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EKKEHARD BARTSCH

»Die liebenswürdigste aller Musen«

Karl May und das Theater



Das Theater gehört - folgt man Karl Mays Autobiographie - zu den prägendsten und entscheidendsten Kindheits-Erlebnissen des Schriftstellers. Im Alter von knapp neun Jahren hat er, der eigenen Darstellung nach, zusammen mit seiner Großmutter das Puppentheater einer Wanderbühne besucht und dort neben Stücken wie "Das Müllerröschen oder Die Schlacht bei Jena" auch das Marionettenspiel "Doktor Faust oder Gott, Mensch und Teufel" gesehen:

Das war nicht der Göthesche Faust, sondern der Faust des uralten Volksstückes, nicht ein Drama, in dem die ganze Philosophie eines großen Dichters aufgestapelt wurde und auch noch etwas mehr, sondern das war ein direkt aus der tiefsten Tiefe der Volksseele heraus zum Himmel klingender Schrei um Erlösung aus der Qual und Angst des Erdenlebens. Ich hörte, ich fühlte diesen Schrei, und ich schrie ihn mit, obgleich ich nur ein armer, unwissender Knabe war, damals wohl kaum neun Jahre alt. Der Göthesche Faust hätte mir, dem Kinde, gar nichts sagen können; er sagt mir, aufrichtig gestanden, selbst heut noch nicht, was er der Menschheit wahrscheinlich hat sagen wollen und sollen; aber diese Puppen sprachen laut, fast überlaut, und was sie sagten, das war groß, unendlich groß, weil es so einfach, so unendlich einfach war: Ein Teufel, der nur dann zu Gott zurückkehren darf, wenn er den Menschen mit sich bringt!(1)

Ob das Thema Gott, Mensch und Teufel tatsächlich schon die Gedankenwelt des Neunjährigen beherrschte und ob es bereits für den vierzehnjährigen Seminaristen zum Ideal geworden war: Stücke für das Theater schreiben!(2), ist heute freilich nicht mehr nachweisbar. Immerhin findet sich in dem - wahrscheinlich während der Zwickauer Haftzeit (1865-1868) entstandenen - "Repertorium C. May" der Entwurf Mensch und Teufel. Socialer Roman in 6 Bänden, in dessen Lucifer-Monolog sich das theatralische Pathos der frühen-Puppenbühnen-Erlebnisse wiedererkennen läßt:

»Unseliger! Zu früh hast du den Blick erhoben, der in der Wahrheit Glanz erblindet. Zu schwach der freien Ewigkeit, seist du gekettet an die kleine Erde, und Dämmrung sei dein einzger Weg zum Lichte. Verkannt seist du, so wie du mich verkannt, und wie du fürchtest deinen Herrn und Meister, so fege Schrecken deine Pfade leer! - Doch, wenn der Erdensohn dem Himmel nahet, wenn ihn die Sehnsucht zu der Heimath führt, so sei auch dir das goldne Thor geöffnet. Erkenntniß wandle meinen Fluch in Segen, und mit dem Strahl, der dann dir leuchtet, breche das erste Halbjahr der Erlösung an!«(3)


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Nach Mays Aussage bedeutete ihm das alte Volksstück vom Dr. Faust mehr als Goethes Drama. Doch ist natürlich auch Goethes "Faust", den May vermutlich vom Lehrerseminar her kannte, von lebenslangem Einfluß auf den Schriftsteller geblieben. Die Läuterungs- und Erlösungs-Ethik, der Gedanke, daß »alles Vergängliche« nur »ein Gleichnis« sei, ist aus dem Gedankengebäude der Alterswerke nicht wegzudenken. Auf der Bühne gesehen hat Karl May den "Faust" am Ostersonntag, dem 30. März 1902 (einem Datum, dessen spätere Bedeutung er freilich damals nicht ahnen konnte(4)). »In geistvoller Weise sprach Karl über dieses Werk«, notierte Klara Plöhn in ihrem Tagebuch.

   Die frühen Theater-Erlebnisse bewegten sich jedoch auf leichterem Niveau. Wanderbühnen, wie sie sich in Mays Humoresken ("Die falschen Excellenzen") oder im Roman "Der verlorne Sohn" gespiegelt finden, sorgten bei der Landbevölkerung für Unterhaltung und Zerstreuung. Karl May beschrieb als für ihn besonders eindrücklich eine Aufführung der "Preziosa", in der er selbst in der Rolle eines Zigeunerbuben mitspielen durfte.(5) Die Schilderung dieser Episode gehört zu den wenigen humoristischen Passagen der Autobiographie. Interessanterweise ist die Karl-May-Forschung noch ein weiteres Mal auf die "Preziosa" gestoßen: Am 8. März 1863 fand im Rathaus Hohenstein eine »musikalisch-deklamatorische Abendunterhaltung« statt, und als Punkt 4 der Programmfolge findet sich »Pièçe aus Pretiosa, vorg. v. May«.(6)

   Entgegen dem hohen Anspruch, den May später in "Mein Leben und Streben" an das Bühnenschaffen stellte, bewegten sich seine eigenen ersten Bühnen-Versuche auf rein unterhaltendem Niveau. Vermutlich aus der Zeit um 1864, als er für den Ernstthaler Sängerkreis "Lyra" auch zahlreiche volkstümliche Kompositionen schuf, stammt die fragmentarisch als Manuskript erhaltene (und wohl auch nie vom Autor vollendete) Posse: Die Pantoffelmühle. Original-Posse mit Gesang und Tanz in acht Bildern von Karl May. Musik von demselben.(7) Verse daraus finden sich in späteren Erzählungen wieder, so das "Schleiferlied" in der Dessauer-Humoreske "Der Scheerenschleifer"(8) oder die Stotter-Arie "Ode an das Schwein" im "Blau-roten Methusalem".(9) Daß diese ein österreichischer Dichter verfaßt habe, ist sicherlich Fiktion, denn im "Pantoffelmühlen"-Manuskript existieren davon sogar Entwürfe in zwei verschiedenen Varianten.

   Die Absicht, in einer dreiaktigen Posse den "Alten Dessauer" auf die Bühne zu bringen, teilte Karl May am 16. Oktober 1892 seinem Verleger F. E. Fehsenfeld mit.(10) Über ein Ständchen, das sechs adelige Stifts-Fräuleins dem Dessauer bringen (eine Verballhornung des Volkslieds "Ännchen von Tharau"), ist dieses echt deutsche, zwerchfellerschütternde Stück(11) nicht hinausgekommen. Ebenso mußten Leser und Bühnen-Zuschauer auf die im gleichen Brief erwähnte Oper verzichten, die


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einen großen Zweck verfolgen sollte.(12) Sie findet sich dann lediglich selbstironisch gespiegelt in den Plänen des Kantors Hampel im "Ölprinz" wieder, eine Heldenoper zu schreiben: Und die zwölfaktige Heldenoper? Wenn die ersten drei Takte davon fertig sind, werde ich es sofort melden.(13)

   Solche Bühnen-Pläne zeigen jedoch, daß Dramatisierungen von Mays Reiseerzählungen, wie sie einst von Carl Zuckmayer jubelnd begrüßt wurden(14) und heute ein nach Hunderttausenden zählendes Publikum in Bad Segeberg, Elspe oder Rathen begeistern, wohl durchaus den Intentionen des Karl May der neunziger Jahre entsprachen.(15) Noch in der autobiographischen Humoreske "Freuden und Leiden eines Vielgelesenen"(16) behauptete May: Ich komponiere jetzt selbst an einer Oper, stelle aber ein gutes Drama gleich hoch. Und um 1898 beschäftigte er sich abermals mit der Gestalt des Alten Dessauers und machte eine Studienreise ins Gartower Land.(17)

*

Der grundlegende Wandel in seiner Einstellung zum Theater fällt zusammen mit Karl Mays Wandel im eigenen literarischen Schaffen. In die Zeit nach Rückkehr von der 16monatigen Orientreise (1899/1900), nach dem Tod seines Freundes Richard Plöhn (14. Februar 1901), in die Zeit der literarischen und persönlichen Krise, die zum endgültigen Scheitern der Ehe mit Emma Pollmer führte, fällt die Episode intensiver Theaterbesuche. Dank der Tagebuch-Aufzeichnungen Klara Plöhns läßt sich nachweisen, daß Karl May im ersten Halbjahr 1902 fast fünfzigmal die Dresdner Theater besuchte und dort nahezu das gesamte Repertoire sah, von der Klassik (Schiller, Kleist, Lessing, Goethe, Molière, Shakespeare) bis zur Moderne (Sudermann, Gerhart Hauptmann, Otto Ernst). Es dürfte eine Flucht aus der häuslichen Misere gewesen sein, daß Karl May in manchen Wochen vier- oder fünfmal ins Theater ging - jeweils begleitet von Klara Plö hn und Emma May. Vielleicht war es auch der verzweifelte Versuch, auf diese Weise in Emma Verständnis zu wecken für seine gewandelte Auffassung von Literatur. Jedenfalls scheiterte diese Absicht gründlich(18), und weder die zahlreichen Theaterbesuche, noch die ruhelosen Reisen - Berlin, Hamburg, Leipzig, München, Riva (Gardasee), Bozen (Südtirol)(19) - retteten die Ehe. Es kam zur Trennung von Emma; am 14. Januar 1903 wurde vom Königlichen Landgericht Dresden die Scheidung ausgesprochen.

   Der erste Theaterbesuch von Karl und Klara allein fand am 3. Januar 1903 statt: Jacques Offenbach "Hoffmanns Erzählungen". Von nun an folgten Besuche von Theater und Oper in wesentlich längeren Abständen: Maeterlinck, Schiller, C. M. von Weber, Hebbel, Kleist, Ibsen, Hartleben, Grillparzer...


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   Hansotto Hatzig, der als erster Klara Mays Tagebuch auswerten konnte(20), widerspricht Forst-Battaglias Pauschal-Behauptung: »Von Gerhart Hauptmann, Rilke und Hofmannsthal finden sich "Die versunkene Glocke", "Mir zur Feier", "Elektra", "Der Tor und der Tod" in Mays Bücherei. Er hat aber von ihnen ... keine Notiz genommen oder nur insoweit, daß sie ihm alle schlecht behagten«.(21) Hatzig stellt dem die Tagebuch-Eintragungen Klara Mays entgegen: Eintragung zwischen dem 10.2. und 6.3.1904: »Hugo von Hofmannsthal "Der Tor und der Tod", "Elektra". Beide Werke haben uns erschüttert. Dieser Mann ist groß, edel und tief... Die Aufführung im Hoftheater war ein Kunstwerk aller, aller ersten Ranges«. Eintrag am 30.3.1910: »An unserem Hochzeitstag waren wir in "Hanneles Himmelfahrt". Es hat uns tief bewegt. Wir waren glücklich im Beisammensein«. Hierzu vermerkt Hatzig: »Man wende mir, bitte, nicht ein, daß das Klaras, aber nicht Karls Meinung sei. Klaras Tagebuch ist ein getreuer Spiegel von Karls Seele. Da, wo sie sich eine eigene Meinung erlaubt, hat sie es ausdrücklich vermerkt!«(22)

   In jener Zeit intensiver Theater-Besuche, also ab 1902, dürfte in Karl May der Wunsch immer stärker geworden sein, selbst etwas für die Bühne zu schreiben, und von nun an erschien ihm das Bühnenstück als Krönung literarischen Schaffens, als das eigentliche Werk, für das die bisherigen Reiseerzählungen, Romane und Novellen nur Vorstudien und Etüden gewesen seien. Aus zahlreichen Entwürfen, Notizen, Arbeitsmaterialien und Skizzen, die zwischen 1902 und 1906 entstanden, ging ein vollständiges Drama hervor, in dem Karl May seine Läuterungs- und Versöhnungsethik - das Wunschziel aus der Zeit von "Doktor Faust oder Gott, Mensch und Teufel" - zusammenzufassen suchte: Babel und Bibel. Arabische Fantasia in zwei Akten.(23) Der Versuch, auf diese Weise »mit neuen Formen und neuen Ideen von der Bühne herab zu wirken«(24), mi&s zlig;lang; das Werk stieß auf Unverständnis oder Ablehnung, die Bühnenaufführung blieb ihm versagt: Ich habe ein einziges Mal etwas Künstlerisches schreiben wollen, mein »Babel und Bibel«. Was war die Folge? Es ist als »elendes Machwerk« bezeichnet ... worden ... Da weicht man zurück und wartet auf seine Zeit. Und diese kommt gewiß.(25)

*

In die Zeit des vergeblichen Wartens auf eigene Bühnen-Anerkennung fällt der sechswöchige Kuraufenthalt im schlesischen Bad Salzbrunn.(26) Vom 22. Mai bis 3. Juli 1907 weilten Karl und Klara May in dem Kurbad. Am 2. Juni eröffnete das Herzogliche Kurtheater, Bad Salzbrunn, seine Saison, und von diesem Tag an besuchte das Ehepaar regelmäßig dieses Theater. Unserem polnischen Mitarbeiter Wojciech Kunicki,


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Wroclaw, gelang es, anhand der "Salzbrunner Zeitung" den Spielplan für die Zeit von Karl Mays Salzbrunn-Aufenthalt zu rekonstruieren(27):

Sonntag, 2. JuniG. Kadelburg/R. Skowronnek "Husarenfieber"
Montag, 3. JuniM. Dreyer "Der Probekandidat"
Dienstag, 4. JuniG. von Moser "Salontyroler"
Donnerstag, 6. JuniG. Kadelburg/R. Skowronnek "Husarenfieber"
Freitag, 7. JuniMoser/Schönthan "Unsere Frauen"
Sonntag, 9. JuniMannstädt/Weller "Die schöne Ungarin"
Montag, 10. JuniW. Meyer-Foerster "Alt Heidelberg"
Dienstag, 11. JuniM. Dreyer "Der Probekandidat"
Donnerstag, 13. JuniA. Bozenhand (Bearb.) "Sherlock Holmes"
Freitag, 14. JuniG. von Moser "Der Veilchenfresser"
Sonntag, 16. JuniO. Blumenthal "Das Glashaus"
Montag, 17. JuniG. Kadelburg/R. Skowronnek "Husarenfieber"
Dienstag, 18. JuniH. Sudermann "Heimat" (einmalige Aufführung)
Donnerstag, 20. JuniO. Wilde "Ein idealer Gatte"
Freitag, 21. Juni Lustiger Abend von Oskar Will (Breslau) und seiner Gattin Betty Will (im Kursaal)
Sonntag, 23. JuniKren/Schönfelder "Er und seine Schwester"
Montag, 24. JuniFr. von Schönthan/G. Kadelburg "Zwei glückliche Tage"
Dienstag, 25. JuniG. Kadelburg/R. Skowronnek "Husarenfieber"
Donnerstag, 27. JuniLeo Leipziger "So leben wir"
Freitag, 28. JuniH. Sudermann "Johannisfeuer"
Sonntag, 30. JuniH. Sudermann "Mein Leopold" (einmalige Aufführung)
Montag, 1. JuliB. Björnson "Die Neuvermählten" (Gastspiel des großherzoglich-hessischen Hofschauspielers Willy Loehr vom Hoftheater Darmstadt)
Dienstag, 2. Juli"Die Neuvermählten" (letztes Gastspiel)

In diesen vier Wochen haben Karl und Klara May das gesamte Repertoire des Theaters besucht, wie sich aus Klaras Tagebuch-Aufzeichnungen nachweisen läßt (lediglich auf den lustigen Oskar-Will-Abend im Kursaal findet sich kein Hinweis). Offensichtlich waren auch hier - wie schon 1902, jedoch unter ganz anderen Vorzeichen - Theaterbesuche das Mittel, um zu gesunden, zu gesunden an Leib und Seele.(28) Zu eigenem literarischen Schaffen war Karl May zu diesem Zeitpunkt offensichtlich nicht fähig. »Die Schwäche ist aber doch groß. Er wollte so viel arbeiten, kann aber nicht«, notierte Klara May. Und doch hat Karl May etwas geschrieben, einen kleinen Text, dessen Wiederentdeckung wir der Aufmerksamkeit von Wojciech Kunicki verdanken: die vorstehend abgedruckte mit »Karl May« unterzeichnete Skizze "Theater". Sie erschien am 15. Juni 1907 im Feuilleton der "Salzbrunner Zeitung" (Nr. 69).

   Wie Karl May ausdrücklich betonte, lag es ihm vollständig fern, Kri-


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tik [Kritik] zu üben. Und tatsächlich handelt es sich bei dem Text eher um eine essayistische Plauderei im Stile der 1906/07 für Leopold Gheri geschriebenen "Briefe über Kunst". Die Ideale seines eigenen Bühnenschaffens, den Tempel der Kunst ... zum Tempel seelischer Befreiung zu machen, gab er hier als Forderung an das Theater weiter: Licht, Sonnenschein, neues Vertrauen und neuen, heiteren Lebensmut in die Herzen aller Hülfesuchenden strahlen zu lassen, war nicht nur Forderung an sich selbst und sein Schaffen, sondern auch an Frau Direktor Ewers und ihr Salzbrunner Kurtheater.

   Karl May fühlte sich dem Schauspiel-Ensemble freundschaftlich verbunden(29), und so packte er kritische Äußerungen in die mildesten Worte. Während Klara May nach dem Besuch des Stückes "Die schöne Ungarin" von Mannstädt/Weller lakonisch notierte: »dummes Zeug«, forderte Karl May, die wohltuende, befreiende und läuternde Heiterkeit dürfe sehr wohl über Mannstädt'sche und Weller'sche Possen hinausgreifen. Und während May noch 1892 in seinem Brief an Fehsenfeld(30) bekanntgab, das echt deutsche, zwerchfellerschütternde Stück, das er plante, wollte er dem französischen Schund entgegensetzen, schlug er nun als Alternative zu deutschen Humoristen vor, daß das Ausland uns hunderte von vortrefflichen Stücken eines Molière und vieler Anderer liefern könnte. Der erweiterte Theater-Horizont aus d em Jahre 1902 machte sich bemerkbar.(31)

   Der Kontakt mit Direktorin Ewers, die offenbar während des Winterhalbjahres am Stadttheater Brieg tätig war, blieb bestehen, und am 19. Januar 1909 sandte Karl May ihr als Glückwunsch-Depesche zum 70. Geburtstag ein achtzeiliges Gedicht, in dem noch einmal der Dank für das Salzbrunner Theater-Erlebnis zum Ausdruck kam.(32)

   Eine Begegnung mit dem Theater aus dem Jahre 1909 verdient noch Erwähnung, die Klara May überliefert hat: »Arme, aber gute Schauspieler baten um Unterstützung. Sie spielten hier in Radebeul. Karl gab über 100 M. Ich eine Menge Stoffe etc. Die Schüler der Gewerbeschule konnten auf unsere Rechnung die Vorstellungen besuchen... «(33) Karl und Klara May selbst besuchten elf verschiedene Vorstellungen dieser Theatergruppe. »11 x eine Leistung!« (Klara May).

*

Den Ansatz zu eigenen Bühnenwerken hat Karl May nie mehr gefunden. Das nach Beendigung von "Babel und Bibel" begonnene Drama "Kyros", ein Neu-babylonisches Drama oder Dramatisches Portrait, kam über Einleitungs-Entwürfe nicht hinaus.(34) Und bis in die Selbstbiographie hinein blieb für Karl May das Drama als literarisches Ziel, als geplante Krönung seines Schaffens, bestehen, doch es blieb ein Wunschziel. Die Prozeßflut und die Pressefehde lähmten Karl Mays


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Schaffenskraft, und statt literarischer Werke schrieb er Gerichtseingaben und Verteidigungsschriften. Der Wunsch, am Schlusse dieses schweren, arbeitsreichen Lebens ... für das Theater zu schreiben, um dort die Rätsel zu lösen, die mich schon seit frühester Kindheit umfangen hatten, er blieb Illusion.(35)

   Noch an seinem Todestag, dem 30. März 1912, sprach Karl May mit Klara über literarische Pläne: »Ein Drama wollte er schreiben, das sein eigenes Leben schildern und erst lange nach seinem Ableben an die Öffentlichkeit kommen sollte. Nach Jahren erst, wenn er längst gegangen, werde man sein Wollen und Wirken begreifen.«(36) Sein Leben exemplarisch für das Leben, die Fehler, Wünsche und Sehnsüchte der Menschheit zu sehen, das gehörte zu den literarischen Visionen Karl Mays: Das Karl May-Problem ist das Menschheitsproblem, aus dem großen, alles umfassenden Plural in den Singular, in die einzelne Individualität transponiert.(37) - Ich habe während meines »Lebens und Strebens« allzu viele und allzu große Fehler begangen, als daß ich so mir nichts, dir nichts untergehen und für immer verschwin den dürfte. Ich habe gutzumachen!(38) Gedankennotizen, Skizzen, Fragmente - sie blieben im Entwurf stecken. Der Wunsch, jetzt Märchen und Gleichnisse geben, um dann am Schlusse des Lebens aus ihnen die Wahrheit und die Wirklichkeit zu ziehen und auf die Bühne zu bringen(39) - er blieb ein Traumziel. So kommen wir, wie uns der Herrgott sendet, / Bewegt bei Tag, nie ruhend in der Nacht. / Es bleibt der Anfang ewig unvollendet...(40)


1 Karl May: Mein Leben und Streben. Reprint der Erstausgabe Freiburg o. J. (1910). Hrsg. von Hainer Plaul. Hildesheim-New York 1975, Olms-Presse, S. 56f.

2 Ebd. S. 94

3 Das "Repertorium" ist abgedruckt im Jb-KMG 1971, S. 132ff.; der Erstabdruck des Fragments "Mensch und Teufel" erfolgte jedoch bereits im Karl-May-Jahrbuch 1919, S.173ff.; heute (gekürzt) enthalten in Gesammelte Werke, Bd. 49 "Lichte Höhen", S. 285f. Zur Entstehungszeit des "Repertoriums" vgl. Hainer Plaul in: Jb-KMG 1975, S. 170ff.

4 Genau ein Jahr später, am 30. März 1903, heirateten Karl May und Klara Plöhn; der 30. März 1912 ist Karl Mays Todestag.

5 Karl May: Mein Leben und Streben (wie Anm. 1), S. 58ff. Das auf der Novelle "La Gitanella" von Cervantes beruhende Volksstück "Preziosa" stammt von Pius Alexander Wolff; eine Schauspielmusik dazu komponierte Carl Maria von Weber (vgl. Plaul, wie Anm. I, S. 354).

6 Faksimile der Anzeige aus dem "Wochenblatt und Anzeiger für Hohenstein, Ernstthal und Umgebung" vom 7.3.1863 in: Jb-KMG 1971, S. 151

7 Vgl. Max Finke in: Karl-May-Jahrbuch 1925, S. 58ff., sowie Hans Wollschläger in: Jb-KMG 1970, S. 154.

8 Enthalten in: Gesammelte Werke, Bd. 42 "Der alte Dessauer". Radebeul 1921, Bamberg 1955

9 Kong-Kheou, das Ehrenwort. In: Der gute Kamerad, 3. Jg., S. 739; Der blau-rote Methusalem. Stuttgart (1892), S. 493; dass. Radebeul o. J., S. 510; dass. Bamberg 1951, S. 470


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10 Der Brief ist abgedruckt im Karl-May-Jahrbuch 1918, S. 259f., ferner bei Ostwald, Karl May - Leben und Werk. Braunschweig 1977 (4. Aufl.), S. 130f.; vgl. auch Nachwort zu: Karl May: Der alte Dessauer. Bamberg 1968, S. 539

11 Ebd.

12 Ebd.

13 Karl May: Der Ölprinz. In: Der gute Kamerad, 8. Jg. (1893/94), letzte Zeile. Ebenso in der Buchausgabe Stuttgart (1897) und Radebeul (1915). In der Bamberger Ausgabe und deren Lizenzdrucken wurde dieser Schlußsatz gestrichen.

14 Carl Zuckmayer: Winnetou auf der Bühne. In: Karl-May-Jahrbuch 1931, S. 300ff. (Nachdruck aus der Vossischen Zeitung vom 6.12.1929)

15 Über das Wie der Bühnenfassungen läßt sich natürlich mancherlei Kritisches sagen und Rückkehr zu mehr Werktreue wäre oft dringend zu fordern. Dies gilt vor allem für die neueren Medien (Film, Fernsehen), bei denen in der Spiel-Handlung vielfach keinerlei Anklänge mehr an Karl Mays Roman-Handlung zu erkennen sind.

16 Karl May: Freuden und Leiden eines Vielgelesenen. In: Deutscher Hausschatz, XXIII. Jg. (1896/97), S. 20, Reprint in dem Sammelband "Kleinere Hausschatz-Erzählungen". Hrsg. von der Karl-May-Gesellschaft und der Buchhandlung Pustet. Regensburg 1982, S. 312

17 Fr. Hinnrichs: Eine Studienreise Karl Mays. In: Karl-May-Jahrbuch 1924, S. 334ff.; Nachdruck im Anhang zu Karl May: Der alte Dessauer. Bamberg 1968, vgl. auch Erich Heinemann: Dr. Karl May in Gartow. In: Jb-KMG 1971, S. 259ff.

18 Klaras Tagebuch-Notizen geben in dieser Hinsicht viele bemerkenswerte Aufschlüsse.

19 Vgl. Hans Wollschläger: Karl May. Grundriß eines gebrochenen Lebens. Zürich 1976, S. 120ff.

20 Zahlreiche Zitate in: Hansotto Hatzig: Karl May und Sascha Schneider. Dokumente einer Freundschaft. Bamberg 1967 (Beiträge zur Karl-May-Forschung, Bd. 2)

21 Otto Forst-Battaglia: Karl May. Traum eines Lebens - Leben eines Träumers. Bamberg 1966 (Beiträge zur Karl-May-Forschung, Bd. 1), S. 167

22 Stellungnahme Hatzigs zum Forst-Battaglia-Buch in: Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft Karl-May-Biographie Nr. 14 (Dezember 1966), Anlage 3; vgl. auch Hatzig: Karl May und Sascha Schneider, S. 136

23 Karl May: Babel und Bibel. Freiburg 1906, F. E. Fehsenfeld; auch enthalten in Gesammelte Werke Bd. 49 "Himmelsgedanken", Radebeul 1921 (6.-10. Tsd.) und 1922 (11.-18. Tsd.); ab 19. Tsd. (Bamberg 1956) erscheint der Band unter dem Titel "Lichte Höhen"; dort ist "Babel und Bibel" in bearbeiteter Fassung abgedruckt.

24 Hatzig (wie Anm. 20), S. 135

25 Karl May: Mein Leben und Streben (wie Anm. 1), S. 229

26 Zu Karl Mays Salzbrunn-Aufenthalt vgl. Manfred Hecker: Karl Mays Kuraufenthalte 1907 und 1911 (M-KMG Nr. 43), sowie Wojciech Kunicki: Einige Notizen zu Karl Mays Aufenthalt in Bad Salzbrunn (M-KMG Nr. 60). Hinweise auch bei Hansotto Hatzig (wie Anm. 20), S. 233f. und bei Fritz Maschke in: Karl May-Jahrbuch 1978. Bamberg/Braunschweig, S. 250f.

27 Der Zeitungsjahrgang befindet sich in der Biblioteka Uniwersytetu Wroclawskiego, Gabinet Slaski, Sign. 31549.

28 Vgl. S. 365 in diesem Jahrbuch.

29 Vgl. Hatzig (wie Anm. 20), S. 233

30 wie Anm. 10

31 Im Mai/Juni 1902 sah Karl May von Molière: Der Geizige, Die gelehrten Frauen, Der Philantrop, Tartuffe, Der eingebildete Kranke, Die Schule der Frauen.

32 Von Klara May wurden die Verszeilen in ihrem Tagebuch festgehalten.

33 Tagebuch Klara Mays, Eintragung zwischen dem 30.1. und 4.4.1909, zitiert nach: Hatzig (wie Anm. 20), S. 234

34 Abgedruckt bei Max Finke (Karl-May-Jahrbuch 1921, S. 20ff.) und Christoph F. Lorenz (M-KMG 61, August 1984). Lorenz irrt freilich, wenn er das "Kyros"-Fragment zu den Vorstudien zu "Babel und Bibel" zählt. Es entstand eindeutig  n a c h  "Babel und Bibel". Die Handschrift trägt Mays Vermerk: Mit den Vorarbeiten begonnen:


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Sonnabend, den 11.8.06. Aufgrund des Mißerfolgs von "Babel und Bibel" wurden die weiteren Dramen-Pläne jedoch anschließend beiseitegelegt.

35 Karl May: Mein Leben und Streben (wie Anm. 1), S. 111

36 E. A. Schmid: Karl Mays Tod und Nachlaß. In: Karl May: »Ich« (Gesammelte Werke, Bd. 34). 35. Aufl. 1982, S. 318

37 Karl May, Mein Leben und Streben (wie Anm. 1), S. 12

38 Ebd. S. 213

39 Ebd. S. 151

40 "Die Wogen des Gardasees", fragmentarisches Gedicht, geschrieben in Riva, 14.10.1902, enthalten in der Dramenfragment-Mappe Wüste; zitiert nach dem Originaltext im Karl-May-Jahrbuch 1922, S. 47 (vgl. auch Gesammelte Werke, Bd. 49 "Lichte Höhen". Bamberg 1956, Nachwort; dort machte der Bearbeiter aus »Herrgott« einen »Meister«).

Beim Abdruck des Karl-May-Textes (und auch in der Salzbrunner Theater-Liste) wurden zwei kleine Fehler korrigiert: Die Autoren der "Schönen Ungarin" heißen Mannstädt und Weller (Ermittlung Hansotto Hatzig). Ein sinnentstellender Fehler steht außerdem im letzten Absatz des "Theater"-Textes. Dort heißt es im Zeitungsabdruck, Frau Direktor Ewers stelle »das Gehaltvolle gewiß nicht über das Gewöhnliche«. Da Karl May jedoch genau das Gegenteil aussagen wollte, wurde das »nicht« sinngemäß in »auch« geändert.


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