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ERICH HEINEMANN

Das Jahr 1981:
Tagung der Karl-May-Gesellschaft in Berlin



Möge sich die Gesellschaft, die Karl Mays
Namen trägt, im einst preußischen Berlin
wohl fühlen . . . 
Berliner Morgenpost, 27.9.1981

Schon 1977, in Freiburg, hatte sich die Mitgliederversammlung für Berlin als Tagungsort des Jahres 1981 ausgesprochen. Umsichtig und von langer Hand bereitete Erwin Müller, Stadtrat im Berliner Bezirk Reinickendorf, die Tagung vor; ihm zur Seite standen Herbert Meier und Erich Heinemann.

   Reinickendorf liegt im »grünen Norden« Berlins. Ein neuer Stadtteil ist dort entstanden, mit bizarren Hochhäusern, mit Anlagen, Alleen - das Märkische Viertel. Und mittendrin das Fontane-Haus, vom 1. bis 4. Oktober 1981 die Tagungsstätte der "Sechsten internationalen Tagung der Karl-May-Gesellschaft". So verkündete es ein großes Spruchband, das, umrahmt von den Nationalflaggen der anreisenden Gäste, sich über dem Portal ausspannte.


Karl May - der Name dieses meistgelesenen deutschen Schriftstellers löst wohl bei fast allen von uns Gedanken an die Jugend, an ferne Länder, an den Zauber von Spannung und Abenteuer aus. Seiner umfassenden Popularität verdankt der Schriftsteller aber auch, daß der literarische Wert von Teilen seines Werks immer wieder in Frage gestellt wurde.
Günter Birghan, Bezirksbürgermeister von Berlin-Reinickendorf

1. Oktober

Am Vormittag fand eine Pressekonferenz im Haus am Lützowplatz statt - in der Nähe des Kurfürstendamms. Und zwar im »Karl-May-Salon«, dem Herzstück der Ausstellung "Preußen, deine Sachsen", die hier als Kontrapunkt zur Preußenausstellung angesiedelt war.(1)

   Ein Teil der Mitglieder nutzte die Gelegenheit zum Besuch des Völkerkundemuseums in Dahlem. Durch die Studiensammlung führte Direktor Dr. Horst Hartmann persönlich. Ein anderer Teil nahm an der


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Einweihung des Karl-May-Spielplatzes an der Aroser Allee in Reinickendorf teil. Professor Heinz Stolte sprach für die KMG.(2) Ein 2,50 m hoher Buchrücken, Abbild eines May-Bandes, wurde enthüllt - das Werk des Berliner Künstlers Peter Bauer.

   Anschließend eröffnete - als Hausherr - Bezirksbürgermeister Günter Birghan in der Galerie des Fontane-Hauses die Ausstellung "Karl May und Berlin". Er sagte, er habe nicht geahnt, wie mannigfaltig die Verflechtungen Karl Mays mit Berlin gewesen seien.

   Dr. Karlheinz Schulz schwang in bewährter Weise wieder den Auktionshammer bei der schon traditionellen Versteigerung seltener May- Ausgaben. Am Abend versammelte sich alles im Vorführsaal, um den Film "Durch die Wüste" zu sehen. Dieser Film aus dem Jahre 1936 war als ein Höhepunkt der Tagung angekündigt. Hansotto Hatzig sprach einführende Worte. Er erinnerte an die Uraufführung in Berlin vor 45 Jahren. Die Hauptrolle des Kara Ben Nemsi spielte Fred Raupach, Regie führte I. A. Hübler-Kahla, das Drehbuch, für das eigentlich die berühmte Thea von Harbou vorgesehen war, schrieb Karl Junghans. Nur mit Hilfe der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ostberlin und des Hessischen Kultusministeriums gelang es buchstäblich in letzter Minute, diesen vom Staatlichen Filmarchiv der DDR dankenswerterweise zur Verfügung gestellten Film aufzuführen und damit den Kennern, die Jahre auf dieses filmische Ereignis gewartet hatten, zu dem versprochenen Genuß zu verhelfen.


Die KMG . . . »ist ausgewiesen durch einige respektable wissenschaftliche Leistungen und anerkannt von der offiziellen Literaturwissenschaft . . . Die sechste "internationale" Tagung der Gesellschaft im Märkischen Viertel von Berlin ging nicht ohne Züge skurriler Heldenverehrung ab.«
Michael Petzel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 21.10.1981

2. Oktober

Im gefüllten Auditorium des Fontane-Hauses, das 300 Personen faßt, begrüßte im Namen des Senats von Berlin Freiherr von Uslar-Gleichen die Tagungsteilnehmer - und wartete mit überraschenden Kenntnissen des May'schen Spätwerkes auf. Die Reihe der Vorträge eröffnete Walther Ilmer, Verfasser der Vor- und Nachworte in den "Hausschatz"-Reprints der Bände 7-10. Sein Thema: "Durch die sächsische Wüste zum erzgebirgischen Balkan. Karl Mays erster großer literarischer Streifzug durch seine Verfehlungen."(3)


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   Am Nachmittag setzte Dr. Helmut Schmiedt die Vortragsveranstaltungen fort mit "Helmers Home und zurück. Das Spiel mit Räumen in Karl Mays Erzählung »Der Geist des Llano estakado«". Ihm folgte Dr. Christoph F. Lorenz mit Anmerkungen zur Lyrik Karl Mays: »Als lyrischen Dichter müssen wir uns Herrn May verbitten«? Der Schauspieler Manfred Petersen rezitierte dann eine Auswahl von May-Gedichten, darunter "Im Alter". Der Vorhang hob sich vor dem Berliner Oratorienchor - Leitung Gert Sell - , der Mays Kompositionen "Ave Maria" und "Vergiß mich nicht" sang - eine bemerkenswerte Darbietung, durchaus ernst und würdig und ohne »Züge skurriler Heldenverehrung«.

   Den Tag beschloß die Lesung des Leipziger Schriftstellers Erich Loest. Er las aus "Swallow, mein wackerer Mustang", einer May-Biographie in Romanform, erschienen im Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg. Loest identifizierte sich mit seinem Landsmann, dem er sich »langsam genähert« habe, um ihm in dem, was er richtig gemacht und in dem, was er falsch gemacht habe, seine Reverenz zu erweisen. Eine lebendige, freimütige Diskussion mit dem Verfasser schloß sich an.


Berlin und Karl May sind nicht zu trennen. Die Stadt wurde für den Schriftsteller zum Schicksal . . . Sein letzter Kampf in einer Kette wirrer Prozesse endete 1911, vor genau 70 Jahren, mit einem stillen, doch entscheidenden Sieg . . . 
Mannheimer Morgen, 17.9.1981

3. Oktober

Vor der Mitgliederversammlung erstattete Alfred Schneider den Bericht des Geschäftsführers, Hartmut Kühne bestätigte im Namen der Kassenprüfer die einwandfreie Kassenführung, dann diskutierte das Plenum. Die nächste Tagung, so wurde beschlossen, soll in Regensburg stattfinden. Regensburg verhalf der KMG 1973 zum eigentlichen Durchbruch; nach zehn Jahren, 1983, werden sich ihre Mitglieder also wieder in dieser auch für Karl May so bedeutsamen Stadt versammeln.

   Nach Professor Gert Uedings Vortrag: "Die Rückkehr des Fremden. Spuren der anderen Welt in Karl Mays Werk" am Nachmittag sprach Dr. Martin Lowsky. Sein Thema "»Aus dem Phantasie-Brunnen«. Die Flucht nach Amerika in Theodor Fontanes »Quitt« und Karl Mays »Scout«" knüpfte beziehungsreich an den Namenspatron der gastlichen Tagungsstätte, Theodor Fontane, an. Theodor Fontane, der 1898 verstarb, hat, soweit uns bisher bekannt, von Karl May nie Notiz genommen - vielleicht verbot ihm seine Sympathie zu Balduin Möllhau-


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sen (1825- 1905), sich mit dessen »Konkurrenten« May näher zu befassen -; sicher hätte er ihn ebenfalls für einen »reinblütigen Erzähler« gehalten.(4)

   Der Abend - und damit der offizielle Abschluß der Tagung - war in gewohnter Weise dem festlich mit Klaviermusik von Hartmut Kühne umrahmten Vortrag Heinz Stoltes gewidmet. Professor Stolte Begründer und Nestor der wissenschaftlichen Karl-May-Forschung; der erste, der mit einer Arbeit über Karl May zum Doktor promovierte (1936), bekannt auch als Hebbelforscher (Vorsitzender der Hebbel- Gesellschaft) und Hesse-Biograph. Er zeigte anhand seines Themas "Narren, Clowns und Harlekine. Komik und Humor bei Karl May", wie May es verstand, das Tragische seines Lebens in Komisches, Humoristisches zu verwandeln.

   Als Kläre Iwowski, Ur-Berlinerin und mit ihren 87 Jahren das älteste Mitglied der KMG, an das Rednerpult trat und in erstaunlicher Rüstigkeit ein vor langer Zeit von ihr verfaßtes Winnetou-Gedicht(5) vortrug und humorvoll von der Entstehung dieses Gedichtes erzählte, da wollte der Beifall nicht enden. In der so vorbereiteten Stimmung schloß sich in den "Fontane-Stuben" noch ein geselliges Beisammensein an.


Im Juli 1902 weilte Karl May an Kleists Grab am Kleinen Wannsee. Er befand sich damals in einer tiefen Lebenskrise. Der Besuch des Grabes hat ihn nach Bekundung von Klara May (Tagebuch) tief aufgewühlt.

4. Oktober

Eine ausgedehnte Stadtrundfahrt führte an die Stätten West-Berlins, die in Karl Mays Leben eine Rolle spielten - zum Beispiel das Amtsgericht Charlottenburg, das Kriminalgericht Moabit, die Grabstätte Heinrich von Kleists. Die Teilnehmer besuchten auch den anläßlich der Tagung eingeweihten "Karl-May-Spielplatz", die "Karl-May-Schule" in Neukölln, die seit 1977 diesen Namen trägt, und das Grab Balduin Möllhausens auf dem ehemaligen Garnisonfriedhof. Diesen und anderen Stätten, die für Karl May von Bedeutung waren, widmete sich auch die bereits erwähnte Ausstellung "Karl May und Berlin". Sie zeigte Material über die Besuche Mays in Deutschlands ehemaliger Reichshauptstadt zwischen 1875 und 1911. Ein anderer Abschnitt: die Geschichte der Karl-May-Vereinigungen in Berlin; ein weiterer: Mays Berliner Verleger. Auch Film und Bühne und die Berliner Presse waren dokumentiert. Idee und Gestaltung dieser Präsentation waren ein


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Gemeinschaftswerk von Herber Meier, Erwin Müller und Erich Heinemann. Sigrid Seltmann, Bibliothekarin in Berlin, beschaffte die nur noch schwer erhältlichen Ausgaben der Berliner Morgenpost von 1910 und der Vossischen Zeitung von 1910/11.(6)

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Aus der weiteren Jahresarbeit 1981:

Die Reihe der Sonderhefte wurde mit folgenden Nummern fortgesetzt:

26 Wilhelm Vinzenz: Feuer und Wasser. Zum Erlösungsmotiv bei Karl May
27 Hansotto Hatzig: Register zu den Bänden X, XI, XIII, Rose von Kairwan und Altersnovellen
28 Friedhelm Munzel/Udo Kittler: Karl May - Abenteuer ohne Ende
29 Hartmut Wörner/ Werner Tippel: Frauen im Werk Karl Mays
30 Klaus-Peter Heuer: Karl May in Italien
31 Neues vom "Waldröschen" und seinem Verleger Münchmeyer
32 Gernot Grumbach: Das Alterswerk Karl Mays
33 Karl May in Berlin (Dokumentation der Ausstellung)

Mit der Nummer 27 liegt ein vollständiges Register zu den Werken Karl Mays (Bde. 1 - 33, Rose von Kairwan und den Altersnovellen) in sieben Sonderheften vor, zusammengestellt von Hansotto Hatzig.

Erweitert wurden ferner

- die "Hausschatz"-Reprints um Bd. 10 mit "Im Reiche des silbernen Löwen" (Vor- und Nachwort: Walther Ilmer) und
- die Reihe "Materialien zur Karl-May-Forschung", herausgegeben von Karl Serden, mit der preisgekrönten Arbeit von Dieter Sudhoff: Karl Mays "Winnetou IV". Studien zu Thematik und Struktur.

Das Schiller-Nationalmuseum in Marbach veranstaltete vom 15. 1. bis 12. 4. 1982 eine Karl-May-Ausstellung. Die 400 Schaustücke stammten in der Hauptsache aus der Sammlung unseres Mitgliedes Heinz Neumann. Die KMG stellte aus ihrem Archiv weitere Exponate zur Verfügung. Aus Anlaß dieser Ausstellung, in der eine neue Würdigung und Anerkennung Karl Mays an bedeutendem Ort erblickt werden darf, erscheint in der Reihe "Marbacher Magazin" ein Katalog mit Beiträgen von Volker Klotz, Hans-Otto Hügel und Heinz Neumann.

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Wie in den Vorjahren führen wir an dieser Stelle die Namen der Spender auf, die der KMG im Jahre 1981 Beträge von 100 DM und mehr zufließen ließen. Die Namen aller Spender werden regelmäßig im Quartal auf der Spendenseite der "Mitteilungen" genannt.


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Bernd Arlinghaus (Mailand), Erich Berchem (St. Ingbert), Wolfgang Böcker (Recklinghausen), Engelbert Botschen (Detmold), Rolf Cromm (Bensberg), Walter Fassmann (Salt Lake City/USA), Max Fischer (Großaitingen), Bernhard Giering (Berlin), Rolf Harder (Kamen-H.), E. Heinemann (Hildesheim), Norbert Hennek (Nürnberg), Albert G. Herrmann (Göttingen), Heinz-D. Heuer (Neuenhaus), Hans Höber (Solingen), Volker Huber (Offenbach/M.), Karl Husareck (Gelsenkirchen), Walther Ilmer (Bonn), Hans Jürgensen (Rendsburg), Gerhard Klußmeier (Rosengarten), Ekkehard Koch (Essen), Jürgen Köberle (Kempten), Karl-Heinz Laaser (Berlin), Gunter Landgraf (Berlin), Kurt Langer (Regensburg), Heinz Lieber (Bergisch-Gladbach), Martin Lowsky (Kiel), Herbert Meier (Hemmingen), Harald Mischnick (Kronberg), Erwin Müller (Berlin), Friedhelm Munzel (Dortmund), Peter Nest (Klarenthal), Walter Nörrenberg- Sudhaus (Hilborn), Annelotte Pielenz (Nassau), Rolf Pielhoff (Wuppertal-E.), Ulrich Plath (Nenstadt a. Rbge.), Werner Pramann (Berlin), Uwe Richter (Berlin), Claus Roxin (Stockdorf), Max Ruh (Schaffhausen), Juliane Sabiel (Oering), Hans J. Sauter (Seattle/USA), Sigrid Seltmann (Berlin), Hans Simons (Swalmen/Holland), Helmut Schappach (Wolfsburg), Hans-Georg Schauer (Kelkheim), Walter Schmidt (Darmstadt), Helmut Schmiedt (St. Augustin), Helga Schwemer (Hamburg), Anita Steinmann (Bad Neuenahr), Heinz Stolte (Hamburg), Hans Strob (Oberentfelden/Schweiz), Clemens Themann (Norddöllen), Heinrich Tomitza (München), Gert Ueding (Oldenburg), Gottfried Werner (Berlin), Mario Wernerus (Langenhagen), Herbert Wieser (München), Udo Wolff (Karlsruhe).


Die Karl-May-Gesellschaft, 2000 Hamburg 72, Swebenbrunnen 8c, ist eine literarische Gesellschaft, die sich der Erforschung von Leben und Werk Karl Mays widmet. Mitglied kann jeder werden.



1 Einen Querschnitt (in Schlagzeilen) des überaus lebhaften Presseechos vermittelt "Karl May in Berlin", Sonderheft Nr. 33 der KMG. Unter den Berliner Journalisten machte das Wort vom »grünen und alternativen Karl May« die Runde.

2 Text der Einweihungsansprache von Heinz Stolte wie Anm. 1.

3 Die Tagungsvorträge sind in diesem Jahrbuch abgedruckt.

4 Fontane bezeichnete Möllhausen als »Erzähler pur sang«.

5 Text des Winnetou-Gedichtes wie Anm. 1.

6 Meldung der Vossischen Zeitung vom 12. 4. 1910 wie Anm. 1. Die Ausstellungstafeln sowie weitere Beiträge zur Tagung sind in diesem 44 Seiten starken Sonderheft abgedruckt.


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