Lehrerseminar in Waldenburg im Herbst 1856 kann ein wie auch immer gearteter Umgang mit Pferden völlig ausgeschlossen werden; allein vom zeitlichen Faktor wäre dies ein ›Ding des Unmöglichen‹ gewesen.

   Für die spätere Ausbildungs-, Seminar- und Lehrerzeit (1856-1862) gilt Ähnliches:

   Der Unterricht bzw. eine sachkundige Anleitung wie auch das unabdingbare (auch für die Beherrschung anderer - nicht nur sportlicher - ›Fertigkeiten‹ unverzichtbare) regelmäßige Üben hätten sich über einen Zeitraum von mehreren Monaten - eventuell sogar Jahren - erstrecken müssen. Erst seit Ende des 19. Jahrhunderts befand sich Karl May, als die bereits geschriebenen Werke mit den phantastischen Pferden wie Hatatitla und Rih in Buchform erschienen waren, in der entsprechenden finanziellen Lage, an eine derartige Weiterbildung zu denken. Der 1842 geborene May war zu dieser Zeit jedoch nicht mehr der Jüngste, er war außerdem körperlich schwer angeschlagen und zeitlich durch das Schreiben und die Prozesse sehr eingespannt.

   Nur aus der ›Vagabondage und Haftzeit‹ Mays (1864-1874) ist ein einziges Mal ein ›nahes Verhältnis‹ zu einem Pferd durch das erhaltene, umfangreiche Aktenmaterial verbürgt. Daraus ergibt sich folgender ›Tatbestand‹:

   Im Rahmen einer ganzen Serie von Diebstählen befand Karl May sich für kurze Zeit - wenige Stunden - einmal im (unrechtmäßigen) ›Besitz‹ eines Pferdes.

   Claus Roxin beschreibt die Diebstahl-Serie Mays in jenen Maitagen des Jahres 1869 wie folgt: »Am 27. 5. verbarg er sich in Ernstthal im Hause seines Paten Weißpflog; von dort nahm er allerlei geringwertige Gegenstände (auch Dietriche) mit (...).«9

   Es ist nicht bewiesen, ob der Patenonkel die Mitnahme und Benutzung dieser Dinge erlaubt bzw. toleriert hat; er musste jedoch später Anzeige erstatten, um nicht in den Verdacht der Beihilfe und Begünstigung zu kommen. Mit dem erbeuteten Gut kam der flüchtige May jedoch nicht allzu weit; er brachte die Gegenstände in einer Höhle nahe bei Hohenstein unter und beging in der folgenden Woche recht merkwürdige Diebstähle, die mit seiner bisherigen ›Diebstahl-Taktik‹ und Vorgehensweise, welche meist mit Hochstapelei verbunden war, aber auch gar nichts mehr gemein hatte: »Am 31. 5. 1869 ließ er in einem Restaurant in Limbach (...) fünf Billardbälle mitgehen, die er in Chemnitz für fünf Taler verkaufen konnte.«10

   Es käme wohl niemand auf den Gedanken, dass May diese Billardkugeln gestohlen haben könnte, weil er eine (heimliche) Freude am Billard-Spiel entwickelt hätte. Vielmehr kam es ihm wohl auf den Gegenwert der Kugeln von immerhin 5 (!) Talern an. Ähnlich verhält es sich nach Meinung der Verfasserin mit dem nächsten und für diese Arbeit recht wichtigen Diebstahl, der gleichzeitig die einzige beurkundete Begegnung Mays mit einem Pferd darstellt:


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In der Nacht vom 3. 6. zum 4. 6. stahl er in dem kleinen Ort Bräunsdorf (acht km nördlich von Hohenstein) aus einem unverschlossenen Stalle ein Pferd, das er am Tage darauf in Höckendorf verkaufen konnte (für 15 Taler). Doch war ihm der Eigentümer nachgeeilt, so daß er wiederum schleunigst - und diesmal ohne das Geld erhalten zu haben - die Flucht ergreifen mußte.11


Diesem Diebstahl sollte jedoch - soweit es das Diebesgut betrifft - keine allzu große Bedeutung beigemessen werden: Die Tatsache, dass May nur wenige Tage vor dem Pferdediebstahl andere, ebenso ungewöhnliche wie wertlose Gegenstände gestohlen hatte, weist wohl eher darauf hin, wie verzweifelt er Geld brauchte und wie stark der ›Drang‹, alles zu nehmen, was nicht niet- und nagelfest war, inzwischen in ihm ausgeprägt war. Nachdem die Ausreise nach Amerika (Vater und Sohn Burton hatten May - nach seinen eigenen Angaben12 - angeboten, als Hauslehrer der jüngeren Kinder mit nach Amerika zu gehen) anscheinend wegen »paßpolizeilicher Schwierigkeiten«13 in Bremen gescheitert war, kam May in seine Heimatgegend zurück. Seine Hoffnung, als neuer Mensch mit einer besseren Zukunft14 wiederzukommen, hatte sich nicht erfüllt. Er benötigte dringend Geld, um seinen Lebensunterhalt zu fristen, konnte aber keine Anstellung bekommen und war wohl auch zu verwirrt, um eine solche planvoll zu suchen, zumal er schon wieder einige Diebstahl-Delikte auf dem Gewissen hatte. In ähnlicher Weise äußert sich auch Maximilian Jacta zu dieser Tat:


Muten die am 28. und 31. Mai entwendeten Gegenstände schon höchst eigenartig an - ihr Wert entsprach in keiner Weise dem strafrechtlichen Risiko, das May mit diesen Taten einging -, so war das, was er am 4. Juni 1869 anstellte, noch weniger begreiflich. Denn er holte an jenem Tag aus dem Stall eines Gasthofs in Bräunsdorf ein Pferd heraus und veräußerte es unverzüglich in einem Nachbarort samt Zubehör an einen Pferdeschlächter. Noch bevor er den Kaufpreis in Empfang nehmen konnte, erschien der Eigentümer auf der Bildfläche und zwang ihn zur Flucht.15


Diese kurze Begegnung Karl Mays mit einem Pferd ist jedoch das einzig gesicherte Zeugnis dafür, dass er tatsächlich ›Umgang‹ mit einen Vierhufer hatte - wenn auch nur kurz, im Dunkeln, unter schwierigen Bedingungen und mit einer höchst zweifelhaften Motivation! Es kann wohl kaum als Indiz dafür angesehen werden, dass May eine besondere Affinität zu Pferden als Reit-Tieren aufweist. Vielmehr zeigen die anderen, kurze Zeit vorher begangenen Diebstähle, dass May seine ›Objekte‹ nur nach Kriterien wie

-(leichter) Erreichbarkeit,
-(möglichst) geringer Gefahr, entdeckt zu werden,
-(schneller und) einfacher Möglichkeit zur Veräußerung und
-einem (möglichst hohen) finanziellen Wert der ›Beute‹ auswählte.


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   Die Tatsache, dass eines der ›Objekte‹ ein Tier war, das zur Erreichung des finanziellen Gegenwertes sein Leben lassen sollte, spielte wohl keine Rolle, sondern war vermutlich beim Transport eher ein ›Hindernis‹. Vom weiteren Schicksal des Pferdes, nachdem sein Besitzer es nach diesem unbeabsichtigten ›Schlachtpferde-Transport‹ von seiner Bestimmung noch erretten konnte, ist leider nichts bekannt. Auch kann diese kurze Begegnung, zumal sie unter den geschilderten, erschwerenden Bedingungen stattfand, wohl kaum das oben angesprochene ›Schlüsselerlebnis‹ Mays für seine spätere Schilderung der Pferde darstellen.



3. Pferde in der Umgebung Mays


Auf der Suche nach dem Kenntnisstand des  S c h r i f t s t e l l er s ,  der hinter der Art der Beschreibung der Rösser in seinen Werken steckt (bzw. stecken könnte), sollte man auch das historische Umfeld wie auch die kulturellen Umstände der Zeit nicht außer Acht lassen: Ob May vielleicht anderweitig (näheren) Kontakt zu Pferden hatte, die zu seiner Zeit u. a. als Kutschpferde zur alltäglichen, gängigen Fortbewegung gehörten, lässt sich nicht mehr schlüssig nachvollziehen.16

   Es ist aber anzunehmen, dass er diese in der Jahrhundertwende zum Straßenbild gehörenden ›Transportmittel‹ - wie heute Autos - als solche wahrnahm. Auch sein späterer Wohnsitz in Radebeul (ab 1895; in Dresden und Umgebung lebte er schon seit 1883) begünstigt diese Annahme: Etwa 15 km nördlich von Radebeul liegt das Schloss Moritzburg, dessen ehemalige Marställe (erbaut 1733 vom sächsischen König) seit 1766 die in Sachsen bestehenden Hengststationen übernahmen und später zum Landgestüt wurden.17 Durch die Einführung einiger Oldenburger Beschäler (ab 1872) hatte Moritzburg nachweislich eine tief greifende Bedeutung für (und erfolgreichen Einfluss auf) die sächsische Landespferdezucht. Dieser Oldenburger-Einfluss äußerte sich besonders in der Hervorbringung geeigneter Wagenpferde, die im Typ des trockenen, gängigen, ›modernen‹ schweren Warmblutpferdes standen und - ähnlich ihren norddeutschen Vorfahren - zum großen Teil Rappen (!) waren, was - gemäß den Mendel'schen Gesetzen der Farbvererbung - darauf schließen lässt, dass die Nachzucht dieser Beschäler überwiegend dunkle Farben mit wenig Abzeichen aufwies. Diese Pferde wurden um die Jahrhundertwende sowohl in städtischen Gebieten als Kutschpferde genutzt als auch in der Landwirtschaft als Arbeitspferde eingesetzt.

   Die Annahme, dass Karl May den geschilderten Pferdetyp beständig vor Augen hatte, lässt sich noch durch folgende Zusammenhänge untermauern:

   Traditionell stellten (und stellen noch heute) die - staatlich subventionierten - Landgestüte nur qualitativ hochwertige Beschäler auf; sie boten (und bieten noch heute), ganz im Gegensatz zu privaten Hengsthaltern, für


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eine verhältnismäßig niedrige Decktaxe dem Stutenbesitzer die Möglichkeit, ordentliche Nachzucht zu züchten. Somit bestand auch für den ärmsten Bauern in der Umgebung Dresdens die Möglichkeit, seine zur Feldarbeit eingesetzten Stuten von Hengsten des Landgestüts decken zu lassen. Diese Möglichkeit wurde denn auch - insbesondere nach Einführung der Oldenburger in den 80er und 90er Jahren des 19. Jahrhunderts - verstärkt genutzt,18 da bessere Pferde nicht nur mehr, sondern auch länger und härter arbeiten konnten und somit eine nützlichere, weil effizientere und längerlebige Kapitalanlage darstellten. Man darf nicht vergessen, dass Pferde ein überlebenswichtiger Faktor waren, nicht nur für Transport- und Kutschdienste, sondern - aus züchterischer Sicht - vor allem für das Militär, für das Auswahl-Kommissionen jedes Jahr eine bestimmte Anzahl von Remonten rekrutierten, was einen immensen Absatzmarkt für die Züchter bedeutete.

   Für eine planvolle, qualitativ hochwertige Zucht wurden damals während der Decksaison (etwa Februar bis Juli) vermehrt Stuten zur Deckstation gebracht. Durch die geographische Lage Moritzburgs führt der direkte Weg von Dresden dorthin jedoch durch den Ort Radebeul.19 Es ist daher anzunehmen, dass in Radebeul mehr und öfter Pferde - insbesondere die der Landespferdezucht - zu sehen waren als in anderen, süd- und östlich von Dresden gelegenen Orten der Umgebung. Karl May muss demzufolge also den für die damalige Zeit in der sächsischen Umgebung gängigen, relativ schweren, etwas groben Arbeitspferdetyp, der in der bäuerlichen Feldarbeit ebenso eingesetzt wurde wie zum Ziehen von Kutschen in der Stadt, oftmals vor Augen gehabt haben. Es existiert jedoch kein Material darüber, inwiefern er diese ›Fortbewegungshilfen‹ bewusst wahrgenommen hat. Vielleicht ist der oben beschriebene Pferdetyp, der in seiner nächsten Umgebung für ihn jederzeit sichtbar war, jedoch ein um so wichtigerer Grund dafür, dass die meisten vierbeinigen ›Gestalten‹ in seinen Werken Rappen sind, jedoch nicht etwa der Typ des schweren Arbeitspferdes. Die Pferde in Mays Werken zeichnen sich stets durch besondere Leichtigkeit, Schönheit, Schnelligkeit, Adel und Eleganz aus: Als schwere, zugkräftige Warmblüter, unter deren kräftigem, ausdauerndem, schwerfälligem Hufgestampfe die Erde bebt, hätten Rih, Hatatitla & Co. wohl nie die Herzen der Leser derart bewegt.

   Es bleibt die oben gestellte Frage, ob May außer mit den zum alltäglichen Straßenbild gehörenden Vierbeinern noch weitere ›Bekanntschaft‹ mit Pferden gehabt haben könnte, ob er sich also vielleicht sogar zum Zwecke der verbesserten Authentizität der Darstellungen seiner Roman-Gestalten selbst reiterlich ›gebildet‹ haben könnte.

   Aber auch gegen eine solche Annahme sprechen die Tatsachen: Bei den Photographien, die zumeist Klara Plöhn während der Orient-Reise (1899/1900) machte, gibt es Aufnahmen, die Karl May auf einem ›Wüstenschiff‹ zeigen,20 es existiert jedoch interessanterweise nicht ein einziges Bild, welches Karl May - alias Old Shatterhand alias Kara Ben Nemsi - im Sattel auf dem Pferderücken zeigt!


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4. Die Darstellung der Pferde und der Reitkunst im Werk Mays


Es erscheint wahrscheinlich, dass die ›phantastischen‹ Beschreibungen der ›übertierisch‹ anmutenden Rappen und der Reiter in Mays Werk nicht im Geringsten auf praktischer Erfahrung des Autors beruhen.

Allein die Beschreibung des Exterieurs, der Leistungsfähigkeit und der Intelligenz der beiden unvergleichlichen Rapphengste Rih und Hatatitla und insbesondere die Schilderung der Reaktionsweise des fast menschlich erscheinenden Pferdes Syrr im vierten Band von ›Im Reiche des silbernen Löwen‹ lassen vermuten, dass es im konkreten Fall keine vierbeinigen Vorbilder in der Realität gab: Die Tiere sind in Bezug auf Schönheit, Charakter, Treue, Schnelligkeit, Temperament, Adel, Intelligenz, Gehorsam, Vertrauen und - last, but not least - Ausbildung ›unübertroffen‹, wie von ihrem Reiter Old Shatterhand resp. Kara Ben Nemsi immer wieder betont wird, und wahrhaftig, kein lebendes Tier könnte diesen Phantasie-Gestalten auch nur annähernd gleichkommen, geschweige denn, sie übertreffen.21

   Insofern passen sie natürlich auch vortrefflich zu ihren Reitern, für die kein Weg zu weit, kein Berg zu hoch, kein Fluss zu tief, keine Zeit zu lang und keine Anstrengung zu mächtig ist, wenn es darum geht, das Böse in Wüste und Prärie zu bekämpfen, Feinde zu verfolgen, Verbrechen zu verhindern oder wenigstens zu sühnen, Unschuldige zu retten und für Freunde einzustehen. Tage- und wochenlang bestehen sie ein Abenteuer nach dem anderen und sitzen stundenlang im Sattel. Interessanterweise ist es für sämtliche Reiter kaum jemals eine Belastung, stundenlang im Sattel zu sitzen, nur die ganz unerfahrenen Wegbegleiter Old Shatterhands und Kara Ben Nemsis sind nach einem langen Ritt ›angestrengt‹ (so z. B. Carpio und Rost in ›»Weihnacht!«‹ oder der Schwarze Bob in ›Der Sohn des Bärenjägers‹).

   Es wird jedoch nie erwähnt, dass jemand durch zu langes Sitzen im Sattel sich mehr als nur innerlichen Muskelkater ›erworben‹ hat, sich nämlich auch äußerlich die Haut an Sitzfläche und Beinen wundschabt - umgangssprachlich unter Reitern ausgedrückt: ›sich einen Wolf geritten hat‹.

   Lediglich in der 1888/89 als Zeitschriften-Fortsetzungswerk im ›Deutschen Hausschatz‹ erschienenen Erzählung ›Der Scout‹, in der der (später Old Shatterhand genannte) Ich-Erzähler nicht nur - wie in den folgenden Erzählungen so oft - das Greenhorn spielt, sondern es in jeder Beziehung auch ist, erhält der Leser noch einen Hinweis darauf, dass ein begnadeter Reiter nicht geboren wird, sondern auch eine gewisse Ausbildung und - vor allen Dingen - Übung braucht. Der Autor Karl May versteht es, seinen Lesern die Wirkung des ungewohnten Reitens drastisch - und nicht ohne eine gewisse Portion Ironie - vor Augen zu führen, natürlich stets mit dem Authentizitäts-Gedanken im Hintergrund:


... von Schlaf war bei mir keine Rede. Wer sich einmal die Schenkel bis an das Knie aufgeritten hat, so daß die Lederhose am wunden Fleische anklebt und noch dazu


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die schöne Aussicht hat, am nächsten Tage einen Ritt von fünfzig Meilen durch glühendes, wüstes Land machen zu müssen, der dürfte wohl nicht geträumt haben, daß er bei einem Glase Sect und mit einer Nummer des »Deutschen Hausschatzes« in der Hand im Schaukelstuhle sich wiege.22


Die so drastisch geschilderten Auswirkungen der mangelnden Übung des Ich-Erzählers bilden den Anlass für Old Death - der gleichzeitig handelnde Person und auch Namensgeber der ›Scout‹-Erzählung ist -, weidlich über das ›Greenhorn‹ zu spotten, das »auf dem Pferde sitzt wie eine Wäscheklammer auf der Leine«.23 Der Verspottete jedoch gibt dies freimütig zu: ... er hatte Recht. Meine Haltung war nichts weniger als elegant oder malerisch zu nennen. Ich hielt die Beine weit vom Pferde ab und fühlte eine Art krampfhafter Ergebung, in welcher mir schließlich Alles gleichgültig war.24 Aber er ist überaus und ungemein tapfer:


Bereits beim Absteigen vom Pferde war es mir schwer geworden, auf den Erdboden zu kommen. Meine Beine waren steif und schwerfällig, so daß mir schon das Treppensteigen sehr schwer geworden war. Jede Bewegung, durch welche die Lederhose in Mitwirkung gezogen wurde, verursachte mir Schmerzen ... Ich nahm mir vor, wie ein echter Vollblutindianer allen Schmerz zu verbeißen ...25


Aus dieser Darstellung lässt sich Folgendes unschwer erkennen: Karl May konnte sich die körperlichen Folgen des (übermäßig langen) Sitzens im Sattel in seiner Phantasie durchaus lebhaft vorstellen und für den Leser glaubhaft ausmalen. Seine Schilderung lässt jedoch gleichzeitig den Schluss zu, dass diese ›Vertrautheit‹ mit den Auswirkungen nicht auf eigener Erfahrung beruhte: Das Ich hatte sich die Schenkel bis an das Knie aufgeritten und hielt die Beine weit vom Pferde ab - er versuchte also, den Kontakt der Unterschenkel zum Sattel zu vermeiden: Jeder Reiter, der schon mal die Erfahrung übermäßig langen Reitens gemacht (bzw. ›durchlitten‹) hat, wird bestätigen, dass die am meisten beanspruchte Körperregion - neben den Schenkeln - die Sitzfläche ist. Dort nämlich ›ruht‹ das Körpergewicht des Reiters im Sattel, somit wird die Haut des ›Hinterteils‹ auch am stärksten beansprucht.26 Von dieser Körperregion wird jedoch keinerlei Schmerz berichtet: So hätte der ›Aufgerittene‹ doch noch einige Tage lang Schmerzen beim  S i t z e n !  Bei den Schauplätzen der Handlungen Mays, also im Wilden Westen oder im ›Morgenland‹, auch in Südamerika, wurde zudem  n i c h t  in den in Deutschland üblichen ›englischen‹ Sätteln geritten. Vielmehr waren (und sind z. B. bei den Cowboys noch heute) im Wilden Westen ebenso wie in anderen Gebieten, wo große Tierherden zu beaufsichtigen sind, die sog. ›Western-Sättel‹ im Gebrauch: Diese haben den Vorteil, dass sie dem Reiter durch eine große Sitzfläche, den Sattelknauf und extrem lange Steigbügel eine ›stehende Sitz-Haltung‹ vorgeben. Von dieser Art müssen auch Old Shatterhands und Kara Ben Nemsis Sättel gewesen sein, da sonst die mehr-


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fach beschriebenen Lasso-Einfang-Szenen schlicht unmöglich sind: Die in Deutschland gebräuchlichen, ursprünglich englischen Reitsättel hatten - ebenso wie die Armeesättel - keinen Sattelknauf!

   Mays Greenhorn jedoch scheint hier - wie auch Old Shatterhand später mehrfach beim Zureiten wilder Pferde - seine Beine, insbesondere die Schenkel (ob Ober- oder Unterschenkel lässt sich hierbei nicht genau sagen, was weitere Rückschlüsse auf Karl Mays reiterliche Kenntnisse zulässt), in wahrhaft ungewöhnlicher Weise zu benutzen: Ein weiteres sicheres Indiz dafür, dass der Schriftsteller seine Anschauungen lediglich aus der Theorie, nicht jedoch aus eigener Praxis bezogen hat. Im folgenden Teil über die Reiter und ihre Reitkunst wird hierauf noch detailliert eingegangen.

   Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Karl May aufgrund seines Lebenslaufes, so wie er schriftlich dokumentiert ist, wie auch wegen seiner Darstellung der Pferde im Werk keinerlei Kontakt und Erfahrung mit Pferden und Reiten gehabt haben kann.

   Die oben dargestellte geringe hippologische Sachkenntnis Mays ist jedoch sehr gut verborgen und somit für die meisten Leser, so sie zu dem Kreis der ›nicht-reitenden Laien‹ zählen, nicht sofort erkenntlich. Dadurch bekommt der Einwand, dass Mays Werk an verschiedenen Stellen dem Leser hippologische Fakten und ebensolche - sachlich korrekten - Informationen bietet, durchaus seine Berechtigung. Es stellt sich also die Frage, wie der Autor zu diesen Fakten gekommen ist. Hierfür bietet es sich an, die Pferdebücher in der May'schen Bibliothek näher zu betrachten.



5. Der Authentizitätsbeweis und die Pferdebücher in der Bibliothek Mays: Ursprünge der hippologischen Sachkenntnis des Autors


Neben dem ›Pferdebuch‹ der damaligen Zeit, dem ›Buch vom Pferde‹ des Grafen Wrangel,27 befanden sich nur wenige, dünne Heftchen mit Reitvorschriften, z. B. Andersons ›Die mittlere Reitschule‹28 und das ›Reit-ABC‹,29 im Besitz Mays, die aber allesamt wenig gelesen und benutzt, teilweise noch nicht einmal an den Rändern aufgeschnitten sind und ohnehin zur Erlangung fundierter Reitkenntnisse nur wenig hätten beitragen können. Die ›großen Standardwerke‹, d. h. die umfangreichen, umfassenden und fundierten Reitlehren des 19. Jahrhunderts,30 deren Grundlagen erstaunlicherweise noch heute Gültigkeit besitzen und die zumeist ihre Anwendung und Herkunft im militärischen Gebrauch des Pferdes hatten, sind sämtlich in der May'schen Bibliothek nicht vorhanden.31

   Nichtsdestotrotz lässt sich für einige - übrigens nicht nur die Pferde betreffenden - Textstellen der Amerika- und Orientromane durchaus belegen, dass May sie (teilweise sogar wortgetreu) aus anderen Büchern ›entliehen‹ hat.


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   Exemplarisch sollen an dieser Stelle einige übereinstimmende Textstellen aufgezeigt werden, die in den gleichen Worten bei May und anderen Autoren wieder zu finden sind. Zum Teil weisen die benutzten Bücher in Mays Bibliothek an jenen übereinstimmenden Textstellen sogar recht deutliche Spuren der Bearbeitung auf, wie etwa Einleger mit Zeitschriften- und Zeitungsartikeln, Anstreichungen und Unterstreichungen.


Beispiel 1: Englisches Vollblut


Im Roman ›Der Schut‹ gibt der Erzähler seinem Staunen darüber Ausdruck, dass ein ›englisches Vollblut‹ am Ort der Handlung, in Rugova, ist, und er beschreibt dem Leser, was er sieht:


... rechts jagte der Schut auf einem Pferd von dannen. Das Pferd war ein Rappe. Trotz des Zornes, welcher mich erfüllte, und trotz der Aufregung, in welcher ich mich befand, hing mein Auge bewundernd an dem Tier -  b r e i t e ,  f e s t e  S e h n e n ,  h o h e ,  schlanke  G l i e d m a ß e n ,  s t a r k  a u s g e b i l d e t e  H i n t e r h a n d ,  t i e f e  B r u s t ,  d ü n n e r  L e i b ,  l a n g e r ,  w a g e r e c h t  g e t r a g e n e r  H a l s ,  sehr  k l e i n e r  K o p f  - alle Wetter, das war ein englisches Vollblut! Wie kam ein solches Tier hierher nach Rugova!

   Ich war voll Bewunderung über die Eleganz und Schnelligkeit, mit welcher es dahinflog.32


In jener Ausgabe des ›Brockhaus Conversations-Lexikon‹, die in der Bibliothek Mays vorhanden ist, liegt bei dem Stichwort ›Pferd‹ ein Einleger im Buch (beidseitig bedruckte Zeitungsseite, angestrichen der Artikel ›Der Galopp des Pferdes in Natur und Kunst‹), der sich aber aufgrund fehlender weiterer bibliographischer Angaben nicht identifizieren bzw. datieren lässt. Im Brockhaus-Text lautet die Beschreibung für ›Englisches Vollblut‹ so:


Im Bereich der Occidentalischen (europäischen) Hauptrasse ist die hervorragendste Pferderasse die  E n g l i s c h e  V o l l b l u t r a s s e  (Fig. 2). Die Zucht des englischen Vollbluts begann unter Jakob I. (1663) durch Einführung arab. und später auch türk. Hengste. Dasselbe ist das Vorbild einer vollendeten Kunstrasse, an welcher alles zu dem Zweck entwickelt ist, durch außerordentliche Geschwindigkeit auf der Rennbahn zu glänzen, daher  k l e i n e r  K o p f ,  l a n g e r ,  w a g r e c h t  g e t r a g e n e r  H a l s ,  t i e f e  B r u s t ,  d ü n n e r  L e i b ,  h o h e  G l i e d m a ß e n ,  s t a r k  a u s g e b i l d e t e s  H i n t e r t e i l ,  b r e i t e ,  f e s t e  S e h n e n ,  es fehlt die Harmonie des Körperbaus wie beim Araber; dennoch ist das englische Vollblut in der Aktion schön, und als Zuchtmaterial für die Bildung feiner, leichter Schläge von unschätzbarem Werte.33


Die Übereinstimmung der Texte ist unverkennbar: Das Pferd des Schut wurde nach dem Lexikon und mit dessen Worten ›gezeichnet‹.


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Beispiel 2: Kennzeichen des Vollblutarabers


Auch an anderer Stelle überrascht Kara Ben Nemsi den Leser durch seine fundierten hippologischen Fachkenntnisse: Halef bittet seinen Sihdi, als dieser zu Besuch bei den Haddedihn weilt, um sein Urteil über ein neu ›erworbenes‹ Pferd (Entschädigungszahlung an die Haddedihn aus der Kriegsbeute eines anderen Stammes), das er für einen »echten Nedjedhengst«34 hält, dessen Stammbaum er aber leider nicht besitzt, da der Züchter nicht mehr auszumachen ist. Interessanterweise hat Halef diesem Rapphengst - zur Erinnerung an Hatatitla, das Geschenk Winnetous an Old Shatterhand, von dem Kara Ben Nemsi erzählt hatte - den gleichen Namen (Blitz) gegeben, jedoch in seine Sprache übersetzt, so dass das Tier jetzt ›Barkh‹ heißt. May spannt an dieser Stelle den Authentizitäts-Bogen seiner Schriften ziemlich weit: Dass Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi verschiedene Kriegsnamen in verschiedenen Ländern der Erde für ein und dieselbe Person sind, wird durch die Namensgebung der Pferde unterstützt. Schade, dass Winnetou so früh gestorben ist und die berühmte Pferdezucht der Mescaleros nicht weitergeführt wurde, er hätte sonst aus Verehrung für die arabischen Rapphengste Rih und Assil Ben Rih, von denen Old Shatterhand doch sicher berichtet hat, einen eventuellen Nachkommen seines Iltschi ›Assil Ben Iltschi‹ nennen können. Dies hätte auch - diesmal umgekehrt von Wüste zur Prärie - die erwünschte Folge gehabt, dass die Leser an die ›selbsterlebten Abenteuer‹ des Karl May umso fester glaubten.

   Doch zurück zu der Szene im ›Silberlöwen‹, in der der vermeintliche Nedjed-Hengst wie folgt beschrieben wird:


Der Rappe hatte eine kleine, schmale Blässe unter der  S t i r n ,  w e l c h e  s e h r  b r e i t  w a r .  Der  s c h ö n  g e b o g e n e ,  f e i n e  H a l s  trug einen  k l e i n e n  K o p f  mit  s p i t z e n ,  gradstehenden  O h r e n .  Die  N a s e  w a r  s a n f t  z u g e s p i t z t ,  d a s  A u g e  h e r v o r s t e h e n d  u n d  f e u r i g ,  d i e  B r u s t  b r e i t ,  d e r  W i d e r r i s t  s c h a r f ,  d e r  R u m p f  k u r z ,  d a s  B e i n  s e h n i g  und  d e r  H u f  k l e i n ,  r u n d  u n d  h a r t .  Lobenswert war der  s c h ö n e  S c h w e i f a n s a t z ,  w e n i g e r  aber das sehr lange und  s e h r  d i c h t e  M ä h n e n h a a r .35


Man vergleiche diese Pferde-Beschreibung mit einem Auszug aus dem ›Buch vom Pferde‹ des Grafen Wrangel, wo die folgende Textstelle sogar am Rande (handschriftlich angestrichen durch eine doppelte Linie) gekennzeichnet ist:


Der Vollblutaraber hat einen  k l e i n e n  K o p f ,  b r e i t e  S t i r n ,  s p i t z i g e  O h r e n ,  die sich mit den oberen Enden nahezu berühren,  z u g e s p i t z t e  N a s e ,  e t w a s  h e r v o r s t e h e n d e  f e u r i g e  A u g e n ,  einen  g e b o g e n e n ,  f e i n e n  H a l s ,  und  k e i n e  z u  d i c h t e  M ä h n e ,  denn grobes Mähnenhaar gilt als Zeichen unreinen Blutes. Der Beduine schätzt außerdem einen ziemlich  s c h a r f e n  W i d e r r i s t ,


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b r e i t e  B r u s t ,  k u r z e n ,  aber nicht mit unnötigem Fett beladenen  R u m p f ,  s e h n i g e  B e i n e ,  k l e i n e ,  s e h r  r u n d e  u n d  h a r t e  H u f e ,  s c h ö n e n  S c h w e i f a n s a t z  und feines, nicht zu dichtes Schweifhaar.36


Offensichtlich hat Kara Ben Nemsi diese Beschreibung eines Vollblutarabers geradezu ›verinnerlicht‹, denn: Ohne die Frage des Hadschi [wie der Hengst ihm gefalle] gleich zu beantworten unterwarf ich das Pferd einer genauen Prüfung, mit der Besichtigung und Palpation der Augen beginnend und mit der Untersuchung der Hufe aufhörend.37 Allein schon durch die Wortwahl ›Palpation‹ (lat. für Abtasten, Untersuchung von dicht unter der Körperoberfläche liegenden Organen durch Betasten) wird dem Leser der Eindruck vermittelt, er habe es hier nicht nur mit einem Kenner der tierischen Kreatur, sondern auch mit einem in der Medizin bewanderten Mann zu tun. Kara Ben Nemsi als Europäer beweist hier seinem Freund Halef, einem einfachen Araber, (wieder einmal) seine (haushohe) Überlegenheit: Halef hatte Barkh auch schon auf Fehler hin ›untersucht‹, aber keine gefunden, was ihn zu der Annahme kommen lässt, dass er »blind gewesen« sein musste, obgleich er als Beduine von Pferden mehr verstehen müsse als Kara Ben Nemsi, »dessen Beruf es ist, möglichst viel Federn und Tinte zu verbrauchen«.38 Der Verbrauch einer großen Quantität an Federn und Tinte, um den Lesern einen etwa ebenso großen Bären aufzubinden, dient an dieser Stelle wiederum als Hinweis auf den Autor May, der sich hinter der Identität des Kara Ben Nemsi verbirgt. Nur geht der Schuss insofern nach hinten los, als man nicht mehr staunend vor der übergroßen Kompetenz des Schriftstellers May innehält, sobald die Vorlagen für das Wissen neben dem Werk liegen.

   Die Begutachtung des Pferdes wird durch das Vorreiten in allen Gangarten39 abgeschlossen, erst dann wird das Urteil gesprochen. Der Hengst hat Fehler, kann also kein Nedjed sein:


»Es handelt sich nur um Kleinigkeiten, welche den Wert des Pferdes nicht vermindern, wenigstens in meinen Augen nicht. Zunächst sind die Hinterhufe ungleich groß; aber der Unterschied ist so unbedeutend, daß du ihn noch gar nicht bemerkt hast; sodann sollte das Vorderteil etwas tiefer sein [?!], und endlich ist die Stirn zwar breit, aber zwischen den Augen zu flach; sie sollte da gewölbter sein.«40


Weil außerdem noch die Ohren des Tieres »zu gerade (stehen); bei einem hochedlen Pferde müßten sich die Spitzen derselben fast berühren« und »sodann ... eine so dichte Mähne stets ein Zeichen gemischten Blutes (ist)«, ist das Pferd nicht so edel, wie der Hadschi angenommen hatte:


»Aber du giebst doch sicher zu, daß es dennoch ›hörr‹ zu nennen ist?«

   Hörr bedeutet hochedel und wird bei solchen Pferden gebraucht, deren Eltern beide fehlerfrei waren.


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   »Nein, es ist nicht ›hörr‹, sondern nur ›mekueref‹, lieber Halef.«

   Mekueref bezeichnet ein Pferd, dessen Mutter edel, der Vater aber unedel war.41


Halef, der dieses Pferd schon eine Weile besitzt, es somit fast täglich sieht, füttert und auch reitet, hat all diese ›unbedeutenden Kleinigkeiten‹ nicht bemerkt, während es für seinen Sihdi nur eine Sache von wenigen Minuten war, den Wert des Pferdes festzustellen. Eine Sache von wenigen Minuten war sicherlich auch die Aneignung der für die Entstehung dieser Szene erforderlichen Kenntnisse durch den Schriftsteller; fast wörtlich stehen nämlich die Bezeichnungen auf der dem vorangegangenen Zitat folgenden Seite bei Wrangel:


Der Beduine fragt im allgemeinen wenig darnach, ob seine Stute vom ›Hámdani‹-Stamm ist, ob sie einen ›Sáklavi‹- oder einen ›Kohlan‹-Hengst zum Vater hat oder ob sie eine der Lieblingsstuten des Propheten unter ihren Vorfahren zählt. Was er unbedingt fordert, ist nur, dass die Eltern der Stute fehlerfrei sein sollen, oder mit anderen Worten: Eine fehlerfreie Stute unbekannter Herkunft ist ihm lieber als eine fehlerhafte, die sich eines glänzenden Stammbaumes rühmen kann. (...) Anstatt der alten Geschlechtsnamen (...) bedient sich der Beduine nunmehr folgender Benennungen:

›hörr‹, hochedel, in welchem Falle beide Eltern fehlerfrei sind; ›hadschine‹, fehlerhaft, wenn die Mutter unedel war; ›mekueref‹, wenn der Vater unedel war, und ›berdune‹, wenn beide Eltern mit Fehlern behaftet waren.42


Der Wert des Pferdes richtet sich also - nach Wrangel ebenso wie nach May - hauptsächlich nach der Abstammung des Tieres, erst in zweiter Linie ist das eigene Aussehen relevant. Da Barkh als ›mekueref‹ eingestuft wird (Vater unedel), scheint er ein ›Fehltritt‹ seiner Mutter zu sein. Es ist unlogisch, dass Kara Ben Nemsi an dem Aussehen des Pferdes ablesen kann, von welchem Elternteil es die (körperlichen) Nachteile geerbt hat, ohne dass der gestrenge Beurteiler überhaupt ein Elternteil gesehen hat: Exterieurmängel können bei Pferden (ebenso wie bei Menschen) durch die eine oder die andere Seite vererbt werden.43

Fazit: Aus den genannten persönlichen Verhältnissen Mays wie auch aus der schriftstellerischen Bearbeitung des Pferdemotivs geht wohl eindeutig hervor, dass May mit Pferden in der Realität nichts, aber auch gar nichts zu tun gehabt haben kann. Eine solcherart mythische Überhöhung, wie sie z. B. mit Rih verbunden ist, wäre sonst nicht möglich gewesen. Zwar haben auch Träume nur wenig mit der Realität zu tun, aber hier handelt es sich um eine andere Art der Darstellung: Neben den Berichten über all jene Qualitäten der Pferde ist es letztendlich eben jener realistische ›Touch‹ (Rih an Halef zu verschenken), der den (meist hippologisch unbelasteten) Leser davon überzeugt, dass Mays ›Überflieger-Pferde‹ wirklich zu all jenen Leistungen in der Lage sind, die beschrieben werden.


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6. Reiter und ihre Reitkunst


Die vorgenannten Pferde mit ihren Fähigkeiten und Eigenschaften erfordern natürlich entsprechende Reiter. Dieser Reiter muss nicht nur dem Pferde äquivalente Kenntnisse und Fertigkeiten aufweisen, was seine körperliche Leistungsfähigkeit und seine Beherrschung aller möglichen und ebenso einiger außergewöhnlicher Fähigkeiten betrifft, auch und insbesondere auf der moralisch-menschlichen Ebene muss der Reiter eines solchen Tieres ›fehlerfrei‹ sein, und zu alledem muss er noch die Kunst des Reitens beherrschen!

   Welch ein Glück, dass auf den Helden Old Shatterhand/Kara Ben Nemsi jeweils alle genannten Forderungen zutreffen!


Haltung, Einwirkung und Sitz des Reiters


Die Haltung des Reiters im Sattel seines Pferdes wird in Mays Werken nur dann beschrieben, wenn sie in irgendeiner Weise ungewöhnlich erscheint, so wie etwa die Haltung des erfahrenen Westmannes, der weit vornüber gebeugt im Sattel hängt, dabei aber einer Spur sehr aufmerksam folgt und auch noch die Gegend scharf im Blick behält.

   Die folgende Beschreibung des Reitsitzes Winnetous, der sein Pferd Iltschi hier in vollem Galopp gehen lässt, um einigen anderen, vermeintlich fremden Reitern den Weg abzuschneiden, ist beispielhaft für die oft ungewöhnliche Art des Sitzes bei Karl May. Grob vereinfacht kann man sagen, dass ein Reiter sich, je schneller das Pferd rennt, umso mehr in die Bügel stellen sollte, um den Rücken des Tieres zu entlasten und die Galopp-Bewegungen in den Knien abfedern zu können. (Deshalb reiten die Jockeys bei den Rennen auch immer mit ganz kurzen Bügeln, so dass sich die Knie über dem Widerrist berühren könnten.) Ein zweiter Aspekt ist die Windschlüpfrigkeit des Reiters, denn je näher sich dieser an das Pferd ›duckt‹, desto geringer ist der Luftwiderstand; folglich gibt es eine reduzierte Anstrengung für das Pferd, was wiederum Kraft spart, die in Schnelligkeit umgesetzt werden kann.

   All diese graue Theorie kommt bei May nicht zum Tragen:


Er [Winnetou] kam gleich einem Halbgotte dahergesaust. Stolz und aufrecht, wie angewachsen, saß er auf dem fliegenden Rappen, den beschlagenen Kolben der Silberbüchse auf das Knie gestemmt.44


Dies ist wirklich eine ungewöhnliche Haltung, aus der heraus Winnetou sogar noch im vollen Galopp abspringt! Wichtig ist bei dieser Darstellung nicht die klassische Reitkunst, sondern es zählt allein der Eindruck, der dem Leser vermittelt werden soll: Winnetou kommt gleich einem Halbgotte dahergesaust; Odin lässt grüßen. Auch ohne den direkten Hinweis auf diesen gottgleichen Reiter hätte der Leser sicherlich gewusst, dass Winnetou eine


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›überragende‹ Gestalt ist - so jedoch wird überdeutlich, dass er eine ebensolche Symbiose mit seinem Iltschi eingegangen ist wie Old Shatterhand mit Hatatitla.

   Der gute, korrekte Sitz des Reiters, wie er in den oben erwähnten Reitlehren beschrieben wird, ist für die Reiter im Werk Mays völlig unwichtig. Die Beherrschung des Pferdes geschieht nicht so sehr durch ›Hilfengebung‹, sondern bei den guten Reitern und ihren - oft indianisch dressierten - Pferden verhält es sich so, dass die edlen Tiere die Gedanken und Absichten ihres Reiters vorausahnen und diese ausführen, ohne dass der Reiter viel dazu tun muss:


Den Rappen [Rih] lenkte ich weder mit dem Zügel, noch durch Schenkeldruck. Das kluge Tier wußte, um was es sich handelte.... Rih schoß ganz ohne mein Zuthun, wie ein guter Jagdhund, sofort auch nach links, um dem Braunen den Weg abzuschneiden.45


Die Hilfen


Die wirklich guten Reiter bei May zeichnen sich auch eher aus durch das Vertrauen, das ihnen ihre Pferde entgegenbringen; dieses, gepaart mit der Intelligenz eines Tieres wie Rih oder Hatatitla, macht den Gebrauch von ›Hilfsmitteln‹, wie etwa Sporen und/oder Peitsche, völlig überflüssig.

   Sowieso muss man die edlen Rapphengste oft nur mit einem Pfiff in Galopp setzen oder das Wort ›Kawahm‹ sagen, um sie anzutreiben; dann ist es, als ob er bisher nur im Schritt gelaufen sei. Er flog.46 Bei der Verfolgung des Schut braucht sich Kara Ben Nemsi sogar nur in den Bügeln zu heben; sobald Rih merkt, dass sein Herr ihm die Last erleichtern will, greift er noch weiter aus, da dies sein Selbstgefühl (beleidigte).47

   Der Ich-Held ist auch in dieser Beziehung allen anderen überlegen: Durch Ruhe und Gut-Zureden erreicht er mit und bei seinen Pferden mehr als andere mit Gewalt; auch in einer schier aussichtslosen Situation, als er auf der Flucht einen schmalen Pfad direkt am Abgrund entlang geritten ist, der plötzlich zu Ende ist, gibt er nicht auf:


Ich befand mich in einer geradezu schauderhaften Lage. Vorwärts konnte ich nicht, umwenden auch nicht, und da hinten sah ich den Melek an der Felsenkante lehnen. ...

   ... Ich redete ihm [Rih] freundlich zu und ließ ihn rückwärts gehen. Er gehorchte und tastete sich mit ungeheurer Vorsicht, aber schnaubend und zitternd zurück. ... der beruhigende und ermutigende Ton meiner Stimme schien ihm doppelten Scharfsinn zu verleihen. Wenn es auch langsam ging, so gelangten wir doch ... endlich an eine Stelle, wo der Platz mehr als doppelt so breit war, als bisher. ...

   ... Ich drängte den Rappen hart an den Felsen hinan, damit er rückwärts die Platte überblicken könne. Dann ... gab ich dem Tiere die Schenkel, zog es empor und riß es herum.


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   Einen Augenblick lang schwebten seine Vorderhufe über der Tiefe, dann faßten sie festen Fuß; die gefährliche Wendung war geglückt.48


Nicht der gewöhnliche Sitz des durchschnittlich begabten Reiters, der sich auf dem Pferd halten kann, wird beschrieben: Das kann ›jeder‹! Die Ausnahmesituationen sind der für Karl May interessante Teil an der Reiterei. Diese Situationen sind es auch, die den Helden kennzeichnen und über die Masse erheben; sie werden stets ausführlich geschildert. Was macht es da schon aus, dass der Reiter Kara Ben Nemsi nur kurze Zeit vor der hier geschilderten Szene gleich zweimal von seinem Rappen herunter gefallen war. Diese beiden Stürze hatten nur den Gedanken an die Zerbrechlichkeit der Symbiose aufkommen lassen, um gleich darauf die erbrachte reiterliche Leistung umso höher zur Geltung zu bringen.

   Es soll nochmals betont werden, dass es nicht die guten Pferde oder die begnadeten Reiter allein sind; die Einzelnen ragen zwar unter ihresgleichen (Mensch oder Pferd) hoch hinaus, aber nur zusammen bilden sie ein unübertreffliches Paar. Ein schlechter Reiter auf einem guten Pferd wird von einem guten Reiter auf einer Mähre eingeholt. Im Falle eines Diebstahls ist dann auch jedes Mittel recht, um auf dem minderwertigen Pferd den Dieb einzuholen. So geschieht es auch, als Kara Ben Nemsi sein Rih gestohlen wird. Als der Dieb auf Rih flieht, schwingt sich Kara Ben Nemsi auf ein anderes Pferd: Ich sprang auf, stieß dem Tiere die Sporen ein, daß es mit allen vieren in die Luft ging, riß es herum und galoppierte dem Diebe nach.49

   Er versucht, trotz des schlechten Pferdes vor dem Dieb an einer Brücke anzukommen; aber:


Mein Tier war zu schwerfällig. Ich machte mich so leicht wie möglich - vergebens! Ich mußte zu einer Grausamkeit greifen: - ich zog das Messer und stach das Pferd vielleicht einen Zoll tief in den Hals.50


In dieser Verfolgungsjagd setzt Kara Ben Nemsi auf dem schlechten Pferd noch (fehlerfrei) über verschiedene Hindernisse; für den Pferdedieb ist der entscheidende Sprung über einen Bach jedoch tödlich, weil Rih zwar in einem hocheleganten, weiten Bogen51 hinüberschießt, der Reiter aber aus dem Sattel fällt und sich das Genick bricht. Rih, das Pferd des Helden, zu stehlen, wird somit durch den Tod geahndet - im Wilden Westen wurden Pferdediebe gehenkt.

   Im Werk Mays gibt es auch einige unerfahrene Reiter. Da kommt es dann auch vor, dass der Held mit einem von ihnen das Pferd tauscht und ihn eine Weile von seinem Rapphengst tragen lässt, während er das andere Pferd ›bändigt‹: So darf der Neger Bob den Rapphengst Hatatitla reiten, und er hat seine eigene Vorstellung von dem Bild, das er abgibt: »Rappe sein sehr gutes Pferd, und Bob sein sehr vortrefflicher Reiter. Beide einander gut kennen und fahren wie Blitz über Prairie dahin!«52


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   Dieses noble Bild von einem Reiter auf einem ›Blitz‹ wird jedoch durch die Preisgabe der Vergangenheit jäh zerstört:


Ja, der gute Bob ritt jetzt bedeutend besser als damals, wo er zum erstenmal im Sattel saß. Obgleich er sich mit den Händen krampfhaft an dem Halse und der Mähne des Pferdes festgehalten hatte, war er doch stets immer weiter nach hinten gerutscht und endlich am Schwanze heruntergeglitten. Das hatte ihm den Spitznamen Sliding-Bob eingetragen, also der ›rutschende Bob‹. Später hatte er sich eingerichtet und war schließlich bei Bloody-Fox in eine gute Schule gekommen. Jetzt ritt er so, daß er nicht hinter uns zurückblieb, was aber freilich mehr dem Pferde als dem Reiter zuzuschreiben war.53


Fast spricht eine winzige Portion Eifersucht aus der Darstellung, denn es wird behauptet, dass Hatatitla geht, nicht weil ein Reiter auf ihm sitzt, sondern obwohl dies der Fall ist.

   Auch Rih muss manchmal einen anderen, schlechten Reiter tragen:


Allo kletterte wirklich mit größtem Vergnügen auf den Rücken meines Hengstes, welcher sich dieses ehrenrührige Attentat ganz ruhig gefallen ließ, weil er mich in der Nähe wußte.54


An anderer Stelle wird zwischen den Gefährten ein Pferdetausch arrangiert: Der Fuchs machte Carpio zu schaffen, er war zu feurig für ihn; und als wir Rost veranlaßten, seinen Braunen mit ihm zu tauschen, wurde es nicht viel besser.55 Carpio ist nicht nur unerfahren, vergesslich und zerstreut, sondern außerdem noch ein schlechter Reiter. So kommt der Erzähler hier zu dem Schluss: Carpio war ein Hindernis, selbst wenn er auf dem besten Pferde saß.56 Trotzdem sind schlechte Reiter nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Dies mag jedoch auch mit den Schauplätzen der Handlung zusammenhängen; in beiden Erdteilen, in denen Kara Ben Nemsi/Old Shatterhand sich ›herumtreibt‹, sind die Menschen auf ihre Pferde angewiesen, weshalb schon sehr kleine Kinder reiten lernen müssen. Die fiktionale Darstellung würde insofern die Realität - zwecks größerer Glaubwürdigkeit - widerspiegeln.


Aussitzen und Stillsitzen


Der Galopp der treuen, herausragend guten Pferde ist so gleichmäßig, dass ihr Atem unhörbar geht und die Bewegung für den Reiter so wenig spürbar ist, dass er völlig ruhig im Sattel sitzt und ›schreiben‹ könnte, obwohl es zu diesem Zweck auch noch geeignetere Orte gäbe: Ich saß so ruhig im Sattel wie auf einem Stuhl; ich hätte dabei schreiben können, so gleichmäßig schoß Rih dahin.57 Diese Szene erinnert doch sehr an den Ritt des Barons Münchhausen, der auf einer Kanonenkugel ›ritt‹. Es ist überhaupt typisch, dass die


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Romanfigur im Sattel den Rhythmus des Pferdes (auch im Galopp) nicht spürt: Reiten ohne (spürbare) Bewegung also, ein Widerspruch in sich! Die unrealistische Vorstellung des Bewegungsablaufs eines Pferdes im Galopp (Dreitakt mit Schwebephase, allein dieser ›Sprung‹ ist spürbar, bei manchen Pferden sogar sehr stark) beweist einmal mehr die hippologische Unkenntnis des Autors.

   Diese Stelle erinnert an das Dichter-Ross Pegasus: Der Dichter schwingt sich als Reiter auf das Pferd, das ihn inspirieren soll. Bei May geht es sogar noch weiter: Sein Musenpferd hat alle Grundvoraussetzungen, um dem Reiter das Schreiben im Sattel zu ermöglichen - auch eine Art der Größenphantasie. Gerhard Linkemeyer geht in seiner Interpretation dieser Zusammenhänge noch weiter: »Rih symbolisiert bekanntermaßen Mays Schriftstellertalent.«58 In der Tat: Wenn Rih bei Anwendung des Geheimnisses ›fliegt‹ und sein Reiter dabei auch noch schreiben kann, sitzt er auf dem Musenross, welches seine dichterische Inspiration ›beflügelt‹. Überdeutlich werden die Anklänge an das Dichterross Syrr in ›Im Reiche des silbernen Löwen‹: »Das war das Roß der Himmelsphantasie, der treue Rappe mit der Funkenmähne, der keinen andern Menschen trug als seinen Herrn ...«59

   Die enge Verknüpfung zwischen dem Erleben des Abenteuers und - zumindest der Möglichkeit - der Niederschrift des Erlebten soll natürlich auch die Authentizität der Handlung unterstreichen und ist somit ein weiterer Versuch, die Person Karl May mit der fiktiven Heldengestalt Kara Ben Nemsi/Old Shatterhand für den Leser (und den Dichter selbst) zu vereinen.


Die Zähmung der Bestie


Sein Bravourstück leistet der begnadete Reiter-Held verschiedene Male. Es besteht darin, ein wildes, noch nicht (bzw. noch nie von ihm) gerittenes Pferd gefügig zu machen. Auffällig ist dabei besonders die Geschicklichkeit und Kraft, die der Held besitzt und mittels derer er das jeweilige Tier bändigt. Bei Old Shatterhands - er ist noch Hauslehrer - erstem Ritt auf einem unbändigen Pferd werden zu Beginn des ›Kampfes‹ noch die ›Waffen‹ des Reiters eigens erwähnt:


... zwei Knechte (brachten) das gesattelte Pferd aus dem Stalle geführt. Es war höchst unruhig und strebte, sich loszureißen. Meinem alten Mr. Henry wurde angst um mich; er bat mich, von dem Versuche abzustehen; aber erstens war mir gar nicht bange, und zweitens betrachtete ich die Angelegenheit nun als Ehrensache.  I c h  l i e ß  m i r  e i n e  P e i t s c h e  g e b e n  u n d  S p o r e n  a n s c h n a l l e n ;  dann schwang ich mich, allerdings nach einigen vergeblichen Versuchen, gegen welche das Pferd sich wehrte, in den Sattel. Kaum saß ich oben, so sprangen die Knechte eilends fort, und der Schimmel that einen Satz mit allen vieren in die Luft und einen zweiten zur Seite. Ich behielt den Sattel, obgleich ich noch nicht in den Bügeln war, beeilte mich


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aber, hineinzukommen. Kaum war dies geschehen, so begann der Gaul zu bocken; als dies nichts fruchtete, ging er zur Wand, um mich an derselben abzustreifen; die Peitsche aber brachte ihn rasch von derselben fort. Hierauf gab es einen bösen, beinahe für mich gefährlichen  K a m p f  z w i s c h e n  R e i t e r  u n d  P f e r d .  Ich bot alles auf, das wenige Geschick und die unzureichende Uebung, welche ich damals nur besaß, und die Kraft der Schenkel, die mich schließlich doch zum Sieger machte. Als ich abstieg, zitterten mir die Beine vor Anstrengung; aber das Pferd triefte vor Schweiß und schäumte große, schwere Flocken; es gehorchte nun jedem Drucke und Rucke.60


Der retrospektive Hinweis auf die unzureichende Uebung, die der Ich-Erzähler damals nur besaß, steigert die Spannung für den Leser ebenso wie die Neugierde: Wenn der Erzähler damals noch so wenig geübt war, aber trotzdem schon das wilde Tier bändigt, was für Abenteuer muss er dann erst später erlebt haben?! Innerhalb des Textes erfüllt diese Szene zwei Funktionen: Zum einen erringt der junge Mann die Achtung seines Gönners Mr. Henry, der ihn ohne sein Wissen auf seine ›Tauglichkeit‹ als Surveyor überprüft (neben der Beherrschung eines Pferdes muss er auch noch schießen und Land vermessen können, was er aber glücklicherweise alles hervorragend beherrscht). Zum anderen stellt der Ich-Erzähler hier zum ersten Mal seine außergewöhnlichen Fähigkeiten unter Beweis: Der Pferdehändler bittet ihn darum, wiederzukommen, um »die Bestie vollends zu Verstand«61 zu bringen; er würde dafür sogar bezahlen. Schon nach wenigen Tagen des Trainings hat sich das Tier »nur an [ihn] gewöhnt und wirft jeden andern ab«.62 Kurze Zeit später stellt Mr. Henry seinen jungen Schützling vor vollendete Tatsachen: Das Greenhorn soll unter dem Schutz des Westmanns Sam Hawkens als Landvermesser einer Bahngesellschaft mit in den Westen gehen; eigens dafür hat Mr. Henry das Pferd, den Rotschimmel, für ihn gekauft und schenkt ihm auch den Bärentöter - die Karriere des Old Shatterhand beginnt.

   Ebenso wie die Überlegenheit beim Schießen und seine Körperkraft den späteren Ruhm des jungen Hauslehrers ahnen lassen, begründet auch das Einreiten des Pferdes seine ›reiterliche Laufbahn‹: Zwar besitzt er bisher nur viel Talent, aber im Laufe des Lebens im Wilden Westen kommt auch die nötige Praxis-Erfahrung hinzu, so dass er seinen Lehrer Sam Hawkens schon bald überflügelt.

   Die Zähmungen wilder Pferde können eigentlich vom Zeitpunkt des Zureitens des Rotschimmels an nur noch Wiederholungen sein. May findet jedoch eine Abwandlung, die das Einreiten von Sam Hawkens' Maultier interessant gestaltet: Der Held, jetzt schon mit einem Kriegsnamen ausgestattet, der übrigens durchaus einen Beigeschmack von Gewalttätigkeit hat, zieht die Schlinge des Lassos, das um den Hals des Maultiers geschlungen ist, fest zu und quetscht dem Tier außerdem mit den Beinen die Luft zu - eine wahre Meisterleistung, die vor ihm und nach ihm wohl kaum jemand geschafft hat:


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Ich schlang den Lasso von der Wurzel ab und stellte mich mit weit ausgespreizten Beinen über das Tier. Sobald es Luft bekam, sprang es auf. Jetzt kam es vor allen Dingen auf den kräftigsten Schenkeldruck an, und da war ich dem kleinen Sam wohl über. Eine Pferderippe muß sich unter dem Schenkel des Reiters biegen; das drückt die Eingeweide zusammen und macht Todesangst. ... Es war ein böser Kampf, ich möchte sagen, Kraft gegen Kraft; ich begann, aus allen Poren zu schwitzen; aber das Maultier schwitzte noch weit mehr; der Schweiß rann ihm vom Leibe, und vom Maule troff der Schaum in großen Flocken. Seine Bewegungen wurden schwächer und mehr unwillkürlich; ... dann endlich brach es unter mir zusammen, nicht mit Willen, sondern weil es von seiner letzten Kraft verlassen worden war. Da blieb es bewegungslos und mit verdrehten Augen liegen.63


Die Einzigartigkeit der ›Reit-Kunst‹ Old Shatterhands besteht darin, dass er Unmögliches möglich macht: Kein Reiter, so er ein normaler Mensch ist, hat die Kraft, die Pferderippe zum Biegen zu bringen - zwar gibt es in der Fachsprache der Reiterei den Ausdruck ›Rippenbiegung‹, aber der bezieht sich auf eine vertikale Biegung des gesamten Leibs des Tieres um wenige Grad ›um den Schenkel‹ des Reiters.64 Schon die Art, wie Old Shatterhand ›aufsteigt‹, ist bewundernswert, aber nur für Giganten mit Beinlängen über zwei Meter zur Nachahmung empfohlen: Andere, mit normaler Beinlänge behaftete Menschen könnten leicht einen Tritt der harten Hufe des Tieres abbekommen. In dieser Zähmungs-Szene schafft es der Reiter, das Maultier durch rohe Kraft zu besiegen - ein wahrhaft ungewöhnliches Bild; der Zweck wird jedoch erreicht, Sam Hawkens ist dann auch gehörig beeindruckt (»Heavens, was seid Ihr für ein Mensch!«65). Der ganz am Anfang gewonnene persönliche Eindruck, dass ›Reiten‹ für manche Menschen (auch und immer noch) die hemmungslose Ausübung von Macht sowie die gewalttätige Durchsetzung von Machtansprüchen bedeutet, wird hier von May ausführlich dargestellt und bestätigt.

   Jedenfalls ist das Tier jetzt gezähmt, es lässt sich auch von Sam problemlos reiten, und die beiden bilden jetzt - durch die Hilfe des Helden - eine ähnliche Einheit, zwar nicht so heroisch, sondern eher komisch anzusehen, aber dafür passen sie zueinander: Die komische Gestalt des kleinen Sam auf seinem Maultier ist - wenn auch auf andere Weise - ebenso ›erhebend‹ für den Leser wie die Gestalt des Helden auf seinem (späteren) Rapphengst.

   Das Kunststück mit dem Zureiten wiederholt Old Shatterhand später noch einmal, allerdings geht dem Ritt eine arglistige Täuschung voraus: Im ersten Band des ›Old Surehand‹ nimmt der Held aus dem Lager der Komantschen, dem Kaam-kulano, das junge Lieblingspferd Vupa-Umugis mit, jenen Schwarzschimmel, den er später an Old Surehand weiter verschenkt. Damit das Indianerpferd bei dem zu erwartenden Kampf, wenn es einen Weißen tragen soll, nicht das ganze Lager aufweckt, maskiert sich der Held: er wälzt sich tüchtig in einigen Mugwartpflanzen und hängt sich dazu noch eine Decke um, wie es die Indianer thun.66 So getarnt, lässt sich das Pferd täuschen: der Kampf wird auf den nächsten Tag und in die offene Prärie verlegt.


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Dieser Kampf weist Elemente der beiden Bändigungsszenen aus dem ersten ›Winnetou‹-Band auf: Das Pferd steigt, bockt, rennt, kämpft, wälzt sich; es ergeht sich in allen den Mucken, die einem sogenannten Bucking-horse andressiert werden ...67 Ein junges Indianerpferd und Bucking-Horse? Davon einmal abgesehen, dass die Indianer nicht zu Cowboy-Rodeos zugelassen waren, scheint es - gelinde gesagt - unwahrscheinlich, dass ein junges Pferd schon so gut dressiert sein soll, dass es in puncto Abwerfen mit allen Wassern gewaschen ist.

   Die Anstrengungen des Tieres (deren Schilderung immerhin vier Seiten einnimmt) sind sowieso alle vergeblich: Old Shatterhand bleibt der Sieger, was ihm die grenzenlose Bewunderung der Anwesenden (Old Surehand, Old Wabble und Bob) einbringt und somit ihren Respekt vor seiner Autorität erhöht:


»Grandios, grandios!« brüllte der Alte. »Das hätte ich nicht fertig gebracht. Es ist wahr, Sir, Ihr seid ein viel, viel besserer Reiter als ich.«

   Old Surehand stand still und sagte nichts; aber seine Augen leuchteten.

   »Schön, schön, oh schön!« schrie Bob. »Massa Shatterhand das schon oft machen mit fremden und mit wildem Pferd. Masser Bob dabei sein und es sehen!«68


Der Held hat diese ›Macht-Demonstration‹ wirklich schon des Öfteren geliefert. Zum Schluss des Kampfes bricht das Pferd zusammen, seine Gegenwehr ist - ebenso wie sein Wille - gebrochen. Unvermittelt geht der mittels Körperkraft gebrochene Widerstand des Tieres in Unterwürfigkeit über, es wird sich von nun an »wie ein treuer und gehorsamer Hund«69 zu seinem neuen Herrn verhalten; von nun an behandelt der Reiter sein Pferd mit gebührender Aufmerksamkeit, pflegt es mit Hingabe und verfällt somit in das andere Extrem der ›hoffnungslosen Sentimentalität‹.

   Im Zusammenhang mit dieser Bändigung gibt Old Shatterhand noch etwas über die eigenen Reitkünste preis:


»Ich übertreffe Euch ja, das behaupte ich auch, aber nicht aus Stolz oder Ueberhebung, denn ich füge sogleich hinzu: ich habe Reiter getroffen, die mich weit, weit übertroffen haben. ...

   Ich habe auf Pferden gesessen, die fünfzigtausend Dollars und noch mehr gekostet hätten, wenn sie überhaupt zu verkaufen gewesen wären. Nun schließt von einem solchen Tiere einmal auf seinen Reiter! Versucht doch einmal, ein zugerittenes Kirgisenpferd, einen kurdischen Streithengst oder eine nach der altparthischen Reitkunst geschulte Perserstute zu besteigen! Ihr seid nach hiesigen Begriffen ein vorzüglicher Reiter; dort aber würdet Ihr ausgelacht!«

   »Kirkisisch-kurdisch-altparthisch - - -? Ich lasse mich aufhängen, wenn ich weiß, was das ist! Habt denn Ihr auf solchen Pferden gesessen?«

   »Ja, und unser Bob würde an meiner Stelle sagen: Wir sind gut aufeinander geritten.«70


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Der Held belegt mit wenigen Worten seine kosmopolitische Existenz - wie gut für den Verlauf der Handlung, dass kein reitender Angehöriger dieser fremdartigen Völker in der Nähe weilt, um den Helden vom Sockel zu stoßen.

   Das ›Imponiergehabe‹ ist unverkennbar: Die soeben vollbrachten Taten sprechen für sich, aber ein derartig ausdauernder Zweifler wie Old Wabble wird jetzt auch mit Worten ›überredet‹, Überlegenheit und die daraus resultierende Vormachtstellung Old Shatterhands als ›charismatischer Führer‹ anzuerkennen.

   Wenn dem Helden jedoch die gebändigten Pferde so bald gehorchen, was muss dann erst eine schon länger existierende Ross-Reiter-Symbiose für Leistungen zu bringen imstande sein.

   Auch Kara Ben Nemsi ist durchaus in der Lage, jedes Pferd zu reiten, und es ist wohl keine allzu große Überraschung, dass er es auf dieselbe Art und Weise (durch Schenkeldruck) schafft wie Old Shatterhand. In ›Von Bagdad nach Stambul‹ will er von einem Händler ein Pferd für Allo, den Köhler, erstehen und merkt schnell, dass der Besitzer ihn betrügen will, da das Tier - vermutlich aufgrund schlechter Erfahrungen - sich weigert, einen Reiter zu tragen. Kara Ben Nemsi handelt den Preis auf die Hälfte hinunter und ›bezwingt‹ das Pferd:


Ich aber drängte den Klepper an die Mauer und kam glücklich in den Sattel. Wieder stieg er empor; ich ließ ihm einige Augenblicke lang den Willen, dann aber nahm ich ihn kurz und faßte ihn zwischen die Schenkel. Er wollte steigen - es ging nicht mehr; er brachte es bloß zu einem krampfhaften Spielen der Hufe, und endlich ging ihm der Atem aus, der Schweiß stand ihm auf allen Poren, und von seinem Maul tropfte der Schaum in großen Flocken - er stand, trotzdem ich ihm die Schenkel wieder nahm.71


Fazit: Diese kurze Bändigungs-Szene beweist auch eine direkte Proportionalität zwischen Qualität des Pferdes und Grad des Widerstands: Je schöner, edler, wertvoller das Tier ist und je anspruchsvoller seine Funktion im Text bzw. für die Handlung ist, desto länger und stärker widersetzt es sich seiner Zähmung, und desto mehr Kraft, Geschick, Gewalt und Können muss der Reiter aufbieten.

   Die wirklich wichtigen und guten Pferde konnte der Held nur durch Aufbietung (fast) aller Kräfte (entweder beim Zureiten oder durch die Lösung anspruchsvoller Aufgaben) erringen, dagegen wird dieses - für die weitere Handlung völlig bedeutungslose und schon kurze Zeit und wenige Seiten später bei einem Überfall erschossene - Pferd durch einmaligen Schenkeldruck (in nur 10 Zeilen) zugeritten.


Reitkunst in Vollendung: Kunststücke, Sprünge, Husarenstücke


Neben außerordentlichen Fähigkeiten im Zureiten wilder Pferde verfügt der Held jedoch noch über die Klasse, im Sattel Kunststücke vorzuführen.


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   Selbstverständlich schafft er das nur mit Hilfe seines unvergleichlichen Pferdes, dessen Leistungsfähigkeit im Verbund mit seiner reiterlichen Fähigkeit erst richtig zur Geltung kommt. Als im dritten ›Old Surehand‹-Band Tibo taka das Gewehr auf den - auf sein Pferd gefesselten - Old Shatterhand anlegt, wehrt sich dieser wie folgt:


Cox spornte sein Pferd wieder heran; er wäre aber doch zu spät gekommen, mich vor der Kugel des Wütenden zu retten, wenn ich mir nicht selbst geholfen hätte. Ich bog mich vor, um die Zügel mit gefesselten Händen ganz vorn und kurz fassen zu können, preßte die Füße in die Weichen des Pferdes und rief:

   »Tschka, Hatatitla, tschka!« [Fußnote: »Hoch, Blitz, hoch!«]

   Dieser Zuruf, den der Rappe sehr wohl verstand, mußte die Nachteile, welche meine Fesseln mir als Reiter brachten, ausgleichen. Der Hengst zog den Körper wie eine Katze zusammen und brachte mich mit einem gewaltigen Satze so eng, daß sich die Pferde streiften, an Thibaut vorüber. Mein Bein traf mit aller Kraft dieses Satzes das seinige und, mitten im Sprunge die Zügel fallen lassend, stieß ich ihm die zusammengebundenen Fäuste so in die Seite, daß er, grad als sein Schuß losging, halb abgestreift und halb abgeschleudert auf der andern Seite aus dem Sattel und in einem weiten Bogen auf die Erde flog.

   ... Mein prächtiger Hengst hatte nur diesen Satz gethan, keinen einzigen weitern Schritt, und stand dann so ruhig, wie aus Erz gegossen, da.72


Was für eine Glanzleistung des Reiters, in Bruchteilen von Sekunden, im Sprung auf dem Pferderücken, das andere Pferd mit dem Bein mit voller Wucht treffend, dann auch noch die Zügel fallen zu lassen und die Fäuste zur Verteidigung zielsicher zu benutzen!

   In dieser Szene wird die Wunschvorstellung Mays, seine Feinde, die ihre Waffen auf ihn richten, durch schnelles Handeln außer Gefecht setzen zu können, klar erkennbar. Man darf nicht vergessen, dass sich der Schriftsteller May auf dem Höhepunkt seines Erfolgs befand, als der ›Surehand‹-Band 1896 bei Fehsenfeld erschien: Nicht nur, was den Bekanntheitsgrad seiner Werke und seiner Person anging, sondern auch aus materieller Sicht ging es Karl May gut.73 Der hässliche Konflikt mit seinen Widersachern, der sich vergiftend durch die letzten Lebensjahre des Schriftstellers zog, war noch nicht absehbar: Der Held kann seine Feinde immer noch mit den bloßen Fäusten ›zur Erde fliegen‹ lassen.

   Als schwache literarische Komposition könnte man die dreimalige Wiederholung desselben Motivs (›über den Haufen reiten‹) werten:

   Als erstes reitet Dick Hammerdull mit zwei ›Angriffssprüngen‹ den Cowboy Bell um, weil der sich über das Aussehen der haarlosen alten Stute Hammerdulls lustig macht.74 Der zweite Sprung, der schon höher, weiter und gefährlicher ist und darum auch ausführlicher geschildert wird, ist der oben erwähnte, bei dem Old Shatterhand sein Leben retten muss durch den Sprung seines Pferdes. Der dritte ›Angriff‹ ist der verwegenste. Apanatschka führt ihn in wahrer Indianerart aus: Er wagte sein Leben dabei, weil er gefesselt ist,


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aber durch sein reiterliches Geschick (Als sein Pferd den Boden berührte, hätte es sich beinahe überschlagen, - er warf sich schnell nach hinten und riß es dabei vorn empor75) schafft er es. Old Wabble wird dabei jedoch verletzt (Armbruch), was ihm im weiteren Verlauf der Handlung schwer zu schaffen macht.

   Gleich dreimal werden also die reiterlichen Glanzleistungen der ›Guten‹ ins rechte Licht gerückt. Zur Funktion der Glanzleistungen innerhalb der Handlung gehört es auch, dass Ross-Reiter-Paare mit ihren ›Stunts‹ die monotone Kette des ›Fangen - Gefangen werden - Entfliehen - Verfolgen - Fangen‹ unterbrechen: Etwas ›action‹ erzeugt eine gewisse Spannung, und der Roman sollte nicht zu kurz sein, da für die Buchform schon eine größere Seitenzahl erwünscht war.

   Natürlich darf auch nicht übersehen werden, dass sich die Reiter durch die Demonstration ihres und ihrer Pferde Können bei der anderen Partei Respekt verschaffen. Außerdem rücken sowohl Old Shatterhand als auch Apanatschka - der im ›Identifizierungs-Rätsel‹ des Handlungsverlaufs eine Schlüsselstellung einnimmt, ohne es zu ahnen - vermehrt in den Blickpunkt des Leser-Interesses.

   In diesem Zusammenhang kann die Glanzleistung eines Reiter-Pferde-Paares in Mays Werk nicht unerwähnt bleiben: gemeint ist jener wagemutige Sprung des Hengstes Rih unter seinem Reiter Kara Ben Nemsi über die breite Spalte, die dem Schut zum (tödlichen) Verhängnis wird:


Ein langer, langer und breiter dunkler Streifen zog sich quer über unsere Richtung, nicht mehr als dreißig Meter von uns entfernt - ein Spalt, ein entsetzlicher, breiter Spalt, dessen jenseitige Kante wohl zwei Ellen höher war als die diesseitige! ...

   Ich ließ die Arme mit dem Lasso sinken, nahm den Kopf des Rappen hoch, legte ihm die linke Hand abermals zwischen die Ohren und schrie, nein, ich brüllte:

   »Rih, Rihti, Rithi et taijib, natt, natt, natt - Rih, mein Rih, mein guter Rih, springen, springen, springen!«76


Auf diese Art angerufen (die sehr an das ›Geheimnis‹ erinnert), weiß der Hengst, was zu tun ist; er ›antwortet‹ mit einem tiefen, grunzenden Ton, der als Ausdruck der Begeisterung interpretiert wird, knirschte in den Stahl des Gebisses,77 nimmt Anlauf und springt, derweil der Reiter oben auf seinem Rücken sehr merkwürdige Bewegungen ausführt, die unterstützend wirken sollen, aber allen Gesetzen der Physik völlig widersprechen:


Straff die Zügel, legte ich mich weit nach vorn nieder. ...

Das brave, unvergleichliche Tier setzte an und schoß hoch empor. Einen halben Augenblick lang befand ich mich über der grauenhaften Tiefe. Ich ließ die Zügel schießen und warf mich nach hinten, so gefährlich und unsinnig dies auch erscheinen mag [allerdings!]. Ich mußte das thun, um das Vorderteil des Pferdes zu entlasten und nicht abgeworfen zu werden. Hätte ich mich nicht nach hinten geworfen, so


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wäre ich verloren gewesen; denn trotz der Unvergleichlichkeit des Rappen und trotz der Kraft, mit welcher er sich über den Abgrund schnellte, gelang der Sprung nicht vollständig. Rih faßte nur mit den Vorderhufen das Gestein.78


Unvergleichlicher Rappe hin oder her: allein schafft er diesen Sprung nicht, die Unterstützung seines (heldenhaften) Reiters muss zu Hilfe kommen. Hier wird die Unkenntnis des Autors überdeutlich: Im Sprung, über dem Abgrund will Kara Ben Nemsi die Zügel loslassen und sich nach hinten werfen, damit also dem Pferd mit seinem Gewicht (helfend!) ›in den Rücken fallen‹. Die Situation zeigt sich also wie folgt:

   Rih rennt in vollem Lauf auf die Spalte zu, bekommt den (verbalen) Hinweis auf Springen, springt auf Zuruf hoch und drückt ab, schafft es jedoch nicht ganz, aber klammert sich mit den Vorderhufen (wie ein Affe) am Gestein der gegenüberliegenden Kante fest. Sein Reiter ›hilft‹ weiter:


»'ali, 'ali!« schrie ich abermals und warf mich nach vorn, dem Pferd den Lasso, welchen ich noch in der einen Hand hielt, nach hinten unter den Bauch und zwischen die Beine schlagend. Dadurch wurde die Hinterhand entlastet [!].79


Nicht genug damit, dass Rih wie ein Klammeraffe mit den Vorderbeinen am Felsen hängt, jetzt wirft sich sein Reiter wieder nach vorne, während er ihn gleichzeitig (!) mit dem geflochtenen Riemen zwischen die Hinterbeine schlägt, um die Hinterhand zu entlasten! Wenn die Darstellung dieses Geschehens nicht so lächerlich wäre, könnte der Gedanke an den Tierschutzverein aufkommen!

   Die Reaktion des Hengstes auf den Schlag lässt nicht lange auf sich warten:


Rih hatte noch nie einen Schlag von mir erhalten. Als er den Lassohieb an dem empfindlichsten Teil seines Körpers fühlte, warf er die Hinterhufe hoch an den Bauch herauf, krümmte sich zusammen, daß der Sattelgurt zerplatzte und - - faßte nun auch hinten Fuß. Ein gewaltiger Sprung - ich stürzte mit dem Sattel herab, und das Pferd schoß noch eine Strecke vorwärts, um dann stehen zu bleiben.80


Geschafft! Trotz kleiner Verluste (Sattelgurt) sind Heldenross und -reiter auf der anderen Seite angekommen. Glücklicherweise hatte auch der Sattel sich noch kurze Zeit der Erdanziehungskraft widersetzen können - nicht auszudenken, wenn er in dem Moment, als der Gurt riss, wie ein normaler Reitsattel reagiert hätte und in die Schlucht gestürzt wäre! Der ganze Vorgang - einschließlich aller ›Aktivitäten‹ der beiden wie Abspringen, Vor- und Zurückwerfen, Ausholen und Zuschlagen, Krümmen und Springen - hatte nur eine, nur zwei Sekunden gedauert. Da setzt schon der Schut zum Sprung an; dessen englischer Vollblüter erreichte die diesseitige Kante nicht einmal,81 Ross und Schurke stürzen in die Tiefe.


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   Die Überlegenheit und der daraus resultierende Sieg des Guten über den Bösen ließen sich zwar sicherlich realistischer darstellen, aber keinesfalls ergreifender.

   Das Herz des Lesers ›rast‹ nach diesem Sprung, die Erleichterung über das Gelingen der reiterlichen Meisterleistung Kara Ben Nemsis löst die Spannung.

   Die symbolträchtige Fähigkeit Rihs, als einziges Pferd mit seinem Reiter den tödlichen Abgrund zu überwinden, liegt klar auf der Hand. Es war, als ob er sehr genau wisse, daß  w i r  e i n a n d e r  d a s  L e b e n  g e r e t t e t  h a t t e n .82

   Bisher wurden ausschließlich die reiterlichen Leistungen des Ich-Erzählers betrachtet, es soll jedoch noch kurz die Gelegenheit ergriffen werden, den Blick schweifen zu lassen, um ähnliche Reit-Kunststücke weiterer Personen im Werk Mays zu betrachten.

   An anderer Stelle ist es Winnetou, der durch seine Reitkunst auf sich und sein Pferd aufmerksam macht. Er ist jedoch nicht nur ein ›Spring-Reiter‹ wie Kara Ben Nemsi, sondern führt (vollendet) auch ›Dressur-Lektionen‹ vor. Dabei spielt das Reiten als solches hier nur deshalb eine so große Rolle, weil es in ungewöhnlicher Umgebung - im Inneren eines Hauses - stattfindet:


Die Anwesenden ... staunten ... aber, als sie das Stampfen der Hufe vom Flur her hörten und dann Winnetou zu Pferde vor der Thür erschien! ...

   Dieser herrliche Mann befand sich jetzt, hoch zu Pferde, hier im Zimmer ...

   Zu Pferde in das Gastzimmer eines Hotels zu kommen, konnte nur der Gedanke eines Winnetou sein, der so ein Reiter war, daß er nichts beschädigt hätte, selbst wenn die Tische und Stühle von Glas gewesen wären.83


Es ist jedoch nicht die ungewohnte Umgebung des Ross-Reiter-Paares allein, die den bleibenden Eindruck bei den Gästen hervorruft, die Beschreibung Winnetous (über vier Seiten) in den höchsten Tönen unterstreicht die Bedeutung der Szene für den Leser, visualisiert den Apatschen geradezu. Innen in der Gaststube reitet Winnetou seinen Hengst in bereits verwegener Manier:


Dieser Ausruf Tschah war für seinen Rappen der Befehl, hochzuspringen. Er nahm ihn mit den Zügeln vorn empor, stemmte die Fersen fest ein [!] und setzte mit dem Pferde über den Tisch hinüber, daß alles vor Schreck laut aufschrie, obgleich der kühne Sprung so wunderbar gelang, daß der Tisch von keinem Haar, nicht einmal dem Schweifhaare des Hengstes gestreift worden war. ... Winnetou zog sein Pferd wieder in die Höhe und ließ es auf den Hinterhufen dem Flüchtling folgen, bis es so nahe vor demselben stand, daß er es hätte mit der Hand berühren können....

   Er ließ das Pferd zwischen den Tischen hintänzeln, was bei der Lebhaftigkeit und dem feurigen Temperamente des Tieres gefährlich aussah, obwohl es dabei dem Drucke jedes seiner Muskeln gehorchte.84


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Diese beeindruckende Darstellung von klassischer Dressur-Reiterei erfüllt ähnliche Funktionen wie der vorher geschilderte Sprung Old Shatterhands: Die Achtung vor Winnetous Person und Persönlichkeit wird gesteigert, sowohl innerhalb der Handlung wie auch beim Leser. Gleichzeitig beweist Winnetou durch sein bloßes Erscheinen, aber auch durch sein furchtloses Auftreten und seinen Einsatz die Identität seines Blutsbruders Old Shatterhand. Dieser war (wieder einmal) inkognito - als Mr. Meier - gereist und (diesmal) infolge seiner unscheinbaren Gestalt, der unauffälligen Kleidung und der Dummheit der anderen des Diebstahls verdächtigt worden. Winnetous Respekt gebietendes Auftreten macht dieser Verdächtigung ein rasches Ende. Sein ›Auftritt‹ bewirkt jedoch noch etwas: Die Personen in der Gaststube werden durch das feurige Pferd eingeschüchtert, viele von ihnen rennen hinaus - nur der Leser erfährt, dass die Szene aufgrund der Klasse des Pferdes und des Reiters eigentlich harmlos ist. Es entsteht also so etwas wie eine geheime Mitwisserschaft zwischen Erzähler und Leser. Das Pferde- (und Reiter-)Motiv hat an dieser Stelle nicht nur Auswirkungen auf den Text und die Handlung, sondern wirkt besonders im Hinblick auf die Vertiefung der Beziehungen zwischen Autor und Leser. Die Pferde im Werk Karl Mays brauchen demnach also nicht realistisch zu sein, ganz im Gegenteil: Sie erfüllen ihre Funktion weit besser dadurch, dass sie Phantasiegestalten sind - ins Leben gerufen von einem Autor, dessen Phantasie kaum getrübt wurde durch seine überaus geringen hippologischen Fachkenntnisse. Der Wirkung auf den - in den meisten Fällen sicherlich ebenso hippologisch ungebildeten - Leser tut das keinen Abbruch, ganz im Gegenteil: Durch die Darstellung der normalen Reittieren meilenweit überlegenen edlen Hengste gewinnen sowohl deren (meilenweit überlegene) Reiter als auch deren Abenteuer und Heldentaten an Glaubwürdigkeit.


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Der vorstehende Aufsatz ist eine gekürzte und überarbeitete Fassung meiner 1995 entstandenen Magisterarbeit im Fach Germanistik an der Universität Bielefeld.



1Karl May: Aus der Mappe eines Vielgereisten. Nr. 2. Old Firehand. In: Deutsches Familienblatt. 1. Jg. (1875/76), S. 107; Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 1975
2Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. XV: Old Surehand II. Freiburg 1895, S. 51; Reprint Bamberg 1983
3Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg o. J. (1910); Reprint Hildesheim/New York 1975. Hrsg. von Hainer Plaul
4Vgl. z. B. Karl May: Ein Schundverlag. Ein Schundverlag und seine Helfershelfer. Prozeß-Schriften Bd. 2. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1982.
5Zu den aufschlussreichen Dokumenten um die Person Mays, beide jedoch erst aus der Zeit, als der Autor schon recht betagt war, zählen die Begegnungen zwischen May und dem Maler George Grosz bzw. May und Egon Erwin Kisch, dem ›rasen-


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den Reporter‹: Sie haben ihn beide in der Villa Shatterhand besucht und sein Auftreten und seine Aussagen beschrieben: George Grosz: Ein kleines Ja und ein großes Nein. Sein Leben von ihm selbst erzählt. Reinbek 1955; Egon Erwin Kisch: Im Wigwam Old Shatterhands. In: Hetzjagd durch die Zeit. Berlin 1926.
6Vgl. Reinhard Tschapke/Klaus Rettner: Bibliographie zur Forschungsliteratur. In: Karl-May-Handbuch. Hrsg. von Gert Ueding in Zusammenarbeit mit Klaus Rettner. Würzburg 22001, S. 568-590.
7Ich spreche und schreibe: Französisch, englisch, italienisch, ... (aus einem Brief vom 2. 11. 1894; abgedruckt in der ›Frankfurter Zeitung‹ vom 1. 4. 1937 - vgl. Jürgen Seul: Karl May im Urteil der ›Frankfurter Zeitung‹. Materialien zum Werk Karl Mays Bd. 3. Husum 2001, S. 231-233; als Faksimile ist der Artikel abgedruckt in: Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft 71/1987, S. 24-26.)
8Hans Wollschläger: Karl May in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek 1965; ders.: Karl May. Grundriß eines gebrochenen Lebens. Zürich 1976; ders.: Karl May. Grundriß eines gebrochenen Lebens. Interpretation zu Persönlichkeit und Werk. Kritik. Hrsg. von Klaus Hoffmann. Dresden 1989; Martin Lowsky: Karl May. Stuttgart 1987; Gerhard Klußmeier/Hainer Plaul: Karl May. Biographie in Dokumenten und Bildern. Hildesheim u. a. 1992; Hermann Wohlgschaft: Große Karl May Biographie. Paderborn 1994; Claus Roxin: Mays Leben. In: Karl-May-Handbuch, wie Anm. 6, S. 67-111
9Roxin, wie Anm. 8, S. 82
10Ebd.
11Ebd., S. 82f.
12Vgl. Brief Mays an seine Eltern vom 20. 4. 1869; abgedruckt bei: Klaus Hoffmann: Karl May als »Räuberhauptmann« oder Die Verfolgung rund um die sächsische Erde. Karl Mays Straftaten und sein Aufenthalt 1868 bis 1870, 1. Teil. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 1972/73. Hamburg 1972, S. 215-247 (221f.). Zur Möglichkeit der Fiktionalisierung der angeblichen Reise siehe Rudi Schweikert: Artistisches Erzählen bei Karl May: »Felsenburg« einst und jetzt. Der erste Teil der ›Satan und Ischariot‹-Trilogie vor dem Hintergrund des ersten Teils der ›Wunderlichen Fata‹ von Johann Gottfried Schnabel - und ein Seitenblick auf Ernst Willkomms ›Die Europamüden‹. In: Jb-KMG 1992. Husum 1992, S. 238-276 (262-264).
13Roxin, wie Anm. 8, S. 82
14Brief, wie Anm. 12, S. 222
15Maximilian Jacta: Zu Tode gehetzt - Der Fall Karl May. Bamberg o. J., S. 15 (Erstdruck in: Maximilian Jacta: Berühmte Strafprozesse Deutschland III. München 1972)
16Vgl. hierzu auch: Anne Pili: Das Pferd in den Romanen Karl Mays. Eine historische und soziologische Untersuchung. Diss. Leuven 1985, bes. S. 141 (die Textgrundlage dieser Arbeit bilden allerdings bearbeitete May-Ausgaben).
17Vgl. Jasper Nissen: Pferde, Reiter, Fahrer, Züchter. Namen und Daten von A-Z. München 1979. Zur Gründung und Entwicklung des sächsischen Landgestüts Moritzburg vgl. auch Vorwort im (jährlich neu erscheinenden) Katalog der Hengstparade. Moritzburg 1994.
18Vgl. hierzu die Zahlen in den Stutbüchern des Landgestüts Moritzburg, die im Archiv des Gestüts eingesehen werden können. Demnach stiegen die Bedeckungszahlen nach Einführung jener Oldenburger Hengste gegen Ende des 19. Jahrhunderts stark an. Die Qualität der Zucht wurde durch diese Einkreuzung positiv beeinflusst, was die Nachfrage nach sächsischen Pferden enorm steigerte. Außerdem beruhte die Landespferdezucht in Sachsen - wie auch anderenorts - hauptsächlich auf der Nachzucht von privaten Stutenbesitzern. Die eigenen Stutenherden des Landesgestüts wurden auch für Veredelungsversuche genutzt, außerdem war die Anzahl dieser Stuten - im Vergleich zu den im Privatbesitz befindlichen Tieren - nicht allzu bedeutend. Ähnlich, aber wesentlich bedeutender für die Landes-Pfer


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dezucht verhielt es sich mit dem (in preußischer Zeit gegründeten) Haupt- und Landgestüt Trakehnen in Ostpreußen, wo neben den (Veredler-)Hengsten auch riesige eigene Stutenherden gehalten wurden, die zur Unterscheidung auch nicht das Brandzeichen der Ostpreußischen Pferde bekamen (Elchschaufel hi.re.), sondern den Trakehner-Brand (Doppelte Elchschaufel hi.li.).
19Durch die verbesserte Infrastruktur (Autobahn) ist Moritzburg heute direkt von Dresden aus anzufahren, jedoch führt auch heute noch die kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert eingerichtete (und inzwischen restaurierte und für touristische Vergnügungsfahrten genutzte) ›historische Schmalspurbahn‹ durch den Ort Radebeul (ca. 300 m Luftlinie von der Villa Shatterhand entfernt!) nach Moritzburg.
20Vgl. verschiedene Fotos der Ehepaare May und Plöhn bei den Pyramiden von Gizeh in: Klußmeier/Plaul, wie Anm. 8, S. 168f.
21Abgesehen vielleicht von Black Beauty, Fury, Mr. Ed, doch die sind keine ›normalen‹ Pferde.
22Karl May: Der Scout. In: Deutscher Hausschatz. XV. Jg. (1888/89), S. 488; Reprint in: Karl May: Der Scout/Deadly Dust/Ave Maria. Hrsg. von der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 1997; es ist nicht klar, ob May hierbei die Ober- oder Unterschenkel anspricht - ein weiteres Indiz für die mangelnde Selbsterfahrung Mays.
23Ebd., S. 490
24Ebd.
25Ebd., S. 507
26Damals wie heute gilt die - in Reiterkreisen wohlbekannte und oft als ›Verzierung‹ der Reitbahn beschriebene - Erfahrung: »Wer selten reitet, dem tut der A... weh!«
27Carl Gustav Wrangel: Das Buch vom Pferde. 2 Bde. Stuttgart 31895 (Erstausgabe 1888). Dieses Buch (es gibt zahlreiche Auflagen und Nachdrucke, z. B. Hildesheim 1994) gilt noch heute als Standardwerk über die Haltung, Pflege und Ausbildung der Pferde. Natürlich ist es inzwischen in einigen Bereichen veraltet und überholt (man muss z. B. keine charakterlich verdorbenen Pferde mehr ›niederwerfen‹, um sie gefügig zu machen, wie Wrangel es detailliert beschreibt). Viele der früher verbreiteten Untugenden sind durch konsequente Zucht und Auslese ausgemerzt (sog. ›Verbrecher‹ gibt es heute fast nicht mehr, und Hengste bzw. Stuten, die nachweislich Gebäude- und/oder Temperaments-Fehler vererben, werden abgekört bzw. nicht weiter in der Zucht eingesetzt). Insbesondere die Kapitel über Haltung und Pflege der Tiere sind jedoch erstaunlicherweise in vielem noch heute, mehr als ein Jahrhundert nach Erscheinen, vollauf gültig.
28E. L. Anderson: Die mittlere Reitschule. Ein Reit- und Dressur-System für Gebrauchszwecke. Dresden 21889
29Richard Schoenbeck: Reit-ABC. Berlin 1893
30Hierzu zählen vor allem die im Folgenden aufgelisteten Werke, die wohl alle ursprünglich zur Verbesserung der Kavallerie- und Campagne-Reiterei verfasst wurden, die teilweise jedoch auch einschneidende Veränderungen im Reitstil (vor allem im Springsitz) zur Folge hatten: François Baucher: Methode der Reitkunst. Stockerau 1884 (Originaltitel: Méthode d'Équitation. Paris 71846); dieses Werk hatte eine Reihe von Aufsätzen, vergleichenden Darstellungen etc. zur Folge; James Fillis: Grundsätze der Dressur und Ueber die Reitkunst. Berlin 1894; C. Gräfe: Die Haltung und der Sitz des Reiters. Weimar 1861; Adolf Kästner: Die Reitkunst in ihrer Anwendung auf Campagne-, Militär- und Schulreiterei. Leipzig 1876; Louis-Charles Mercier Du Paty de Clam: Theorie und Praktik der höheren Reitkunst. Berlin 1826; Reprint Hildesheim 1987 (übersetzt von Ernst Friedrich Carl Christian Klatte; Originaltitel: La science et l'art d'équitation, démontrés d'après la nature. Iverdone 1777) - Du Paty de Clam hatte auch eine Übersetzung der ›Reitkunst‹ des Xenophon erstellt und veröffentlicht; François Robichon de la Guérinière: Die Reitkunst. Marburg 1791; Reprint Hildesheim 1994 (übersetzt von J. D. Knöll; Originaltitel: École


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de cavalerie. Paris 1783); Friedrich von Krane: Anleitung zur Ausbildung der Cavallerie-Remonten. Berlin 1870; Otto Digeon von Monteton: Über Reitinstruktionen, die Gehlust und das Springen der Pferde. Stuttgart 1898; ders.: Über städtische Pferde. Stuttgart 1899; ders.: Die Beschaffung der Remonten und ihre Ausbildung. Stuttgart 1899. In Deutschland wirkten geradezu bahnbrechend vor allem die Arbeiten von Gustav Steinbrecht und seines Schülers Paul Plinzner. Gustav Steinbrecht: Das Gymnasium des Pferdes. Potsdam 1886; Paul Plinzner: System der Pferde-Gymnastik. Berlin 1900; ders.: System der Reiter-Ausbildung. Berlin 1900. Diese Werke gelten noch heute als Grundsatzwerke für die dressurmäßige Grundausbildung des jungen Pferdes (mit den Forderungen nach Schwung, Takt, Losgelassenheit, Anlehnung und Durchlässigkeit) bis hin zur Erlernung und Beherrschung von allen Lektionen für schwere Dressur-Prüfungen. Eine klare, übersichtliche Darstellung der Ähnlichkeiten und Unterschiede der verschiedenen Reitlehren findet sich bei Bertold Schirg: Die Reitkunst im Spiegel ihrer Meister. Hildesheim u. a. 1987.
31Vgl. Franz Kandolf/Adalbert Stütz/Max Baumann: Karl Mays Bücherei. In: Karl-May-Jahrbuch 1931. Radebeul bei Dresden o. J., S. 212-291; Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Supplemente Bd. 2: Katalog der Bibliothek. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Bargfeld 1995. An dieser Stelle besonders hervorzuheben ist die immense Sachkenntnis und große Hilfsbereitschaft von Hans Grunert, dem Kustos des Karl-May-Museums Radebeul. Aufgrund seiner intensiven Beschäftigung mit den Bibliotheks-Büchern hat er einen genauen Überblick über das vorhandene Material und die Standorte der einzelnen Werke. Ohne seine mehrmalige freundliche Hilfe und Unterstützung wäre die Bearbeitung dieses Kapitels sehr erschwert, wenn nicht gar unmöglich gewesen.
32Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. VI: Der Schut. Freiburg 1892, S. 464; Reprint Bamberg 1982 (Hervorhebung d. Verf.)
33Brockhaus Conversations-Lexikon. 13., vollst. umgearb. Auflage in 16 Bänden. Leipzig 1885. Bd.12, Stichwort ›Pferd‹, S. 889f. (Hervorhebung d. Verf.)
34Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXVI: Im Reiche des silbernen Löwen I. Freiburg 1898, S. 360; Reprint Bamberg 1984
35Ebd., S. 361 (Hervorhebung d. Verf.)
36Wrangel, wie Anm. 27, S. 288 (Wrangel zitiert hier aus den ›Mitteilungen des Herrn Ritter von Vincenti‹) (Hervorhebung d. Verf.)
37May: Im Reiche des silbernen Löwen I, wie Anm. 34, S. 361
38Ebd., S. 361f.
39Ebd., S. 361
40Ebd., S. 362
41Ebd.
42Wrangel, wie Anm. 27, S. 290
43Ebenso ist die Veranlagung zu manchen Krankheiten (z. B. Ton, Dämpfigkeit, Spat, sogar Sommerräude) und auch zu verschiedenen abnormen Verhaltensweisen (›Untugenden‹) wie Koppen, Weben wahrscheinlich erblich bedingt. Die Fachleute streiten sich darüber, wie viel in diesem Zusammenhang die Vererbung ausmacht und was von den Pferden erlernt oder - durch schlechte Haltungsbedingungen - erworben wird. Über die Bedeutung und Gewichtung des Einflusses von Begabung und Erziehung auf die Entwicklung des Menschen ist man sich ja auch nicht klar.
44Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XX: Satan und Ischariot I. Freiburg 1897, S. 254f.; Reprint Bamberg 1983
45Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. V: Durch das Land der Skipetaren. Freiburg 1892, S. 374; Reprint Bamberg 1982
46May: Der Schut, wie Anm. 32, S. 494
47Ebd., S. 496
48Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. II: Durchs wilde Kurdistan. Freiburg


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1892, S. 486 und 488; Reprint Bamberg 1982
49Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. IV: In den Schluchten des Balkan. Freiburg 1892, S. 203; Reprint Bamberg 1982
50Ebd., S. 205
51Ebd., S. 209
52Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. XIV: Old Surehand I. Freiburg 1894, S. 281; Reprint Bamberg 1983
53Ebd.
54Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. III: Von Bagdad nach Stambul. Freiburg 1892, S. 78; Reprint Bamberg 1982
55Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXIV: »Weihnacht!«. Freiburg 1897, S. 381f.; Reprint Bamberg 1984
56Ebd., S. 382
57May: Der Schut, wie Anm. 32, S. 494
58Gerhard Linkemeyer: Im Schatten des Schut. Materialien zur Karl-May-Forschung Bd. 14. Ubstadt 1992, S. 5 - siehe schon A. Droop: Karl May. Eine Analyse seiner Reise-Erzählungen. Cöln-Weiden 1909, S. 87; Reprint Bamberg 1993 (Die »Abschnitte seiner [Mays] inneren Entwickelung erscheinen versinnbildlicht in den drei Pferden Rih, Assil ben Rih und Syrr«.)
59Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXIX: Im Reiche des silbernen Löwen IV. Freiburg 1903, S. 208; Reprint Bamberg 1984
60Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. VII: Winnetou der Rote Gentleman I. Freiburg 1893, S. 22f.; Reprint Bamberg 1982 (Hervorhebung d. Verf.)
61Ebd., S. 23
62Ebd., S. 26
63Ebd., S. 88f.
64Diese ›Rippenbiegung‹ erfordert einen hohen Grad an Durchlässigkeit des Pferdes, sie ist vor allem in höheren Dressur-Lektionen und auf gebogenen Linien (Volten, Pirouetten) erforderlich, wie auch bei Seitengängen (Renvers, Travers). Vgl. hierzu Steinbrecht, wie Anm. 30, S. 43ff.
65May: Winnetou I, wie Anm. 60, S. 89
66May: Old Surehand I, wie Anm. 52, S. 276f.
67Ebd., S. 288
68Ebd., S. 290
69Ebd., S. 295
70Ebd., S. 292
71May: Von Bagdad nach Stambul, wie Anm. 54, S. 78
72Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XIX: Old Surehand III. Freiburg 1896, S. 253f.; Reprint Bamberg 1983
73Zu den Auflagenzahlen der Bücher siehe Roland Schmid: Anhang (zu ›Satan und Ischariot II‹). In: Karl May: Freiburger Erstausgaben Bd. XXI. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1983, A 1-A 83; siehe auch Roxin, wie Anm. 8, S. 92-99.
74Vgl. May: Old Surehand III, wie Anm. 72, S. 114f.
75Ebd., S. 258f.
76May: Der Schut, wie Anm. 32, S. 499
77Ebd., S. 499f.
78Ebd., S. 500
79Ebd.
80Ebd., S. 500f.
81Ebd., S. 501
82Ebd. (Hervorhebung d. Verf.)
83May: »Weihnacht!«, wie Anm. 55, S. 275-282
84Ebd., S. 280f.





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