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FRANZ CORNARO

»Bedenker des Wortes« ·

Das Eintreten des »Brenner« für Karl May



Um die Haltung, die »Der Brenner« im Kampf um Karl May eingenommen hat, als bemerkenswert zu erkennen, muß man von Rang und Eigenart dieser Zeitschrift eine Vorstellung haben. Ein so kritischer Geist wie Karl Kraus schrieb über sie: »Daß die einzige ehrliche Revue Österreichs in Innsbruck erscheint, sollte man, wenn schon nicht in Österreich, so doch in Deutschland wissen, dessen einzige ehrliche Revue gleichfalls in Innsbruck erscheint.« (1) Dies sagt gewiß etwas über ihren Wert und vermittelt wohl auch eine Ahnung von ihrer Eigenart, die vor allem durch ein gewissenhaftes und ehrfürchtiges Verhältnis zum Wort geprägt war.

In seiner »Erinnerung an Ferdinand Ebner« nennt diesen der Herausgeber des »Brenner«, Ludwig von Ficker, einen »Denker und Bedenker des Wortes« (2). Und gewiß trifft diese Bezeichnung in besonderer Weise auf Ferdinand Ebner zu, der den Versuch unternommen hatte, »den eigentlichen Existenzsinn des Menschen ... vom Wort und seiner Beziehung zum Urwort her ... neu zu ergründen« (3). Aber nicht erst seit dieser Denker durch Beiträge zum »Brenner« und vor allem durch sein 1921 vom Brenner-Verlag herausgegebenes Werk »Das Wort und die geistigen Realitäten« seine Gedanken geoffenbart hat, sondern schon von der Gründung der Zeitschrift im Jahre 1910 an hatte diese sich dem Wort und der Sprache tief verpflichtet gefühlt. Noch in der letzten Folge von 1954 wurde des 18 Jahre vorher verstorbenen Karl Kraus als eines »unerbittlichen Zuchtmeisters im Dienste der deutschen Sprache« gedacht, »dessen Beispiel dem "Brenner" immer Vorbild und Ansporn zu eigener Orientierung im Worterlebnis war« (4). »Bedenker des Wortes« waren also, zumindest in einem weiteren Sinne, auch Ludwig von Ficker und so mancher andere Autor des »Brenner«-Kreises.


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Was konnte dieser Zeitschrift, diesem Kreis von Dienern des Wortes, Karl May bedeuten, der in seiner Selbstbiographie bekennt, auf seinen Stil nicht im geringsten zu achten, alles so niederzuschreiben, wie er es in sich klingen höre, nie zu verändern, nie zu feilen? (5) Es läge die Vermutung nahe, daß ein solcher Verfasser im »Brenner« weder Beachtung noch gar Achtung gefunden habe. Aber das Gegenteil trifft zu, da anscheinend an Karl Mays so ganz andersartiger Begabung doch Echtheit und Genialität erkannt wurden.

Schon im Jahre 1910, als die Hetze gegen Karl May am ärgsten wütete, ist der soeben erst gegründete »Brenner« für ihn eingetreten. Damals war in der von Herwarth Walden in Berlin herausgegebenen Wochenschrift »Der Sturm« ein »Offener Brief an Karl May« von dem Essayisten und Schriftsteller Rudolf Kurtz (1884 - 1960) erschienen, ein Brief voll Bewunderung und Dankbarkeit für den umkämpften Dichter. Dieser menschlich überaus sympathische »Offene Brief«, den wir weiter unten vollständig wiedergeben, scheint Ludwig von Ficker so gut gefallen zu haben, daß er Herwarth Walden um Erlaubnis zum Nachdruck im »Brenner« bat. In der Antwort darauf, datiert Berlin-Halensee, 2. 7. 1910, schrieb Herwarth Walden, die ihm vorgelegte Nummer des »Brenner« habe ihm einen so günstigen Eindruck gemacht, daß er den Nachdruck erlaube. Der »Offene Brief an Karl May« erschien dann, selbstverständlich mit Quellenangabe, im vierten Heft des »Brenner« vom 15. Juli 1910.

Offensichtlich ohne diese Publikation zu kennen (6), übermittelte anderthalb Jahre später der junge Robert Müller Ludwig von Ficker seinen Essay »Das Drama Karl Mays« mit folgendem Begleitbrief:

Wien, 19. Jan. 1912.

Euer Wolgeboren,

Es würde mir eine große Ehre sein, in Ihrer edlen Zeitschrift gedruckt zu sein, die, wie ich gesehen habe, Polemiken gegen bürgerliche und literarische Mißzustände bringt. Ich erlaube mir daher, Ihnen den anliegenden May-Artikel zu unterbreiten und bitte, ihn mir gütigst retournieren zu wollen, falls er Ihr Gefallen nicht findet. (Er plädiert f ü r May.)

Mit bestem Danke hochachtungsvoll
Robert Müller                

Dieser Brief zeigt deutlich, daß erst durch ihn Müllers Beziehungen zum »Brenner« eingeleitet wurden. Und schon Anfang April kam, wie


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Otto Basil berichtet (7), durch Robert Müllers Vermittlung eine Begegnung Georg Trakls mit Ludwig von Ficker zustande. Es ist für die tatkräftige Hilfsbereitschaft Robert Müllers bezeichnend, wie bald er nach der Anknüpfung eigener Beziehungen zu Ludwig von Ficker diesem auch Georg Trakl zuführte, den Dichter, der dann mehr als jeder andere »Brenner«-Autor dem Ruhm dieser Zeitschrift Dauer erwirkt hat. »Seltsam verknüpft es sich« sagt Otto Basil im Hinblick auf die Tatsache, daß Georg Trakl, in seiner Jugend ein begeisterter Karl-May-Leser, nun einem der eifrigsten Anhänger dieses Erzählers eine so entscheidende Hilfe verdankte, wie es die Bekanntschaft mit Ludwig von Ficker war, der dem äußerlich und innerlich Bedrängten nicht nur die Blätter des »Brenner« zur Veröffentlichung seiner Gedichte, sondern auch sein Heim als Zuflucht bot. Daß, wie der obige Brief zeigt, Robert Müllers Eintreten für Karl May die Beziehungen zu Ludwig von Ficker herbeigeführt hat, macht uns die Verknüpfung noch merkwürdiger. Am 1. Februar 1912 erschien im »Brenner« Robert Müllers Artikel »Das Drama Karl Mays« (8), am 1. Mai 1912 Trakls Gedicht »Vorstadt im Föhn« als erstes einer langen Reihe.

Hätte der Nachdruck des »Offenen Briefes« sich noch allein durch Mitleid mit dem verfolgten Karl May erklären lassen, so begründet die Veröffentlichung des von Robert Müller verfaßten Artikels wohl die Vermutung, daß Ludwig von Ficker die Reiseerzählungen Karl Mays, wenn auch vielleicht nur als Entspannungslektüre, geschätzt hat. Die Hetze gegen May war ja inzwischen abgeflaut, sein bösartigster Gegner Lebius war am 18. 12. 1911 wegen schwerer Beleidigung verurteilt worden, und überall regten sich wieder die Freunde und Anhänger des Dichters und kamen in vielen Zeitungen und Zeitschriften zu Wort. Aber keiner von ihnen dürfte in der Würdigung der erziehlichen Wirkung Karl Mays so weit gegangen sein wie Robert Müller, der in jenem Beitrag schrieb: »Ein besserer Erzieher aller kommenden Tugenden als Winnetou mag für unsere Knaben kaum gefunden werden.« Man kann sich daher vorstellen, wie empört Robert Müller war, als die Wiener Monatsschrift »Der Strom« in ihrem Mai-Heft 1912, also kurz nach dem Tod Karl Mays, über diesen einen Artikel veröffentlichte, dessen extrem feindselige Einstellung wohl am krassesten in der Behauptung zum Ausdruck kam, daß die Reiseromane Karl Mays »zu den verderblichsten


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Schriften aller Zeiten gehören«. Verfasser dieses Artikels war der damalige Dozent der Literaturgeschichte Stefan Hock, der später als Mitarbeiter Max Reinhardts weiteren Kreisen bekannt geworden ist. Man versteht es, daß Robert Müller mit einer Polemik von kaum zu überbietender Schärfe erwiderte und Ludwig von Ficker sie unter dem Titel »Totenstarre der Fantasie« im »Brenner« vom 15. Mai 1912 erscheinen ließ (9). Der »Strom« selbst brachte im Juni-Heft eine wirkungsvolle Erwiderung des Dichters Berthold Viertel auf den Angriff Stefan Hocks. Beide Arbeiten sind in diesem Jahrbuch noch einmal veröffentlicht.

Hier ist Gelegenheit zu einigen Bemerkungen über Sprache und Stil. Stefan Hock behauptete von Karl Mays Schriftstellerei, sie sei »ohne jeden künstlerischen Wert und von unglaublicher Armut an Stoffen und Motiven«, die Sprache wimmle »von groben Verstößen gegen die Grammatik«. Im Gegensatz dazu erklärte Berthold Viertel, Mays Bücher seien »relativ ganz ausgezeichnet geschrieben ... Wenn es May an erfinderischer Kraft, an Erzählertalent gefehlt hätte, seine Bücher würden nicht in Millionen Exemplaren verschlungen, gelesen und immer wieder gelesen werden.« Das ist zweifellos richtig. Wo es in erster Linie darauf ankommt, Spannung zu erregen und wachzuhalten, sollte man auch von der Sprache des Verfassers in der Regel keine andere Leistung erwarten als diese. Dagegen kann man von einem Literaturkritiker gewiß verlangen, daß er ein Diener der Sprache sei, die Worte bedenke und nie nur als flache, leere Zeichen gebrauche. Und da ist bei einem Vergleich von Stefan Hock und Robert Müller ein bezeichnender Unterschied in der Auffassung der Namen von Zeitschriften auffallend. So liest man bei Stefan Hock: »Nur die Wiener Klerikalen haben an ihrem Liebling festgehalten, und die Zeitschrift "Die Freistatt" ... hat dem von Pater Pöllmann Angegriffenen noch im Jahre 1910 eine Freistatt geboten.« Ist das gut gesagt? Wurde hier die Bedeutung des Namens »Die Freistatt« bedacht? Wohl kaum. Denn daß »Die Freistatt« eine Freistatt »bietet«, ist ein schlechtes Bild, daß sie sich aber als Freistatt für einen Verfolgten bewährt, ist doch ihr Zweck und kann keinen Vorwurf begründen. Wie ganz anders bedenkt Robert Müller den Namen der Zeitschrift, in der Stefan Hocks Angriff erschienen ist! Zu welch närrisch-witzigen Bildern inspiriert ihn dieser Name »Der Strom«! Etwa: »Der Kuli, dem ein Hindukusch gebührt hätte, als Massiv an den


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Kopf geworfen, bekam statt dessen ein ganzes Pundjab, eine Stromlandschaft zugewiesen.« Um zu zeigen, welch witzige Formulierungen auch Karl May finden konnte, zitiert er aus zwei Briefen Karl Mays an Ludwig Gurlitt: (10) erstens die Frage, »wo die Fäuste zu lesen sein würden, die Gurlitt für ihn ballen wolle«, undd zweitens eine Stelle, wo May das Grab als den »drei Ellen langen Gedankenstrich hinter dem Schlußpunkte« bezeichnet. Und Robert Müller fährt fort: »Wenn ich nichts anderes von May gelesen hätte als diese zwei Bilder und dazu Herrn Dr. Hocks Artikel ..., ich wäre doch nie und nimmermehr von der Überzeugung abzubringen, daß May ein größerer Sprachhäuptling sei als der Foliantenschlucker und Schlangenbändiger vom Pundjab.« Mit dieser Polemik Robert Müllers endete der Kampf des »Brenner« für Karl May, dessen Erfolg nicht mehr zweifelhaft war. Von Robert Müller erschien noch ein Gedicht im Heft vom 15. Oktober 1912. Später hat er im »Brenner« nichts mehr veröffentlicht.



1 Zitiert aus Walter Methlagl, Der Brenner 1910 - 1954, München (in »Nachrichten aus dem Kösel-Verlag«, Sonderheft »Der Brenner. Leben und Fortleben einer Zeitschrift«).

2 Der Brenner, 18. Folge (1954), 217

3 Ebd. 218

4 Ebd. vorletzte Seite

5 Karl May, Mein Leben und Streben, Freiburg o. J. (1910), 228

6 Trotzdem enthält ein Verzeichnis entschlüsselter Pseudonyme aus dem »Brenner«, das auf S. 30 des in Anm. 1 genannten Sonderheftes zu finden ist, die Behauptung, Rudolf Kurtz sei ein Pseudonym Robert Müllers gewesen. Dies ist jedoch ein Irrtum.

7 Otto Basil, Georg Trakl in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 1965, 37

8 Nachgedruckt im Jb-KMG 1970, 98 ff.

9 Bei der Einsendung riet Robert Müller im Begleitbrief vom 5. Mai 1912 zu einer »Bagatellbehandlung« seiner Arbeit (Veröffentlichung am Schluß eines Heftes und in kleinem Druck - der Rat wurde befolgt), »weil es ja schließlich doch eine Rauferei ist«. Und in einem Brief vom 10. Mai 1912 schrieb er über seine Polemik: »Sehr vornehm ist ja die Ausdrucksweise überhaupt dort nicht, ich war wütend und in Eile.«

10 Erstmals veröffentlicht in Ludwig Gurlitt, Karl May (»Allgemeiner Beobachter«, Nr. 24, Hamburg 1912); später auch in Ludwig Gurlitt, Gerechtigkeit für Karl May!, Radebeul 1919, 168 ff.


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