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JOHANNA BOSSINADE


Das zweite Geschlecht des Roten
Zur Inszenierung von Androgynität in der ›Winnetou‹-Trilogie Karl Mays



I. ANDROGYNIE, NARZISSMUS


Die ›femininen Züge‹ der Winnetou-Gestalt Karl Mays sind bekanntlich als Zeichen für eine homoerotische Wunschkonstellation ausgelegt worden.1 Nicht im Widerspruch dazu, aber doch unter anderer Akzentsetzung sollen sie hier, wo vor allem die Dialektik zwischen den verschiedengeschlechtlichen Zügen der Figur interessiert, als Teil eines androgynen Bildes aufgefaßt werden. Dabei wird der Versuch, einige der Präsentations- und Funktionsformen dieses Bildes herauszuarbeiten, von der Frage nach dem genaueren Ort und den Funktionen des ›Weiblichen‹ geleitet sein. Der Karl-May-Forschung, die gelegentlich ohnehin wie ein Kaleidoskop der neueren Wissenschaftsgeschichte anmutet2, wäre solcherweise ein feministisch orientierter Lektüreansatz hinzuzufügen. Er verschränkt sich auf methodisch-theoretischer Ebene mit den Praktiken eines textsemiotischen Verfahrens.

   Von den bereits vorliegenden Forschungsergebnissen ist insbesondere der Befund hervorzuheben, daß in der Lebensgeschichte Karl Mays die Schicksale einer schweren narzißtischen Affektion zu erkennen seien, wobei das Charakterbild dem von Freud beschriebenen »phallisch-narzißtischen« Typ entspreche; die extreme Ich-Bezogenheit des Werks erkläre sich so aus der Verwandlungsarbeit am Konflikt, der in seinem untersten Beweggrund ein Mutter-Konflikt war.3 Im lockeren Anschluß an diese Narzißmus-These werde ich einige der um die androgyne Gestalt zentrierten Wunsch- und Angstprojektionen des Mayschen Text-›Ich‹ nachzuzeichnen suchen. Den engeren Bezugsrahmen bilden ausgewählte Aspekte der mythischen bzw. theoretischen Konzepte Androgynie und Narzißmus, unter deren zweifachem Blickwinkel die literarische Konfiguration zu beleuchten sein wird. Ziel der Analysen ist es, am Beispiel der zusammengesetzten ›Winnetou‹-Trilogie (1893) Karl Mays zu einer kritisch differenzierenden Lesart der Titelfigur beizutragen.


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D e r  P r o b l e m h o r i z o n t


Die seit den 60/70er Jahren neu eingesetzte kritische Besinnung auf zentrale Konzepte der kulturellen Tradition führte auffallend oft zu zwei Namen zurück, die nicht nur für zwei Schwerpunkte in der Geschichte der abendländisch-patriarchalischen Reflexion, sondern auch für deren weitgespannten Zusammenhang stehen: Freud und Platon. Das gilt nicht zuletzt im Hinblick auf die Begriffe Androgynie und Narzißmus.

   Die Vorstellung der Androgynie stützt sich auf den in Platons ›Gastmahl‹ erzählten Mythos von der ursprünglichen Existenz dreier Geschlechter. Das kreisförmige »mannweibliche« dritte Geschlecht, so heißt es, provozierte die Teilung seiner selbst und erweckte dadurch das Begehren zwischen Mann und Frau nach geschlechtlicher Vereinigung.4 Jaques Lacans Version der Geschichte akzentuiert dagegen den Verlust des unsterblichen Lebens, der den Menschen von Geburt an zu einem gespaltenen Wesen mache, das weniger sein geschlechtliches Komplement, als vielmehr den ursprünglichen Teil seiner selbst suche.5 Aufseiten der feministischen (Literatur-)Kritik vertiefte sich die Skepsis gegenüber dem Traum einer geschlechterübergreifenden Einheit oder Vollkommenheit zunehmend in der Frage, welches Geschlecht zu welchem Preis für das andere ihn heraufbeschwöre. Schlegels berühmter Androgynitätsroman ›Lucinde‹ (1799) war nicht der einzige Text, der sich als eine von männlichen Bedürfnissen gespeiste symbiotische Wunschphantasie entpuppte.6

   Die Narzißmus-Diskussion der 70er Jahre betraf zum einen die narzißmustheoretischen Konzepte Freuds bzw. ihre Weiterentwicklung seit Freud. Daneben bestimmte die Wahrnehmung eines zeitgemäßen »narzißtischen Sozialisationstyps« das Programm. Seine Einschätzung als androgynes Gegenbild zum klassischen »Chauvi«7 verweist unausgesprochen auf den Widerspruch, daß, obwohl Narzißmus als spezifisch weiblich gilt, Narziß ein Mann ist. Im feministischen Lager führte das zu der These vom nur scheinbaren Narzißmus der Frau, der sich schon bald die Diagnose anschloß, daß die Rede von Androgynie immer zu schnell dort vonnöten sei, wo sich erste Artikulationen des verdrängten Weiblichen hören ließen.8

   Autorinnen wie Beauvoir, Irigaray und Cixous haben der neueren Einsicht, daß Ansätze zur Verschiebung der traditionellen Definition von Geschlechtsidentität im Komplex von Androgynie und Narzißmus leicht wieder untergehen, entscheidend mit zum Durchbruch verholfen. Der männliche Narziß, so kommentiert Simone de Beauvoir die


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»Mythen des Patriarchats«, wünscht durch die Frau hindurch sich selbst zu finden: »Dann nur, wenn er sich mit diesem Anderen, das er sich zu eigen gemacht hat, vereint, kann er hoffen, zu sich selbst zu gelangen.«9 Der Frau, der lediglich die Komödie des Narzißmus bleibe, sichere die Funktion als Double und Mittlerin zwar einen bevorzugten Platz im männlichen Universum; das allerdings zum Preis des Schicksals »eines Schmarotzers, der sein Leben einem fremden Organismus entzieht«.10

   Bei ihrer »nachdrücklichen« Lektüre des Platonischen Höhlengleichnisses enthüllt Luce Irigaray die Konstruktion einer Hierarchie zwischen Urbild und Abbild, die den Vater-Gott zum Erzeuger des Wirklichen erhebe. Die philosophische Optik gebe ihm dazu eine kugelförmige Gestalt und schließe die Mutter-Materie, damit ihr Anderes die selbstgenügsame Vollkommenheit nicht störe, darin ein: »So findet man die ›Mutter‹ in den Kreisen, Umrissen, Kugeln, Hüllen, geschlossenen Räumen wieder, in denen sich das Sein seit seiner Konzeption (auf)-hält . . . «11 Eine ähnliche Struktur beherrsche den Freudschen Diskurs. »Weiblichkeit« sei im Rahmen der phallischen Überlegenheit in einen zirkulären Prozeß eingeschlossen, da sie nur zur Erhöhung des anderen Geschlechts dienen könne, wie nicht anders der weibliche Narzißmus an ein phallisches Mandat gebunden sei.12

   Die Frage nach dem Ort der Frau führt auch Hélène Cixous in das Innere eines geschlossenen Raumes: »Sie ist im Bett und, als anagrammatisches Spiel: sie ist im Bett (lit) oder sie ist im ›er‹ (il)«.13 Dem männlichen »Verschlingen« des Anderen ­ seinem Widerstand gegen die Kastrationsdrohung - korrespondiere die gängige gesellschaftliche Praxis, sich zum »Zeichen des triumphierenden männlichen Narzißmus« einen Namen zu machen.14

   Die globale Skizze mag das Problem verdeutlicht haben, daß »Weiblichkeit« in den herkömmlichen Denk- und Wunschsystemen unserer Kultur als Stütze eines Narzißmus fungiert, der nicht ihr eigener ist. Phantasien zur Überschreitung und Erweiterung der Geschlechtergrenze können, sofern sie auf dem Einschluß des »Weiblichen« basieren, kaum mehr als ein Ausdruck männlicher Selbstliebe sein. Das schließt andere Möglichkeiten nicht aus, gemahnt aber an die Schwierigkeiten, die zu ihrer Entfaltung - auch und gerade auf literarischem Wege - überwunden werden müssen.


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D a s  h i s t o r i s c h e  U m f e l d


»Es werden schon jetzt weibliche Stimmen laut, welche, beim heiligen Aristophanes! Schrecken machen«, konstatierte Nietzsche im Jahre 1885. Wo nur immer der industrielle Geist gesiegt habe, strebe das Weib nach Selbständigkeit, und »- was bedeutet das alles, wenn nicht eine Anbröckelung der weiblichen Instinkte, eine Entweiblichung?«15

   »›a woman, at last!‹« Mit diesem Seufzer hatte Orlando, Titelfigur der gleichnamigen Androgynitätsgeschichte (1928) Virginia Woolfs, das 19. Jahrhundert betreten.16 Unter Hinweis auf ihre »weiblichen Instinkte« war die (bürgerliche) Frau aus den Zusammenhängen des öffentlichen Lebens weitgehend ausgeschlossen worden. Als sie im letzten Drittel des Jahrhunderts die Forderung nach Selbstbestimmung stets lauter erhob, ging das, siehe Nietzsche, mit spürbaren Erschütterungen im Bereich der Geschlechtsidentität einher. Symptomatisch hierfür waren auch der Eintritt des homosexuellen »Mannweibes« in die psychiatrischen Schriften der Zeit17, oder die Verbreitung des Androgynitätsideals im Rahmen der symbolistischen Bewegung. Mysteriös verrätselte, durch wallende Fluten, Rankgewächse und Schlangenleiber komplettierte androgyne Frauenbildnisse suchten die von Nietzsche als Schreckbild gezeichnete »Entweiblichung« wiederum salonfähig zu machen.

   Eine andere Reaktion auf den fortschreitenden »industriellen Geist« der Epoche stellte das u.a. auf die Humboldtsche Geschlechtscharaktertheorie zurückgehende Postulat eines Austausches der besten Tugenden der Geschlechter bzw. die Utopie eines »ganzen« oder »höheren« Menschen dar. Für Karl May wurde es insbesondere nach 1900 zu einem Anliegen, daß sich der Gewaltmensch, also der niedrige Mensch, zum Edelmenschen entwickeln könne, was von der Intention her die Aussöhnung der Gegensätze in sich einbegriff: In Amerika sollte eine männliche und in Asien eine weibliche Gestalt das Ideal bilden, an dem meine Leser ihr ethisches Wollen emporzuranken hätten. Die eine ist mein Winnetou, die andere Marah Durimeh geworden.18 Im Umkreis der frühen Frauenbewegung dienten mannweibliche Vollkommenheitsideale häufig dazu, den Aufbruch der Frau zu neuen Zielen zu legitimieren; die Frau sollte zur »Veredelung der Stände« und zur Rettung des »Adels der Menschheit« beitragen können.19 Einen nicht geringen Einfluß übte dabei das sich an bürgerliche Traditionen anlehnende Leitbild der kulturbewahrenden »geistigen Mutter« aus, während andererseits der radikale Flügel der Frauenbewegung in den 90er Jahren zu einer prononcierten Kritik der bürgerlichen Geschlechterordnung vorzudringen wußte. Die hiervon »angesteckten« Autorinnen


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sahen sich vor die schwierige Aufgabe gestellt, dem neuen Ideal einer kraftvoll-tätigen Weiblichkeit Form zu geben, ohne die üblichen Bilder und Zuschreibungen beizubehalten. Zwei Beispiele mögen das Problem illustrieren.

   Als Bertha von Suttner 1912 dem Vortrag Karl Mays: ›Empor ins Reich der Edelmenschen!‹ beiwohnte20, klang ihr das Stichwort Edelmensch keineswegs neu in den Ohren; May hatte es wahrscheinlich ihrem eigenen Buch ›Die Waffen nieder!‹ (1889) entliehen.21 Obzwar dies Werk die Normen der Geschlechtertrennung unverblümt attackiert, sucht es zugleich das Fundament zu einer neuen Verbundenheit der Geschlechter zu legen: » . . . wir waren so sehr eins geworden, daß zwischen ›mein‹ und ›dein‹ kein fühlbarer Unterschied mehr waltete . . . «22 Über der Einheitsutopie droht sich das alte Ungleichgewicht wieder einzupendeln. Das Ideal des Edelmenschen verkörpert sich in Ehemann und Sohn der weiblichen Ich-Figur, nicht aber in dieser selbst, so energisch sie es verficht.23 Während sich der Mann mit ihrer Hilfe veredelt, bleibt die Frau, was sie immer schon war: (geistige) Mutter.

   Die Figur der Olly aus Helene Böhlaus Roman ›Der Rangierbahnhof‹ (1895) hingegen ist eine so ausgesprochene Künstlernatur, daß sie nicht Mutter mehr sein kann. Ihre Gespaltenheit spiegelt sich in einem Erscheinungsbild, das sie als »Mignon« zu erkennen gibt.24 Die Brücke, auf der sich die androgyne Frau und ihr männliches Gegenbild treffen können, heißt Kameradschaft: »›Sie - Sie - na ­ Ausnahmsweib. Einfach guter Kamerad mit einer Heldenseele . . . ‹«25 Lebensfähig ist das »Ausnahmsweib« jedoch nicht. »›Sie ist eine Todeskandidatin‹, sagte der Arzt trocken«.26 Und so rafft denn eine tödliche Krankheit sie schon in jungen Jahren dahin.

   Die Frau, so wäre zu resümieren, die Nietzsche an die Pforte der modernen Gesellschaft klopfen sah, suchte sich in der Gestalt der geistigen Übermutter oder als androgyner Kamerad Gehör zu verschaffen. Im ersten Fall ließ sich ihr Anspruch auf Eigenheit im Bild des Edelmenschen wieder absorbieren, im zweiten Fall war sie von vornherein zur Todeskandidatin gestempelt. Die Stimme, die Frage, das Begehren waren trotzdem da und verlangten eine Antwort -, was für den Bereich der Literatur in ganz spezieller Weise zutrifft. Dichten, schreibt Woolf in ›Orlando‹, heißt einer anderen Stimme Antwort geben.27 Überprüfen wir, in welcher Form der Androgynitätsentwurf Karl Mays Antwort gab.


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II. ANDROGYNIE


D e r  T o d g e w e i h t e


Jetzt hätte ich Zeit zum Sprechen gehabt; einige Worte hätten zur Aufklärung genügt; aber das Blut schoß mir in Strömen aus dem Munde, und als ich mit der durchstochenen Zunge zu sprechen versuchte, brachte ich nur ein unverständliches Lallen hervor.28 (1, 294f.)


   Hier ist einem eine Wunde zugefügt worden, die ihm die Sprache verschlägt. Was ist geschehen? Old Shatterhand, der Ich-Erzähler der ›Winnetou‹-Romane, ist in einen Kampf auf Leben und Tod mit Winnetou verwickelt worden. Der Indianer, der auf ihn einen tiefen Eindruck gemacht hatte (I,140) und dem er sich als Freund hatte offenbaren wollen, hatte ihn als Feind verkannt - und damit im doppelten Sinn verwundet.

   »Wenn ich am Ende eines Romankapitels den Helden bewußtlos, aus schweren Wunden blutend verlassen habe, so bin ich sicher, ihn zu Beginn des nächsten in sorgsamster Pflege und auf dem Wege der Herstellung zu finden . . . «29 Freud hätte sich hiermit auf Karl May berufen können. Die »sorgsamste Pflege« verdankt der Maysche Held sogar dem, der ihm die Wunde schlug, Indiz für den sich anbahnenden »Triumph der Verkanntheit« (Bloch).30 Dieser Triumph gehorcht im Fall des vorliegenden Beispiels dem Mechanismus, daß die Angst des ›Ich‹ vor der »Entdeckung«31, hier: daß es ungeliebt und unerwünscht sein könnte, ein gegenteiliges Bild beschwört. Das ›Ich‹ wird bereits begehrt, als sich sein ›Wert‹ noch gar nicht erwiesen hat. Winnetou, so ist zu erfahren, hatte den vermeintlichen Landräuber, quasi wider Willen, vom ersten Augenblick an geliebt (I,384) und deshalb ebenso oft an mich gedacht wie ich an ihn! (I,224) Seiner Wirkungsmacht sicher, hat der verkannte Held es nicht nötig, dem Anderen gegenüber nachtragend zu sein:


» . . . Ich stehe in tiefer, tiefer Schuld bei dir. Sei mein Freund!«

»Ich bin es längst.« (I, 410)


   Doch ist das ›Ich‹ wirklich so versöhnlich, wie es sich gibt? Die Beobachtung, daß der Autor das Bild des schönen indianischen Freundes nach dem literarischen Tod der Figur liebevoll immer wieder aufleben ließ32, wäre wohl dahingehend zu ergänzen, daß die liebevolle Ausstattung des Bildes den Tod der Figur notwendig voraussetzt. Schon die Einleitung (I) stellt einen Todeskandidaten vor: Er, der beste, treueste und opferwilligste aller meiner Freunde, war ein echter Typus der Rasse, welcher er entstammte, und ganz so, wie sie untergeht, ist auch er unter-


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gegangen . . . (I, 5) Die Sterbeszene schließlich präsentiert einen tödlich Verletzten, dem ähnlich, wie es vorher dem ›Ich‹ geschah, die Rede im Blut erstickt (vgl. III, 474). Allerdings führt hier die tödliche Wunde tatsächlich zum Tode und verstummt die Rede für immer. Das ›Ich‹, kurzum, balanciert am Rande des Grabes in der steten Gewißheit, daß es ihn höchstens in der Phantasie seiner Alp- und Fieberträume (vgl. I, 300), den Anderen dagegen ›wirklich‹ hinabziehen wird.

   Das Wissen um die Unabwendbarkeit des über ihn »verhängten« Schicksals33 verleiht dem Indianer jene kostbare Melancholie, die den weißen Betrachter von Anfang an fasziniert:


 . . . der wehmütige Hauch eines tiefen und verschwiegenen Grames, den ich auf seinem jugendlichen, schönen Gesichte zu entdecken glaubte, hatte(n) mir es sofort angethan. (I, 140)


Da das Leid in den Zügen des Anderen »entdeckt« werden kann, muß die Konfrontation mit der eigenen Kränkung nicht mehr befürchtet werden. Tief, verschwiegen und vor allem unaufhebbar zu sein - das adelt die Not eines Todgeweihten, von dem sich das ›Ich‹ bei aller Anteilnahme doch glücklich unterschieden weiß. Eine andere Textstelle spricht das Urteil noch deutlicher aus:


Er . . . weiß, daß die Roten trotz allen Sträubens dem Untergange gewidmet sind, und verschließt die fürchterliche Last dieser Ueberzeugung still in seiner Brust. (II, 337)


   Ist also das Antlitz des Roten von der Spur des Grames gezeichnet, bleibt doch das Gefühl selbst in der Brust verschlossen, wie ja nicht anders der Leidende selbst  i n  meiner Seele lebt. (I, 5; Hervorh. von mir) Das vielfach gestaffelte Einschließungsverhältnis verhindert, daß ein Schmerz, der möglicherweise trotz der Projektion auf die Gestalt des Idols nicht zu bewältigen wäre, zum Durchbruch gelangt. Wenn sich die indianische Schwermut bisweilen auf die in ihr unterdrückten Emotionen wilder Trauer oder zornigen Aufbegehrens hin öffnet, so sind das punktuelle Momente, die die Regel eher bestätigen als verneinen. Der   s o n s t  so menschenfreundliche Apache (II, 445) oder   s o n s t  so milde Winnetou (II, 437; beide Hervorh. von mir) verhält sich nur in Ausnahmefällen weniger mild oder menschenfreundlich. Dabei ist der Regelfall zweifellos ein Ergebnis der von May vorgenommenen Umstilisierung des Winnetou-Bildes vom »Barbaren zum Edelmenschen«34, die in ›Winnetou IV‹ (1910) nahe an die »Vergötterung«35 der Figur herankommt. Solange jedoch der Apatsche als Teil eines indianischen Volkes agiert, ist der Verdacht der Barbarei nie ganz aufgehoben.36 Der Verdacht wird offensichtlich benötigt, um die dem Anderen zuge-


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schriebenen unkontrollierbaren Regungen umso sicherer im Zaum halten zu können.

   Seine Ausnahmoposition im eigenen Lager, die den indianischen Fremdling doppelt zum Fremden macht37, gibt ihn vollends in die Hand des weißen Gefährten. Das ist, wie die Todesstunde zeigt, durchaus auch wörtlich zu verstehen: Dann lösten sich seine Finger langsam von den meinigen ­ er war tot! (III, 474) Letzthin vertritt das ›Ich‹, soviel Sympathie es bezeugt, dem Roten gegenüber die Stelle des großen, weißen Vaters in Washington (vgl. II, 279). Wie dessen Gesetze funktionieren, ist ein offenes Geheimnis: »Eure Gesetze haben zwei Gesichter, und diese dreht ihr uns zu, wie es zu euerm Vorteile ist.« (I, 123) In dem Maße, wie seine Isoliertheit und Todesprädestiniertheit einer Umkehrung der Verhältnisse entgegenwirken, steht der indianische Mann dem weißen ›Ich‹ in der symbolischen Position der Frau gegenüber. Über Winnetou ist nichts zu erfahren, was nicht durch Old Shatterhand mitgeteilt würde, oder anders: seine Artikulationen sind an das Mandat des Siegers gebunden. Der Indianer ist wie die Frau in den Mittelpunkt einer Reihe von zirkulären Prozessen gestellt.


Z i r k u l ä r e  P r o z e s s e


Angesichts der partiellen symbolischen Identifikation der Elemente ›indianisch‹ und ›weiblich‹ erhebt sich die Frage, welchem Textprozeß sie sich konkreter verdankt. Greifen wir zur Untersuchung das Erscheinungsbild der Figur auf, wie es in der zusammengesetzten Trilogie dargeboten wird. Aus dem Repertoire der Invariablen zur Beschreibung des Prachtexemplars eines Indianers (vgl. III, 391) läßt sich eine bestimmte Reihe herausdestillieren, die dem Bild auf den tieferen Grund zu gehen erlaubt. Der Apatsche hat langes schwarzes Haar, das mit einer Klapperschlangenhaut durchflochten ist; das Schlangenikon wiederholt sich in der schlangenglatten Geschmeidigkeit des Leibes; die Haut zeigt ein mattes Braun, das Auge ist klar und hat einen samtartigen Glanz. Bei weiterer Reduktion bleibt eine lauthomogene Kette zurück: Apatsche, langes schwarzes Haar, Klapperschlangenhaut, schlangenglatt, klar, matt, Samt, Glanz . . . das stammelnde Lalala der präverbalen Gesprächssituation? Damit würde zusammenstimmen, daß das gutturale Timbre dieses Menschen, wie es in einem späteren Roman heißt, nur mit dem liebevollen, leisen, vor Zärtlichkeit vergehenden Glucksen einer Henne, die ihre Küchlein unter sich versammelt hat, verglichen werden kann . . . 38 Auf jeden Fall handelt es sich um eine sehr elementare ›Leier‹, die vokalisch-mimetisch den Körper des An-


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deren aufbaut und ihn dabei assoziativ mit dem (in mehrfacher Hinsicht) ersten sprachlichen Laut verknüpft.

   Eine weiter ausgreifende Interpretation könnte darin ein literarisches Substitut für Lacans ›object a‹ erkennen, das, als das primär durch die Bildungen des mütterlichen Körpers symbolisierte und für immer verlorene Teilobjekt des Subjekts, dessen nie zu befriedigendes Begehren erweckt.39 Einen direkteren Zugang zum Text gewährt indes Julia Kristevas Hinweis auf rhythmisch-musikalische Elemente, die sie als Spur des mütterlich-vorbewußten Leibes bzw. als die semiotische ›chora‹ des Textes identifiziert und von seiner väterlich-symbolischen Funktionsweise abhebt. Ersteres nennt sie auch den »Gesang unter dem Text«.40

   Im Anschluß daran läßt sich die aufgedeckte Klangspur im Beschreibungsbild Winnetous in der entsprechenden semantischen Richtung weiter verfolgen. Die Materialität des Lautes verschiebt sich dabei zur Materialität des Stoffes, oder, anders gewendet: der Lautkörper wandelt sich zum Tastobjekt. Indem das Auge Winnetous von Anfang an (vgl. I, 110) und immer wieder mit Samt verglichen wird, wird es einem Material nachempfunden, das wie kaum ein anderes zum Anfassen und Berühren reizt. Ausdrücklicher ist ja auch von der Klarheit seines sammet  w e i c h e n  Auges (I, 140; Hervorh. von mir) die Rede. Das erschließt ein dichtes Feld verwandter Bezüge, in dem die Assoziationen der Wärme, der Fülle und des Faßlichen eine ausschlaggebende Rolle spielen.

   Die Wärme strahlt aus dem Untergrund des tiefschwarzen Haares wie auch des dunkelglänzenden Auges herauf. In zahllosen szenischen Varianten wird diese Glut angefacht, um im gleichen Zug eine alte Beglückung wieder aufleben zu lassen, denn:  . . . sein dunkles Sammetauge konnte bei Gelegenheit sogar außerordentlich freundlich blicken (I, 544), was in der Indianer- und Westmannsprache auch so gesagt werden kann: »Der große Häuptling der Apachen ist uns gekommen wie der Sonnenstrahl dem kalten Morgen.« (III, 391) Als ein wahres Füllhorn des Überflusses wird das herrliche, blauschimmernde schwarze Haar des Freundes geschildert, das ihm reich und schwer auf den Rücken niederfiel (I, 110) oder wie eine Mähne hinter ihm herwehte. (II, 630) Eine heimlich abgeschnittene Haarlocke zeugt von der Verlockung solchen Reichtums. (Vgl. I, 258) Die Lippen des vollständig bartlosen Gesichtes sind voll und doch fein geschwungen (II, 59), die Backenknochen stehen kaum merklich vor (ebd.). All das so exquisit Geformte der Gestalt scheint zu nichts anderem bestimmt zu sein, als die Hand auf sich zu lenken, mindestens aber als Blickfang zu dienen: von den


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zierlichen Körperformen (III, 391) und dem zierlich gefertigten Anzug mit den feinen, roten Nähten (I, 109) bis zu den kleinen Füßen in den mit Perlen bestickten Mokassins (II, 59) ­ von den Reizen des Mienenspiels, da sich etwa ein kaum bemerkbares wohlwollendes Lächeln auf seinen Lippen (zeigte) (II, 60), ganz zu schweigen. Zu solch urtümlicher Anziehungskraft paßt auch die Mitteilung des Erzählers, er wisse den Gefährten selbst im Versteck jederzeit ausfindig zu machen, und wenn es nur infolge der Mücken wäre, die, von seiner Person angezogen, um den Busch weit dichter spielten als anderswo. (I, 232)

   Doch wie extatisch der Erzähler das betreffende Bu(s)chwerk auch immer umkreist ­ das Zielobjekt ist fest darin eingeschlossen. Jede der oben angeführten Modalitäten ist von einer isolierenden Kapsel umgeben. Der »Gesang unter dem Text« kommt gegen die Kontrafaktur nicht an, und die Kontrafaktur setzt die männlich-härteren Töne. Textsemiotisch gesprochen stoßen wir auf eine zweite Beschreibungsisotopie, die sich der ersten gegenüber nicht nur als heterogen, sondern auch als dominant erweist.

   Der Gegenverlauf beginnt bereits dort, wo ein forschender scharfer Blick seines dunklen Auges (II, 60) dessen sanftere Glut überblitzt. Das Auge kann sogar mit einem so mächtigen Blicke auf einem Gegenüber ruhen, daß dies nicht mehr aufzufahren wagt (II, 572). Dem Ausdruck der Güte und des Wohlwollens (I, 544) pariert ein ehernes Gesicht (vgl. II, 63), das nicht durch die leiseste Bewegung eines Gesichtsmuskels verrät, was in ihm vorgeht (vgl. I, 140). Wird einmal mit wohlklingender, sonorer Stimme (II, 60) gesprochen, so tönt es ein ander Mal wie fernes, drohendes Donnerrollen (I, 496). Das Wangenrund mag noch so delikat modelliert und die Haut noch so zart mattiert sein, der Zuschnitt des Gesichts ist insgesamt doch römisch, und der Farbton gemahnt an Bronze (II, 59); wie ja auch die frei herabwallende Haarmähne, um die ihn manche Dame beneidet hätte (I, 110), am Oberkopf in einen hohen, helmartigen Schopf eben doch geordnet ist (II, 59). Die Perlen der Mokassins müssen mit einer dreifachen Halskette von Krallen des grauen Bären, welche er dem gefürchtetsten Raubtiere der Felsengebirge abgewonnen hatte (ebd.), konkurrieren. Aus der kostbaren Saltillodecke, die seine Hüften umschlingt, ragen die Griffe eines Messers und zweier Revolver hervor (ebd.). Trotz schlangenhafter Behendigkeit (II, 535) oder einer schlangenglatten Geschmeidigkeit (I, 294) des Leibes mangelt es nicht an eisernen Muskeln und stählernen Flechsen (I, 294). So dieser Mensch schön zu nennen ist, dann auf jeden Fall männlich-schön (I, 544; II, 59) und ritterlich und gebieterisch in dem ganzen Eindrucke, den er machte. (III, 391)


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   Ziehen wir das zweite isotopische Netz enger zuammen, liegt uns genau jenes Material vor Augen, das den ›femininen Zug‹ der Figur gebieterisch in die Schranken weist: der scharfe Blick, der römische Schnitt, der Helm, das Messer, die eisernen Muskeln; das Starre, Unbewegt-Metallische, in Ordnung-Gebrachte, kurz, das tradierte Muster einer wehrhaft-gerüsteten Männlichkeit:  . . . jeder Zoll an ihm ein Mann, ein Held. (III, 391) Das fixiert in diskursiver Wende die Grenze auf einen äußeren Anblick hin, der, zweideutig genug, einen jeden Westmann entzücken (mußte).41 (Ebd.) Pointiert formuliert: Die Frau  i n  Winnetou findet am Mann Winnetou ihre Grenze.

   Damit hat die Analyse jene Stelle des zirkulären Prozesses eingeholt, die als Ort der Androgynitätsgenese identifiziert werden kann. Die herauspräparierten Beschreibungsisotopien markieren nicht nur das weibliche und das männliche Element der Figur schlechthin, sondern auch deren topisches Verhältnis zueinander, da ja die zweite, umfassendere Ebene die erste umschließt und das ›innen‹ befindliche semantische Material eingegrenzt hält. Sooft dies Material die Anwesenheit eines taktilen Objekts suggeriert, folgt das Dementi auf dem Fuße. Die Botschaft lautet etwa so: Das Wesen, das ungeschützt zu berühren wäre, ist in Wirklichkeit bis an die Zähne bewaffnet, oder, noch knapper: Er ist ja doch ein Mann.

   An einem Textbeispiel kann der Mechanismus des gegenläufigen Prozesses von gezielter Weiblichkeitssuggestion und kategorischem Widerspruch szenisch veranschaulicht werden. Ort der Handlung ist ein Bierlokal, in dem eine Bande halbbetrunkener Rowdies herumrandaliert. Was, wenn plötzlich die Tür aufgeht und eine Blickattraktion vom Format Winnetous steht im Raum?


Die Wirkung seiner Persönlichkeit war so groß, daß sich bei seinem Erscheinen eine wahre Kirchenstille einstellte. (II, 60)


   Das kann nur die Stille vor dem Sturm sein. Es kommt, was kommen mußte:


Also stand einer von ihnen auf . . . und schritt langsam und in herausfordernder Haltung auf den Indsman zu. (II, 63)


   Dem Objekt der Belästigung scheint kaum eine andere Wahl zu bleiben als die, das Spiel des Aggressors mitzuspielen, oder schmählich den Rückzug anzutreten. Doch wenn nun das ›Objekt‹ gar keines wäre?


Er (= der Rowdie) zog seinen Revolver. Da aber geschah etwas, was er nicht erwartet hatte: Der Apache schlug ihm die Waffe aus der Hand . . . und schleuderte ihn gegen das Fenster, welches natürlich in Stücke und Scherben ging und mit ihm hinaus auf die Straße flog. (II, 64f.)


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   Das endlich klärt die Lage: Keiner . . . machte Miene, sich an dem Sieger zu vergreifen. (II, 65f.) Der Sieger sticht die Angreifer sogar doppelt aus, da er in einer Weise zahlungskräftig ist, von der sie nur träumen können: »Er schien den ganzen Beutel voll solcher Nuggets zu haben.« (II, 66) Das Programm der Inszenierung könnte demnach auch so lauten:  G e r a d e  e r  ist ein Mann.

   Daß ihn sein Doppelantlitz in zweideutige Situationen bringt, hängt nicht nur damit zusammen, daß der indianische Androgyn als Gegenstand der Schaulust (vgl. III, 300) wahrgenommnen werden kann; er fungiert obendrein als symbolisches Objekt von Tauschhandlungen. Einen Zugang zu dieser Textebene vermag die gleiche Kneipenszene zu verschaffen. Die Tür geht also wieder auf, und wie steht er da, mitten unter dem Lumpenpack?


Er trug ein weißgegerbtes und mit roter, indianischer Stickerei verziertes Jagdhemde. . . . Kein Fleck, keine noch so geringe Unsauberkeit war an Hemd und Hose zu bemerken. (II, 59)


   Weiß, unbefleckt und rein: die jungfräuliche Braut präsentiert sich. Nicht unlogisch also, wenn Kirchenstille (ebd.) eintritt. Das Bild erscheint auch nicht zum letzten Mal: So wie er jetzt vor uns stand, so hatte ich ihn stets gesehen, nett und sauber in seiner ganzen Erscheinung . . . . da an ihm nicht die leiseste Spur eines Fleckes zu entdecken war. (III, 391) Der assoziative Bezug auf die Virginität legt den Schluß nahe, daß das Frauenantlitz des Androgyn in sich noch einmal gespalten ist. Es enthält das Bild der weißen Braut ebenso wie das der blutsverwandten roten Mutter. Von der Bildperspektive der Romane her betrachtet: Über den dark and bloody grounds (III, 358) der Savanne erhebt sich eine weißgewandete, langhaarige und samtäugige - von Madonnen-Augen ist später die Rede42 ­ Madonnengestalt, um mit rätselvollem Lächeln von einem Lagerfeuer zum andern zu wandern und unter den Klängen des Ave Maria das Leben zu verhauchen (vgl. III, 473).

   Der zu keuscher Jungfräulichkeit emporstilisierte Androgyn ist in den Kreislauf von Vater/Mann zu Mann/Vater fest eingebunden. Dem ›Ich‹ wird er aus der Hand nicht nur eines, sondern gleich zweier Väter zugeführt. Der erste ist der geistige weiße (Klekih-petra), der zweite der leibliche rote Vater (Intschu tschuna). Diese Farbverbindung taucht immer wieder auf, von den roten Zierstichen am weißen Anzug des Roten bis hin zu dessen blutsbrüderschaftlichem Lebensbund mit dem Weißen. Wer hier das geistige Prinzip gegenüber dem Rohmaterial vertritt, ist keine Frage. Der Weiße geht beim Roten in die ›indianische Schule‹ (I, 432), um sich im Umgang mit der Natur zu vervoll-


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kommnen; vom Roten hingegen wird erwartet, daß er denkend die Farbe wechselt:


»Der große Geist hat dir Gaben verliehen, welche auch unter den Weißen nur selten einer besitzt, und darum möchte ich haben, daß du anders denkst als ein gewöhnlicher roter Mann.« (I, 549)


   Das ›Ich‹ knüpft hiermit an die Pädagogik des geistigen Vorgängers an, der ihm den Roten mit Nachdruck ans Herz gelegt hatte: »Bleiben Sie bei ihm - ihm treu ­ - - mein Werk fortführen ­ - - !« (I, 135) Die Bitte wird eingelöst, denn in einer weihevollen Nacht ging all der im stillen gesäete Samen plötzlich auf und brachte herrliche Frucht. (I, 425) Dies ist genau der Zeitpunkt, da der Erzähler das ihm anvertraute Werk einem anderen geistigen Vater übergibt: dem »großen, gütigen Manitou der Weißen« (III,428), in dessen »Haus« (III, 464) der Andere auf seine Weisung hin einkehren soll. Die Kette der Spaltungen und Verdopplungen schließt sich im Rahmen der Androgynitätsinszenierung zu einem zweifachen Ring zusammen. Ist einerseits die Frau in Winnetou eingeschlossen, so ist andererseits Winnetou-als-Frau ›unter Männer‹ verbannt.

   Nachdem die Analysen das androgyne Bild so weit erstellt haben, wird der genauere Funktions- und Bedeutungszusammenhang zu umreißen sein. Offensichtlich wollen die Texte auf die Imagination von Weiblichkeit, sei es einer beherrschten Weiblichkeit, nicht verzichten. Doch warum wird die einzige konkretere Frauenfigur, nämlich Winnetous Schwester Nscho-tschi, so bald wieder eliminiert? Sollte der Autor tatsächlich keine weitere Verwendung für das »Objekt der Versuchung« gehabt haben?43 Das Problem lädt zu einem neuerlichen Lektüredurchgang ein, wobei der Begriff des Narzißmus eine führende Rolle spielen soll.



III. NARZISSMUS


D a s  » l e o n a r d e s k e  L ä c h e l n «


Das mittlerweile nicht mehr unkritisiert hingenommene »klassische« Bild des homosexuellen Mannes, das diesen »im günstigsten Fall zu einem femininen Mann . . . erklärt«44, ist u. a. auf die Verknüpfung von Homosexualität und Narzißmus in Freuds Studie ›Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci‹ (1910) zurückzuführen. Da dieser Text zugleich auch Androgynie thematisiert, werde ich ihn für eine Vergleichslektüre in Anspruch nehmen.


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   Der »passive Charakter« einer Kindheitserinnerung Leonardos veranlaßte Freud zu der Annahme, daß dieser als Knabe durch eine überzärtliche Mutter verführt worden sei. Die Erinnerung daran habe sich später im Bereich der künstlerischen Produktion in eine besondere Form der Triebsublimierung verwandeln können. Infolgedessen gelange im Lächeln seiner Figuren des Künstlers »Verherrlichung der Mütterlichkeit« zum Ausdruck, wobei in den erotischen Zauber dieses Ausdrucks die schönen »mannweiblichen« Gestalten seiner Bilder einzubeziehen seien.45

   Damit ist das Stichwort gefallen. Androgynität wird bei Freud vor allem im Zusammenhang mit Vollkommenheitsvorstellungen angeführt, die die Erkenntnis, daß das Geschlecht der Mutter nicht »vollwertig« sei46, bewältigen sollen. Dem Ideal entsprechen etwa die androgynen ägyptischen Muttergottheiten, die »die Idee ausdrücken, erst die Vereinigung von Männlichem und Weiblichem könne eine würdige Darstellung der göttlichen Vollkommenheit ergeben.«47 Einen Reflex findet es in der Person des Künstlers selbst: »Er war . . . groß und ebenmäßig gewachsen, von vollendeter Schönheit des Gesichts und von ungewöhnlicher Körperkraft . . . «48 Unter Hinweis auf die Bisexualitätshypothese wird das gemischte Wesen noch einmal evoziert.49 Der Kreis schließt sich bei jenen »mannweiblichen« Gestalten, in deren Lächeln Leonardo einen Abglanz der Mutter eingefangen haben soll. Es sind »schöne Jünglinge von weiblicher Zartheit mit weibischen Formen«, deren berückendes Lächeln erahnen lasse, daß Leonardo »die Wunscherfüllung des von der Mutter betörten Knaben in solch seliger Vereinigung von männlichem und weiblichem Wesen darstellte.«50

   Wenn wir einmal die Vermutung gelten lassen wollen, daß die Spur einer solchen Vollkommenheitsphantasie auch der androgynen Gestalt bei Karl May eingeprägt ist, kann sie uns zu einer kühnen Bildspiegelung hinüberleiten. Das betrifft das Renaissanceporträt einer florentinischen Dame (anvisiert durch die psychoanalytische Optik) auf der einen, und die indianische Idolfigur eines Massenschriftstellers in der Epoche der deutschen Hochindustrialisierung auf der anderen Seite. Das textlich vermittelte Faszinosum einer fremdartig schönen Präsenz verbindet sie. Folgt man Freuds Beschreibung des »stehenden« Lächelns auf den »langgezogenen, geschwungenen Lippen« im »fremdartig schönen Antlitz« der Gioconda51, so läßt sich dahinter jenes andere kaum bemerkbare Lächeln entdecken, das die in diesem Fall voll und doch fein geschwungenen Lippen umspielt; ineins damit jenes andere, gleichfalls sanft gerundete Gesicht mit den leicht angehobenen Wangenknochen und den dunklen Augen, umrahmt von der üppig, doch


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nicht ungeordnet herabwallenden Haarflut; darunter ähnlich zierliche Glieder in würdevoll beherrschter Haltung, eingehüllt in weichfallende Stoffe mit feinverarbeiteten Nähten, Ausdruck eines Reichtums, der keines zusätzlichen Schmuckes bedarf. Das Ganze ein Spiegel altersloser Glätte, dekorativ plaziert vor der traumhaften Kulisse einer halb heimatlich-vertrauten, halb exotisch-verfremdeten Landschaft mit Wäldern, Hügeln, Flüssen . . . Reizt es nicht hier wie dort zu Annäherung und Berührung, um sich im selben Moment mysteriös zu entziehen?

   Aus dem experimentellen Übereinanderschieben der beiden Porträts ist der Schluß zu gewinnen, daß von einem bestimmten Blickpunkt her die Winnetou-Figur, »Verkörperung der Sehnsucht Karl Mays und der Sehnsüchte seiner Leser, wie sie in tausenden Briefen zum Ausdruck kam«52, als Vexierbild für die Mutter gelesen werden kann. Zum Verständnis der ambivalenten Tendenzen des verdeckten Mutter-Bildes lassen sich autobiographische Erklärungszusammenhänge heranziehen: »Die früher vollzogene Anlehnungs-Identifizierung mit der Mutter . . . , die durch die Liebesversagung in Haß umschlug und in der Kompromißbildung der Ambivalenz aufging, muß fortan als höchste Gefahr für das Ich verdrängt werden und bedingt sämtliche Reaktionsbildungen des narzißtischen Charakters«.53 Unverkennbar jedenfalls ist der indianischen Zwiegestalt, deren Mienenspiel von wohlwollender Güte zu eherner Starre changiert, die von Freud aus einer Angstprojektion des männlichen Narziß begründete Doppeldeutigkeit des »leonardesken Lächelns« zwischen verführerischer Liebe und unheilvoller Drohung ins Gesicht geschrieben (wenngleich das ›Ich‹ den zweiten, drohenden Zug aufs sorgfältigste nicht auf sich selbst bezieht). Das prägnanteste Beispiel ist vielleicht Mays Roman ›Weihnacht!‹ (1897) zu entnehmen: Ein heiteres Lächeln ging schnell wie ein Blitz über sein Gesicht, um sich in den Ausdruck drohenden Zornes zu verwandeln.54 Ein ähnliches Wechselspiel ist hier in den sammetartigen Augen lokalisiert, die zwar eine ganze Welt der Güte enthalten, aus denen er aber nichtsdestoweniger vernichtende Blitze schleuderte.55 Der von den mütterlichen Küssen betörte Narziß, so erklärt Freud die betreffende Ausdrucksambivalenz, muß seit der Entdeckung der »Wunde« der Mutter, die ihn seine Liebe zu ihr wie die zum gesamten weiblichen Geschlecht verdrängen heißt, fortwährend »für seine Männlichkeit zittern«.56 Für ein solches Angstsyndrom spricht in unserem Handlungskontext, daß der Tod der Schwester Winnetous »die ent-scheidende ›Liebesüberschreibung‹ auf den Bruder«57 herbeiführt: das ›Ich‹ hätte andernfalls viel zu oft für seine geschlecht-


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liche, und somit für seine personale Integrität überhaupt »zittern« müssen. Sogar der Weg Leonardos, Weiblichkeit in einer Frauenfigur mit maskulinen Zügen zu verbergen - falls sich die Gioconda so deuten läßt - muß ihm nicht geheuer vorgekommen sein. Das Vexierspiel weiblicher Androgynität wird an der Schwesterfigur zwar erprobt, aber wieder verworfen.


F i n g i e r t e  M ä n n l i c h k e i t


Zwischen dem Schicksal Nscho-tschis, der Schwester-des-Bruders, und dem Schicksal der Frau-im-Bruder ist eine strukturelle Verwandtschaft zu erkennen. Bei ihrem Eintritt in die Erzählhandlung ist Nscho-tschi bereits aus der eigenen Genealogie herausgelöst und dem patriarchalischen Gesetz unterworfen: Obgleich sie die Tochter des Häuptlings war, durfte sie sich nicht in die Angelegenheiten der Männer mischen . . .  (I, 392)58 Zur Sicherung ihres Überlebens muß sie Farbe und Lager wechseln: »Sie möchte gern die großen Wohaplätze der Bleichgesichter sehen und so lange dortbleiben, bis sie ganz so geworden ist wie eine weiße Squaw.« (I, 457)

   In letzter Konsequenz besteht der Preis für das Überleben im Verzicht auf Leben. Der Ritt der roten Frau zu den Städten der Weißen gestaltet sich zu einer Reise in den Tod. Während eine Mörderhand sie aus der Handlungsbahn wirft, zieht eine andere Hand sie an die Sonne heran, mit der sie endlich verschmelzen soll. Der Bruder ist zum Ort ihres ›Überlebens‹ bestimmt. Das ›Ich‹ hatte von vornherein klargestellt, daß es Winnetou nicht durch persönliche Vermittlung der Schwester zu begegnen wünsche: »Ich bin nicht gewöhnt, mir Freundschaft zu erbetteln oder durch Boten mit jemand zu verkehren, der selber zu mir kommen kann.« (I, 320; vgl. auch I, 314) Da es für den gewünschten affektiven »Verkehr« auf den weiblichen »Boten« aber nicht ganz verzichten kann, verlegt es ihn in das Wahlobjekt selbst. Auf dies Trajekt führt eine thematische Sequenz, die die Kunst der Spurensuche entfaltet. Dem ›Ich‹ ist von seinem indianischen Lehrmeister die Aufgabe gestellt worden, die Schwester zu finden, die er, der Bruder, vor ihm versteckt habe. Die Aufgabe scheint unlösbar zu sein. Der deutsche Surveyor (vgl. I, 33) vermag wortwörtlich nicht die Spur einer Frau zu entdecken:


Nur die Spur Winnetous war deutlich eingedrückt; aber die ging mich nichts an, denn ich sollte nicht ihn, sondern seine Schwester suchen. . . . Ich suchte noch einmal und noch einmal im Kreise, fand aber auch nicht den leisesten Anhalt. (I, 434)


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   Aus diesem Zirkel befreit ihn der rettende Einfall, daß Winnetou die Schwester zu ihrem Versteck ja getragen haben könnte. Erleichtert beugt er sich wieder über die vertrauten Abdrücke:


Ich untersuchte Winnetous Stapfen; sie waren tief eingedrückt, tiefer als vorher. (I, 434)


   Hiermit ist das Problem in eben der Weise gelöst, in der es sich stellte, als gedankliches nämlich. (Vgl. I, 441) Bei seinem Kreislauf auf der Fährte des Bruders hat der Erzähler das Kunststück zuwege gebracht, Bruder und Schwester im gleichen Buschwerk einzuschließen:


Ich sah die beiden. Sie saßen eng nebeneinander mitten in einem wilden Pflaumengebüsch, mit dem Rücken nach mir . . .  (I, 435f.)


   Indem es sie solcherweise vereint, gewinnt das ›Ich‹ den Bruder, ohne die Schwester aufgeben zu müssen. Die Kunst des Spurenlegens oder wie Androgynie entsteht. Die Frau löst sich ›spurlos‹ auf, da sie, vom Mann getragen, zu einem Teil seiner Physis wird. Der Mann hingegen ist durch die Überschreibung der weiblichen Spur auf ihn doppelt gewichtig, d. h. um ein zweites Geschlecht bereichert worden. Seine Spur, ohnehin deutlich eingedrückt, erscheint dem forschenden Blick jetzt noch tiefer als vorher. Mit der aufgenommenen Last (vgl. I, 440) hat er nicht nur die Gestalt, sondern auch das Herzensgeheimnis der Frau assimiliert. Die Indianerin findet kurz vor ihrem baldigen Ende noch Gelegenheit zu dem Geständnis: »Nscho-tschi liebt dieses Bleichgesicht sehr . . . « (I, 437)

   Anhand des äußeren Bildes Nscho-tschis ist ihre Synchronisation mit dem Bruder auf einer weiteren Umlaufbahn zu verfolgen. Der Erzähler erblickt in ihrem Gesicht Winnetous Physiognomie, freilich um jenen weiblichen Schmelz verstärkt, der beim Bruder in größere Tiefe zurückgedrängt ist:


Dieses Haar erinnerte auch an dasjenige von Winnetou. Auch ihre Gesichtszüge waren den seinigen ähnlich. Sie hatte dieselbe Sammetschwärze der Augen . . . Die weich und warm gezeichneten vollen Wangen vereinigten sich unten in einem Kinn, dessen Grübchen bei einer Europäerin auf Schelmerei hätte schließen lassen. (I, 308f.)


   So reizend sie ist, ist die Schwester doch nicht männlich-schön wie ihr brüderliches Ebenbild. Das soll sich, in gewissen Grenzen, ändern. Der durch ein leichtes Erröten (I, 310), den still fragenden Blick (I, 321) oder den weichen und feuchten Schimmer des Auges (I, 322) angedeutete mütterlich-weibliche Zug Nscho-tschis wird zurückgenommen. Es beginnt mit einem Durchbruchsmoment von indianischer, sprich amazonischer Leidenschaft:


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Ich hatte die schöne, junge Indianerin als ein sanftes, stilles Wesen kennen gelernt; jetzt stand sie vor mir mit blitzenden Augen und glühenden Wangen, das lebende Bild einer Rachegöttin, die kein Erbarmen kennt. Fast wollte sie mir da noch schöner als vorher vorkommen. (I, 389)


   Schöner ­ oder auch gefährlicher? Höchste Zeit für das ›Ich‹, das lebende Bild zu ewiger Zweideutigkeit gefrieren zu lassen. An ihrem Todestag ist der androgyne Kamerad Nscho-tschi geboren. Ihr Aufbruch in die Lebenswelt der Männer ­ wir sahen es in anderer Weise bei Böhlau - zwingt die Angleichung offenbar herbei.


Ich stand zwischen Winnetou und seiner Schwester. Die große Aehnlichkeit, welche zwischen den Geschwistern herrschte, trat heut ganz besonders hervor, weil Nscho-tschi nicht ein Frauengewand trug, sondern Männerkleider angelegt hatte. Ihr Anzug glich genau demjenigen ihres Bruders, welches schon beschrieben worden ist. Auch sie hatte keine Kopfbedeckung und ihr Haar in einen solchen Schopf geordnet, wie er das seinige. An ihrem Gürtel hingen mehrere Beutel mit verschiedenem Inhalte; in demselben steckten ein Messer und eine Pistole, und über ihrem Rücken hing ein Gewehr. (I, 464)


   Das zwischen Bruder und Schwester stehende ›Ich‹ vermag die Geschlechter nicht mehr auseinanderzuhalten. Und so entsteht, sich mit alter philosophischer und theologischer Sichtweise überschneidend, aus der Zwei (bzw. der Trinität) jene Eins, welche die Zwei nur noch in einer bestimmten Hierarchie von Urbild und Abbild in sich enthält. Die Reduktion geht nicht ohne Gewalt vonstatten:


 . . . ein frohes, aber schnell ersterbendes Lächeln spielte um ihre erblichenen Lippen.

»Old - Shatter ­ ­ hand!« hauchte sie. »Du ­ bist - da. Nun - - sterbe ich - so ­ - - «

Mehr hörten wir nicht, denn der Tod ließ sie nicht aussprechen, sondern schloß ihr für immer den Mund. (I, 496)


   Das Spiel der Lippen und den Laut des Namens wird das ›Ich‹ künftighin nur noch von einem Geschlecht entgegennehmen. Die schöne Rachegöttin ist dem Bild eines Rachegottes (vgl. I, 498f.) eingesenkt, der, obgleich ein König der Seinen (ebd.), als Vertreter einer todgeweihten Population schon anders entmachtet ist. (Die Ambivalenz, die der Gestalt verbleibt, wird der Autor später durch das Bild der himmelwärtssteigenden Seele in sakralen Bezügen aufzuheben suchen: »Nun ist er erlöst! Nun ist er frei!«59) Was aber hat das ›Ich‹ dazu bewogen, der androgynen Schwester den androgynen Bruder endgültig vorzuziehen?


Nscho-tschi saß rittlings, also nach Männerart, auf ihrem Pferde. . . . Wer uns begegnet wäre, ohne sie zu kennen, hätte sie für einen jüngeren Bruder Winnetous halten müssen; einem schärferen Auge aber konnte die frauenhafte Weichheit ihrer Gesichtszüge und Körperformen nicht entgehen. (I, 474)


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   Dies schärfere Auge kann uns die entscheidende Differenz zwischen der Inszenierung von Androgynie an einem männlichen oder einem weiblichen Objekt erklären. Wie lautet die Botschaft, die es übermittelt? »Sie ist ja doch eine Frau.« Die Parallele zum Programm der männlichen Androgynie spaltet sich an der Geschlechtsbezeichnung, um sich nach verschiedenen Seiten hin umzuwenden. Winnetou kann, obgleich immer Mann, beides sein: Mann und Frau, da er die Frau zu inkorporieren vermag. Nscho-tschi ist immer nur Frau, da sie den Mann lediglich spielt. Sie sitzt nach Männerart im Sattel, trägt einen Männeranzug, ist mit einem Gewehr behängt, sieht aus wie der Bruder ihres Bruders - und ist bei alledem doch nichts anderes als eine verkleidete Frau, vielleicht ein »Flintenweib«60 gar. Wer sie noch nicht kennt, wird es erkennen. Der weibliche Androgyn kann Männlichkeit fingieren, aber nicht integrieren. Als der zuverlässigere Träger des Bildes mannweiblicher Vollkommenheit hat sich das Geschlecht des Bruders qualifiziert.


D i e  » n a r z i ß t i s c h e  F i x i e r u n g «


Anhand des von Kristeva beschriebenen historischen Bruchs auf der Ebene der Textorganisation soll das im vorhergehenden entwickelte Vexierbild von anderer Seite her ins Auge gefaßt werden. Die Autorin zieht eine Grenze zwischen der modernen poetischen Sprache seit dem 19. Jahrhundert und der klassischen Form der Mimesis, die zwar die Setzung des Objekts, nicht aber die des aussagenden Subjekts angreife, wodurch der Prozeß der Sinngebung auf einer vorgegebenen Struktur zum Stillstand gelange.‹61 Diese Unterscheidung ermöglicht es, die Mayschen Konzeptionen tendenziell auf das vom klassischen Text implizierte »Subjekt der Sinngebung« zu beziehen. Es ist ein Subjekt, das laut Kristeva nach den Normen der idealistischen Dialektik funktioniert: »Das Selbst wird gespalten und verdoppelt, um sich dann in der Einheit des Selbstbewußtseins wiederzufinden«.62 Die hiermit liierte Textpraxis sei in den Dienst eines »Narzißmus des Subjekts« gestellt, da sie heterogene Impulse fortwährend in die Einheit eines »Selbst« einzubinden suche.63

   Wenn diese »narzißtische Fixierung« auf eine Einheit des Subjekts zielt, die ohne »Fetischisierung« und »Phallisierung der Mutter« nicht denkbar ist63, dann werden solche Fixierungen bei May eher verstärkt als abgebaut. Die Mutter, auf die das androgyne Vexierbild hindeutet, ist im Sinne einer unabhängig vom erzählenden ›Ich‹ existierenden, also heterogenen Größe nicht zugelassen. Dabei liegt das Spannungsfeld


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des Entwurfs gerade in dem Kontrast zwischen den Spaltungen und Verdopplungen hier, und der Beseitigungsarbeit dort. Die Abriegelung der triebhaften ›chora‹ erfolgt gleichsam unter Aufbietung aller Kräfte, paradoxerweise, so ist anzunehmen, just weil sich Mays Schreiben unter dem Anprall narzißtischer Ängste bzw. unter starker »Suspension der Bewußtseinskontrolle«64 vollzog. Die Aufrechterhaltung des aussagenden Subjekts und seines Selbstbewußtseins erforderte ein solches Höchstmaß an Energie, daß es zu einem ›Angriff‹ darauf wohl nicht mehr reichte. Mays doppelgleisig-allegorische Sprachstruktur, die den Kampf zwischen den heterogenen Dispositionen formalisiert und ökonomisiert, kann hierfür ebenso als Beispiel gelten wie die fortwuchernden zirkulären Prozesse, die Spaltungen nur insoweit provozieren, als sich aus zweien wiederum eins machen läßt. Ähnlich wie bei dogmatisch eingestellten Diskursen führt ihre Suche nach Wahrheit sie auf einer kreisförmigen Bahn an ihren Ausgangspunkt zurück.65 Die Frage drängt sich auf: Welchen Ausgangspunkt und welche Wahrheit sucht das Subjekt des Mayschen Textes im besonderen zu »fixieren«?


D e r  s c h ö n e  Z w i l l i n g


Im nächsten Augenblicke lag ich ihm so auf dem Rücken, wie er vorher auf dem meinigen gelegen hatte. ( . . . )

Nun gab es ein wahrhaft satanisches Ringen zwischen uns. Man denke, Winnetou, der nie besiegt worden war und später auch nie wieder besiegt worden ist . . .  - - zwei, drei rasch aufeinander folgende Faustschläge, und Winnetou war betäubt; ich hatte ihn, den Unbesieglichen, besiegt. (I, 294f.)


»Der aber hat, ist besser als der gehabt wird, und hat er den tapfersten von allen übrigen unter sich, so ist er ja notwendig der tapferste von allen«.66 Mit diesem Spruch aus dem ›Gastmahl‹, der den Kampf von Eros und Ares kommentiert, wäre wohl auch die obige Szene zu kommentieren. Wird sie in Anlehnung an die Narzißmus-Analyse Heinz Kohuts gezielter als eine (homosexuelle) Phantasie über die Unterwerfung eines starken und schönen Mannes begriffen, so ist ihr die folgende psychische Funktion zugrunde zu legen: Der Urheber entreißt dem äußeren Ideal seine Vollkommenheit, um sie in seiner Phantasie selbst zu erwerben und ein vorübergehendes narzißtisches Gleichgewicht zu erreichen.67 Von dieser Funktion her läßt sich ein allgemeinerer Vergleichsbezug zu dem Vollkommenheitsideal unserer Texte eröffnen.

   Kohut rekonstruiert zwei Reaktionen auf Störungen im Stadium des primären Narzißmus, hier: des kohärenten Selbst. Die eine besteht im Aufbau eines grandiosen Selbstbildes (Größen-Selbst), die andere ist eine idealisierte Elternimago, wobei die ursprünglich erfahrene narziß-


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tische Vollkommenheit einem allmächtigen Selbst-Objekt zugewendet wird. Mit Hilfe solcher Objekte sucht sich die narzißtisch gestörte Persönlichkeit jene Liebe und Bewunderung zuzuführen, die sie zur Aufrechterhaltung ihres Gleichgewichts braucht.68 Der praktische Wert des darauf abgestimmten und in drei Phasen untergliederten therapeutischen Programms der »Spiegelübertragung« liegt für uns darin, daß es als interpretatives Moment in die Beschreibung der Funktion der Androgynitätsphantasie eingehen kann.

   Denn welche Funktion wäre dem androgynen »Objekt« bei May zuzubilligen, wenn nicht die, die bedrohte Kohärenz des »Subjekts« zu fixieren? Unter diesem Gesichtspunkt kann die Interpretationsperspektive folgenderweise ausgebaut werden: Das Maysche ›Ich‹ sucht mit Hilfe des androgynen Vexierbildes der Erfahrung ›Herr‹ zu werden, lediglich ohnmächtiger Teil eines Ganzen, statt das machtvolle Ganze selbst zu sein. Die Wahrheit, zu der es zurückkehren will, lautet dementsprechend: Ich bin ja doch ein Ganzes.

   Die erste Phase des analytisch rekonstruierten Weges führt am tiefsten in die Regression hinein. Da durch Ausweitung des Größen-Selbst eine archaische Einheit wiederhergestellt werden soll, weist das Objekt der Verschmelzung kaum eigene Konturen auf.69 Solcher Undifferenziertheit korrespondiert im Prinzip jene Schicht des Winnetou-Bildes, wo aus dem semiotischen Material das Grundgerüst der Figur entspringt. Das über diesen primären Komplex vermittelte Verlangen des Subjekts nach Teilhabe produziert eine symbiotische Form der Beziehung, bei der das begehrte Objekt, da es außerhalb der begehrenden Instanz nicht existiert, eben darin aufgeht. Der Gedanke an Trennung erscheint unerträglich: Ich blickte meinem Winnetou nach, bis er im Nebel verschwand. Es war mir, als sei  e i n  T e i l  m e i n e s  e i g e n e n  I c h  von mir gegangen . . . (I, 618; Hervorh. von mir) Folglich wäre der Mechanismus der narzißtischen Konfiguration: »›Ich bin vollkommen‹. ›Du bist vollkommen, aber ich bin ein Teil von dir‹«70, wohl auch so zu fassen: »Aber du bist ein Teil von mir.«

   Bei der dritten und »reifsten« Stufe der mittels der Spiegelübertragung reproduzierten Beziehungsform ist die Ablösung von Subjekt und Objekt so weit gediehen, daß der Glanz im Auge der Mutter das Selbstwertgefühl des Kindes zu stärken vermag.71 Eine entsprechende Funktion übernimmt bei May das immer wieder erglänzende (vgl. I, 365) Auge der Freundesgestalt, das die ihm exhibitionistisch dargebotene Größe liebevoll-anerkennend bestätigt. Das Muster liegt von der ersten Begegnung an fest, da nämlich:


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in seinem ernsten, dunklen Auge, welches einen sammetartigen Glanz besaß, für einen kurzen Augenblick ein freundliches Licht aufglänzte, wie ein Gruß, den die Sonne durch eine Wolkenöffnung auf die Erde sendet. (I, 110)


   Winnetous Aussage: »Ich sah seine Kühnheit und seine Körperkraft und bewunderte ihn«, (I, 303) liefert die verbale Paraphrase dazu, während das ›Ich‹ die Kontinuität solcher Augen-Blicke betont: Wie oft hat es (gemeint ist Winnetous ›dunkles Sammetauge‹) auf mir mit einer Liebe und Zärtlichkeit geruht, deren Licht man sonst nur in Frauenaugen zu finden pflegt! (I, 544; vgl. auch III, 389) »Wie die Mutter in jener Entwicklungsphase, so ist nun der Analytiker ein Objekt, das nur insoweit von Bedeutung ist, als es an der narzißtischen Lust des Kindes teilnehmen und sie so bestätigen soll.«72 Besser ließe sich, auf dieser Ebene der Interpretation, die »Bedeutung« der Winnetou-Figur kaum umschreiben. Der Autor dürfte sich mit ihr eine Quelle unversieglicher Zuwendung, möglicherweise eine Art »geistige Übermutter«, geschaffen haben, auf die er umso dringlicher angewiesen war, als sich die Liebesbedürftigkeit des narzißtischen Neurotikers ins gleiche Extrem steigert, wie sich seine Liebesfähigkeit reduziert.73

   Das mittlere Glied des Übertragungskonzepts kann die geläufigste Präsentations- und Funktionsgestalt des narzißtisch besetzten Androgyn erhellen. In der Regel tritt der indianische Reise- und Kampfgefährte als Alter-Ego oder Zwilling des ›Ich‹ in Erscheinung, dessen Streben nach mannweiblicher Symbiose er sozusagen formgetreu reflektiert. Die pathognomische Seite dieser Regression ist denn auch dadurch gekennzeichnet, daß dem Anderen eine Konstitution zugeschrieben wird, die der eigenen gleich oder ähnlich ist.74 Über das Dioskuren-Motiv wird das Verlangen nach bleibender Verbundenheit mit dem imaginierten ›Verwandten‹ artikuliert: Wäre es möglich gewesen, wie gern, o wie so gerne hätte ich die fernere Zeit meines Lebens mit ihm geteilt und nur die Hälfte derselben gelebt! (III, 475) Da der geträumte oder phantasierte Zwilling vor allem als Träger der eigenen verdrängten narzißtischen Vollkommenheit figuriert, erstaunt es nicht, ein solches Maß an Schönheit, Kraft und Begabung in der Winnetou-Gestalt anzutreffen. Wenn dann noch gar das ›Ich‹ einen solchen Edelmenschen besiegt ­ was mag es dann selbst wohl sein?


R e s e r v a t e


So naheliegend die Antwort auf die letzte Frage zu sein scheint, kann sie doch nicht verhindern, daß sich die Frage unablässig wiederholt. Die dem ›Ich‹ entgleitende Wahrheit, ein Ganzes, vollkommen und


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unsterblich zu sein, läßt den Kreislauf seiner Suche nicht zur Ruhe kommen. Daß der Narziß durch die Intensität seiner Suche nach dem Geliebtwerden »liebt«75, ruft die autobiographische Dimension des Phänomens ins Gedächtnis. Der Bezug auf das Lacansche Modell des Begehrens kann dazu dienen, seine ideologischen Implikationen klarer herauszustellen. Lacan zufolge eröffnet der Verlust des ursprünglichen ›objects a‹ jene zirkuläre, nicht-reziproke Dialektik des Begehrens, die das Subjekt aus dem symbolisch bestimmten Ort des Anderen hervorgehen läßt.76 In dem hierdurch konstituierten Beziehungsfeld richte sich das Begehren des Subjekts nicht so sehr auf das narzißtisch antizipierte Bild seiner selbst, sondern vielmehr auf eben den Teil, der dem begehrten Bild fehlt. Dabei fungiere der Phallus als zentraler Signifikant des Mangels, d. h. als Zeichen für die Unmöglichkeit, die Position selbstgenügsamer Vollkommenheit aufrechtzuerhalten. Die Position des phantasierten Objekts des Begehrens hingegen werde im wesentlichen durch die Frau besetzt, in deren Bild der Mangel projiziert werden könne.77 Im gleichen Zug jedoch, so hat besonders die feministische Kritik unterstrichen, in dem das ›object a‹, Ursache des Begehrens und Stütze der männlichen Phantasie, ins Bild der Frau als Anderer übertragen werde, werde die Frau zum Ort des Anderen selbst (Gottes/Wahrheit) erhoben. Die Frau/der Andere fungiere so als phantasierter Ort der Sicherheit, der die Einheit aufseiten des Mannes garantieren soll.78

   Wenn analog dazu die Androgynitätsphantasie Mays den Anderen zum Ort der Sicherheit eines zutiefst bedrohten ›Ich‹ erhebt, sind aufgrund einer komplizierten Verdopplung zwei Andere im Spiel. Der Indianer als Repräsentant des Anderen des weißen Mannes birgt in sich noch einmal die Frau als Repräsentantin des Anderen des Mannes. Ist der Indianer in die Reservate des weißen Mannes eingeschlossen, so die Frau ins Reservat des Mannes überhaupt. Die Bestimmung Irigarays, daß der Eine und der Andere aufeinander nicht reduzierbar seien79, trifft damit zweifach nicht zu; auf das männliche weiße ›Ich‹ reduzierbar sind, in hierarchisch gestufter Form, beide. Die zirkuläre Dialektik des Textes überblendet beider Gestalt, indem sie dem Roten ein zweites Geschlecht verleiht. Dank solcher Verschachtelung kann das entschwundene unsterbliche Leben bei zwei Wesen eingeklagt werden, in deren Bild die okzidentale Kultur den Mangel seit jeher gern eingeschrieben hat, beim wie auch immer veredelten »barbarischen« Fremden nämlich, und in noch tieferer Schicht beim »Weib«. Am nachhaltigsten fordert das ›Ich‹ die Rückerstattung des Verlorenen von einem Wesen, das im Konzept phallischer und ethnischer Überlegenheit zu


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doppelter Ohnmacht verurteilt ist und ihm die eigene phantasierte Macht dadurch doppelt absichern soll. Dies Wesen ist die indianische Frau (Nscho-tschi).

   Kommen wir zum Schluß. An der Figur des indianischen Androgyn bei Karl May leuchten Momente des Heterogenen auf, doch nur, um im Rahmen der »narzißtischen Fixierung« des ›Ich‹ umso gründlicher unterzugehen. Was von der Anlage her ein Text mit mindestens zwei Stimmen hätte sein können, ist zum Prototyp eines Monologs verkehrt. Das »Weibliche« existiert darin in einer Weise, die den »Normalfall« geradezu mustergültig reflektiert: hartnäckig präsent und mit den Attributen der Schönheit und Liebe versehen, aber abgetrennt von jeglicher eigener Wurzel und deshalb nichtlebend, untot. Sollte sich dies Muster einem Narzißmus verdanken, der als pathologisch zu klassifizieren wäre, so wirft das ein bezeichnendes Licht auf die allgemeinere narzißtische Tradition. Daß deren Prämissen Ende des vorigen Jahrhunderts nicht durchweg fraglos mehr akzeptiert wurden, ohne daß neue Lösungen schon gefunden wären, haben wir festgestellt. Ein letztes Zitat, nämlich die Frage der Isolde aus Helene Böhlaus Roman ›Halbtier‹ (1899), mag das Problem auf den Begriff bringen: »Konnte sie denn nicht einfach sagen: ›Da bin ich - da!‹«80



1 Siehe Arno Schmidt, Sitara und der Weg dorthin. Eine Studie über Wesen, Werk & Wirkung Karl Mays, Frankfurt a. M. 1969 (Karlsruhe 1963), 25 - 34, insb. 29f. Was die Gegenstimmen zum Ansatz Schmidts betrifft, so sei auf die Arbeit von Heinz Stolte und Gerhard Klußmeier verwiesen: Arno Schmidt & Karl May. Eine notwendige Klarstellung, Hamburg 1973

2 So Helmut Schmiedt (Hg.) in der Einleitung zu: Karl May, Frankfurt a. M. 1983 (= st materialien), 13

3 Hans Wollschläger, »Die sogenannte Spaltung des menschlichen Innern, ein Bild der Menschheitsspaltung überhaupt«. Materialien zu einer Charakteranalyse Karl Mays, in: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1972/73. Hamburg 1972, 11-92, insb.15, 39, 48, 50

Vgl. in diesem Zusammenhang auch: Claus Roxin, Karl May, das Strafrecht und die Literatur, in: Schmiedt, a.a.O. 130-159

4 Platon, Sämtliche Werke, 2 (Symposion). In der Übersetzung von Friedrich Schleiermacher. Reinbek bei Hamburg 1968 (= Rowohlts Klassiker Bd. 3), 221f.

5 Jaques Lacan, Les quatre concepts fondamentaux de la psychoanalyse (1963), in: Le Séminaire de Jaques Lacan. Livre XI. Texte établi par Jacques-Alain Miller, Paris 1973, 180f./187

6 Henriette Beese, »Lucinde« oder Die neue Liebesreligion, in: alternative 143/144 (1982): »Projektionsraum Romantik«, 89-100, insb. 100. Siehe fernerhin u. a. auch: Inge Stephan, »Daß ich eins und doppelt bin . . . « Geschlechtertausch als literarisches Thema, in: Die verborgene Frau. Sechs Beiträge zu einer feministischen Literaturwissenschaft, Berlin 1983, 153-175

7 Gisela Dischner, Ein Gegenbild zum ›eindimensionalen Menschen‹, in: Häsing, Stubenrauch, Ziehe (Hg.), Narziß. Ein neuer Sozialisationstyp? Bensheim 31980, 100-118, insb. 116


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8 Elisabeth Lenk, Die sich selbst verdoppelnde Frau, in: Ästhetik und Kommunikation 25/1976, 84-87, insb. 87

Margaretha Huber, Die Dialektik ist eine der Geschlechter - Ein philosophischer Kommentar zu ihren mythologischen Anfängen, in: B. Wartmann (Hg.): Weiblich-Männlich. Kulturgeschichtliche Spuren einer verdrängten Weiblichkeit, Berlin 1980, 89-110, insb. 90

9 Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau (1949), Reinbek b. Hamburg 1968, 194; siehe auch 154

10 Beauvoir, a.a.O. 675; siehe auch 679/605

11 Luce Irigaray, Speculum. Spiegel des anderen Geschlechts (1974), Frankfurt a. M. 1980, 433; siehe auch 381/408

12 Irigaray, a.a.O. 145

13 Hélène Cixous, Die unendliche Zirkulation des Begehrens, Berlin 1977, 19

14 Cixous, a.a.O. 56; siehe auch 44

15 Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse. Mit der Streitschrift Zur Genealogie der Moral und einem Nachwort von Ralph-Rainer Wuthenow. Frankfurt a. M. 1984 (= it), 146; siehe auch 150f.

16 Virginia Woolf, Orlando. A Biography (1928), London u. a. 1983, 158

17 Vgl. Gudrun Schwarz, »Mannweiber« in Männertheorien, in: K. Hausen (Hg.), Frauen suchen ihre Geschichte. Historische Studien zum 19. und 20. Jahrhundert, München 1983, 62-80

18 Karl May, Mein Leben und Streben, Autobiographie, Hildesheim-New York 1975 (= Nachdruck der Erstedition, Freiburg 1910), 145/144

19 So Helene Lange in: »Not«. Vortrag, gehalten auf der sechzehnten Generalversammlung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins zu Dresden am 29. September 1891, Berlin 1892, 5/10/24

20 Siehe Hans Wollschlager, Karl May. Grundriß eines gebrochenen Lebens (1965) Zürich 1976, 180

21 Siehe Hansotto Hatzig, Bertha von Suttner und Karl May, in: Jb-KMG 1971, 246-258, insb. 250f.

22 Bertha von Suttner, Die Waffen nieder! Eine Lebensgeschichte (1889), Berlin o.J. (= Volks-Ausgabe mit einem Nachwort von Adele Schreiber), 113

23 Vgl. etwa die folgende Stelle aus Suttners Roman (a.a.O. 86): »Ich hing mit Entzücken an Friedrichs Lippen ( . . . ), und im Geiste verlieh ich ihm selber den Titel, den er vorhin genannt hatte: ›Edelmensch‹!«

24 Helene Böhlau: Der Rangierbahnhof. Roman (1895), in: Gesammelte Werke. Berlin-Wien 1915, Bd. 3, 68

25 Böhlau, a.a.O. 178

26 Böhlau, a.a.O. 135

27 Woolf, a.a.O. 203

28 Die Winnetou-Romane werden zitiert nach dem Reprint der ersten Buchausgabe (Bd. 7, 8 und 9, hier abgekürzt als I, Il und III; Seitenzahl nach dem Komma) von 1893: Karl May, Freiburger Erstausgaben, hrsg. von R. Schmid, Bamberg 1982

29 Sigmund Freud, Der Dichter und das Phantasieren (1908/1907), zit. nach der Studienausgabe Bd. X: Bildende Kunst und Literatur, Frankfurt a.M. 1975, 171-179, insb. 176

30 Ernst Bloch, Triumphe der Verkanntheit, in: Spuren (1969), Frankfurt a.M. 1983, 48-54

31 Vgl. Ulf Abraham, Die Angst vor der Entdeckung und die Entdeckung der Angst: Ein Motiv bei Franz Kafka und Karl May, in: DVjs 2/1985, 313-340, siehe insb. 327

32 Schmidt, a.a.O. 31

33 Nach Hermann Wiegmann, Rüdiger von Bechelaren, Max Piccolomini und Winnetou. Beobachtungen zum Topos vom Untergang des Schuldlosen, in: Jb-KMG 1982, 185-195, ist der Topos im Falle Winnetous nicht aus resignativer Absicht, sondern »in seiner ästhetisch kritischen Funktion gegen verhängtes Schicksal formuliert«. (193) Die Frage ist allerdings: Was heißt »verhängtes« Schicksal?

34 Viktor Böhm: Karl May und das Geheimnis seines Erfolges. Zweite, neu bearbeitete


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Auflage, Wien 1979, 138ff. Vgl. in diesem Zusammenhang auch den Anhang zu Bd. 9 der betreffenden Reprint-Ausgabe

35 Elisabeth Hammerbeck, Karl Mays Winnetou-Bild, in: Sonderheft der Karl-May-Gesellschaft Nr. 11, Hamburg 1979, 9

36 Annette Deeken, »Seine Majestät das Ich«. Zum Abenteuertourismus Karl Mays, Bonn 1983, 174

37 Dies Muster einer doppelten Fremdheit des Fremden trifft auch die Figur des Tadzio in Thomas Manns Novelle ›Der Tod in Venedig‹ (1912). Es beginnt bereits bei der Sprache: »So erhob Fremdheit des Knaben Rede zur Musik . . . « (Thomas Mann: Die Erzählungen, 1. Bd., Frankfurt a. M. 1975, 372) Andersartigkeit vereinzelt den Knaben zusätzlich im eigenen Milieu, so daß er schließlich jener totalen Einsamkeit zugetrieben wird, die der Verschmelzungssehnsucht des zum »Abenteuernden« (383) gewordenen Künstlers gemäß ist: » . . . eine höchst abgesonderte und verbindungslose Erscheinung, mit flatterndem Haar dort draußen im Meer, im Winde, vorm Nebelhaft-Grenzenlosen«. (398)

38 Karl May, »Weihnacht!«, Bamberg 1984, Reprint der Erstausgabe Freiburg 1897 (= Freiburger Erstausgaben. Hg. v. Roland Schmid. Bd. 24) 278

39 Lacan, a.a.O. 180

40 Julia Kristeva, Die Revolution der poetischen Sprache (1974), Frankfurt a. M. 1978, 41, siehe im weiteren 32-113

41 Vgl. auch die folgende Passage aus »Weihnacht!«, die sich an die hochgradig »feminisierende« Ausmalung der Reize der Gestalt anschließt: Und doch wirkte seine Erscheinung so unbedingt kriegerisch, daß es wohl niemandem eingefallen wäre, an ihm eine derjenigen Eigenschaften zu bezweifeln, welche er als oberster Kriegshäuptling sämtlicher Apatschenstämme besaß. (a.a.O. 280)

42 »Weihnacht!«, a.a.O. 279

43 Diese Vermutung äußert Gunter G. Sehm, Der Erwählte. Die Erzählstrukturen in Karl Mays ›Winnetou‹-Trilogie, in: Jb-KMG 1976, 9-28, insb. 18, im Zusammenhang mit der These, daß der erste, relativ homogene ›Winnetou‹-Band als Heiligen-Legende angelegt sei.

44 Michael Pollack: Mannliche Homosexualität - oder das Glück im Getto? In: Ariès/Bèjin/Foucault u.a.: Die Masken des Begehrens und die Metamorphosen der Sinnlichkeit. Zur Geschichte der Sexualität im Abendland (1982), Frankfurt a. M. 1984, 55-79, insb. 69

45 Sigmund Freud: Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci (1910), zit. nach Freud, a.a.O. (siehe Anm. 29), 91-159,. insb. 124/136/141/155

46 Freud, Kindheitserinnerung, a.a.O. 121

47 Freud, a.a.O. 120, vgl. auch 123

48 Freud. a.a.O. 92

49 Freud, a.a.O. 157f.

50 Freud, a.a.O. 141

51 Freud, a.a.O. 132

52 Böhm, a.a.O. 140

53 Wollschläger, Spaltung, a.a.O. 17

54 »Weihnacht!«, a.a.O. 275

55 »Weihnacht!«, a.a.O. 278

56 Freud, Kindheitserinnerung, a.a.O. 121; vgl. auch 139

57 Schmidt, a.a.O. 33f.

58 In Karl Mays Winnetou IV, Bamberg 1984 (= Reprint der Freiburger Erstausgabe von 1910, Bd. 33), 521, ist dies Ausschließungsmuster auf Herzle, die Frau des ›Ich‹, verschoben, die sich erkundigt, ob es Frauen verboten sei, an einer bestimmten Veranstaltung teilzunehmen: »Eigentlich ja,« antwortete ich. »Aber niemand wird wagen, euch zurückzuweisen. Es handelt sich nicht um eine Häuptlingsversammlung, denn Young Surehand und Young Apanatschka sind auch geladen. Wo diese sein dürfen, dürft auch ihr erscheinen.«

59 Winnetou IV a.a.O. 500

60 In ihrer Arbeit: Frauen in Karl Mays Werk, in: Sonderheft der Karl-May-Gesell-


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schaft Nr. 29, Hamburg 1981, kritisieren Werner Tippel und Hartmut Wörner, daß Arno Schmidt bei May keine »richtigen Frauen«, sondern nur »weibliche Transvestiten, die Männerkleidung anlegen: echte ›Flintenweiber‹« gesehen habe (57). Mir scheint, daß Schmidt damit, zumindest was die Winnetou-Trilogie angeht, durchaus einiges zutreffend wahrgenommen hat. Die Frage wird natürlich sein, was »richtige Frauen« sind.

61 Kristeva, a.a.O. 67/96f.

62 Kristeva, a.a.O. 140

63 Kristeva, a.a.O. 188/226

64 Vgl. Wollschläger, Spaltung, a.a.O. 12f.

65 Vgl. Kristeva, a.a.O. 68

66 Platon, a.a.O. 227

67 Heinz Kohut, Narzißmus. Eine Theorie der psychoanalytischen Behandlung narzißtischer Persönlichkeitsstörungen (1971), Frankfurt a.M. 21972, 93f. Vgl. im weiteren Zusammenhang zu Kohut den Band: Die neuen Narzißmustheorien: zurück ins Paradies? Hrsg. vom Psychoanalytischen Seminar Zürich. Frankfurt a.M. 1983

68 Siehe Kohut, a.a.O. insb. 39/43/51

69 Kohut, a.a.O. 139/147

70 Kohut, a.a.O. 45

71 Kohut, a.a.O. 141

72 Kohut, ebd.

73 Vgl. Wollschläger, Spaltung, a.a.O. 44

74 Kohut, a.a.O. 140

75 Wollschläger, Spaltung, a.a.O. 44

76 Lacan, a.a.O. 180/188

77 Lacan, a.a.O. 185/188

78 Siehe Juliet Mitchell/Jacqueline Rose, Feminine Sexuality. Jacques Lacan and the »école freudienne«, London 1982, insb. 32/47/50. Vgl. in diesem Kontext auch: Jane Gallop, Feminism and Psychoanalysis. The Daughter's Seduction, London 1982, 15-32

79 Luce Irigaray, Éthique de la différence sexuelle. Paris 1984, 19

80 Helene Böhlau, Halbtier. Roman (1899), in: Gesammelte Werke, a.a.O., Bd. 5, 19




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