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KARL GUNTERMANN

Eine Begegnung


Aus der Hinterlassenschaft eines norddeutschen Journalisten und Indianersammlers tauchte neben einem umfangreichen Schriftwechsel mit dem K.M.-Verlag und Patty Frank ein schönes »Mayanum« in Gestalt eines bisher noch unveröffentlicht gebliebenen Gelegenheitsgedichts von K. M. auf, das in mehrfacher Hinsicht interessant ist. Ich konnte es an mich bringen.

Karl May schrieb es auf seiner Orientreise 1900 und schenkte es einem jungen deutschen Globetrotter, mit dem er in Beirut zusammentraf. Die Begegnung hat K. M. selbst in seinen Tagebuchaufzeichnungen »Von Allah zu Apollon«, Reiseeindrücke an den Gestaden der Levante: Ges. Werke Bd. 49 »Lichte Höhen« festgehalten:

Beirut, Sonnabend, den 16. Juni 1900. Hier im Haus sind zwei Radfahrer angekommen, zwei Leipziger. Wollen nach Teheran, Kögel über Stambul, Schwigershausen (richtig: Schwiegershaus) über Damaskus. Kögel ist zweimal durch die Vereinigten Staaten gereist und hat den Weltmeisterschaftspreis. Bescheidener Mensch, aber unvorsichtig und von Sprachen hat er keine Ahnung.

Der kritischen Äußerung K.M.'s könnte man vielleicht entnehmen, daß die beiden keinen guten Eindruck gemacht hätten. Jedoch war dem nicht so. Gustav Koegel besaß nämlich eine gute Empfehlung eines gemeinsamen Freundes: Dr. Pfefferkorn aus Lawrence, Mass. Dr. Pfefferkorn war ein Schulfreund K.M.'s aus frühesten Kindheitstagen, ebenfalls in Hohenstein-Ernstthal geboren. Man möge über ihn im Wollschläger nachlesen.

Thematisch schließt sich K.M.'s Gedicht eng an seine Reiseeindrücke an, die sich dann später zu dem Band »Und Friede auf Erden« verdichteten. Das Gedicht lautet:


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Faksimile des May-Gedichtes


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Geh hin; fahr hin, und sieh die Welt,
Die schöne, herrliche, und lerne.
Schau auf zu dem, der fest sie hält
Am Himmel seiner lichten Sterne.

Sieh dir der Menschheit Völker an,
Ihr Hoffen, Wünschen, Dichten, Trachten,
Und hast du es gesehn, sodann
Sag mir, ob sie es richtig machten.

Du wirst dann meiner Meinung sein
Und ihr auch deine Worte leihen:
»Die Welt ist groß, der Mensch so klein;
Gott hat ihm viel, viel zu verzeihen!«

Berut,
d. 15./6. 00 Karl May

Wenige Tage später schrieb sich auch die Familie Plöhn, die K. M. und seine Frau Emma auf dem letzten Abschnitt dieser Orientreise begleitete, in Koegels Reisebuch ein:

Es war mir eine große Freude, den auch durch seine Fuß- und Radwanderungen um die Erde berühmt gewordenen Herrn Gustav Kögel kennen gelernt zu haben. Möge ihm auf seiner weiteren Reise Fortuna hold sein.

Beirut, den 18. Juni 1900.
Richard Plöhn, Rentner
aus Radebeul b/Dresden.

Die rechte Befriedigung von der Welt wird wohl nur der empfinden, der all ihr Licht und allen ihren Schatten sah.

Beirut, den 18. Juni 1900
Clara Plöhn geb. Beibler
aus Radebeul-Dresden

Von Emma May, der damaligen Gattin K.M.'s, liegt leider keine Eintragung vor.

Das Gedicht K.M.'s datiert fast vom gleichen Tag, an dem auch das Tagebuch - das sonst in Bezug auf seine Datierungen nicht allzu zuverlässig ist - die Begegnung festhält.

Der Eindruck, den die jungen Leute auf K. M. und Clara gemacht hatten, war, wie schon erwähnt, durchaus kein schlechter. Karl May und seine spätere Gattin unterhielten sich noch oft über die beiden Globetrotter. Sie hatten auch Koegels Anschrift festgehalten.


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Der K.M.-Verlag stellte 1936/37 Nachforschungen über K.M.'s Jugendfreund Dr. Pfefferkorn an und beauftragte unseren Journalisten mit Erhebungen. Dr. Pfefferkorn, der durch seine gemeinsame Kindheit mit K. M. - in Gestalt des »Dicken Jemmy« hat ihm K. M. ein Denkmal errichtet - in der Lage gewesen wäre, Licht in K.M.'s Jugendzeit zu bringen, war für Dr. E. A. Schmid interessant genug. Unser Journalist nahm auch Verbindung mit Gustav Koegel auf, von dem er die vorliegenden »Mayana« erhielt. Leider zeitigten die Nachforschungen in Lawrence, Mass., kein Ergebnis. Dr. Pfefferkorn war bereits 1916 verstorben.


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