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ERICH HEINEMANN

Jubiläumstagung in Hannover ·
Zehn Jahre Karl-May-Gesellschaft 1969-1979

Man kann dieser KMG nur gratulieren zum 10.
Geburtstag, vor allem aber zu einem Autor, dessen
schier unheimliche Attraktivität auch auf dieser
Tagung jeden in Bann schlug. Denn an kaum
einem anderen Fall läßt sich über Literatur, ihre
Produktion und Wirkung so Vielfältiges zeigen
wie an Karl May. Bleibt die KMG auf ihrem
Weg der fröhlichen Wissenschaften, der ernst-
haften, vielschichtigen und auch spekulativen
Aufklärung, dann kann sie geradezu als Vorbild
für solche Art Unternehmungen gepriesen wer-
den.
Harald Eggebrecht · NDR Hannover, 29. 10. 1979



1

Für die Karl-May-Gesellschaft stand das Jahr 1979 im Zeichen ihres zehnjährigen Bestehens, und auch die Tagung, die vom 26. bis 28. Oktober im Hannoverschen Freizeitheim Vahrenwald statt-

fand, knüpfte an dieses immerhin recht denkwürdige Jubiläum an. Nun wollen zehn Jahre standhafter Existenz allein noch nicht viel besagen - die meisten der 138 literarischen und Dichtergesellschaften im Gebiet der Bundesrepublik, die wir kennen, sind älter als zehn Jahre -; erst durch ihren Inhalt bekommen sie Gewicht und gewinnen sie an Bedeutung. Was dies anbelangt, braucht sich diese Gesellschaft nicht zu verstecken. Sie kann mit einigem Stolz auf das Erreichte blicken, hat sie doch wesentlich dazu beigetragen, wenn nicht überhaupt erst dafür gesorgt,

· daß Karl May heute nicht mehr als Vielschreiber ohne literarische Relevanz, als bloßer Unterhalter anspruchsloser Leser abgetan wird,

· daß seinem Werk, auch auf wissenschaftlichem Gebiet, die Aufmerksamkeit, die ihm zukommt, gewidmet wird,

· daß dem Menschen Karl May, seinem Lebensweg, den inneren und äußeren Bedingungen seiner Existenz und seines Schaffens heute mit wissenschaftlicher und biographischer Gründlichkeit nachgegangen wird.


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Am Gründungstag, dem 22. März 1969, versammelten sich im Wintergarten der - inzwischen nicht mehr bestehenden - Casino-Betriebe an der Kurt-Schumacher-Straße 23 in Hannover elf Personen in der Absicht, eine Karl-May-Gesellschaft ins Leben zu rufen. Es waren dies: Ekkehard Bartsch, Erich Heinemann, Ernst Hildebrandt, Hartmut Kühne, Kurt Morawietz, Claus Roxin, Bernhard Scheer, Alfred Schneider, Ulrich Freiherr von Thüna, Ursula Wardenga und Mario Wernerus. Fünf weitere Personen hatten schriftlich ihr Gründungsvotum abgegeben, und zwar: Rudolf Beissel, Anton Haider, Hansotto Hatzig, Heinz Stolte und Hans Wollschläger. Bernhard Scheer und Ernst Hildebrandt sind inzwischen verstorben, die übrigen Gründer gehören der Gesellschaft noch heute - überwiegend in wichtigen Positionen - an. Initiator und Organisator war der damals 64jährige Alfred Schneider aus Hamburg, der seitdem als Geschäftsführer in rastloser Tätigkeit seine ganze Kraft dem Wohl der Gesellschaft widmet.

Nach ihrer Satzung strebt die Gesellschaft in erster Linie danach, das Werk Karl Mays zu wahren und Autor und Werk einen angemessenen Platz in der Literatur zu verschaffen.(1) Drei Hauptaufgaben zeichneten sich von Anfang an ab:

· Wir wollten das Werk Mays in seiner authentischen, unbearbeiteten Form bewahren und wieder zugänglich machen

· wir wollten Mays Lebensspuren so lückenlos wie noch irgend möglich festhalten und die Voraussetzungen für eine umfassende May-Biographie schaffen

· und wir wollten drittens Mays Riesenwerk der Interpretation erschließen, wobei wir von vornherein einen besonderen Akzent auf das Alterswerk gelegt hatten. (2)

Die Forschung um Karl May ist so viel-
fältig und mosaikartig, daß man eine Karl-
May-Gesellschaft gründen sollte ...
Groß-Dresden · Sonderheft Karl May
Heft 2/3. 1932, S. 8

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Diese Forderung, die schon im Jahre 1932 erhoben wurde, fand erst 37 Jahre später ihre Erfüllung. Aber Ansätze waren vorher schon vorhanden. Vor der KMG gab es die »Arbeitsgemeinschaft


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Karl-May-Biographie«. Sie bestand von 1963 bis 1968 und war eine lose Verbindung von May-Experten, die auf der Grundlage wissenschaftlicher Forschung arbeiteten. Die Arbeitsgemeinschaft trat nach außen nicht in Erscheinung. Interne »Mitteilungen« machten die Runde; eigene Veröffentlichungen kamen nicht zustande.

Gesellschaftliche Zusammenschlüsse von Karl-May-Lesern und -Verehrern, denen allerdings nicht an einer Forschung gelegen war, reichen zurück in die Zeit Karl Mays. Nach Karl Mays Tode konstituierte sich in Berlin die »Karl-May-Vereinigung«, die »Mitteilungen« herausbrachte (Nr. 1, April 1913), sich aber während des bald folgenden Krieges wieder auflöste. Am 20. 6. 1918 kam es zu einer Neugründung, jetzt unter dem Namen »Karl-May-Bund e. V.«. Ein Jahr nach der Gründung erschien die erste Nummer der »Mitteilungen«, in denen als Zweck des Bundes »die Pflege eines dem Volksempfinden entsprechenden gesunden, packenden und phantasievollen Schrifttums, wie es am klarsten durch den Namen des Volksschriftstellers Karl May gekennzeichnet wird«, genannt wurde. Doch auch dieser Zusammenschluß ist über seine Anfänge nicht hinausgekommen.

Über eine interessante Gründung in der Zeit des Zweiten Weltkrieges liegt folgender Bericht vor:

Der »Deutsche Karl-May-Bund« wurde am 20. 9. 1942 gegründet und hatte den Zweck, den wahren Karl May (im Gegensatz zu dem oberflächlichen, zum nordischen Kriegsrecken gestempelten Karl May des Nationalsozialismus) dem Volke näherzubringen. Aus diesem Grunde wurden in der Bundesarbeit vor allem auch die seit 1933 verbotenen symbolischen Werke des Dichters gepflegt. Der Bund hatte »Bezirke« in Berlin, Schlesien. Thüringen, Sudetenland, Wien, Steiermark, Rhein-Pfalz, Baden, Rheinland. Weitere Gründungen standen bevor in Bayreuth und München. . . Im Januar 1944 wurde der Bund durch die Gestapo als »staatsfeindlich« aufgelöst, weil »seine Bestrebungen mit denen des Nationalsozialismus nicht vereinbar waren«. Da trotzdem in verschiedenen Gruppen nach der Auflösung weitergearbeitet wurde. wurden verschiedene Mitglieder der Verfolgung der Gestapo ausgesetzt. Ich selbst wurde unter »staatspolitische Aufsicht« gestellt.(3)

Um 1950 existierte auch eine »Gesellschaft der Freunde Karl Mays e.V.«, die aber keine nennenswerte Beachtung fand. Als Vorsitzende zeichnete Lisa Barthel-Winkler.


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Die Geschichte unserer Gesellschaft, die
wie es sich gehört, der abenteuerlichen
Züge nicht entbehrt, ist noch zu schrei-
ben . . .
Claus Roxin * Rechenschaftsbericht 1979,
M- KMG 42,3

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In ihren »Gründerjahren« (1969-1973) mußte die KMG mit gewissen Turbulenzen fertig werden. Deren Ursache lag jedoch nicht im internen Bereich, sondern wurde von außen herangetragen. Recht bald kam es nämlich in Fragen der Forschung zu schwerwiegenden Meinungsverschiedenheiten mit dem Karl-May-Verlag in Bamberg. Die KMG bemühte sich unbeirrt und mit Erfolg, ihren eigenen Weg zu gehen. Sie brachte ein halbes Jahr nach der Gründung ihr erstes Mitteilungsblatt und im folgenden Jahr (1970) ihr erstes Jahrbuch heraus. Ihre Bemühungen, eine »ernst zu nehmende Forschung auch jenseits der Bubenromantik« (FAZ 21. 3. 1972) aufzubauen, fanden in der Öffentlichkeit Beachtung und Zuspruch. Mit der ersten Mitgliederversammlung 1971 in Kassel war die Konsolidierung erreicht. Die vergleichsweise noch recht bescheidene Veranstaltung löste ein starkes Echo in der Presse aus. Am Jahresende zählte die KMG 400 Mitglieder.

Das Verhältnis zum KMV spitzte sich 1972 zu, als dieser führende Mitglieder der KMG wegen nach seiner Meinung begangener Urheberrechtsverletzungen anzeigte. Kurz vor der Tagung in Regensburg im Oktober 1973, die der KMG zum großen Durchbruch verhalf, beendete eine durch behutsame Vermittlung zustande gekommene Vereinbarung die Streitigkeiten mit dem KMV. Dieser sicherte der KMG die Benutzung des Archivs ZU. (4)

Nach diesen nicht immer leichten Jahren des Aufbaus, in denen es die KMG auf 600 Mitglieder brachte, folgten Jahre kontinuierlichen, zielstrebigen Schaffens. Die Mitgliederversammlung 1975 in Gelsenkirchen brachte ein überwältigendes Votum für die Fortsetzung des eingeschlagenen Weges. Die Zahl der Mitglieder bewegte sich auf 700 zu. Große Aufmerksamkeit widmete die KMG jetzt ihrem breit angelegten Reprintprogramm, das 1976 durch die Aufnahme der »Hausschatz«-Reihe einen Höhepunkt erreichte. In der Familienzeitschrift »Deutscher Hausschatz« hatte Karl May von 1879 bis 1909 seine Reiseerzählungen veröffentlicht. Eine ge-


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radezu sensationelle Wiederentdeckung gelang 1978 mit dem Faksimiledruck des Doppelromans »Scepter und Hammer/Die Juweleninsel« (aus der Zeitschrift »Für alle Welt«); unter Experten hatte die Auffindung des vollständigen Urtextes lange Zeit als ausgeschlossen gegolten.

Die Tagung in Freiburg i.B. 1977 wandelte auf traditionsbezogenen Spuren: Von hier aus hatte einst die erste gesammelte Buchausgabe im Verlag F. E. Fehsenfeld ihren Weg angetreten, deren Dekor sich in einer (freilich bearbeiteten) Ausgabe bis heute erhalten hat.

Zur Tagung in Hannover im Herbst 1979 war die KMG auf mehr als 850 Mitglieder angewachsen. Eine erstaunliche Leistungsbilanz für das erste Jahrzehnt ihres Bestehens verzeichnet:

9 Jahrbücher, 49 Mitteilungshefte, 17 Sonderhefte, 4 Bde. »Materialien zur Karl-May-Forschung«. Zahlreiche Reprintausgaben (5 Lieferungen von Zeitschriftenjahrgängcn 1874-79, 2 Sammlungen »Für alle Welt« 1881-82. »Marienkalendergeschichten« 1898-1910, 7 Bde. »Deutscher Hausschatz«). mehrere weitere Schriften, eine Schallplatte mit Kompositionen Mays u. a.
= insgesamt 90 Schriften mit rund 18 000 Druckseiten.

»Wir haben damit ein Publikationsprogramm verwirklichen können, dessen Dimensionen einem mittleren Verlagsunternehmen zur Ehre gereichen würde. Die Investitionen, die dafür erforderlich waren, gehen in die Hunderttausende. . . «(5)

Die Jubiläumstagung konnte sich im satten
Erfolg zehnjähriger Arbeit wohlig sonnen,
und ein gutes Viertel der nunmehr 850
Mitglieder war aus allen Landstrichen der
Bundesrepublik Deutschland herangereist,
um dem Jubiläum ein unermüdliches und
interessiertes Auditorium zu sein.
Carl-Heinz Dömken · DIE WELT,
2.11.1979

5

Hannover, die Landeshauptstadt Niedersachsens, empfing die Teilnehmer der Tagung der Karl-May-Gesellschaft bei strahlend blauem Himmel, wenngleich die Temperaturen an diesen letzten schönen Herbsttagen norddeutsch kühl waren. Fehlten dem Stadtteil Vahrenwald auch Garten, Park und der Waldgürtel einer Eilenriede,


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so bot das neuzeitliche Gebäude an der Vahrenwalder Straße, Haltestelle der gerade fertiggestellten U-Bahn, doch alles, was eine Tagungsstätte erfordert. Hier, im Freizeitheim Vahrenwald, konnten annähernd 300 Personen ein ganzes Wochenende ausschließlich ihrem Autor widmen, in ideal dazu geeigneten Räumlichkeiten und Einrichtungen.

Schon auf der Straße winkten hohe Glasschaukästen mit Karl-May-Ausstellungsstücken. In der Empfangshalle vergegenwärtigte eine Präsentation, von Gerhard Klußmeier und Erich Heinemann gestaltet, was die KMG in zehn Jahren erarbeitet hat (nachzulesen in erläuternden Texten auf den Seiten 9-18 der Broschüre »Zehn Jahre Karl-May-Gesellschaft 1969-1979«, die eigens zur Tagung erschien). Daneben waren mehrere Vitrinen aufgestellt. Sie zeigten einen Querschnitt durch die Publikationen der KMG und Dokumente zu der im Programm vorgesehenen Lesung von »Babel und Bibel«. Ekkehard Bartsch stellte Material aus dem Archiv der KMG aus, Karlheinz Schulz eine Auswahl aus seiner Privatsammlung.

Nicht nur aus weiten Teilen der Bundesrepublik, wie die WELT berichtete, sondern auch aus dem benachbarten, ja sogar aus dem überseeischen Ausland kamen Gäste angereist. Aus den Vereinigten Staaten war Karl Mays Urgroßneffe Walter K. Fassmann gekommen.

Das Vorprogramm begann am Freitag um 17 Uhr mit zwei Filmen, die das Kommunale Kino beschafft hatte. Zu dieser Zeit hatten sich die Gäste schon in großer Zahl im unteren Saal, der zu geselligem Zusammensein einlud und auch zur Einnahme der gemeinsamen Mahlzeiten vorgesehen war, versammelt. Nahe der Tür stand der Empfangstisch, an dem Alfred Schneider in gewohnter Geschäftigkeit präsidierte, flankiert von Verkaufs- und Ausstellungstischen der Buchhandlung Bartsch und des Verlages Heinke. Nicht nur der Verlag Heinke konnte als Neuerscheinung eine ergänzende Folge seines Sammelwerkes »Für die Freunde Karl Mays« (Loseblatt-Ausgabe) vorlegen, gerade zur Tagung herausgekommen waren auch bei Olms, Hildesheim, der Reprintband »Schacht und Hütte«, der einzige Jahrgang dieser von Karl May begründeten und redigierten Zeitschrift (1875/76), eine Rarität, und im L. B. Ahnert-Verlag, Friedberg, das neue Buch des Zeichners und Pferdeschriftstellers Carl-Heinz Dömken »Karl May, Mein Rih«. Übrigens


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hatten auch Hannoversche Buchhandlungen aus Anlaß der Tagung komplette Karl-May-Fenster dekoriert.

Nach dem Abendessen sprach der Literaturwissenschaftler Dr. Harald Fricke (Göttingen) über »Karl May und die literarische Romantik«(6). Abenteuer, Märchen, Bekehrung, Läuterung, Mystik, die verschiedenen Elemente der Romantik, so Fricke, habe Karl May meisterhaft zu einem Ganzen verschmolzen. Der Vortragende zog zur Verdeutlichung seiner Ausführungen die »Surehand«Trilogie heran. Deren mittlerer Band habe im Gefüge der gesamten Romanhandlung seinen festen Platz, und seine Herauslösung in der späteren Bearbeitung sei durch und durch ein Mißgriff.

Nach diesem vielversprechenden Auftakt eröffnete Dr. Karlheinz Schulz seine nun schon traditionelle Auktion, assistiert von Herbert Meier und Hermann Wiedenroth. Inzwischen hatte ein Aufnahmeteam des NDR Hamburg den Saal mit Kabeln und Scheinwerfern in ein Fernsehstudio verwandelt. Versteigert wurden nur erlesene Sammlerstücke. Als kostbarstes Stück kam eine Heftsammlung des »Verlorenen Sohnes«, 1883, unter den Hammer; der Preis dafür: 1300 Mark.

Ich wünsche der Karl-May-Gesellschaft
weiterhin ein erfolgreiches Wirken, vor
allem auch hinsichtlich der Entschlüsse-
lung und literarästhetischen Aufarbeitung
des Alterswerkes Karl Mays, einer be-
sonders reizvollen Aufgabe, die sie sich
gestellt hat.
Dr Wolfgang Scheel · Bürgermeister
der Stadt Hannover

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Die Mitgliederversammlung am Sonnabendvormittag, zu der sich der Große Saal im Obergeschoß öffnete, leitete der Vorsitzende Prof. Dr. Claus Roxin mit einem einstündigen Rechenschaftsbericht ein, in dem er nicht nur eine Bilanz des Geleisteten den bei der Gründung vor zehn Jahren ins Auge gefaßten Plänen gegenüberstellte, sondern auch Stellung nahm zu dem, was nach Meinung von Kritikern nicht oder noch nicht erreicht worden sei, z. B. die große Gesamtbiographie.(7)

Anschließend trug Alfred Schneider als Geschäftsführer mit gewohntem Temperament den Kassenbericht vor. Günter Lempelius


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berichtete über die am 13. 10. 1979 durchgeführte Kassenprüfung und beantragte, dem Vorstand für die Führung der Geschäfte Entlastung zu erteilen.

Die anschließende Wahl, die Regierungsdirektor Engelbert Botschen leitete, ergab ein einstimmiges Votum für die Wiederwahl des bisherigen Vorstandes. Dieser setzt sich wie folgt zusammen: a) geschäftsführender Vorstand Prof. Dr. Claus Roxin (Vorsitzender), Alfred Schneider (Geschäftsführer), Erich Heinemann (Schriftführer); b) erweiterter Vorstand Prof. Dr. Heinz Stolte, Hans Wollschläger (stellv. Vorsitzender).

Die Mitgliederversammlung richtete von Hannover aus eine Grußadresse an Frau Ella Langer in Glauchau/Sachsen, eine Nichte Karl Mays, die am 12. 11. 1979 101 Jahre alt wurde.

Mittelpunkt der Tagung war das Podiumsgespräch am Nachmittag, das eine Spitzenriege von Experten zum Thema »Psychoanalyse und Karl-May-Forschung« bestritt. Das Gespräch leitete der bekannte Literaturwissenschaftler Volker Klotz mit einem Vortrag ein, in dem er die Psychoanalyse bei der Beurteilung literarischer Erscheinungen nur als Hilfswissenschaft gelten lassen wollte. Sein Fachkollege Dr. Helmut Schmiedt (Bonn) unterstützte ihn in wesentlichen Punkten, während der Germanist Dr. Harald Fricke (Göttingen) die Psychoanalyse als Wissenschaft gänzlich ablehnte. Andere Meinungen vertraten Hans Wollschläger, Prof. Dr. Dieter Ohlmeier und Wolf-Dieter Bach. Sie beurteilten die Psychoanalyse als eine Wissenschaft, die es ermögliche, fundamentale Erkenntnisse über das Wesen literarischer Werke und ihrer Verfasser zu gewinnen.(8) Das Gespräch unter Leitung von Dr. Martin Lowsky führte zu keiner Übereinstimmung der konträren Meinungen. Es überraschte auch nicht, daß die Zuhörer in leidenschaftlicher Anteilnahme mitgingen. Erwartungsgemäß widmeten die anwesenden Medien diesem Teil der Veranstaltung ihr besonderes Interesse. Das Nordschau-Magazin der ARD übertrug am 30. 10. 1979 längere Passagen der Debatte. Die Bereitschaft zu echter Auseinandersetzung, die in der KMG herrsche, lobte der Bericht des NDR vom 29. 10. 1979 als eine »Besonderheit und Qualität, die an anderen Orten des Literaturbetriebs keineswegs selbstverständlich« seien.

Mit einem Referat über »Karl Mays zeitgeschichtliche Kolportageromane« (Die Liebe des Ulanen, Der Weg zum Glück) leitete


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Christoph F. Lorenz den Abend ein. Dann folgte, schon zur Tradition geworden, der Festvortrag von Prof. Dr. Heinz Stolte, dem Begründer der akademischen Karl-May-Forschung. Als wir Älteren unsere ersten literarischen Kenntnisse über Karl May sammelten, geschah das anhand der 1936 erschienenen Schrift »Der Volksschriftsteller Karl May«, der ersten Doktorarbeit, die jemand über Karl May geschrieben hatte. Ihr Verfasser war Heinz Stolte, und gerade rechtzeitig zu dieser Tagung legte der Karl-May-Verlag den lange versprochenen Neudruck dieser in weiten Bereichen noch aktuellen Veröffentlichung vor. Der Vortrag war den »Abschieden« in Karl Mays Leben und Werk gewidmet.(9) Mit seinem geschliffenen Stil und seiner klangvoll-eindringlichen Vortragsweise, deren Duktus an die Lesungen Thomas Manns erinnert, erntete Heinz Stolte herzlichen, lang andauernden Beifall. Hartmut Kühne sorgte für die musikalische Umrahmung.

Ich habe ein einziges Mal etwas Künstle-
risches schreiben wollen, mein »Babel und
Bibel«. Was war die Folge? Es ist als
»elendes Machwerk« bezeichnet und der-
art mit Spott und Hohn überschüttet wor-
den, als ob es von einem Harlekin oder
Affen verfaßt worden sei. Da weicht man
zurück und wartet auf seine Zeit. Und
diese kommt gewiß.

Karl May · Mein Leben und Streben
Freiburg 1910, 299

7

Am Sonntagvormittag trafen sich die Tagungsteilnehmer in der Stadtbücherei an der Hildesheimer Straße. Direktor Dr. Jürgen Eyssen führte durch die Sonderausstellung »Reise- und Abenteuerliteratur aus früheren Jahrhunderten«, die die Stadtbücherei vom 4. bis 29. Oktober 1979 veranstaltete. Ein besonderes Erlebnis, das zugleich den Abschluß der Tagung bildete, erwartete die Mitglieder anschließend in der Tagungsstätte. Das Ensemble des Mittwoch-Theaters Hannover und die Theater-AG der Käthe-Kollwitz-Schule hatten unter Leitung von Dr. Heiko Postma (KMG) eine szenische Lesung von Karl Mays einzigem, bisher nie zur Aufführung gelangtem Bühnenstück »Babel und Bibel« ein-


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studiert. Der Grafiker Manfred Anders (KMG) hatte die Bühne mit Darstellungen der Marah Durimeh und des Abu Kital dekoriert. Als der Vorhang sich öffnete, saßen da an langer Tafel die dunkel gekleideten Darsteller, jeder ein Schild mit seinem Rollentitel vor sich. Das Stück war einfühlsam auf die Belange der Lesebühne zugeschnitten und sorgfältig eingeübt. Man merkte den Akteuren die Begeisterung am Spiel an. Das Publikum dankte nach über einstündiger Vorstellung mit lang anhaltendem, verdientem Beifall. Was Karl May sehnlichst, aber vergeblich erhofft hatte, 67 Jahre nach seinem Tode wurde es Wirklichkeit. Daß es »nur« in Form einer szenischen Lesung geschah, schmälert die Bedeutung nicht - und nicht das Verdienst derer, die sich um ein Zustandekommen bemühten.

Es war ein guter, denkwürdiger Ausklang der Tagung 1979 in Hannover.

Zweifellos gebührt der Karl-May-Gesell-
schaft das Verdienst, erstmals eine syste-
matische Erforschung von Leben, Werk
und Wirkung des großen Märchenerzäh-
lers in Gang gesetzt zu haben, ohne dabei
gleich Denkmalspflege zu betreiben.
Michael Petzel · Frankfurter Allgemeine
Zeitung, 9. l l. 1979

8

Einer besonderen Hervorhebung bedarf das Echo, das die Tagung der KMG in den verschiedenen Medien hervorrief. Wahrscheinlich sind nicht einmal alle Berichte zu unserer Kenntnis gelangt. Wir notierten folgende Sendungen im Hörfunk und Fernsehen:

26. 10. 1979: Norddeutscher Rundfunk, Radio Bremen

27. 10. 1979: Sender Freies Berlin, Norddeutscher Rundfunk (zweimal), Südwestfunk, Süddeutscher Rundfunk, Hessischer Rundfunk, Westdeutscher Rundfunk, RIAS Berlin

28. 10. 1979: Deutschlandfunk

29. 10. 1979: Deutschlandfunk, Norddeutscher Rundfunk, Südwestfunk, Radio Bremen, Saarländischer Rundfunk, Deutsche Welle (deutschsprachiger Dienst und fremdsprachige Dienste)

30. 10. 1979: Nordschau-Magazin (ARD)

25. 11. 1979: Norddeutscher Rundfunk

Aus Berichten in Tageszeitungen greifen wir heraus:


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11. 10. 1979: Karl May in- und auswendig; Mannheimer Morgen

18. 10. 1979: Der »Psycholog« Karl May; Braunschweiger Zeitung

19. 10. 1979: Abenteuer mit Karl May; Hannoversche Allgemeine Zeitung

24. 10. 1979: Karl-May-Jubiläumstagung; Neue Banater Zeitung, Temeswar
(Rumänien)

25. 10. 1979: Babel und Bibel aus Radebeul; Hannoversche Allgemeine Zeitung

1. 11. 1979: Karl May im Visier; Hannoversche Allgemeine Zeitung

2. 11. 1979: Old Shatterhand schrieb auch ein Stück; Mannheimer Morgen
Couch für Old Shatterhand; Die Welt
Winnetous Eintritt in die Wissenschaft; Frankfurter Allg. Zeitung
Winnetou und Kara Ben Nemsi für Wissenschaftler; Göttinger Tagebl.
Mit Winnetou in die Wissenschaft; Nordwest-Zeitung Oldenburg

13. 11. 1979: Karl May und die Literatur; Schaffhauser Nachrichten

15./16. 12. 1979: Karl-May-Gesellschaft besteht zehn Jahre - Gerechtigkeit für den Vater Winnetous; Westfalen-Blatt (ganzseitig)

9

Einen absoluten Rekord an Spenden verzeichnete das Jubiläumsjahr. Unserem bisherigen Brauch folgend, veröffentlichen wir nachstehend die Namen solcher Spender, die uns 100 Mark und mehr zukommen ließen. Unser Dank umschließt aber alle, die mit ihrer Spende, gleich in welcher Höhe, die Arbeit der KMG unterstützten.

M. Anders (Hannover), B. Arlinghaus (Dortmund), H. Backhaus (Neustadt), E. Berchem (St. Ingbert), M. Blankers (Holland), E. Botschen (Detmold), E. Burczinsky (Itzehoe), W. Cornel (Frankfurt am Main), C.-H. Dömken (Dörverden), W. Ellwanger (Bühlertal), E. Endisch (Wertingen), M. Fischer (Großaitingen), B. Giering (Berlin), D. Grosse (Siegen), W. Großmann (Mitterteich), E. Heinemann (Hildesheim), N. Hennek (Nürnberg), A. G. Herrmann (Göttingen), H.-D. Heuer (Neuenhaus), W. Höbelt (Kirkel), H. Höber (Solingen), V. Huber (Offenbach), K. Husareck (Gelsenkirchen), W. Ilmer (Bonn), R. Kahlau (Lippe), B. Kindsvater (Weinstadt), G. Klußmeier (Rosengarten), E. Koch (Essen), R. Köberle (Kempten), W. Kuhnert (Hamburg), G. Landgraf (Berlin), H. Lieber (Bergisch-Gladbach), A. v. Lindeiner-Wildau (Hamburg), M. Lowsky (Kiel), H. Meier (Hemmingen), H.-N. Meister (Neheim-Hüsten), H. Mischnick (Frankfurt am Main), M. Mleinek (München), H. Mortenthaler (Wien), H. Müggenburg (Aachen-Eilendorf), E. Müller (Berlin), E. Munzel (Dortmund), H. Pauler (Ebermannstadt), A. Pielenz (Nassau), R. Pielhoff (Wuppertal), U. Plath (Neustadt), W. Pramann (Berlin), W. Richter (Berlin), J. B. Rothfos (Hamburg), H. Sauter (USA), S. Seltmann (Berlin), K. Serden (Ubstadt), H. Simons (Holland), H. Schappach (Wolfsburg), R. Schlindwein (Karlsdorf), W. Schmidt (Darmstadt), H. Schmuck (München), G. Schöller (Haan), H. Schwemer (Hamburg), A. Steinmann (Bad Neuenahr), H. Tomitza (München), M. Wernerus (Langenhagen), U. Wolff (Karlsruhe).


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1 § 2 der Satzung der Karl-May-Gesellschaft

2 Claus Roxin: Rechenschaftsbericht 1979, M-KMG 49, 5

3 Brief Gerhard Hennigers vom 27. 10. 1948 an Erich Heinemann. Henniger, laut »Die Horen« Nr. 104, 1976, 101, erster Sekretär des DDR-Schriftstellerverbandes, schrieb damals: »Es wäre angebracht, wenn eine tatkräftige Karl-May-Gesellschaft wieder entstehen könnte. . .«

4 Hier ist anzumerken, daß der KMG, trotz der Vereinbarung vom 16. 9. 1973 (vgl. JB-KMG 1974, S. 14), das Archiv bislang verschlossen blieb.

5 wie Anmerkung 2

6 Der Vortrag soll in erweiterter Form im Jahrbuch 1981 erscheinen.

7 Der Rechenschaftsbericht ist abgedruckt in: M-KMG 42, 3 ff.

8 Der Vortrag von Prof. Klotz »Über den Umgang mit Karl May« ist in diesem Jahrbuch abgedruckt.

9 Ebenfalls abgedruckt in diesem Jahrbuch. Im übrigen sei verwiesen auf die Sonderbroschüre »Zehn Jahre Karl-May-Gesellschaft 1969-1979«, INFORM M-KMG 41/42.


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