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ENGELBERT BOTSCHEN

Die Banda Oriental - ein Umweg zur Erlösung



I

Der Schriftsteller Karl May ist ein dankbares Studienobjekt in vielerlei Hinsicht und besonders, wenn es um die Erforschung der Ursprünge geht, aus denen literarische Schöpfungen entstehen.(1) An ihm lassen sich beispielhaft die Mechanismen aufweisen, die ein Talent zum Schaffen anregen und befähigen. Sein Werden zum Schriftsteller und sein Reifen bis zum letzten »Großmystikers der deutschen Literatur«(2) läßt sich nicht nur über die Selbstbiographie nachvollziehen, sondern auch durch sein Werk, wenn wir es mit den immer detailgenauer werdenden Ergebnissen der biographischen Forschung synchronisieren.(3) Zunehmendes Wissen um sein Schicksal befähigt uns, die Spuren seines Lebens im Werk aufzufinden, ihnen immer weiter zu folgen von seinem Ardistan bis hin zu den lichten Höhen im Dschinnistan seines Lebens. Vorwiegend aber in Ardistan.

Die bitteren Erfahrungen seiner Jugend, sein Scheitern und Versagen, das eine mitleidlose, unduldsame Umwelt ihm aufzwang, ließen ihn in die Welt seiner Phantasie flüchten, wo eine bessere Wirklichkeit ohne Mängel und Fehler herrschte. Dort konnte seine Persönlichkeit sich bewähren, dort fand er sich wieder. Was ihn beschwerte und bedrängte, was den Gefangenen erschüttert und zerbrochen hatte, war verdrängt und fast vergessen. Es schuf sein Leben neu, hob es auf eine Ebene besserer Qualität und gab ihm Erfüllungen, die ihm zuvor versagt geblieben waren. Eine neue Welt tat sich auf vor ihm, die ihm besser entsprach. Dort zeigte sich sein künstlerisches Talent, seine schriftstellerische Begabung, als es ihm gelang, in seinen Werken sich zu befreien, eine neue Realität zu schaffen, in der sein Ich bestehen konnte.(4) Damit hatte sich eine neue Welt vor ihm aufgetan, die ihn fortan in ihrem Bann hielt. Neue Bilder und Farben, Landschaften und Menschen, die mit seinen Erfahrungen verschmolzen. Und er sollte sein Leben lang davon erzählen, was in ihm neue Wirklichkeit geworden, sollte nie ermüden, sich selbst immer wieder vor seinen Lesern zu spiegeln.


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Das war ein völlig neugestaltetes Leben, eine Urschöpfung aus der Kraft einer begabten Persönlichkeit. So entstand ein Kosmos voller Gestalten, die ihr Urbild in den versunkenen Schichten seines Inneren hatten. Es gestaltete seine Erinnerungen, die sein Ich verdrängte, neu und bot ihm reichen Ersatz. Immer wieder brach altes Erleben in ihm auf, fand neuen Ausdruck, wurde neue Wirklichkeit im Roman. Seine wilde und bittere Jugend lieferte den Stoff, unerschöpflich Stoff für ein ganzes dichterisches Leben. Da May in seinen frühen Jahren nicht gereist war, zumindest nicht über Europa hinaus, Reisen aber das Thema seiner Erzählungen war, sprach Stolte von der »Reise ins Innere«.(5) Mit der Form des Reiseromans, den er später lieber Reiseerzählung nannte, hatte May seine persönliche schriftstellerische Ausdrucksform gefunden. Im Zentrum dieser Arbeiten stand das Ich auf dem Wege zur Erlösung, zur Reifung und Vollendung.

Es war ein beschwerlicher Weg. Nicht nur der Abstecher zur Kolportage, der für sein späteres Leben so folgenschwer werden sollte, warf Schatten auf seinen Weg; die Spuren aus der Vergangenheit kreuzten immer wieder seinen Weg. Hohenstein-Ernstthal wollte ihn noch nicht aus seinem Bann entlassen. Und so saß er dann und schrieb; ein fleißiger Arbeiter, der sich selbst nicht schonte, da er beim Schreiben in ein neues Leben hinüberglitt. Er schrieb sich frei; dieses Ergebnis kann heute als gesichert gelten; es war jedoch nicht der Erfolg zielstrebiger, zweckgerichteter Planung, sondern May schrieb sich frei aus einem inneren Zwang heraus. Damit aber legte er neue Spuren, die es uns heute ermöglichen, Leben und Werk dieses Mannes in einem Maße zu entschlüsseln, wie es selten nur gegeben ist. Die befreiende Wirkung des Schreibens auf seine Psyche war von doppelter Qualität: einmal machten sich die überschüssigen Kräfte seiner pseudologischen Veranlagung(6) in schriftstellerischer Schöpfung Bahn, fanden hier ihre befriedigende Bindung; zugleich aber fanden hier die befreienden Ausbrüche seines unbewußten Potentials Raum; er vermied damit den psychischen Konflikt, der so häufig die Folge massiver Verdrängungen ist. Während auf die erste Komponente in der Literatur schon wiederholt hingewiesen wurde, findet die zweite und wohl bedeutend wichtigere erst vereinzelt Zugang in den Ergebnissen der jüngeren Forschung. Es handelt sich dabei um die Einbeziehung psychoanalytischer Erkenntnisse und Methoden in das Feld der Literaturwissenschaft.(7)

Wäre die Forschung bereit gewesen, May in seinen Selbstzeugnissen


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ernster zu nehmen, wären viele Einsichten von Anfang an verfügbar gewesen; doch bestand allzuviel Skepsis gegenüber den Äußerungen des verfolgten und gehetzten Mannes. Skepsis vor allem gegenüber den späten Rechtfertigungsversuchen für das Frühwerk. Nun mag seine Angabe, von Beginn seines Schreibens an eine einheitliche Linie eingehalten zu haben, durch das Werk auch kaum zu belegen sein.

Aber schien es wirklich nur dem alternden Autor so, als ob er ständig aus dem tiefsten Ardistan nach Dschinnistan gestiegen sei? Man war zu leicht geneigt, Mays späte Aussagen als nachträgliche Deutungen zu sehen, zumindest aber als frommen Selbstbetrug im Altersjahrzehnt des angegriffenen und befeindeten Dichters. Seine Erklärungen für die phantastischen Auswucherungen und Einschübe sind viel realistischer zu verstehen, als wir sie bislang begreifen wollten. May hat bis zu seinem Tode daran festgehalten, aus seinem Leben, wenn auch im Gewande des Märchens, zu berichten.(8) Darin liegt mehr als ein Deutungsversuch, mehr als eine Rechtfertigung. Er hat uns in seiner Biographie den deutlichen Hinweis gegeben; die Spaltung seines Innern hat er erkannt. Dabei ist es von absolut untergeordneter Bedeutung, ob diese Hinweise wörtlich zu verstehen sind(9); daß in seiner Biographie vom Dichter Korrekturen und Glättungen vorgenommen wurden, ist hinreichend bekannt - und auch kaum einmalig in der Literaturgeschichte. Der Hinweis auf tiefenpsychologische Vorgänge im Vorfeld seines schriftstellerischen Wirkens war jedoch an sich unübersehbar. Es mußten deutliche Spuren davon im Werk zurückgeblieben sein; und sie fanden sich auch, als man endlich danach suchte.

Zunächst geschah diese Entdeckung für den Bereich der Kolportageromane; erste Abhandlungen darüber liegen vor. Der Zwang, Woche um Woche ohne Unterbrechung bogenweise »Manuskript« für die Kolportagemühle liefern zu müssen, brachte May in die Situation jener Testpersonen, die in möglichst rascher Folge zu bestimmten Stichworten alles, was ihnen einfällt, auch scheinbar Nebensächliches oder Unwichtiges, niederschreiben oder laut äußern müssen.(10) Möglichst rasch, damit die Schwelle des kontrollierenden Verstandes weitgehend unterschritten bleibt. Damit floß anamnestisches Material in Fülle in diese Werke ein, die damit zu einer einzigartigen Quelle für die biographische Forschung wurden.


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II

Hier soll gezeigt werden, daß auch in den auf wesentlich höherem Anspruchsniveau geschriebenen Reiseromanen autobiographisches Material zur Genüge verborgen liegt. Es bedurfte bei May gar nicht des äußeren Drucks, um unterschwelliges Material ins Werk einfließen zu lassen, wenngleich auch hier der Autor manchmal unter dem Drängen der Verleger nach weiteren Beiträgen zu rastlosem Schaffen veranlaßt wurde. Arno Schmidt ahnte bei seiner Sitara-Studie den richtigen Sachverhalt, wenn seine Folgerungen, falls sie ernst gemeint waren, auch an der Sache vorbeigehen.(11) »Es« brach aus May heraus, er mußte sein Erleben aus den wilden Jahren verarbeiten, die »rechten« Maßstäbe wiederherstellen: Die falsch eingesteckten Pfähle im Llano estacado seiner Seele mußten wieder in die rechte Ordnung gestellt werden, die Pfahlmänner daraus vertrieben werden. Dies vor allem war Aufgabe des umfangreichen schriftstellerischen Werkes seiner frühen Reiseromane.

May hat in seiner Autobiographie auf diesen Sachverhalt hingewiesen.(12) Wenn seinen Deutungen des eigenen Frühwerks von der Forschung lange Zeit nicht gefolgt wurde, lagen dafür zwei Gründe vor. Einmal sah seine Deutung einer von Anbeginn des Schaffens an beabsichtigten Gleichnishaftigkeit allzu offensichtlich nach einem Rechtfertigungsversuch aus; dann aber auch mußte der kritische Forscher den Vergleich mit den Symbolromanen des Alterswerks ziehen. Bei diesen aber lag der Schlüssel zum Verständnis nahe; May hat ihn manchesmal selbst geliefert(13); die Kenntnis seines Lebens erleichterte die Entzifferung des Restes. Auch sein Frühwerk symbolisch zu verstehen lag weniger nahe; es bot sich kein Schlüssel an. Die Arbeiten der letzten Jahre in der May-Forschung haben jedoch gelehrt, die Skepsis ein wenig zurückzustellen. Dies sei hier am Beispiel einer Episode aus seinem südamerikanischen Reiseroman »El Sendador« demonstriert.(14)

Dieses Werk weist auffällige Ungereimtheiten im Handlungsablauf auf, die schon längst zu einer Untersuchung hätten Anlaß geben müssen. Brüche im Werk mögen sicherlich verschiedene Deutungen zulassen. Sie reichen von Ermüdung und Unlust bis zur Behauptung schriftstellerischen Unvermögens.(15) Wenn May aber selbst bei seinen überdimensionalen Kolportageromanen die Handlungsfäden immer wieder ineinanderzuweben vermochte, ist nicht recht einzusehen, warum er


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dazu bei einem Reiseroman unter formal besseren Bedingungen nicht in der Lage gewesen sein sollte.(16) Wenn aber festzuhalten ist, daß bei May die formalen Voraussetzungen für Entwurf und Ausführung eines abgewogenen Handlungskonzeptes vorlagen, er oft sogar aus wenigen Vorgaben einen abgewogenen Handlungsablauf zu gestalten wußte, zwingt die Feststellung von Brüchen und Unstimmigkeiten in einem Werk zur Untersuchung der Ursachen. Das gilt beim Sendador-Roman um so mehr, als der Autor zuvor noch beim großen Orient-Roman bewiesen hatte, daß er auch über lange Strecken hinweg ein Konzept durchstehen konnte.(17)

Bislang ist der Sendador-Roman in der May-Forschung sehr vernachlässigt worden.(18) Auf seine Untersuchung wurde wenig Zeit verwendet, da er als unausgereift, verunglückt und wenig aussagekräftig galt. Eine Analyse des Romans ergibt zwar, daß er in sich wenig geschlossen ist, etliche Brüche aufweist und fast in einen Episodenroman zerfällt; zugleich aber fällt auf, daß einige dieser Episoden recht liebevoll gestaltet, geschickt geschrieben und in sich auch gut ausgewogen sind.

Der Roman beginnt mit dem Uruguay-Abenteuer (Lopez Jordan), das etwa ein Drittel des Werkes beansprucht. May bietet uns die fast minutiöse Schilderung weniger, ereignisreicher Tage zu Beginn der großen Südamerikareise, die über Wochen und Monate dauern sollte. Auf dieses Abenteuer folgt nach einem schleppenden Übergang die eigentliche Sendador-Handlung, die aber schon bald wieder abgebrochen und erst später wieder aufgenommen wird. Dazwischen liegt die Erzählung vom viejo Desierto, einer jener Gestalten, die May so gerne zeichnete: Flüchtlinge aus Europa, die von politischen Unruhen vertrieben wurden oder persönliche Schuld im Ausland sühnen. Nach Meinung der Kritiker ist der Desierto nicht die gelungenste Gestalt dieser Art, vielleicht nur ein früher Entwurf, der bei Klekih-petra besser gelang(19); dennoch fällt die Liebe auf, mit der Details dieser Handlung ausgeführt wurden. Zu nennen wäre auch die Gestalt der entzückenden Unica; diese temperamentvolle Urwaldlady war anders als die Emma in Sachsen.

Im Grunde ein mißlungener Roman also - oder doch nicht? Wir haben uns inzwischen bei May daran gewöhnt, nicht nur künstlerisch Vollendetes zu erwarten, sondern auch jenen Spuren nachzugehen, die zu den verborgenen, noch ungemünzten Erzen führen. Der Sendador


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ist im ersten Romanteil nur ein Name, der für ein fernes Programm steht. Des Reisenden Ziel war Tucuman, wo er einen früheren Gefährten besuchen wollte, Sennor Pena, den er zuletzt in der Sonora getroffen hatte.(20) Da bot sich die Mitreise mit den Yerbateros an, von denen er zuerst von dem berühmten Andenführer erfuhr, mit dem sie zusammentreffen wollten, der aber erst in der zweiten Romanhälfte auftritt, obschon das Gesamtwerk ursprünglich seinen Namen trug. Der Schluß liegt nahe, daß Mays Konzept ursprünglich anders war. Was schob den Sendador so in die Ferne? Der Autor muß eine genaue Vorstellung vom weiteren Handlungsverlauf gehabt haben, eine sehr genaue sogar, wie sich aus den eingestreuten Hinweisen ergibt, und er vergißt sie auch nicht, als die Handlung ihm unter den Händen zu wuchern beginnt und zu einem Einschub in den ursprünglichen Handlungsplan führt, der später fast einen Band füllt. Die Andeutungen über den Sendador verdichten sich immer mehr zu einem unerfreulichen Bild, das so gar nicht seiner Legende entspricht, aber May zeigt keine Eile, sich in das ferne Abenteuer, in die Auseinandersetzung mit dem schurkischen Andenführer zu stürzen, denn näher liegende Ereignisse nehmen ihn voll in Anspruch. Sie nehmen den Reisenden ganz gefangen, aber auch ihn, den Schriftsteller, wie sich immer verräterischer im Roman zeigt.

Und was sich mit der Haupthandlung ereignet, das geschieht auch mit der Teilhandlung, die im »Hausschatz« noch »Lopez Jordan« heißt. Mag sein, daß May ursprünglich ein Abenteuer im südamerikanischen Bürger- und Bruderkrieg plante; Latorre(21), mit dem er zu Beginn der Handlung verwechselt wird, steht für eine solche Absicht, aber mehr als ein Verwirrspiel wird nicht daraus. Andere Romane, vor allem seine Kolportageromane, hatte er noch in nahen Bezug zu fast aktuellen Ereignissen der Geschichte gebracht. Juarez und Ludwig II. von Bayern, Napoleon und Bismarck, sie alle treten in seinen Romanen persönlich auf.(22) Sein »Ich« aber brachte der Autor dann doch nicht in unmittelbaren Bezug zur Gegenwartsgeschichte. Latorre, dieser spätere Diktator von Uruguay, tritt nicht persönlich auf, bleibt nur ein Name - und auch die Begegnung mit Lopez Jordan bleibt eine flüchtige Episode. Es scheint, daß die Begegnung mit diesem argentinischen Parteigänger nur noch herbeigeführt wird, weil der Roman im »Hausschatz« diesen Untertitel trägt. Eine Begegnung übrigens, die wie aufgepfropft wirkt und eine der schwächsten Stellen des Bandes ist. Die


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Bereitschaft des Lesers, das Unglaubwürdige zu akzeptieren, wird aufs Äußerste strapaziert. Titel und Inhalt des Werkes stimmen nicht überein.

III

Mit Ausnahme des unmittelbar folgenden Jugendromans vom »Vermächtnis des Inka« hat May sich dem Schauplatz Südamerika nicht wieder zugewandt.(23) Der Sendador ist ein Frühwerk nach den Jahren der Kolportage, und wir können nur Vermutungen anstellen, warum May sich ein völlig neues Feld der Erde aussuchte. Wollte er einen neuen Anfang wagen, die Fabel seines Lebens neu beginnen? Wohl nie werden die Titel der beiden Sendador-Bände genannt, wenn man einen Jugendlichen nach seinem Lieblingsbuch fragt; in keiner Debatte der Erwachsenen taucht eine Erinnerung an sie auf - mag sein, daß es am namenlosen Helden liegt, der nicht Old Shatterhand heißt und nicht Kara ben Nemsi. Nie ist die Handlung verfilmt worden, wo selbst Kolportageromane nicht vergessen wurden.

Wohl nur wenige Leser eines Reiseromans verfolgen die Handlung anhand einer Landkarte. Macht man sich aber bei May diese Mühe, dann stellt man fest, daß er eine genaue Vorstellung von der Route hatte und einen plausiblen Reiseweg einschlug. Irrtum vorbehalten: nicht immer waren seine Karten und sonstigen geographischen Unterlagen ganz zuverlässig; in der Regel aber entsprachen sie dem Stande der Zeit. So ist auch im Band »Am Rio de la Plata« (Lopez Jordan) Schilderung von Land und Leuten sowie von den geographischen Daten nachvollziehbar ausgearbeitet. Dennoch ergibt sich bald eine Ungereimtheit, die allerdings weniger die Zuverlässigkeit seiner Angaben als die Plausibilität der eingeschlagenen Route betrifft. Er hat nie begründet, warum er die Reise in Montevideo beginnen ließ. Das Ziel Tucuman von Anfang an auf dem Landwege anzusteuern, ist jedenfalls erstaunlich. Da er als Reisozweck den Besuch bei Sennor Pena in Tucuman angab, hätte eine Fahrt von Buenos Aires aus über den Parana nahegelegen. Tatsächlich begann er sie dann ja auch dort noch einmal(24), - fast am Ende des ersten Bandes nach einem riesigen Umweg durch die Banda Oriental(25), wie Uruguay damals noch allgemein genannt wurde. Und in Buenos Aires läßt er auch im parallel


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verlaufenden Jugendroman »Vermächtnis des Inka« den Vater Jaguar und Dr. Morgenstern starten - ebenfalls mit dem Ziel Tucuman!

Es hätte nahegelegen, nun wenigstens eine Begründung zu liefern, warum er von Montevideo aus die Reise antrat; etwa so: fand nur ein Schiff nach Montevideo . . . reise nie auf den ausgefahrenen Spuren wie gewöhnliche Reisende . . . politische Wirren in Argentinien ließen es nicht geraten erscheinen. . . Zwar macht er noch einen Ansatz, indem diese Route von Tupido wegen der Wirren im Lande empfohlen wird, allerdings mit dem Hintergedanken, den tumben Deutschen ins Feuer, will sagen: durch die feindlichen Linien zu Lopez Jordan zu schicken. Da er aber Tupidos Absichten durchschaut, entfällt auch diese Begründung. Es war nicht die einfachste Route: warum wählt er sie?

Der unbefangene Leser wird kaum bemerkt haben, daß ein weiter Ritt durch Uruguay bis an die argentinische Grenze, bis zum UruguayGrenzfloß faktisch abgebrochen wird, um die Fahrt zurück nach Buenos Aires mit dem Floß durchzuführen. Erstaunlich, daß die Yerbateros, die doch mit dem Sendador verabredet waren, der Rückfahrt nicht widersprochen haben. Schaut man sich die Route auf einer etwas größeren Karte der La-Plata-Staaten an, bemerkt man sogleich, daß hier ein gewaltiger Umweg gemacht wurde; die Reisenden kehrten beinahe im Kreis fast an den Ausgangspunkt zurück - nach Buenos Aires, das zugleich der logische Startpunkt wäre. Eine Schiffsreise auf dem Parana bis nach Nordargentinien bildete den zweckmäßigsten Anfang einer Reise nach Tucuman. Da wir nun wissen, daß May für seine Planungen eifrige Karten- und Materialstudien betrieb, könnte die Feststellung einer so gravierenden Unstimmigkeit im Plan zu der Vermutung führen, daß er keine oder zu wenig Unterlagen über Buenos Aires und eine Schiffsroute über den Parana besaß. Dagegen spräche sogleich die dann doch über Buenos Aires erneut begonnene Reise (wie auch der entsprechende Reiseweg des Dr. Morgenstern im »Vermächtnis des Inka«).

An Mays Unterlagen lag der Bruch im Roman somit sicherlich nicht; bleibt der Autor selbst als Ursache der Unstimmigkeit. May hatte anscheinend den Eindruck, daß er den Faden der Ereignisse in Uruguay kappen mußte; als Routinier, der er durch die Kolportagetechnik geworden war, liefert er aber schnell eine vorgeschobene Begründung. Er führt die durch seine letzten Erzählungen(26) bekannte und ihm


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vermutlich daher auch besonders geläufige Figur des schrolligen Kapitäns Turnerstick wie einen Deus ex machina ins Werk ein, nicht sonderlich gut motiviert zwar; immerhin kann er ihn gleich zweimal verwenden. Zunächst für seinen Schwindel vor Lopez Jordan, durch den er sich aus der fast zugezogenen Schlinge zieht, sodann für die Begründung der Rückreise nach Buenos Aires. Merkwürdig, über wieviel Zeit ein Seekapitän auf einer Handelsreise verfügt! Denn nur, wenn Turnerstick auf die weitere Reise mitgeht, wird die Rückreise nach Buenos Aires für May zwingend. Dabei benötigt er den guten Seebären für die Weiterführung des Romans nicht einmal; er hätte es also bei der Episode bewenden lassen können. So vergißt er den Kapitän auch prompt bald für weite Strecken des Romans. Aber er benötigte für sich selbst eine Begründung, die Reise neu zu beginnen und das Kapitel Banda Oriental abzuschließen: dieser Zwang kam nicht aus der Handlung der Reiseerzählung, sondern aus seinem Innern.

Nach einem letzten Blick auf die Karte kann es eigentlich keinen Zweifel mehr geben: für die Flucht vor den Jordanisten hätte es schon gereicht, auf die andere Seite des Rio Uruguay zu wechseln, um die geplante Reise fortsetzen zu können. Es hätte für die Weiterführung der ursprünglichen Planung genügt, mit dem Floß den Uruguay entlang an der Provinz Entre Rios vorbei zu fahren, die Jordan unter seiner Kontrolle hatte, um sodann nach Westen die Reise zu Pferd fortzusetzen; entweder direkt nach Tucuman oder, da ja ein Treffen mit dem Sendador vorprogrammiert war, nur bis zum Parana und von dort nach Palmar in der Provinz Corrientes. Daß der Sendador dort nicht mehr anzutreffen war, stellt eine weitere Ungereimtheit des Romans dar; die Brüche im Plan sind offenbar. May mußte ganz offensichtlich sein ursprüngliches Konzept abändern, damit ein nahtloser Ubergang ermöglicht wurde. Er hatte aus mehreren Andeutungen dem Leser über den Sendador inzwischen ein derart negatives Bild entwickelt, daß ein harmloses Treffen allein zu schwach erschien: es mußte schon ein Zusammenprall werden; und damit zeigt May, daß er, selbst wenn ihm der Stoff unter den Händen wuchert, die formalen Techniken des Romans noch beherrscht. Die Ungereimtheiten aber müssen tiefere Ursachen haben.


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IV

Erweist sich May in der sauberen Durchführung der Erzähltechniken schon als Meister, so erscheint er bemerkenswerter noch in größeren Szenen als Virtuose der Handlungsgestaltung in einem Maße, das wir in späteren Werken leider manchmal vermissen müssen, weil das Ich dort immer stärker eine Funktion annimmt, deren Aufgaben nicht mehr in der Leseebene der Abenteuerhandlung liegen. Im Sendador aber noch will der Autor nur spannend erzählen. Das Ich darf noch ein einfacher Reisender sein, und das macht diese frühen Erzählungen nicht nur sympathisch; sie sind auch in hohem Maße geeignet, auf Mays Erzähltechniken untersucht zu werden, was in späteren Werken zunehmend erschwert wird, je mehr sich bei May die Leseebenen auseinanderfächern. So ist die Erzählung über die Banda Oriental ein Kabinettstück für die Beurteilung der schriftstellerischen Fähigkeiten des Autors. Aber das erfordert eigentlich eine eigene Untersuchung.

Eine der großen Szenen ist die erste Begegnung mit dem Frater Jaguar (12/247). Die Bolamänner verfolgen den Reisenden, der an einem kleinen Rancho vorbei fliehen will, vor dem zwei Männer und einige Frauen stehen.

Der eine der beiden Männer war wie ein Geistlicher gekleidet. Als mein Brauner heranschoß, um wie ein Wind an dem Thore vorüberzuschießen, trat dieser Mann weiter vor, schlug die Arme auseinander, als ob er das Pferd anhalten wollte:

»Halt! Sie reiten ins Verderben!«

Sollte ein Mann, der diesem Stande angehörte, mich belügen? Gewiß icht! Ich sah nach rückwärts. Die Verfolger waren so weit hinter mir, daß ich getrost eine halbe Minute opfern konnte. Freilich, anzuhalten vermochte ich das Pferd nicht so schnell; ich lenkte es zur Seite, ritt einen scharfen Bogen, blieb dann vor dem Thore halten und fragte:

»In das Verderben?- Wieso?«

»Sie fliehen vor den Leuten dort?«

»Ja.«

»Sind Sie schuldig?«

»Vollständig unschuldig. Ich habe keinem Menschen ein Leid gethan. Ich bin ein Fremder, ein ehrlicher Deutscher, welcher noch nicht - -«

»Ein Deutscher?« rief die eine Frau. »Dann herein, herein, Landsmann! Schnell, schnell! Gleich werden die Bolas sausen!«

Und nun übernimmt der Frater die Initiative. Der sich bei den landeskundigen Yerbateros bemerkenswert als ebenbürtig durchsetzende Reisende, der auch das bedrohliche Abenteuer mit den Bolamännern bislang meisterte, verzichtet auf weitere Herausstellung des


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Ich und gibt die Trägerschaft der Handlung an den landeskundigeren Frater ab. Das ist dramaturgisch geschickt, wirkt überzeugend. Da wird eine Gestalt skizziert, die glaubhaft ist und vor allem glaubhaft bleiben darf. Zwar muß sich schon bald das Ich wieder bemerkbar machen und dem als Autorität anerkannten Frater beweisen, daß es auch ihm ebenbürtig ist, wenn es sich nicht um die speziellen Verhältnisse des Landes handelt. Aber wie sympathisch und verräterisch zugleich, daß diesmal das Ich sich sogar eines Taschenspielertricks bedienen muß!

Nachdem der Reisende dem Frater eine erste Probe des Anschleichens gegeben hat, wobei er ihn durch fortgeworfene kleine Steinchen täuscht, bedient er sich gleich eines weiteren Tricks. Noch während er sich mit dem Frater über seine List unterhält, bereitet er eine weitere vor und befestigt den Hut des Fraters an seinem Lasso. So kann er ihn, nachdem er den Frater zunächst noch einmal hatte fühlen lassen, daß sein Hut auch neben ihm auf der Bank lag, noch während der Unterhaltung fortziehen. Hier mimt May den kundigen Anschleicher nur, ist sich also noch der Täuschungsmöglichkeiten bewußt. Das wirkt echter als das später so häufig zelebrierte Anschleichen auf Finger- und Zehenspitzen (Bd. 12, S. 285-87).

Weniger überzeugend und glaubhaft wirkt May dagegen in anderen Szenen, und es ist bezeichnend, daß es sich dann stets um Konstruktionen handelt, mit denen er den Bruch in der Handlung kaschiert. Rein formal fließen sie zwar ebenso gekonnt dahin, nur der aufmerksame Leser stutzt und ist zunächst verärgert, da sie wie ein unverzeihlicher Fehler wirken, solange sich die dahinter steckenden Mechanismen nicht offenbaren. Typisch dafür ist etwa die Verwechslung mit dem uruguayischen Parteigänger der Colorados, dem Obersten Latorre. Solange sich die Zusammenhänge noch nicht entwirren, nimmt der Leser es hin, daß ein Blanco Latorre seine Dienste anbietet, doch die Lösung, die May dann bei der Klärung anbietet (12/36):

»Denken Sie sich doch das Aufsehen, wenn die Blancos sagen könnten: Wir haben eine Unterschrift Latorres, mit welcher er bestätigt, daß er von uns fünftausend Pesos erhalten hat, damit wir ihm die Waffen zum Aufstande liefern! Er hätte sich dadurch für alle Zeit unmöglich gemacht.«

kann nicht überzeugen. Wäre Latorre auf einen so simplen und durchschaubaren Trick hereingefallen, hätte er kaum das Zeug dazu beses-


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sen, später Präsident Uruguays zu werden.(27) Die Szene ist in sich nichtglaubhaft; May bleibt uns eine einleuchtende Motivierung schuldig. Die Verwechslung selbst, und das war doch wohl Mays Hauptanliegen, bleibt als Handlungsmotiv offen; zwar ist sie der Aufhänger für die bald einsetzende Verfolgung und das sich daraus ergebende Verwirrspiel; mögliche Ansätze zu einem Abenteuer im Bürgerkrieg bis zum Zusammentreffen mit Latorre selbst werden jedoch nicht ausgespielt.

V

Aufschlußreicher noch als stilistische Ungereimtheiten sind bei May Unstimmigkeiten des äußeren Handlungsablaufes. May hatte sich, wie schon bemerkt, in den Jahren der Kolportage eine derartige Geläufigkeit erschrieben(28), daß jede Abweichung aufmerken läßt. Einige Beispiele mögen das verdeutlichen. Zu Mays schriftstellerischen Techniken gehört die Überbetonung der Handlungsfunktionen des Ich. Davon ist er in seinen frühen Werken zwar noch abgewichen, auch der kurz zuvor entstandene »Scout« bietet dafür Beispiele(29), andererseits ist der große Orient-Roman mit der schon stark profilierten Ich-Gestalt des Kara ben Nemsi ein Musterbeispiel für einen die Handlung fast allein tragenden Ich-Helden. Die Negativ-Funktionen gehen fast ausschließlich auf die Nebenpersonen über. Und dann trifft der Reisende im Uruguay-Abenteuer auf den Frater Jaguar, läßt sich von diesem retten und bestaunt die Reckengestalt des archetypischen Helden. Der Frater übernimmt allein die Handlungsinitiative, stellt sich den Bolamännern entgegen und hält sie wie eine überdimensionale Old-Shatterhand-Figur in Schach. Allein seine Augen bändigen die wilde Soldateska. Er handelt! Das ist von der Situation her logisch und fundiert, das ist von der Arbeitstechnik gekonnt ausgeführt, und es ist doch so May-untypisch, daß es beim aufmerksamen Leser Erstaunen weckt.

Erstaunen weckt auch das Verhalten der Jordanisten bei der Behandlung des gefangenen Reisenden. Erweckt schon das Todesurteil beim ersten Durchlesen den Eindruck unbegründeter und unverständlicher Willkür, aber auch der mangelnden inneren Begründung durch den Autor, so verstärkt sich dieser Eindruck noch bei weiterer Kenntnis der Handlung. Welches Interesse können die auf Pferdediebstahl ausgezogenen Anhänger des argentinischen Parteigängers Lopez Jor-


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dan an den Auseinandersetzungen zwischen den Blancos und Colorados in Uruguay haben? Welches Interesse auch an der Liquidierung des Reisenden im Dienste einer dieser Gruppen? Wobei noch offen bleibt, welcher! Sie haben doch gar keine Zeit, sich um diese Querelen in Uruguay zu kümmern; sie haben kein Motiv, den Reisenden zu jagen und zu verfolgen, um ihn einzufangen. Sie haben dagegen allen Anlaß, rasch wieder an ihr Ufer des Rio Uruguay zurückzukehren, um nicht regulären Truppen des Landes in die Hände zu fallen. Erstaunt fragt sich der Leser, ob die Banditen nun Pferde »requirieren« wollten oder Jagd auf »Staatsfeinde Uruguays« machten. Der Autor aber gibt sich nicht einmal die Mühe, diesen Widerspruch aufzulösen und eine glaubhafte Begründung zu liefern.

Der Widerspruch verstärkt sich noch: Als der Erzähler nach der Flucht und Rettung durch den Frater Jaguar schließlich am Rio Uruguay und damit kaum um eine Tagesreise näher an Argentinien erneut in die Hände der Bolamänner fällt, wollen ihn diese nur noch unter die Soldaten stecken. May merkt diesen Widerspruch selbst und merkt lakonisch an: Freilich konnte ich mir nicht erklären, welche Gründe der Major (dazu) gehabt hatte (12/437). Es kann eben nicht erklärt werden, und so bleibt es offen. Das ist sicherlich keine gute Erzähltechnik, damit läßt sich der Bruch nicht kitten. Es gibt auch keinen rechten Anlaß, den Reisenden und seine Begleiter ins Hauptquartier zu Lopez Jordan zu schleppen. Allenfalls, um dem Untertitel zu genügen und endlich eine Beziehung zur Titelfigur herzustellen. Glücklich der unbefangene Leser, der den Kopf nur schüttelt über die Zustände in Südamerika, die wohl immer schon so waren!

Bleibt schließlich noch die mißratene Figur des Mateo, jenes falschen Polizeikommissars, bei dem offenbleibt, für wen er nun eigentlich tätig ist. Für die Blancos in Montevideo? Woher hat er dann so rasch alle jene gefälschten Unterlagen, die er dem Reisenden in die Kleider näht, selbst für den Yerbatero reicht der Vorrat an falschen Dokumenten noch!? Für die Colorados, also die beiden Rixios in San Jose: dann müßten diese den ihnen verdächtigen und für unzuverlässig gehaltenen Mateo sehr schnell »umgedreht« haben. Das kann aber kaum sein, auch wenn der Autor es andeutet, denn zu der Zeit, wo dem Reisenden bei Rixio die falschen Dokumente buchstäblich untergeschoben wurden, hofften die Rixios noch, daß der Reisende auf den Vorschlag, Latorre zu doubeln, eingehen würde. Völlig offen bleibt


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ohnehin das Motiv, ihm und dem Yerbatero falsche Papiere in die Kleidung zu schmuggeln. Damit hätte allenfalls vor den Behörden oder Soldaten der Banda Oriental der Anschein von Spionage oder Verrat erweckt werden können. Den Jordanisten konnten diese Unterlagen gleichgültig sein. Sie konnte Mateo nur durch persönliche Bekanntschaft oder Bestechung verleiten.

Die Analyse ergibt mehr Ungereimtheiten, als wir vom May des großen Orient-Romans gewohnt waren.

VI

Ständig wiederkehrende Motive, Variationen gleichartiger Themen an zahlreichen Stellen des Werkes, Wiederholungen ähnlicher Ereignisse sind bei May Signale für Spiegelungen aus dem Leben. Um die Mechanismen seines schöpferischen Wirkens voll erfassen zu können, wird es notwendig sein, einen Katalog aller Ähnlichkeiten, Wiederholungen und Variationen zu erstellen. Dann wird sich ergeben, daß auch an scheinbar unverdächtigen Stellen im Werk Nachrichten und Botschaften verschlüsselt sind. Aus dieser Einsicht heraus läßt sich erklären, was Kritiker und Gegner bei May immer wieder irritierte: die scheinbare Einförmigkeit der Handlung, die beschränkte Auswahl von Szenen, die der Schriftsteller dem Leser bietet. Die Mühe dieser Katalogisierung erscheint aber erforderlich, um eben diese Irritation zu beseitigen. Denn bei May gibt es zwar viele, im Werk ständig wieder angebotene Grundszenen; ihre Erfassung und Sammlung aber wird ergeben, in welch hohem Maße May auch der freien, ständig neuen Schöpfung von Begebenheiten und Handlungsmotiven fähig war. Die Ähnlichkeiten fielen auf; die Vielfalt wurde übersehen.

Die am häufigsten nachgewiesene und daher ständig zitierte Grundszene ist jene von der Gefangennahme und Befreiung in allen denkbaren Variationen. Gefangengenommen zu werden ist der Alptraum des Häftlings; trotz aller Verdrängungen ist dieser Sachverhalt so gegenwärtig und die Situation des Abenteuers, das der Reisende zu bestehen hat, so geeignet, daß die Szene sich bis weit ins Alterswerk hinein ständig wiederholen muß. Der Traum des Gefangenen von der Erlösung, von der Befreiung schließt sich zwingend an. Sich zu befrei-


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en, aber auch, befreit zu werden ist in zahlreichen Abwandlungen die Folge dieser Grundszenen. Wir könnten über diesen Sachverhalt einfach hinweggehen, da die Folgerungen zu offenkundig sind, wenn die Parallelszenen des Gefangennehmens und der Gefangenenbefreiung nicht ebenfalls auffällig gehäuft im Werk aufträten. Beide sind Gegenspiegelungen: nicht das Ich ist das Opfer; die wahren Täter sind in der bösen Außenwelt, und das Ich ist der Hüter des Gesetzes. Ebenso einleuchtend die Gegenspiegelung der Gefangenenbefreinng: da schmachten Unschuldige in Kerkern und Banden, und das siegreiche, vom Makel freie Ich ist der Erlöser.

Hier deuten sich die Mechanismen an, die May so zwanghaft beherrschten, daß er wiederum sie zu Mechanismen seiner Arbeitstechnik machte, um sich von den Folgen seiner Vergangenheit zu befreien.(30)

Auf eine weitere Grundszene hat Stolte hingewiesen; das ist die Spiegelung des bekannten »Uhrendiebstahls«.(31) Eine weitere Grundszene liegt offenbar vor, weil Uhren einen zwar vergleichsweise bescheideneren, aber doch unverhältnismäßig breiten Raum im Werk einnehmen. Uhren haben bei May oftmals regelrecht Handlungsfunktionen. Sei es die Uhr des Sahaf Ali aus den »Schluchten des Balkan«, der eine ganze Szene gewidmet ist; sei es in den Ruinen von Baalbeck, wo der Dieb seiner Taschennhr sich im finsteren, unterirdischen Gang durch das Ticken eben dieser Uhr verrät und somit Kara ben Nemsi das Entkommen ermöglicht. Sei es die Uhr in der alten Mission am Silbersee aus dem »Fürst der Bleichgesichter«, die durch ihr Verstellen einen besonderen Coup ermöglicht, oder die prächtige Uhrkette aus dem »Scout«, die einer besonderen Erwähnung wert ist. Und Gegenspiegelungen sind die zahlreichen Uhrverstecke; die versteckte Uhr wird durch ein Symbol ersetzt. Uhren, immer wieder Uhren.

Die Häufung von Uhren im Werk ist in der Tat nur dadurch erklärbar, daß der »Uhrendiebstahl« den Bruch in Mays Leben bezeichnete; jenes Erleben, das ihn fast schuldlos aus der Bahn warf. Und doch scheint dieses Erleben erforderlich gewesen zu sein, um aus dem Lehramtsaspiranten May den Schriftsteller May werden zu lassen. Ohne den Bruch im Leben ist es sehr fraglich, ob May jemals Schriftsteller geworden wäre; schon gar nicht ein Schriftsteller dieser einmaligen Ausprägung. May: ein biederer, saturierter Lehrer - unausdenkbar!


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Der Zusammenhang weiterer Grundszenen, die noch aus dem Werk isoliert werden müssen, mit den Daten und Fakten aus Mays früher, »vorschriftstellerischer« Zeit liegt zwingend nahe. Eine sorgfältige Analyse der Texte muß uns hier weitere Aufschlüsse liefern. Nachdem die Fehsenfeld-Texte weitgehend wieder zugänglich sind, ist weiterer Aufschluß noch von der Veröffentlichung der Zeitschriftentexte zu erwarten.(32) Die frühen Varianten seiner Werke sind für eine präzise Untersuchung besonders wertvoll, solange die Handschriften nicht zur Verfügung stehen. Das muß eines Tages auch Auswirkungen auf die leider immer noch ausstehende textkritische Gesamtausgabe der Werke Mays haben. Neben der Fassung letzter Hand für die künstlerischliterarische Wirkung kann auf die frühen Versionen seiner Texte für die Aufhellung der Schaffensgrundlagen bei May nicht verzichtet werden.

Hier sei noch eine Anmerkung zu der von Wollschläger isolierten »Urszene« gemacht.(33) Wollschlägers Hypothese ist nicht unbestritten geblieben; da sie einen Sachverhalt betrifft, dessen genaue datenmäßige Aufhellung ausgeschlossen ist, wird sie Hypothese bleiben müssen, was ihren Wert nicht mindert. Ich neige zu der Auffassung, daß zumindest der Liebesentzug, den das blinde, vielleicht ungeliebte, zumindest aber in der bitterarmen Weberfamilie lästige Kind erfahren haben muß, Ausgangspunkt der Liebessehnsucht wurde, die Mays Werk beherrscht. Daher ist es nicht so entscheidend, ob Wollschläger in den Details seiner Darlegung recht hat, seine Folgerungen sind jedenfalls zwingend. Die Spiegelungen, die jene von Wollschläger postulierte »Urszene« im Werk gefunden hat, legen zudem den Schloß nahe, alle Grundszenen im Werk könnten Spiegelungen weniger Urszenen im Leben sein.

Es muß sicherlich heute noch offenbleiben, ob es nur eine - entscheidende - Urszene bei May gibt; dafür spräche die Verlagerung an den ziemlichen Beginn seines Lebens, also in die frühen Kinderjahre; oder doch mehrere, wozu ich neige; dafür spräche der Bruch im Leben, der ihn schließlich zum Schriftsteller machte. Sicher ist davon auszugehen, daß es einige wenige Daten in seinem frühen Leben gibt, die Schlüsselfunktionen für sein gesamtes Werk einnehmen.


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VII

Die von Lebius später so maßlos aufgebauschten Abenteuer in der sächsischen Heimat, jene pseudologisch begründeten Taten, erfuhren ihre großartige Umsetzung im romanhaften Geschehen, in der Schilderung orientalischer Abenteuer. Nicht nur Bach hat in bemerkenswerter Weise auf die Bedeutung der »Fluchtlandschaften« hingewiesen(34), auch E. A. Schmid fand bereits Ausprägungen dieser Art.(35) Mögen also äußere Eindrücke in der Heimat May beflügelt haben, mögen sie ihm Vorlage für die phantasievolle Ausgestaltung und bewußte Umsetzung in exotische Exterieurs gewesen sein; seine Erlebnisse und Taten in Sachsen nahmen in den unbewußten Schichten seines Inneren soviel Raum ein, daß sie ständig wieder einflossen in sein Werk, in seine unbewußte Umsetzung in orientalische Märchen und Abenteuer.

Was wir im Wilden Westen vermissen müssen, im Orient finden wir es immer wieder: jene tiefe Anteilnahme an Menschen und Geschehnissen, diese dranghafte Gestaltung echter Ereignisse im orientalischen Gewande. Irrte May sich also so sehr, als er im Alter, von der Presse verfolgt und geächtet, auch das Frühwerk als Märchen, als in das Gewand des Märchens gekleidetes inneres Erleben bezeichnete?(36) Er hatte in einem höheren Maße recht, als die Forschung ihm bislang zugestehen wollte. Die Rettungsmechanismen seines Unbewußten schufen damit im Orient jenen großen Erlösungsroman, den der verwundete, isolierte und von der Gesellschaft ausgestoßene Exhäftling brauchte, wieder zu einer annehmbaren Identität zu finden; er fand zu sich selbst zurück, fand sich neu.

Sein Unglück begann mit dem Uhrendiebstahl, jener von ihm nie anerkannten Beschuldigung, deren Folgen ihn doch zerbrachen. Er saß in Haft und hatte seine Existenz als Lehrer verloren - darum wollte er später immer der Lehrer seiner Leser sein! Er kam frei, seine pseudologische Komponente setzte sich durch; er wurde verhaftet, verurteilt und saß in Osterstein und dann in Waldheim, wo die Wandlung einsetzte. Daß dann nochmals eine Verurteilung erfolgte, hinterließ bei ihm schon geringere Spuren; seine Wunden waren nicht mehr so tief, und fast war es nur ein Unfall, ein Straucheln auf seinem Weg zur endgültigen Rettung. Die so unverständlichen Verfolgungen in der Banda Oriental begannen daher auch mit einer Verwechslung. Lator-


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re, den er nie antraf, war die Ursache des Ungemachs, und alle Folgen beruhten eigentlich nur auf dieser Verwechslung.

Blenden wir zurück nach Sachsen, wo ein Verleumder ihn bezichtigt hatte, seine Uhr entwendet zu haben. Man hatte seinen Beteuerungen, seinen Erklärungen des wahren Sachverhalts nicht geglaubt.(37) So beruhte auch die Anschuldigung in der Banda Oriental vor dem »Kriegsgericht« nur auf einer Verleumdung. Man hatte etwas in seiner Kleidung versteckt, den »gefälschten« Beweis seiner Schuld ins Futter der Kleidung genäht; wie er einst in Sachsen die Uhr in seiner Kleidung verbarg, aus Entsetzen, obwohl er doch unschuldig war. Das Urteil des »Gerichts« war vorgefaßt; voreingenommen auch die Meinung der Gesellschaft gegen ihn damals in Sachsen. Aber es war seine Uhr, die der Major der Jordanisten nun in die Tasche steckte, und der Fliehende rettete sie daher auch zuerst, die Tatsachen damit ins rechte Licht rückend: er behält und nimmt nur, was ihm wirklich gehört! Darum gibt er dem Major auch später an der »Peninsula del Jacare«, als dieser in seine Hände fällt, dessen Uhr sogleich zurück.

So war aber auch die Wahrheit damals in Sachsen, fremde Uhren gab er stets zurück, denn er hängte sie nach der Unterrichtsstunde immer sogleich an den dafür bestimmten Haken. Als er dann in Sachsen das nächste Mal in schwere Bedrängnis geriet und die Gefahr, nun vollends von der Gesellschaft verstoßen zu werden, immer dräuender wurde, brachte der Katechet Kochta in Waldheim die Wende(38), und die Befreiung zu neuer, bürgerlicher Existenz entstand ihm schon in der Geborgenheit der Mauern von Waldheim. In der Banda Oriental läuft er fast ins Unglück: in den Sumpf, und das ist auch ein bezeichnendes Gleichnis für die Lage, in die er zu Hause geraten war.(39) Nun aber stellt sich der Bruder Jaguar vor ihm auf, um ihm den richtigen Weg und die Sicherheit in den Mauern des Rancho zu weisen, und bestimmt eine Weile das Geschehen, wie einst Kochta in Waldheim.

Wenn der Sendador-Roman in der bisherigen May-Forschung bei weitem zu kurz gekommen ist, so aus dem Grunde, daß seine eigentliche Funktion verborgen blieb. Seine Aufgabe, dem Dichter Befreiung zu verschaffen, Erlösung von einer nicht anerkannten Vergangenheit und Ersatz aus den Tiefenschichten seines dichterischen und persönlichen Seins, blieb unerkannt. Mit dieser Aufgabe aber bildete der Roman für May den Ubergang zu seinem weiteren Schaffen. Es kann nicht zufällig sein, daß auch jener dunkle Teil seines Werkes, der so


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folgenschwer werden sollte, endgültig hinter ihm lag: die Kolportage. May war nun innerlich und äußerlich frei geworden. Er hatte sich von den Schatten seiner Erinnerung gelöst, die Dämonen hatten ihn verlassen. So ist es nicht entscheidend, ob die Stimmen der dunklen Gestalten in seinem Innern, von denen er in seiner Biographie berichtete(40), wörtlich zu nehmen sind oder nur Symbole seines inneren Kampfes bedeuten - ihre Spuren schwanden. Aber auch äußerlich wurde er frei: er hatte Einkommen und eine bürgerliche Existenz, er war wieder in die Gesellschaft integriert. Vor ihm lagen die schönsten Jahre seines Lebens, wie es ihm in der Rückschau erscheinen sollte. Er gewann eine große Leserschaft, einen Verleger, der ihm sicheres Einkommen bot, und Reputation!

VIII

May hat, wie wir heute wissen, Begebenheiten und Personen seines Lebensweges vielfach im Werk gespiegelt. Die Forschung hat bislang dafür zahlreiche Belege aus Mays letztem Lebensjahrzehnt nachgewiesen; schon der »älteren« May-Forschung war dieser Sachverhalt jedoch in Ansatzpunkten bekannt.(41) Dabei handelte es sich aber um künstlerisch gewollte und gekonnte Spiegelungen aus seinem Alterswerk, als May zum Symbolroman gefunden hatte und bewußter als in seinen früheren Schaffensperioden schrieb.

Schon lange vor den gewollten Spiegelungen gab es Niederschläge im Werk, über die der fleißig schaffende Schriftsteller sich selbst keine Rechenschaft gab, die ihm wohl auch zumeist nicht bewußt wurden. Diese Botschaften aus dem unbewußten Bereich seiner Seole sind heute für die Forschung besonders wertvoll, geben sie uns doch Aufschlüsse aus einem Bereich, über den May lange Jahre einen Schleier legte und den er noch in seiner Biographie verhüllte. Wertvolle Aufschlüsse auch deswegen, weil sie nicht vom kontrollierenden Verstand beeinflußt werden konnten. Wir müssen nur den Schlüssel finden, wie das Ich in der großartigen Szenerie der Totenstadt im »Mir von Dschinnistan«, um die Botschaften aus Mays Unbewußtem zu entziffern.

May hat in seiner Selbstbiographie dem katholischen Katecheten Kochta eine Schlüsselrolle zugewiesen. Ein Mann, der den gedemütigten Gefangenen aus seiner geistigen und seelischen Isolierung führte,


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ihm neue Impulse gab und ihm auch in der dem Gefängnis eigenen Ordnung einen hervorgehobenen Status verlieh, muß starke Wirkungen auf den Gefangenen ausgeübt haben. War sein Einfluß aber so weitwirkend, wie May es in seinem Alter darstellte? Führte er wirklich zu neuen Einsichten, die sein Leben einschneidend verändern sollten; war die Begegnung mit Kochta der Wendepunkt im Leben des Gestrauchelten? Die Beantwortung dieser Fragen ist heute für die May-Forschung von großer Bedeutung, weil sie sich anschickt, zu den Urgründen von Mays Schaffen vorzudringen. Dabei zeigt sich, daß bislang unbeachtete Daten und Fakten neue Bedeutung annehmen. Die Forschung hat bislang der Person des Kochta wenig Bedeutung beigemessen, immerhin sind einige Daten seines Lebensweges bekannt.(42) Sonderlich aussagekräftig sind sie jedoch nicht, vermitteln sie doch kaum mehr als einige Stationen seines äußeren Lebensweges, über Charakter und Wesen sagen sie uns nichts. War Kochta aber so bedeutend, daß er für May die behauptete Wende darstellte, dann mußte sich auch im Werk sein Einfluß widerspiegeln, mußte Spuren hinterlassen haben. Johannes Kochta, katholischer Anstaltskatechet aus dem Zuchthaus Waldheim, welchen Schlüssel wählte sich Mays Unbewußtes? Einen braven, bescheiden biederen, gar demütigen Mann, der dem Nächsten dient, oder eine der Gegenspiegelungen; wie sind die Techniken, mit denen das Unbewußte arbeitete?

Ein Katechet ist ein Laie, der religiöse Unterweisung erteilt.(43) Ein Lehrer oftmals, gleich welche Funktionen er daneben noch bekleidete. Für May in Waldheim aber war er mehr als das, so jedenfalls berichtet uns der Autobiograph. Nehmen wir ihn beim Wort, dann war der Katechet auch der Retter des Gefangenen, der ihm Halt gab, den rechten Weg wies und ihn erlöste. Kochta war die Wende; er nahm des Gefangenen Geschick in seine Hand und führte ihn, denn er hatte die Fähigkeit dazu; die Macht, denn er gehörte zur Anstaltshierarchie. Die Schlüsselworte sind: katholisch - auch wenn es nicht ausgesprochen wird, Laie - auch wenn dieses Wort nicht fällt, und Macht - und auch dieses Wort fällt nicht. Mays Unbewußtes arbeitet nicht in Begriffen, sondern in Symbolen. Und Träger aller dieser drei Symbole ist der Frater Jaguar. Er ist Frater, und das bedeutet Laienbruder eines (katholischen) Ordens im Gegensatz zum Pater, dem theologisch vorgebildeten, geweihten Mönch. Und er hat Macht über seine Umwelt, die zwar diesmal nicht aus der Hierarchie erwächst (es sei denn aus der


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ungeschriebenen des Urwalds und der Pampa), sondern aus seiner Persönlichkeit. Auch die weiteren Erinnerungen an Kochta werden zur Deckung gebracht. Er bietet dem Fliehenden (Gefangenen) Halt, warnt ihn vor dem falschen Wege, weist ihm den Weg zur Sicherheit und übernimmt dann für ihn die Handlungsaktivität.

Nun gibt es Details in Mays Leben, die eine einfache Spiegelung im Werk nicht ermöglichen, Begebenheiten und Fakten, die sich nicht einfach umsetzen lassen. Wir erinnern uns: May war nach seiner Darstellung von Kochta, obwohl es noch katholische Orgelspieler in Waldheim gab, ausgewählt worden, im katholischen Gottesdienst die Orgel zu spielen.(44) Damit also begann das Kapitel Kochta, das nach der Biographie mit der Erlösung des Gefangenen, mit seiner Umkehr und dem neuen bürgerlichen Weg als (Redakteur und) Schriftsteller endete. Bei der Gleichsetzung/Spiegelung Kochta/Frater Jaguar kann die Orgel nicht die Rolle spielen, die sie im Leben hatte. Aber wie dranghaft Mays Schaffen in diesem Banda-Oriental-Abenteuer war, zeigt, daß die Orgel gleichsam vorgespiegelt erscheinen mußte. Sie ist da, gleich zu Beginn dieser Erlösungsreise in Montevideo, und er, der (protestantische) Reisende spielt besser als der eigentliche (katholische) Organist. Auf der Handlungsebene nur ein kleiner, auflockernder Einschob, in der Spiegelebene eine notwendige, unentbehrliche Wiedergabe des auslösenden Ereignisses. Kochta und die Orgel! Auch in Sachsen war das nur Beginn; nicht das Orgelspiel war wichtig, sondern das Verständnis des Kochta für den Gefangenen, sein Einsatz für ihn und der neue Weg, den er wies. Darum ist in Uruguay der Frater wichtiger, auf den unmittelbaren Bezug zur Orgel kann verzichtet werden.

So stimmt auch der Rest. Die zwangsläufige Passivität des Gefangenen findet ihre Spiegelung in der Passivität, in die der Reisende sich begibt, als er sich unter den Schutz des Fraters stellt, seinem Rat gehorcht und in die schützenden Mauern (Gefängnismauern!)(45) des Ranchos tritt. Das ist so selbstverständlich, so zwingend in der Handlungsebene und doch durch die gespiegelte Vorgabe der sächsischen Ereignisse biographisch exakt dargestellt. Darum bleibt der Frater Jaguar auch der Handelnde für eine ganze Weile. Er allein wehrt die Bolamänner ab, er allein bändigt den zügellosen Ubermut. Der Handlungsfähigkeit des Anstaltskatecheten entspricht die des Fraters.


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IX

Wenn schon aus anderer Sicht dargestellt wurde, daß für den jungen Schriftsteller May das Schreiben eine Erlösungsfunktion hatte, dann ist damit vor allem das Problem des pseudologisch Veranlagten gemeint, dessen Aktivität von Handlungen, die eine unbedarfte Umwelt nur als kriminell begreifen konnte, auf Tätigkeiten, die den Geist durch Ersatzreaktionen fesselten und beschäftigten, gerichtet werden mußte.(46) Der handelnde Pseudologe wurde zum Erzähler. Diese Befreiungsfunktion des Schreibens, die Erlösung von Zwängen, die auf ungewollte Tätigkeiten drängten(47), war eine wesentliche Voraussetzung der von May so sehr erstrebten Eingliederung in die bürgerliche Gesellschaft und Erreichung geachteter und beachteter Positionen in dieser. Eine viel tiefer liegende, zugleich unmittelbare Erlösungsfunktion hatte das Schreiben aber durch die Veränderung der Grunddaten in Mays Leben. Wenn der alternde May, angefeindet und wieder einmal verleumdet, eine Rechtfertigung auch für seine frühen Werke suchte - Vorstudien nämlich seien sie für sein eigentliches Schaffen gewesen, Einübung vor allem des ungeübten Lesers, den er nicht unmittelbar an seine Erkenntnisse habe heranführen können; daher seien auch diese Schriften symbolisch zu verstehen, doch seien leider noch zu wenige in der Lage, auch den Schlüssel dazu zu finden - dann war das sicherlich eine Selbsttäuschung des alternden Dichters, als er zum Symbolroman übergegangen war: die Forschung ist sich in der Deutung seiner Rechtfertigung, derer er nicht bedurfte, einig. Und doch hat der junge, noch um Ausdruck und Form ringende Schriftsteller bereits dem alten Dichter eine glänzende Rechtfertigung geliefert, denn auch diese Frühwerke sind Schlüsselromane, wenn deren Verschlüsselungen auch nicht Erzeugnisse des planenden Geistes, sondern des dranghaft nach Rehabilitation strebenden Unbewußten waren.

Spiegelungen des Ich erscheinen vor uns; ja, eine wahre Flut von parallelen Ichs. Was der junge May erlitten und erduldet hatte; was eine unduldsame und dem ungebärdigen Genie des jungen Schriftstellers gegenüber unverständige Öffentlichkeit ihm versagte, das schuf sich qualvoll neuen Ausdruck in Hunderten und Tausenden von Seiten. Vor allem aber die Zeit seiner pseudologisch bedingten Verwirrung fand Spiegelung um Spiegelung im Werk. Demütigungen und Verdächtigungen, Kränkungen und Niederlagen, die sein angeschlage-


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nes Bewußtsein nicht mehr verarbeiten konnte und daher verdrängthatte, wurden von einem gnädigen Unbewußten umgeschmolzen und in eine neue Realität gegossen und dem Leidenden so präsentiert, daß er vor sich selbst bestehen konnte. Er ertrank in der Flut von Bildern und Geschehnissen, die da ständig wuchernd neu geschaffen wurden, in ständig wechselnden Szenen, Variationen weniger Grundthemen.

Ein völlig neues Universum entstand da in den Tiefen des Unbewußten, das nach neuer Verwirklichung drängte, in immer wechselnden Ausdrücken und Abwandlungen nach Vollendung und Reife suchte. Was die unverständige Welt ihm angetan, wurde verarbeitet, neu gestaltet, geformt und in die bessere, richtigere Wirklichkeit eingefügt. Er formte sein Leben neu: Es formte ihn neu! Aus der Lüge, die man ihm anhängte, aus Unrecht, das ihm geschehen, wurde Recht, Rechtfertigung und Wahrheit.

X

Fassen wir es zusammen: May hatte dem Orient in seinem Werk eine besondere Funktion zugedacht, eine weibliche Gestalt sollte sein Symbol sein. So hat er es im Alter berichtet; die eigentliche Funktion aber verschwieg er dabei, weil sie wohl ihm selbst verschwiegen blieb: die Erlösung seines Ichs. Der Orient, aus dem nach Mays christlichem Verständnis der Erlöser kam, sollte auch ihn erlösen. Der Orient schuf nun ein neues Bild des Ich, das richtige Bild. Denn ganz anders als der Wilde Westen, der diese Funktion nie wahrnehmen konnte, bis er im Altersroman »Winnetou IV« dem Orient verschmolzen wurde(48), konnte er die unerwünschten, aber auch zu erlösenden Teile von sich abspalten. Sie wurden der Hadschi Halef mit dem langen Namen, aber auch der Ustad etwa. Und so begann im Orient die Erlösungsreise, die der Lebensweg des Ich war, und gleich beginnen die Schlüsselszenen, die das Unbewußte als Erlösungsmechanismus ins Werk der Handlungsebene einschiebt, die der planende Geist des jungen Schriftstellers durchaus noch, entgegen seiner späteren Stilisierung, als reine Abenteuerfabel verstand.

Gleichsam in einem ersten großen Versuch hatte May die verdrängten Ereignisse bereits in seinem Orient-Roman zum Teil gespiegelt. Szenen der Gefangenschaft finden wir über den ganzen sechsbändigen


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Roman verstreut; die falsche Anschuldigung ist da und auch die Uhr, die vom Mörder dem Franzosen Galingre abgenommen worden war und die der Reisende nur trenhänderisch an sich nimmt. Wir sehen, die Spiegelungen variieren! Er wird vor den Kadi geschleppt, viele Male, zu Unrecht beschuldigt und rehabilitiert.

Warum, so fragt man sich verwundert, muß er so bald nach Abschluß des großen Orient-Romanes all diese Szenen wiederholen? Warum alle diese Spiegelungen noch einmal, gedrängt auf kurzem Raum in der Banda Oriental? Der Versuch der Erlösung, im Orient ein erstes Mal unternommen, war mißlungen, mußte wiederholt werden. Der Orient hatte nur eine Richtigstellung gebracht, hatte die fehlgeleiteten Fakten aus Sachsen korrigiert; doch die wichtigste Begebenheit, die Erlösung durch einen Dritten, hatte er bei dem ersten Bekenntnis seines Unbewußten ausgelassen.

Der Erlöser fehlte, obwohl gerade der Orient May die Idee des Erlösers nahelegen mußte. Da der Orient ihm den Erlöser versagt hatte, mußte er zwanghaft repetieren, ein weiteres Mal, was damals in Sachsen geschah. So wechselte der ruhelose, unduldsame Trieb aus seinem Innern die Fakten ein weiteres Mal. Man sieht förmlich, wie die Zwänge in ihm wieder einsetzen, als das Reizwort Banda Oriental fällt. Uruguay nimmt, wahrscheinlich allein wegen seines zweiten Namens, die Ersatzfunktion des Orients ein; jedenfalls beginnt nun ein typisch orientalisches Abenteuer.(49) Banditen und Bluträcher, Steppen- und Wüstenbilder, in der Ferne die Salzseen, alle die bereits geträumten Bilder stellen sich wieder ein - und so beginnt zwanghaft der Mechanismus ein erneutes Mal abzurollen. Daher all die Brüche, die dem planenden Verstand vom Unbewußten aufgezwungen werden. So geläufig May die Schriftstellerei geworden ist: vor den Forderungen seines Unbewußten muß die Fähigkeit des Wachbewußten manchesmal kapitulieren und sich den tiefen Zwängen beugen.

Und nun stellt sich auch der Erlöser ein. Den katholischen Laienkatecheten hatte der Orient nicht geboten; der Laienbruder Frater Jaguar - dieses Bild erschien im katholischen Südamerika leichter. Ein katholisches Land Südamerikas als Ersatz-Orient: die Banda Oriental. Niemals ist er dahin später in seinen Träumen, seinen Werken zurückgekehrt. Der Erlösungsmechanismus seines Unbewußten hatte sein Ziel erreicht.

Kochta war die Wende!


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1 Heinz Stolte: Kriminalpsychologie oder Literaturpsychologie, in M-KMG Nr. 2/ 1969, S. 4

2 Arno Schmidt: Dya Na Sore. Karlsruhe 1958, S. 193

3 vgl. dazu vor allem die Aufsätze von Klaus Hoffmann (Karl May als »Räuberhauptmann« oder Die Verfolgung rund um die sächsische Erde, Der »Lichtwochner« am Seminar Waldenburg; u. a.) und Hainer Plaul (Auf fremden Pfaden?; Alte Spuren; u. a.) in den Jahrbüchern der KMG.

4 Nach Sigmund Freud neigen Menschen unter dem Druck ihrer inneren Verdrängungen dazu, in ihrem Phantasieleben durch Produktionen von Wunscherfnllungen die Mängel der Realität auszugleichen: »Unter gewissen günstigen Bedingungen bleibt es ihm noch möglich, von diesen Phantasien aus einen anderen Weg in die Realität zu finden, . . . Wenn die mit der Realität verfeindete Person im Besitz der uns psychologisch noch rätselhaften k ü n s t l e r i s c h e n Begabung ist, kann sie ihre Phantasien anstatt in Symptome in künstlerische Schöpfungen umsetzen.« (Freud: Über Psychoanalyse. Fünf Vorlesungen (1909), zitiert nach: Freud: Darstellungen der Psychoanalyse. Frankfurt a. M.1969, S.95).

5 Heinz Stolte: Die Reise ins Innere. Dichtung und Wahrheit in den Reiseerzählungen Karl Mays, in Jb-KMG 1975, S. 11 ff.

6 Stolte: Das Phänomen Karl May. Bamberg 1969, weist auf S. 14 darauf hin, daß Mays Straftaten zumeist »Delikte der P h a n t a s i e« gewesen seien. Er erwähnt dabei m. W. zum ersten Mal den Begriff der »Pseudologla phantastica«, deutet ihn allerdings nur knapp aus (S. 16).

Claus Roxin: Vorläufige Bemerkungen über die Straftaten Karl Mays, in: Jb-KMG 1971, S. 74ff. setzt sich dann eingehend mit Mays pseudologischer Veranlagung auseinander.

7 vgl. dazu insbesondere die richtungweisenden Ausführungen von Hans Wollschläger: »Die sogenannte Spaltung des menschlichen Innern, ein Bild der Menschheitsspaltung überhaupt«. Materialien zu einer Charakteranalyse Karl Mays, in: Jb-KMG 1972/73, S. 11ff.

8 Karl May: Mein Leben und Streben. Reprint der Ausgabe Freiburg o. J. (1910). Vorwort, Anmerkungen, Nachwort, Sach-, Personen- und geographisches Namenregister von Hainer Plaul. Hildesheim-New York 1975, S.137f.

Karl May: Der dankbare Leser. Reprint der Ausgabe Freiburg 1902. Ubstadt 1974, S.14: Alle diese Werke sind Spiegel.

9 Ingrid Bröning: Die Reiseerzählungen Karl Mays als literatur-pädagogisches Problem. Ratingen-Kastellaun-Düsseldorf 1973, weist auf S. 28f. auf diesen Sachverhalt hin: »Wichtig ist, was Karl May mit dem Hinweis . . . ausführt und durch seine Haltung bestätigt wird. «

10 Schon Freud (a. a. O. S. 75) sagte dazu: »Er soll unter völligem Verzicht auf solche kritische Auswahl alies sagen, was ihm in den Sinn kommt, auch wenn er es für unrichtig, für nicht dazugehörig, für unsinnig hält, vor allem auch dann, wenn es ihm unangenehm ist, sein Denken mit dem Einfall zu beschäftigen.« Wie unangenehm May die Beschäftigung mit den aufblitzenden Einfällen aus seinem Unbewußten manchmal werden konnte, hat gerade Ilmer in seiner Studie über Mays Mutter-Tabu nachgewiesen (Walther Ilmer: Das Adlerhorst-Rätsel - ein Tabu? in M-KMG Nr. 34/1977, S. 32): Der »Schleier wird n i c h t gehoben«. Mays Ansätze zur Befreiung sind selten beim ersten Versuch erfolgreich.

11 Arno Schmidt: Sitara und der Weg dorthin. Karlsruhe 1963. Zur »Würdigung« dieser Studie vgl. insbesondere Stolte/Kloßmeier: Arno Schmidt & Karl May. Eine notwendige Klarstellung. Hamburg 1973.

12 Leben und Streben, S. 135: Ich stellte mir vor, die verloren gegangene Menschenseele zu sein und S.137: Ich will Gleichnisse und Märchen erzählen.

13 Leben und Streben, S. 210: Uebrigens ist der Ustad kein Anderer als Karl May, und die Dschamikun sind das Volk seiner Leser. Noch eingehender sind etwa seine Hinweise im »Freistatt«-Artikel vom 30.4.1910; heute in Jb-KMG 1976, S.239.

14 Bd. 12 (Am Rio de la Plata) und Bd. 13 (In den Cordilleren) der Gesammelten Reiseerzählungen.


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15 so Wollschläger: Karl May in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek 1965 S. 58: ». . . der zweiteilige Sendador . . . wuchert ihm unter der unlustigen Hand« Nenauflage: Karl May. Grundriß eines gebrochenen Lebens. Zürich 1976, S. 75.

16 Nach Roxin: Einleitung zum Reprint »Die Todes-Karavane«. Regensburg 1978, S. 3, benötigte May für die »Hausschatz«-Texte schon wegen der erforderlichen Studien die dreifache Zeit gegenüber den Kolportageromanen.

17 Anderer Ansicht ist Wollschläger (Karl May. Reinbek, S.52; Zürich, S.67): ». . . in Wirklichkeit aber hat May den Faden vÖllig verloren«. Roxin allerdings weist nach (Einleitung a. a. O., S.3 f.), daß der Bruch im Konzept nicht nur an May lag, sondern vor allem auch am Redaktionskonzept des »Hausschatz«. Zuzugeben ist ihm, daß die späteren Handlungsteile nicht die Vollendung der früheren erreichen.

18 Die Abhandlungen von Ilmer, Koch und Koscinszko sowie Stoltes Vortrag in Freiburg (1977) zur Tagung der KMG waren bei Abfassung der Abhandlung (April 1977) Verfasser noch nicht bekannt.

19 Zur Ausdeutung dieser Gestalten vgl. denAufsatz von Roxin: Vernunftund Aufklärung bei Karl May - zur Deutung der Klekih-petra-Episode im »Winnetou«, in M-KMG Nr.28/1976, S.25 ff.

20 Die Hinweise auf die Sonora in Mays Werken betreffen wohl eine Lücke im Schaffen, die er nie geschlossen hat. Auf Fred Hartons Bitte begleitet er ihn in die Sonora, wo dessen Bruder Old Death eine vielversprechende Bonanza entdeckt hatte (May: Der Scout. Reprint der KMG und der Buchhandlung Pustet. Regensburg 1977, S. 122). Sennor Pena freilich verrät dem Reisenden erst beim Wiedertreffen in Südamerika, daß auch er damals in der Sonora eine Goldader suchte und fand. »In der Sonora« heißt endlich das erste Kapitel in »Satan und Ischariot I«, und auch hier findet sich gleich auf der ersten Seite der Hinweis auf Goldadern und weitere Erzvorkommen. May erwähnt aber mit keinem Wort, daß er in dieser Gegend schon Abenteuer erlebte; die Suche nach einer verschollenen Erzählung aus der Sonora dürfte daher ergebnislos bleiben.

21 Der Colorado Oberst Laurenzo Latorre war ab 1876 Caudillo von Uruguay.

22 Juarez und Bismarck treten im »Waldröschen«, Ludwig II. von Bayern in »Der Weg zum Glück«, Napoleon schließlich in »Die Liebe des Ulanen« auf; sie sind damit freilich nur Figuren in Mays Kolportageromanen.

23 Mit Ausnahme der 1893 geschriebenen Erzählung »Christ ist erstanden« (heute unter dem Titel »Auferstehung« in Bd.26).

24 Auch Ulrich Berger (»Am Rio de la Plata«, in Randolph Braumann: Auf den Spuren von Karl May. Reisen zu den Stätten seiner Bücher, Düsseldorf 1976) beginnt dort die Reise auf den Spuren Mays; ein Abstecher nach Uruguay führt zwar nach Montevideo, folgt aber nicht den »unergiebigen« Spuren durch die Banda Oriental. Kosciuszko hat zwar inzwischen Mays Quelle für den Beginn der Reise in der Banda Oriental aufgefunden, gelöst wird das Problem dadurch freilich noch nicht.

25 Nach »Meyers Kontinente und Meere«, Bd. »Mittel- und Südamerika«. Mannheim-Wien-Zürich 1969, S.338 handelt es sich um die aus der Kolonialzeit überkommene Bezeichnung, die den Landstreifen im Osten der spanischen Besitzungen kennzeichnete. Auch heute noch ist die offizielle Bezeichnung »Republica Oriental del Uruguay«.

26 1880 erschien »Der Kiang-lu«; 1888 die Jugenderzählung »Khong Kheou, das Ehrenwort«; 1889 der erste Teil des »Sendador«.

27 s. Anmerkung 21

28 Wollschläger (Karl May. Reinbek, S. 53; Zürich, S. 67) nennt es freilich eine »heillose Geläufigkeit«.

29 Der 1888 im 15. Bd. des »Hausschatzes« erschienene »Scout« kannte nochdas Greenhorn echter Prägung, das auch Fehler machen konnte und der Führung durch die erfahrenen Kenner des Landes bedurfte. Das Greenhorn in »Winnetou I« dagegen zeigt schon alle Anzeichen heldischer Überhöhung. Vgl. dazu auch Guntermanns Ausführungen über den »Weißen Helden« in: M-KMG Nr.20/1974, S.21.

30 Bröning, a. a. O., S.30

31 Stolte: Die Reise ins Innere, in: Jb-KMG 1975, S.23ff.


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32 Roxin, Einleitung zu »Durch das Land der Skipetaren« (Hausschatz-Reprint), S. 5 betont die der Ur-Handschrift sehr nahe »Hausschatz«-Fassung und kommt zu dem Ergebnis, daß für alle textkritischen Untersuchungen auf den Urdruck zurückzugreifen sei. Da schon Franz Kandolf (Der werdende Winnetou, in: KMJB 1921. Radebeul 1920, S.337) postulierte: »Der Forscher hat sich vor allem an die Erstausgaben der Arbeiten des Dichters zu halten, besonders an die alten Jahrgänge des »Deutschen Hausschatz« und an die früher von Münchmeyer-Dresden herausgegebenen Erzählungen«, ist es eigentlich erstaunlich, daß über ein halbes Jahrhundert vergehen mußte, bis dem Rechnung getragen wurde.

33 Wie Anmerkung 7

34 Wolf-Dieter Bach: Fluchtlandschaften, in: Jb-KMG 1971, S.39ff.

35 E. A. Schmid: Der unterirdische Gang, in Graff-Anzeiger, Nr. 11, 1976, S. lOff.

36 Leben und Streben S. 141: Also alle meine Reiseerzählungen . . . sollten bildlich sollten symbolisch sein. S. 211: Indem ich alle Fehler des Hadschi beschreibe, schildere ich meine eigenen und lege eine Beichte ab.

37 Plaul, Anm. 105 zu »Mein Leben und Streben«, weist auf einen einstündigen Umweg hin, den die Rückgabe der Uhr vor Reiseantritt erfordert hätte.

38 Bröning, a.a.O., S. 28; Wollschläger: Karl May, S. 34/S. 45 äußert sich zunächst recht skeptisch über die Kochta zugeschriebene Rolle; differenzierter nimmt er jedoch in seiner Charakteranalyse (Jb-KMG 1972/73, S.47) Stellung.

39 Leben und Streben, S. 67, 114, 180

40 Leben und Streben, S. 114 und 176

41 vgl. dazu die Ausführungen von E. A. Schmid über Wahrheit und Dichtung in »Ich«. Radebeul 1940, S.496ff. (Verf. Iag die 15. Auflage vor).

42 Plaul, Anrnerkungen zu »Mein Leben und Streben«, S.387

43 May selbst nannte ihn Anstaltslehrer (Leben und Streben, S. 170).

44 Leben und Streben, S. 171

45 Leben und Streben, S. 318: Damals, als ich mich im Gefängnisse befand, da war ich frei. Da lebte ich im Schutze der Mauern.

46 Ein unterdrücktes Motiv strebt ständig nach einem Ersatzziel, das sein Ausleben gestattet. Die Übersetzung des Ursprünglichen in den Ersatz geschieht mit Hilfe der für die Traumarbeit geltenden Mechanismen (nach »Lexikon der Psychologie«, Bd. I/2, Herderbücherei. Freiburg 1972, Spalte 524).

47 Leben und Streben, S. 126.

48 Tatellah Satah und Marah Durimeh gehen ineinander über; sie haben nicht nur die zeitliche Dimension verloren; auch ihre Genusfunktion ist erloschen, alle Komponenten gehen in eine rein geistige Funktion über. May deutet an, was aus der Geisterschmiede im Walde von Kulub hervorgehen sollte: der von allen irdischen Schlacken befreite Geist.

Nach Ekkehard Koch: Karl May und die indianische Religion, in: M-KMG Nr. 6/1970, S. 6, stehen Tatellah Satah und Marah Durimeh für die Menschheitsseele. Wie zahlreiche Gestalten Mays stehen sie sicherlich, zumal in unterschiedlichen Leseebenen, für variable Symbole. Doch auch Koch deutet die Verschmelzung der Gestalten an.

49 Mays Gestalten aus Südamerika erinnern nicht an die weiteren (nord-)amerikanischen Abenteuer. Es gibt keine roten Brüder, die Indianer werden gesiezt. Es fiele auch nicht schwer, sie zwischen Bagdad und Stambul zu plazieren - nur die Verkleidung ist anders.


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