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EKKEHARD BARTSCH

»Mensch und Tier« und Gedanken Karl Mays zum Natur- und Landschaftsschutz



»Im Dezember 1965«,so berichtete ›Das Tier‹ 6/1966, »zeigte Professor B. Grzimek im deutschen Fernsehen einen Film über das Leben der atlantischen Robben und erläuterte, in welch ungeheurem Ausmaß und in welch grausamer Weise diese Tiere vor Kanadas Küsten umgebracht und zum Teil lebend enthäutet wurden.«1 Seit rund einem Jahrzehnt ist die breiteste Öffentlichkeit aufmerksam gemacht worden auf eine Form der »Jagd«, die an Unmenschlichkeit kaum zu überbieten ist, und es hat seither auch nicht an umfangreichen Protest-Aktionen gefehlt, die sogar Teilerfolge brachten: »Durch die weltweiten Proteste gegen das grausame Robbenschlachten ist die kanadische Regierung gezwungen worden, etwas zum Schutz der Robben zu unternehmen.«2
  Es dürfte bemerkenswert sein, daß fast 75 Jahre vor Grzimeks aufrüttelndem Fernsehfilm in einer kleinen Erzählung aus Karl Mays Feder das gleiche Thema angesprochen wurde: in der vorstehend abgedruckten ›Seehundsjagd‹. Diese Reiseskizze erschien im Februar/März 1891 anonym in der Knabenzeitschrift ›Der gute Kamerad‹.3 Sie war eine Auftragsarbeit für den Union-Verlag, und Karl May schrieb seine Geschichte als Rahmenerzählung zu den bereits vorliegenden Illustrationen.4 Sie wurde seither nie wieder gedruckt und nie in Karl Mays ›Gesammelte Werke‹ aufgenommen; der Neudruck im vorliegenden Jahrbuch kommt also einer Wiederentdeckung gleich.
  Überraschend für den Karl-May-Kenner ist der Schauplatz der Erzählung, der sonst in keinem seiner Werke zu finden ist: der arktische Pazifik vor der Küste Alaskas. Namen tauchen auf, dem May-Leser ungewohnt, aber doch auf Atlanten zu finden: Sitka auf der Insel Baranow, Kadiak, Trinity, Unimak. Karl May hat sich auch hier sehr um


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geographische Treue bemüht. Überraschend auch, daß der Ich-Erzähler diesmal ein Knabe ist, Fred Sommer, der seinen Onkel in San Franzisko besucht (die für Karl May typische Abkürzung ›Frisco‹ wird auch hier verwendet5) und von ihm zur Teilnahme an einer Seehundsjagd im Polarmeer eingeladen wird.
  Hingewiesen sei auf den geschickten Aufbau der Erzählung. Die anfängliche Begeisterung des Jungen: Seehundsjagd! Robbenschlag! Ich war natürlich ganz begeistert und träumte eine Woche lang in jeder Nacht von Seebären und Seelöwen, mit denen ich im Kampfe lag - wandelt sich vor der Wirklichkeit bald in Entsetzen: Es überlief mich ein mit Grauen gemischtes Mitleid, als ich sah, daß ein jeder sich auf den nächsten Seehund warf, um ihn mit einem Hieb auf die Nase zu töten. Die Tiere hatten so große, schöne Augen und ein gar so hilfloses Aussehen. Doch dann packt auch den jungen Fred Sommer das Jagdfieber: Der Geist der Eisgründe hielt mich fest, und ich gehorchte ihm, bis der Ertrag dieser ersten Jagd ein solcher war, daß Einhalt geboten werden mußte. Da wich die Aufregung von mir, und ich bekam Ohr für die vielen, vielen armen Jungen, welche sich angstvoll und mühsam auf dem Eise umherschleppten oder bei ihren erschlagenen Müttern lagen und dabei genau wie kleine Kinder wimmerten. Den Abschluß bildet die rührende Szene von der Rettung des kleinen Seehunds vor dem gefräßigen Schwertfisch, die den Zoologen ein wenig mit dem Kopf schütteln läßt, die für den Autor aber zur Umrahmung der letzten Illustration notwendig war.6
  Karl Mays Stellungnahme gegen die Robbenschlägerei richtete sich vor allem an das Sentiment. Die Robbenbabys mit ihren großen, schönen Augen6a erregten sein Mitleid, und an dieses Gefühl appellieren auch die meisten heutigen Presseveröffentlichungen und Protestschreiben: »Neben dem Walfischfang hat wohl keine andere Art der Ausbeutung wilder Tiere einen so starken Protest der Öffentlichkeit herausgefordert wie der Robbenfang. Diese Tiere, und besonders deren ›Weißröckchen‹ (Whitecoats) genannte Junge, sind so liebenswert, daß nur Hartherzige sich der stummen Anklage entziehen können, die uns aus ihren großen Augen von den Bildern der Tageszeitungen trifft. Wie sollte sich die Öffentlichkeit auch nicht erregen, wenn man sieht, wie diese kleinen Pelzträger mit Baseballschlägern zu Tode gedro-


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schen und dann von vorn bis hinten zum Abbalgen aufgeschlitzt werden, wobei anzunehmen ist, daß einige der Tiere beim Abhäuten noch am Leben sind.«7
  Heute wissen wir, daß bei den Naturschutz-Bestrebungen mehr auf dem Spiel steht als die Verhinderung grausamer Jagdmethoden: zahlreiche Tierarten sind vom Aussterben bedroht, das Gleichgewicht der Natur ist aufs empfindlichste gestört, und Fragen des Natur- und Umweltschutzes sind nicht Liebhaberei von sentimentalen Schwärmern, sondern gehören zu den Überlebensfragen der Menschheit. Zu Karl Mays Zeiten waren diese Probleme noch nicht in dem Maße akut wie heute. Das Zeitalter rasanter technischer Entwicklung hatte gerade erst begonnen, und so ist es erstaunlich zu sehen, wie May in seinen Werken immer wieder zu Fragen des Naturschutzes und der Naturerhaltung Stellung genommen hat. Als Musterbeispiel soll hier sein Kommentar zur Gründung des Yellowstone-Nationalparks am 1. März 1872 stehen:

  »Der Senat und das Haus der Repräsentanten der Vereinigten Staaten beschließen: 1. Der Landstrich, in den Territorien Montana und Wyoming liegend, nahe dem Ursprunge des Yellowstone-River, ist hierdurch von jeder Besitznahme, Besiedelung und jedem Verkaufe unter den Gesetzen der Vereinigten Staaten ausgenommen und soll als ein öffentlicher Park oder Lustplatz zum Wohle und Vergnügen des Volkes betrachtet werden. Jedermann, der sich diesen Bestimmungen zuwider dort niederläßt oder von irgendeinem Teile Besitz ergreift, soll als Übertreter des Gesetzes angesehen und ausgewiesen werden. - 2. Der Park soll unter die ausschließliche Kontrolle des Sekretärs des Innern gestellt werden, dessen Aufgabe es sein wird, so bald als thunlich solche Vorschriften und Anordnungen zu erlassen, als er zur Pflege und Erhaltung desselben für notwendig erachtet.«
  Als mir die Bekanntmachung dieses Gesetzes in die Hände kam, freute ich mich herzlich über die Hochherzigkeit, mit welcher der Vereinigte Staaten-Kongreß durch diese Beschlußfassung dem Volke ein Geschenk erhielt, welches zu kostbar war, als daß man es hätte gestatten können, daß die Spekulation und Gewinnsucht sich seiner bemächtige. Tausende werden diese Bekanntmachung gelesen haben, ohne zu ahnen, was ihnen damit geboten wurde. Viele, sehr viele werden vielleicht gelächelt haben, daß die Regierung der Vereinigten Staaten einen 9500 Quadratkilometer großen Park, eine im wilden, unzugänglichen Felsengebirge liegende Landesfläche als Lust- und Erholungsplatz der Unterthanen reserviert. Die Zukunft aber wird beweisen und hat schon bewiesen, daß diese ganz ohne Beispiel dastehende Handlung einer der dankenswertesten Vorgänge ist, den Millionen seiner Zeit noch segnen werden.
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Geradezu prophetisch mutet diese Stellungnahme an. Und unvergeßlich hat Karl May den Leser die Naturschönheiten und -wunder dieses größten amerikanischen Nationalparks, die Geisire, Schlammkrater


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und Schwefelquellen, vor allem in seiner Erzählung ›Der Sohn des Bärenjägers‹9, erleben lassen.
  Auf die tiefe Naturverbundenheit, die Karl May zu solchen Schilderungen befähigte, hat schon Konrad Guenther - vor allem anhand des Beispieles Ceylon - in seinem Aufsatz ›Die Naturliebe bei Karl May‹10 verwiesen, und weitere Beispiele ließen sich in reicher Fülle anführen.11 Über Mays »Landschaftsbeschreibungen« ist schon viel geschrieben und gerätselt worden, wenngleich eine umfassende Analyse noch aussteht.12 Immer wieder stellt man bei genauerer Prüfung fest, daß sich längere, zusammenhängende Beschreibungen höchst selten innerhalb der Reiseerzählungen finden. Die Landschaft ist in die Handlung einbezogen; der Zauber liegt in der Fülle mosaiksteinartiger Details - Heinz Stolte bringt aus der ›Sklavenkarawane‹ typische Beispiele13 -, die das Bild schließen. So gewinnt die Schilderung an Anschaulichkeit, die den Leser eine Landschaft »erleben« läßt14 und es - zumindest in Deutschland - praktisch unmöglich macht, Namen wie Yellowstonepark, Llano estakado, Schott el Dscherid oder Kurdistan15 zu nennen, ohne daß unweigerlich auf Karl May Bezug genommen wird.
  Zeugnisse der Naturverbundenheit und Tierliebe findet man, wie wir gesehen haben, zahlreich in Mays Werk. Nun gibt es eine Art der Tierliebe, die zugleich Menschenhaß und Menschenverachtung ausdrückt: extremes Beispiel der Eigenbrötler und Menschenfeind, der sich von der Welt zurückgezogen hat, jeden Mitmenschen mit Mißtrauen betrachtet und seine ganze Liebe seinen Hunden, Katzen, Pferden oder Vögeln schenkt. Wenn man an Karl Mays rührende Geschichte vom Tod des Rappen Rih16 und Kara Ben Nemsis Hund Dojan17 denkt, gerät man fast in Versuchung, Anklänge an diese ›Tierliebe‹ auch bei Karl May zu suchen. Die Suche wäre vergeblich; Mays Tierliebe schlägt nirgends in Menschenhaß um. Wir wissen, daß Old Shatterhand/Kara Ben Nemsi stets - und oft gegen alle Vernunft - vermeidet, Menschenblut zu vergießen. Selbst der Kurde, der soeben Kara Ben Nemsis Pferd Rih erschossen hat, wird geschont: Die Wut, welche in mir kochte, wollte mich verführen, ihn vom Pferd zu schießen, doch hörte ich glücklicherweise selbst in diesem Augenblicke auf die Stimme der Überlegung.18 Zwar droht Kara Ben Nemsi ihm: »Weigerst


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du dich etwa, mir zu gehorchen, so trifft dich mein Messer augenblicklich«, läßt den Leser aber sofort wissen, daß er sein Leben schonen und ihn auch nicht verwunden wollte.19
  Der Mann, der jeden nützlichen Käfer von der Straße aufhebt, und dahin setzt, wo er nicht zertreten wird,20 ermahnt seine Gefährten:»Wer Tiere quält, taugt nichts; wer aber Menschen unnütz wehe tut, der ist noch viel weniger wert.«21 Und auf Vorwürfe, es entspreche nicht seiner hohen Würde, das Kamel selbst zur Tränke zu schaffen, antwortet Kara Ben Nemsi:»Es entspricht der Würde Jedermanns, nicht nur gegen die Menschen gütig zu sein, sondern auch das Tier, welches ihm gehört, mit Aufmerksamkeit zu erfreuen.«22
  Ein kritischer Aspekt darf allerdings nicht unerwähnt bleiben, wenn wir Karl Mays Verhältnis zu Natur und Tieren beleuchten: die Jagd. Daß Karl Mays Trapper und Jäger für ihre tägliche Nahrung Fleisch machen, d.h. Wild jagen, ist selbstverständlich. Daneben aber gibt es eine Jagd, die wir aus heutiger Sicht scharf verurteilen, das Schießen von Tieren lediglich als spannendes Abenteuer. Hier war Karl May ein Kind seiner Zeit, einer Zeit imperialistischer Kolonialpolitik, in der das exotische Großwild als Mutprobenobjekt für europäische Jäger diente. Unzählige aufregende Jagdgeschichten gibt es aus jener Zeit, und so finden sich auch bei Karl May Löwenjagden, Pantherjagden, Bärenjagden.23 Oft werden diese damit motiviert, daß der Jäger oder seine Gefährten unmittelbar bedroht sind, oder daß es gilt, ein Eingeborenendorf vor dem menschenmordenden Herrn mit dem dicken Kopf zu schützen; doch nicht selten ist das Motiv auch die direkte Jagdleidenschaft.
  Hansotto Hatzig weist mich darauf hin, daß exotisches Großwild als Mutprobenobjekt sich nicht auf die Zeit der imperialistischen Kolonialpolitik beschränkt. Besonders unangenehme Schilderungen dieser Art findet man z. B. auch bei Ernest Hemingway, ›Die grünen Hügel Afrikas‹. Bei May hingegen werden, was diese Art von Jagden anbetrifft, zumindest in einem Falle auch Bedenken angemeldet: bei der Beschreibung einer Elefantenjagd in der ›Sklavenkarawane‹24: Die Mütter der Gefallenen untersuchten ihre Jungen mit den Rüsseln. Die Mutter des tödlich getroffenen betastete die Wunde ihres Lieblings, streichelte denselben zärtlich und stellte sich eng neben ihn, Seite an Sei-


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te, um ihn zu halten und vor dem Umfallen zu bewahren. Ihre Liebkosungen und Anstrengungen waren vergeblich; das Junge neigte sich mehr und mehr zur Seite und fiel dann tot nieder. . . Die Elefantenmütter erhoben die Rüssel und stießen klagende Trompetentöne aus, und Schwarz, einer der Elefantenjäger, meinte mitfühlend:»Mir ist es ganz so, als ob wir Strafe verdient hätten. . . Sehen Sie den Schmerz dieser Mütter! Er ist ergreifend . . .«
  Besonders unangenehm berührt es, wenn Tiere lediglich als Zielobjekte bei Schießübungen gewählt werden. So holt Old Shatterhand einmal, um seine Schußfertigkeit unter Beweis zu stellen, eine Lerche vom Himmel25, und zwei Geier - Gesundheitspolizisten der Natur - müssen sterben, damit sich Lord Castlepool und seine Gefährten gegenseitig an Treffsicherheit überbieten können.26 Gewiß, das sind extreme Beispiele; sie wurden mühsam aus einem 50 000-Seiten-Gesamtwerk herausgefischt und können um so mehr als kleine Entgleisungen abgetan werden, als ihnen in großer Zahl Zeugnisse positiver Einstellung zur Natur und Tierwelt gegenüberstehen. Bewahrenswert etwa sind Mays Worte über die Ausrottung der riesigen nordamerikanischen Büffelherden. Wie war es möglich, die (laut »Brockhaus«) schätzungsweise 40 bis 60 Millionen Bisons Nordamerikas bis zur Jahrhundertwende auf nahezu 1000 Stück zu dezimieren (nur durch strengste Naturschutzbestimmungen wurden sie im letzten Augenblick ganz vor dem Aussterben bewahrt)? Karl May nennt Gründe27:

  Wenn der Buffalo jetzt ausgestorben ist, so trägt nur der Weiße allein die Schuld daran. Es haben sich da zum Beispiele ganze Gesellschaften von ›Sauschützen‹ zusammengethan und Bahnzüge gemietet, welche da halten mußten, wo man in der Prairie eine Büffelherde traf. Von dem Zuge aus wurde dann aus reiner Mordlust unter die Tiere hineingeschossen, bis man die Kracherei satt bekam. Dann fuhr man weiter, um bei der nächsten Herde wieder anzuhalten. Ob die getroffenen Büffel tot oder nur verwundet waren, darnach wurde nicht gefragt. Die angeschossenen Tiere schleppten sich fort, so weit sie konnten, und brachen dann zusammen, um von den Geiern und Wölfen zerrissen zu werden. So sind Tausende und Abertausende von Bisons nur aus Blutgier niedergepafft oder todkrank geschossen worden, und Millionen von Zentnern Fleisch verfaulten, ohne daß ein Mensch den geringsten Nutzen davon hatte. Ich selbst bin nicht selten an Stellen gekommen, wo solche Massakres stattgefunden hatten, und habe die bleichenden Knochen in großen Haufen beisammenliegen sehen. Nicht einmal die Felle und Hörner waren mitgenommen worden. - Beim Anblicke solcher Büffelleichenfelder mußte sich das Herz jedes echten Westmanns gradezu umdrehen, und was nun erst die Indianer dabei dachten und dazu sagten, das läßt sich wohl unschwer denken!


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Was für katastrophale Folgen ein unüberlegtes Eingreifen des Menschen in den Haushalt der Natur haben kann, dafür bringt Karl May in ›Am Stillen Ocean‹ ein Beispiel:

  Es ist unberechenbar, welche Störungen und Umwälzung die Einführung eines neuen Tieres in der ursprünglichen Tierwelt eines Ortes hervorbringen kann. So hat z. B. in Neu-Seeland der flügellose Kiwi der Übersiedelung des europäischen Hundes nicht widerstehen können, und ebenso droht die dort eingeführte Katze dem Kakupo, einem dortigen Kuckuck, der auf niederen Zweigen zu nisten pflegt, mit dem vollständigen Untergange. Nicht allein die wilden Völkerstämme sind es, die bei der Ankunft des weißen Mannes ihr Todesurteil empfangen, auch die Haustiere, welche ihn begleiten, bringen den freien tierischen Bewohnern der Wildnis Verderben und Vernichtung.28

Es mögen Lesefrüchte sein, die May hier wiedergab, aber daß er sie sich zu eigen machte, läßt auf nähere Beschäftigung mit diesen Fragen schließen. Überhaupt ist man oft überrascht, mit was für Problemen Karl May sich auseinandergesetzt hat. So muß Old Shatterhand sich von Winnetous Schwester Nscho-tschi über europäische Gourmandise und die Problematik der Vivisektion belehren lassen:

  »Oh, die Frauen der Bleichgesichter sind nicht so zart, wie du denkst. . . Weißt du, was eure Squaws mit den Tieren thun, die sie kochen, braten und dann essen?« - »Nun?« -»Sie ziehen ihnen die Haut (Anmerkung Mays: Bei den Aalen) bei lebendigem Leibe ab; sie ziehen ihnen auch, während sie noch leben(Anmerkung Mays: Bei den Krebsen), den Darm heraus und werfen sie in das kochende Wasser. Und weißt du, was die Medizinmänner der Weißen thun?« - » Was meinst du?« - »Sie werfen lebendige Hunde in das kochende Wasser, um zu erfahren, wie lange sie dann noch leben, und ziehen ihnen die verbrühte Haut vom Leibe. Sie schneiden ihnen die Augen, die Zungen heraus; sie öffnen ihnen die Leiber; sie quälen sie auf noch viele andere Arten, um dann Bücher darüber zu machen.« - »Das ist Vivisektion und geschieht zum Besten der Wissenschaft.« - » Wissenschaft! Klekih-petra ist auch mein Lehrer gewesen; darum weiß ich, was du mit diesem Worte meinst. Was muß euer großer, guter Geist zu einer Wissenschaft sagen, welche nichts lehren kann, ohne daß sie seine Geschöpfe zu Tode martert! Und solche Martern nehmen eure Medizinmänner in ihren Wohnungen vor, wo die Squaws doch mit wohnen und es sehen müssen! Oder hören sie nicht das Schmerzgeheul der armen Tiere? Haben eure Squaws nicht Vögel in Käfigen in ihren Zimmern? Wissen sie nicht, welche Qual dies für den Vogel ist? . . . Ich bin ein junges, unerfahrenes Mädchen und werde von euch zu den ›Wilden‹ gerechnet; aber ich könnte dir noch vieles sagen, was eure zarten Squaws thun, ohne daß sie dabei den Schauder empfinden, den ich fühlen würde. . .«29

Mensch und Thier heißt ein Kapitel in Karl Mays programmatischen ›Geographischen Predigten‹ (1875/76), und dieses Thema, das er in


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jener kleinen Schrift - populärwissenschaftlich oder auch nur heiter plaudernd - angesprochen hatte, nahm er in seinen späteren Werken immer wieder auf. Seine Bücher können auch heute noch die Aufgeschlossenheit gegenüber den Wundern und Geheimnissen der Natur wecken und fördern; und überrascht stellt man fest, daß May in vielen Fällen, ob es sich um Seehunde, Büffel oder um die Erhaltung unberührter Landschaftsbilder handelt, Forderungen der heutigen Zeit vertritt.

Für Materialien und Anregungen zu dieser Arbeit danke ich besonders Herm Hansotto Hatzig, Mannheim, sowie Herrn Alfred Schneider, Hamburg.

1 ›Der Robbenskandal vor Kanadas Küsten‹ in: Das Tier 6/1966. Weitere aufschlußreiche Berichte in: Das Tier 4/1965, 7/1966, 12/1966, 6/1969, 1/1970, 4/1970, 10/1972; Fränkischer Tag, Bamberg, vom 9.3.1971 und 15.3.1971; Süddeutsche Zeitung, München, vom 11.3.1972, großer Farb-Bildbericht auch in: Bunte lllustrierte, Nr. 3 vom 10.1.1974
2 Das Tier 1/1970
3 Der gute Kamerad, Jg. 5, Heft 20-22 (Febr./März 1891), Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart. Karl Mays Autorschaft an dieser anonym abgedruckten Erzählung ist gesichert.
4 In den Jahren 1887-1892 schrieb May mehrfach als Auftragsarbeit für den Verlag Wilhelm Spemann/Union Deutsche Verlagsgesellschaft und für die Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, Erzählungen zu fertig vorliegenden Illustrationen (vgl. auch Ges. Werke Bd. 71, Bamberg 1967, Nachwort S. 419 ff.). Einige dieser kleinen Erzählungen und Skizzen wurden seither nicht mehr veröffentlicht und sollen nach und nach im Rahmen der KMG-Publikationen wieder zugänglich gemacht werden.
5 »Nur wer die Bürger San Franziskos ärgern will, wird die uns aus Karl May geläufige Abkürzung Frisco benützen!« (Klaus Mehnert in ›Christ und Welt‹ Nr. 31 vom 30.7.1959).
6 Ansonsten  z w a n g e n  die Illustrationen May keineswegs zu der von ihm gewählten und vertretenen Tendenz seiner Erzählung.
6a vgl. dazu auch Karl Mays Ges. Reiseerzählungen, Bd. XXV, 474, wo das Auge der Tiere als Beweis für ihre denkende und fühlende Seele genannt wird.
7 Colin Platt, Geschäfte mit dem Robbenfang, in: Wildlife '73. Gefährdete Tiere und Pflanzen der Wildnis. Jahrbuch des Welt-Naturschutzes, München 1973, 84 ff.
8 Karl Mays Ges. Reiseerzählungen, Bd. IX, 354 f.
9 Karl May, Die Helden des Westens I: Der Sohn des Bärenjägers, Stuttgart o.J. (1890), 177 ff. (Der heutige Buchtitel ›Unter Geiern‹ stammt nicht von Karl May, sondern wird erst seit 1914 verwendet).
10 Karl-May-Jahrbuch 1921, Radebeul S. 168 ff.
11 Zeugnisse aus Karl Mays Leben sind in dieser Beziehung vergleichsweise nur spärlich vorhanden oder der unsicheren Quelle (Legendenbildung Klara Mays) wegen mit Vorsicht zu behandeln (z. B. KMJB 1932, 466 ff.). Bekannt ist, daß May weite Spaziergänge sehr liebte. »Es war eine Gewohnheit Karl Mays, auf diesen Wanderungen nicht viel zu sprechen. Er war da mit seinem Innenleben beschäftigt, und Wald und Flur schien Zwiesprache mit ihm zu halten.« (Klara May, Bunte Blätter aus Karl Mays Leben, in: KMJB 1918, 64f.), vgl. auch Amand von Ozoroczy in KMJB 1928, 68. In XI, 334 z. B. erwähnt May einen Ausflug in die sächsische Schweiz.


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12 Umfassende Untersuchungen zu diesem Thema, die auf das Gesamtwerk Mays ausgedehnt sind, befinden sich in Vorbereitung.
13 Heinz Stolte, Ein Literaturpädagoge, 2. Teil, in: Jb-KMG 1974, 185 ff. Weiteres Material bringt Stolte im 3. Teil seiner Arbeit in diesem Jahrbuch. - In Hansotto Hatzigs (bisher unveröffentlichten) Registern zu Mays Werken findet man in großer Fülle Tier- und Pflanzennamen. Hervorzuheben sind hier besonders ›Die Sklavenkarawane‹ und ›Das Vermächtnis des Inka‹.
14 vgl. vorerst z. B.: E. Bartsch, Karl May heute, in: Programmschrift der Karl-May-Spiele Bad Segeberg 1962, 3 ff.
15 Emir Dr. Kamuran A. Bendir Khan, Professor für Kurdische Sprache an der École Nationale des Langues Orientales Vivantes, Paris: »Kein anderer als Karl May ist es gewesen, der einst die von den Kurden bewohnten Gebiete als ›wildes Kurdistan‹ bezeichnet hat.« (in: Vertraue der Pranke. Bilddokumentation Kurdistan 1963-1966, Hamburg o.J. (1966), S. 9); auch in Presse-Berichten über die Kurden-Aufstände ist die Nennung des Namens Karl May fast unvermeidlich. In dem Buch von Erlendur Haraldsson, Land im Aufstand . . . Kurdistan (Hamburg 1966) ist ›Durchs wilde Kurdistan‹ sogar im Literaturverzeichnis aufgeführt.
16 Karl Mays Ges. Reiseerzählungen, Bd. Vl, 638 f.
17 Karl Mays Ges. Reiseerzählungen, Bd. III, 343 f.
18 Vl, 635
19 VI, 637. Daß Mays Tierliebe nicht in Menschenhaß umschlägt, ist bereits aus seinen Kolportageromanen ersichtlich. In ›Deutsche Herzen - deutsche Helden‹ (Fischer-Ausgabe, Bd. 5, 467-470) läßt Steinbach, als er mit seinen Gefährten verfolgt wird, ausdrücklich auf die Pferde schießen, um die Kosaken, die als Soldaten nur ihre Befehle ausführen, zu schonen.
20 Karl Mays Ges. Reiseerzählungen, Bd. XIX, 308
21 Karl May, Der schwarze Mustang, Stuttgart o.J. (1898),192. (Der heutige Buchtitel ›Halbblut‹ stammt nicht von Karl May, sondern wird erst seit 1916 verwendet. Unter dem Originaltitel erschien die Erzählung noch bis in die 50er Jahre hinein im Union-Verlag, allerdings nicht im Originaltext, sondern in E. A. Schmids ›Halbblut‹-Bearbeitung).
22 Karl May, Die Rose von Kairwan, Osnabrück 1894, 265; Faksimile-Nachdruck dieses sehr seltenen May-Bandes: Hildesheim 1974
23 z. B. Karl Mays Ges. Reiseerzählungen, Bd. I, 385 ff.; VII, 98 ff.; X, 45 ff.; X,62 ff.; X, 206 ff.; X, 370; XIX, 431 ff.; Sohn des Bärenjägers, 117 ff.; Sklavenkarawane, 41 ff.
24 Karl May, Die Sklavenkarawane, Stuttgart o.J. (1893), 423
25 Karl Mays Ges. Reiseerzählungen, IX, 378. Daß der Bearbeiter in der heutigen Leseausgabe aus der »Lerche« einen »Raubvogel« gemacht hat (Bamberger Ausgabe, Bd. 9, 350), mag auf das Sentiment des Lesers abgestimmt sein; aus der Sicht des Naturschutzes ist es noch mehr abzulehnen. Zu Recht bemüht man sich, im Sprachgebrauch das Wort »Raubvogel« durch »Greifvogel« zu ersetzen, und so ist es bedauerlich, daß erst in jüngster Zeit Szenen in einen Karl-May-Roman hineinbearbeitet wurden, die dem Leser den Habicht - einen bei uns inzwischen auch vom Aussterben bedrohten Greifvogel - als ganz üblen Räuber erscheinen lassen, der so schnell wie möglich abgeschossen werden muß (Karl Mays Gesammelte Werke, Bd. 73 ›Der Habicht‹, Bamberg 1967, 21, 82, 256, 338 f., 391).
26 Karl May, Der Schatz im Silbersee, Stuttgart o.J. (1894), 115 ff.; Faksimile-Nachdruck: Braunschweig/Bamberg 1973
27 Karl Mays Ges. Reiseerzählungen, Bd. XIX, 427 f.
28 Karl Mays Ges. Reiseerzählungen, Bd. Xl, 75
29 Karl Mays Ges. Reiseerzählungen, Bd. V11, 387f.; vgl. auch Mays scharfe Stellungnahme gegen die Vivisektion in Bd. XXV, 475.


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