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Peter Krauskopf


Medienbericht





Am 6. Februar 2004 konnte Pierre Brice seinen 75. Geburtstag feiern, und die Medienpräsenz, die dem Winnetou-Darsteller anlässlich dieses Ehrentages eingeräumt wurde, bezeugt einmal mehr, wie sehr der Mythos dieser Rolle auch über Karl May hinaus lebt. In der TOP-50-Show ›Unsere Besten - Das große Lesen‹ des ZDF gelangte Mays Winnetou-Erzählung nicht unter die ersten 50, sondern ›nur‹ (oder ›immerhin‹) auf Platz 79,1 Brice' Memoiren ›Winnetou und ich‹,2 die der Schauspieler passend in seinem Geburtstagsjahr herausbrachte, bescherten ihm hingegen nicht nur einen Vorabdruck in der BILD-Zeitung und eine umfangreiche Autogrammtour durch die Buchhandlungen Deutschlands, sondern auch zahlreiche Auftritte in Talk-Shows und Kulturmagazinen. Eine komödiantische Szene aus der TV-Serie ›Ein Schloß am Wörthersee‹, in der Brice Anfang der 90er Jahre mitspielte, bekommt in diesem Zusammenhang eine geradezu symbolische Bedeutung. Brice spielt da einen charmanten französischen Millionär mit Abenteurer-Appeal und muss einen Gauner, der von Günther Kaufmann dargestellt wird, mit einem oldshatterhandesken Kinnhaken überwältigen. Wenn man bedenkt, dass Günther Kaufmann, der als ›Weißer Neger vom Hasenbergl‹3 tragische Berühmtheit erlangte, als er für einen Freund eine Mordtat auf sich nahm und 33 Monate unschuldig im Gefängnis saß, in fast allen Filmen von Rainer Werner Fassbinder mitspielte, so wirkt dieser Kinnhaken wie ein finaler rosenroter (oder besser veilchenblauer) Sieg von ›Opas Kino‹ über den ›Neuen deutschen Film‹. Denn anders als der ›Winnetou éternel‹ hat diese äußerst produktive Ära des deutschen Nachkriegsfilms nur noch eine marginale Bedeutung in der medialen Erinnerung des breiten Publikums - Fassbinder-Filme sieht man kaum noch im deutschen Fernsehen, die Winnetou-Filme werden hingegen in jedem Jahr wiederholt.4

Neben dem MDR-Medienpreis ›Brisant Brillant‹5 für sein Lebenswerk und einem halbstündigen Porträt der ARD6 leistete sich der TV-Sender ›Kabel 1‹ mit der Dokumentation ›Auf den Spuren Winnetous‹7 die aufwändigste Pierre-Brice-Huldigung des Berichtszeitraums. Zusammen mit dem Schauspieler suchte Autor Axel Klawuhn die Drehorte der Winnetou-Filme im ehemaligen Jugoslawien auf, und Sam-Hawkens-Darsteller Ralf Wolter und Regie-Assistentin Eva Ebner rundeten mit ihren Anekdoten das ›making-of‹ der Filme ab. Noch immer überzeugten die eindrucksvollen Landschaften am Mali Altan (der Nugget-tsil der Filme), an den Plitvicer Seen (der Silbersee) und am Zrmanja Plateau (der Platz vor Winnetous Pueblo), und noch immer strahlte Pierre Brice, obwohl gealtert und im be-



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quemen Reise-Zivil, an diesen Orten eine magische Aura aus. Wirklich neu waren die Bemerkungen von Götz George, der sich bislang nur ungern und skeptisch über die Winnetou-Phase seiner Karriere äußerte. Humorvoll schilderte er, wie ihn Filmproduzent Horst Wendlandt seinerzeit zur Übernahme der Rolle des Fred Engel im ›Schatz im Silbersee‹ bewogen hatte. Wendlandt reiste ihm bis Hannover nach, wo der Sohn des großen Heinrich unter der Regie von Heinz Hilpert Theater spielte, und erklärte ihm, Fred Engel sei eigentlich die Hauptrolle in dem Film und Winnetou und Old Shatterhand würden nur am Rande mitspielen. Doch als George dann Pierre Brice gesehen habe, sei ihm sofort klar geworden, »hier haste schlechte Karten«. Und in der Tat sollte es noch zwanzig Jahre dauern, bis er mit dem Tatort-Kommissar Schimanski eine an Popularität und Wirkungsmächtigkeit ähnliche Rolle wie Winnetou bekam. Noch zweimal spielte George dann in einem Winnetou-Film mit, als Sohn des Bärenjägers Martin Baumann in ›Unter Geiern‹ und als Liebhaber von Uschi Glas in ›Winnetou und das Halbblut Apanatschi‹.

Dass selbst das Leben eines Winnetou endlich ist, wusste nicht nur Karl May, der seinen indianischen Helden schon recht früh sterben ließ. Auch das wirkliche Leben vermag ihn in die ewigen Jagdgründe abzuberufen. Am 27. April 2004 starb mit Heinz Ingo Hilgers einer der profiliertesten Winnetou-Darsteller. Der am 26. August 1926 in Duisburg geborene Gründgens-Schüler spielte von 1961 bis 1970 siebenmal den Apatschen-Häuptling auf der Bad Segeberger Freilichtbühne, meist an der Seite von Harry Walther als Old Shatterhand. Dank der damals überaus erfolgreichen Fernsehübertragungen war Hilgers durchaus ein Rivale für Pierre Brice. Das wusste auch Filmproduzent Horst Wendlandt, der 1962, im Startjahr von ›Der Schatz im Silbersee‹, mit Bad Segeberg übereinkam, dass in der Produktion von ›Unter Geiern‹ Winnetou nicht auftreten durfte; Hilgers musste den Wohkadeh spielen. Seine Winnetou-Darstellung war im Gegensatz zur weichen zeitlos-modernen Schönheit von Brice rauer, dunkler, männlicher. »Ich habe die Rolle des Winnetou immer aufgefasst wie einen mittelalterlichen Kaiser. (...) Ich habe mich bemüht, Majestät zu zeigen. Vielleicht war das ein kleines bisschen das Geheimnis meines Erfolges«, sagte Hilgers einmal.8

Die Karl-May-Film-Freunde trauern ebenfalls um Antje Weisgerber, die am 29. September 2004 im Alter 82 Jahren starb. Neben Marianne Hoppe, der Mrs. Butler in ›Der Schatz im Silbersee‹, war Antje Weisgerber die zweite Gründgens-Heroine, die die Winnetou-Filme mit ihrer Anwesenheit zu klassischem deutschen Kulturgut adelte. Antje Weisgerber spielte in ›Der Ölprinz‹ die Frau Ebersbach, doch hatte ihre Rolle nicht viel mit der deftigen Weibsbild-Karikatur, die Karl May unter diesem Namen in seiner Jugenderzählung liefert, zu tun. Antje Weisgerbers Rolle war die einer charmanten attraktiven Witwe in den besten Jahren und wirkte in vielerlei Hinsicht wie eine Vorwegnahme jener Rolle, mit der sie sich in den letzten Jah-



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ren dem Fernsehpublikum ins Herz spielte: die Mutter des ›Landarztes‹ Christian Quadflieg in der gleichnamigen ZDF-Vorabendserie.

Auch wenn in den letzten Jahrzehnten keine neuen Winnetou-Filme mehr gedreht wurden (sieht man einmal von dem enttäuschenden ›Winnetous Rückkehr‹ von 1998 ab), die Qualität des ›star-making‹ haben die Karl-May-Stoffe immer noch. Die Freilichtbühnen sind es heute, die jungen Schauspielern (wie 2003 etwa Wayne Carpendale in ›Old Surehand‹) oder alten Fernseh-Größen ungeahnte Chancen bieten. Wegweisend in dieser Hinsicht war die Freilichtbühne im sauerländischen Elspe, die im Jahr 2004 ihr 40-jähriges Karl-May-Jubiläum feierte.9 Jochen Bludau, langjähriger Old-Shatterhand-Darsteller und Chef des Elspe-Festivals, emanzipierte seine Bühne aus dem übermächtigen Schatten des schleswig-holsteinischen Bad Segeberg, als er 1976 Pierre Brice die Gelegenheit zu einem grandiosen Comeback als Winnetou bot. Spätestens seitdem ist es für gestandene Schauspieler Ehrensache und Vergnügen, Karl May unter freiem Himmel zu spielen.

In der Saison 2004 war es der Schauspieler Patrick Bach, der die Chance nutzte, sich in Bad Segeberg in die Herzen der jugendlichen Zuschauer zu spielen und Erinnerungen an glückliche Fernsehstunden in einer jungen Elterngeneration wach zu rufen. In den 80er Jahren war Bach als Kinderstar der ›König der Weihnachtsserien‹ und spielte u. a. in ›Silas‹ (1981) und ›Jack Holborn‹ (1982); 1993-1997 war er in der Familienserie ›Nicht von schlechten Eltern‹ zu sehen. Mit jungenhaftem Charme stieg der 36-Jährige nun in die Fußstapfen von Götz George und spielte in ›Unter Geiern‹ den Sohn des Bärenjägers. Dabei durfte er der ehemaligen Eislauf-Prinzessin und jetzigen Daily-Soap-Darstellerin Tanja Szewczenko den Kopf verdrehen, eine Liebesgeschichte, die bei Karl May gar nicht vorkommt. Die Inszenierung wurde auch als Aufzeichnung im dritten Programm des NDR gezeigt.10

Auch in Elspe sorgte man mit dem Einkauf eines Stars für frischen Wind. Doch nicht das Lager der Fernsehschauspieler wurde geplündert, sondern eine weitere Open-Air-Bühne, nämlich die Störtebeker Festspiele auf Rügen. Es gelang, den Störtebeker-Darsteller Norbert Braun zu überzeugen, die Bühne im Sauerland zu entern. Ein gelungener Heldenklau: Dort gab der action- und pferdeerprobte Schauspieler neben Haus-Winnetou Benjamin Armbruster in ›Im Tal des Todes‹ einen grimmigen Old Firehand, wobei ihm die Erfahrungen zugute kamen, die er 1990 als Interims-Old Shatterhand in Rathen sammeln konnte.

Neu in der Karl-May-Freiluft-Szene ist die Bühne am Stausee Oberwald in Hohenstein-Ernstthal. Obwohl die Bühne noch nicht ganz fertig gestellt war, wurde dort mit ›Winnetou I‹ Premiere gefeiert. Damit hat Karl Mays Geburtsstadt endlich auch ihr Festival. Herbert Graedtke, noch zu DDR-Zeiten der erste Old-Shatterhand-Darsteller in Rathen, inszenierte das Stück zum Teil mit alten Kollegen aus dem Elbsandsteingebirge. Bei Kostüm und Maske von Winnetou Thomas Schulze orientierte man sich deut-



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lich am Rathener Vorbild; d. h. Winnetou trug seinen ›literarischen‹ helmartigen Schopf.11

Neben den Aufführungen der Freilichtbühnen ist das Hörspiel das Genre, in dem man sich intensiv mit Karl May beschäftigt. 2004 erschien der zweite Teil von ›Satan und Ischariot‹.12 Ein Jahr zuvor hatte Produzent Karl-Heinz Geisendorf mit der Produktion des ersten Teils nach einem Dialogbuch von Meike Andres begonnen. Als Sprecher waren Winnetou-Veteran Konrad Halver, der Segeberger Old Shatterhand Joshy Peters und als Gaststars Chris Howland und Peer Augustinski dabei. Nun scheint sich das Produktionsteam zerstritten zu haben. Produzent Geisendorf schied aus und mit ihm Halver und Peters, und so haben Winnetou und Old Shatterhand im zweiten Teil neue Stimmen. Selbst die Fans überzeugte das neue Hörspiel kaum. Besonders wurde bemängelt, dass die schöne Szene ›Winnetou in Dresden‹ nicht vorkommt. »Potenzial nicht ausgeschöpft«, urteilte das Magazin ›Karl May & Co.‹.13

Anders als ein Hörspiel ist ein Hörbuch keine dramatische Aufarbeitung eines literarischen Stoffes, sondern das betreffende Werk wird einfach vorgelesen. Der GS-Audiobuchverlag brachte 2004 auf 14 CDs bzw. MCs mit einer Gesamtspielzeit von 1023:45 Minuten das Hörbuch ›Winnetou I‹14 heraus. Mit kraftvoller, dynamischer Stimme liest der 63-jährige Staatsschauspieler und TV-Sprecher Jürgen Kirchhoff das Werk, das unter www.soforthoeren.de auch direkt aus dem Internet herunter geladen werden kann. Anders als der für den Karl-May-Verlag von Stefan Wigger gelesene ›Winnetou‹ bietet die Neu-Einlesung den unbearbeiteten Originaltext. Karl May gehöre nun einmal sprachlich ins 19. Jahrhundert, begründete Verlagschef Winfried Huber die Wahl der Fassung. »Vielleicht gab es 20 Eingriffe in den Text«, räumt er ein. »Nämlich dann, wenn der geschriebene Text zu verquast und partout nicht zu sprechen war.«15

Last but not least widmete sich im Berichtszeitraum das Fernsehen auch der Biographie Karl Mays. In der Reihe ›Die Geschichte Mitteldeutschlands‹ zeigte der MDR am 28. November das 45-minütige Porträt ›Karl May - Der Phantast aus Sachsen‹ von Lutz Pehnert (Buch) und Hans-Michael Marten (Regie).16 Die sorgfältige Dokumentation wurde durch zahlreiche Spielszenen illustriert, die an Originalschauplätzen in Hohenstein-Ernstthal und Radebeul, in Waldenburg und im sächsischen Amerika gedreht wurden. Karl May wurde von Tobias Schulz (im Alter von 20 bis 40 Jahren) und Volker Köllner (im Alter) dargestellt. Dafür, dass der liebevoll gemachte Film auch inhaltlich stimmt, sorgte als fachlicher Berater der Karl-May-Biograph und Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirates des Karl-May-Hauses in Hohenstein-Ernstthal Christian Heermann.


1 ›Unsere Besten - Das große Lesen‹. 1. 10. 2004. ZDF
2 Pierre Brice: Winnetou und ich - Mein wahres Leben. Bergisch Gladbach 2004
3 So der Titel seiner Autobiographie
4 So strahlte Kabel 1 am 1. 11. 2004 gleich drei Karl-May-Filme aus: ›Der Ölprinz‹, ›Unter Geiern‹ und ›Der Schatz im Silbersee‹. Die ›Winnetou‹-Trilogie wurde eine Woche darauf gesendet.
5 Pierre Brice bekam den Preis am 4. 9. 2004 verliehen.
6 Broka Herrmann: Höchstpersönlich - Pierre Brice. 15. 10. 2004. ARD
7 Axel Klawuhn: Auf den Spuren Winnetous. 1. 11. 2004. Kabel 1
8 Zitiert nach: Jutta Laroche: Er trat auf wie ein König - In memoriam Heinz Ingo Hilgers. In: Karl May & Co. Nr. 97, S. 20
9 Vgl. Klaus Bröking: 40 Jahre Elspe - Wilder Westen made in Germany. Königswinter 2004.
10 ›Unter Geiern - Der Sohn des Bärenjägers‹. 26. 9. 2004. NDR
11 Die Karl-May-Bühnen in Deutschland und Österreich in der Saison 2004:
Annaberg-Buchholz: ›Unter Geiern - Der Sohn des Bärenjägers‹. 19.-29. 8. 2004
Bad Segeberg: ›Unter Geiern - Der Sohn des Bärenjägers‹. 26. 6.-5. 9. 2004
Bischofswerda: ›Winnetou III‹. 3.-11. 7. 2004
Elspe: ›Im Tal des Todes‹. 26. 6.-12. 9. 2004
Hohenstein-Ernstthal: ›Winnetou‹. 18. 6.-25. 7. 2004
Gföhl (Österreich): ›Winnetou und der Schwarze Mustang‹. 31. 7.-29. 8. 2004
Mörschied: ›Der Schatz im Silbersee‹. 26. 6.-1. 8. 2004
Neuhaus: ›Keryhof‹ (nach ›Der Wurzelsepp‹). 16., 18. und 30. 7. 2004
Waren (Müritz): ›Winnetou‹. 30. 7.-20. 8. 2004
Weitensfeld: ›Winnetou I‹. 17. 7.-4. 9. 2004
Winzendorf (Österreich): ›Winnetou I‹. 23. 7.-29. 8. 2004
12 ›Satan und Ischariot‹. Hörspiel nach Karl May von Meike Anders. Trio-Hörspiele. 2004
13 Joachim Wöbking: Potenzial nicht ausgeschöpft. In: Karl May & Co. Nr. 97, S. 52
14 Karl May: ›Winnetou I‹. Hörbuch. GS-Audiobuchverlag. 2004
15 In einem Telefonat mit dem Autor
16 Lutz Pehnert: Karl May - Der Phantast aus Sachsen. 28. 11. 2004. MDR




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