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HANSOTTO HATZIG / GERHARD KLUSSMEIER

Pöllmann versus May - May versus Pöllmann

Dokumente zum Ende einer Kontroverse ohne Schluß



Wohl kaum eine der öffentlichen Auseinandersetzungen mit und um Karl May hätte fruchtbarer ausfallen können als die mit dem Benediktiner Pater Ansgar Pöllmann: ein literarisch versierter und genauer Kenner der Schriften Mays und zudem ein Geistlicher, der der eigenwilligen Glaubensethik Mays interessante Argumente hätte entgegenhalten können, machte sich das Jahr 1910 zu einem »Kampfjahr, das unter dem Motto "Karl May" stand.«(1) Es entwickelte sich jedoch hieraus eine in Form und Sache außergewöhnliche Gegnerschaft - deren Bösartigkeit von Seiten eines May-Gegners nur noch von der des Rudolf Lebius überboten wurde. Sie ist darüber hinaus in ihrer überzogenen Argumentation so exemplarisch für die Diskussion um Karl May, daß sie stellvertretend für eine Vielzahl von Einzelfällen Aussagekraft besitzt.

   Zwei Komplexe dieser Auseinandersetzung konnten bisher herausgelöst und in Einzeldarstellungen bereits veröffentlicht werden.(2) Die nachfolgende Dokumentation bringt die Belege, die in ihrem Zusammenhang die Beendigung der Kontroverse einleiteten und aufzeigen, welche Gründe dazu führten, daß ein derart engagierter May-Feind plötzlich und für immer schweigen mußte.

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Als Karl May sich am 31. Januar 1910 um Beistand bittend an den Vorgesetzten Pöllmanns wandte, kann er nur geahnt haben, welche Flut von Anschuldigungen durch Pöllmann noch auf ihn zukommen würde: bestenfalls sechs Tage wird er den ersten Teil von Pöllmanns "Ein Abenteurer und sein Werk" (in "Über den Wassern", Münster, 25.1.1910) in Händen gehabt haben, und nur zwei Tage zuvor war Pöllmanns Leserbrief in der "Freien Stimme" erschienen.(3)

   Im Vergleich mit den nachfolgenden Beiträgen des Paters waren das noch recht gemäßigte May-Verurteilungen. Doch May sieht schon jetzt keine Möglichkeit mehr zu schweigen und will seinen Rechtsan-


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walt beauftragt (haben), gerichtlich Strafantrag gegen Pöllmann zu stellen. Bemerkenswert ist, daß Karl May hier sofort ein (später von Pöllmann bestätigtes) Zusammenwirken mit Rudolf Lebius konstatiert - eine Tatsache, die deutlich macht, mit welchem Scharfsinn der bedrängte May seine Kontrahenten beobachtete und einzuordnen wußte.(4)


VILLA SHATTERHAND

Radebeul-Dresden                                 den 31ten Januar 1910

Hochgeehrter, Hochwürdiger
Herr Erz-Abt!(5)

Ihr Untergebener, Pater Ansgar Pöllmann, greift mich in der Radolfzeller »Freien Stimme« an.(6) Und er veröffentlicht in »Über den Wassern« gegen mich eine Reihe von Artikeln, deren erster bereits erschienen ist.(7) Er schrieb schon gegen mich, als er noch viel zu jung war, mich und meine Bücher zu begreifen.(8) Er begreift uns sogar heut noch nicht. Ich habe bisher geschwiegen, weil ich annahm, er verfolge ehrliche und edle literarische Interessen. Was er aber jetzt veröffentlicht, scheint von den niedersten Instincten dictiert, die ein christlicher Ordensbruder längst überwunden haben sollte. Es ist mir darum nicht länger möglich, zu schweigen. Ich werde also antworten und habe meinen Rechtsanwalt beauftragt,  g e r i c h t l i c h  S t r a f a n t r a g  g e g e n  P ö l l m a n n  z u  s t e l l e n.

   Es ist ein Unterschied zwischen erlaubter Kritik und unerlaubter, literarischer Kavillerei. Pöllmann wagt es sogar, meine Ehe und meine Scheidung zu rügen! Ahnt er nicht, welches Aufsehen das in protestantischen Kreisen erregt? Dem Benediktinerorden wurde selbst in lutherischen Gegenden bisher das Zeugniß gegeben, daß er sich  n u r  der Pflege der Gelehrsamkeit und der Seelsorge widme und seine Hand nie durch Theilnahme an öffentlichen, unsauberen Händeln beschmutze. Will Pöllmann das jetzt ändern? Die Benediktiner haben uns seit ihrem Bestehen weit über 16 000 Schriftsteller geschenkt; aber keinem von allen diesen Tausenden ist es jemals in den Sinn gekommen, das zu thun, was Pöllmann jetzt thut, ohne sein Gewissen beschwert zu fühlen.

   Ich schreibe diese Zeilen, damit er vor seinem Verbündeten Rudolf Lebius gewarnt werde. Es sollte mir herzlich leid thun, wenn den Beuroner Benediktinern aus dieser Verbindung ein Affront entstünde, dessen Größe jetzt gar nicht abzumessen ist. Lebius hat sich in seiner eigenen Zeitung gerühmt, daß er  a u s  d e r  c h r i s t l i c h e n  K i r c h e  ausgetreten ist. Er ist jetzt der Führer der gelben Partei in Berlin, also ein  e n g a g i e r t e r  K a t h o l i k e n f r e s s e r  und  u n e r b i t t l i c h e r  G e g n e r  d e r  k a t h o l i s c h e n  A r b e i t e r s c h a f t. Sein Blatt, der »Bund«, strotzt vor Angriffen gegen diese Letzteren. Er steckt jetzt in einem Wust von Beleidigungsklagen, aus dem er kaum heraussehen kann. Wahrscheinlich will er sich durch Pöllmann Luft machen lassen. Bis jetzt schrieb Lebius die Beleidigungen und wurde dafür bestraft.(9) Nun beleidigt mich Pöllmann. Die Strafen werden nicht ausbleiben.

   Übrigens ahnt Pöllmann gar nicht, wie tief er gleich durch seinen ersten Angriff in der »Freien Stimme« in meine Lebius- und Münchmeyerprozesse gezogen wird. glaubt er sich den öffentlichen Verhandlungen und den anwesenden Berichterstattern entziehen zu können, denen ein angeklagter Benediktinerpater die erwünschteste aller »Sensationen« wäre?

In aufrichtiger Hochachtung und
Ehrerbietung
ergebenst
Karl May


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   Doch Mays Bitte blieb im Beuroner Kloster zunächst unbeachtet. Pöllmann setzte seine Angriffe gegen May verstärkt fort (am 6.2.1910, wieder in der "Freien Stimme"). Trotzdem stellte Karl May keinen Strafantrag - ein Zögern, aus dem vielleicht die Scheu herauszulesen ist, einen Priester vor die Schranken des Gerichts zu bringen.

   In kurzen Abständen folgten die weiteren Beiträge Pöllmanns in "Über den Wassern": am 10.2., 25.2. und am 10.3.1910. Nach Erscheinen des ersten Artikels meldete die Presse: »In dem Kampfe gegen May, den "berühmten Weltreisenden", nimmt jetzt auch ein hervorragender Würdenträger der katholischen Kirche Stellung gegen den ingeniösen Fabulierer.«(10) Die Diskussion um Karl May erhielt eine neue Dimension, und der Kampf gegen ihn wurde durch das Mitwirken eines christlichen Priesters zu einem wahren Inferno für den Angegriffenen. Unabhängig von sachlichen, zum Teil sicherlich auch berechtigten Einwänden gegen das schriftstellerische Werk Mays übertraf das dabei von Pöllmann benutzte Vokabular gegen den Menschen May alles bis dahin gegen ihn Vorgebrachte.

   Die Maßlosigkeit dieser Anwürfe kennzeichnet May dann in seiner ersten veröffentlichten Replik treffend als eine Provokation zu einem öffentlichen Radau mit Düngergabeln, die erfolgt in einer so beispiellos gehässigen, grausamen Weise, daß jeder Gedanke, das Priestertum des »hochwürdigen Verfassers« zu berücksichtigen, zur Unmöglichkeit wird.(11)

   Ich stelle Strafantrag, kündigt May am 9. April 1910 in der "Freistatt" nun auch öffentlich an, doch wiederum folgt dieser Verlautbarung keine Ausführung. Pöllmann schreibt neue Artikel, die am 10. und 25. April und am 10. Mai in "Über den Wassern" erscheinen. May antwortet mit fünf Repliken in der Wiener "Freistatt".(12)

   Während May sich in der "Freistatt" mit Pöllmann auseinandersetzte, hatte dieser vorerst seine "Über den Wassern"-Serie unterbrochen, um in einem weiteren, ebenfalls katholischen Presseorgan auf ganz andere Weise gegen May vorzugehen. Dieser Beitrag mit der Überschrift "Karl May und sein Geheimnis", den wir hier in vollem Wortlaut folgen lassen, ist nicht nur der interessanteste, den Pöllmann über May geschrieben hat, er enthält auch die meisten Wahrheiten über Karl May. Wie schon eingangs erwähnt, war Pöllmann durchaus ein Kenner von Mays Werken, was an so manchen seiner Wendungen erkennbar ist. Darauf möchten wir mit einer generellen Vorausanmerkung besonders aufmerksam machen: »Mysterien« ist das erste außergewöhnliche und für Pöllmann erkenntnisreiche Wort, dem er sehr bald weitere folgen läßt: »Schlüssel zur Psychologie eines Volkes«, »an May ler-


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nen«, »Gesetze der Volksseele«, »Spiegel ihrer eigenen Seele«, »May ist ganz Phantasie, ganz Intuition, ganz Anschauung«, »May ist ganz visionäre Intuition«, »Reaktion eines quälenden Gebundenseins«, »drei Dinge sehen im Dunkeln: Liebe, Genie und Gewissen«, »großes Erzähltalent«. Darin ist der ganze May enthalten! Sehr beachtlich auch, daß Pöllmann Mays Alterswerke ohne Einschränkung als »symbolische Dichtungen« bezeichnet. Das alles steht zwar nur auf den ersten Seiten, läßt aber erkennen, daß Pöllmann Mays Qualitäten durchaus richtig einzuschätzen wußte. Um so unverständlicher ist sein maßloser Angriff.

   Auch wo Pöllmann sich mit Mays »Weltanschauung« oder seinen »Glaubensartikeln« auseinandersetzt, hat er richtig beobachtet. In seiner Kritik ist jedoch gleichzeitig eine scharfe Maßregelung des evangelisch-lutherischen Glaubensbekenntnisses enthalten, das bei May immer wieder und zumeist in sehr naiver Form zutage tritt. Pöllmanns Haß auf den Mann, den er so gut durchschaut hatte, treibt ihn schließlich zu absurden Stilblüten; so, wenn Pöllmann sich mit Mays »Intuitionalismus« beschäftigt, dem er eine natürliche Anlage abspricht, wäre hier zu fragen, was Intuition sonst ist, wenn nicht eine »natürliche Anlage«! Dann doch zumindest wohl eine "Gottesgabe"! Doch das wäre für Pöllmann zweifellos viel zu evangelisch.

   Oder, wenn Pöllmann sich mit der »äußerlichen« Veredelung von Erzählungen befaßt: Wenn man Indianer- und Detektiv-Geschichten »äußerlich« veredelt, kann das nur bedeuten, daß sie vom Verlag besser ausgestattet wurden als zuvor. Nur trifft das auf May keineswegs zu. Seine Bücher waren nicht besser ausgestattet als die anderer Schriftsteller mit ähnlichen Themen auch. Man denke nur an die hervorragend ausgestattete "Kamerad-Bibliothek" des Union-Verlags, in der May nur mit einem Band, "Der schwarze Mustang", vertreten war. May hingegen hat den Indianer-Roman »innerlich veredelt«.

   Besonders kraß gerät Pöllmanns Urteil über das, was May von der Aussöhnung des Orients mit dem Abendland sagt: das stehe »dem Blödsinn nahe«! Wahrhaftig, ein herbes Wort aus dem Mundes eines christlichen Priesters!


"Die Bücherwelt", Bonn, Nr. 8, Mai 1910:

Karl May und sein Geheimnis.

Von P. Ansgar  P ö l l m a n n, O.S. B., Beuron.

Das letzte Wort dieser Überschrift löst in jedem ehrlichen Mayling die Erinnerung an eines der wichtigsten Requisiten Kara Ben Nemsi Effendis aus. Lieber


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Leser, du gehörst hoffentlich nicht zu jenen bedauernswerten Geschöpfen, die nicht wissen, was »Rih« ist. Denn »Rih« ist ein Rapphengst, »hat blutrote Nüstern und ist gebaut wie es Saleh, das Lieblingspferd Harun el Raschids. Er ist Radschi pak, er ist vom reinsten Wasser.« (»Orangen und Datteln.« 36. - 40. Tausend. S. 241). Drum ist es ganz selbstverständlich, daß er ein »Geheimnis« hat, ein Zeichen, das ihn zur Aufbietung aller seiner Kräfte veranlaßt, und »mein Zeichen«, so erzählt Karl May, »bestand darin, daß ich den Namen Rih laut ausrief und dem Rappen die linke Hand zwischen die Ohren legte«. (S. 243.) Heute, »wo jedermann weiß«, daß der Radebeuler Märchenerzähler auch hinter die unscheinbarsten Dinge unerhörte Mysterien gelegt hat, und wo er uns »im Reiche des silbernen Löwen« (4. Band. 16. - 20. Tausend.) einen abgerittenen Hellbraunen namens »Kiss-y-Darr« vorgeführt, zu Deutsch: Schundroman, dem die ganze schauerliche Geschichte der Firma Münchmeyer um die Rippen schlottert (S. 462 ff.), da müssen wir wohl auch in »Rih« symbolische Qualitäten suchen. In der Tat kann ich mir das geschlossene Gefüge von May und seiner Gemeinde nicht besser vorstellen als durch das Verhältnis zwischen einem Reiter und seinem Pferde. Und wie des Pferdes Geheimnis auch das des Reiters ist, so hätte ich umgekehrt dieser Untersuchung ebensogut den Titel geben können: Die Maygemeinde und ihr Geheimnis. Ob wir es ganz entschleiern werden? Man hat sich bisher damit wenig Mühe gegeben. Außer Hugo Eik, der in der Münchener »Allgemeinen Zeitung« (Beilage Nr. 130. 11. Juli 1907) einen guten Teil des Problems anschürfte, wüßte ich niemanden. Selbst die intimsten Verehrer Mays, wie Weigl, Wagner, Röder, Ozoroczy sind über Oberflächlichkeiten niemals hinausgekommen; Krapp und Droop haben diese peinliche Untiefe vorsichtig vermieden, und gar erst Max Dittrich und der »dankbare Mayleser!«(13) Und doch ist das »Problem May« zunächst das Problem der deutschen Leserwelt: May gerade ist der vorzüglichste Schlüssel zur Psychologie eines Volkes, das mit dem Herzen noch an den uralten Werten der natürlichen Schönheitsentwicklung hängt, während sein Verstand den neuen Formen erschlossen ist, eines Volkes, dem man den Hunger nach Kunst durch methodische Reizungen ins Unermessene gesteigert hat, ohne beizeiten für die entsprechende Nahrung zu sorgen. Der alte Ruf nach »Brot und Spielen«(14) hat einen neuen Sinn erhalten. Wenn wir an May lernen, was der Zukunft nottut, dann hat er uns, ob auch wider Willen, einen dankenswerten Dienst geleistet. Sehen wir näher zu.

   May ist der entgegenkommendste Schriftsteller, den wir besitzen. Was er erzählt, sind die Phantasien, was er schildert und ausspricht, die Wünsche und Empfindungen von Hunderttausenden. Er ist nur der Herold, der Dolmetsch einer großen Klasse, der größten Leserklasse Deutschlands, jener nur Allzuvielen, die zwischen Kunst und Unkunst, Bildung und Unbildung hin und her schwanken. Nie hat es je solch eine Identifikation gegeben zwischen Dichter und Volk, denn May und seine Gemeinde hören zusammen wie Roß und Reiter. Ich höre die Namen Homer und Nibelungenlied.

   In der Tat, das waren Verschmelzungen zwischen Volk und Dichter, die wir heute kaum mehr begreifen, weil wir kein Volk von einheitlicher Kunstanschauung mehr besitzen. May und Homer! und doch ist diese Parallele nicht ganz abzuweisen, wenigstens in bezug auf die elementare Wirkung beider, nur liegt das weder an May noch an Homer, sondern an den ewig sich gleichbleibenden Gesetzen der Volksseele. Homer und die Griechen waren eins, wie


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May und seine Gemeinde eins sind. Vielleicht ist in der Tat die Gemeinde Mays so groß wie das damalige Hellas, aber doch liegt ein wesentlicher Unterschied vor. Den Homer gebar die Blüte des Volkes, er war die Blüte des Volkes, der gute Geist, der es emporhob und in den reinen Sphären hielt; May hat kein Volk, nur eine Gemeinde, eine nach »Brot und Spielen« schreiende Klientel von hungrigen Plebejern, die sich nicht emporheben läßt, sondern - eine axdos 'apourhs(15) - den zur Erde niederzieht, der mit ihr paktiert. Aber auch diese Plebejer haben etwas von dem, was das homerische Volk besitzt, sie haben eine aus ihrem Daseinsgrunde heraus nach Schönheit und dem Paradiese lechzende Seele. Und dieses Paradies, das Paradies ihrer Wünsche, hat ihnen May ins traurige Dasein gezaubert. Um ihretwillen hat er sich in den Opiumrausch einer wildverlangenden Phantasie gestürzt; er hat ihnen geben können, was sie wollten, denn er war einer von ihnen. Das eben macht die Maygemeinde so bewußt, daß er ihr geistiges Eigentum ist, daß es der Spiegel ihrer eigenen Seele ist, was ihnen über den Sandwüsten des Lebens als Fata Morgana heraufgezaubert wird. May hat es oft genug ausgesprochen: er und seine Leser bilden eine »Familie«, und ich setzte dazu: eine blutsverwandte Familie, ein rundgeschlossenes Planetensystem.

   Und zu dieser Zusammengehörigkeit liegt der Grund in einem ganz eigenartigen Ausbau der Intuition, der Anschauung, so zwar, daß aus dieser Wurzel alles andere von selbst herauswächst, was zwischen May und seiner Gemeinde webt.

   Warum liest die breite Mittelmasse, just die Mayfamilie, keine Reisebeschreibungen? Vielleicht könnte einer, der sich nicht auskennt, sagen, sie werden zu trocken geschrieben sein. Aber im Gegenteil: von der Schilderungskunst eines Nansen, Payer, Hübner, Humboldt, Schlagintweit, Sven Hedin, Barth, Brugsch, Müller-Simonis hat May nicht den hundertsten Teil aufzuweisen.(16) Aus den Werken der Wirklichkeitsforscher steigt die Wahrheit der Dinge hervor, und zu dieser Objektivität und Realität steht unser Trachten und Denken in Widerspruch. Die Welt, die uns aus Reisebeschreibungen entgegentritt, ist etwas außer uns Liegendes; die Allgemeinheit tritt uns feindlich entgegen, weil wir uns ihr unterordnen müssen, weil sie uns verdemütigt mit dem lauten Zuruf: »Du bist nur ein Teil von mir, du gehst in mir unter, ohne eine Rolle zu spielen. « Der Mensch will aber Herr sein und herrschen; er will seine Individualität nicht aufgefaßt wissen als eine Einheit von vielen, sondern als den Sinn des Ganzen. Es gehört daher viel, viel Bescheidenheit in unserem heutigen und im alten Freidankschen(17) Sinne dazu, die Wahrheit ehrlich anzunehmen und sich ihr demutsvoll zu unterwerfen.

   Was also? mit einer hohlwangigen Märchenwelt ist unser praktisch geschultes Geschlecht nicht zufrieden: die Vision allein zieht nicht. Eine Realität ist nötig. Aber die Intuition der Tatsachen kommt ebenfalls nicht gelegen. Daher kommt ein eigentümlicher Ausgleich zustande und bildet eine, wenn ich so sagen darf, gedankliche Realität. Ich will gleich ein Beispiel anführen: May beschreibt sehr oft in genetischer Zergliederung Handlungen und Vorgänge bis ins einzelste. Man sieht, wie Ozoroczy meint, gleichsam das Wehen jedes Pferdehaares, und man ist überzeugt, daß es sich um Tatsachen handelt.(18) Geht man aber einmal nüchtern an eine geistige oder faktische Probe heran, so findet man, daß es sich nur um einen Schein von Realität, eine angemaßte Anschauung, nüchtern gesagt: um eine schwindelhafte Wirklichkeit handelt. Je-


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der Dichter muß den Geschehnissen seiner Phantasie die Wirklichkeit verleihen, und diese Züge müssen den Charakter einer unanfechtbaren Möglichkeit tragen. Um so mehr wird diese Möglichkeit gefordert, wo der Darsteller historische Vorgänge wiedergibt. Nun hat aber jeder Mensch Anschauungen über die wirklichen Dinge zahlreich in Besitz, die mit den Begriffen der Dinge, mit den Ideen nicht identisch sind. Und wer es vermag, diesem falschen Realismus unter kraftvoller Betonung des Intuitiven entgegen zu kommen, der hat die Menschheit für sich. May ist ganz Phantasie, ganz Intuition, ganz Anschauung, aber ohne jede Erfahrung im Reiche der Wirklichkeit. Er hat sich eine eigene Welt in seinen vier Wänden zusammengeträumt und ihr, mit Hilfe geographischer Werke, einen Schein von Recht, eine realistische Ähnlichkeit verliehen. So muß es auch der Ungebildete, der von seiner Scholle Abhängige machen. May ist sein Mann. May macht ihn zum heroischen Mittelpunkte dieser unsachlich-sachlichen Welt. Und May ist ganz visionäre Intuition, wie das Kind und das Volk, das eine allgemein vernommene Tatsache in bestimmte Erscheinungsformen kleidet. Immer vorausgesetzt, was wir hier unter visionärer Intuition verstehen, beherrscht dieser ideelle Realismus das gesamte Maysche Schaffen.

   Man spricht bei Schiller auch von visionärer Anschauung, wenn man vom »Tell« spricht. Aber er, der maßvolle Künstler, hat sich von den Elementen seiner Phantasie nicht überwältigen lassen und stand immerhin auf dem Boden gewissenhafter Forschung. Auch Chateaubriand und Gerstäcker haben anschauungsvoll unwirkliche Dinge wirklich gemacht, weil sie sich an der Wirklichkeit der fremden Welt geschult hatten und der Möglichkeit Rechnung trugen. May hat aber nichts, gar nichts von der Welt gesehen, die er bis 1899, also zwanzig volle Jahre, beschrieb. Was er sich zusammenphantasierte, war nicht wie bei Grube(19) popularisierte Forschung, sondern nichts als Reaktion eines quälenden Gebundenseins. Darum die »unmöglichen Farben«, von denen Ettlinger(20) (Lindemann) spricht. So aber kam er denen recht, die ebenfalls aus Reaktion auf Gebundenheit ihre Phantasie über die Meere schicken, den an der Wahrheit der Forscherergebnisse nicht geschulten Massen. »Drei Dinge,« sagt ein Barde des alten Wales in einer Triade, »drei Dinge sehen im Dunkeln: Liebe,  G e n i e  und Gewissen.« May hat im Dunkeln gesehen und gebildet, darum kann ihm eine gewisse Genialität nicht abgesprochen werden, aber diese Genialität war in der Wurzel schon krank und angefault. Und so legt May die linke Hand, wohlverstanden die linke Hand, seiner Gemeinde zwischen die Ohren, daß sie in »potenzierter Schnelligkeit« dahinsaust.

   Weil nun der Erzähler und der, von dem erzählt wird, derselbe ist, weil Person, Sache und Geschehnisse völlig übereinstimmen, so klappt auch alles ganz wundersam.

   Und das ist die Hauptsache, daß alles klappt. Denn weil es eben in der irdischen Welt niemals klappt, so werfen wir unsere Anker ins Jenseits: in der Kunst ist das Volk platonisch, es verficht die Leibnitzsche »Harmonia praestabilita«, den vollsten Optimismus in der Rekonstruktion des sündelosen Zustandes vor Adams Fall. Das Böse muß gestraft, das Gute belohnt werden, so will es der gerechte Geist, und danach soll die Kunst handeln. Wirklichkeit hat das Volk genug, seine Kunst liegt über den Sternen. Daß es bei May nun immer klappt, seine Erzählung also keine Wahrheit sein kann, ficht unser Volk nicht an. Denn eben, daß dieser ideale Gerechtigkeitsstand ihm vorgetäuscht wird,


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wünscht seine Sehnsucht. Und das ist kein Lob für Karl May, kein Prestige einer übernatürlichen Anschauungsweise, sondern nur ein Prestige für das Menschenherz im allgemeinen und ein Tadel für Mays Verstand im besonderen. Bei May klappt noch mehr; er ist überhaupt die fleischgewordene Vorsehung: was er je braucht, hat er im rechten Augenblick allezeit bei sich. Es war ein eigentümlicher Zufall, betont er dabei ebensooft, als er den Zufall als solchen überhaupt leugnet.

   Die wandelnde Vorsehung aber ist nichts anders als die Fülle aller vom Volk erstrebten Eigenschaften körperlicher wie geistiger Art: der Held. Und das ist Karl May, das ist das Volk. Er kann alles und macht alles, alle Sprachen der Welt sind ihm zu eigen, und es ist eine eigentümliche Satire, daß Old Shatterhand, alt und etwas nüchterner geworden, nachdem er keinen Vorzug mehr auf sich zu häufen fand, im Gespött der Welt auf den Gedanken kam, sein »Ich« sei nichts anderes als die »Menschheitsseele«(21) überhaupt.

   Das Kind und das Volk wollen Helden, sie kennen nur die Superlative von Gut und Böse, keine Mittelglieder der sittlichen Bewertung. Das ist ein soziales Gesetz, das sich in der Kunst als  T y p i k  geltend macht. Und in dieser Typik kommt Mays Intuitionalismus am stärksten zur Entfaltung. Es ist überhaupt für einen Künstler schwer, ein Kunstwerk zu schaffen, das rein real und nicht typisch wäre. Denn das muß ja als eine besondere Aufgabe der Kunst betrachtet werden, die Einzelgestalt ins Reich der Idee durch Verklärung zu erheben. Und ein völlig konsequenter Naturalismus à la Holz und Schlaf(22) wäre keine Kunst mehr. Natürlich gibt es Unterschiede. Vom Rechte der Typik hat aber May nicht nur einen zu ausgedehnten Gebrauch gemacht, sondern auch einen ganz falschen, denn er hat den in schärfsten Kontrasten gemeißelten Gestalten die Züge seines Phantasie-Realismus verliehen. Dadurch hebt er entweder den Wert der Typik wieder auf, oder aber er wandelt in der ständigen Gefahr, aus seinen Übernaturen reine Unnaturen zu gestalten. Ja, wäre ihm eigen, was Schillern zum Visionär gemacht hat, das Pathos. Aber die sittlichste Grundtiefe des künstlerischen Wesens fehlt May gänzlich: auf der einen Seite mangelt ihm die Achtung vor der Wahrheit, auf der anderen Seite fehlte ihm die Pietät vor den heiligsten Mitteln der Dichtkunst. Seine Winnetou, Old Shatterhand, Marah Durimeh hatten die Ansätze zu wirklichen Volkshelden, aber die angemaßte Wirklichkeit hat diese schönen Ansätze wieder zerstört. Hier im Typischen kommt Mays Grundcharakter ganz ins Leben und Weben: seine Renommagesucht, sein Übertreiben. Und daß May kein pathetischer Typiker war, kein Typiker aus innerstem Wesen, das hat ihn später in dem Versuch einer bewußten Typik kläglich scheitern lassen. Der tiefste Grund dafür liegt darin, daß Mays Typik, wie sein ganzer Intuitionalismus, nicht eine natürliche Anlage war, sondern erst an dem krummen Wege der Reaktion auf körperliches Unvermögen geboren wurde. Und weil die Mayschen Helden oder besser der Maysche Held, Held May, einem Wunsche nach Kraft und Wissen entsprungen sind, darum haben sie auch rechte Volksinstinkte, Instinkte des Volkes niederer Art. Sie alle hat zum großen Teil die Rachsucht ausgestattet. Das Raubtier, das im Unerzogenen, im Kind und im Volke steckt, feiert in May Triumphe: offen in den Schmutzfabrikaten des Münchmeyerschen Verlages, fein bemäntelt in den Fehsenfeldschen Reiseerzählungen. Die falsche Romantik tritt dazu: die gewalttätige Entschlossenheit des Räubers wird für Ritterlichkeit geachtet, und wir haben ja nicht nur im Mittelalter die Verbindung


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»Raubritter«, sondern auch in neuester Zeit die Veredelung hervorragender Räuber durch die Volkssage. Der Stoff lag somit gegeben da: in den Räuberischen Kurden begegnet uns die Kraft, in den Arabern die Pracht, in den Indianern der Stolz des Ritters. Räuber, Indianer, Araber gehörten lange vor May schon zum eisernen Bestand der Volkserzählung. Gewiß, May hat die Indianer- und Detektivgeschichten äußerlich veredelt, ihr inneres Wesen aber hat er nicht ändern können, und wenn man meint, er bilde ein Gegengift gegen Indianergeschichten Reutlinger Stiles(23), so weiß ich nicht, ob das nicht den Teufel mit Beelzebub austreiben heißt. Sicherlich steckt viel Wahres in dem, was Hugo Eik(24) von May meint: »Die naive Grausamkeit wie die Rauflust und der Betätigungsdrang des Kindes kommen bei ihm auf ihre Rechnung. Man mag über die Güte dieser kindlichen Instinkte denken, wie man will; jedenfalls findet auch der Knabe den Teufel interessanter als Gott, und man kann beobachten, daß er bei Geschichten von Verbrechern und edlen Verfolgern zweifelt, ob er nicht lieber der Bösewicht »ist« - ja, er wird je nach dem Wechsel der Parteien bald der eine, bald der andere sein.«

   Der typisch-kontrastierende Charakter hat vor allem auch das geschaffen, was alle Maylinge gefesselt hält, und was man bei May »Humor« nennt. Raabe, Trautmann und Seidel(25) haben Humor; solch einer ist aber bei May nicht vermeint. Wenn man heute von Humor redet, denkt jeder an Busch: dieser Witzbold und Bienenzüchter hat das große Glück, neben Goethe dem Deutschen seinen Hauptzitatenschatz liefern zu dürfen. Aber nicht einmal dieser »Humor« reicht für May aus, denn sein Humor ist der Humor des Kasperltheaters, die Burleske. Sein Hadschi Halef Omar, sein Quimbo, seine Petersilie sind nichts anders als übertriebene Gestalten wie Hännes und Tünnes. So will's das Volk, es lacht gern und viel, aber der Witz muß auch derb und verständlich sein. Drum hat May um seinen »blauroten Methusalem« gleich ein halbes Dutzend solcher komischen Gestalten geschart. Sicherlich hätte Pocci(26) seine helle Freude an dem dicken Mynheer Aardappelenbosch gehabt, dem in der chinesischen Tempelhalle eine göttliche Aufgabe zufällt. Einzelne Szenen sind bei May nicht voll Humor, sondern voll packender Komik, diese aber hat keinen anderen, als einen Augenblickswert. Aber May zerstört in seiner Uebertreibung auch hier: alle diese komischen Gestalten, denen das Maß fehlt und vor allem die Vorsicht, vor Verschießen des letzten Pulvers abzutreten, wirken schließlich wie die widerliche Verzerrung eines stehengebliebenen Lachens.

   Und dann kommt in der Mayschen Komik eine besondere Seite der Rachsucht zur Geltung: die Schadenfreude, die Malice. Sie ruht in der analytischen, auflösenden, zergliedernden Veranlagung Mays. Daß ihm nämlich die Synthese fehlt, jegliches architektonisch-psychologische Vermögen, zeigt schon die lose Struktur seiner Erzählungen. Wohl hat er ein Ziel vor Augen, aber er erreicht es mit äußeren Mitteln und im Plaudertone, weil es ihm ja nicht entgehen kann, eine Tatsache, die seine Spannung so eigentümlich gemütlich und furchtlos macht. Der auflösende Charakter zeigt sich stets drastisch in der Vorführung, sei es ernster, sei es drolliger Geschehnisse: es gibt bei ihm kein inneres, wesentliches Durchdrungensein, sondern nur ein leicht begreifliches, leicht verfolgbares, rein lokales Nacheinander. Man denke einmal an das Nießen des Vaters Pent in der einfältigen Geschichte »Saiwa tjalem« (»Auf fremden Pfaden«): »Seine spitze Stirn legte sich in Falten, die geschlossenen Augenli-


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der begannen zu zittern, der Mund öffnete sich, zwar langsam, aber so weit wie möglich; die gegen Kälte und allerlei kleines Getier mit Pechsalbe beschmierten Wangen dehnten sich aus, und dann erfolgte jene bekannte Explosion, für welche die Sprachen aller Völker nur ein- und dieselbe Bezeichnung haben - app . . . zieh!« Ich hätte aus dieser Geschichte andere Stücke nehmen können, etwa das Lager in der Hütte (gleich eingangs) oder die Art, wie May Speisen beschreibt (die Morgensuppe), indem er ihrer Zubereitung zuschaut. Ich wollte nicht das schlechteste Beispiel aussuchen. Oder folgendes Stückchen aus dem zweiten Bande (»Durchs wilde Kurdistan«): »Das Gespräch war zu Ende, aber die duftende Petersilie kam herbeigekrochen, ließ sich in der unmittelbaren Nähe meiner armen Nase häuslich nieder und nahm dann den von mir verschmähten Scherben auf ihren Schoß. Ich sah, daß sie mit allen fünf Fingern ihrer rechten Hand in das geheimnisvolle Amalgam langte und dann den zahnlosen Mund wie eine schwarzlederne Reisetasche auseinanderklappte - ich schloß die Augen. Eine Zeitlang hörte ich ein mächtiges Geknatsch; sodann vernahm ich jenes sanfte, zärtliche Streichen, welches entsteht, wenn die Zunge als Wischtuch gebraucht wird, und endlich erklang ein langes, zufriedenes Grunzen, welches ganz hörbar aus einer wonnetrunkenen Menschenseele kam. O Petersilie, du Würze des Lebens, warum duftest du nicht draußen im Freien!« Ohne Zweifel ist das flott erzählt - daß May ein großes Erzählertalent besitzt, hat noch niemand bestritten - und es gibt auch ein Gesetz der Poesie, daß das Werden wirkungsvoller ist als das Sein, aber nicht immer. Man denke einmal an den Gang des jungen Paares Hermann und Dorothea durch das Anwesen: das nenne ich Werden, denn es ist ein Wachsen. May bietet nur ein lebhaftes Neben- und Hintereinander. Das macht aber freilich lebhaft gegliedert und leicht verständlich; es ist ein Journalistentrick. Gerade bei May, wo alles im Flusse sich befindet, wo auf Tod und Leben gehandelt und geschwätzt wird, wären lyrische Ruhepunkte nötig. Auch die Naturbeschreibung geschieht durch Zergliederung in Teilmomente. Nur in seinen symbolischen Dichtungen der letzten Zeit erhebt sich May, wenn auch selten, zur Großzügigkeit.

   Freilich gewinnt seine Prosalyrik dabei den märchenhaften Charakter der Sentimentalität. Denn - und jetzt kommt ein wichtiger Teil seines Geheimnisses - Karl May ist nicht modern. Man verstehe wohl, was ich damit meine: sein so scharfes Auge ist kurzsichtig für die Qualitäten der Formen und Farben. Wenn einer von »Stimmungen« bei May spricht, der weiß nicht, was Stimmung ist. So sehr er Intuitionalist ist, so sehr er einem Traumrealismus nachhängt, es fehlt ihm doch die wahre Anschauung und deren Ausdrucksmittel, wo es sich um Iyrische Unbewegtheit handelt. Wie die Romantiker so hat auch May den Gehörsinn stärker und bedeutungsvoller entwickelt: er arbeitet weit mehr mit der  E m p f i n d u n g, als mit der Stimmung. Das ist der ewig romantische Zug des Volkes.

   Mit dieser ohne Zweifel berechtigten Romantik steht ein anderes romantisches Requisit in schreiendem Gegensatz: sein Katholizismus. May bekennt sich bekanntlich zur evangelisch-lutherischen Konfession. Erst nach und nach, als er merkte, was er bei den katholischen Hausschatz-Lesern zu werden vermöchte, verfiel er auf die Frömmigkeit. Und wie! Selten habe ich etwas Widerlicheres und Aufdringlicheres gefunden, als den Mayschen Katholizismus. Daß er ihm nicht von Herzen kam, lehrten schon seine Schmutzromane und lehrt heute seine Predigt der Interkonfessionalität. Es war ja auch die Zeit, wo


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mit Katholizismus die besten Geschäfte zu machen waren. Wie salbungsvoll vermochte May von christlicher Liebe und allen zehn Geboten zu reden! Das war wieder etwas fürs Volk: die innerliche Roheit der Mayschen Abenteuerromane bekam ein sittliches Mäntelchen, und das gute katholische Volk ließ sich gefangen nehmen. Ich habe diese Seite des »Geheimnisses« Shatterhands an anderer Stelle(27) ausführlich beleuchtet und kann mich hier mit dieser Hindeutung begnügen.

   Absolute Sittenreinheit rühmt man ihm nach. Warum hat er die Erotik aus seinen Erzählungen im »Deutschen Hausschatz« ausgeschaltet? Wie seine Erotik aussieht, zeigen seine Kolportagefabrikate. Und selbst wo er gewissermaßen anständig bleibt, wie in einer Novelle im »Heimgarten« (vgl. meine »Rückständigkeiten«: »Aus den letzten Tagen Karl Mays«)(28) kommt er über sinnliche Aeußerlichkeiten nicht hinaus. Er tat gut daran, von Liebe zu schweigen, deshalb braucht er sich aber nicht in die Brust zu werfen; auf diesem Gebiete hat er allen Grund zu schweigen. Fritz von Ostini hat diese »sittliche« Seite der Mayschen Reiseerzählungen und das Verhalten der oberflächlichen Menge in den »Münchener Neuesten Nachrichten« (Fastnachtsnummer 1901. »Die blaue Schlange.«) mit seiner Satire richtig gekennzeichnet. Er läßt da May vor den versammelten Indianern fürchterlich aufschneiden und dann sagen: »Wer's nicht glaubt, der lese meine sämtlichen Werke, wo er auch finden wird, daß ich alle Länder der Erde bereist habe, alle Sprachen kenne und von allen Nationen vergöttert werde. Ich kümmere mich nie um das weibliche Geschlecht, weshalb meine Bücher sich so vorzüglich für die reifere Jugend eignen.« Gewiß kam dieser völlige Ausschluß der Erotik den Erziehern sehr entgegen, und so schien man an ihm den Jugendschriftsteller per eminentiam gefunden zu haben. Wie schwer haben sich da viele Pädagogen getäuscht! In einem späteren Aufsatze werde ich das statistisch nachweisen. Nur die eine Bemerkung kann ich hier nicht unterdrücken: den geringen Nutzen, den die ersten katholisierenden Romane vielleicht gebracht haben, überwiegt weitaus der Schaden der indifferentistischen Bände der letzten Jahre.(29)

   Eine der Hauptursachen der May-Lektüre, den allbekannten Reise- und Auslandstrieb der Deutschen, erwähne ich nur vorübergehend, um endlich zum wohl wichtigsten Punkte des Geheimnisses zu gelangen, zur  F a m i l i a r i t ä t  Karl Mays. Denn abgesehen von der völligen künstlerischen und moralischen Gleichsetzung von Verfasser, Leser und Held, hat Old Shatterhand einen ganz eigenartigen Verkehr mit seinen Verehrern aufgerichtet. Er fordert auf, ihm für sein »Leseralbum« die Photographie zu senden, wie er auch selbst mit seinen Bildnissen nicht geizt. Bald im Gewande Old Shatterhands, Kara Ben Nemsi Effendis oder Old Surehands, bald hinter seinem Schreibtisch im luxuriös ausgestatteten Arbeitszimmer, bald im tadellosen Gesellschaftsanzug, immer macht er Effekt. Das höchste in dieser Beziehung bildete seine biographische Skizze »Freuden und Leiden eines Vielgelesenen« im »Deutschen Hausschatz«. Wenn er in eine große Stadt kommt, dann lockt gar bald die Annonce: »Old Shatterhand (Karl May) ist da und für seine Verehrer zu sprechen« usw., ungezählte Jünglinge und Jungfrauen dem von ihrem Heros für sie gemieteten Hotelsaale zu. Die »Sitzungen« von München, Bonn und Köln sind berühmt geworden.(30) Ähnlich macht das heute der Hauptmann von Köpenick. Ungezählte Briefe gehen hin und her. Die stete Anrede seiner lieben Leser in allen seinen Erzählungen, das stete Betonen der Familienzugehörigkeit ver-


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fehlen ihre Wirkungen niemals. Und was besonders wichtig ist: Karl May entflammt nicht nur Leute, die niemals bis dato zur Feder gegriffen haben, zu »Kritiken« (»Sonntagsreiter der Kritik« hat sie jüngst das Stuttgarter »Deutsche Volksblatt« genannt), sondern bringt auch vermöge der Kraft seiner Suggestion und Behauptungsgabe ganz angesehene Rezensenten um alle Ueberlegung. Wunderbar übereinstimmend lautet es da immer wieder: »bekanntlich« »jedermann weiß«. May muß trotz seiner Sekretärin eine ungeheure Arbeitskraft besitzen, daß er diesen enormen Briefwechsel neben seinen schriftstellerischen Arbeiten zu leisten vermag. Wie sehr er für sich zu gewinnen vermag, zeigt das unerklärliche Verhalten der »A u g s b u r g e r  P o s t z e i t u n g«; hat diese es doch schier auf ein halbes hundert Aufsätze zu Old Shatterhands Preis gebracht und die Ovation eines Essays (Lorenz Krapp) aus Anlaß seines Geburtstages nicht unterlassen.(31) Und mit dem ständigen Zusammenhang zwischen Autor und Lesern verbindet sich die denkbar höchste schriftstellerische Zuvorkommenheit. Durch alle Erzählungen des »Deutschen Hausschatzes« und des » Regensburger Marienkalenders« zieht sich ein roter Faden nicht nur der Hinweise auf Früheres und Späteres, sondern auch eine stete Orientierung des Lesers über das Vorhergehende durch kurzen Überblick der bisherigen Geschehnisse, durch Wiederholung der Charakteristik der wichtigsten Persönlichkeiten usw. Man könnte auch sagen:  e i n  roter Faden der Selbstreklame und der Suggestion. Und dann kehren die einmal geschaffenen Typen, die beim Leser Sympathie erweckt haben, bis zur Bewußtlosigkeit wieder, und so allerdings schreibt May für den Ausgleich zwischen Morgen- und Abendland. Nicht nur diese Typen, seine Requisiten, als da vor allem sind der Henrystutzen und der Bärentöter eigener Konstruktion, seine Anschauungen, seine Kunststückchen, seine harmlosen kleinen und wenigen Philosopheme, alles schleppt May von Band zu Band, so daß, nach Aussage eines Maylings, bei Old Shatterhand jedermann zu lesen anfangen kann, wo er will, jeder zu Hause ist, und jeder vor vielem Nachdenken bewahrt bleibt. Karl May ist reiner Genuß - weiter aber auch nichts. Wirklich nicht? Seine Leser behaupten, er sei ethnographisch ungemein bildend. Und das hat Karl May sehr gut gemacht: er hat aus älteren geographischen Werken lange Abschnitte wissenschaftlicher Natur abgeschrieben (wie ich bereits tabellarisch dargetan habe) zur Besänftigung der Gewissen.(32) Jeder echte Mayling hüpft aber über so was weg. Wegen der Spannung? Nein, spannend kann May für einen, der auch nur drei Bände von ihm schon gelesen hat, in den folgenden dreißig Bänden nicht mehr sein. Denn es gibt in der Tat nichts Trostloseres als die Phantasiearmut Karl Mays, die stets am gleichen Knochen nagt. Nur in die neuesten Werke hat er etwas Märchenausstattung frisch eingeführt. Aber man spricht doch so viel von Spannung der Erfindungen Mays, und den Lesern sprühen ja vor Glut die Backen, wenn sie über einem Buche ihres Altmeisters atemlos hängen. Allerdings, eine gewisse Spannung ist da: man kennt genau die Mittel, unter denen Karl May die Wahl hat. Welches wird er hier und jetzt anwenden, um aus der Klemme zu kommen? Raus kommt er, wozu wäre er sonst Karl May, und wie könnte er dann sonst die Sache noch nachträglich beschreiben. Das ist so ziemlich der ganze Apparat. Viel ist's freilich nicht.

   Der Stil Karl Mays wandelt für gewöhnlich in den Bahnen des deutschen Alltagsstiles; May schreibt, nicht anders als seine Gemeinde, den gewöhnlichen Gebrauchston der Zeitungen: flott, ganz gewiß und nicht ohne lyrischen


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Anflug, hie und da sogar mit einer gewissen Größe epischer Eindringlichkeit, meist aber flüchtig, mit unschönen Sprach- und Satzfehlern und unbekümmert um die wundersamsten Stilblüten. Aber ein Zeitungsstil ist's und bleibt's, über feuilletonistische Behandlung der Sprache kam May niemals so recht hinaus. Die Stilproben bei Droop (»Karl May. Eine Analyse seiner Reise-Erzählungen«) genügen vollkommen, um May aus der Liste der Klassiker zu streichen. Die Reiseerzählungen wimmeln von lächerlichen Gedankenlosigkeiten sachlicher wie sprachlicher Art. Und was May in seinen ebenso billigen wie läppischen Dialogen an Geschmackverirrungen leistet, übersteigt das Operettenhafte. Ich habe schon oft gefunden, daß einer glaubte, für Mays Stil zu schwärmen, während ihn nur die routinierte Technik verblüfft hatte.  J e d e n f a l l s  k a n n  M a y  g a n z  u n m ö g l i c h  d e r  J u g e n d  a l s  S t i l b i l d n e r  v o r g e s t e l l t  w e r d e n. Die Lektüre Mays mache den Stil flüssig, behauptet man; das ist möglich, kann aber durch Autoren erreicht werden, die nicht zugleich unendlich schaden. Wenn z. B. diese Dialoge, auf denen förmlich die ganze Form bei May basiert, wirklich dramatisch wären, dann müßte May ja wenigstens den äußeren Anforderungen des Dramas entsprechen können. Das Gegenteil aber ist der Fall: May hat im Dramatischen völlig versagt. Die sogenannte »arabische Fantasia« »Babel und Bibel«, die Old Shatterhand mit Hilfe des österreichischen Adels auf das Wiener Hofburgtheater zu bringen versucht hat, reizt Seite um Seite zum Lachen.

   Folgende Beweisprobe dürfte genügen(33):

Schefaka (hinunterblickend): »Das war der Kopf!«

Hakawati: »Das war der Kopf!«

Alle (durcheinander): »Das war der Kopf!«

(Noch eine kleine Weile, dann scheinen die Harfen sich in Bewegung zu setzen; sie kommen näher, kommen herauf.)

Schefaka: »Ich sehe sie! Sie bringen ihn getragen!«

Imam: »Sie bringen ihn getragen!«

Kadi: »Sie bringen ihn getragen!«

Alle (durcheinander): »Sie bringen ihn getragen!«

   Ich bemerke, daß diese Szene nicht allein steht: auf diesen allezeit gleichlautenden Wiederholungen baut sich der Charakter des Stückes auf. Mays Lyrik (»Himmelsgedanken«) erhebt sich, von ganz wenigen Gedichten abgesehen, nicht über ein dilettantisches Mittelmaß und hat deshalb so viele verständnisvolle Leser.

   Es erübrigt, noch von Mays neuester Richtung zu sprechen. In drei deutliche Abteilungen läßt sich sein gesamtes Schaffen einteilen:

   1. Zeit der krassen Geschehniserzählung

   2. Moralisierende und katholisierende Romane (parallel mit 1 und 2: Schmutzromane);

   3. Gedanken- und Tendenzdichtung (indifferentistisch).

   Diese symbolische Phase beginnt mit dem Romane »Im Reiche des silbernen Löwen« und hat bis heute viel Anmaßung, aber noch nichts Neues gebracht. Klug verfährt May dabei immerhin: denn wenn er geheimnisvoll mit Bombast irgend eine symbolische Gestalt aufstellt, dann verkündigt er auch sofort mit Bewußtsein deren Bedeutung. Das schmeichelt seinen Lesern, so Abgrundtiefes zu verstehen und zu den Auserwählten einer neuen Kunst- und Weltanschauung zu gehören. May hält sich für den ersten und einzigen Schrift-


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steller, der die Idee des allgemeinen Weltfriedens verficht. Was er sonst sagt von der Aussöhnung des Orientes mit dem Abendland und von der Bildung einer »indianisch-germanischen Rasse« steht dem - Blödsinn nahe.

   Das dürften wohl die Hauptstücke jenes Geheimnisses der Maygemeinde und der »Mayklubs« sein, vor dem wir manchmal ratlos stehen. Niemals aber wird man folgendes begreifen: Altmeister May hat seine ganze frühere Anhängerschaft ins Gesicht geschlagen, ohne daß sie aufmuckte. Aufmuckte? Sie hat über diese Faustschläge gejubelt. In Kürschners Literaturkalender hat May seine bisherigen Bände nur als »Vorstudien« bezeichnet. Man hatte sie bisher als höchste Blüte der deutschen Dichtkunst gepriesen, und May schaut auf uns arme Schlucker herab: die werden staunen, wenn ich erst einmal richtig loslege. Am 25. Februar 1906 schrieb er in maßlosem Wahne an seine »lieben Gratulanten«: »Ich habe also weder Lust noch Zeit, mich auszuruhen, und gar von solchen Werken, die doch nur Uebungen und keine Arbeit waren. Ich trug in ihnen nur den Stoff zusammen für das, was ich jetzt nun zu bilden habe. Sie waren weiter nichts als die Palette, auf der ich Farben sammelte und prüfte, und wenn es wirklich Menschen geben sollte, die  M a l e r s c h e i b e n  f ü r  G e m ä l d e  h a l t e n, so tut es mir um ihretwillen leid.« Da hatte May seinem »Rih« wieder einmal die linke Hand zwischen die Ohren gelegt, und Rih tat seine Schuldigkeit.

   Es gibt im Reiche der Mitte ein Märchen von einer Nachtigall, die am Hofe des Kaisers sehr beliebt war. Da brachte eines Tages irgend ein Mandarin eine künstliche Nachtigall mit, drei Stücke konnte sie pfeifen. Das war etwas. Man lernte nach und nach die Melodien und pfiff aus der Fülle des Herzens mit. Die richtige, wahre Nachtigall aber zog sich vergessen in die Büsche des Waldes zurück. Gibt es ein treffenderes Bild von May und seiner Gemeinde als dieses Bild von der künstlichen Nachtigall? Drei Melodien und die ganze Gemeinde pfeift mit.

   Hatte Pöllmann in dieser Abhandlung deutlich seinen eigenen, überwiegend positiven Erkenntnissen zu Mays Schaffen Gewalt angetan, so startete er danach ein Unternehmen mit einer »vertraulichen Umfrage«. Mit einem eindeutig auf ein für May ungünstiges Ergebnis hinzielenden Fragebogen suchte er jetzt, das Feld der May-Gegner um eine geschlossene Berufsgruppe, die katholischen Erzieher, zu erweitern. Es steht außer Zweifel, daß sich durch die kaum eine freie Meinungsäußerung zulassende Fragestellung ein im Ergebnis vernichtendes Urteil über den pädagogischen Wert Karl Mays ergeben hätte.

   Auch der nun ebenfalls hier im vollen Wortlaut folgende Beitrag Pöllmanns belegt den unerbittlichen, von keinerlei humanen Grundsätzen geleiteten Kampf dieses Geistlichen gegen einen Schriftsteller, dem er innerhalb seiner Diffaminierungskampagnen eine sicherlich nicht ganz gewollte Anerkennung nicht ganz versagen konnte: »so sind seine (Mays) neuen symbolischen Schöpfungen, die mancher Schönheiten nicht entbehren und zeigen, was May uns bei künstlerischer Selbstbescheidung und sittlicher Größe hätte werden können, nichts anderes als auf große Kinder angepaßte Jugendliteratur«.


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"Die Bücherwelt", Bonn, Nr. 9/10, Juni/Juli 1910:

Karl May im Lichte der praktischen Pädagogen.

Ergebnis einer Umfrage von  P .  A n s g a r  P ö l l m a n n O.S. B. (Beuron).

Das Jahr 1909 bedeutet den Höhepunkt im Ruhme Karl Mays. Genau dreißig Jahre - eine richtige Generation - (seit 1879) hat dieser Ruhm gedauert. Und den Höhepunkt hat die »Augsburger Postzeitung« herbeigeführt. Nachdem im Oktober 1908 Lorenz Krapp das »Schlußwort zum Probleme Karl May« (Lit. Beil. zur »Augsb. Postztg.« Nr. 44, 2. Okt. 1908) gesprochen und damit der negativen Arbeit, der Verteidigung ein Ende gemacht hatte, setzte mit Beginn des Jahres 1909 die positive »Kritik« in voller Macht ein, so daß ich mich genau so fragte, wie es heute die »Augsburger Postzeitung« mir gegenüber tut: »Wird hier nicht unnötig an eine Sache viel Arbeit und Zeit verschwendet, die in anderer Weise und auf anderem Gebiete viel nutzbringender und zweckdienlicher verwendet werden könnte?« (Nr. 83; 14. April 1910).(34) Zunächst brachte ein bisher unbekannter Amand von Ozoroczy die »literarische Porträtstudie« Karl Mays (Nr.29,6. Februar 1909)(35), worin uns May als Apostel der Liebe vorgestellt wird. Noch in demselben Februar teilte die Augsburger Volksbibliothek mit: »Bekanntlich ist der gelesenste Schriftsteller unserer Volksbücherei Karl May, besonders bei der lieben Jugend. Von unseren 150 Bänden (also 5 Exemplare der Gesamtausgabe) ist in der Regel nicht einmal ein halbes Dutzend daheim, manchmal aber alles total vergriffen.« Zugleich wird ein Brief an den Bibliothekar mitgeteilt, woraus ersichtlich, daß alles, was Old Shatterhand bisher geschrieben hat, »nur Vorübung« gewesen ist. Am 25. Februar (Nr. 45) bespricht ein »Medikus« in längerem Feuilleton »Karl May als Erzieher«, während gleichzeitig Lorenz Krapp in der »Literarischen Beilage« (Nr.9; 26. Februar 1909) den »Lyriker« May preist. Beide Aufsätze stellten sich als eine Ovation zum 68. Geburtstage Karl Mays dar. Auch Krapp, der früher May ganz abgelehnt und später sich wenigstens für die Symbolik der neueren May-Romane mit ihrem »Hineingeheimnissen« nicht begeistern konnte, geht jetzt auf die erzieherischen und psychologischen Probleme Old Shatterhands voll und ganz ein. Dabei findet er nicht Worte genug, die edle Persönlichkeit Mays zu preisen. Allein die »Augsburger Postzeitung« fand keinen Glauben, und so mußte denn ein stärkeres Geschütz vorgefahren werden. Ein Oberlehrer Franz Langer drehte den Stiel mit verblüffender Kaltblütigkeit um: hatte man nämlich in May bisher einen »Vater der Schundliteratur« erblickt, so hieß es nun auf einmal: »D i e  S c h u n d-  u n d  G i f t l i t e r a t u r  u n d  K a r l  M a y ,  i h r  u n e r b i t t l i c h e r  G e g n e r« (Nr. 160; 20. Juli 1909). Diesen Aufsatz hat Weigl seiner Broschüre über »K a r l  M a y s  p ä d a g o g i s c h e  B e d e u t u n g« eingefügt, woraus sie dann wiederum in andere, der Erziehung gewidmete Blätter überging.(36) Es begann in der Unterhaltungsbeilage (»Lueginsland«) der vierte Teil des »Winnetou« (S. 697 ff., abgeschlossen im April 1910)(37), schon vorher (S. 131, 1909) war darin das Bildnis Karl Mays zu sehen. Am 16. Oktober 1909 empfahl (Nr. 235) eine Besprechung der neuen Auflagen den »zahlreichen Verehrern Karl Mays« die illustrierte Ausgabe der Reiseerzählungen »mit Nachdruck«: »Ein Karl May war dringend notwendig, um die Hochflut der Schundliteratur, die unser deutsches Volk zu überschwemmen drohte, mit Erfolg einzudämmen.«


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   Und nun, nachdem May als Erzieher für die Leser der »Augsburger Postzeitung« feststand, kam der Hauptcoup: da ein Erzieher nur durch die Macht seiner ureigensten Persönlichkeit zu wirken vermag, mußte eine stärkere Fühlung zwischen May und seiner Augsburger (und zugleich bayerischen) Gemeinde hergestellt werden. Am 7. Dezember 1909 (Nr. 278) verkündete eine Annonce den »Vortrag des Schriftstellers Herrn Dr. Karl May« über »Sitara, das Land der Menschheitsseele«.(38) Am Tage, da er im »Schießgrabensaal« abends 8 1/4 Uhr stattfinden sollte, am 8. Dezember, brachte noch schnell ein Feuilleton »K a r l  M a y ,  e i n  V i e l g e s c h m ä h t e r« (Nr. 279)(39) etwas Sensation in die Massen, wiederum mit dem Hinweis auf Mays Führerschaft »in den Stürmen des Lebens«. An diesem Tage stand die Sonne Mays im Zenith. Am 10. Dezember 1909 Nr. 280(40) berichtete die »Augsb. Postzeitung« über diesen Vortrag mit aufgeregten Superlativen (»Karl May in Augsburg«) wie über die Herabkunft eines Gottes: »Ein literarisches Ereignis seltenster Art haben wir hinter uns. Karl May hat gesprochen, die glühende Sehnsucht tausender von Lesern und Leserinnen, denjenigen einmal von Angesicht zu Angesicht schauen zu dürfen, der ihnen durch seine gierig (! ) gelesenen Schriften so manche Stunde verschönt, der ihre jugendliche Phantasie so reich und seltsam (!) befruchtet hat, und der - einmal richtig gelesen und verstanden - vielen der treueste und anregendste literarische Begleiter im ruhelosen wilden Lebenskampf geworden ist, diese Sehnsucht, sie wurde am gestrigen Abend gestillt . . . Augsburg kann den nicht unbedeutenden Ruhm für sich in Anspruch nehmen, diejenige Stadt zu sein, mit der Karl May neben seiner sächsischen Heimat aufs engste verbunden ist.« Und nun jauchzt dieses überglückliche Augsburg in nie gehörten Lobesmelodien über Mays »Bestreben, die Menschheit zu adeln, sie herauszureißen aus der Erdenniedrigkeit, um mit ihr emporzusteigen in lichte Höhen«. Heil dem Messias May! Ich muß hier einen längeren Abschnitt aus diesem Berichte als Dokument zum Abdruck bringen: »Die gequälte Menschheit dem reinen Glück entgegenzuführen, sie zu Edelmenschen, zu Christusmenschen zu adeln, das war die "verderbliche Absicht", die ihm von seinen bittersten Feinden zur Last gelegt wurde, nein, nicht die verderbliche, das war die edelste, selbstloseste Absicht, für die er ein Menschenalter hindurch im hitzigsten Literaturkampfe stand, aus dem er endlich doch als lorbeerbekränzter Sieger hervorgehen soll. Und wer Gelegenheit hatte, seinem hohen, sanften Gedankenflug folgen zu dürfen, den er gestern vor der breitesten Oeffentlichkeit unternahm, der wird sich der Einsicht nicht verschließen können: Karl Mays Schriften sind weit, weit davon entfernt, fesselnde, verführerische Pennälerliteratur zu sein, für die ein belesener Tertianer gerade noch ein mitleidiges Lächeln übrig haben kann, Karl Mays Schriften sind vielmehr dazu bestimmt, der Jugend, der gereiften Menschheit, den gebildetsten Ständen als Herzensbilduer zu dienen, ihnen als treuhelfender Berater im heißen Ringen und Suchen nach dem "Höhenlande" zur Seite zu stehen, Adelsmenschen zu schaffen aus jenen Kreaturen, die im "Tiefland" geboren sind und den trotzigen Mut besitzen, die "Geisterschmiede" aufzusuchen, wo sie gehämmert und abgeschliffen werden, bis sie eingehen können ins Reich der Edelmenschen. Die lauterste Absicht, ein geklärtes Künstlertum durchweht sogenbringend Mays Schriften, die bald, recht bald Gemeingut des deutschen Volkes, aller Stände und jeden Alters werden mögen. « Soweit über die »Laienpredigt« im Schießgrabensaal, »von der ein Gottvertrauen, eine tiefsinnige Gläu-


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bigkeit ausstrahlte, die ihre grandiose Wirkung auf die in atemloser Spannung lauschende Menge nicht verfehlte.«

   Damit war Mays Höhepunkt erreicht. Die christliche Kirche als die Erzieherin und Herzensbildnerin der Menschen war ausgeschaltet, und an ihre Stelle war ein Abenteuerromancier getreten, der in seinen alten Tagen die Pfade eines vagen Symbolismus betrat und der es verstand, seine materielle Glaubensanschauung in den verschwommenen Duft eines Phrasenidealismus zu hüllen. So stand er in überirdischem Glanze, ein paar Tage lang. Die »Augsburger Postzeitung« konnte noch in zwei Rezensionen (Nr. 285, 16. Dezember 1909 und Nr. 289, 21. Dezember 1909)(41) ihrem vollen Herzen Luft machen, indem sie ihrem Helden den Lorbeer des »Apologeten« spendete, und dann - kamen die Enthüllungen des »Bundes«.(42)

   Im Vorgehen der »Augsburger Postzeitung« erkennen wir eine zielbewußte Taktik: Karl May wurde uns als  E r z i e h e r  angepriesen. Wer ruhig die Aufsätze des Jahres 1909 nacheinander liest, hat das Gefühl, daß die christlichen Aszeten von den Zeiten der Apostel bis auf unsere Tage sich umsonst bemüht haben. Und ein anderes Gefühl mildert das erste: eine gänzliche Unkenntnis der aszetisch-pädagogischen Bücherwelt der alten wie der neuen Tage ist es, was einem May seine unerhörte Stellung einzuräumen vermochte. Das »Erzieher« ist dabei der »Postzeitung« doppelt vermeint: einerseits für die Jugend, anderseits für die »gereifte Menschheit« und die »gebildetsten Stände«. Karl May und mit ihm seine Trabanten haben sich aufs entschiedenste dagegen gewehrt, die Fehsenfeldschen »Reiseerzählungen« als Jugendschriften anzuerkennen. Sie seien zwar für die Jugend sehr heilsam, aber nicht in erster Linie für sie bestimmt. May hält sogar die Abstempelung zum Jugendschriftsteller für einen besonders perfiden Trick seiner Feinde, während er doch eigens sechs Jugendschriften im Verlage der »Union« habe erscheinen lassen, um den Beweis zu führen, daß er kein Jugendschriftsteller sei. Wahrscheinlich hat dann Old Shatterhand seine acht Fünfundzwanzig-Pfennig-Hefte bei Robert Bardtenschlager in Reutlingen in Druck gegeben, um (mit seinen anderen Schriften ähnlichen Kalibers) zu beweisen, daß er keine Indianergeschichten schreibe.(43) A propos Reutlingen: auf einem Kongreß für ländliche Wohlfahrtspflege in Reutlingen im April dieses Jahres nannte der bekannte Professor Brunner von Pforzheim, der Kämpe gegen Schmutz, Karl May den »eigentlichen Vater und Begründer der Schundliteratur«. Mit Recht. Karl May, aus der Kolportageschriftstellerei hervorgegangen, schrieb erst regelrechte rohe Indianerware. Seine sittlichen Anschauungen lagen mit seiner hohen Erzählergabe noch bis in die neunziger Jahre im Kampfe. May hat nach und nach einen edleren Standpunkt eingenommen. Ein Ausgleich kam in ihm aber erst gegen 1900 zustande als es zu spät war. Die Entwicklung Mays ist, wie bei jedem Vielschreiber, leicht zu verfolgen. Zwanzig Jahre lang war er mit der Jugend vollauf zufrieden aber wie er in seinem unbestrittenen, aber ungeordneten Fleiße an Erkenntnis zunahm, im fortgeschrittenen Alter sich geistig vertiefte und vor allem seine Macht und sein Talent fühlen gelernt hatte, da wollte er auch ein Erzieher des reifen Menschen sein und zwar, maßlos wie er nun einmal ist, mit dem allmählich fortgebildeten Gedanken (worauf auch Rentschka in der »Germania« aufmerksam machte)(44), als eine Art Religionsphilosoph das konfessionell ausgeprägte Christentum zu ersetzen. In den ersten Jahren noch schrieb May neben seinen katholisierenden Romanen schmutzige Kolportage-


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werke. Daß diese ihm jetzt unbequem sind, ist ganz selbstverständlich, von »Reue« keine Rede, denn er leugnet sie gegen alle Beweise ab. Aber noch mehr: heute gibt er auch seine ersten dreißig Bände »Reiseerzählungen« als Stoffsammlungen preis. Und diese Reiseerzählungen hat man als bestes Gegengift gegen die Indianerliteratur gepriesen, denn May habe diese ja veredelt. Gegen den Teufel ist Beelzebub freilich ein Gegengift. Da hilft »alle Veredelung« nichts: die Indianerliteratur ist im innersten Wesen verwerflich.(45) Professor Paul Schäfenacker in Mannheim hat auf dem »dritten Kongreß der deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten« in Mannheim 1907 diesen Gedanken mit folgendem Satze angeklungen: »Tatsächlich suchen unsere Knaben anfangs keineswegs diese alle Moral untergrabenden Schilderungen, sondern ihnen imponiert die Gestalt des Helden, des Detektivs, der mit unmöglicher Muskelkraft ausgestattet die furchtbarste Uebermacht bezwingt und alle Gefahren spielend besteht. Die gleiche Begeisterung, welcher Karl Mays Erzählungen von Old Shatterhand und Old Firehand ihre kolossale Beliebtheit bei der männlichen Jugend verdankten, treibt die törichten Knaben zu dieser verderblichen Schundliteratur« (S. 100 f. des unter dem Titel »Sexualpädagogik« bei Joh. Ambr. Barth in Leipzig erschienenen amtlichen Berichtes). Unverständlich ist es mir, wie der sonst so verdienstvolle Franz Weigl in »Karl Mays pädagogische Bedeutung« (2. Aufl. München, Val. Höfling, 1909)(46) S. 16 es »erfreulich« findet, daß Schäfenacker (bei Weigl steht »Schöfenecker«) den »Mut« gehabt habe, »in seinem Referat . . . auf die segensreiche Weckung der Begeisterung durch Karl Mays Erzählungen gegenüber der verderblichen Schundliteratur hinzuweisen.« Ich kann etwas Aehnliches mit bestem Willen nicht im Wortlaut der Schäfenackerschen Rede finden. Was im Wesen schlecht und unkünstlerisch ist, läßt sich niemals »veredeln«, weder durch glänzende Schilderung, noch durch »tiefsinnige« Mysterien. Karl May hat »in vanum« gearbeitet. Heute will er, wie gesagt, von der Jugend nichts mehr wissen, aber er kann nicht anders. Wie seine »Reiseerzählungen« nur versittlichte Indianerliteratur waren, so sind seine neuen symbolischen Schöpfungen, die mancher Schönheiten nicht entbehren und zeigen, was May uns bei künstlerischer Selbstbescheidung und sittlicher Größe hätte werden können, nichts anderes als auf große Kinder angepaßte Jugendliteratur. Sicherlich nicht ohne Mays Einvernehmen geht der Verleger Fehsenfeld nach dem Charlottenburger Zusammenbruch mit dem Titel »Jugendschriftsteller« für Old Shatterhand betteln.(47) Und da mag May erklären, was er will: die Jugend bildete früher und bildet heute noch den überwiegenden Teil seiner Gemeinde.(48) Und die »Großen«, die ihn lesen, sind die an ihm Gebildeten, denen er in der Jugend die wahre künstlerische und literarische Bildung mit seinen Massenwerken verbarrikadiert hat. Dazu ein kleines Häuflein von Pädagogen welche der Meinung sind, man könne mit May den Knaben über die schlimmen Zeiten der erwachenden Sinnlichkeit hinweghelfen.  F r e i l i c h :  w ä r e  M a y  e i n  » E r z i e h e r «  d e s  » g e r e i f t e n  M e n s c h e n « ,  d a n n  w ä r e  e r  a l l e r d i n g s  a u c h  d e r  b e s t e  J u g e n d b i l d n e r ,  u n d  u m g e k e h r t :  w e n n  e r  s i c h  a l s  J u g e n d b i l d n e r  n i c h t  b e w ä h r t ,  d a n n  k a n n  e r  a u c h  f ü r  d e n  g e r e i f t e n  M e n s c h e n  n i e m a l s  i n  B e t r a c h t  k o m m e n.

   Die »Augsburger Postzeitung« hatte also unseren Shatterhand auf den von ihm ersehnten Lehrstuhl der Völker gesetzt. Nun durfte die Kritik nicht mehr schweigen; es war Zeit, einmal gründliche Abrechnung zu halten. Und so be-


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gann ich mein Material zu ordnen, bevor Lebius1) mit seinen »Enthüllungen«(49) hervortrat. Gerade die erzieherische Seite Mays wollte ich mir zum Gegenstande meiner Prüfung erwählen. Da ich nun aus eigenem Studium die Nichtigkeit des Augsburger Urteils erkannt und an alten Maylesern die geringen erzieherischen Eigenschaften Old Shatterhands erfahren hatte, so wollte ich der Sicherheit halber und dem eigenen Unvermögen mißtrauend einmal den umgekehrten Weg gehen. Dies tat ich durch eine Umfrage bei praktischen Jugenderziehern.

   Indem ich die Ergebnisse dieser Umfrage hiermit der Oeffentlichkeit vorlege, betone ich, daß die dabei in Frage kommenden Gymnasial- und Seminar- Direktoren, sowie die Konviktsleiter mir persönlich im großen und ganzen unbekannt sind. Die Versendung des Umfrageformulars geschah der Hauptsache nach an die in Peter Webers (Baden-Baden) »Ratgeber für katholische Eltern . . . Führer durch katholische Pensionate, Lehr- und Erziehungsanstalten für die Schuljahre 1909 und 1910«(50) angegebenen Adressen. Zugleich erinnere ich daran, daß durch die ausgesprochene Erfahrung ungezählter Schulleiter, sowie durch die vor den Jugendgerichtshöfen geführten Prozesse eine Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit im verderblichen Einflusse der Mayschen Abenteuerromane und der Detektivgeschichten bei den aus dem sittlichen Gleichgewicht gebrachten Jungen erwiesen ist.(51) Da mag nun May, wie in seiner ungebührlichen Riesenannonce gegen den »D r e s d n e r  A n z e i g e r« (»Dresdner Nachrichten«, 13. November 1904) und dessen Feuilleton »K a r l  M a y .  ( W a s  u n s e r e  Q u a r t a n e r  l e s e n . )  V o n  e i n e m  G y m n a s i a l l e h r e r«(52), den faden Witz reißen: »Hierauf erfährt man, daß wieder einmal ein Schüler seinen Eltern entlaufen sei. Donner und Doria, das ist nun wohl schon der fünfhundertste! Nämlich weil bereits gegen fünfhundert Zeitungen ganz dasselbe gebracht haben. In Wirklichkeit aber ist es immer nur dieser eine, und der ist nicht etwa meiner Bücher wegen durchgebrannt, sondern der anderen Bücher wegen, die sich die gesunde Jugend z. B. nicht von . . . anonymen Gymnasiallehrern aufzwingen lassen will;« aber es ist leider nicht nur »einer«. Richtig ist, daß diese Durchbrenner von den »anderen Büchern« durchgegangen sind, aber nur weil ihnen Herr May den Geschmack daran verdorben hat. An nur allzu vielen Gerichtshöfen und in nur allzu vielen Gymnasialkonferenzen ward der Name May zugleich ausgesprochen mit den Titeln der berüchtigtsten Detektivgeschichten. May meint in der genannten Annonce, worin er übrigens sich sehr um seinen jugendlichen Leserkreis und um seine pädagogische Qualität wehrte, unter anderem: »Ich habe bisher, dem Volumen nach, zirka 50 Bände geschrieben. (Nota bene: die Zahl 50 stimmt genau für die Summe der Reiseerzählungen und der Münchmeyerschen Schundromane!) Durch alle diese


   1) Ich wiederhole hier noch einmal ausdrücklich, daß meine Aufsätze mit den »Enthüllungen« des »Bundes« weder der Absicht noch dem Inhalte nach etwas zu schaffen haben. Jedenfalls ohne nähere Kenntnis dieser meiner Aufsätze nannte Chefredakteur Roeder vom Aachener »Volksfreund« Herrn Lebius meinen »Gewährsmann«. Der Charlottenburger Prozeß hat ihm das Gegenteil bewiesen. Was würde Herr Roeder, der Verfechter des christlichen Gewerkschaftsgedankens, dazu sagen, wenn ich ihn als mit der Sozialdemokratie verbrüdert bezeichnen wollte, weil er genau mit demselben Material wie der »Vorwärts« und die sozialistische »Metallarbeiterzeitung« gegen Lebius und für May eintritt, und weil er dieses Material genau wie die beiden genannten Sozialistenblätter von May selbst erhalten hat? -


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Bände ziehen sich, um nur das hierher Gehörige zu erwähnen, unzählige Beispiele, durch welche ich zu beweisen suche (man beachte das Wort »suche«) daß der Mensch auf keinem anderen Wege vorwärts kommen und glücklich werden könne, als durch Gehorsam gegen Eltern und Lehrer, Achtung vor dem Gesetz und der Obrigkeit, strenge Erfüllung aller seiner Pflichten und hilfsbereite Liebe für jeden, der ihrer bedarf. Das haben Hunderttausende gelesen; sie lesen es noch heute und werden es noch weiter lesen.« In der Tat hält Karl May mancherlei Predigten in seinen Werken, aber er, der Held und das Vorbild selbst? Er ist etwas, ohne Mühe; er kann alles, ihm gelingt alles, ohne Anstrengung: er arbeitet nicht, sondern strolcht durch die Länder der Erde ohne inneren Zweck. Darauf hat einmal Rudolf Lebius, als er noch nicht der unerbittliche Feind Mays war, hingewiesen: May ist das Prototyp eines »Glücksritters« und solche »erfolgreiche Glücksritter« ohne Anstrengung und ohne Arbeit wollen die Knaben und die Kinder des unerzogenen Volkes werden. Während May allerlei Tugendhaftigkeit predigt, zieht er durch seine Aufschneidereien das Auge der Jugend vom vorgestellten Guten ab. Das Gute ist maßvoll; Maß ist das Ziel der Erziehung. Das Ergebnis der Maylektüre lautet aufs Gegenteil:  e i n  M a ß l o s e r  k a n n  d u r c h  M a ß l o s e s  n u r  M a ß l o s i g k e i t  u n d  S c h r a n k e n l o s i g k e i t  e r z e u g e n. Diesen Satz beweist das Resultat meiner Umfrage verblüffend und erschreckend.

   Wohl wußte ich, daß Mays beste Tage in der Achtung der Erzieher vorüber waren. Ich rechnete in den Antworten meiner Umfrage auf Halbscheid in Ja und Nein. Aber was geschah? Nur ein einziges Gutachten trat bedingungslos für May ein; es stammte aus der Feder eines geistlichen Konviktsleiters aus Bayern. Ich werde darauf noch zurückkommen.

Der Text meiner »vertraulichen« Umfrage lautet, wie folgt:


   Die Aufmerksamkeit der literarischen und pädagogischen Kreise Deutschlands, Oesterreichs und der Schweiz ist augenblicklich infolge der »Bund«-Enthüllungen des H. Lebius-Berlin mehr als je auf das »P r o b l e m«  K a r l  M a y  hingelenkt. Ein Monstre-Prozeß wird zur öffentlichen Kenntnis bringen, was den Eingeweihten [Dr. Hermann Cardauns in den »Hist. polit. Blättern« 1902 (Bd. 129. S. 517 ff.)(53) und 1907 (Bd. 140. S. 268ff.)(54); Professor Dr. Schumann im »Dresdner Anzeiger« (13. und 27. November 1904)](55) längst erschlossen war: Karl Mays Privatleben steht nicht im Einklang mit den so aufdringlich hinausposaunten religiösen und moralischen »Anschauungen« der Fehsenfeldschen »Reiseerzählungen«.

   Gerade in den letzten Jahren hat sich nun bekanntlich ein heftiger Streit über den pädagogischen Wert oder Unwert der Mayschen Romane erhoben. Diesen Streit charakterisiert die Tatsache, daß so ziemlich zu gleicher Zeit zwei von ganz entgegengesetztem Standpunkte aus geschriebene Broschüren erschienen: »K a r l  M a y s  p ä d a g o g i s c h e  B e d e u t u n g« von Franz Weigl und »K a r l  M a y ,  e i n  V e r d e r b e r  d e r  d e u t s c h e n  J u g e n d« von Lebius-Kahl. Während die »K a t h o l i s c h e  S c h u l z e i t u n g  f ü r  N o r d d e u t s c h l a n d« (26. Jahrgang Nr. 2)(56) sich für die erzieherischen Elemente der Mayschen Romane ausspricht, sieht der »S c h u l f r e u n d« (62. Jahrgang, Heft 10) (»Karl May und die Erzieher«) in Mays »Spannungsmache« nur eine furchtbare Gefahr für unsere Jugend.(57)

   Der Unterzeichnete hat sich schon im Jahre 1901 in den »Histor. polit. Blättern« und später wieder in seiner »Gottesminne« gegen die Züchtung einer ungesunden Phantastik durch die Schriften Mays ausgesprochen.(58) Traurige Erfahrungen mancher Konviktsleiter und Gymnasialdirektoren gaben ihm recht. Man denke nur an die Verhandlungen vor der Freiburger Strafkammer (»Gymnasiasten auf dem Kriegspfade«).(59)


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   Ueberzeugt, daß jetzt der Augenblick einer Klarstellung gekommen ist, beschäftigte ich mich mit einer umfangreichen Untersuchung des Falles May und habe von verschiedenen Anstaltsleitern ein so interessantes Material gegen May in die Hand bekommen, daß mir eine Verwirklichung des Gedankens möglich erscheint, den theoretischen Streit durch eine praktische Umfrage zu lösen, Karl Mays Schriften an der Hand ihrer Wirksamkeit zu prüfen.

   Aus den bisher vorliegenden Gutachten ist als gemeinsames Endurteil hervorzuheben, daß nur passive, geistesträge, weichliche, energielose Schüler sich ausdauernd mit Mays Abenteuern beschäftigen, und ein Konviktsdirektor teilte mir mit, daß er »schwänzende« Schüler meist an der Lektüre Mayscher Schriften erkenne. In Bayern sind die Romane Karl Mays zum großen Teil aus den Bibliotheken der Mittelschulen verschwunden. Verschiedene außerbayrische Internate führen sie längst nicht mehr im allgemeinen Bücherschrank.

   Interessante Lichtblicke dürfte die auffallende Tatsache bieten, daß Mays pädagogische Qualitäten meist nur durch Theoretiker der Erziehung, durch Ferienlehrer und Erzieher von Kindern (Volksschullehrer) oder bereits reiferen Jünglingen (Seminarlehrer) verteidigt werden, während die für unseren Fall in Frage kommenden eigentlichen Praktiker und die Erzieher der heranwachsenden Knaben (Mittelschullehrer) May durchweg verurteilen. Der Grund liegt klar: er ist aus den verschiedenen Erfahrungen herzuleiten.

   Nach meiner Meinung ruhen die Gefahren der May-Lektüre in folgenden Punkten:

   1) Ueberspannung des Phantasielebens und Förderung der  P a s s i v i t ä t. (Renommage und Ich-Sucht.)

   2)  U n k l a r e  ethnographische und geographische Vorstellungen. (Falscher Realismus Mays.)

   3) Auf Grund der letzten Schriften Mays: Beförderung des  I n d i f f e r e n t i s m u s. (May als Gegner der alleinseligmachenden Kirche.)

   4)  V e r ä u ß e r l i c h u n g  der künstlerischen Anschauung. (Schnodderiger Stil, bloßes Ereignis, Mangel an Psychologie.)

   Die von mir unterstrichenen Wörter machen in ihrer Gesamtheit deutlich, daß ich Mays Werke als einen Nährboden der  V e r s c h w o m m e n h e i t  und  U n e n t s c h i e d e n h e i t, die das gerade Gegenteil der erzieherischen Ziele sind, betrachte. Mit Hinblick auf die modernen Erfordernisse aber zitiere ich das große Wort Bischof Kepplers: »Charakter tut not!«

   Bekanntlich ist der Verlag Fehsenfeld (Freiburg i. B.) für Mays »Reiseerzählungen« mit den Empfehlungen einiger Bischöfe hausieren gegangen. Bei näherem Zusehen stellten sich diese »Empfehlungen« aber meist als sehr »bedingungsweis« heraus, wofür die Formel des diplomatisch klugen Kirchenfürsten Dr. Hermann Dingelstad von Münster ein Beispiel bringt, sie beginnt mit den Worten: »Wenn dieselben dem guten Rufe entsprechen, der ihnen vorausgeht, so . . . « Im übrigen betonen alle eben nur das Fehlen unsittlicher oder unreligiöser Tendenzen. Das hat sich aber in den letzten Werken Mays geändert, und seitdem es unverbrüchlich sicher feststeht, daß May jene unappetitliche Menge von unzüchtigen Romanen geschrieben hat, die seit dem berüchtigten Vergleich mit der Firma Münchmeyer resp. mit dem damaligen Inhaber dieser Firma (Mai 1903) 2) heute wie damals unverändert und dazu noch unter Karl Mays vollem Namen weiterverkauft werden, so besteht noch die Gefahr.


   2) Dieser Prozeß ist nicht zu verwechseln mit Mays Privatprozeß gegen die Witwe des früheren Geschäftsbesitzers Münchmeyer (Frau Ida Pauline Münchmeyer), der von 1904-1907 durch alle drei Instanzen gejagt wurde; die Klage May Witwe Münchmeyer beschäftigte sich nur mit den von May geforderten rückständigen Honoraren (laut Lebius von 800 000 Mark). Karl May hat durch Konfundierung dieser fast gleichlautenden Prozesse die Oeffentlichkeit getäuscht. Trotz der meisterhaften aktenmäßigen Darstellung der Tatsachen durch Dr. Cardauns in den »Hist. pol. Blättern« (1907 S. 286 ff. »Die Rettung des Herrn Karl May«) haben sich viele katholischen Zeitungen und Zeitschriften irre führen lassen. Diesem Mangel an Klarheit verdanken wir den ununterbrochenen Bestand des »Problems« Karl May -


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   5)  D i e  W e c k u n g  u n e d l e r ,  g e m e i n e r  T r i e b e  b e i  d e r  J u g e n d. Dies schon deshalb, weil ein eingefleischter Mayleser, durch die Verpfefferung der Spannung und Uebertreibung aus den Grenzen ruhigen Gefühls geworfen, gierig nach allem greift, was nur mit der verheißungsvollen »Firma« Karl May gestempelt ist. Denn bei May findet er allezeit die gewünschte Uebertrumpfung selbst der höchsten Sensationen.

   Was ich aber schon früher ausgesprochen habe, dabei bleibe ich auch heute noch: bei ordentlicher Ueberwachung bieten die ersten (etwa 20) Bände der Mayschen Reiseerzählungen zwar nicht gerade irgendwelche erzieherischen Vorteile, aber vielleicht doch einmal eine zulässige kleine Abwechslung. Nur soll diese leichte Ware eines leider durch seine Selbstsucht um seine großen Gaben gebrachten Talentes nicht als »hohe Kunst« gepriesen werden.

   Ich stelle daher im Interesse der allgemeinen Sache an Sie die Bitte, mir gütigst über folgende Fragen Aufschluß geben zu wollen:

   1) Wird in Ihrer Anstalt Karl May gelesen (d. h. werden seine Werke - und welche? - in der allgemeinen Schülerbibliothek geführt)?

   2) Welche Erfahrungen haben Sie mit Ihren May-Lesern gemacht?

   3) Welche Vorkehrungen treffen Sie zur Verhütung der in der May-Lektüre ruhenden Gefahren?

   4) Welche Ansicht haben Sie über den literarischen und pädagogischen Wert Karl Mays gewonnen?

   Durch baldigste Beantwortung dieser Fragen würden Sie mich ungemein verbinden. Ich brauche wohl nicht zu betonen, daß ich von Ihrer Antwort, sei sie für oder gegen Karl May, nur den allerdiskretesten Gebrauch des mit Namen nicht operierenden Statistikers machen werde.


   In dieser Umfrage kommt also die durchaus falsche ethnologische Uebermittlung in Mays Werken nicht als  w i s s e n s c h a f t l i c h e s, sondern nur als  p ä d a g o g i s c h e s  Mißverdienst in Frage. Irgend welche Wissenschaft wird von May nicht befördert; wollte sich einer auf die Solidität der sprachlichen und ethnologischen Angaben bei ihm verlassen, so wäre er wahrhaftig übel dran. Die sprachlichen Brocken sind zum Teil falsch (wie z. B. das berühmte Englisch des Herrn May), zum Teil aber sogar direkte Phantasiegebilde, wie Mays Chinesisch. (Vgl. »Ueber den Wassern«. Weitere schlagende Beweise werden folgen.) Mays Beschreibungen von Gegenden sind, soweit es sich nicht um Plagiate handelt, durchaus irreführend, z. B. in der Angabe von Entfernungen. Und nun das Ergebnis!

   Zwar steht noch eine Anzahl von Antworten aus, allein die mir vorliegenden rund  e i n h u n d e r t u n d d r e i ß i g  zum Teil umfangreiche Gutachten dürften ein deutliches Bild gestatten. Ich füge bei, daß ich überhaupt noch keinen Philologen (wenn ich von einem Religionslehrer absehe) in meinem weiten Bekanntenkreise getroffen habe, der für Karl May auch nur ein gutes Wort gehabt hätte. An die Spitze dieser großen Zahl von Antworten setze ich den Brief eines weltberühmten Philosophen und Pädagogen, dessen reine, edle Persönlichkeit ein ungetrübtes, tiefüberzeugtes Urteil verbürgt, und dessen Namen ich nennen muß; ich meine den Verfasser der »Geschichte des Idealismus« und so vieler didaktischer und pädagogischer Werke von grundlegender Bedeutung, Professor  D r .  O t t o  W i l l m a n n  in Salzburg.(60) Er schreibt:

   »Meine Kenntnis der Schriften Karl Mays beschränkt sich auf die ersten Publikationen im »Hausschatz«. Ich fand dieselben nicht gerade anstößig, aber für die Jugend ungeeignet. Ihre Schlagworte: »falscher Idealismus« und »Veräußerlichung« kann ich vollständig unterschreiben, und so möchte ich auch Ihren übrigen Ausstellungen 1. 2. 5. beitreten. Wenn es nachweisbar ist, daß May


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auch die pornographischen Bücher geschrieben hat, was ich bisher bezweifelt hatte, dann kann es ja keine Frage sein, daß alle seine Schriften aus katholischen Häusern und Schulen auszumerzen sind, da auch die scheinbar harmloseren ein sittliches Miasma enthalten können. Mit dem Wunsche, daß Ihre Bemühungen von dem besten Erfolge gekrönt sein mögen« usw.

   Den Beweis für Mays Autorschaft an den Münchmeyerschen Schmutzromanen hat eigentlich längst Dr. Cardauns geführt. Ich werde demnächst noch eine Reihe gravierender Momente hinzufügen. Einen Beweis, den wohl durchschlagendsten, führe ich kurz hier an: Mays Schmutzromane werden heute noch unter vollem Namen Karl Mays vertrieben.(61) Wenn sich je wirklich das  G e r i c h t  damit befaßt und die  F ä l s c h u n g  n a c h g e w i e s e n  hätte, so würden weder die Bücher noch die Druckplatten mehr existieren. Was May »gerichtlichen Nachweis« nennt, ist nichts anderes als ein klug veranstalteter Privatvergleich. Und gesetzt: May wäre nicht der Verfasser der fraglichen Schmieraillen, man müßte ihn doch für sie verantwortlich machen, weil er ihnen seinen Namen erlaubt. Aber es läßt sich spielend der historische Beweis erbringen, daß das »Waldröschen«, »die Liebe des Ulanen«, die »Sklaven der Schande« und wie sie alle heißen mögen, ganz waschechte Karl Mays sind, parallel mit den Hausschatzerzählungen geschrieben.(62) Doch davon später!

   Neben dem hochverehrten Altmeister der Didaktik wollen wir zur Probe gleich einem jugendlichen Mayleser das Wort gönnen. Ein erzbischöflicher Konviktsdirektor hatte nämlich die gute Idee, sich ein Expose von einem in May erfahrenen Obersekundaner ausarbeiten zu lassen. Es ist ein ehrliches frisches Selbstbekenntnis, das trotz oder vielleicht gerade wegen seiner jugendlichen Unzulänglichkeit für Pädagogen von bedeutendem Werte sein kann.


»D r .  K a r l  M a y.

E i n d r ü c k e ,  d i e  s e i n e  R e i s e e r z ä h l u n g e n  a u f  m i c h  m a c h e n ,  j e t z t ,  n a c h d e m  i c h  s i e  a l l e  g e l e s e n  h a b e  u n d  s i e  p r ü f e n d  d u r c h g e h e:

   Man hört oft sagen: Karl May befördert in hohem Maße die Lesewut und wirkt nachteilig ein auf die Phantasie. Ich muß beide Einwürfe bejahen, soweit ich es an mir erfahren habe.

   F ö r d e r u n g  d e r  L e s e w u t. May anfangen und nicht aufhören zu lesen, war eins. Kaum hatte ich einiges von ihm gelesen, da hatte ich keine Ruhe mehr, ich mußte auch die anderen Bände haben. Las ich so schon viel - es gilt dies für die Zeit der letzten Volksschuljahre, für die Stundenzeit (gemeint ist die Zeit des Privatunterrichtes) und für die Anfangsferien meines Gymnasiallebens - so wurde dies noch ärger mit dem Anfangen der May-Lektüre. Kaum war zu Mittag gegessen, ich las Karl May. Nach dem Nachtessen ebenfalls. Kam ich von der Schule heim, hatte ich irgendwie Zeit, Karl May mußte her. Hatte ich einige Kapitel von einem Bande gelesen, so mußte ich wissen, wie es ausginge, und las, bis ich es wußte. Ich erinnere mich zum Beispiel noch gut an einen Abend, wo ich freudestrahlend einen May, es war einer der drei Bände Old Surehand, nach Hause brachte. Ja, da half kein Mahnen meines Vaters - nur noch diesen Abschnitt, nur noch dieses Kapitel, es geht jetzt bald aus - nur durch Schelten konnte ich ins Bett gebracht werden.

   V i e l l e i c h t  h a t  e b e n  d i e  M a y - L e k t ü r e  n i c h t  n u r  d i e  F r e u d e  a m  L e s e n  v o n  s e i n e n  S c h r i f t e n  g e m e h r t  u n d  g e f ö r d e r t ,  s o n d e r n  a u c h  v o n  a n d e r e n  E r z ä h l u n g e n :  »I n d i a n e r g e s c h i c h t e n« usw.


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   I c h  m u ß  h i e r  n o c h  e r w ä h n e n ,  d a ß  v i e l l e i c h t  d i e  w a r m e  S c h i l d e r u n g,  d i e  M a y  v o l l  M i t g e f ü h l  ü b e r  d i e  U n t e r d r ü c k u n g  d e r  I n d i a n e r  m a c h t e,  v i e l  d a z u  b e i g e t r a g e n  h a t,  d a ß  i c h  g e r n e  I n d i a n e r g e s c h i c h t e n  l a s .

   N a c h t e i l i g e  E i n w i r k u n g  a u f  d i e  P h a n t a s i e. Auch das stimmt. Stundenlang konnte ich an Amerika, das May schildert, an die Indianer usw. denken, und ich wurde so schwärmerisch begeistert, daß ich mir in Gedanken ausmalte, wie wundervoll es doch sei, in einem so herrlichen Lande zu leben, Freundschaft zu gründen mit den Indianern, Kämpfe, Siege usw. Auch auf Freunde, mindestens von einem weiß ich es, hat Karl May ähnliche Eindrücke gemacht. Da wurden Pläne gemacht von späterer Auswanderung u. dgl.

   M a y  b e w i r k t,  d a ß  N a c h l ä s s i g k e i t  e i n r e i ß t  i n  d e r  E r f ü l l u n g  d e r  B e r u f s a r b e i t e n. Auch dieses muß ich bejahen. Ich las z. B. in den Pfingstferien 1907 sehr viel May, und ich glaube, daß dies nicht zum wenigsten dazu beigetragen hat, daß meine Leistungen schlechter wurden, eben durch die Phantasien.

   R e l i g i o n. Ist May katholisch? Diese Frage beschäftigte mich lange Zeit, und groß war mein Bedauern, als ich erfuhr, es sei dies nicht der Fall.

   Ich konnte mir gar nicht vorstellen, daß ein Mann so rührend über die Mutter Gottes und über die Schutzengel sprechen konnte, der weit entfernt ist, daran zu glauben. Ich kam aber bald zur Ueberzeugung, daß von wirklich religiösen Grundsätzen hier gar nicht die Rede sein kann. Nichts als Mittel, um den Leser zu rühren, z. B. die Schilderung von dem Aveglöckchen - die Einwirkung, die es auf Winnetou machte. Ich kann allerdings nicht sagen, daß dies irgend welchen Schaden verursachte, im Gegenteil, so meine ich mindestens, müßte es zur Marienverehrung beitragen. Wenn es nur nicht so äußerlich wäre.

   Positives über eine bestimmte Religion finde ich nicht. Es ist im ganzen eine Gefühlsschwärmerei und Gemisch von Ahnungen, Naturreligion, was durchaus nicht zur Stärkung des Glaubens beitragen kann, sondern eher zum Gegenteil, zum Ausarten des Glaubens in ein »fassungsloses Ganzes«. Denn es schmeichelt den Sinnen diese Schilderung von Waldesrauschen durch Gottesnähe und ähnliches.

   Kolossal artet diese Gefühlsduselei aus in einigen seiner letzten Bände; z. B. in den zwei letzten Bänden »Im Reich des silbernen Löwen«, »Am Jenseits«, »Friede auf Erden«.

   S t i l i s t i k.  G e o g r a p h i e. Ueber diese zwei Punkte bin ich mir nichts bewußt, aus dem einfachen Grunde: Wenn ich einen Band angefangen hatte zu lesen, was lag mir da an Stil und Richtigkeit bei den geographischen Angaben.

   K a r l  M a y  i n  H i n s i c h t  a u f  s i t t l i c h e  G e f a h r. Hier, muß ich sagen, kann ich ihn nur loben insofern, als er nie - mir wenigstens fiel nie etwas auf - etwas schreibt, das die Sittlichkeit verletzt. Mindestens gilt dies für die dreißig Reiseerzählungen, für die sechs großen Erzählungen wie »Der Sohn des Bärenjägers«, »Die Sklavenkarawane«, »Der Oelprinz« usw., für die »Guter Kamerad«-Ausgabe »Der schwarze Mustang«. Im Gegenteil zeugt sein Handeln - oder sucht er es nur so darzustellen - von Charakterfestigkeit und Redlichkeit. Schadenbringend halte ich Karl May nur insoweit, als er sich in den oben erwähnten Punkten viel zu sehr hat gehen lassen. Besonders zeugt es nicht gerade von männlichem Charakter, wenn er, nur um dem Leser zu gefallen, Sachen, z. B. über Religion (Maria usw.), behauptet, die er selbst nicht glaubt.


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   Aus all diesem ergibt sich, daß es durchaus kein Schaden ist, wenn man Karl May nicht gelesen hat, besonders für einen Schüler, der dann den ganzen Tag nichts anderes zu tun hat, als über Karl Mays Indianer und Beduinen nachzudenken. Was dabei herauskommt, kann man sich leicht denken. Auf der anderen Seite glaube ich, daß es insofern wieder nützlich ist, mäßig manches von ihm zu lesen, als es einen wieder von so und so viel anderen Dingen abhält. Ich betone »mäßig« und füge noch hinzu: Nur dann, wenn keine Gefahr ist, daß man seine Pflichten vernachlässigt, also am besten in den Ferien.

   Aber, wie gesagt: ich halte es nicht für nachteilig, Karl May nicht gelesen zu haben.« -


   Soweit unser junger Gewährsmann, der mit großer Ruhe und Sachlichkeit über den Erfolg seiner Maylektüre sich Rechenschaft zu geben sucht. Wir haben es auf der einen Seite mit einem empfänglichen Herzen, auf der anderen Seite mit einem klaren Kopf zu tun, nicht mit einem infolge seiner deformen Anlage auf Abwege geratenen Jüngling. Daher spricht dieses Gutachten trotz seiner Unzulänglichkeit Bände, denn es zeichnet mit sicherer Kontur den Ideenkreis und seelischen Gang des durchschnittlichen Maylings. Und wohl beachtet: unser Obersekundaner hatte in seinem unbestritten über das Mittelmaß hinausragenden Auffassungsvermögen noch unendlich viel vor der Menge und Masse jener jugendlichen Köpfe voraus, die sich einfach dumpf und stumpf von den Phantasmen Old Shatterhands umgarnen lassen.

   Bevor ich die Resultate meiner Umfrage statistisch zusammenfasse, muß ich einige der  e i n gelaufenen Gutachten ihrem ganzen Texte nach hier vorlegen.(63) Dabei bitte ich auch besonders auf die Ausführungen über die Erfahrungen mit May als Tischlektüre in religiösen Erziehungsanstalten zu achten. Die »Augsburger Postzeitung« hat kürzlich mir das Beispiel eines in der Kunstgeschichte hervorragenden Professors vorgehalten, auf dessen Anregung hin »in einem von Benediktinern geleiteten Gymnasium« Mays Reiseerzählungen als Tischlektüre benutzt wurden. Dieses Gymnasium glaube ich auch zu kennen, May wird dort nicht mehr gelesen. Ja, ich kenne eine hübsche Anzahl von Benediktinerklöstern, wo den Zöglingen aus May vorgelesen wurde in jener Zeit, da man sich über den Mann und den Wert seiner Schriften noch nicht klar war. Heute weiß ich nur noch ein solches Kloster. Darum folge zunächst das solide Urteil des hochangesehenen Konviktsdirektors eines der bedeutendsten Benediktinergymnasien Oesterreichs. Es lautet:

   »Auch an unserer Anstalt wurde zur Zeit des großen Karl-May-Rummels dieser Schriftsteller viel gelesen. Mays Romane wurden vor Jahren mit einer wahren Wut verschlungen; nicht nur passive, geistesträge, weichliche und energielose, auch sonst ganz wackere Buben waren von diesem Fieber ergriffen, der Hang der Jugend zum Phantasievollen und Abenteuerlichen. Wir sind dieser Hochflut sehr bald entgegengetreten. In der Bibliothek waren die älteren Bände vorhanden, die sind jetzt zum großen Teil zerlesen. Neuanschaffungen Mays werden nicht mehr gemacht; wir lassen ihn langsam aussterben, zum großen Teil ist er's schon. Er wird auch von den Jungen nur mehr wenig verlangt, bald werden wir ganz mit ihm fertig sein.

   Was Mays ethischen Wert für die Jugend anbelangt,  s o  u n t e r s c h r e i b e  i c h  j e d e s  W o r t  I h r e s  U r t e i l s; man kann den Jungen zur Abwechslung den einen oder den anderen der älteren Bände in die Hand geben. Wir werden übri-


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gens auch dies nicht mehr tun: man kann den Knaben Besseres geben. Wir werden Mays »Selbstsucht« nicht weiter unterstützen.« -

   Außerdem liegen mir noch elf andere Gutachten aus Benediktinerklöstern vor, die alle nichts weniger als schmeichelhaft für Old Shatterhand sind. Der Obere eines bayerischen Benediktinerklosters gibt zwar auf das »günstige Urteil« anderer hin die Mayschen Schriften seinen Zöglingen »unbedenklich« in die Hand, schreibt aber von sich selbst: »Persönlich sind mir Karl Mays Schriften ganz unbekannt. Einmal machte ich in . . . , wo meine Schüler sie, wie man sagt, förmlich »fraßen« . . . , den Versuch, sie zu lesen, brachte es aber zu keinen zwanzig Seiten und vermochte es seitdem nicht mehr über mich, den Versuch zu wiederholen.« »Manche Erzählung« wird »sogar beim Tisch der Zöglinge vorgelesen«, weil »irgendwelche ungünstige Folgen« nicht entdeckt worden sind. Man rufe sich den Text meiner Umfrage in Erinnerung: wo die nötigen Kautelen vorliegen, ist eine geringe Lektüre Mays zwar nicht zu empfehlen, aber auch nicht zu verbieten. Und deshalb konnte in Klöstern Karl May, zumal als Tischlesung, leichter Aufnahme finden: die Kontrolle erstreckt sich hier auf jede Minute der Tagesordnung. Zumal in Bayern, dem Lande Mays, ist es vorläufig nicht wohl möglich und klug, die Fehsenfeldschen Reiseerzählungen plötzlich mit Stumpf und Stiel auszurotten. Bevor hier eine ernste literarische Erziehung bei der Jugend eintreten kann, muß man sich mit einer allmählichen Verringerung der Dosis vollauf zufrieden geben.

   Ein anderer bayerischer Benediktinerabt bedauert zwar sehr »die sonstige Hochflut ungeeigneter und schädlicher Jugendschriften« und den immer noch geringen Bestand der einschlägigen Literatur, betont aber, daß er selbst »immer« ein Gegner Karl Mays gewesen sei und daß seine Schüler früher von ihm nie einen Mayband erhalten hätten. »Hier bin ich erst diesen Winter energisch aufgetreten.« Ähnlich spricht sich ein Fachmann desselben Klosters aus. Er erzählt, daß die Schulbibliothek nur ein einziges Werk von May, den »schwarzen Mustang«, enthalte. »Viele Schüler aber haben mehrere Bände in Privatbesitz, zum Teil erst letzte Weihnachten auf Wunsch von den Eltern erhalten; doch hier im Institut ist es ihnen verboten, sie zu lesen, und es wurden ihnen mehrere Bände abgenommen.« Interessant ist eben dieses Vaters Urteil über Mays besondere Jugendschriften (»Sohn des Bärenjägers«, »Schatz im Silbersee«, »Der blaurote Methusalem«): »Die halte ich für zu spannend, zu abenteuerlich, den »Schatz« geradezu als ein Sammelsurium von Abenteuern und indianischen Grausamkeiten; sie möchte ich den Jungen nicht in die Hand geben.« Sonst könne May bei sorgfältiger Verwendung immerhin anregend sein. Das stimmt. Wenn man aber eben dieses Urteil über Mays besondere Jugendschriften liest, dann glaubt man es dem »Herzensbildner« von Radebeul gern, daß er seine Jugenderzählungen geschrieben hat, um zu beweisen, daß er kein Jugendschriftsteller sei.

   Der P. Direktor eines anderen benediktinischen Knabenseminars in Bayern duldet (seit vierzehn Jahren) Karl May weder in der Schülerbibliothek noch in den Händen der Schüler. »Nur zur Abwechslung wurde ab und zu eine kürzere Erzählung als Tischlektüre zugelassen.« Wie es mit solch zufälliger Zulassung zur Tischlektüre, aus der die »Augsburger Postzeitung« eine prinzipielle Empfehlung ableitet, bestellt ist, mag das weitere Urteil des genannten Direktors beweisen: »Persönlich stimme ich den von Ihnen aufgeführten Gefahren der Lektüre (Mays) vollständig bei und möchte als fünfte gern noch anfügen:


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W e c k u n g  u n g e s u n d e r  A b e n t e u e r l u s t ,  V e r s c h l a g e n h e i t  u n d  B r u t a l i t ä t.« Diese Erfahrung spielt auch in anderen Gutachten eine große Rolle. »Literarischen Wert messe ich Karl Mays Reiseerzählungen keinen oder nur geringen bei, pädagogischer Wert ist ihnen m. E. vollständig abzusprechen. Ich erachte es als keine literarische Sünde, dahin zu wirken, daß Karl May bei der Mehrzahl unserer Zöglinge (180 von Klasse 1 - 5) kaum mehr dem Namen nach bekannt sein dürfte.« -

   Ein ganz vorzügliches Urteil ging uns aus einem oberbayerischen Benediktinerkloster ein, wo May in der »Anstaltsbibliothek« »überhaupt nicht geführt wird«: »Wegen der fesselnden Darstellung und des spannenden Stoffes hängt die Jugend an Karl May und opfert demselben nicht selten Studier- und Erholungszeit. May überreizt die Phantasie; bei lebhaften Gemütern wird der Abenteuerlust bedenkliche Nahrung gegeben; auch ist's schon Schaden genug, wenn während der Nachtruhe die Phantasie der Karl-May-Leser den unterbrochenen Faden fortspinnt bis zur völligen Ermüdung; die folgende Tagesarbeit leidet darunter. Mays Romane enthalten allerdings weder konfessionelle noch antikonfessionelle Tendenzen; die rächende Nemesis, wenn sie auch drastisch, grausam und blutig auftritt, dürfte guten Einfluß üben, aber als Jugendlektüre kurzweg dürfen Karl Mays Reiseromane nicht betrachtet werden; zum mindesten ist stark zu individualisieren und der jugendliche Leser zu überwachen; Knaben mit geringer Phantasie kann die Lektüre in etwa nützen; phantastisch veranlagten soll May unzugänglich sein.«

   Und wieder ein Urteil aus einem anderen bayerischen Kloster, wo mit großer Vorsicht Karl May ausgeliehen wird, und wo die zehn vorhandenen Bände Mayscher Erzählungen »ein recht bescheidenes Dasein« führen: »Nur hier und da kommt ein älterer von den Zöglingen und bittet um einen Karl May . . . Ich ließ voriges Jahr als Mittagstischlesung »Winnetou« vorlesen. Einige Wochen lang war alles begeistert. Nachdem der erste Band vorgelesen war, wurde ich allgemein ersucht, die anderen Bände nicht mehr vorlesen zu lassen. Selbstverständlich gab ich diesem Ersuchen statt. Darauf ließ ich die verschiedenen Erzählungen von Kümmel vorlesen. Von einer Ermüdung oder Antipathie gegen diese Lesung konnte ich bis jetzt noch nicht das geringste merken.«

   In der Bibliothek eines sehr großen bayerischen Benediktinerklosters stehen »zwei bis drei Bände von Winnetou«. »Betreffend Karl May besteht nun die Regel, daß er nur in den Ferien ausgeliehen wird. Ich bin hierzu unwillkürlich gekommen durch meine eigene Erfahrung: So lange man Karl May liest, studiert man nicht. In den Ferien halte ich aber den einen oder anderen Band für ganz gut.«

   Zwischenfrage: »Ist es nicht bedenklich, daß gerade nur bei Karl May immer und immer wieder sich eine eigene »Regel« notwendig macht?«

   Drei Punkte tadelt der Gutachter ferner an May: 1. die »Ich-Erzählung«, 2. das »Vorwiegen körperlicher Kämpfe und Ränke - dadurch kommt etwas Rauflustiges in die Jugend« und 3. die »Berechnung dauernder Spannung«, denn sie »führt im Leser eine Erregung herbei ohne künstlerischen oder anderen Genuß, und die Folge ist in vielen Fällen eine Ablenkung von der Pflicht«.

   Zwei österreichische Benediktinerabteien melden durch die Rektoren ihrer Erziehungsinstitute einstimmig, daß May jetzt in der Schülerbibliothek nicht mehr geführt und somit auch nicht mehr gelesen werde. »In sparsamer Dosis


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geboten«, könne die Maylektüre »als das »kleinere Uebel«, zumal zur Verdrängung direkt unsittlicher Schriften, gelesen werden«, aber »anhaltende Maylektüre« »muß« »den Schülern alle Lust und Liebe an ernster Geistesarbeit und gründlichem Studium rauben«. (Schluß folgt.)





A n m .  d e r  R e d a k t i o n. Nachdem die Redaktion der Bücherwelt in ihren Spalten Pater Pöllmann zu zwei Aufsätzen über Karl Mays literarische und pädagogische Bedeutung Raum gegeben hat, muß nun auch die Stellung, die der  B o r r o m ä u s v e r e i n  zu Karl May einnimmt, kurz dargelegt werden.

   Seit Jahren führt der Verein in seinen offiziellen Bücherverzeichnissen jene Romane, welche Bd. 1 - 29 der gesammelten Reiseerzählungen Karl Mays ausmachen. Noch auf der Katholikenversammlung in Breslau 1909 formulierte der Redakteur der Bücherwelt in einer Sonderversammlung des Borromäusvereins seine Stellung zur  b l o ß e n  U n t e r h a l t u n g s l i t e r a t u r  ungefähr so: »Diese reine Unterhaltungsliteratur, die nur den Vorzug hat, daß sie ihrem Inhalte nach  e i n w a n d f r e i  ist, dürfen die Leiter der Borromäusvereinsbibliotheken nicht fördern, wohl aber  d u l d e n. Wir können bei Einstellung der Bücher in Volksbibliotheken nicht bloß von schönen  T h e o r i e n  ausgehen, wir müssen das  w i r k l i c h e  Leben, die  P r a x i s  stets scharf im Auge behalten. Nun gibt es unstreitig viele Tausende von Lesern, die für unsere literarisch wertvolle "Schöne Literatur" nicht das geringste Verständnis haben. Solche Leser treffen Sie in allen Berufsklassen und Volksschichten. Gewiß, viele von ihnen können durch alle jene Bemühungen, die man unter dem Begriff »Volksbildungsbestrebungen« zusammenfaßt, allmählich eine bessere Lektüre gewöhnt werden; bei manchen wird aber alle dahinzielende Bildungsarbeit vergeblich sein. Diese letzteren wollen nur etwas Spannendes und Unterhaltendes lesen. Sollen wir solche Leute nun sich selbst überlassen? Sollen wir sie dadurch, daß unsere Bibliotheken nichts Brauchbares für sie haben, der Schund- und Schmutzkolportage oder zweifelhaften Leihbibliotheken zutreiben? Und wenn halbwüchsige Burschen, ein Dienst- oder Ladenmädchen ein Arbeitsmann usw. in den Feierabendstunden und an den Sonntagen zu Hause über solchen reinen aber einwandsfreien Unterhaltungsbüchern sitzen und brüten, ist dies nicht viel besser, als wenn sie sich in den Schenken herumtreiben, dem Alkoholgenuß und anderen Lastern nachgehen?  A l s o  d u l d e n  wir diese Art von einwandfreier Unterhaltungsliteratur, zu der ich auch den Karl May rechne,  s o w e i t  i c h  i h n  g e l e s e n  h a b e!«

   Auf dem Standpunkte stehe ich auch heute noch! Darum hatte ich seit meinem Eintritt in den Borromäusverein im Jahre 1903 noch nie den Antrag gestellt, die Reiseromane Karl Mays aus den offiziellen Vereinsverzeichnissen zu streichen. Andererseits erhielt Karl May nie eine empfehlende Zeile in der  B ü c h e r w e l t; und in den von ihr herausgegebenen Musterkatalogist er nicht aufgenommen worden, nicht einmal als Unterhaltungsschriftsteller. Es ist dies ein Standpunkt, auf den sich viele katholische wie nichtkatholische Leiter von Volksbibliotheken stellten und auch jetzt noch stellen. So finden wir z. B. in den Verzeichnissen folgender akatholischer, bzw. paritatischer Volksbüchereien Karl May: Kiautschou-Bibliothek, Volksbibliothek zu Stuttgart (Juli 1907), öffentliche Bibliothek und Lesehalle Berlin SW., Alexandrinenstraße 26 (1904, Gründer Hugo Heimann, Richtung sozialdemokratisch), Städtische Volkslesehalle und Volksbibliothek Heidelberg (1906), Kruppsche Bücherhalle Volksbibliothek des Badischen Frauenvereins (1903) Breslauer Städtische Volksbibliothek Nr.2 (1905), Nr.6 (1908), Bücherverzeichnis des Verbandes oberschlesischer Volksbüchereien (1906). Ich wüßte tatsächlich nicht, was dagegen einzuwenden ist, wenn ein Erwachsener dann und wann zur Unterhaltung einen Roman von Karl May liest. lch habe allerdings nur zwei oder drei davon gelesen und zwar als Lateinschüler von etwa 14 Jahren.

   Allein durch den Streit um Karl May, besonders während der letzten zwei Jahre, ist die ganze Situation eine andere geworden. Vor allem durch P. Pöllmanns Nachweis, daß Karl May abgeschrieben hat. Es wäre nunmehr der katholischen Sache nachteilig wenn die Gegner der katholischen Kirche mit Recht behaupten könnten, heute, wo allseits Karl May mit Recht infolge der Enthüllungen aufgegeben werde, finde er seine Verteidiger nur noch im katholischen Lager. Aus diesem Grunde wird der  B o r r o m ä u s v e r e i n  K a r l  M a y  a u s  s e i n e n  B ü c h e r v e r z e i c h n i s s e n  s t r e i c h e n  u n d  i h n  n i c h t  m e h r  a l s  B ü c h e r g e s c h e n k  l i e f e r n.

   Am 26. Juni 1910 setzte Pöllmann seine »Kritischen Spaziergänge« in "Über den Wassern" mit dem achten Teil seiner Auslassungen gegen May fort(64) und beabsichtigte - so ist es dem Text zu entnehmen -,


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hier ebenfalls weitere Fortsetzungen folgen zu lassen. Doch die Redaktionen beider Blätter warteten vergeblich auf neue Manuskripte aus Beuron, so daß sich die "Bücherwelt" in ihrer September-Ausgabe schließlich zu folgender Notiz veranlaßt sah:


"Die Bücherwelt", Bonn, Nr. 12, September 1910:

Karl May im Lichte des praktischen Pädagogen. Den Lesern der Bücherwelt muß die Redaktion die sie selbst höchst unangenehm berührende Mitteilung machen, daß es ihr nicht möglich war, von P. Pöllmann den Schluß des Artikels zu erhalten. Auf die letzten ihrer diesbezüglichen Anfragen und Aufforderungen, das Manuskript einzusenden, lief überhaupt keine Antwort ein. Da es aber nicht angeht, in einem neuen Jahrgang den Schluß einer Aufsatzserie aus dem abgelaufenen Jahrgang aufzunehmen, so verabschiedet sich die Redaktion der Bücherwelt hiermit von Karl May endgültig. Die Redaktion der Bücherwelt.

   Der Grund für das Ausbleiben weiterer Beiträge - sowohl in der "Bücherwelt" wie auch in "Über den Wassern"(65) - blieb den Lesern verborgen: am 9. August 1910 hatte Karl May die bereits zu Beginn des Jahres angedrohte Privatklage wegen Beleidigung beim Amtsgericht Dresden gegen Pöllmann erhoben. Zweifellos erwirkte dieser Antrag nicht nur, daß Pöllmann keine weiteren Artikel in diesen Zeitschriften folgen ließ; es wurde ihm aufgrund der Klage Mays disziplinarisch jede weitere Befassung mit dem May-Thema untersagt. So erfolglos - in juristischer Hinsicht - die Abwehr gegen Pöllmann also letztlich blieb - der Pater, einer der engagiertesten Kritiker Mays, nahm danach nie wieder Stellung zu Karl May!

   Mays erster Versuch, Pöllmann gerichtlich zu belangen, scheiterte nämlich nach knapp zwei Monaten:


"General-Anzeiger des Amtsgerichtsbezirks Kötzschenbroda", Nr. 162, 5. Oktober 1910:

Karl May hatte eine gerichtliche Verfolgung zweier Aufsätze angekündigt, die P. Ansgar Pöllmann und 0. F. B. (Beuron) in der Radolfzeller »Freien Stimme« Anfang dieses Jahres hatte erscheinen lassen. Es blieb jedoch bei diesen Drohungen und aus der Verjährung zogen natürlich die Zeitungen ihre Folgerungen. So war nun May schließlich wenigstens zu einer Klage gegen Pöllmanns Aufsatz »Ueber den Wassern« gezwungen. Das letzte dieser Essays erschien am 10. Mai. Am 10. August lief die Verjährung ab. Gerade einen Tag vorher, am 9. August, reichte May seine vom 8. datierte Klage dem Amtsgericht Dresden durch Rechtsanwalt Wetzlich ein. Rechtsanwalt Siegfried Adler in München, der Vertreter des Beklagten, bestritt die Zuständigkeit des Dresdener Amtsgerichts und so wurde Karl May am 25. September mit seiner Klage abgewiesen, wobei er natürlich die gesamten Kosten des Verfahrens zu tragen hatte.

   Doch bereits zwei Tage, bevor diese Nachricht an die Presse gelangte, hatte May eine erneute Klage, diesmal beim Amtsgericht Kötzschenbroda angestrengt. Die Originaldokumente(66) zu diesem zweiten


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Anlauf blieben erhalten und geben Gelegenheit, das Scheitern auch dieser Bemühungen und die Gründe, die dazu führten, im einzelnen zu würdigen; sie dürften nahezu identisch mit denen der abgewiesenen Klage vom 9. August gewesen sein.

   Dem Strafantrag vom 3. Oktober fügen wir die vollständigen Belegstellen aus den Texten Ansgar Pöllmanns an, damit nicht nur der Antrag selbst verständlicher, sondern darüber hinaus das Ausmaß der Injurien in den Exzerpten sichtbar wird. Anmerkungen geben dort Erläuterungen, wo die Aussagen Pöllmanns über den herabsetzenden Wortlaut hinaus Fehleinschätzungen enthalten.


Amtsgericht Kötzschenbroda Nr. 470 a(67)

Blatt 1 - 3

(Eingegangen am 5. Oktober 1910 beim Königlich sächsischen Amtsgericht Kötzschenbroda)

An das Königliche Amtsgericht

K ö t z s c h e n b r o d a

Privatklage
des Schriftstellers
C a r l  M a y  in Radebeul bei Dresden, Privatklägers,
gegen den Pater Ansgar  P ö l l m a n n  in Sigmaringen,
Beschuldigten, wegen Beleidigung

Wetzlich und Netcke
Rechtsanwälte
DRESDEN
Moritzstr. 20, II.
3.10.10

1) In einer in Münster erscheinenden periodischen Zeitschrift »Ueber den Wassern«, die herausgegeben wird von Pater Dr. Schmidt und halbmonatlich erscheint, befindet sich ein langer Aufsatz mit dem Titel »Kritische Spaziergänge. XI. ein Abenteurer und sein Werk.« Dieser Aufsatz erscheint bereits seit der Nummer vom 25. Januar und beschäftigt sich ausschließlich mit dem Privatkläger. Dieser Aufsatz, der fortgesetzt wird bis in die neueste Zeit, bis zur Nummer vom 10. Mai gediehen ist und noch weiter fortgesetzt werden soll, enthält schwere Beleidigungen des Privatklägers. In dem Teile des Aufsatzes, der in der Nummer vom 25. Februar erschienen ist, bezeichnet der Beschuldigte den Privatkläger als »einen literarischen Dieb«. Ferner kommen schon ihrer Form nach schwer beleidigende Ausdrücke vor:

   1. Seite 64, Zeile 10 von oben: »bisweilen als Pfeilerheiliger in der katholischen Hofkirche«.

»Nach Aussagen der Bebörden in Radebeul resp. Ernstthal gehört er (May) der evangelisch-lutherischen Landeskirche an, geriert sich aber in Dresden als Katholik (bisweilen als "Pfeilerheiliger" in der kath. Hofkirche)«.

May: Ich will da gleich mit den Unwahrheiten beginnen: ich soll Pfeilerheiliger in der Dresdener katholischen Hofkirche sein. Ich besuche diese Kirche nie, aus guten Gründen.(68)

(Laut einer Widmung Karl Mays in Klara Mays (evang.) Gesangbuch besuchte May die Frauenkirche, Dresden)

   2. Seite 91, Zeile 8 von unten: »unter sehr unschönen Umständen nach Verstossung seines rechtmässigen Weibes«

»Karl May ist bekanntlich samt seiner zweiten Gattin, die er unter sehr unschönen Umständen nach Verstoßung seines rechtmäßigen Weibes (1903) heiratete, ein ganz überzeugter Spiritist.«


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   3. Seite 95, Zeile 11 von unten: »Mays Dreckromane«

»Und was kam heraus? ein lächerlicher Vergleich (Mai 1903) wonach heute noch Mays Dreckromane unverändert und unter vollem Autorennamen verkauft werden.«(69)

   4. Seite 96, Zeile 25 von unten: »unter wenig erbaulichen Umständen . . . verstossen hatte«.

»so windet Wagner(70) der Frau Clara May (verwitweten Plöhn) einen Blumenstrauß, jedenfalls ohne zu wissen, daß May diese zweite Gattin im Jahre 1903 unter wenig erbaulichen Umständen in sein Haus einführte, nachdem er sein rechtmäßiges Weib, mit dem er 23 Jahre zusammengelebt, verstoßen hatte.«

May: Meine erste Frau wurde als die Alleinschuldige von mir geschieden. Es war ihr gerichtlich untersagt, meinen Namen weiter zu führen. Trotzdem ließ ich sie durch eine freiwillige Rente von 3000 Mark für ihr ganzes Leben vor aller Not sicherstellen.(71)

   5. Seite, Zeile 97: »die angeführten zehn Punkte«.

»Die Katholiken hätten es damals wahrhaftig leicht gehabt, ins wahre Gesicht Karl Mays zu schauen. Ich will einmal zehn Punkte anführen, die nur ein voreingenommener Mann übersehen kann:

   1. Mays Schmutzromane werden heute noch unter vollem Namen verkauft.

   2. Die Fälschung gegenüber der "Kölnischen Volkszeitung"(72).

   3. Seine allmähliche Entpuppung als Protestant, nachdem er sich jahrelang als Katholik ausgegeben.

   4. Seine Predigt des Indifferentismus auf spiritistischer Grundlage.

   5. Mays Unwahrhaftigkeit und Widersprüchlichkeit in seinem Verhalten zur Kritik.

   6. Sein Größenwahn und seine Selbstreklame.

   7. Die frühzeitigen Enthüllungen über allerlei seltsame Seiten seines Privatlebens.

   8. Die üblen Erfahrungen der Pädagogen.

   9. Seine Ausfälle gegen den "Ultramontanismus" (im Kampfe gegen Professor Schumann) .(73)

   10. Die Kassandrarufe der anerkannten Kritik.«

   6. Seite 101, Zeile 10 von oben: »Machwerke und Lügenfabrikate«.

»Daß ernste Pädagogen sich gegen die May'schen Machwerke und Lügenfabrikate aussprechen, versteht sich wohl von selbst.«

   7. Seite 101, Zeile 2 von unten: »Schwindler der Villa Shatterhand«.

»Und nun ist es Zeit, nach diesen zwei trockenen Erörterungen dem Schwindler der Villa Shatterhand etwas näher auf den Pelz zu rücken.«

   8. Seite 125, Zeile 4 von oben: »Ich nenne Karl May einen literarischen Dieb.«

»Ich nenne Karl May einen literarischen Dieb und lasse ohne weiteres die Tatsachen sprechen.«

   9. Seite 132, Zeile 2 von unten: »für ewige Zeiten das Musterbeispiel eines literarischen Diebes«.

»Der von Lorenz Krapp als der bedeutendste Vertreter des ethnographischen Romans gefeierte Karl May ist in der Tat ein Abenteurer und Freibeuter auf schriftstellerischem Gebiete, für ewige Zeiten das Musterbeispiel eines literarischen Diebes.«

10. Seite 166, Zeile 8 von oben: »Nebenbei schwindelt er«.

»Nebenbei schwindelt er (S. 93) diesem Hadsch Omrak und seiner lieblichen Gattin vor: "Ich bin selbst ein Hekim Bascha, ein Oberarzt meines Landes.(74)

11. Seite 166, Zeile 2 von unten: »ohne humanistische und akademische Bildung«.

»Jahr für Jahr brachte uns der "Kürschner" diese glänzende Auszeichnung (gemeint ist der "Doktortitel" Mays) eines Mannes ohne humanistische und akademische Bildung aufs neue zum Bewußtsein.«

12. Seite 167, Zeile 3 von oben: »gezwungen«.

»So sah sich May gezwungen, am 14. März des Jahres 1903 sein Diplom dem sächsischen Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts in Dresden einzureichen.«


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13. Seite 167, Zeile 7 von oben: »pöbelhaften, ungebildeten Anrempelungen«.

»Und vielleicht wäre Karl May noch lange ungestört im Besitze seines schönen Titels geblieben, wenn er nicht selbst durch seine wahrhaft pöbelhaften und ungebildeten Anrempelungen des "Dresdner Anzeigers" den Redakteur für Kunst und Wissenschaft an diesem Blatte, den bekannten Professor Dr. Paul Schumann zu einer gründlichen Behandlung der Mayfrage herausgefordert hätte.«

May: Ich soll  g e z w u n g e n  worden sein, mein Doktordiplom dem Ministerium d es Kultus einzureichen. Das ist nicht wahr. Meine Frau ist ganz aus eigenem Antriebe zum Minister gegangen, um ihm das Diplom zu zeigen und um Auskunft zu bitten.(75)

(Zweifellos haben aber doch die Umstände May zur freiwilligen Prüfung des dubiosen Doktordiploms »gezwungen«)

14. Seite 235, Zeile 6 von oben: »berüchtigten Annoncen und Flugblättern«.

»Ganz nebenbei bemerkt: wer seinen May ein wenig kennt, der fühlt schon an diesem einen Satz mit der in den berüchtigten Annoncen und Flugblättern so oft wiederkehrenden Formel nur allzu deutlich, wer dem Verleger die Feder geführt hat.«

(Pöllmann bezieht sich hier auf das neue Vorwort für "Durch die Wüste" ab 1904, das May zweifelsfrei selbst schrieb und mit der Bezeichnung "Der Herausgeber und Verleger" veröffentlichen ließ. Ähnlichkeiten mit Mays Flugblättern lassen sich in der Tat feststellen.)(76)

15. Seite 237, Zeile 15 von unten: »dass May all sein geographisches und ethnographisches Material gestohlen hat«.

»Nun aber habe ich bereits bewiesen, daß Karl May all sein geographisches und ethnographisches Material gestohlen hat.«

16. Seite 237, Zeile 8 von unten: »Geschreibsel«.

»May rühmt sich bekanntlich, sein Geschreibsel ohne jede Durchsicht und Korrektur in die Druckerei zu senden.«

17. Seite 237, Zeile 5 von unten: »wirrwarr, unklarer Kopf, ohne jedes logische Gefühl«.

»May ist zu dem ein wirrer, unklarer Kopf, ohne jedes logische Gefühl.«

18. Seite 238, Zeile 18 von unten: »gestohlen«.

»Aber jene eingestreuten, fortlaufenden, zusammengehörigen ethnographischen Beobachtungen hat May aus den Werken der Gelehrten gestohlen.«

19. Seite 245, Zeile 7 von oben: »die sich alle Spannen lang bei May wiederfindet«

»So werden zwei volle Seiten wortwörtlich wiederholt, eine Erscheinung, die sich alle Spannen lang bei May wiederfindet.«

20. Seite 272, Zeile 17 von oben: »Schmutzerzeugnisse der May'schen Phantasie«

»Aber weil ich den Schmutzerzeugnissen der May'schen Phantasie noch ein eigenes Kapitel widmen muß . . . «

21. Seite 306, Zeile 11 von unten: »während er sich nur mit dem geistigen Eigentume Anderer bereichert«.

»Aber keineswegs gleichgiltig ist, daß sich dieser Autor den Doktortitel selbst verliehen hat, daß er darauf schwört, Sprachen und Länder zu kennen, während er sich nur mit dem geistigen Eigentume anderer bereichert. «

22. Seite 310, Zeile 8 von oben: »Selbstverständlich nicht ohne May's Kenntnis«.

»Heute versendet sein Verleger Fehsenfeld (selbstverständlich nicht ohne Mays Kenntnis) ein Flugblatt "An die Leser Karl Mays".«

(Das Flugblatt wurde ohne Zustimmung Mays nach dem Freispruch des Lebius von Fehsenfeld versandt.)

23. Seite 313, Zeile 6 von unten: »berüchtigten«.

»Gegen Fräulein M. Silling schreibt May in seiner berüchtigten ganzseitigen Annonce (Dresdner Journal Nr. 259; 2. Beilage, 7. November 1904) . . . «(77)


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24. Seite 315, Zeile 13 von oben: »und stets hat Herr May die Annonce selbst besorgt«.

»Solcher Reklamesitzungen in großen Städten kennt man eine ganze Anzahl und stets hat Herr May die Annonce selbst besorgt.«

(Mit »Annonce« ist vermutlich die redaktionelle Ankündigung von May-Besuchen gemeint. Zeitungsanzeigen dieser Art, die May aufgegeben haben soll, sind nicht bekannt. Daß May selbst die Redaktionen über seinen Besuch informierte bzw. informieren ließ, ist ohne weiteres glaubwürdig.)

25. Seite 316, Zeile 8 von oben: »Das Niedrigste . . . unfläthigen grünen Wischen«.

»Das Niedrigste in dieser Branche leistete Herr May gegen Dr. Hermann Cardauns in den bekannten unflätigen grünen Wischen.«

(Die Verteidigungsartikel Mays wurden im Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1979, Seite 283-313 neu veröffentlicht und zeigen - bei sicherlich im einzelnen zu kritisierenden Auslassungen Mays - , daß die Klassifizierungen Pöllmanns zumindest stark überzogen sind. Sie waren auf hellgrünes Papier gedruckt.)

   Da der Aufsatz bis zur Nummer vom 10. Mai veröffentlicht worden ist, läuft von da ab auch erst die Verjährung des Stranfantrages, denn der ganze Aufsatz, der nur in einzelnen Abschnitten erschienen ist, ist nur eine Tat, die mit dem Erscheinen des Schlusses vollendet sein wird. Die Zeitschrift ist weit verbreitet, insbesondere auch in Dresden / Anm.: unerheblich, da Dresden nicht zum hiesigen Bezirke gehört. /, und im Dresdner Buchhandel erschienen. Es wird anbei je ein Exemplar der Zeitschrift überreicht.

2) In der in Cöln erscheinenden Periodischen Zeitschrift »Die Bücherwelt« ist gleichfalls ein Aufsatz des Beschuldigten Pater Pöllmann »Gedanken über die Entwickelung der modernen Lyrik« erschienen, in der der Beschuldigte über den Privatkläger auf Seite 152 den Ausdruck »Allerweltsschwindler« gebraucht ("Die Bücherwelt", Nr. 8, 6. Jg., Mai 1909, S. 152: »Muth hatte er leicht: er konnte auf Bolanden und Hahn-Hahn und den Allerweltsschwindler May, in der Lyrik auf die von Lohr als poetische Tretmühle bezeichnete Kordula Peregrina hinweisen.« Zusatz der Autoren) Eine Nummer dieser Zeitschrift wird gleichfalls beigefügt. Auch diese Zeitschrift wird im Buchhandel überall, insbesondere auch in Dresden / Anm.: unwichtig / und in Radebeul verbreitet, sodass die Zuständigkeit des Amtsgerichts Kötzschenbroda gegeben ist. Der ganze Aufsatz in der Zeitschrift »Ueber den Wassern« ist beleidigender Natur. Es muss zugestanden werden, dass zwar in den einleitenden Nummern sich der Beschuldigte den Anschein gibt, dass er rein sachlich sich kritisch mit der schriftstellerischen Tätigkeit des Privatklägers befaßt. Bald jedoch ist zu bemerken, dass es ihm mehr daran liegt, persönlich den Privatkläger zu treffen und zu beleidigen. Dies belegen insbesondere die vielen schon ihrer Form nach beleidigenden Ausdrücke, als welche nur hervorgehoben seien: »Pfeilerheiliger in der katholischen Hofkirche«, »May's Dreckromane«; die Behauptung, Privatkläger habe »sein rechtmässiges Weib verstossen« (tatsächlich hat sich der Privatkläger von seiner ersten Frau scheiden lassen; diese ist alleinschuldig erklärt worden), »Schwindler der Villa Shatterhand«, »literarischer Dieb« und »Allerweltsschwindler« usw.

   Wegen dieser Beleidigungen hat der Privatkläger bereits Privatklage beim Königlichen Amtsgericht Dresden erhoben. Diese war jedoch versehentlich beim Amtsgericht Dresden eingereicht worden, während sie beim Amtsgericht Kötzschenbroda erhoben werden musste. Das Amtsgericht Dresden hat meinen Antrag, die Sache an das Amtsgericht Kötzschenbroda der Zuständigkeit halber zur Weiterbehandlung abzugeben, nicht beachtet, vielmehr diese Privatklage wegen Unzuständigkeit des angerufenen Amtsgerichtes Dresden zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluß ist vorsorglich eine Beschwerde erhoben worden.

   Beweis: Akten des Königlichen Amtsgerichts Dresden 5 P 151/10. Durch die beim Amtsgericht Dresden erhobene Klage und den in derselben enthaltenen Strafantrag ist die Frist zur Stellung derselben gewahrt worden.

   Vorsorglich erhebe ich in Vollmacht des Privatklägers nunmehr hiermit  P r i v a t k l a g e  vor dem Amtsgericht Kötzschenbroda und beantrage,


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den Beschuldigten wegen öffentlicher resp. verleumderischer Beleidigung nach §§ 185, 186, 187, 200 St.G.B.(78) zu bestrafen und das Hauptverfahren vor dem Königlichen Schöffengericht in Kötzschenbroda stattfinden zu lassen

Dresden, den 3. Oktober 1910.

Hochachtungsvoll
Wetzlich
Rechtsanwalt.

   Der nach Eintreffen des Schriftsatzes (Mays Vollmacht datierte vom 6.10.) am 10. Oktober gefaßte Erstbeschluß des Gerichts, »Zustellung der Privatkl. - 1 Woche Frist - an d. Beschuldigten«, also die Aufnahme eines Verfahrens, wurde vorerst verschoben, um die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts festzustellen. Die Erscheinungsorte der inkriminierten Zeitschriften (Münster und Köln) machten eine »Anfrage bei den Kaiserl. Postämtern Radebeul und Kötzschenbroda, ob und in wieweit Exemplare die unter Z. 1 und 2 bezeichneten Zeitschriften seit 1. Januar durch die Post bezogen wurden«, notwendig.

   Die Auskünfte der angeschriebenen Postämter trafen am 12. und 13. Oktober beim Gericht ein: »Von den beiden Zeitschriften "Über den Wassern" und "Die Bücherwelt" sind seit 1. Januar d. J. durch diesseitige Vermittlung keine Exemplare bezogen worden« (Postamt Radebeul) und »Beide Zeitschriften sind im Jahre 1910 durch die Post nicht bezogen worden« (Postamt Kötzschenbroda). Der Klage Mays war formaljuristisch die Grundlage entzogen! Mit anderen Worten: die Beleidigungen konnten in Kötzschenbroda nicht verfolgt werden, weil diese Zeitschriften von keinem der dortigen Einwohner abonniert waren.(79)

   Amtsrichter Friedrich notierte daraufhin am 15. Oktober: »telephonische Rücksprache mit RA Netcke. Er will die Klage ev. zurückziehen wegen örtlicher Unzuständigkeit des Gerichtes und bittet bis 10 Tagen nichts darauf zu ersuchen«. Am 24. Oktober waren die Rechtsanwälte ebenfalls noch zu keinem Entschluß gekommen: »telef. Rückspr. mit RA Netcke. Er bittet, bis auf seinen weiteren Antrag nichts in der Sache zu verfügen«, reichte aber am 27. Oktober (Eingang 29.10.) als Beweisstücke die Zeitschriften mit den Pöllmann Texten nach, und wenige Tage später - am 1.11.1910 - setzte das Gericht eine Frist »1. Mitteil. an RA Netcke, daß nach den angestellten Erörterungen, die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 StPO(80) für die Zuständigkeit des AG Kötzschenbroda nicht anliegen, und Aufforderung an ihn, Tatsachen vorzubringen, die diese Zuständigkeit begründen sollten. 2.) Spät. in 10 Tagen. Friedrich.« Aber Mays Rechtsanwälte konnten der Aufforderung nicht Folge leisten, und so fiel am 11. November die Entscheidung:


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Blatt 8 und 9

Beschluß.

Die Privatklage des Schriftstellers Carl May in Radebeul -Prozeßbevollmächtigter: die Rechtsanwälte Wetzlich und Netcke in Dresden - gegen den Pater Ansgar Pöllmann in Beuron in Sigmaringen wird wegen örtlicher Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts zurückgewiesen. Die Kosten des Verfahrens hat der Privatkläger zu tragen.

Gründe: Die Privatklage wird erhoben auf Grund von Beleidigungen, die in der in Münster erscheinenden periodischen Zeitschrift »Über den Wassern« sowie in der in Cöln erscheinenden periodischen Zeitschrift »Die Bücherwelt« enthalten sein sollen. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts wird auf die Vorschriften des § 7 Abs. 2, S. 2 StPO geprüft, jedoch mit Unrecht, denn nach diesen Vorschriften wäre für die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts erforderlich, daß in dessen Bezirk die beiden bezeichneten Zeitschriften zur Tatzeit verbreitet worden sind. Das ist jedoch nicht der Fall gewesen. Denn das Gericht hat nach den angestellten Erörterungen, insbesondere den Auskünften der Postämter Radebeul und Kötzschenbroda, die Überzeugung gewonnen, daß diese beiden Zeitschriften innerhalb seines Bezirks zur Tatzeit überhaupt nicht gelesen, geschweige denn »verbreitet« worden sind. Der Privatkläger selbst hat nach Erfordern andere zwingende Tatsachen zur Begründung der Zuständigkeit des unterzeichneten Gerichts nicht vorzubringen vermocht. Die Privatklage war deshalb unter Belastung des Privatklägers mit den Kosten zurückzuweisen.

Kötzschenbroda, den 11. November 1910.

Kgl. Amtsgericht.

D. Friedrich.

1) Zust. an RA Netcke unter Rückgabe der überr. Schriften

2) Spät. nach Rechtskraft. F.

Am 15.11. in d. Klageschr. ben. Zeitschr. an RA Netcke abges. F.

3 M Gebühr v. Privatkl.

0,30 M Ausl. Pauschale


3,30 M S. L. 36./10.


   Am 18. November wurde den Rechtsanwälten dieser Gerichtsentscheid zugestellt, zehn Tage später die Kosten erhoben und der ganze Fall »Beigelegt am 30.11.10«.

   Bleibt zu fragen, ob bei etwas überlegterer Taktik das Anliegen Karl Mays Erfolg gehabt hätte. Das Ausweichen auf ein Amtsgericht wie Kötzschenbroda, nachdem die Klage in Dresden zurückgewiesen worden war, zeugt nicht gerade von durchdachtem Handeln der Prozeßbevollmächtigten Mays.

   Einen Erfolg hatten die Klagen Mays aber gegenüber Pöllmann. Wie bereits erwähnt, schwieg der Pater aus Beuron fortan zum Thema Karl May. Aber die Presse beschäftigte sich weiterhin mit dem Fall und berichtete darüber in einer Form, die den Lesern die Gewißheit verschaffte, daß von diesem Karl May nicht einmal mehr ein Hund ein Stück Brot nehme.(81)

"General-Anzeiger des Amtsgerichtsbezirks Kötzschenbroda", Nr. 211, 3. Dezember 1910:


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E i n e  a b g e w i e s e n e  K l a g e  K a r l  M a y s. Das Amtsgericht zu Dresden hat eine von dem Reiseschriftsteller Karl May gegen den Benediktinerpater Ansgar Pöllmann angestrengte Beleidigungsklage zurückgewiesen. Pöllmann hat im Verlaufe dieses Jahres in der von dem bekannten Dr. P. Expeditus Schmidt herausgegebenen Halbmonatsschrift »Ueber den Wassern« in einer umfangreichen Artikelserie kritische Untersuchungen über den literarischen Wert der Mayschen Schriften angestellt und ist dabei zu einem vernichtenden Urteil gelangt. Pöllmann hat dem Kläger u. a. vorgeworfen, er habe fromme katholische Reiseerzählungen und gleichzeitig bei einem Dresdner Verlage schmutzige Kolportage-Romane erscheinen lassen, deren Verfasserschaft er unter dem Dunkel eines bekannten Pseudonyms verborgen zu halten verstanden habe. Ferner untersuchte Pöllmann die Frage des Doktortitels und wies May nach, daß dieser weder je eine Universität besucht, noch ein Doktorexamen gemacht habe, und daß alle im Kürschnerschen Literatur-Kalender enthaltenen Angaben von May selbst stammen und eine bewußte Täuschung darstellen. Ebenso wird Mays Behauptung, daß er perfekter Uebersetzer aus der chinesischen Sprache sei, als unwahr bewiesen. Den Hauptvorwurf gegen May formulierte Pöllmann in der Bezeichnung »Literarischer Dieb« und belegte diese Behauptung durch eine Unzahl von Gegenüberstellungen, die dartun, daß May in zahllosen Fällen wörtlich abgeschrieben hat. Pöllmann behauptete auch, daß die für Mays Interessen eintretende Broschüre »Karl May als Erzieher« von einem dankbaren May- Leser, den Reiseschriftsteller selbst zum Verfasser habe. Weiter warf Pöllmann dem Kläger ödeste Renommisterei vor und zitierte als Beispiel ein Telegramm, das May an eine Dame gerichtet hatte und das lautete: »Gestern abend ganz matt hier angekommen; in München mußten die Leser per Spritze vom Hotel entfernt werden.« (!) Den größten Vorwurf, den der Pater gegen May erhob, ist darin zu erblicken, daß von einem katholischen Mäntelchen gesprochen wird, das sich der Protestant May aus industriellem Interesse umgehängt und bei seinen katholischen Lesern andauernd den Glauben erweckt, er sei ein überzeugter Katholik und diesen Glauben durch Briefe unterstützt habe. Schließlich wies Pöllmann nach, daß May allerdings Reisen unternommen habe aber erst zu einer Zeit, wo ihm dies sein großes Vermögen erlaubte und nur in der Form von Erholungs- und Vergnügungsreisen. Die von seinen Freunden als Beweis angeführten Ansichtskarten stammen alle aus zivilisierten Städten, an denen Vergnügungsdampfer anlegen. Außerdem seien in einem Fall 18 Karten aus verschiedenen Orten als eine Sendung aufgegeben worden. Die zahllosen Ansichtskarten, führt Pöllmann aus, bilden einen direkten Beweis gegen Mays Reiseschriften. Übrigens soll Pöllmann als Sachverständiger in dem großen demnächst stattfindenden Prozeß May-Lebius vernommen werden.

   Ganz trat Pöllmann also nicht aus Mays Leben: in einem Prozeß um eine Zuschrift Mays an den "Hohenstein-Ernstthaler-Anzeiger" wurde er im April 1911 als Zeuge herangezogen.(82)



1 "Sterbechronik über R. P. Ansgar Pöllmann † 20. Juni 1933"; Sonderdruck ohne Verfasserangabe. Ausführlich zitiert bei H. Hatzig: Streiflichter zur Kontroverse May-Pöllmann. In: Jb-KMG 1976, S. 281

2 Siehe Jb-KMG 1976: C. Roxin: Karl Mays "Freistatt"-Artikel, S. 215ff.; K. May: "Auch »Über den Wassern"«, S. 230, H. Hatzig: a.a.O. S. 273ff., sowie Jb-KMG 1979: G. Klußmeier: »Darum drehen wir den Strick . . . «, S. 322ff.

3 "Freie Stimme", Nr.23 vom 29.1.1910, wiederabgedruckt in Jb-KMG 1979 S. 238f.

4 Der Brief wurde uns freundlicherweise von P. Virgil Ernst Fiala OSB (1911-1978) aus Beuron in einer Abschrift zur Verfügung gestellt.

5 Ildephons Schober (1849-1918) war zu dieser Zeit Erzabt in der Abtei Beuron. Zu Schober siehe H. Plaul: Anmerkungen zur Reprint-Ausgabe von Karl Mays "Mein Leben und Streben", S. 485.

6 Siehe Anmerkung 3


//281//

7 Pöllmanns Beiträge über Karl May in "Über den Wassern", Münster i. W., erschienen unter dem Titel "Ein Abenteurer und sein Werk" in insgesamt 8 Folgen. Die erste Folge erschien am 25. Januar 1910.

8 Pöllmann (1871-1933) war zu diesem Zeitpunkt 30 Jahre alt.

9 Die gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen May und Lebius hatten bis dahin noch zu keiner entsprechenden Bestrafung von Lebius geführt.

10 "Neue Hamburger Zeitung" vom 8.2.1910

11 Karl May: Auch »Über den Wassern«. In: Die Freistatt, Wien, vom 9.4.1910; wiederabgedruckt im Jb-KMG 1976, S. 230ff.

12 Die Freistatt-Artikel Mays erschienen am 9.4., 30.4., 14.5., 28.5., 4.6. und 11.6.1910; sämtlich wiederabgedruckt im Jb-KMG 1976, S. 230-269.

13 Alle hier genannten Autoren finden sich bereits in Pöllmann: "Über den Wassern", referiert in Jb-KMG 1976, spez. S. 275 oben. Amand von Ozoróczy: gemeint sind folgende Beiträge: "Karl Mays Erstling" in Augsburger Postzeitung vom 28.7.1907 (nachgedruckt in M-KMG Nr. 21/1974); "Zum Problem Karl May" in Augsburger Postzeitung vom 28.7.1908 (nachgedruckt in M-KMG Nr.22/1974); "Eine literarische Porträtstudie" in Augsburger Postzeitung 6.2.1909 (nachgedruckt in Graff-Anzeiger, Braunschweig, Nr. 12/1976); "Neues von Karl May" in Augsburger Postzeitung 6.4.1910 (nachgedruckt in M-KMG Nr.23/1975). Lorenz Krapp contra May in Allgemeine Zeitung Nr.46 vom 25.2.1904, pro May - "Zum Problem Karl May" - in Augsburger Postzeitung vom 2.10.1908 (Lit. Beilage 44). Max Roeder (Pseudonym M. Moenanus): "Ist Karl May ein Verderber der deutschen Jugend?" in Der Volksfreund, Aachen, im Juli 1908 sowie Nr. 133 vom 12.6.1909 und Nr. 17 vom 21.1.1910 (siehe auch Jb-KMG 1976, S. 276).

14 Panem et circenses - Ausspruch des römischen Kaisers Trajan (99-117), wonach das (röm.) Volk nur durch genügend Speise und spektakulöse Schauspiele im Zaun gehalten werden könne.

15 Homerisches Griechisch: soviel wie "Erdenlast"

16 Von den hier genannten Autoren waren zumindest vier in Mays Bibliothek vorhanden: Nansen, Humboldt, Schlagintweit, Brugsch. Müller-Simonis wurde von Pöllmann bereits in "Über den Wassern" zitiert (vgl Jb-KMG 1976, S. 277).

17 Freidank: Pseudonym des bedeutendsten bürgerlichen Lehrdichters um 1228 (vermutlich Magister Fridancus, † 1233).

18 Das »Wehen jedes Pferdehaares« stammt aus Ozoróczys Aufsatz "Neues von Karl May" in der Augsburger Postzeitung vom 6.4.1910 (Nachdruck in M-KMG Nr. 23, spez. S. 24).

19 August Wilhelm Grube (1816-1884) Verfasser pädagogischer Schriften, auch über Geographie, Biologie, Religion u.a.

20 Max Ettlinger in Lindemanns Literaturgeschichte, S. 950ff.; auch in der Augsburger Postzeitung vom 28.12.1906 (vgl. Jb-KMG 1976, S. 274, 275).

21 Mays »Ich« ist nicht die »Menschheitsseele«, sondern die Menschheitsfrage.

22 Zeitgenossen Mays, die Schriftsteller Arno Holz (1863-1929) und Johannes Schlaf (1862-1941).

23 »Indianergeschichten Reutlinger Stiles«: die im Verlag Robert Bardtenschlager, Reutlingen, erschienenen Klein-Oktav-Bändchen. Siehe auch Anm. 43.

24 Hugo Eik (und F. Birkner) in Allgemeine Zeitung Nr. 130 vom 7.7.1907 (vgl. Jb-KMG 1976, S. 275)

25 Wilhelm Raabe (1813-1910), Franz Trautmann (1813-1887), Heinrich Seidel (1842-1906)

26 Franz Graf von Pocci (1807-1876)

27 In "Über den Wassern", Abschnitt VI, referiert in Jb-KMG 1976, S. 277

28 "Aus den letzten Tagen Karl Mays" in Pöllmann: Rückständigkeiten. Ravensburg 1906. Zweitfassung des Aufsatzes "Neuestes von Karl May" in Historisch-politische Blätter, 127. Band, München 1901, S. 823ff. (referiert in Jb-KMG 1976, S. 273).

29 Siehe Pöllmann: Karl May im Lichte der praktischen Pädagogen, Seite 259ff. dieses Jahrbuchs.

30 Siehe hierzu Claus Roxin: »Dr. Karl May, genannt Old Shatterhand«. In: Jb-KMG


//282//

1974, S. 15-64, sowie Klußmeier/Plaul: Karl May. Biographie in Bildern und Dokumenten. Hildesheim-New York 1978, S. 146.

31 Lorenz Krapp, Augsburger Postzeitung vom 26.2.1909 (Literarische Beilage)

32 In "Über den Wassern", referiert bei H. Hatzig a.a.O., S. 273ff., Abschnitte III und V, S. 276-77.

33 Zitat aus "Babel und Bibel". Freiburg 1906, S. 202 (vorletzte Seite)

34 Das Datum 14.4.1910 bezieht sich auf die Augsburger Postzeitung

35 Veröffentlichungen von Amand von Ozoróczy. Siehe Anm. 13

36 Außerdem erschienen in Mährischer Volksbote, Brünn, Nr.25-27 vom 19.6.,26.6. und 3.7.1909; Badische Lehrerzeitung Nr.41ff., 1909.

37 "Winnetou IV", Reise-Erzählung von Karl May erschien in der Augsburger Postzeitung, Beilage "Lueginsland", vom Oktober 1909 bis April 1910.

38 Annonce aus der Augsburger Postzeitung, nachgedruckt in M-KMG Nr.30, S. 18

39 "Karl May ein Vielgeschmähter" in Augsburger Postzeitung Nr.285 vom 8.12.1909, ist unterzeichnet mit »F. G., Augsburg«.

40 "Karl May in Augsburg": nachgedruckt in M-KMG Nr. 30, Seite 19ff.

41 Rezensiert wurden die Neuerscheinungen "Ardistan und Dschinnistan" (Reiseerzählungen Band XXXI u. XXXII) und "Old Surehand" (Illustrierte Reiseerzählungen Band XI u. XII, Freiburg).

42 "Der Bund", Organ für die gemeinsamen Interessen der Arbeiter und Arbeitgeber speziell Nr.51, Jg.4 vom 19.12.1909: "Hinter die Kulissen . . . " Wiederabgedruckt in Jb-KMG 1980, S. 143ff.

43 Die im Verlag von Robert Bardtenschlager, Reutlingen, erschienenen Hefte mit dem Verfassernamen "Carl May" waren nicht von Karl May verfaßt. Siehe hierzu Klußmeier/Plaul a.a.O., S. 117 und 120.

44 "Karl Mays Selbstenthüllung" von Dr. Paul Rentschka (1870-1956) in Germania Zeitung für das Deutsche Volk, Berlin, Nr. 282 vom 5.12.1908, Nr. 283 vom 6.12.1908 und Nr. 284 vom 8.12.1908. Rentschka kritisierte darin Mays Romane "Am Jenseits" und "Friede auf Erden". Den Roman "Und Friede auf Erden" durfte Rentschka 1922 nach seinen Vorstellungen für den Karl-May-Verlag bearbeiten.

45 »Die Indianerliteratur ist im innersten Wesen verwerflich«: eine solche verallgemeinernde und falsche Aussage dürfte einem "Manne der Feder" nicht unterlaufen!

46 Nachgedruckt (Reprint) in der Schriftenreihe "Materialien zur Karl-May-Forschung", Band 2: Schriften zu Karl May. Übstadt 1975

47 Charlottenburger Zusammenbruch: der »schwärzeste Tag in Mays Leben« (Hans Wollschläger in: Karl May. Reinbek 1965, S. 139). Nach dem Freispruch des Lebius (22.4.1910), gegen den May mit Erfolg Revision beantragte, verfaßte Fehsenfeld ein Flugblatt "An die Leser Karl Mays".

48 Mays Gemeinde: hier wird wohl teilweise angespielt auf das May-Flugblatt: "Aus dem Lager der May-Gemeinde" vom 19.8.1907, nachgedruckt in Jb-KMG 1979, S. 283f.

49 »bevor Lebius«? - Alles Genannte bezieht sich jedoch auf Abhandlungen, die erst nach den »Enthüllungen« durch Lebius erschienen sind (wie z. B. Weigl, 1909). Man lese diesen Abschnitt samt Fußnote bitte zweimal! Die Unklarheit dieser Ausführungen beruht auf ihrer Unwahrheit! Siehe Pöllmanns Vernehmung vor dem AG Sigmaringen am 28.4.1911 (H. Plaul: Anmerkungen zu Mays "Mein Leben und Streben". Hildesheim-New York 1975, S. 486). Man beachte auch die Stilblüte: »dem eigenen Unvermögen mißtrauend«.

50 Es wurden also Adressen benutzt, die frühestens im Jahre 1910 veröffentlicht worden sind.

51 Eine grobe Verallgemeinerung der wenigen Fälle, in denen sich Jugendliche vor Gericht auf May berufen haben. Siehe auch Anmerkung 59.

52 "Was unsere Quartaner lesen" von einem Gymnasiallehrer, in Dresdner Nachrichten Nr.315, Beiblatt vom 15.11.1904

53 Titel: Herr Karl May von der anderen Seite

54 Titel: Die Rettung des Herrn Karl May. Die Seitenzahl lautet jedoch richtig: 286.

55 Schumann: vgl. Jb-KMG 1976 S. 275. Mays Antworten: An den Dresdner Anzeiger in Jb-KMG 1972/73, S. 124f.


//283//

56 Katholische Schulzeitung für Norddeutschland Nr. 10, 26. Jg., 1909 (Referat Clemenzi)

57 Schulfreund Nr. 10, 1907, "Karl May und die Erzieher" von L. Schulmann. Siehe auch Jb-KMG 1976, S. 276

58 Dazu Pöllmann in Historisch-politische Blätter, 127. Band, München 1901, S. 823ff.: "Neuestes von Karl May" (referiert in Jb-KMG 1976, S. 272)

59 Freiburger Strafkammer: Pöllmann zielt hier auf die Verhandlung gegen zwei Jugendliche vor der Strafkammer des Großherzoglichen Landgerichts Freiburg i. Br. am 20.7.1901, die großen publizistischen Widerhall hatte. Ausführlich dargestellt bei H. Plaul a.a.O. S. 414-416.

60 Otto Willmann (1839-1920), kath. Pädagoge und Philosoph

61 Ein bei Pöllmann wiederkehrendes, aber dadurch nicht weniger falsches Argument: Die May-Romane in Fischers Münchmeyer-Verlag wurden nach dem gerichtlichen Vergleich 1907 nur noch anonym verkauft. Sämtliche Namenshinweise, sogar die Buchstabenkombinationen in den Druckbogensignaturen wurden gelöscht (was heute noch nachweisbar ist!). Verstöße gegen diese Vereinbarung sind niemals bekannt geworden.

62 Die Kolportage-Romane Mays für Münchmeyer entstanden nur teilweise »parallel mit den Hausschatzerzählungen«. Siehe hierzu die detaillierten Ausführungen von Claus Roxin zum Hausschatz-Reprint "Die Todes-Karavane". Regenburg (o. J.) 1978.

63 Eine statistische Zusammenfassung ist weder in diesem Artikel erfolgt noch späterhin. Pöllmanns Beitrag endet mit »Schluß folgt«. Siehe hierzu die Notiz in der "Bücherwelt" Nr. 12, September 1910, Seite 273 dieses Jahrbuchs.

64 Unter dem Titel "VIII. Zwei, die's nicht gewesen sein wollen. 1. Karl May und der »Gral« /2. Armin Kausen und Karl May". Siehe hierzu Hatzig a.a.O. S. 278f.

65 In der "Bücherwelt" erschienen fortan tatsächlich keine Stellungnahmen mehr zu Karl May. Zum Abbruch der Serie in "Über den Wassern", deren Fortsetzungscharakter auch nur dem Text selbst zu entnehmen war, erschien keine redaktionelle Notiz.

66 Das Staatsarchiv Dresden stellte freundlicherweise die Aktenmaterialien in Form von Mikrokopien für eine Auswertung durch die Karl-May-Gesellschaft zur Verfügung. Siehe hierzu Jb-KMG 1980, S. 137ff.

67 Staatsarchiv Dresden. Signatur: Amtsgericht Kötzschenbroda Nr. 470 a

68 Karl May: Auch »über den Wassern«. In: Die Freistatt, Wien, 28.5.1910. Wiederabgedruckt Jb-KMG 1976 S. 249ff.

69 Siehe Anmerkung 61

70 Heinrich Wagner: Karl May und seine Werke. Passau 1907. Nachgedruckt (Reprint): Materialien zur Karl-May-Forschung, Band 2. Übstadt 1975

71 Karl May: Auch »Über den Wassern«. In: Die Freistatt, Wien,9.4.1910. Wiederabgedruckt Jb-KMG 1976 S. 230ff.

72 Die Auseinandersetzung Mays mit der Kölnischen Volkszeitung (Chefredakteur Hermann Cardauns) bedarf noch einer ausführlichen Dokumentation. Einzeldarstellungen siehe bei Ekkehard Bartsch: Nachwort zu Karl May - Der Dankbare Leser (Materialien zur Karl-May-Forschung, Band 1). Übstadt 1974; Hans Wollschläger: Karl May. Zürich 1976 passim.

73 Diese »Ausfälle« in Defensive (!) gegen Schumann sind wiederveröffentlicht im Jb-KMG 1972/73: Karl May: An den Dresdner Anzeiger. Es gehörte zur Taktik Pöllmanns - und auch anderer Gegner Mays - Veröffentlichungen Mays, die praktisch, weil in Tageszeitungen erschienen, nicht mehr greifbar waren, abzuqualifizieren. Der Leser der Ausführungen Pöllmanns war somit gezwungen, dessen Urteil ungeprüft zu übernehmen.

74 Zitat aus "Durch das Land der Skipitaren". Freiburg, S. 93

75 Wie Anmerkung 68

76 "Vorwort zur elften Auflage" 1904, faksimiliert in M-KMG Nr. 17, S. 15

77 wie Anmerkung 73 S. 124

78 §§ 185-187 enthalten die Tatbestände der Beleidigung, der üblen Nachrede und


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der Verleumdung; § 200 gibt dem öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften Beleidigten das Recht, eine öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung des Beleidigers zu verlangen. (Claus Roxin)

79 Natürlich war das vorauszusehen und hätte sich durch rechtzeitige Klageerhebung bei einem zuständigen Gericht leicht vermeiden lassen. Es liegt nahe, daß May dem Benediktinerorden versprochen hatte, nicht weiter auf eine Strafverfolgung Pöllmanns zu dringen, wenn diesem geboten werde, sich künftig nicht mehr gegen May zu äußern. (Claus Roxin)

80 § 7 Abs.2 StPO: »Wird der Tatbestand der strafbaren Handlung durch den Inhalt einer im Inland erschienenen Druckschrift begründet, so ist als das zuständige Gericht nur das Gericht anzusehen, in dessen Bezirk die Druckschrift erschienen ist. Jedoch ist in den Fällen der Beleidigung, sofern die Verfolgung im Wege der Privat klage stattfindet, auch das Gericht, in dessen Bezirk die Druckschrift verbreitet worden ist, zuständig, wenn in diesem Bezirk die beleidigte Person ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat.« (Claus Roxin)

81 Auch schon zuvor war die Tendenz eindeutig gegen May: Vgl. beispielsweise den Artikel "Zur Naturgeschichte der Augsburger Postzeitung", Frankfurter Zeitung vom 28.10.1910, wiedergegeben in "Die Akte Karl May", herausgegeben von Gerhard Klußmeier (Materialien zur Karl-May-Forschung, Band 4). Ubstadt 1979, S. 22

82 Eine Dokumentation zu diesem Prozeß wird vorbereitet. Siehe Jb-KMG 1980, Seite 139 unter VII. Die Aussage Pöllmanns ist wiedergegeben bei Plaul: Anmerkungen zur Reprint-Ausgabe von Mays "Mein Leben und Streben". Hildesheim-New York 1975, S. 486-488.


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