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JÜRGEN HAHN

»Da klebte ich zwischen Himmel und Erde«
Betrachtungen zu Karl Mays Alterswerk

»Und jene Lichter wären Pfennigkerzen
Zu leuchten trunknen Bettlern in der Nacht?«

F. Grillparzer. Ein Bruderzwist in Habsburg



Wie Kunst zur Geschichtsschreibung wird, indem sie, in Abwandlung eines Wortes von Adorno, >das Gedächtnis der akkumulierten Leiden verwaltet<, läßt sich am Spätwerk Karl Mays (entstanden zwischen 1899 und 1910) beispielhaft studieren: denn über das Autobiographische hinaus gibt es als Entwurf einer ikarischen, >zwischen Himmel und Erde klebenden<(1) Existenz für die Zeit seiner Entstehung einen Neurosenindikator ersten Ranges ab. So abseits nämlich der geistigen Strömungen der Jahrhundertwende es sich auch zu bewegen scheint, aus dem symbolisch verformten >Psychodrom<, dem Laufgitter der gequälten Seele eines Eigenbrötlers, blicken uns die Leiden der Epoche an. In einer ans Surrealistische grenzenden Verkleidung erweist sich diese Literatur als ein Palimpsest zeitgenössischer > Geschichtsschreibung< von eigentümlicher Dignität, deren Zugehörigkeit zu einer spezifisch >pontifikalen< Linie deutscher Dichtung nicht zu übersehen ist. >Am Jenseits< - der Titel wird zum Programm - befinden wir uns mit dem Buch, in dem 1899 der bemerkenswerte Wandel Mays vom poeta doctus des Abenteuerromanes zum poeta vates, dem Dichter als Seher, des Spätwerkes eingeleitet wird: jener Raumromane, vor deren - unter dem Medusenblick der Schrecken seiner Zeit zu lähmenden Alptraumlandschaften erstarrten - Szenerien der Autor uns zu Zeugen von Konfessionen macht, die als feierabendliches Sedativ für geläufige Werktagsprobleme kaum geeignet sind. - Findet doch die Polarität von irdischem Bauplatz und künstlichem Paradies, die die wilhelminische Ära kennzeichnet, in Karl Mays spätem Schaffen eine so radikale, eben >Brücken bauende< Ausprägung, daß wir wirklich von der >anderen Seite< dieses Abenteuerfabulierers und >Weltläufers< sprechen müssen, der er im übertragenen Sinne ja immer gewesen ist: auf Reisen zu »unbekannte(n) Inseln und Zauberklippen in unserem inneren Archipel«(2) in der Abwicklung der »Korrespondenz der äußeren Welt mit


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der archaischen Erwartung in uns«.(3) Und prompt verweigerte sich das Luftschiff, das die gefälligen Waren affirmativer Kultur mit sich führt, einem seiner prominentesten Passagiere in dem Augenblick, da er statt der gewohnten, exotisch verpackten Konterbande von >Aventiuren<, in denen sich virtuell die Revolution proben ließ, Erzählgut von mystischer Schwere, Unhandlichkeit und Sperrigkeit an Bord nehmen wollte, das dem Schiff der Träume bedenkliche Schlagseite zu bescheren drohte: was nämlich in der Auseinandersetzung mit einer Vielfalt von Gegnern, vom Boulevardjournalisten bis hin zum Ultramontanen, mit einer auf Honorigkeit bedachten bürgerlichen Öffentlichkeit zu einer leichtgewichtigen, ephemeren literarischen Episode hätte werden können, bringt je nach Blickwinkel ein veritables Schwergewicht surrealistischer, symbolistischer, expressionistischer, mystischer Dichtung auf die Waage der literarischen Kritik, so sie sich überhaupt zu wägen bemüßigt fühlt, was der deutschen Literatur zur Ehre gereicht: von der noch allzu histrionenhaft anmutenden Greif-zu,-oh-Mensch- und Empor-Gebärde der >Himmelsgedanken< (1900)(4) und den das Land der Ussul bevölkernden Böcklinschen Skurrilitäten (>Ardistan und Dschinnistan<, 1909) bis zu den aviatischen Eskapaden des vierten >Winnetou<-Bandes (1910), deren Fallhöhe sie als ebenso >gnostisch< inspiriert erscheinen wie das >Thalassa<-Wunder im Großen Traum des vierten >Silberlöwen<-Bandes (1903) die Bilderwelt der Ophiten(5) assoziieren läßt. Darin liegt Mays große literarische und biographische Leistung, aus einer tiefgreifenden persönlichen Krise noch einmal Kraft geschöpft zu haben, literarisch etwas durchaus Eigenständiges, Originelles zu schaffen. Was May als Verteidigung seiner selbst in Literatur umsetzt, gerät dabei zur ausgeklügelten Diagnose der Zeit. Allerdings: so unbefangen der Fabulierer bisher aufgetreten ist, so sehr panzert er sich nun in vieldeutige Metaphorik, was seinen beweglichen Erzählstil in einer Weise überbürdet, daß er darunter nahezu zerbricht. Das Spätwerk liest sich passagenweise ausgesprochen zähflüssig.

   Wie sollte es auch anders sein, ist es doch belastet mit den Ängsten seiner Zeit ebensosehr wie mit den maßlosen seines Schöpfers, und drückt sich doch in den Hypotheken seiner Entstehung und künstlerischen Unzulänglichkeiten dessen Schicksal aus, bewundert viel und viel gescholten, bemitleidet wohl auch, »die Faszination der Extreme erfahren zu haben und irgendwo stehenzubleiben zwischen dem Dilettantismus und dem Dynamit.«(6) Allenthalben im Spätwerk spiegelt sich die Angst, spiegelt ein ganzes Zeitalter, als ob der Autor stellvertretend für es träume, seine Ängste: abgebildet in den Schilderungen der Wüsten, Totenstädte, Unterweltskanäle, deren Überwölbung schon


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ein Pistolenschuß zum Einsturz bringen kann. - Aber auch die Sehnsüchte und Hoffnungen nehmen in den vielen angstgezeugten Utopien Gestalt an. Angst als >Verwesentlichung des Daseins< und Angst als >Erlebnisdimension der Entfremdung< - in dieser Doppelgesichtigkeit wird uns die existentielle Seite der Angst auch in Mays Werk deutlich.

   Es gehört zu den Paradoxien der Angst, daß sie menschliches Dasein in seiner Entfaltung begründen und vertiefen, aber auch einschränken oder zunichte machen kann. Im positiven Sinn ist sie ein Antrieb zur Wandlung, ein Impuls, in der Auseinandersetzung mit sich selbst und der Welt neue Positionen zu beziehen; im negativen Sinn eine Schranke, die uns hintanhält, einschränkt und lähmt. Beide Wirkungen der Angst können in Mays Spätwerk exemplarisch beobachtet werden: Aufbruch zu neuen Ufern, wie ihn die Orientreise signalisiert, und Erstarrung in überlebten Formen, aus Furcht, eine zahlreiche Lesergemeinde zu verlieren. Im ganzen hat aber doch die Komponente der Angst, die zur Wandlung befähigt, das Übergewicht auf dem gefährlichen Pfad zwischen Sklerose und >Offenheit<, den dieser Schriftsteller wandelt.

   Ein Werk der Wandlung wie der vierte Band der Tetralogie >Im Reiche des silbernen Löwen< läßt sich schon vom Programm her gar nicht anders als ein Buch der Träume, als Buch der Ängste lesen. Auf vielen Ebenen spielt hier das Geschehen, der biographischen, der des Schlüsselromanes, der des Symbols, auch der reinen abenteuerlichen Aktion, die nochmals das Handlungsgerüst zu liefern hat. Verschieden sind diese Ebenen jeweils zu deuten, zugrunde jedoch liegt ihnen allen eine Kybernetik der Ängste: private Angst wird zur Menschheitsangst; dem entspricht das private Liebesverlangen, das eine Überhöhung zum Menschheitsliebesverlangen erfährt.

   Viel wird von Psychologie geredet. Aber wir haben es - wie überhaupt im Spätwerk - nicht mit psychologischen Romanen des 19. Jahrhunderts im Stile eines Balzac zu tun. Und wie sich das dort Furchterregende in Mays Werk oft zur Spielsache verniedlicht, so zielt auch seine Psychologie von der Trübseligkeit des Todes, den Ängsten des Lebens, von der Erlösung im Jenseits auf eine zweite, kalkulierte Naivität. Wenn die großen realistischen Romane des 19. Jahrhunderts immer einen Schlüssel versteckt halten, mit dem sich ihre komplizierten Figuren enträtseln lassen, so gilt für die phantastischen Romane im Spätwerk Mays das Gegenteil. Wenn wir die Figuren nicht durchschauen, nicht Alles, was wir fühlen, denken, wollen und tun, auf sie beziehen,(7) entfällt unserer Hand der Schlüssel.

»... Glaubst du, mit diesem Bild die Gegner zu besiegen?« »Nicht mit


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Winnetous Bild, sondern durch Winnetou selbst. Das Bild soll nur der Schlüssel sein, der mir die Herzen und das Verständnis öffnet.«(8)

   Damit ist der hermeneutische Pfad gewiesen, auf dem wir uns diesen Altersromanen zu nähern haben. Nur die einfachste Psychologie, die Begeisterung an absoluten Werten, an Gut und Böse, das Einverständnis über Liebe und Tod und Treue gestatten es, die Phantastik ernst zu nehmen: unsere Seele und unsern Geist an uns selbst (zu) studieren, sie keinen Augenblick aus den Augen, d. h. keinen Traum ohne den Versuch, ihn festzuhalten, vorüberziehen(9) zu lassen. Was immer z. B. die übersinnliche Erscheinung jedem bedeutet, sie bedeutet jedem genug: eine ganz traumhafte Botschaft von einer irgendwo vorhandenen Ewigkeit des wiederkehrenden Lebens. Und dieses kehrt zurück in die Lokalitäten der Unterwelt. Mays Himmelsgedanken sind nicht oben, sie sind in der Tiefe angesiedelt, in Ruinen, Tropfsteinkatakomben, Unterweltsseen, auf denen Phantome ihre opernhaften Auftritte feiern, Totenstädten von einer Imaginationskraft, vergleichbar den halluzinatorischen Effekten eines Poe oder Lovecraft, die wie kaum andere auch Autoren der Angst sind.

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Wie entkommt man solchen Welten der Angst?

   Zum ersten, indem man buchstäblich davonfliegt. »Ja, fliegen ... Das war das Einzige; weiter gab es nichts.«(10) - Fliegen lernen! Fliegen lernen! Wer das nicht will, bleibt unten, sei er Volk oder sei er Person,(11) lautet daher der aviatische Imperativ, der den fast siebzigjährigen Old Shatterhand als gelehrigen Schüler Zarathustras ausweist; denn »man erfliegt das Fliegen nicht!«(12)

   In zwei Werken nur - aber an exponierter Stelle - verwendet May Flugphantasien. In einem seiner allerersten, der Novelle >Wanda< (1875), und in seinem letzten erzählerischen Werk, dem Roman >Winnetou IV<, erschienen 1910; dazwischen also liegt ein literarisches Schaffen, das sich von der Morgenröte bis zur Abenddämmerung des wilhelminischen Kaiserreiches spannt und ihm als Zeitalter höchster Gefährdung auf allen Gebieten bezeichnende Fußnoten unter dem Schlüsselwort >Rettung< liefert. In dem frühen Werke rettet der Kaminfeger Emil Winter, dessen Existenz schon der Beruf >zwischen Himmel und Erde< ansiedelt, während einer dramatischen Ballonfahrt seine Geliebte, im opus ultimum ist es der Junge Adler, beinahe ein indianischer Ganymed(13) des Heilsgeschehens, der in einer Flugmaschine dreimal um den >Berg der Geheimnisse< fliegt und den Häuptlingen


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ihre Medizinen zurückbringt, damit die Prophetie eines glücklichen, neuen Indianerzeitalters erfüllend. Diesem Handlungsentwurf eignet beachtliche mythische Kraft; denn in Gestalt der Medizinen ist nichts anderes intendiert, als daß hier sozusagen aus dem All die >Seele< zu den Menschen zurückkehrt. In beiden Werken vollzieht sich in gewissem Sinne Vergleichbares, ein Mythenspiel, in dem sich der Held das ihm Kostbarste, Geliebteste rettend >erfliegt< und sich die innere Handlung äußerlich im Naturgeschehen fortschreibt, »dem Absolutismus der Wirklichkeit der Absolutismus der Bilder und Wünsche entgegen(tritt).«(14)

   Während der letzten Worte zuckte ein flammender Wetterschein tief unter ihnen hin. Es war als stände das ganze unter ihnen fluthende Luftmeer in Flammen, und kurze Zeit darauf tönte ein leises, rollendes Gemurmel zu ihnen ernpor.(15) Im Abglanz des Flammenmeeres rettet Winter Wanda: »Haltet fest, sonst seid Ihr verloren.« ... »Ich halte fest, Emil! Rette nur ... «;(16) es wird das Spiel über dem Feuerzauber der Wolken zum symbolisch legendenhaften Geschehen, in dessen Licht der aufsteigende Ballon sich zum teuflischen Untier wandelt, vor dem der am Seil emporschwebende Kaminfeger als geflügelter Geharnischter die Geliebte seiner Seele in einer schrecklichen Gefahr(17) rettet - eine unvorsichtige, fürwitzige Psyche, als die Wanda ja beschrieben wird - und es im flammende(n) Wetterschein ist, als ob unzählige der verschwundenen Seelen auf der Rückkehr seien, um uns, die wir für sie im Abendrote standen, zu begrüßen.(18) Wird so im Abglanz des späten der psychologisch doppelte Boden merkbar, den schon in unverstellt reißerischer Konzeption das frühe Werk der Szene einzieht, so öffnet sie sich im letzten eindeutig - wenn auch symbolisch verkleidet - dem Flug in die Utopie.

Plötzlich aber gab es einen Augenblick, wo jedermann rief und jedermann schrie und jedermann nach oben in die Lüfte deutete:

   »Ein Vogel! Ein Vogel! Ein Riesenvogel!« ...

   Er beschrieb einen weiten Bogen hoch über uns, verengerte ihn nach und nach und kam in einer Schraubenlinie langsam und mit erstaunlicher Sicherheit zur Erde herab ...

   »Der >junge Adler<, der >junge Adler< ist es!« rief es überall.

   Jedermann drängte herbei, um ihm näher zu kommen. Da aber ertönte die mächtige Stimme Athabaskas:

   »Zurück! - Gebt Raum! - Er ist der verheißene >Adler<, der dreimal um den >Berg der Geheimnisse< fliegt und euch die verloren gegangenen Medizinen wiederbringt!« ...

   Tatellah-Satah stieg von seiner Kanzel herab und schritt zu dem kühnen Flieger hin; ich mit ihm.

   »Du fliegst, ohne mich zu fragen?« tadelte er ...


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   »Ich flog nicht für dich oder mich,« entschuldigte sich dieser, »sondern für Old Shatterhand.«

»Wohin?«(19)

»... hinauf gen Himmel ...«, der Text läßt im folgenden daran keinen Zweifel. Abheben, die Grenzen sprengen, entgrenzen - das ist ja auch das Thema von >Am Jenseits<, dem Vorspiel der biographischen Peripetie im Werke Mays: abgehoben wird dort in einen endzeitlichen Traum supralunarer Position. Hier aber, im vierten >Winnetou<-Band, am Ende von Werk- und Lebenszeit, fällt aus einer Richtung, in der man aus den Erfahrungen des Jahrhunderts heraus schon längst das Nichts situiert wußte, noch einmal tröstend das Versprechen, die Welt sei machbar, sei Ordnung, göttlich gefügt. Hier fliegt »in Gestalt eines Adlers, des Königs alles Gefieders« der Weck- und Warnruf nieder »und wird ganz Rede«,(20) kommt es gleichsam zu einem Akt der »Selbstentwerfung des Menschen am Himmel«,(21) einer Magik sondergleichen für das Auge und für das Herz, projiziert auf dem Spiegel des Schleierfalles(22) zur Parusie, zur Sichtbarmachung des göttlichen Vermittlers, in dessen Anblick am Mount Winnetou gerichtet und gerettet wird, wo das Irdische zerbricht, die alten überlebten Ordnungen, Ruinen, die sie sind, dem Erdrutsch zum Opfer fallen. Denn immer korreliert der Höhen- mit dem Sturzflug, der Auf- mit dem Einbruch, bedingt in diesem problematischen Lebensraum >zwischen Himmel und Erde<, in dem das Lebenswerk Mays sich entfaltet, wie überhaupt der ganze Aktionsbereich seiner Epoche, als deren Deutungsmuster es dient, der Aufstieg das Risiko des Scheiterns, bedarf (es) nur eines kleinen Griffes oder Druckes..., so fliegen ... Alle hinab und kommen vollständig zerschellt unten an.(23) Die Ambivalenz begleitet die Affirmation dieses Systems, das sich in seinem metaphysischen Anspruch durch die Angst, der es sich verdankt, kompromittiert sieht. Sie läßt Obsessionen in den katastrophischen Szenarien des Gesamtwerkes Gestalt annehmen, in denen sich die Altersromane als bedeutsam gerade auch mit den Erzeugnissen der Kolportage-Epik vernetzt herausstellen, diesen wahrhaft enzyklopädischen Handbüchern epochaler Ängste, und sie in ein Licht setzen, das der in ihnen rumorenden, längst obsolet gewordenen Apokalyptik durch die Parodie Glaubwürdigkeit verleiht.

   Wie May unter scheinbarer Mißachtung der sattsam bekannten Gesetze manichäischer Weltordnung im Finale von >Deutsche Herzen - Deutsche Helden< (1885/87)(24) die Guten den Bösen ausliefert, indem es den schon überwundenen Schurken fast gelingt, die gesamte adelige Prominenz des Romanes und ihren bürgerlichen Anhang im Orkus verschwinden zu lassen, das gerät ihm zu einer Episode, die trotz ihres


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Grand-Guignol-Effektes doch die Qualität eines mythologisierten Tableaus und entsprechend über den privaten hinaus einen kollektiven, für die wilhelminische Epoche typischen Symbolgehalt hat. Die Welt als eine Geburtsklinik der Ängste nimmt hier die Farce in ihren mäeutischen Dienst und legt die schicksalslenkenden Hebel weniger der göttlichen Vorsehung oder dem Satan als vielmehr einer beliebigen Statisterie in die Hand, um eine Gesellschaft in die Tiefe zu stürzen, die sich über einem Brunnenschacht auf einer Diele - manipulierbar, so daß sie sich um ihre Achse schnellte(25) - wie zu einer Revue versammelt hat und sich bewußt um des Kitzels willen auf das riskante Spiel einläßt: nicht umsonst erinnert das theatralische Arrangement von Sein und Schein an Schnitzlers >Grünen Kakadu< (1898).

»Was ist das für eine Stube?« fragte Steinbach sehr vernehmlich.

   Der Castellan schloß laut die Thür zu, durch welche sie gekommen waren, und antwortete:

   »Herr, das ist das gefährlichste Gemach im ganzen Schlosse...(da) Jeder, der sich hier befindet, über dem Tode steht. «

   »In wiefern denn?«

   »Weil unter uns ein Brunnen gähnt, welcher mehrere hundert Fuß tief ist.«...

   »Na, hoffentlich ist (die Diele) so stark und fest, daß sie uns zu tragen vermag.«

   »So lange ich will, ja. Aber es bedarf nur eines kleinen Griffes oder Druckes von mir, so fliegen Sie Alle hinab und kommen vollständig zerschellt unten an.«

   Die Damen stießen einen unwillkürlichen Angstruf aus.(26)

Die Revolution hängt hier, wie man sieht, von der Betätigung des euripideischen Ekkyklemas durch den Handlanger ab, jener Schwenkbühne, die die Mauern für den Blick ins geheimnisvolle oder grauenvolle Innere der Behausung durchsichtig macht. Diese parabolische Strategie - May bezeichnet sie durch den Mund seines Haupthelden als Faxe(27) -, in der der Aberwitz als Steigbügelhalter der Realität fungiert und wo es - wie Thomas Bernhard sagt - »letztenendes (...) nur auf den Wahrheitsgehalt der Lüge« ankommt, ist in der Kolportage so wirksam wie in den symbolhaften Handlungen des Spätwerkes; mit dem Unterschied, daß jene sich die eindeutige Beleuchtung versagen muß, in der diese das Abtreten einer überlebten Gesellschaftsordnung inszeniert. Was man dort nur in eine(r) Ahnung von Licht, wo man also nichts Deutliches sehen (konnte), von dem, wie die Personen in der Tiefe verschwanden,(28) das verschwand hier mit einem Schlage, als ob uns die Ohren platzen sollten, in der Tiefe, angestrahlt von der kleinsten Laternenbirne bis hinaufzu den Riesenkugeln auf hoch emporstrebenden Masten.(29) So macht das infernalische Spektakel, in dem das Winnetou gewidmete Denkmal, ihm als einer Art Heldengötzen von geschäftstüch-


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tigen Krämerseelen errichtet, einstürzt, im letzten der vier >Winnetou<-Bände die Brüchigkeit der überkommenen Existenzformen überdeutlich: und das während der Einweihungszeremonie illuminiert und so besonders effektvoll als auf einem Rummelplatz der Götzendämmerung ausstaffiert.

... alle vorhandenen Lichter, große und kleine, (begannen) zu leuchten, von der kleinsten Laternenbirne bis hinauf zu den Riesenkugeln auf hoch emporstrebenden Masten ... Kaum war das geschehen, so gab es ein unbeschreibliches Getöse, ein Poltern, Prasseln, Knattern, Platzen, Bersten, Schmettern, Brausen und Dröhnen. Der Boden öffnete sich. Ein Abgrund gähnte. Die Figur drehte sich mit ihrer ganzen, gewaltigen Unterlage langsam um sich selbst und verschwand dann mit einem Schlage, als ob uns die Ohren platzen sollten, in der Tiefe. Und nicht nur die Figur, sondern auch alles, was sich in der Nähe befand, die Gerüste, die Stangen, die Balken, die Masten mit den Beleuchtungskörpern, alles, alles wurde mit hinabgerissen. Im nächsten Augenblick herrschte tiefste Dunkelheit. Tausende von Stimmen vereinten sich zu einem einzigen, großen Schrei des Entsetzens.(30)

1910: Titanic-Metaphern, die eine Menschheitsdämmerung ankündigen. Man muß nur etwas genauer hinsehen und von dem, was in die Fassaden der Abenteuerhandlungen eingegangen ist, abstrahieren, um zu erkennen, daß wir es hier mit mythologisierten Bildern eines imperialen Zeitalters zu tun haben, die gerade, »weil wir (...) uns nicht mehr darin befinden, aber nicht wissen, wieviel von ihm noch in uns steckt«,(31) ihre Wirkung auf uns noch immer behaupten, was mutatis mutandis für das gesamte Werk Mays gilt: es ist als Reflektor der Wünsche und Ängste einer breiten Öffentlichkeit durchaus nicht überholt. >Hinauf!< also, ihnen zu entgehen. Es drängte uns vorwärts, vorwärts, hinauf nach der Stelle, wo es sich zu entscheiden hatte, ob wir weiter konnten oder nicht.(32)

   Und wenn nicht, wie entkommt man dann aus solchen Welten der Angst? Zum zweiten, indem man statt der celesten Anabasis die infernalische Katabasis probt. In den Souterrains des Tartaros, die uns May in seinen Reiseromanen durcheilen läßt, gibt es dafür viele Möglichkeiten, z. B. Totenstädte aufzusuchen und sie zu neuem Leben zu erwecken. Im zweiten Band von >Ardistan und Dschinnistan< findet sich eine solche Nekropole in dem hypertroph auftürmenden Stil beschrieben, der für das Alterswerk so charakteristisch ist, wenn es um die Darstellung von die Welt mit zyklopischem Gestus abbildender Architektur geht: die >tote Stadt<, Babylon oder Bruges-la-Morte, ein um die Jahrhundertwende beliebtes Bild. Das sind die Topographien, in denen die Epoche in ihren Träumen liest, indessen sie ihren Dornröschenschlaf schläft.


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Wir sahen Hunderte von Straßen, Gassen und Gäßchen mit Tausenden und aber Tausenden von Tempeln, Kirchen, Moscheen, Palästen, Häusern und Hütten. Und das Alles machte einen ganz unbeschreiblichen Eindruck des Verlassenseins, der Leblosigkeit, des Todes. ... Und doch war der Ausdruck >Leblosigkeit< und >Tod< nicht ganz richtig. Das Wort >Schlaf< wäre vielleicht richtiger gewesen, aber auch wieder nicht. ... Fast nichts war zerstört. Nur die weit draußen liegenden Hütten der Armut hatten sich in Trümmer, in formlose Haufen verwandelt, die aber nicht etwa Staub und Erde bildeten, sondern hart wie Eisen waren. Und schön war sie gewesen, diese einstige Hauptstadt und Residenz von Ardistan! ... Nun lag sie da als Leiche! Nein, nicht als Leiche! Auch dieser Ausdruck ist falsch! Richtiger wäre es vielleicht, an einen Winter ohne Schnee und Eis, ohne Frost und Kälte zu denken, der alles Leben in die Tiefe treibt, so daß jede Spur desselben verschwindet. ... Es brauchte nur das verschwundene Wasser wiederzukommen, um alle diese jetzt leerstehenden Paläste wieder mit Menschen zu füllen und ein neues, reineres und höheres Leben als vorher durch die Straßen und Gassen pulsieren zu lassen. Die Sonne war bis nahe an den Horizont herabgestiegen, und als sie ihre Strahlen jetzt über das Häusermeer hinüberflimmern ließ, war es, als ob Bewegung in die starren Linien käme und als ob unzählige der verschwundenen Seelen auf der Rückkehr seien, um uns, die wir für sie im Abendrote standen, zu begrüßen.(33)

Wie entkommt man aus solchen Welten der Angst?

   Zum dritten, indem man den Raum >Zwischen Himmel und Erde< theoretisch ausmißt, Programme entwickelt und mit ihnen die Jakobsleiter an die Bastionen des Himmels legt. Unter dem Pseudonym >Oberlehrer Franz Langer< tat das Karl May 1909 im >Mährischen Volksboten<, Brünn, wie folgt:

Seine (Mays) Hauptideale sind 1. die Umwandlung des jetzigen Gewaltmenschen in den zukünftigen Edelmenschen; 2. der Nachweis, daß wir sehr wohl zu einem Völkerfrieden kommen können, wenn wir alle Utopien vermeiden und ihn nur auf praktischem Wege zu erreichen suchen; 3. die Aussöhnung des Morgenlandes mit dem Abendlande ... seine Ideale umfassen die menschheitliche Zukunft der alten und der neuen Welt, an ihrer Spitze der längst ersehnte Edelmensch, der an der Hand der »Menschheitsseele« am Horizont der Gegenwart erschienen ist, um seine Herrschaft endlich anzutreten.(34)

Und nach seinem Vortrag in Augsburg schrieb die dortige >Postzeitung< am 9. Dez. 1909: »Die gequälte Menschheit dem reinen Glück entgegenzuführen, sie zu Edelmenschen, zu Christusmenschen zu adeln (...), das war die edelste, selbstloseste Absicht, für die er ein Menschenalter hindurch im hitzigsten Literaturkampfe stand, aus dem er endlich doch als lorbeerbekränzter Sieger hervorgehen soll.«(35)

   Rührend, gewiß. Aber auch erschreckend. »Das Himmelreich bemächtigt sich Schritt für Schritt der Leerstellen unserer Vitalität. Der himmlische Imperialismus hat den vitalen Nullpunkt als Ziel«,(36) So


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ließe sich recht treffend die geistige Situation eines nicht unbeträchtlichen Teiles der Nation damals mit den Worten Ciorans charakterisieren. An einem solchen >vitalen Nullpunkt< haben wir May im Jahre 1899 angetroffen. Damals, im Laufe der außerordentlich langen Orientreise, begann er sich seinen Himmel zu bauen und wurde auf dem Gebiet des symbolischen Romanes nicht nur >Praktiker der Entlastung<, wie er es schon zuvor mit seinen >Reiseerlebnissen< für viele gewesen war, sondern - und das macht das Spätwerk leider auf weite Passagen hin recht schwer goutierbar - auch noch Theoretiker dazu. Hier findet sich die Nahtstelle zwischen den Schaffensbereichen des mittleren und des späten Werkes. Das Ziel, Entlastung zu bieten, hat sich nicht wesentlich geändert, wohl aber die Strategie - ob zum Vor- oder Nachteil des Werkes, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Doch die Spekulation ist müßig, ob May allein mit seinem Spätwerk literarisch überlebt hätte; denn das Spätwerk, wie es uns vorliegt, ist ohne die abenteuerliche >Cosmographie< der frühen und mittleren Erzählungen nicht denkbar.

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>Himmlischer Imperialismus< und >vitaler Nullpunkt<: dem Gesamtwerk liegen letzten Endes die gleichen programmatischen Konfigurationen zugrunde. Zweimal sehen wir May am vitalen Nullpunkt: 1874 nach Verbüßung seiner Haftstrafen, 1899 auf der Höhe seines erborgten Ruhms, zweimal gelang es ihm, sich auf dem Weg des Eskapismus zu retten: durch Entrückung in heroisch-exotische und in heroisch-himmlische Zonen; das zweite Mal ungewöhnlich bepackt mit Gedankenfracht. Der konstruierte Himmel, um die Unerträglichkeit des Daseins zu mildern, war nun nicht mehr der der Exotik, deren Grenzen abgeschritten und geritten, ausgemessen, verbraucht und in ihrer Künstlichkeit erkannt waren. Die Orientreise, die entzaubernden Erfahrungen >vor Ort<, brachten das mit sich. Ein neuer Horizont mußte gesucht werden: der einer himmlischen Exotik bot sich an; schwer, allzu schwer ließ sich seine Konstruktion an. Auf wie wenig gesichertem Boden diese Himnielskuppeln ihre Fundamentierung finden, zeigen die Verwerfungen, von denen das Spätwerk nicht verschont ist.

   Plötzlich waltete eine gebieterische Hermeneutik der Symbole, wo man sich eben noch mit Spurenlesen im Llano estakado beschäftigt wähnte, und das frühere Werk, um in eine Kontinuität gestellt zu werden, die die fiktive Biographie Mays retten sollte, hatte sich einer Umdeutung zu unterziehen. Das ging nicht ohne Verrenkungen ab. Die


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Umrüstung vom leichten Trapper- und Beduinen->look< auf die Panzerung militanter Engel erforderte etlichen Aufwand, der den Autor fast an den Rand des Zusammenbruches brachte. Zu schwer war, was er sich da aufhalste - und welch Wunder, daß es sich überhaupt tragen ließ. So paradox es klingt: die symbolische Engelsnacktheit, die der Illustrator Sascha Schneider auf die Deckelbilder der Reiseerzählungen projizierte, trug sich für May schwerer als alle Kostüme der Völker dieser Welt, in denen er posiert hatte. Schwer mochte das auch für die Leser gewesen sein; teilweise bleiern, diese symbolische Kost - und auch das Schiff der Verkaufserfolge bekam einen unangemessenen Tiefgang vor lauter Tiefsinn, den geschäftlich umzusetzen der Verleger Fehsenfeld einige Mühe hatte. Ihn mochte kaum trösten, daß »beim jüngsten Gericht einzig die Tränen in die Waagschale gelegt (werden).«(37)

   So sehen wir Karl May also in der späten Phase seines Werkes als Entlastungstechniker, als Konstrukteur eines metaphysischen Obdachs von bizarrer Architektur und nicht ganz zweifelsfreier Statik in den Ruinenfeldern der Sinngebung: einen »Apokalyptiker mit Sicherungen«,(38) die nicht so stark sind wie ihr Preis hoch. »Wenn das Leben seine natürliche Ausrichtung verliert, sucht es sich eine andere. Das erklärt, warum das Blau des Himmels so lange der  O r t  des äußersten Umherirrens gewesen ist ...«(39)

   Der Preis ist die >Offenheit< des Mayschen Gesamtwerkes, das, was Umberto Eco als >opera aperta<(40) bezeichnet. Verdankt sie sich in den Werken der mittleren Schaffensperiode eher äußerlich formal den Fermaten und Trugschlüssen der Kolportage und des Zeitschriftenromanes, so im Spätwerk mehr inhaltlich der Hermetik eines Programmes: seiner nur scheinbar das >Umherirren< im Blauen bändigenden weltanschaulichen Geschlossenheit. Der Gesichertheit in einem rundum göttlich definierten Kosmos entspricht hier - nicht überraschend - das Fragmentarische der Werke, die in ihren formalen Strukturen als das Produkt einer Regie der Angst erkenntlich sind. Die Angst, es könnte das behauptete Ziel bei seiner Erreichung nicht das erbringen, was es verspricht, bestimmt ja das Gesamtwerk Mays als ein >Passagenwerk<, als mimetische Anpassung an das Transitorische, Gehetzte, Flüchtige, Fliehende eines unter dem Diktat der Heils- und Sinnsuche stehenden >Psychodroms<. Wer in der sehnsuchtsvollen Wiederholung des auf >Rettung< bedachten >Immergleichem, die in ihrer Atemlosigkeit zweifellos etwas Rauschhaftes hat, nur die Trivialität am Werke sieht, sollte nicht unterschlagen, daß gerade sie diese Romane in ihrer >offenen< Konzeption, indem sie in ihrem unendlichen Fließen das Primat des


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Flusses vor der Tektonik herausstellen, mit Sprengsätzen einer überraschenden Modernität bestückt. Die stygischen Seelenlandschaften, die das >Ich< bereist, üben, unter die Glocken exotischer Verglasung gelegt, einen Sog aus, der den Zauber der >romantischen< wie >symbolischen< Reiseerzählungen, ihre allemal aufs Weltanschauliche zielende Opiatfunktion, die nur bestätigt, daß »jede Version Gottes autobiographisch (ist)«,(41) als dialektisches Changieren von Konstruktion und Hülle ausweist. So irritierend das ist, so müßig, wenn nicht gar verfehlt, erscheint es, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wie Mays angekündigte, aber nicht zur Ausführung gelangte Werke ausgesehen hätten; aberwitzig gar der Gedanke, die Torsi oder postumen Skizzen zu vollenden; denn das kann nichts anderes heißen, als das Werk im Innersten zu verfälschen und im Prokrustesbett einer reaktionären Poetik seiner Modernität zu berauben.

   Eine solche eignet ihm zweifellos im Lichte jener >Poetik< des >opus apertum< , wie sie Eco mit einem Wort Valérys charakterisiert. »Il n'y a pas de vrai sens d'un texte«(42): >Die wahre Bedeutung eines Textes gibt es nicht<. Diese Modernität ist geeignet, das Befremden zu erklären, mit dem breite Kreise der Lesergemeinde Mays schon seit je den späten Romanen begegnen, obgleich die poetischen Strukturen, denen diese verpflichtet sind, auch im gesamten früheren Werke nachgewiesen werden können; dort befinden sich Anspruch und Form noch in einer Deckung, so daß die Bevormundung des Lesers dank einer mirakulösen Simultanität der Phantasiearbeit zwischen ihm und dem Autor sich als Einverständnis kundtut. Dieses ist im Spätwerk nicht mehr garantiert. Hier entwickelt vielmehr - gemäß der von Valéry formulierten Insuffizienz der Sprache, >Wirklichkeiten< zu erfassen - eine Poetik des Andeutens die Möglichkeit, daß sich das Werk »als offen gegenüber der freien Reaktion des Lesers« setzt, »unabhängig von den bewußten Entscheidungen und psychologischen Einstellungen des Urhebers.« In diesem Sinne beruhe, so Eco, »ein großer Teil der modernen Literatur auf der Verwendung des Symbols als Ausdruck des Unbestimmten«, und so sei es dem Leser auch möglich, ein Buch nicht notwendigerweise von vorn nach hinten zu beginnen, sondern von jeder beliebigen Seite aus zu lesen. Wenn Eco sich hier auf Autoren wie Joyce und Proust beruft, so ist, ohne zu zögern, auch auf die >Offenheit< der Phantasiearbeit Mays hinzuweisen, dessen Alterswerk zumindest Abschnitte bietet, wo jeder Satz mehr oder minder nach offenen Assoziationen ruft. »(Spiegelt) die >Offenheit< der Décadence-Symbolisten auf ihre Weise eine neue Bemühung der Kultur, die unverhoffte Horizonte entdeckt«,(43) die mithin >unterwegs< ist, so sei dahingestellt,


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inwiefern nicht auch für die Symboladdition der >Logbücher< Karl Mays, in ihrem >transitorischen< Atem beim Aufkreuzen >unterwegs< ins Unbekannte, gleiches gilt, >unverhoffte Horizonte< zu entdecken: auf Unterweltsströmen, über Land und Meer nach Dschinnistan, auf aeronautischen Expeditionen nach Sitara. Wo man auch das Werk Mays aufschlägt, das den beliebigen Einstieg allenthalben >offen< hält, zum Überschlagen von Seiten häufig gar einlädt, eben nicht unbedingt von Anfang auf das Ende hin - im Gegenteil oft recht aleatorisch - angelegt ist, es finden sich - musikalisch gesprochen - überall Leittöne, in denen zwar das Ende intendiert, aber noch nicht oder nur vorbehalten die Möglichkeit der Modulation >gesetzt< ist; denn im Leitton ist jeder Schluß ja bereits als Neubeginn angelegt.

   Wie schon gesagt, läßt sich dieses Schillernde, Changierende, >Offene< ganz einfach auch mit dem episodischen Aufbauprinzip der Romane Mays erklären, dem Serienzwang oder, ganz trivial, mit den Arbeitsbedingungen des Fortsetzungsromanes, denen sich der Autor zu unterwerfen hatte und die auch im Alterswerk ihre Spuren hinterlassen haben. Die symbolischen Arrangements der Spätwerke Mays, die auch in den Kolportageromanen und den >romantischen< Reiseerzählungen auf weite Strecken als ordnungsbestimmend ausgemacht werden können, halten die Handlung >offen<, indem der Schluß ins Irreal-Utopische weist; möglich, offen bleibt der Gang »d'une âme en allée vers d'autres cieux« (>einer Seele unterwegs zu anderen Himmeln<).(44)

   Und das kann, wie es Oberst Morse in der Jacinto-Prärie widerfährt, auch ein Gang im Kreise, ein Durchschreiten des Zieles ins Rückwärts sein. Dann ritten wir denselben Weg zurück, den wir gekommen waren.(45) - Frau Plöhn fühlte sich angeblich im Tonfall des Textes an den Schluß des >Werther< erinnert, ein jambischer Tetrameter auch er, wenngleich katalektisch: »Handwerker trugen ihn. Kein Geistlicher hat ihn begleitet.«(46) Daß sie hier so etwas wie einen >Schlüssel< zu allen Romanschlüssen ihres künftigen Gatten in der Hand hielt, mochte sich ihr spätestens an dem von >Ardistan und Dschinnistan< bestätigen. Auffällig oft arbeiten diese Schlüsse mit der Versifikation.(47) Wir aber wendeten unsern weitern Aufstieg nun den Bergen, über deren Pässe der Weg nach Dschinnistan führte, und unsrem hohen, weiteren Ziele zu. - - -(48) Die jambische Schlußkadenz - man sollte besser von Trugschluß sprechen - des ersten kontrastiert ohrenfällig mit der trochäisch-daktylischen, frei mit einem Hexameter gemischten - ...über deren Pässe der Weg nach Dschinnistan führte... -, energisch aus- und aufschwingenden des vorletzten Bandes der >gesammelten Reiseerzählungen<. Dann ritten wir...zurück,: das Ende wird zum Anfang, »Aus-


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schwingen ist das, auch die Gewißheit, daß es einen Anschluß gibt«, wie schon Erich Loest bemerkt hat.(49) Wir aber wendeten unsern weitern Aufstieg...unsrem hohen, weiteren Ziele zu. - - - Die Interpunktion des Schlusses, drei Gedankenstriche, signalisiert gegen Ende von Mays Schaffen den Neubeginn ins >Offene<. Nichts ist dafür signifikanter, als daß das epische Œuvre mit einer Frage gleichsam ins >Off< ausklingt: Ich frage: Ist das nicht interessant?(50) Als ob nach den unendlichen, freilich häufig sehr gleichförmigen Modulationen dieses epocheumspannenden Großwerkes der Autor die Tonika fürchte, wo er es so häufig bei der Fermate dreier Gedankenstriche belassen hat. So beraubte die Radebeuler Zensur der Ahnungslosigkeit >Satan und Ischariot< eines Schlusses, der vordergründig sentimental, im Sinne des >opus apertum< aber von schwebender Mehrdeutigkeit ist.

»Heimat für Verlassene!« Welch ein schönes und beruhigendes Wort! Lieber Leser, auch ich werde und du wirst einst zu den Verlassenen gehören, wenn alles, was wir unser nennen, vor unserm sterbenden Auge verschwindet; dann öffnet sich uns jene Heimat, von welcher der Erlöser sagt: »Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen, und ich gehe hin, sie für euch zu bereiten!« - - -(51)

Man mag diesen Schluß als Flucht vor dem horror vacui, in den Kult eines metaphysischen >Schöner Wohnens<, äußerst trivial finden, am Ernst seiner >Offenheit< ändert das so wenig wie an der gebotenen Zurückhaltung in der Beurteilung religiöser Vorstellungen eines Künstlers in einer Epoche, in der sich die himmlischen Tableaus als bitterböse Allegorien eines nichtigen Schutzes vor dem Nichts längst enttarnt hatten und niemand mehr, dem nicht selbst schon die Erfahrung des >Anderen< als eine Offenbarung Gottes zuteil geworden war, eine solche >Jenseitsmöblierung< überzeugend finden konnte. Zumal späterhin Existenzphilosophie und Absurdismus gezeigt haben, daß ein Aushalten des horror vacui, ein Schweben zwischen >archäologischer< Selbstbegründung und >eschatologischer< Selbstaufgabe zumindest denkbar ist. Nicht minder nachvollziehbar sollte freilich auch ein - zugegeben oft rhapsodischer - Aktionismus sein, in dem May beschäftigt ist, sein Ich im Du Gottes zu retten und es im Bereiche >zwischen Himmel und Erde< zur Ruhe kommen zu lassen, wobei er sich nebenbei als Partisan der literarischen Moderne offenbart.

*

Als ob May damals, als ob wir heute zur Ruhe gekommen wären, »das Leben seine natürliche Ausrichtung« gewonnen hätte! Das Blau des


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Himmels als »Ort des äußersten Umherirrens« mißt Mays Spätwerk nicht aus: es bleibt offen; vielleicht, weil in seinen Reise- und Raumromanen der Weg immer schon das Ziel ist, das nie zur Ruhe kommen läßt. So besteht zur Ironie, zur intellektuellen Arroganz über das Spektakel >am Jenseits<, über das >Umherirren< und >Spurenlesen< auf himmlischen Rummelplätzen und die Schießbudenbeleuchtung von >Himmelsgedanken<, über die Sterne als >Pfennigkerzen für betrunkene Bettler< und den vertröstenden Attentismus dreier Gedankenstriche nicht der geringste Anlaß.

   Wie trüb uns nach all dem Gesagten die Flamme des Mayschen Idealismus auch zu flackern, vielleicht gar zu rußen scheint, wie usurpiert sein kosmischer Glanz, es zeigt sich dabei, daß May weniger eigenständige Religion als eine Art geistigen Klimas beschreibt, wie das z. B. für die Gnosis der Spätantike gilt. Zwischen Mensch und Welt herrscht eine unüberwindliche Kluft. Die Welt ist fremd und unwirtlich. Das Reich Gottes existiert im lichtvollen Inneren der Glaubenden. Glauben heißt dann auch, sich zurückzuziehen auf die innere Wahrheit des Menschen, auf sich selbst und die innere Unabhängigkeit von der Außenwelt als den Weg zum wahren Leben. Einen solchen Weg dem Publikum zu weisen, machte May sich im Spätwerk nun in der Rolle des poeta vates, des Dichters als Seher, unverstellt anheischig, wobei er seinem früheren Schaffen die Programme des späteren nachträglich unterschob. Dem Gesamtwerk konstruierte der Autor eine Soteria, eine Idee der Erlösung, hinein, deren hermetische Gegenwelten der Dunkelheit und des Bösen nichts anderes als die permanente Evokation Gottes formulieren, seine Macht unter Beweis zu stellen: der May so oft angelastete Manichäismus ist - phänomenologisch gesehen - der ad infinitum geübte Versuch, Gott gegenwärtig zu machen. Es handelt sich um einen Versuch, dem existentielle Tragik nicht abgesprochen werden kann und über den sich mokieren mag, wem gleichgültig ist, ob moralisches Handeln ohne die Gewißheit einer jenseitigen Vereinigung von Tugend und Glück nicht sinnlos wird. Wer Gerechtigkeit erstrebt, aber im realen Geschichtsverlauf ständig erlebt, daß sittlich Handelnde Opfer von Verfolgung und Vernichtung werden, kann nur dann der Verzweiflung entgehen, wenn er an eine übermenschliche, rettende Instanz glaubt, die das erlittene Leid ausgleicht und heilt. Auch der Entwurf einer künftigen gerechten Welt wird sinnlos, wenn man nicht gewiß sein kann, daß das im Laufe der vorhergehenden Geschichte erlittene Leid aufgehoben wird. Sonst zehrt die befreite Menschheit von ungesühnten Opfern, was dem Sinn einer gerechten Welt widerspricht.


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   In der künstlerischen Bewältigung der Angst alles andere als >gut gemeint<, alles andere als ein >hölzernes Kind< ihres Umganges mit der christlichen Dogmatik, erhält Mays Werk, in das >das Gedächtnis der akkumulierten Leiden< eines Autors und seiner Epoche auf selten eindrückliche Weise eingegangen ist, indem es diesem Autor gelingt, aus seinen Fiktionen >Wahrheit zu kondensieren<, einen humanen Rang; und dieser humane Rang berechtigt es - unbesehen seiner ästhetischen Schwächen, die zum wesentlichen Kriterium einer maßlos überzogenen Diskriminierung dieses Autors zu machen nur Produkt eines bedenklichen psychischen Verdrängungsprozesses der Kritiker sein kann -, Gerechtigkeit einzuklagen. >Gerechtigkeit für Karl May!< betitelt sich emphatisch eine Schrift Ludwig Gurlitts aus dem Jahre 1919. Karl May wartet in gewissem Sinne bis heute darauf - trotz seiner großen Lesergemeinde; denn gerade in den Fan-Clubs hat die Gerechtigkeit einen problematischen Stand, weil sie nicht »Liebe mit sehenden Augen«, wie Nietzsche verlangt,(52) sondern oft blinde Liebe ist. Sollte es also wirklich bei dem »Ich höre dich, aber ich verstehe dich nicht!« bleiben? Bitte hören Sie:

Das Licht fiel auf etwas wunderbar rein weiß Glitzerndes, etwas so schneeig Zartes und Unbeflecktes, daß ich zunächst meinen Augen gar nicht trauen wollte. Dieses lautere, keusche, unschuldige Weiß, auf welchem Millionen Flammenkörnchen brillierten, kam mir nach Allem, was wir hier unten bisher gesehen hatten, so heilig, so unbegreiflich vor, als ob mein Blick auf etwas Ueberirdisches, vollendet Seelisches gefallen sei!

   »Siehst du Etwas, Effendi?« fragte Kara unter mir.

   »Ja,« antwortete ich, noch immer staunend.

   »Was?«

   »Etwas wie aus dem Paradiese! Wir haben die Dschehenna hinter uns, den Ort des steingewordenen Erdenfluches. Hier aber ist es mir, als sei der Fluch in Segen umgewandelt, und was dort Kalk im Todeswasser war, das kniee hier erlöst im alabasternen Gebete!«

   »Ich höre dich, aber ich verstehe dich nicht!«(53)

*

Dieser Essay ist die bearbeitete Fassung des Schlußteiles einer Vortragsreihe, die der Verfasser 1987/88 als >biographische Annäherung< an das literarische Schaffen Karl Mays in Konstanz gehalten hat.


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1 Vgl. Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg o.J. (1910), S. 163 (hier ist das Titelzitat entnommen). Der aviatischen Metapher kommt in Mays Schaffen existentielle Bedeutung zu. Dazu ausführlich und anregend Dieter Sudhoff: Der beflügelte Mensch. Traumflug, Aviatik und Höhenflug bei Karl May. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1986. Husum 1986, S. 110-154.

2 Ernst Jünger: Zitiert in: Hans Blumenberg: Apokalyptiker mit Sicherungen. In: Neue Zürcher Zeitung, Beilage >Literatur und Kunst<. 211. Jg. (1990), Nr. 70, S. 65

3 Ebd., S. 65

4 Karl May: Himmelsgedanken. Freiburg o. J. (1900), S. 88 und S. 67

5 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXIX: Im Reiche des silbernen Löwen IV. Freiburg 1903, S. 331: Und aber dieses Wasser! Und die auf ihm liegende, dichte Finsternis! Über die in ihrer Metaphorik verblüffend ähnliche Kosmogonie der Ophiten vgl. Hans Leisegang: Die Gnosis. Leipzig 1924, S. 111ff., besonders S. 148ff.

6 E. M. Cioran: Syllogismen der Bitterkeit. Frankfurt a. M. 1980, S. 26

7 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXXI: Ardistan und Dschinnistan I. Freiburg 1909, S. 226

8 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXXIII: Winnetou IV. Freiburg 1910, S.502

9 May: Ardistan und Dschinnistan I, wie Anm. 7, S. 226

10 May: Winnetou IV, wie Anm. 8, S. 453

11 Ebd., S. 417

12 Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe Band 4. München 1980, S.244

13 May: Winnetou IV, wie Anm. 8, S. 454-458, Hier allerdings in entgegengesetzter Bewegung; im Mythos entrückt der Adler>vater< den Knaben der Erde, in der Erzählung Intschu-intas bringt die Adler>mutter< ihn zur Erde zurück; in beiden Fällen ist aber der Adler in christlicher Umdeutung ein mit Heils- und Rettungserwartungen beladenes Symbol, so z. B. des Evangelisten Johannes - und da er der Überlieferung nach als einziges Lebewesen in die Sonne schauen kann, begleitet er in der christlichen Ikonographie häufig den Heiland bei seiner Himmelfahrt. So wird der Adler in >Winnetou IV< zu einem Symbol, in dem der Soteria-Charakter der Handlung besonders eindrücklich zur Anschauung gelangt.

14 Hans Blumenberg: Arbeit am Mythos. Frankfurt a. M. 1979, S. 14

15 Karl May: Wanda. In: Der Beobachter an der Elbe. 2. Jg. (1875), S. 685; Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 1974

16 Ebd., S. 672

17 Ebd., S. 670

18 Ebd., S. 685; Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXXII: Ardistan und Dschinnistan II. Freiburg 1909, S. 287

19 May: Winnetou IV, wie Anm. 8, S. 605f.; das folgende Zitat S. 608 - Vgl. ebd.: »Ich erlaube, daß mein Kind dich hinauf gen Himmel begleite!« So >erfliegt< sich der Junge Adler Aschta als Gattin. Das frühe Werk >Wanda< wie das letzte >Winnetou IV< vereinen sich im Motiv darin, daß der Äther für die Liebenden zum Schauplatz der Bewährungsprobe wird, die Akteure im Rahmen dramatischer Statusveränderungen in den Rang von Mysten treten, >Zauberflöten<-Strategien walten und das Geschehen nicht als Feuer- oder Wasser-, sondern als Luftprobe zum Mysterium erheben. Der Junge Adler kehrt zurück ins Reich der Lüfte. Seine Flugunternehmungen sind Teile des großen Friedensplanes, den er gegen die Feinde durchzusetzen hat und in dessen Gelingen sich seine Verbindung mit Aschta erfüllt. Wenn der Junge Adler in den anbrechenden Tag hineinfliegt (S. 604ff.), so ist es schwer, sich der Suggestion zu erwehren, über Mays finis operis, seinem letzten Schaffen, liege der Abglanz jenes anderen berühmten opus ultimum, des zweiten >Zauberflöten<-Finales:

»Zerschmettert, zernichtet ist unsere Macht,
Wir alle gestürzet in ewige Nacht!
Die Strahlen der Sonne vertreiben die Nacht,
Zernichten der Heuchler erschlichene Macht.« (>Zauberflöte<, II, 30)

20 Hans Jonas: Gnosis und spätantiker Geist I. Göttingen 1934, S. 324


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21 Blumenberg, wie Anm. 14, S. 35; hier mit Bezug auf Ludwig Feuerbach

22 May: Winnetou IV, wie Anm. 8, S. 615 und S. 611

23 Karl May: Deutsche Herzen - Deutsche Helden. Dresden 1885-1887, S. 2548; Reprint Bamberg 1976

24 Ebd., S. 2547-2596 - Die Stelle, ein die Handlung retardierendes Moment, das schier nicht enden will, erscheint schon in der bearbeiteten Buchausgabe Dresden 1901-02 (dort >Deutsche Herzen und Helden< Bd. V, S. 760-791) auffällig gerafft und fällt dann, als der Schlußteil des Werkes unter dem Titel >Zobeljäger und Kosak< 1934 in den >Gesammelten Werken< des Karl-May-Verlages unter der Bandnummer 63 erscheint, der Schere der Radebeuler Zensur zum Opfer, die sich schneiderte, was sie für wirkungsvoller hielt - nämlich ein an Motiven der Schauerromantik, vor allem Poes >The Pit and the Pendulum< orientiertes Finale - und ihm den >Faschingsscherz< des Originales opferte, dessen umständliche Weitschweifigkeit nur mit Mühe die Brisanz eines riskanten Kokettierens der Gesellschaft mit ihrem eigenen Untergang verhüllt. Vom Standpunkt der Ökonomie her mochten die Zensoren recht haben - wenngleich die Kürzung bei einem Autor ein untaugliches Mittel ist, dem gerade die >Weitschweifigkeit< das seelische Überleben sichert -, vom Standpunkt des Deutungsmusters, das jede Literatur für ihre Entstehungszeit darstellt, handelten sie in einem Akt bedauerlicher Ignoranz.

25 Ebd., S. 2514

26 Ebd., S. 2548

27 Ebd., S. 2547

28 Ebd., S. 2550

29 May: Winnetou IV, wie Anm. 8, S. 593

30 Ebd., S. 593

31 Eric J. Hobsbawm: Das imperiale Zeitalter 1875-1914. Frankfurt a. M. 1989, S. 14

32 May: Winnetou IV, wie Anm. 8, S. 470

33 May: Ardistan und Dschinnistan II, wie Anm. 18, S. 286f.

34 Oberlehrer Franz Langer (d. i . Karl May): Die Schund- und Giftliteratur und Karl May, ihr unerbittlicher Gegner. In: Mährischer Volksbote, Brünn. 25-27 (1909). Zit. nach: Franz Weigl (Hrsg.): Karl Mays pädagogische Bedeutung. München 21909, S. 29; Reprint in: Schriften zu Karl May. Materialien zur Karl-May-Forschung Bd. 2. Ubstadt 1975 (Die zahlreichen Hervorhebungen werden hier nicht wiedergegeben).

35 Zit. nach: Karl Mays Augsburger Vortrag - 8. Dezember 1909 -. Eine Dokumentation für die Karl-May-Forschung. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1989, S. 58f.

36 E. M. Cioran: Von Tränen und von Heiligen. Frankfurt a. M. 1988, S. 10

37 Ebd., S. 9

38 Blumenberg, wie Anm. 2

39 Cioran, wie Anm. 36, S. 10

40 Umberto Eco: Opera aperta. Milano 1962

41 Cioran: Von Tränen und Heiligen, wie Anm. 36, S. 53

42 Umberto Eco: Das offene Kunstwerk. Frankfurt a. M. 1977, S. 38

43 Ebd., S. 37, S. 12, S. 47

44 Paul Verlaine: Jadis et Naguère. Paris 1958, S. 69

45 Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. I: Durch Wüste und Harem. Freiburg 1892, S. 634

46 Johann Wolfgang Goethe: Die Leiden des jungen Werther. Stuttgart 1986, S. 151 - Diese Episode - Se non è vero, è ben trovato - findet sich bei Erich Loest: Swallow, mein wackerer Mustang. Berlin 1980, S. 214.

47 Hier einige beliebige Beispiele, die zu vermehren und zu untersuchen es einer eigenen Arbeit bedürfte. Die häufige Verwendung von rhetorischen Klauseln und Versstrukturen gibt (nicht nur) den Texten des späten Schaffens Karl Mays den Charakter einer rhythmischen Prosa.

>Durchs wilde Kurdistan<:
...freilich konnte ich nicht erwarten,
daß der Inhalt ein so überraschender sei.


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[Anm. der WWW-Redaktion: Aus technischen Gründen wurden im folgenden die kurzen bzw. unbetonten Silben durch ein großes "X" gekennzeichnet anstatt durch ein kleines mit Accent!]

XxXxxXxXx glykoneischer Hypermeter
XxXxxXXxXxxX daktylischer Pentameter

>Old Surehand I<:
Wie wichtig dieser Ring mir und Old Surehand später werden sollte,
das konnte ich jetzt nicht ahnen.

xXxXxXxXxXxXxXxXx jambischer Tetrameter
xXxxXxXx katalektischer jambischer Dimeter als Schlußklausel

>Der Schut<:
...legte stumm beteuernd beide Hände
auf das Herz und ritt dann seinem Vater nach.

XxXxXxXxXx katalektischer trochäischer Trimeter
XxXxXxXxXxX trochäischer Trimeter

>Am Jenseits<:
Schaut noch einmal zurück, und merkt euch diese Stelle,
denn ihr kommt wieder her, wenn abgerechnet wird!

Elegisches Distichon:
XxXxxXxXxXxXx
XxXxxXXxxXxX

>Im Reiche des silbernen Löwen IV<:
Und wenn das richtig ist, so habe ich
den Berg gefunden, den ich suchte.

xXxXxXxXxX katalektischer jambischer Trimeter
xXxXxXxXx jambischer Dimeter

>Und Friede auf Erden<:
...sie soll uns betend - dankend - hoffend finden!

xXxXxXxXxXx Blankvers
oder doppelter Blankvers, auf den >Winnetou< II schließt:

Wirst du den Feind erjagen? Wann sehe ich
dich wieder, du lieber, lieber Winnetou?

xXxXxXxxXxX
xXxxXxXxXxX

48 May: Ardistan und Dschinnistan II, wie Anm. 18, S. 651

49 Loest, wie Anm. 46, S. 216

50 May: Winnetou IV, wie Anm. 8, S. 623

51 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXII: Satan und Ischariot III. Freiburg 1897, S. 615 - In der Fassung der >Gesammelten Werke< Bd. 22, Radebeul o. J. 91. bis 100. Tsd., S. 478, lautet der Schluß sehr eindeutig: »Sie haben nach langem Irren die rechte Heimat gefunden und teilen sie mit den Verlassenen. Bitte, zeigen Sie mir Ihr Heim!« Keine Spur mehr von dem >A la recherche<-Charakter des Originals, an dem wiederum deutlich wird, daß Schreiben als autobiographischer Akt für Karl May - vergleichbar in seinem manischen Anspruch, sich >Welt zu erschreiben<, wäre da eigentlich nur noch Thomas Bernhard - ein unabschließbarer Prozeß ist.

52 Nietzsche, wie Anm. 12, S. 88

53 May: Im Reiche des silbernen Löwen IV, wie Anm. 5, S. 311


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