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ERICH HEINEMANN

»Karl May paßt zum Nationalsozialismus wie die Faust aufs Auge« ·

Der Kampf des Lehrers Wilhelm Fronemann



Zum deutschen Buben und Mädel gehört mehr als die sogenannte Schulbravheit, nämlich Mut, Entschlußkraft, Schneid, Abenteuerlust und Karl-May-Gesinnung!(1)
Hans Schemm,
Leiter des NS-Lehrerbundes, 1934


I

Es ist bestürzend, mit welcher Verbissenheit, mit welchem geradezu inquisitorischen Eifer manche May-Gegner ihrem Metier nachgingen. Dies, etwa unter dem Aspekt der "Haß-Liebe", einmal zu ergründen, könnte zu psychologisch interessanten Ergebnissen führen.

   Doch das ist nicht die Absicht dieser Darstellung. Sie will nur berichten. Sie will Fakten aneinanderreihen, Fakten aus dem Leben eines May-Gegners. Sie stammen aus bisher unveröffentlichtem Archivmaterial(2), und ihre Offenlegung dürfte für den wirkungsgeschichtlichen Bereich der Karl-May-Forschung nicht ohne Interesse sein.

   Er war ein May-Gegner par excellence, dieser Volksschullehrer  W i l h e l m  F r o n e m a n n  (1880 - 1954) aus Frankfurt a. M. Erst nach dem Tode Mays trat er auf den Plan. Er kam aus der Jugendschriftenbewegung, deren bedeutendster Vertreter der Hamburger Schulmann Heinrich Wolgast (1860-1920) war. Fragen des Jugendschrifttums widmete er seine Lebensarbeit. Im Zusammenhang damit stößt der Forscher noch heute auf den Namen Fronemann. Vor dem Vergessenwerden hat ihn aber in erster Linie der Mann bewahrt, den er wie niemanden sonst bekämpfte: K a r l  M a y.


II

Hier, in flüchtigen Strichen, Fronemanns Werdegang bis zum Jahr 1933(3): Geboren 1880 in Hörste, einem Dorf in Westfalen, Vater Landwirt; Volksschule, Landwirtschaftslehre. Ab 1897 Besuch des Lehrerseminars, zweite Lehrerprüfung 1905. Betrieb neben dem Leh-


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rerberuf wissenschaftliche Studien in Geschichte, Kunstgeschichte und Erdkunde; schriftstellerische Arbeiten. Seit 1914 stark engagiert in der Jugendschriftenfrage, doch noch 1920 in Berufskreisen wegen seiner »historisch-politischen Einstellung« häufig angefeindet. Von 1920 bis 1933 Mitglied der Deutschen Volkspartei. Leitete von 1925 bis 1930 den Zeitungsdienst der Vereinigten Jugendschriften-Prüfungsausschüsse(4), legte aber das Amt wegen politischer Differenzen mit den Hamburger Mitgliedern(5) nieder. Schon in seinem Buch "Das Erbe Wolgasts" (Langensalza 1927) hatte er sich vom Kurs der Hamburger Führung abgewandt und sich auf die Seite des Wolgast-Schülers Severin Rüttgers geschlagen, der - nach Fronemann - den Weg der »völkischen Erziehung« beschritt.

   Wilhelm Fronemann war ein Mensch mit hohen verstandesmäßigen Gaben, ein - wie sein Schriftbild(6) verrät - »kritischer Geist von scharfer Urteilsfähigkeit«, der sich durch Beharrlichkeit auszeichnete, die zuweilen schon in Querulanz überging. Gegen Karl May trat er zum ersten Mal in der Zeitschrift "Die schöne Literatur" vom 1.1.1925 an; er besprach darin das vom Karl-May-Verlag Radebeul (künftig: KMV) herausgegebene Karl-May-Jahrbuch 1924. Im "Königsberger Tageblatt" vom 12.5.1929 ging er auf Ernst Bloch los. Dieser war mit seinem seither in der May-Literatur oft zitierten Beitrag "Traumbasar"(7) entschieden für Karl May eingetreten. Seine Attacke "Geistige Bedürfnislosigkeit"(8), die in erster Linie den Jahrbüchern des KMV galt, hat einige Berühmtheit erlangt. Euchar Albrecht Schmid, der Leiter des KMV, druckte sie im Jahrbuch 1931(9) nach und fügte einen umfangreichen Anhang an; der gesamte Komplex umfaßt 60 Seiten.


III

Auch nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten (1933) setzte Fronemann seine Angriffe fort, nur erhielten sie jetzt politisches Gewicht.

   Über Karl May und das Dritte Reich steht eine besondere Veröffentlichung noch aus. Die Haltung, die führende Vertreter von Staat und Partei gegenüber Karl May einnahmen, ist vom Standpunkt der nationalsozialistischen Ideologie aus gesehen widersprüchlich. Sie reizte denn auch Fronemann, der das sofort erkannte, zu temperamentvollen Protesten, Eingaben und Beschwerdebriefen, ja sogar zu


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Veröffentlichungen, in denen er in politisch nicht unbedenklicher Weise seinem Herzen Luft machte. Es gelang ihm jedoch nicht, Karl May »abzuschießen«; bei den zuständigen Stellen des Staatsapparates wuchs eher ein Unmut gegen den vermeintlichen Querulanten. Dennoch werden seine geschickt gewählten Argumente gegen den »Pazifisten May, den Verächter jeglicher Rassentheorie, den sozial-demokratischen Verschwörer und Marxistenfreund« ihre Wirkung nicht immer ganz verfehlt haben.

   Dr. E. A. Schmid berichtet(10), daß während des Dritten Reiches eine Reihe von Bänden wegen ihres pazifistischen und religiösen Inhalts nicht mehr hergestellt werden durften. Das Berliner Propaganda-Ministerium verlangte darüber hinaus, der Verlag sollte in anderen Bänden »den darin enthaltenen Friedensgedanken und die religiöse Einstellung abändern«. Ein früherer Volksschullehrer (Georg Szulmistrat) wurde noch 1944 vom Ministerium mit der Zensur beauftragt, verstarb jedoch, bevor er seinen Auftrag erfüllen konnte.1943/44 soll die Reichsstelle für Volksbüchereien in Warmsdorf (Böhmen) ein Verbot Karl Mays für die Volksbibliotheken erlassen haben.(11)

   May-freundlich eingestellt aber waren immerhin so einflußreiche Männer wie Hans Schemm, der Bayerische Kultusminister und Führer des Nationalsozialistischen Lehrerbundes, und Gauleiter Martin Mutschmann; zu seinen Lesern sollen auch Goebbels und Göring gezählt haben, vor allem aber Hitler(12) selbst. Im Sommer 1933 begrüßte der »Führer« bei den Festspielen in Bayreuth die Witwe Karl Mays, und dessen Schwester Karoline Selbmann sandte er zum 90. Geburtstag ein Glückwunschtelegramm und ließ ihr durch die Post eine »Ehrengabe« zugehen.


IV

Das Vorgehen Wilhelm Fronemanns stellt sich anhand von Dokumenten aus den Jahren 1933 bis 1938 wie folgt dar:

1. Fronemann am 15.4.1933 an Kultusminister Hans Schemm: In einer 13 Seiten umfassenden »Denkschrift« zur "Lage der Schülerbüchereien nach der nationalen Revolution" macht er detaillierte Vorschläge, wie der neue Staat die Jugendliteratur in den Griff bekommen könne - durch Säuberung und Umbau der Schülerbüchereien, staatliche Zensur, amtliche Jugendschriften-Verzeichnisse, Gleichschaltung der Lehrerprüfungsausschüsse für Jugendschriften usw. Der »Schund-


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literatur« will er mit einem »Ermächtigungsgesetz« in der »Art der Generalkommandos im Kriege« beikommen. Der Verfasser der Denkschrift hebt in seinem Begleitschreiben hervor, daß er »seit über 20 Jahren das Gebiet der Jugendlektüre betreut hat«. Er habe nach dem Kriege »meist im kämpferischen Gegensatz zu den herrschenden Organisationen« gestanden. Die nationale Erhebung habe ihm seine politischen Ideale verwirklicht.

2. Ungeachtet dieser Denkschrift beschloß die Reichsleitung des Nationalsozialistischen Lehrerbundes (künftig: NSLB), dessen Leiter Hans Schemm war, die Aufnahme Karl Mays in den Katalog guter Jugendschriften(13) (Schreiben vom 3.8.1933 an den KMV).

   Fronemann erhob mit Schreiben vom 16.11.1933 an die Jugendschriftenstelle des NSLB gegen diese Aufnahme folgende Einwendungen: Karl May sei

   1. ein »leidenschaftlicher Verfechter einer weitgehenden Rassenmischung aus ganz sentimentalen Menschlichkeitsgründen« und

   2. ein »leidenschaftlicher Verteidiger eines verwaschenen Pazifismus« gewesen.

Er bezieht sich dabei auf den Aufsatz "Karl May und der Friede" von Amand von Ozoróczy im Karl-May-Jahrbuch 1928. Für besonders schwerwiegend hält er es, daß der Verfasser auf S. 97/98 den Lehrern bei der Ausführung des »berühmten Artikels 148 der Weimarer Verfassung«(14) Karl May empfohlen hätte.

   »Lassen Sie diesen Schriftsteller von gestern den Ewiggestrigen. Die deutsche Jugend soll mit Dohna, Mücke und Immelmann(15) in die deutsche Zukunft marschieren.«

3. Fronemann am 22.2.1934 an Kultusminister Hans Schemm (nach dessen Rede in Nürnberg, in der er der deutschen Jugend »Karl-May-Gesinnung«(1) wünschte):

   Fronemann macht den Minister auf die Bedenklichkeit seiner Äußerungen aufmerksam, die bereits von der Verlagswerbung mißbraucht würden. Vor allem: »Dieser Karl May war doch Marxist und Mitarbeiter des "Vorwärts", Pazifist und begeisterter Anhänger der Bertha von Suttner, er befürwortete jede Rassenmischung . . . «

   Dem Schreiben fügt er eine neue »Denkschrift« bei, und zwar unter dem Titel "Karl May und die Jugend des Dritten Reiches", die er im Auftrage der "Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums" verfaßt hatte und die Karl May aus politischer Sicht auf das heftigste ablehnt. Er wiederholte darin seine schon bekannten Vorwürfe. Karl May, so behauptete er, habe im sozialdemokratischen "Vorwärts" politische Artikel gegen die sogenannten gelben Gewerkschaften ge-


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schrieben. »Haben wir nicht unsere Schülerbüchereien von Juden, Pazifisten, Marxisten und sonst allem Undeutschen gereinigt? Ich halte es an der Zeit, daß die deutsche Jugendliteratur endlich auch von Karl May gereinigt werde.« Sein Leitspruch, den er Schemms »Karl-May-Gesinnung« entgegenstellt: »K a r l  M a y  p a ß t  z u m  N a t i o n a l s o z i a l i s m u s  w i e  d i e  F a u s t  a u f s  A u g e!«

4. Fronemann am 3.5.1934 an Kultusminister Hans Schemm: Nochmals bezieht er sich auf Schemms »unglückseliges Wort von der "Karl- May-Gesinnung"«(16), das von der Verlagswerbung gegen die May feindlich gesonnene Lehrerschaft ins Feld geführt wurde. (Der Ton des Briefes dürfte gerade noch die Grenze dessen beachten, was man einem Minister in der damaligen Zeit ungestraft bieten durfte.)

   Eine Antwort Schemms blieb aus. Ganz wirkungslos scheint Fronemanns massiver Appell indessen nicht verpufft zu sein.(17) Fronemann bohrt weiter. Am 29.5.1934 beklagt er sich bei der Jugendschriftenstelle des NSLB über den »Reklame-Unfug« (» . . . verhindern Sie die Fortsetzung dieses Propaganda-Feldzuges, in den sogar die Person des Führers hineingezogen wird«(18)).

5. Fronemann geht in seinem missionarischen Eifer offenbar jegliches Augenmaß verloren; er begibt sich politisch in Gefahr, als er am 1.9.1934 in der Beilage "Junge Nation" der "Kölnischen Zeitung" seinen Artikel "Das Jugendbuch im Dritten Reich" veröffentlicht. Darin lautet ein Absatz:

»Wie verwirrt die Lage war und noch ist, zeigt die neue Propagandawelle für den guten alten Karl May, der es sich zu Lebzeiten sicher nicht hat träumen lassen, daß seine Kolportage im Dritten Reich als mustergültige literarische Gestaltung für die Jugend von hohen und höchsten Stellen empfohlen würde; denn er war ein Verherrlicher jeder Rassenmischung, überzeugter Pazifist und Freund der Bertha von Suttner, seine Gesinnung paßt also zur nationalsozialistischen Gedankenwelt wie die Faust auf Auge.«

   Gewiß hat Fronemann den Wirbel, den er damit bei parteiamtlichen Stellen auslöste, nicht vorausgesehen, und gewiß wollte er auch nicht gegen den Nationalsozialismus polemisieren(19), hatte er sich doch im gleichen Artikel erneut zu ihm bekannt und die Forderung aufgestellt, das Jugendschrifttum »gemäß der nationalsozialistischen Gedankenwelt auszubauen«.

   Der Artikel Fronemanns wurde wegen der oben zitierten Passage von der Auslandspresse(20) mit Interesse aufgegriffen. Das verschärfte die Lage. Die Reichsleitung der NSDAP (Rassenpolitisches Amt) forderte Fronemann am 5.10.1934 zur Stellungnahme auf. Dieser verteidigt sich in seinem Schreiben vom 15.10.1934 (4 Seiten) damit, daß »eine so brüchige Persönlichkeit wie Karl May nicht Jugend- und


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Volkserzieher« sein dürfe; seine »Kolportage, die keine Spur politischer Substanz hat«, gehöre nicht in die Hände der Jugend des Dritten Reiches (Karl May - der Gegner rassischer Reinheit, Pazifist, Sozialdemokrat usw.).

   Er will in der Auslandspresse, die ihn falsch interpretiert habe, Gegendarstellungen bringen und bittet, ihn »mit Weisungen zu versehen«.

   Das Rassenpolitische Amt der Reichsleitung der NSDAP leitete den Vorgang am 20.10.1934 an den »Stab des Stellvertreters des Führers« in München weiter.

6. Schreiben des NSLB vom 19.11.1934: Der NSLB reagierte auf den Artikel Fronemanns mit schweren Vorwürfen; er wertete ihn nicht nur als Angriff auf den NSLB, sondern auch als Kritik am Nationalsozialismus. Fronemann habe die Angelegenheit Karl May aus einer Jugendschriftenfrage zu einer politischen Sache gemacht. Er lehne Karl May heute als einen »Verherrlicher jeder Rassenmischung, überzeugten Pazifisten« usw. ab. »Wir können uns nicht entsinnen, daß Sie vor der nationalsozialistischen Revolution Karl May aus diesen Gründen bekämpft haben . . . «

   Fronemann antwortet am 4.12.1934 (12 Seiten). Im Kern sagt er: »Mein Aufsatz(21) hat keine irgendwie geartete staatspolitische Tendenz; er bejaht Nationalsozialismus und nationalsozialistischen Staat, und hält sich in jedem Satz innerhalb nationalsozialistischer Gedankengänge.« An seinen Behauptungen bezüglich Karl Mays politischer Einstellung hält er fest (» . . . seine für heutige Verhältnisse unmögliche politische Stellung kann niemand aus der Welt schaffen«). Er bedauert die Reaktion der Auslandspresse (» . . . es handelt sich in diesem Falle anscheinend ausnahmslos um Emigranten«).

7. Später berichtet Fronemann(22), er habe sich etwa 1936 bei Reichsunterrichtsminister Rust über den »Karl-May-Unfug« beschwert und zustimmend sei ihm geantwortet worden, »daß man dort Karl May nach wie vor ablehne«. An die Reichsschrifttumskammer, um deren Mitgliedschaft er sich übrigens um diese Zeit erfolglos bewarb, richtete er am 16.12.1937 eine Eingabe über die »kulturpolitische und politische Bedenklichkeit des derzeitigen Karl-May-Kultes«. Die Reichsschrifttumskammer schaltete offenbar das Propaganda-Ministerium ein. Das Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda, das Goebbels unterstand, ordnete am 25.6.1938 an, »daß Angriffe auf die Bücher Karl Mays unerwünscht« seien. Fronemann gab jedoch nicht auf. Hartnäckig trug er seine Bedenken aufs neue vor. Seine Eingabe vom 20.7.1938 an das Ministerium (11 Seiten) wiederholt, um neue


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Quellen im May-Schrifttum erweitert, die aus den Jahren nach 1933 schon bekannten Vorwürfe, die er Karl May in politischer Hinsicht zur Last legt. Einige Kernsätze daraus:

- »Dieses pazifistische Vorbild Karl May, das sich durch Verhöhnung der Rassenidee, durch Anfeindung völkischer Ausdehnungsbestrebungen, insbesondere des Kolonialimperialismus, abzurunden suchte, habe ich mit allen Mitteln bekämpft, verhöhnt und verspottet . . . «

- »Es war und ist . . . vor allem darzulegen, daß der Marxist, Pazifist und Feind der Rassenidee Karl May vielleicht zum defaitistischen Pazifismus und den Völkerversöhnungs- und Völkerbundsgedanken der Systemzeit paßte, aber in der geistigen und weltanschaulichen Umwelt des Dritten Reiches wie ein grimmiger Popanz wirkt.«

- »Wie kann man unsere Jugend zum kolonialen Gedanken erziehen, wenn man ihr Bücher empfiehlt, in denen gegen Imperialismus, Gewaltpolitik, Machtstaat, Kolonialimperialismus u.s.w. in der gehässigsten Weise losgezogen wird?«

- » . . . einige 100 000 pazifistische Bücher eines in Rundfunk, NS-Presse und offiziellen Jugendschriftenverzeichnissen empfohlenen und gefeierten Autors bilden eine sehr große Gefahr. Diese Gefährdung der deutschen Jugend und primitiver Leserschichten ist um so bedenklicher, als mit Mays Pazifismus eine gehässige Bekämpfung der Werte, die sich aus Volk und Rasse ableiten, Hand in Hand geht.«

- »Es ist auch nicht so, daß die Abenteuergeschichten rein von diesem Pazifismus seien . . . Alle Kämpfe von Mays Helden sind auch in den waffenklirrenden Büchern seiner Frühzeit nie Selbstzweck, sondern diese jedem Streite gewachsene, alle Gegenzüge mattsetzende Mannheit kennt . . . keinen anderen Kampf als den der Verteidigung und Notwehr, als Mittel wieder zum Frieden zu gelangen . . . «

Dieser Pazifismus, so Fronemann, habe im Weltkrieg die Heimatfront zermürbt und die psychologischen Vorbedingungen für den Zusammenbruch von 1918 geschaffen. Bei Karl Mays vielgerühmtem Deutschtum handele es sich um »typischen Vorkriegspatriotismus, um gelegentliches Aufprotzen mit der Eigenschaft als Deutscher, und um das übliche Phrasengedresch von Kaiser und Reich . . . Und selbst das ist lediglich Mays Zugeständnis an sein Leserpublikum; seine wirkliche politische Gesinnung zeigt die von mir berichtete Entstehung von "Und Friede auf Erden".«(23)

   Fronemann stellt drei Prämissen auf, die den »politischen Karl May« kennzeichnen:

1. Karl May war Marxist.

2. Karl Mays Weltanschauung und sein gesamtes Werk sind extrem pazifistisch gerichtet.

3. Karl May ist ein fanatischer Gegner des Rassegedankens.

Seine Leitsätze spickt er noch mit Fundstellen aus einschlägigen Büchern Karl Mays und der Sekundärliteratur. Und schließt:

- »Ich rate darum dringend, die Angelegenheit May nachzuprüfen, zum mindesten die genannten Bücher, die extrem pazifistisch gerichtet sind und den Rassegedanken bekämpfen, einzuziehen(24), und die Presse über den Fall Karl May mit den nötigen Weisungen zu versehen.«


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V

Der Kampf, den der Lehrer Wilhelm Fronemann im Dritten Reich gegen Karl May führte, zeigt einen janusköpfigen Fronemann: a) den hartschädeligen Westfalen, der eine einmal »erworbene Einsicht mit zäher Beharrlichkeit«(25) verfolgt, auch wenn sie ihn in Gefahr bringt, und b) den Opportunisten.

   Der NSLB Bayreuth, der - wie es scheint - dem Verhalten Fronemanns mit einigem Kopfschütteln gegenüberstand, vermutete, daß es ihm gar nicht mehr um Karl May gehe, sondern um die eigene Person. »Sie haben sich und Ihr Schicksal als Jugendschriftenkritiker dermaßen mit Karl May verknüpft, daß mit der Ablehnung oder Anerkennung K. M. Ihre Autorität steht oder fällt.«(26)

   Fronemann schreckte nicht davor zurück, sich mit »hohen und höchsten Stellen« anzulegen; er wagte es, dem gewaltigen Kultusminister Schemm ebenso wie einer Anordnung des Goebbelsschen Propagandaministeriums zu widersprechen. Seine von der Auslandspresse aufgegriffenen und zur Agitation gegen das Hitler-Deutschland verwendeten, wenn auch wohl unbedachten Äußerungen in der Kölnischen Zeitung vom 1.9.1934 hätten schlimme Folgen nach sich ziehen können. Fronemann war aber gleichzeitig Diplomat genug, stets eine nationalsozialistische Gesinnung herauszukehren und auf seine nationale, völkische Gesinnung vor 1933 hinzuweisen, auch wenn er behauptete, »als fälisch-nordischer Rassetyp mehr Kämpfer als Diplomat« zu sein, bestrebt, »mit gerader Ehrlichkeit statt in schmiegsamer Anpassung das Ziel zu erreichen«.(25) Aber der NSLB scheint den einen Teil seines Wesens richtig erkannt zu haben. Er warf ihm einmal Opportunismus vor, indem er meinte: Hätte 1933 nicht die nationalsozialistische, sondern die kommunistische Idee gesiegt, dann würde Fronemann Karl May wohl als »Verherrlicher einer kapitalistischen, unklassenkämpferischen, religiösen Gesinnung« verurteilt haben.(26) Wie recht der NSLB im Grunde hatte, zeigt Fronemanns Verhalten nach 1945.

   Damals ergriff Wilhelm Fronemann als »erfahrener Schulmann« in der Ostberliner Zeitschrift "die neue schule"(27) das Wort gegen Karl May, indem er darstellte, daß Karl May politisch vergiftend und im Sinne des Nationalsozialismus auf die Jugend gewirkt habe. Hatte er sich nach 1933 alle Mühe gegeben, vor Karl May als Gegner der nationalsozialistischen Weltanschauung zu warnen, so unterstrich er jetzt, wie gut Karl May zum Nationalsozialismus passe.(28) Die gleichen Argumente wiederholte er 1950 in der Fredeburger Schriftenreihe(22) (aus-


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zugsweise wiedergegeben bei Peter Aley a.a.O. 1969). In der NS-Zeit war Karl May für ihn der wehrkraftzersetzende Pazifist gewesen. Nun stellt er jedoch fest: »Karl May ist im Kriege zum Lehrbuch der Partisanenbekämpfung geworden. Noch 1944 wurden von der Heeresleitung für die Partisanenbekämpfung an der Ostfront 4000 Bände Karl May angefordert. Im ganzen sind 500 000 Bände Karl May als Kriegsausgaben an das Heer ausgegeben worden. Über die militärische Wirkung verlautet nichts, aber leider ist der Schluß berechtigt, daß die raffinierten Quälereien, die Karl May häufig schildert, an den Foltermethoden der SS nicht unschuldig sind.«(27)

   Im Ziel seines Kampfes blieb dieser verschworene May-Gegner sich über den Wandel der Zeiten hin treu. Er änderte nur seine Taktik, er paßte die Mittel, die er benutzte, adäquat den Verhältnissen an. Dennoch werden wir dem Fronemann der NS-Zeit recht geben müssen. Die Aufwertung, die Karl May im Dritten Reich widerfuhr, bleibt ein Phänomen und unschlüssig in sich, denn wahr ist, was Fronemann zum geflügelten Wort all seiner Angriffe gegen Karl May damals postulierte: »Karl May paßt zum Nationalsozialismus wie die Faust aufs Auge! « Wohl nur die narzißtische Liebe Hitlers und einiger seiner Adlaten (vor allem Schemms) zu Karl May machte, aller Vernunft zum Trotz, es möglich, daß dieser Schriftsteller das Dritte Reich überstand, ja sogar eine - wenn auch nicht uneingeschränkte, eher fragwürdige als hilfreiche - Förderung erfuhr.



1 Hans Schemm, Kultusminister von Bayern und Reichsleiter des Nationalsozialistischen Lehrerbundes, auf der Schulungstagung des Gaues Mittelfranken. Nürnberger Zeitung vom 27./28.1.1934.

Diese enthusiastische Äußerung einer hochgestellten Persönlichkeit des Dritten Reiches ist später - außer zu Werbezwecken - oft für und gegen Karl May verwendet worden. Schemms Biograph Benedikt Lochmüller hebt hervor, daß Schemm in seiner Jugend durch die Bücher Karl Mays nachhaltig beeindruckt wurde:

»Er hat alle Maybände gelesen, die er sich verschaffen konnte. Seine Eltern haben ihn dabei gewähren lassen, was ihnen in einer Zeit, da Karl May von lebensfernen Erziehern als Jugendgift bezeichnet wurde, gedankt sei. Seine Phantasie bekam damals jene wucherkräftige Nahrung, an der er Jahre zu zehren hatte, seine Neigung, das Menschenleben streng in gut und böse aufzuteilen und in den Kampf zwischen den beiden Kräften, ist wahrscheinlich von Karl Mays Helden und Schuften am quellenhaftesten gespeist worden. Die Welt der Abenteuer keimte in seinen Träumen weckte Verlangen nach ungeteiltem Erleben, in dem überhaupt erst ein üppiger, groß angelegter Charakter der Güte sich entfalten kann. Durch die Schilderung ferner unendlicher Wälder wurde die Liebe zum eigenen deutschen Wald in dem Jungen geweckt, meines Erachtens eine wesentlichste Wirkung der Karl May-Lese. Gefahren als Willkommenes zu sehen und das Vaterländische zunächst einmal als die ganz nahe und wirkliche Natur der Berge und Täler, der Bäume und Wasser, die uns umgeben, Karl May lehrte es ihn, weckte in ihm die Gefahrenschau am kalten Ge-


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schäftsgeist gegenüber dem völkisch Jugendlichen, die Liebe zu allem, was leidet, den Glauben an die Überwindung des Bösen durch das Gute.« (Benedikt Lochmüller: Hans Schemm. Erster Band 1891- 1919. Bayreuth 1935, Deutscher Volksverlag, S. 33f.)

2 Für freundliche Bereitstellung von Archivmaterial danke ich dem Hessischen Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden (Nr.483 /803), sowie den Herren Lothar Bembenek, Wiesbaden, und Gerhard Klußmeier, Rosengarten 3.

3 Nach Fronemanns am 15.10.1936 für die Reichsschrifttumskammer verfaßten Lebenslauf

4 Organ "Buch und Zeit"

5 Diese hätten sich 1930 »offen zum Marxismus bekannt« (Quelle: Anm. 3)

6 Nach einem graphologischen Gutachten von Prof. Ottokar Enking, Dresden, vom 19.10.1931.

Zur Unterschrift Fronemanns: »Überall ist die sogenannte Ichenergie festzustellen; die Züge werden mit unten verdickten Strichen möglichst weit herabgeführt, ich mache da besonders auf die Unterschrift aufmerksam, die in den Sicherungsstrich ausläuft, außerdem fügt ihr der Schreiber noch einen Punkt hinzu, sichert sich also doppelt vor Einbrüchen aus dem Nicht-Ich. Die Schlingenbildung im i des Vornamens ist ebenfalls bezeichnend er wird andere für sich einnehmen, bis er ihrer gewiß ist um sich dann mit "sublimierter Brutalität; gegen sie zu benehmen.«

7 Literaturblatt der Frankfurter Zeitung vom 31.3.1929 u.d.T. "Die Silberbüchse Winnetous"; Karl-May-Jahrbuch 1930 (Radebeul) u.d.T. "Traumbasar"

8 Buch und Jugend, Hamburg. Mitteilungsblatt der Vereinigten deutschen Prüfungsausschüsse, 6. Jg., Jan. 1931

9 Für die späteren Auseinandersetzungen zwischen Fronemann und dem KMV dürfte es nicht unwichtig sein, daß das Jahrbuch 1931 erst im Frühsommer 1934 erschien. Karl-May-Jahrbuch 1931, S. 148-208.

10 Dr. Euchar Albrecht Schmid: Karl Mays literarische Hinterlassenschaft. Radebeul 1.7.1945 (2 S., hektographiert)

11 Mitteilung von Ludwig Patsch, Wien, vom 18.8.1945

12 Hitler war indes nicht der erste deutsche Kanzler, der Karl May las. Ein Freund und Leser Karl Mays war der sozialdemokratische Reichskanzler Hermann Müller (1876 - 1931). Daß Hitler Karl-May-Leser war, ist von Personen aus seiner Umgebung und von Biographen wiederholt bezeugt. Der Schriftsteller Oskar Robert Achenbach war wohl der erste. Über einen Besuch bei Adolf Hitler auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden berichtet er in der Sonntag-Morgenpost, München, vom 23.4.1933: »Auf einem Bücherbord stehen politische oder staatswissenschaftliche Werke, einige Broschüren und Bücher über die Pflege und Zucht des Schäferhundes, und dann, - deutsche Jungens, hört her! dann kommt eine ganze Reihe Bände von - - Karl May! «

13 Folgende 10 Bände wurden 1933 aufgenommen: Bd.7 - 9, 10, 35, 36, 37, 39, 40, 41 (Mitteilung von Ludwig Patsch, wie Anm. 11).

14 Karl-May-Jahrbuch 1928, S. 97/98: »Kann diese Lehrerschaft, die selbst den Pazifismus auf ihrer Fahne trägt, die dem in Artikel 148 der Weimarer Verfassung verankerten "Zweck der Schule, den einzelnen im Geist der Nation und in dem der Versöhnung der Völker sittlich zu entwickeln", sicher zujubelte, überhaupt gegen einen Schriftsteller sein, der diesen Schulzweck unterstützt und selbst erfüllt?«

15 Kampfflieger im Ersten Weltkrieg

16 Fronemann später, am 20.7.1938, in seiner Eingabe an das Propaganda-Ministerium Berlin

17 Ein Schreiben des NSLB vom 15.5.1934 gebietet den Werbebestrebungen des KMV Zurückhaltung.

18 Der KMV gab Werbeprospekte mit einem Ausschnitt aus dem Artikel von O. R. Achenbach aus der Sonntag-Morgenpost, München, vom 23.4.1933 heraus. Vgl. Anm. 12.

19 Eine andere Frage ist, ob nicht die Kölnische Zeitung die Gelegenheit gern nutzte, dem nationalsozialistischen Staat eins auszuwischen. Sie war das Blatt der Deut-


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schen Volkspartei gewesen, die sich 1933 unter dem Druck der Nationalsozialisten auflösen mußte. Als bürgerliches Blatt mit liberaler Tradition wurde sie nach 1933 der reaktionären Presse zugerechnet.

20 Prager Presse, 9.9.1934 (nachgedruckt von vielen tschechischen Zeitungen); Appenzeller Zeitung Hensau, 9.9.1934; Wiener Reichspost, 2.1.1935

21 "Das Jugendbuch im Dritten Reich", Kölnische Zeitung vom 1. 9. 1934

22 Wilhelm Fronemann: Die beherrschenden Ideen im Jugendschrifttum und in der Volksbildung von Wolgast bis heute und ihre Träger. In: Begegnung mit dem Buch Fredeburger Schriftenreihe, herausgegeben von Dr. Otto Koch. Henn, Ratingen 1950, S. 7. Zitiert nach: Peter Aley: Jugendliteratur im Dritten Reich. Verlag für Buchmarktforschung, Hamburg 1969, S. 177f.

23 Zur Entstehungsgeschichte von Karl Mays "Et in terra pax" vgl. auch Heinz Stolte: Das Phänomen Karl May. Karl-May-Verlag Bamberg 1969, S. 24ff., ferner: Ekkehard Bartsch: "Und Friede auf Erden". Entstehung und Geschichte. In: Jb-KMG 1972/73, S. 93ff.

24 Vgl. die obigen Ausführungen E. A. Schmids (Anm. 10)

25 Fronemann am 4.12.1934 an die Jugendschriftenstelle des NSLB

26 NSLB am 19.11.1934 an Fronemann

27 Berlin (Ost), Jahrg. 1948, Heft 18, S. 18

28 Vgl. Heinz Stolte: Fronemann gegen Fronemann. In: Schöpferische Gegenwart. Kulturpolitische Zeitschrift Thüringens. Verlag Kulturwille Weimar Dezember 1948. Ferner: INFORM Nr.9, herausgegeben von der Karl-May-Gesellschaft, S. 36

Ich möchte ausdrücklich auf folgenden Beitrag hinweisen: Lothar Bembenek: Der »Marxist« Karl May, Hitlers Lieblingsschriftsteller und Vorbild der Jugend? Die Karl-May-Rezeption im »Dritten Reich«, erschienen in: SAMMLUNG 4, Jahrbuch für antifaschistische Literatur und Kunst, herausgegeben von Uwe Naumann. Röderberg-Verlag Frankfurt a. M., S. 147ff. Dieser Beitrag, den ich erst nach Fertigstellung meines Manuskriptes kennenlernte, behandelt das Thema unter didaktischen Gesichtspunkten. Im Anhang enthält er den Brief des NS-Lehrers Wilhelm Fronemann an das Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda vom 20.7.1938 in  v o l l e m  Wortlaut.


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