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VOLKER GRIESE


Nimbus zerstört.
Der Charlottenburger Prozeß
und das Urteil der Presse



Je schwerer sich ein Erdensohn befreit,
Je mächt'ger rührt er unsere Menschlichkeit
Conrad Ferdinand Meyer


I. Vorgeschichte


Am 7. April 1904.


Sehr geehrter Herr!

Schon vor 1 1/2 Jahren versuchte ich, mich Ihnen zu nähern, wovon die inliegende Karte ein Beweis ist. Inzwischen habe ich hier [in Dresden, V. G.] eine neue Zeitung herausgegeben, die grossen Anklang findet. Können Sie mir nicht etwas für mein Blatt schreiben? Vielleicht etwas Biographisches, die Art in der Sie arbeiten, oder über derartige Einzelheiten, für die sich die deutsche May-Gemeinde interessiert. Ich würde Sie auch gern interviewen.

Mit vorzüglicher Verehrung
Rudolf Lebius, Verleger und Herausgeber.1


Mit dieser Karte trat der Journalist Rudolf Lebius2 an den Schriftsteller Karl May heran; eine Begegnung, die für die Zukunft Mays bis zu seinem Lebensende eine Weichenstellung bedeutete. Lebius suchte die Bekanntschaft des prominenten und zu Ruhm und Ansehen gelangten Autors Karl May, um ihn zur Mitarbeit an seiner in Finanznöte geratenen Zeitschrift ›Sachsenstimme‹ zu bewegen und - was nicht weniger wichtig erscheint - um den vermögenden Schriftsteller um ein Darlehn zu bitten. Zunächst war die Rede von drei- bis sechstausend Mark, später ließ Lebius alle Bescheidenheit fallen und verlangte gleich die runde Summe von zehntausend Mark. May allerdings verweigerte sowohl Mitarbeit als auch Geld, reagierte auch dann nicht, als Rudolf Lebius ihm mittels einer anonymen Postkarte mit zunächst noch unbestimmten Enthüllungen in der Presse drohte.3 Die auf Sensation getrimmten Artikel, die in der Folgezeit von Lebius in seiner ›Sachsenstimme‹ erschienen,4 trafen zwar Karl Mays Ehre, doch am Nimbus des Schriftstellers in der Öffentlichkeit vermochten sie nicht nachhaltig zu rütteln: Es gelang May zu diesem Zeitpunkt, sich mit Hilfe von geschickt lancierten Pressemitteilungen zur Wehr zu setzen,5 so daß Lebius nunmehr einen


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schweren Stand in Dresden hatte; in seinem Blatt ging die Zahl der Inserate deutlich zurück.

  Nachdem Karl May im Februar 1906 seinen gegen die Verlegerwitwe Pauline Münchmeyer gerichteten Prozeß um die Kolportageromane in zweiter Instanz und im Januar 1907 schließlich auch in der dritten Instanz gewonnen hatte, schien eine recht hoffnungsfrohe Zeit anzubrechen. Auch Lebius war in der Zwischenzeit verstummt. Er wechselte den Wohnsitz und siedelte nach Berlin über; die ›Sachsenstimme‹ war eingegangen. Doch nicht lange sollte die Ruhe währen.

  Der ehemalige Sozialdemokrat Lebius stieg an neuer Wirkungsstätte in Berlin schnell zu einem maßgeblichen Funktionär und Redakteur der sogenannten ›Gelben Arbeitervereine‹ auf. Diese unternehmerfreundlichen Vereine empfahl Lebius selbst immer wieder als »Kampforganisation gegen Sozialdemokraten« sowie »gegen die christlichen Gewerkschaften«.6 Auseinandersetzungen zwischen den Sozialdemokraten einerseits und den ›Gelben Arbeitervereinen‹ andererseits waren somit vorprogrammiert. Unausweichlich uferte der Konflikt zu einer publizistischen Dauerfehde aus. Schnell entwickelte sich ein bunter Reigen von Beleidigungsprozessen, und ständig erschien der Name Rudolf Lebius fortan in Verbindung mit prominenten Gegnern in den Gazetten des Deutschen Reichs.

  So stand im Sommer 1907 der Redakteur des sozialdemokratischen ›Vorwärts‹ Carl Wermuth, von Lebius wegen Beleidigung verklagt, vor Gericht. Für Wermuth ging es unter anderem darum, herauszustellen, daß Lebius kein Ehrenmann sei, und so fand sich Karl May unversehens auf der Zeugenbank und auf der Seite der Sozialdemokraten wieder. Denn May hatte mit den schlechten Erfahrungen im Umgang mit Rudolf Lebius aus Dresden, mit der anonymen Erpresserkarte, Belege in Händen, die durchaus in der Lage waren, Lebius nicht als Ehrenmann zu kennzeichnen.7

  Dieser begann daraufhin Mays Ruf mit Systematik, Rücksichtslosigkeit und Raffinesse zu ruinieren; es galt, Karl May als Zeugen unbrauchbar zu machen. Zeitungsartikel, Plakate, von Haß und Mißgunst getränkte Broschüren, gefälschte Briefe, gekaufte Zeugen und Gewährsmänner und -frauen: alles kam zum Einsatz. Lebius zerrte Mays nahezu vierzig Jahre zurückliegende Straftaten wieder an die Öffentlichkeit und machte den ihm nahezu hilflos gegenüberstehenden Karl May unter gehöriger Zuhilfenahme erfundener Verbrechen zu einer Art Schinderhannes der sächsischen Wälder.8

  Lebius hatte sich in Karl Mays Heimatstadt Hohenstein-Ernstthal umgehört und in Hieronymus Richard Krügel einen dankbaren Gewährsmann gefunden. Der trug ihm den ganzen Klatsch und Tratsch, der sich über die Jahre naturgemäß in Hohenstein-Ernstthal über den berühmten Sohn der Stadt angesammelt hatte, zu und erfand sogleich


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noch ein paar Legenden um seinen Bruder Louis Napoleon Krügel dazu, der, selbst straffällig gewesen, hin und wieder behauptet hatte, mit Karl May gemeinsame Sache gemacht zu haben. In immer neuen Variationen hatte er die unglaublichsten Dinge über sich und May erzählt, bis ihm selbst niemand mehr geglaubt hatte. Mancherlei Versprechungen des Lebius entlockten Richard Krügel die haarsträubendsten Behauptungen. Was Legende und was Wahrheit war, das wollte oder konnte er nicht trennen, auch erfand er einfach etwas hinzu, und Lebius war an solcherart Spitzfindigkeit nun wirklich nicht interessiert. Letzterer hatte auch von Mays erster Ehefrau Emma Pollmer einiges an für ihn verwertbarem Material erhalten, gegen Geld versteht sich. Und so erschienen in der Folgezeit in dem von Lebius redigierten Organ der ›Gelben Gewerkschaften‹, ›Der Bund‹, diffamierende Artikel über Karl May mit den Krügelschen Falschbehauptungen. Der ehrenrührigste Artikel erschien dann am 19. Dezember 1909, und geschickt verstand es Lebius, das Machwerk von dem Korrespondenzbüro Schweder & Hertsch unter dem 20. Dezember an viele Tageszeitungen zu versenden und somit im ganzen Land weiter zu verbreiten. Am 24. Dezember versandte das bekannte Korrespondenzbüro in dieser Sache einen weiteren Artikel. Einmal mehr begann ein Kampf mit Flugblättern: Erklärungen und Erwiderungen folgten Schlag auf Schlag. Am 10. Januar 1910 klagte May dann gegen Lebius und seine Informanten, um die Unwahrheit des mit soviel Trommelwirbel in die Welt Posaunten gerichtlich feststellen zu lassen.9

  Zuvor gab es jedoch noch eine andere unerquicklichliche Angelegenheit aus der Welt zu schaffen. In einem Privatbrief an Selma vom Scheidt, eine Freundin von Mays geschiedener Ehefrau Emma, äußerte sich Lebius dahingehend, daß er Karl May für einen »geborenen Verbrecher« halte. Aufgrund dieses dem Schriftsteller zur Kenntnis gebrachten Briefes10 verklagte er Rudolf Lebius wegen Beleidigung:



An das Königliche Schöffengericht

Charlottenburg.

P r i v a t k l a g e

des Schriftstellers Karl May in Dresden-Radebeul, Villa »Shatterhand«

gegen

den Journalisten Rudolf Lebius, Charlottenburg, Mommsenstr. 47.

  Der obengenannte Rudolf Lebius hat vor kurzer Zeit an die Großherzoglich Sächsische Kammersängerin Selma vom Scheidt in Weimar geschrieben, daß

»ich ein geborener Verbrecher sei.«

  Die Dame die ich hier als Zeugin benenne, hat mir das persönlich mitgeteilt.

  Ich erhebe hierüber Privatklage, stelle Strafantrag wegen verleumderischer


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Beleidigung im Sinne der §§ 185, 186, 187 des Strafgesetzbuches und bitte das Hauptverfahren baldigst zu eröffnen.

  Dresden-Radebeul, d. 17. Dezember 1909.

Hochachtungsvoll

Karl May, Schriftsteller.11


Vor Gericht allerdings beschränkte sich May dann auf eine reine Formalbeleidigung nach § 185 StGB. Die Möglichkeit, z. B. wegen übler Nachrede nach § 186 StGB zu klagen, enthielt für den Schriftsteller eine Schwierigkeit, die er zu umgehen versuchte. Gemäß § 186 StGB wird nämlich bestraft, »wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, (...) wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist.«12 Wenn auch Lebius diesen Wahrheitsbeweis niemals hätte antreten können, so hätte er ihn auf jeden Fall zu führen versucht. Und genau das wollte May verhindern, denn dieser Wahrheitsbeweis hätte unweigerlich zu einer schonungslosen Offenlegung seines Lebens geführt. Einmal mehr versuchte Karl May, so glimpflich wie nur möglich davonzukommen; so ließ er diese Art des Vorgehens wohlweislich außer acht und rechnete darauf, daß der Ausdruck ›geborener Verbrecher‹ als bloße Verbalinjurie ohne Beweisaufnahme vom Gericht geahndet werden würde.

  Die eingereichte Klage beantwortete Lebius mit einem dem Gericht schriftlich übergebenen und mehr als ein Dutzend Punkte umfassenden Beweisantrag13 zu der Behauptung, daß May ein Schwindler und Verbrecher sei. Daraufhin kam es am 12. April 1910 vor dem Schöffengericht in Berlin-Charlottenburg zu einer folgenreichen Verhandlung. Da die gegen Lebius und seine Informanten anhängigen übrigen Verfahren noch nicht entschieden worden waren, entwickelte sich auf diesem Nebenschauplatz - es ging eigentlich nicht um die verbreiteten Räuberhauptmannslegenden, diese Prozesse wurden an anderer Stelle geführt14 - unerwarteterweise ein für May verhängnisvoller Prozeß.

  Karl May selbst bot zu diesem Zeitpunkt mehr Nebulöses denn Aufklärendes zu seiner Person; Kritik erzeugte Gegenkritik, und nur allzu oft beherrschte Polemik auf beiden Seiten die Szenerie. Da nimmt es nicht wunder, daß die Presse mit einigem Interesse nach Charlottenburg blickte: May war immer noch ein Faktor des öffentlichen Lebens. In Erwartung des Prozesses wurden daraufhin in manchen Zeitungen nüchtern die sich bietenden Fakten zusammengetragen und die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, endlich einmal Klarheit zu erhalten:


Neuestes von Karl May.

  Die ›Hohenzollerische Volkszeitung‹ (Donaubote) schreibt in Nr. 77 vom 8. April 1910:

  Als der Benediktinerpater Ansgar Pöllmann in der Radolfzeller ›Freien


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Stimme‹ (29. Januar und 6. Februar) Enthüllungen bestimmter Art über den vielberufenen Reiseschriftsteller Karl May ankündigte, da meinte ein Dr. Sättler im ›Prager Tagblatt‹ (10. Februar): »Was ... den Doktortitel betrifft, so ist May rechtmäßiger Besitzer eines ausländischen Diploms«, und »der Benediktinerpater kündigt auch Enthüllungen über angebliche Plagiate Mays an; darauf darf man nun wirklich gespannt sein. Ein Schriftsteller mit so produktiver Phantasie wie May ist doch gewiß nicht auf dergleichen erbärmliche Mittel angewiesen«. Diesen kleinen Aufsatz des bis dato unbekannten Herrn Sättler hat May einer Unzahl von Redaktionen zugesandt. Heute (2. April) muß das ›Prager Tagblatt‹ bekennen, daß der Benediktinerpater seine Aufgabe wirklich gelöst hat. Nachdem er nämlich in der weitverbreiteten Zeitschrift des bekannten Franziskaners Dr. Expeditus Schmidt (›Ueber den Wassern‹) mit den den [!] ersten zwei Aufsätzen (›Ein Abenteurer und sein Werk‹: 1. ›Das Problem Karl May‹; 2. ›Karl Mays literarische Bewertung im Laufe von 30 Jahren.‹) die Leser in die brennende Frage eingeführt hatte, zeigte er (Heft 4) im dritten Aufsatze (›Ein literarischer Dieb‹), daß Karl May so ziemlich alle wissenschaftlichen Notizen, und zwar gerade jene, worauf sich die von ihm behauptete Wirklichkeit seiner Reisen stützte, wörtlich aus den verschiedenartigsten Fachwerken abgeschrieben hat. Dazu bemerkt ein Bamberger Blatt: »Satis est. May ist erledigt«. Das haben alle ernst zu nehmenden Zeitungen bereits eingesehen und anerkannt. Aber mit diesen tabellarischen Beweisen ist es noch nicht zu Ende: das eben erscheinende fünfte Stück der Aufsatzserie (›Auf fremden Pfaden‹) bringt wieder neue Plagiate und zwar nicht nur wissenschaftlicher Natur, sondern auch rein erzählender Art. In weiteren Aufsätzen sollen noch viele andere vorgeführt werden.

  Nicht minder verblüffend gibt sich das Material, das Pöllmann im 4. Aufsatze: ›Old Shatterhand im Doktorhute und andere Geschichten‹ vorlegt. An der Hand unanfechtbarer Dokumente des sächsischen Kultusministeriums und des Rektors der technischen Hochschule Dresden wird bewiesen, daß die »auswärtige Universität«, von der May sein Doktordiplom erhalten zu haben behauptete, nirgends und niemals existiert hat. Im Verlaufe des Artikels werden dann noch sehr seltsame Manöver des Abenteurer-Romanziers aufgedeckt.

  Des Benediktinerpaters ›Untersuchungen und Feststellungen‹ sind rein literarkritischer Natur, und Karl May hat es selbst verschuldet, wenn eine solche Kritik nicht immer an seiner Person vorbeikommen kann. Mit den von Rudolf Lebius und seinem ›Bund‹ ausgehenden ›Enthüllungen‹ haben aber alle diese Aufsätze nichts zu tun, denn der Führer der ›gelben Gewerkschaften‹ arbeitet auf rein politischem und persönlichem Gebiete. Er hat May bekanntlich höchst unappetitliche Dinge vorgeworfen, und es war immerhin seltsam, daß May erst kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist (19. März) gegen Lebius Klage stellte, nachdem er schon fast drei Monate vorher bestimmt versichert hatte, er habe geklagt. Am 12. April findet vor dem Charlottenburger Schöffengericht eine Verhandlung in Sachen einer frühe-


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ren Privatklage May gegen Lebius statt: vielleicht bringt diese schon einige Klärung.


Gelsenkirchener Zeitung vom 12. April 1910


(...) Da Karl May sich durch seine Schriften sehr viele Freunde und Verehrer gewonnen hat, die in ihm einen sehr bedeutenden Menschen sehen, so ist der Ausgang dieses sensationellen Prozesses für die weitesten Kreise von der größten Bedeutung. Das Urteil wird in dieser seit langen schwebenden Frage in jedem Falle eine notwendige Aufklärung über den Charakter des bekannten Schriftstellers bringen.


Braunschweiger Allgemeiner Anzeiger vom 13. April 1910



II. Der Prozeß


Rudolf Lebius sah sich endlich dort angekommen, wo ihm Karl May 1904 die Mitarbeit versagt hatte. Etwas »Biographisches« sollte der Fabulierer aus Radebeul liefern, oder schlichtweg »Einzelheiten, für die sich die deutsche May-Gemeinde interessiert«. Jetzt wird dem Volk, der May-Gemeinde, eben dieses gegeben, auch ohne Zutun Karl Mays. Durch die Versagung seiner Mitarbeit im Jahre 1904 hatte sich der Schriftsteller einen unversöhnlichen Feind geschaffen. Das Gericht bot zu alledem ein ideales Forum, um Beschuldigungen einem breiten Publikum bekannt zu geben. Auch war der Boden bei den Vertretern der schreibenden Zunft gut vorbereitet. Zwei Tage vor dem Gerichtstermin versandte Lebius seinen dem Gericht vorgelegten Schriftsatz mit den unwahren Behauptungen an große Teile der Presse15 und verstand es einmal mehr, vor dem Prozeß Stimmung gegen Karl May zu machen.

  Die Durchsicht all der Zeitungsartikel, die dann infolge des Prozeßgeschehens der Öffentlichkeit Bericht erstatteten, ist größtenteils wenig erbaulich. Trotz des häufig gleichlautenden Inhaltes läßt sich aber anhand einiger weniger Artikel der grobe Verlauf jener für Karl May schicksalhaften Verhandlung am 12. April 1910 recht plastisch darstellen.16

  Naiv und schlecht beraten, die Bestrafung Lebius' als reine Formsache ansehend, erschien Karl May am Dienstag, dem 12. April 1910, um 11.20 Uhr17 ohne Rechtsbeistand vor dem Schöffengericht zu Berlin-Charlottenburg. Das erwies sich als sträflicher Leichtsinn, denn die Gesellschaft, die Öffentlichkeit draußen im Lande, die Eltern maylesender Kinder, sie alle wollten Klarheit über den Schriftsteller Karl May, Klarheit über Old Shatterhand. Und wenn es hie und da einem Zeitungsleser nicht um die Person ging, so interessierte ihn doch jedwede Sensation. Karl May jedoch war nur an einer Bestrafung des Lebius wegen Beleidigung gelegen. Zwar hatte er sich insofern vorbereitet, als er Punkt


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für Punkt Lebius' angeblichem Wahrheitsbeweis, diesem Konglomerat aus Lächerlichkeit, erfundenen Unwahrheiten und bösartig Verdrehtem, nun seine, Karl Mays Sicht der Dinge, entgegenzuhalten gedachte. Diesen umfangreichen Schriftsatz18 beabsichtigte er vorzutragen. Später bemerkte er lapidar: ... ich hatte jene juristischen und prozessualen Imponderabilien vergessen, die ich nicht kannte, mit denen sich aber ein Jeder, der Prozesse führt, vertraut zu machen hat.19

  Den Vorsitz vor Gericht führte Amtsgerichtsrat Wessel, der wohl infolge allgemeiner Überarbeitung und in Anbetracht noch weiterer unerledigter Fälle beide Parteien zu großer Eile drängte und in diesem Sinne wohl auch die Verhandlung zu führen gedachte. Dankbar wird er registriert haben, daß der Kläger ohne Rechtsbeistand erschienen war, da konnten von dessen Seite nicht viel Einspruch und Mühen zu erwarten sein. Und so sollte denn auch Karl May während der Verhandlung kaum zu Wort kommen.

  Auf Seiten des Angeklagten hatte man sich für die anstehende Verhandlung dagegen sehr gut vorbereitet; Lebius war gleich von einem ganzen Stab von Anwälten umgeben; ihr Sprecher war Paul Bredereck.20 Dieser stellte gleich zu Beginn der Verhandlung klar, daß der Beklagte Rudolf Lebius zwar zugibt, den Ausdruck ›geborener Verbrecher‹ auf Karl May in jenem Brief an Selma vom Scheidt angewandt zu haben, doch würde sein Mandant ganz entschieden bestreiten, daß er sich damit strafbar gemacht haben solle. Demzufolge stellte Bredereck zunächst einen Beweisantrag: Wenn auch die Privatklage nur auf Grund des § 185 StGB erhoben worden sei, so komme doch für das Strafmaß in Betracht, aus welchen Motiven die Beleidigung erfolgt sei, und ferner, ob die Behauptung, Karl May sei ein geborener Verbrecher, gerechtfertigt sei oder nicht. Seinem Mandanten müsse unbedingt der Schutz des § 193 StGB (Wahrung berechtigter Interessen) zugestanden werden. Beschuldigung auf Beschuldigung schwirrten dem Kläger um den Kopf; alles wurde gegen Karl May vorgebracht, was ihn herabsetzen konnte und den Vorwurf, May sei ein geborener Verbrecher, stützte. Alles was Lebius schon zuvor in seinen Artikeln im ›Bund‹ ausgebreitet hatte und gegen dessen Verbreitung May andernorts schon eine Klage anhängig gemacht hatte, fand hier noch einmal ein dankbares Forum. Erfundene und erlogene, teils verdrehte oder auch anekdotenhafte Einzelheiten aus Mays Jugend und seiner Straftäterzeit gelangten auf diesem Weg abermals in die Öffentlichkeit und wurden sensationslüstern ausgebreitet.

  Da war die Rede von fortgesetzten Diebstählen, die May schon als angehender Lehrer auf dem Seminar verübt habe; später, nach der ersten Haftstrafe, habe er von Einbrüchen gelebt. Nach einer verbüßten Gefängnisstrafe habe er seine verbrecherische Laufbahn fortgeführt, ja sich sogar mit einem früheren Schulfreund, Louis Krügel, verbündet


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und eine berüchtigte Räuberbande gebildet. Die Bande habe in einer Höhle im Erzgebirge gehaust und von dort aus räuberische Überfälle unternommen, die nicht nur das sächsische Erzgebirge, sondern das gesamte Königreich Sachsen und Böhmen in Aufruhr und Bestürzung versetzten. Polizei und das schließlich hinzugezogene Militär seien machtlos gewesen und hätten dem Treiben kein Ende bereiten können. Nachdem May der Boden unter den Füßen zu heiß geworden sei, sei er nach Mailand entwichen. Doch May sei endlich gefaßt worden und habe eine Zuchthausstrafe erhalten usw. usw. Die Vorwürfe Brederecks schienen gar kein Ende zu nehmen; immer wieder nannte er für das Vorgebrachte angebliche Zeugen, jede Behauptung schien er mit einem Beweis untermauern zu können.

  Das Gericht ist ein ideales Forum für diese Art Anschuldigungen; die anwesenden Journalisten stenografierten dankbar alles mit. Bredereck las aus seiner umfangreichen Schrift21 vor, und alle lauschen angestrengt den unglaublichsten Anschuldigungen. Von regelrechten Einbrüchen, von May als Anführer einer Räuberbande ist die Rede.22 Harmloser sind dagegen die Vorwürfe, May habe sich den Zugang zu vielen Fürstenhäusern erschlichen, er habe fälschlicherweise den Doktortitel geführt und sich als Vielsprachler aufgeführt, obwohl er außer der deutschen Sprache allenfalls die Anfangsgründe des Französischen beherrsche.

  Rechtsanwalt Bredereck wies weiter darauf hin, daß die vorgebrachten Anschuldigungen zwar den Tatsachen entsprechen, doch zunächst nur als Behauptungen zu werten sind, aus diesem Grund beantrage er nochmals, die zu den vorgebrachten Fällen genannten Zeugen zu laden und zu vernehmen. Auf die literarischen Verbrechen wolle er an dieser Stelle dann nicht mehr eingehen, vielmehr übergebe er dem Vorsitzenden zum Beweis, daß May auch ein literarischer Hochstapler und Dieb sei, die Nummer 4 der Zeitschrift ›Ueber den Wassern‹ (1910), in der Benediktinerpater Dr. Ansgar Pöllmann den Schriftsteller Karl May als literarischen Dieb brandmarkt. Hinzu fügte er die Nummer der ›Augsburger Postzeitung‹ vom 10. Dezember 1909, in der seiner Meinung nach nachgewiesen wird, wie Karl May seine blindgläubigen Anhänger beschwindelt und zum besten gehalten habe.23 Zudem sei May nachweislich nie aus Deutschland herausgekommen; trotzdem schreibe er über aller Herren Länder - auch hier erweise sich May, so Bredereck, als Schwindler. Auch die Umstände der Scheidung des Schriftstellers von seiner langjährigen Ehefrau sowie die anschließende Heirat mit Klara Plöhn, der Witwe seines Freundes Richard Plöhn, wurden von Bredereck in ein für May ungünstiges Licht gerückt.

  Er bemerkte dann zum Schluß seiner Ausführungen: Allerdings würde die Zeugenvernehmung sich vielleicht erübrigen, wenn die Personalakten des Privatklägers von der Amtshauptmannschaft Dresden-Neu-


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stadt eingefordert würden, welche die Angaben bestätigen würden. Sind die Behauptungen des Angeklagten aber wahr, so müßte dies selbst im Falle einer Formalbeleidigung einen erheblichen Einfluß auf die Bemessung der Strafe haben.24 Das Kammergericht habe in ähnlichen Fällen entschieden, daß dem Beweisantrag stattzugeben sei. Die Rede gegen May schloß mit den Worten: »Ich behalte mir vor, wegen der Worte des Privatbeklagten [!] [»Lebius ist ein Schuft, der über Leichen geht«, die May in einem Briefe gebraucht haben soll] Widerklage zu erheben.«25

  Der weitere Verlauf der Verhandlung läßt sich nun anhand der Presseberichte wörtlich wiedergeben:


Vorsitzender: »Wenn jemand zehn Jahre im Zuchthaus gesessen hat, so darf das doch nicht gesagt werden.«26


Bredereck: »Schließlich nehme ich für den Angeklagten den Schutz des § 193 des Strafgesetzbuches in Anspruch.«27


Vorsitzender (sich an Karl May wendend): »Wollen Sie die Strafen zugeben?«28


May (mit großem Pathos):29 »Ich habe das, was mir hier vorgeworfen wird,  n i c h t  g e t a n. Wenn das der Fall wäre, wäre ich nicht mehr am Leben: denn wenn ich mit solchen Vorwürfen durchs Leben gehen sollte, hätte ich schon längst den Revolver gebraucht.«30 »Ich übergebe hiermit dem Gericht meine Antwort ...«31


Vorsitzender (das umfangreiche Schriftstück zurückweisend):32 »Darauf können wir uns unmöglich einlassen. Wollen Sie sich nicht eingehender zu den Strafen äußern?«33


May: »Nein. Ich bin  v o r b e s t r a f t ;  aber das, was mir hier vorgeworfen wird, habe ich nicht getan.33a Ich bin nie  R ä u b e r h a u p t m a n n  gewesen und habe nie eine Tabakspfeife gestohlen.«34


Vorsitzender: »Also Sie bestreiten, daß die hier vorgetragenen Strafen von Ihnen verbüßt worden sind?«35


May: »Ich will hier nicht [!] sagen, was mir in einem späteren Prozesse schaden könnte.«36


Bredereck (dazwischenrufend): »Gibt der Privatkläger zu, daß er  R ä u b e r h a u p t m a n n  gewesen ist?«37


May: »Das ist nicht wahr.«38


Daraufhin ergriff Rechtsanwalt Bredereck wieder das Wort und mahnte den von ihm eingebrachten Beweisantrag an. Und weiter ging es mit seinen Ausführungen: May sei nicht Herr Hinz oder Kunz,39 sondern ein auf dem Gebiet der Jugendliteratur bekannter Mann. Aus diesem


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Grunde bestehe ein öffentliches Interesse an der Person des Schriftstellers, den Vorwürfen des Beklagten müsse unbedingt nachgegangen werden.


Bredereck: »Die ganze Oeffentlichkeit ist sich darüber klar, daß die Schundliteratur auf May zurückzuführen ist.«40


May (einwerfend): »Ich habe für die Jugend nichts geschrieben außer den sechs Büchern, die bei Spemann erschienen sind. Ich schreibe für sehr erwachsene Leute und bin ein Christ und gottesgläubiger Mensch. Ich führe meine Leser zum Glauben, eben -  w e i l  ich früher bestraft worden bin. Ich bin nicht bestraft wegen innerer Schlechtigkeit. Ich will mich aber darüber nicht auslassen.«41


Diese Aussage nutzte Rechtsanwalt Bredereck sofort, indem er einhakte: der ganze Tugendkram sei doch nur Schein, denn zuerst habe der Privatkläger nur unsittliche Bücher geschrieben und erst als er merkte, daß damit keine großen Geschäfte zu machen seien, habe er sich auf die Tugend geworfen; auch hier also alles Schwindel; zumal May ja evangelischen Glaubens ist und doch die katholische Literatur bevorzugt, ja, von der katholischen Presse sogar gelobt wurde. Aus all den vorgenannten Gründen muß gestattet werden, das ganze Beweismaterial auszurollen.42

  Der Vorsitzende wollte die lästige Beleidigungsaffäre eigentlich schnell hinter sich bringen, er hatte beide Parteien bei Prozeßbeginn gebeten, sich möglichst kurz zu fassen, weitere Verfahren stünden heute noch an. Er wendet sich hilfesuchend an den Angeklagten.


Vorsitzender: »Weshalb wurde denn der Brief überhaupt geschrieben?«43


Daraufhin ergriff Rudolf Lebius das Wort, doch den Gefallen, die ganze Sache zu entwirren, tat er dem Richter nicht. Er, Lebius, fände es vielmehr wünschenswert, wenn endlich einmal Klarheit geschaffen würde. In ganz Deutschland seien jetzt Prozesse von Karl May anhängig gemacht worden. May bestreite das gegen ihn Vorgebrachte, und dann schrieben wieder hundert Zeitungen in Deutschland, May sei verleumdet worden.44 Außerdem sei May nicht das Unschuldslamm, als das er sich gerne sehe, vielmehr verfolge er ihn, Lebius, und habe ihn auch schon einmal in den Bankrott getrieben.


Vorsitzender: «Weshalb brauchten Sie denn überhaupt der Opernsängerin zu schreiben?«45


Lebius: »Ich bin von May durch Prozesse verfolgt worden und deshalb zu der ersten Frau Mays gegangen, um mir Prozeßmaterial zu holen. Als May dies bekannt wurde, entzog er der Frau die 250 Mark monatlichen Zuschuß. Ich habe ihr darauf monatlich 100 Mark gegeben. Die


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Opernsängerin Frl. vom Scheidt wollte darauf zwischen den früheren Ehegatten vermitteln. Hierauf schrieb ich ihr diesen Brief.«46


Vorsitzender: »Daß Sie der Frau monatlich 100 Mark gaben, ist ja sehr edel! ...«47


May (auf dessen Gesicht sich die innere Erregung widerspiegelt):48 »Es ist ja alles nicht wahr; 200 Mark hat er, ihr aufgezwungen und jetzt soll sie sogar 300 Mk. wieder zurückzahlen.«49


Lebius (scharf): »Jedes Wort, das Herr May sagt, ist unwahr.«50


Nach diesem kurzen Rededuell zog sich das Gericht zurück, um, wie man annimmt, über die von Bredereck und Lebius eingebrachten Beweisanträge zu beraten. Nur kurz ist die Beratungszeit, und sogleich nach Wiedererscheinen verkündet zum Erstaunen aller im Saal Anwesenden Amtsrichter Wessel das Urteil, das für den Beklagten Rudolf Lebius auf 15 Mark Geldstrafe wegen Beleidigung lautet. Schnell, noch bevor die eigentliche Begründung des Urteils erfolgt, ergreift Bredereck protestierend das Wort: Er habe bisher ja nur zu den Beweisanträgen gesprochen und zur Anklage selbst noch eingehend zu plädieren, das habe er sich ausdrücklich vorbehalten. Doch zu seinem Schlußplädoyer habe er noch gar nicht das Wort erhalten. Bis jetzt sei es nur um die Beweisanträge gegangen.


Vorsitzender (prompt): »Dann will ich das Urteil noch einmal aussetzen.«51


May: »Ich denke, es ist eben ein Urteil verkündet worden?«52


Vorsitzender: »Es ist kein Urteil verkündet worden. Was haben Sie noch zu sagen? Sie können sich doch nur auf den Brief beziehen, der die Beleidigungen enthält.«53


Zunächst erhielt nun Rechtsanwalt Bredereck das Wort. Sein Schlußplädoyer faßt noch einmal die ganze gegen May vorgebrachte Litanei zusammen: den Weg vom Dieb und Zuchthäusler zum literarischen Hochstapler. Auch ohne Eingehen auf die vorgebrachten Beweisanträge beantrage er, Bredereck, die Freisprechung seines Mandanten Rudolf Lebius. Zu guter Letzt merkte er noch an, daß mit Rücksicht auf die jetzt entstandene Situation und um nicht noch alles zu verkomplizieren, er, Bredereck, wegen des von May gebrauchten Ausdrucks ›Lebius sei ein Schuft, der über Leichen geht‹, von der Widerklage absehe. Daraufhin erhob sich der Beklagte. Rudolf Lebius wandte sich mehr zum Publikum denn zum Richtertisch und bat nochmals eindringlich, doch endlich einmal Klarheit über Karl May zu schaffen. Und bezüglich der angeblichen Beleidigung habe er noch anzumerken, daß seinerzeit selbst der Polizeipräsident von Dresden May einen li-


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terarischen Hochstapler genannt habe. Er beantrage seine Freisprechung; er nehme für sich die Wahrung berechtigter Interessen in Anspruch.

  Zum Schluß sollte aber auch der Privatkläger Karl May sein Plädoyer halten halten dürfen. Der hatte, noch während Bredereck wie auch Lebius sprachen, dem Vorsitzenden seine 31 Punkte umfassende Schrift ein letztes Mal vorgelegt. Diesen Schriftsatz gedachte er vorzutragen und damit Punkt für Punkt den Lebiusschen Beweisantrag zu entkräften.


Vorsitzender (zu May): »Haben Sie noch etwas zu sagen?«54


May: »Ich bitte mir ein bis zwei Stunden Zeit zu geben, um meine Ausführungen zu machen. Nach dem, was hier vorgebracht ist und was man mir zur Last legt, kann ich mich nicht kürzer fassen.«55


Da über den Beweisantrag aber gar nicht entschieden worden war, das Gericht hatte ihn ja gar nicht zugelassen, durfte May nur zu dem die Beleidigungen enthaltenden Brief Stellung nehmen. Schon setzte er zum Sprechen an, da schob ihm Amtsrichter Wessel den Schriftsatz wieder zu, ergriff seine Akten und zog sich mit den Schöffen zur neuerlichen Beratung zurück. May wandte sich konsterniert an das Publikum:


May: »Soll ich mir das alles gefallen lassen?«56


Doch der Einwand verhallte, nur von wenigen wahrgenommen. Nach einer halbstündigen Beratungszeit kehrten Richter und Schöffen wieder zurück; Amtsrichter Wessel verkündete das Urteil: Der Angeklagte Rudolf Lebius wird freigesprochen, da er die Grenzen der Wahrung berechtigter Interessen gem. § 193 StGB nicht überschritten habe. Der Brief sei jedenfalls, wie aus anderen Stellen hervorgehe, in Wahrung berechtigter Interessen geschrieben worden, deshalb habe die Freisprechung erfolgen müssen.

  Die Figur, die Karl May vor Gericht bot, war wenig überzeugend. Von angeblicher Weltgewandtheit war keine Spur zu merken, vielmehr benahm er sich ungeschickt, nicht nur indem er ohne Rechtsbeistand vor Gericht erschien. Von einer Verteidigung gegen die schweren Vorwürfe war nichts zu hören, denn sich nur auf den Spruch zu beschränken, daß ja alles gar nicht wahr sei, diente doch zu wenig der eigenen Verteidigung. Andererseits: wer ihn sah, der konnte ihn kaum für eben den furchtbaren Schriftsteller halten, als den ihn Lebius hinzustellen versuchte. Unschön - aber bei dem Leidensdruck wohl verständlich - fiel einigen Berichterstattern auf, daß die Gesichtszüge Karl Mays, wenn er in Erregung geriet, einen fast krankhaften Ausdruck57 annahmen.

  Ohne daß das Gericht an jenem 12. April 1910 den Wahrheitsgehalt der Behauptungen Rudolf Lebius' überhaupt im Ansatz prüfte, ist Karl


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May durch das Urteil zum ›geborenen Verbrecher‹ gestempelt worden. Für die Presse und damit auch für die Allgemeinheit erschien er als endgültig »entlarvt und damit für alle Zeiten unschädlich«.58 Der bis dato in der Öffentlichkeit vorherrschende Eindruck von der moralisch unanfechtbaren Persönlichkeit Karl Mays - trotz der schon seit einigen Jahren ins Gerede gekommenen Kolportageromane, die er einst für den Münchmeyerverlag geschrieben hatte - sei durch das Urteil endgültig und gründlich zerstört worden. Der ganze Karl-May-Rummel sei nur eine Episode, und zudem keine rühmliche, im Kulturleben Deutschlands gewesen, so lautete der verbreitete Tenor großer Teile der deutschen Presse, doch das sei jetzt überwunden.



III. Das Urteil


Das am 12. April vor dem Schöffengericht gefällte Urteil ging Karl May zehn Tage nach der Verhandlung am 22. April 1910 mit folgendem Wortlaut zu:59


I m  N a m e n  d e s  K ö n i g s.


In der Privatklagesache des Schriftstellers Karl May in Dresden, Villa Shatterhand, Privatklägers, gegen den Journalisten Rudolf Lebius in Charlottenburg, Mommsenstr. 47, vertreten durch die Rechtsanwälte Paul Bredereck, Dr. Karl Walter und Dr. Kretschmann in Berlin, Friedrichstr. 169, Angeklagten wegen Beleidigung, hat das Königliche Schöffengericht in Charlottenburg in der Sitzung vom 12. April 1910, an welcher teilgenommen haben:

Amtsgerichtsrat Wessel, als Vorsitzender,
Bankbeamter Lange,
Gärtner Weber

als Schöffen,

Diätar Moldenhauer als Gerichtsschreiber,

für Recht erkannt:

  Der Angeklagte wird von der Anklage der Beleidigung freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens fallen dem Privatkläger zur Last.


G r ü n d e.


Der Beklagte und der Ankläger stehen auf sehr feindlichem Fuße und befehden sich gegenseitig durch Presseartikel.

  Am 12. November schrieb nun der Angeklagte an die Opernsängerin Frl. vom Scheidt, die mit der geschiedenen Ehefrau des Privatklägers, Emma May, in nahem freundschaftlichen Verkehr steht, einen Brief folgenden Inhaltes:


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Sehr geehrtes Fräulein!

Da ich seiner Zeit mit dem Schriftsteller Karl May, den ich für einen geborenen Verbrecher halte, sehr, sehr schlechte Erfahrungen gemacht habe, so wandte ich mich im Frühjahr dieses Jahres an seine geschiedene Gattin, die auch ein Opfer seines kriminellen Egoismus geworden war. Frau Emma bat mich mit Tränen in den Augen, ihr wieder zu ihrem Rechte zu verhelfen. Sie sagte mir, sie hätte seit Jahren nach einem Schriftsteller ausgeschaut, der für ihre Sache auch vor der Öffentlichkeit kämpfen wolle. Sie brachte mir Feder und Papier und dikierte mir alle für einen solchen Kampf wichtigen Angaben! - - Ich habe mich fortan mit aller Macht des Rechtsschutzes der Frau Emma angenommen und hintereinander folgende Rechtsanwälte mit der Bearbeitung der Mayschen Akten betraut. 1. Rechtsanwalt Medem etc. ... Nachdem ich nun in diesem Rechtskampf mehrere hundert Mark Verbindlichkeiten eingegangen bin, höre ich plötzlich zu meinem größten Befremden in einem von May verfaßten Schriftsatz, daß Frau Emma, ohne mich und ihre Rechtsanwälte zu benachrichtigen, durch Sie mit May in direkte Verhandlungen getreten ist. May schreibt sogar, Frau Emma hätte durch Sie ihm erklären lassen »Lebius sei ein Schuft, der über Leichen ginge.« Ich ersuche Sie höflichst um Aufklärung, widrigenfalls ich gegen Sie und Frau Emma Privatbeleidigungsklage anstrengen werde.«

  Durch diesen Brief verfolgte der Angeklagte sowohl fremde Interessen, nämlich die der Ehefrau des Privatklägers, als auch die eigenen, wie aus dem Schlußsatz hervorgeht.

  Frau Emma, die geschiedene Frau des Privatklägers, hatte ihn mit der Wahrnehmung ihrer Rechte gegenüber dem Privatkläger betraut. Die Wahrnehmung ihrer Interessen beruhte daher nicht lediglich auf ethischen Gründen, wie Mitleid.

  Da aber der § 193 St.G.B.s sich auch auf § 185 St.G.B.s bezieht, so kommt in Frage, ob dem Angeklagten wegen der gerügten Ausdrücke der Schutz jenes Paragraphen zugesprochen ist.

  Die Bezeichnung »geborener Verbrecher« ist erst neuerlich auf Grund der von Lombroso gemachten Untersuchungen in die gerichtlich-medizinische Wissenschaft eingeführt. Ob nun die von dem Angeklagten über den Privatkläger in dem Briefe an Frl. vom Scheidt ausgesprochene Ansicht zutreffend ist oder nicht, könnte nur auf Grund eingehender Gutachten von Sachverständigen festgestellt werden.

  Dagegen sind die aus dem Vorleben des Privatklägers von dem Angeklagten angeführten Begebenheiten noch keineswegs maßgebend.

  Das Gericht hatte daher keine Veranlassung, die umfangreichen Wahrheitsbeweise, auf die sich Angeklagter bezieht, zu erheben, zumal nur wegen formeller Beleidigung aus § 185 St.G.B.s das Verfahren eröffnet ist. Daß Privatkläger bereits mehrmals vorbestraft ist, gibt dieser zu.

  Auch wenn unter den Vorstrafen sich entgegen der Behauptung des Angeklagten keine Zuchthausstrafe befinden sollte, so ist dennoch aus dem ganzen Zusammenhang des Briefes und der Anwendung des fachmänni-


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schen Ausdrucks noch keinesfalls auf eine Absicht der Beleidigung zu schließen.

  Wie aus dem Brief weiter hervorgeht, faßt der Angeklagte die Bezeichnung »geborener Verbrecher« als kriminellen Egoismus auf, dem auch seine geschiedene Ehefrau als »Opfer« verfallen sei.

  Das Gericht ist daher auf Grund des § 193 St.G.B.s zu einer Freisprechung gelangt. Die Kostenentscheidung beruht auf § 499, 503. St.P.O.

gez. Wessel

Ausgefertigt

Charlottenburg, den 22. April 1910.

Kantstr. 760



IV. Nachbeben


Old Shatterhand, / old Shatterhand
Wie kühn sind deine Taten!
Du jagst das wildeste Getier,
Die Rothaut flieht entsetzt vor dir.
Old Shatterhand, Old Shatterhand,
Wie kühn sind deine Taten!

Old Shatterhand, old Shatterhand,
Du kannst mir wohl gefallen.
Denn Biederkeit und Frömmigkeit
Trägst du als schönstes Ehrenkleid.
Old Shatterhand, old Shatterhand,
Du kannst mir wohl gefallen.

Old Shatterhand, old Shatterhand,
Was muß ich von dir hören?
Bekämpftest nicht den Siouxmann,
Hieltst sächsische Bauernfrauen an!
Was muß ich von dir hören!

Old Shatterhand, old Shatterhand,
Nun hast du deine Strafe.
Es zog der Feind den Skalp dir ab,
Warf literarisch dich ins Grab.
Old Shatterhand, old Shatterhand,
Nun hast du deine Strafe.61


Der Tag nach dem Richterspruch bringt eine aufsehenerregende Presselawine ins Rollen. Daß Karl May bis dato einen nicht zu unterschätzenden Faktor im öffentlichen Leben als ›Bildner der Jugend‹ darstellte, veranlaßt auch jedes noch so unbedeutende Provinzblatt, auf den Charlottenburger Prozeß einzugehen. Neben Berichten aus dem


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Reichstag und noch vor dem ›Vermischten‹ prangen die effektvoll herausgemachten und fett gedruckten Schlagworte in den Gazetten; von Nord nach Süd, von Ost nach West quer durch das Reichsgebiet wandert die Nachricht, keiner kann daran vorbeisehen:


Der große Prozeß / Der Prozeß gegen Karl May / Der hineingefallene Karl May / Der wahre Karl May / Karl May am Pranger / Die Entlarvung Karl Mays / Karl May's ›Räuberleben‹ / Karl May - ein ›geborener Verbrecher‹ / Die Wahrheit über Karl May / Karl May überwiesen / Eine gefallene Größe / Schriftsteller Karl May als Privatkläger / Karl-May-Prozeß / Zerstörter Nymbus / usw. usw.


In nahezu allen Zeitungen kommt es an dem den Prozeßtag nachfolgenden Mittwoch, dem 13. April, zu Kurzberichten, die sich in Form und Inhalt nahezu gleichen:


(Tel.) Berlin, 12. April. Der mit großer Spannung erwartete Beleidigungsprozeß, den der bekannte Jugendschriftsteller Karl May - Dresden gegen den Schriftsteller Lebius angestrengt hat, kam heute vor dem Schöffengericht Charlottenburg zur Verhandlung. Der Beklagte hatte in einem Briefe an die Opernsängerin Fräulein Scheidt behauptet, Karl May wäre ein geborener Verbrecher. Zur heutigen Verhandlung hatte der Beklagte in einem mehrere Seiten langen Schriftsatz den Beweis dafür angetreten, daß Karl May tatsächlich schon vor mehreren Jahren wiederholt mit Zuchthaus von 4, 3 und 2 Jahren vorbestraft sei, daß er ferner der Anführer einer Räuberbande gewesen ist, die das Erzgebirge unsicher gemacht hat, daß er ferner niemals über Deutschlands Grenzen hinausgekommen sei. Trotzdem habe er seine umfangreichen Reisebeschreibungen geschrieben. Das Gericht nahm an, daß der Beklagte in der Wahrnehmung berechtigter Interessen diesen Brief geschrieben habe und erkannte auf Freisprechung.


Kieler Zeitung vom 13. 4. 1910


Wenig später, entweder noch in der darauf erscheinenden Mittags- bzw. Abendausgabe oder an einem der folgenden Tage wird der ausführliche Prozeßbericht nachgereicht, oftmals mit effektvoll gesperrt und fett Gedrucktem. Manch eine Zeitung wartet auch erst den eigentlichen Prozeßbericht ab, um dann die vermeintliche Sensation zu veröffentlichen, und bringt infolgedessen Kurzbericht und Prozeßbericht in einem. Beides, Kurzbericht wie auch der ausführliche Prozeßbericht, beruhen im wesentlichen auf Meldungen, die durch Korrespondenzbüros der Presse zur Verfügung gestellt werden. Besondere Bedeutung beanspruchen dabei die Berichte des Büros Schweder & Hertsch (dessen Besitzer sich noch in späteren Jahren rühmte, die Meldungen vom Räuberhauptmann May verbreitet zu haben).62 Auffällig ist es schon, wie häufig gerade die immer gleichlautenden Artikel dieses Büros zum Ab-


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druck gelangten. Trotzdem ist es durchaus richtig, mit Karl May zu konstatieren: Weder handele es sich um einen hochwichtigen Prozeß - im Reigen der gegen Lebius und Genossen anhängigen Verfahren war die Beleidigungsklage wirklich nebensächlich -, noch sei sie endgültig, vielmehr hätte es Rudolf Lebius in geschickter Weise verstanden, das Geschehen als eine cause célèbre darzustellen ... Er schien mit Unterstützung seiner Zeitungsagentur Tag und Nacht an der Arbeit zu sein, seinen großen Sieg und meinen moralischen Untergang durch die Zeitungen aller Länder zu schleifen.63 Mays Äußerung ist nur allzu verständlich, denn viele der Prozeßberichte sind mit S.-H./S.&H./S.u.H. oder SH gekennzeichnet. Rudolf Lebius äußerte sich dazu hämisch: »So stürzt man Könige«.64

  Viele Zeitungen verhielten sich unkritisch und brachten Kurzbericht und/oder Prozeßbericht, sich dabei jedweden Kommentars enthaltend; der geneigte Leser sollte wohl selbst entscheiden, was er von den unglaublich erscheinenden Anschuldigungen, die gegen Karl May vorgebracht wurden, zu halten habe. Aber auch dadurch, daß sie die Beschuldigungen ungeprüft unters Volk streuten, machten sie sich in gewisser Weise moralisch schuldig.

  Andere Blätter wiederum ließen ihre Meinung kurz durchschimmern und fügten den Berichten erklärende, fordernde und wertende Sätze bei. Da wurde einerseits das Werk, das man als Schund abqualifizierte, mit dem Autor gleichgesetzt, womit nun neben den Büchern auch und gerade der Autor mit verdammt wird, andererseits betonten aber immer wieder einige Unentwegte die herausragende Stellung und moralische Unangreifbarkeit der Werke Mays. Wieder anderen war der Protestant im Pelz des Katholiken unerträglich. Und manch ein Satiriker fühlte sich berufen, das vermeintliche Schicksal des gefallenen Schriftstellers in Gedichtform oder kabarettistisch aufzuarbeiten.

  Das sich dem Betrachter bietende Bild der Artikel wirkt recht uneinheitlich und ist nicht durchweg gegen Karl May und sein Werk gerichtet. Auch sind Artikel, die eindeutig gegen den Schriftsteller zu wirken versuchten, noch durchaus feiner Abstufungen fähig und ließen hier und da objektive Sätze einfließen. Daß die Beschuldigungen durch Lebius noch gar nicht bewiesen waren, darauf gingen allerdings nur wenige Artikel ein. Manche Zeitungen enthielten sich eigener Stellungnahmen, sie öffneten ihre Spalten vielmehr gewichtigen Kommentatoren oder brachten Artikel aus überregionalen Zeitungen zum Abdruck bzw. zitierten daraus. Kommentare pro und contra Karl May zogen weitere Äußerungen nach sich, auch fühlte sich der eine oder andere Leser zur Kundgabe seiner Meinung herausgefordert und griff zur Feder, so daß sich einzelne Leserbriefe zum Prozeß in den Gazetten finden. Einigen Artikeln sind Bilder des Schriftstellers beigegeben: die bekannten Kostümfotos als Old Shatterhand oder Kara Ben Nemsi oder aber Porträtskizzen.


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  In seinem Ende 1910 erschienenen Pamphlet ›Die Zeugen Karl May und Klara May‹ bietet Lebius dem Leser einen Blick durch die in- und ausländische Presse. Wie nicht anders zu erwarten, ist der Tenor all der - zudem noch von Lebius stellenweise leicht überarbeiteten - Artikel gegen den Schriftsteller Karl May gerichtet.

  Ein Großteil der Berichte stimmen, da sie auf dasselbe Korrespondenzbüro zurückgehen, im Wortlaut überein. Soweit sie etwas bringen, das darüber hinausgeht, werden die entsprechenden Passagen - wegen der uneinheitlichen Vorlagen und ihres oft schlechten Erhaltungszustandes - im Neusatz wiedergegeben:


»(...) Eine ausführliche Beweisaufnahme über die Vorstrafen und das Vorleben Karl Mays wurde nicht erhoben.« (Märkischer Sprecher vom 13. 4. 1910)


»(...) Inwieweit die Beschuldigungen gegen May berechtigt sind, wurde also in der Verhandlung leider nicht festgestellt. Da aber auch noch eine große Anzahl anderer Prozesse schweben, darf man von ihnen die erwünschte Aufklärung erwarten.« (Pfälzische Post vom 14. 4. 1910)


»(...) Werden nun endlich aus den Schülerbibliotheken der höheren Schulen die Reiseromane Karl May's verschwinden?« (Erlanger Tageblatt vom 13. 4. 1910)


»(...) Kurz und gut, nach den Behauptungen des Herrn Lebius ist Karl May der unglaublichste Mensch, der augenblicklich auf Deutschlands Fluren wandelt.« (Siegener Zeitung vom 14. 4. 1910)


»(...) Es ist erklärlich, daß bei den Schriften eines solchen Mannes kein Vertrauen auf ethischen Wert mehr vorhanden sein kann. Bei dem Kampfe gegen die Schundliteratur, der in unseren Tagen erfreulicherweise mit so großem Eifer geführt wird, sollten die Schriften Karl Mays vor vielen anderen in Acht und Bann erklärt werden.« (Konstanzer Zeitung vom 14. 4. 1910)


»(...) Für alle, denen die Erziehung unserer Jugend ernstlich am Herzen liegt, tritt damit die Frage einer kritischen Betrachtung des Jugendschriftstellers Karl May, soweit sie noch nicht Platz gegriffen hat, erneut und mit Nachdruck in den Vordergrund.« (Amberger Tageblatt vom 18. 4. 1910)


»(...) Mit einer seltenen Unerbittlichkeit ist heute vor dem Schöffengericht Charlottenburg der bekannte Jugendschriftsteller Karl May moralisch vernichtet worden. Wenn in dem sogenannten Karl-May-Rummel, der in der letzten Zeit die Blätter beschäftigte, Karl May immer den Unschuldigen, den nur von gemein denkenden Leuten haltlos Verdächtigten spielte, so hat


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er heute den ganzen Nymbus, der seine Person jahrelang umgab, ablegen müssen, weil er unter der Last des gegen ihn anstürmenden Beweismaterials zusammenbrach. (...) Ob nun endlich die Leute schweigen werden, die Karl May, vor dem die ernste Presse schon lange warnte, als den Bildner unserer Jugend, den weltberühmten Reisenden mit den ungeheuren Kenntnissen in den Himmel hoben, um ihn bei jeder Gelegenheit Ovationen zu bereiten, die im Lichte der heutigen Verhandlung gemessen, beinahe wie eine Verherrlichung des Verbrechens wirken??« (Iserlohner Kreisanzeiger vom 13. 4. 1910)


»(...) Daß May ein großes Talent zur Schilderung besitzt, ist sicher, und das ist - literarisch betrachtet - die Hauptsache. Schiller, der die Schweiz so schön darstellte, hat bekanntlich das Alpenland nie gesehen. (Allerdings hat er das auch nie behauptet.)« (General-Anzeiger für Elberfeld-Barmen vom 13. 4. 1910)


»(...) Der Bad. Beobachter bringt einen kurzen Bericht über den Prozeß und schreibt dazu: ›Damit ist die  K a r l  M a y - F r a g e,  soweit sie die Person des Reiseschriftstellers angeht,  e n d g ü l t i g  g e l ö s t.  Darüber kann niemand mehr im Zweifel sein. Hoffentlich ist jetzt auch endgültig die Zeit vorüber, in der Karl May in katholischen Zeitschriften bezw. Blättern eine aktive Rolle spielte. Karl May ist ein Zwei-Seelenmensch wie nur je einer. Daher kommt es, daß es ihm lange Zeit gelang, über die Schattenseiten seiner Muse hinwegzutäuschen; daher kommt es auch, daß er so viele begeisterte Anhänger finden konnte, hauptsächlich freilich unter der Jugend, aber nicht allein unter ihr. Wer seine besten Sachen las, konnte, wenn auch nur einigermaßen kritisch angelegt, allerdings im Zweifel sein, wo die Wirklichkeit anfange und die Phantasie aufhöre, er konnte auch schließlich angewidert werden, durch die Art, wie der Schriftsteller immer sich selbst als den unerreichten Helden seiner Erzählungen schilderte, aber die ganze Hohlheit der Mache konnte er unmöglich durchschauen. Umso größer ist das Verdienst jener, welche immer mehr Material zusammenbrachten zur Beurteilung dieser Literaturgattung. Der Enderfolg hat wieder einmal den von vornherein Mißtrauischen recht gegeben.‹


  Die Köln. Ztg. schließt eine Betrachtung über den Karl May-Prozeß mit folgenden Worten: ›Den liberalen Kreisen und den dort herrschenden Geschmacksrichtungen mag man auch allerlei Vorwürfe machen können, aber ihnen ist es noch nie eingefallen, Erzeugnisse von der Art der Mayschen Romane unter dem Gesichtspunkt ernster Literatur zu beurteilen.‹« (Konstanzer Zeitung vom 15. 4. 1910)


»(...) Der ›Fall Karl May‹ kann nach diesen Enthüllungen nur noch psychologisch interessieren und es ist nur zu wünschen, daß die Kräfte, die so lange und, wie sich jetzt herausgestellt hat, mit gutem Recht, gegen ihn angingen, nunmehr für bessere Arbeit frei werden. Es bleibt noch viel positive Arbeit


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zu leisten, wenn das Gute sich endlich Bahn brechen soll!« (Echo der Gegenwart vom 13. 4. 1910)


»Karl May.

Zu dem von uns in der Freitagnummer gebrachten Artikel eines Mitarbeiters im Feuilleton unseres Blattes über Karl May schreibt uns ein Leser:

  ›Der May-Artikel in Nr. 85 kann vom Standpunkt der Gerechtigkeit aus nicht unwidersprochen bleiben. Schon die illoyale Ueberschrift: »Karl May endgültig entlarvt« fordert heraus. Wer hat ihn denn ›endgültig‹ ›entlarvt‹? Etwa der Verteidiger des Lebius in Berlin? Ich bin nichts weniger als ein May-Schwärmer und die sogenannte May-Frage kümmert mich gar nicht. Umso besser aber glaube ich May's Werke zu kennen und muß es entweder als einen Mangel an Gerechtigkeitsgefühl oder aber als erheiternde Selbstüberhebung bezeichnen, wenn man den zum größten Teil unbestreitbar gediegenen Inhalt namentlich d. letzt. Werke des trotz aller Anfeindungen immer noch beliebtesten Schriftstellers mit einem Federzug vernichten zu können glaubt. Karl May mit seinem Problem der alles ausgleichenden Nächstenliebe steht hoch über den gelinde gesagt subjektiven Ausführungen des Artikelschreibers und es muß hauptsächlich der letzte Absatz des Artikels energisch abgelehnt werden.‹

  Dazu bemerken wir: Der Kampf gegen Karl May richtet sich nicht gegen seine Schriften; alle seine Romane dürfen gerade deshalb hoch bewertet werden, weil sie viele unsittliche Schundliteratur verdrängt haben, wenn auch die Selbstverherrlichung May's in seinen Schriften viele Leser abstößt und die Abenteurergeschichten imstande sind, die Abenteurerlust in den Herzen der Jugend zu wecken. - Der Kampf gilt also der Person. Freilich müssen auch wir sagen: Wenn Karl May, der heute ein alter Mann ist, in seinen jungen Jahren die oben angegebenen Verbrechen begangen hat, sich dann aber 40 Jahre lang derartige schlimme Handlungen nicht mehr zuschulden hat kommen lassen, so liegt unseres Erachtens doch kein Grund vor, ihm seine Schandtaten im Alter vorzuhalten und ihn noch einmal auf die Folter zu spannen. Man spricht heute oft davon, daß weit zurückliegende Strafen im Gerichtssaal nicht mehr verlesen werden sollen. Uns ist nicht ganz klar, warum in diesem Falle das Gericht diese Aufrollung der Jugendsünden eines alten Mannes zugelassen hat. Die Bezeichnung ›geborener Verbrecher‹ ist auf keinen Fall gerechtfertigt; das wäre nur dann der Fall, wenn May sein Leben lang ein Verbrecher geblieben wäre.« (Fränkisches Volksblatt vom 20. 4.1910)


Der eigentliche Kommentar zu dem aufsehenerregenden Geschehen in Berlin-Charlottenburg, wo sich der ›Schriftsteller Karl May als Privatkläger‹ unversehens selbst auf der Anklagebank wiederfand und der ›Karl-May-Prozeß‹ sich nur allzu schnell als ›Prozeß gegen Karl May‹ entpuppte, erfolgt meist einige Tage nach dem Prozeß.

  Der überwiegende Teil von Zeitungen verzichtete freilich auf eine


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Stellungnahme. Viele Zeitungsschreiber hatten von der Sache selbst nicht die geringste Ahnung und gaben nur kritiklos das wieder, was ihnen Lebius und ›sein‹ Korrespondenzbüro zugehen ließen. So wie Mays Bücher von vielen tausend Lesern oberflächlich konsumiert wurden, so wurde in gleicher Weise oberflächlich der Stab über den Autor gebrochen, vor allem von den großen, überregional wirkenden und auflagenstarken Blättern.

  Die wahren Freunde zeigten sich erst jetzt. Trotz des auf den ersten Blick krassen negativen Urteils in der Presse traten einige Personen und Publikationsorgane für Karl May ein; auch und gerade dann, wenn sie von Karl Mays ›Räuberleben‹ als Tatsachen ausgehen. Einige Kommentatoren heben sich aus der unkritischen Masse heraus, und darunter finden sich nicht nur die schon länger mit May befreundeten Redakteure und Enthusiasten. Das beste Beispiel dafür sind der Schriftsteller Rudolf Kurtz und sein vom April datierter und im darauffolgenden Monat erschienener ›Offener Brief an Karl May‹.65 Doch auch weniger Bekannte nahmen die Pressekampagne gegen Karl May zum Anlaß, eine Lanze für den Schriftsteller zu brechen. Sogar im Ausland, in Ungarn, in der Budapester Zeitschrift ›Elet‹ erschien von Zoltán László ein für May gestimmter Artikel.66 Im entfernten Sarajewo setzte sich ein pseudonymer ›Veridicus‹ in der dreisprachigen Zeitschrift ›Der Tourist‹ ebenfalls für Karl May ein. Die beiden wohl gediegensten und ausführlichsten Abhandlungen finden sich in der ›Dogmenfreien Halbmonatsschrift für Zeitfragen‹ ›Die Raketen‹, wo der Unterzeichner namens Till unter dem Titel ›Moralsimpelei‹ gegen das Urteil mit Spott und Ironie zu Felde zieht (s. u.), und im ›Würzburger Glöckli‹ unter dem schlichten Titel ›Karl May‹: eine durch drei Nummern laufende niveauvolle und couragierte Auseinandersetzung Hermann Links mit Karl May: »(...) was kümmert es uns, wer ihr Verfasser ist, wir wollen doch die Bücher, wie wir sie kennen kritisieren. Darauf kommt es an. Und da wiederholen wir: Karl May's Reiseromane sind unbestreitbar rein und gut.«67

  Auch die Heimatpresse ergriff für ihren berühmten Sohn die Feder. Die ›Dresdner Rundschau‹ ließ Abgeklärtheit walten und konstatierte: »Am allerwenigsten aber hat Herr Lebius, der hier in Dresden in mancher Gerichtsverhandlung eine sehr unschöne Rolle gespielt hat irgendwelche Berechtigung, sich als Sittenrichter anderer aufzuwerfen. Da ist Karl May jedenfalls ein weit sympathischerer Mensch, und er ist sicher ein interessanter Mensch. (...) Dem Vielverehrten und Vielverfolgten ist jedenfalls zu wünschen, daß man ihm an der Schwelle der Siebzig endlich Ruhe gönnt, und die Stimme eines Lebius hat hier in Dresden kaum so viel Gewicht, als daß er als May-Töter Erfolg haben könnte.«68

  Bei allem Wohlwollen May gegenüber, wurde jedoch auch immer wieder der Finger auf den wunden Punkt der May-Geschichte gelegt:


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Wenn Karl May sich im Prozeß offen darüber erklärt hätte, aus welchen Gründen er vorbestraft war, wäre den Anschuldigungen Lebius' gegen ihn kaum so viel Raum gegeben worden.

  Besonders herausragende ›Pro-May-Artikel‹ sind vor allem die Ausführungen des Wiener Blattes ›Die Freistatt‹ sowie der Beitrag des May-Freundes Heinrich Wagner in der ›Passauer Donauzeitung‹:


(... [Prozeßbericht]) Auf Grund dieses Verhandlungsergebnisses wird nun heute über den ›katholischen Jugendschriftsteller‹ Karl May in einer Weise abgeurteilt, die uns Anlaß zu einigen Bemerkungen gibt.

  Vor allem möchten wir feststellen, daß die ganze Anklagerede des Rechtsanwaltes Bredereck sich wörtlich auf die Klagebeantwortung stützt, welche der Angeklagte Lebius bei Gericht eingebracht hatte, und welche Lebius schon zwei Tage vor der Verhandlung im Druck an die Zeitungen des In- und Auslandes zur Versendung brachte. Diese Beeinflussung der gesamten Presse gegen Karl May scheint prompt ihren Dienst getan zu haben, denn alle ›großen‹ Zeitungen drucken heute die Beschuldigungen Lebius als ›erwiesene Tatsachen‹ ab.

  Kein Blatt weist darauf hin, daß den bis jetzt vorliegenden Prozeßberichten zufolge  d a s  G e r i c h t  j a  g a r  n i c h t  i n  e i n  B e w e i s v e r f a h r e n  e i n g e t r e t e n  i s t . Es steht der  d u r c h  k e i n e r l e i  Z e u g e n a u s s a g e  g e s t ü t z t e n  Beschuldigung Mays durch Lebius also die Erklärung Mays gegenüber,  a l l e  d i e s e  S c h a u e r e r z ä h l u n g e n  s e i e n  n i c h t  w a h r . Das Gericht hat, immer vorausgesetzt, die bis jetzt vorliegenden Berichte sind erschöpfend und genau, die Beweisanträge des Lebius  g a r  n i c h t  a u f  i h r e  R i c h t i g k e i t  g e p r ü f t , sondern nur  a n g e n o m m e n , »daß verschiedene Gründe für die Richtigkeit des von der Verteidigung angebotenen Wahrheitsbeweises sprechen«. Wir müssen gestehen: Daß bloß auf eine solche ›Annahme‹ hin einem Menschen ohne gerichtsordnungsmäßige Prüfung das Stigma eines Verbrechers aufgedrückt werden könne - das haben wir bis dato nicht für möglich gehalten!

  Freilich hat Karl May  z u g e g e b e n , daß er  S t r a f e n  v e r b ü ß t  habe. Ganz recht, aber mit dem ausdrücklichen Vorbehalte, »nicht die Strafen, welche ihm hier nachgesagt würden.« Wie konnte es nun das Gericht unterlassen, die von Lebius vorgelegte Liste von Gaunereien und Strafen auf ihre Richtigkeit zu prüfen? Wie konnte es ohne Beweiserhebung mit einem glatten Freispruch vorgehen und dadurch einen Menschen der öffentlichen Meinung als gerichtsordnungsmäßig deklarierten Verbrecher überliefern? Uns ist unverständlich, wie ein solches Verfahren möglich gewesen ist und wir zweifeln nicht daran, daß ein unabweislich notwendiges Berufungsverfahren der ganzen Maygeschichte ein wesentlich anderes Aussehen geben wird.

  Unbegreiflich ist uns auch folgender Passus in dem heute verbreiteten Prozeßberichte:

  »Nach längerer Beratung will der Vorsitzende das Urteil verkünden. Man


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hört schon, der Angeklagte wird zu 15 Mark Geldstrafe verurteilt. Da unterbricht der Verteidiger und protestiert gegen diese Art der Verhandlung. Es sei ihm noch nicht das Wort zur Sache erteilt. Bisher habe er zu den Beweisanträgen gesprochen. Es wird hierauf die Verkündigung des Urteils ausgesetzt.«

  »Ausgesetzt«. Etwa zur Einleitung des Beweisverfahrens? Nein - zu einer Rede des Rechtsanwaltes Bredereck, der die Freisprechung seines Mandanten beantragt. Und richtig: jetzt spricht das Gericht Herrn Lebius frei, immer noch ohne nähere Beweislast für die ungeheuerlichen Beschuldigungen, die man über dem Haupte Karl Mays zusammengetragen hatte. Ohne eine Prüfung der Leichtfertigkeit, mit der diese Beschuldigungen erhoben wurden. Nur ein Beispiel: An einer Stelle erklärt der Angeklagte durch seinen Rechtsanwalt, ein Beweis für die abgefeimte Schlechtigkeit Mays sei, daß er als verfolgter Räuberhauptmann habe nach Mailand flüchten müssen. An anderer Stelle erklärt derselbe Rechtsanwalt, May sei ein literarischer Dieb, denn ›er sei nachweislich nie aus Deutschland herausgekommen‹, trotzdem er über alle Länder geschrieben habe.

  Wir verweisen nur auf diesen Widerspruch in einer Einzelheit, aus der man auf das Ganze Schlüsse ziehen darf. Oder weiß Herr Lebius samt seinem Verteidiger nicht, daß Mailand außerhalb der Grenzen Deutschlands liegt? Und dann: Sind noch nie Romane und Erzählungen geschrieben worden, die in Ländern und Gegenden spielten, welche der Verfasser nie gesehen?  J u l e s  V e r n e  mag sich glücklich preisen, daß er gestorben ist, sonst würde ihn [!] vielleicht heute ein über viel Zeit verfügender ›Kritiker‹ nachweisen, er sei ein ›literarischer Dieb‹, weil er eine ›Reise um die Welt in achtzig Tagen‹ beschrieb, ohne sie gemacht zu haben. General  W a l l a c e  würde, falls er noch lebte, vor das Forum eines deutschen Gerichtes gezerrt und als ›literarischer Dieb‹ gebrandmarkt werden, weil er seinen epochalen ›Ben Hur‹ zu einer Zeit schrieb, da er Palästina noch mit keinem Fuße betreten hatte. Henryk  S i e n k i e w i c z  wird sich zu verantworten haben, weil er ein römisches Gelage beschrieb, da er doch nachweislich am Gastmahl des Trimalchio nicht teilgenommen hat u.s.w. Wir könnten diese Beispiele ins Unendliche vermehren, aber es genügen schon diese wenigen, um die Absurdität der Schlußfolgerungen jener darzutun, die heute über Karl May in dieser Beziehung den Stab brechen und so herz- und lieblos aburteilen.

  Ja: herz- und lieblos! Wenn Karl May vor vierzig Jahren die Gesetze übertrat und damals seinen Frevel büßte, dann spricht es jeder Menschlichkeit Hohn, heute dem Manne die gesühnte Tat wieder ins Gesicht zu schleudern. Selbst wenn all das wahr  w ä r e , was Lebius zu wissen glaubt, was andere Lebius mit mehr Eifer als Aktivlegitimation nachreden lassen, muß man sich dann nicht immer noch fragen: wie kann man den Wert eines literarischen Erzeugnisses deshalb plötzlich in Grund und Boden verdammen, weil sich herausstellt, daß sein Autor vor vierzig Jahren gesündigt? Fühlen sich alle die so ohne Schuld und Fehl, die heute nach May mit Steinen werfen, daß sie des Gotteswortes zu vergessen glauben dürfen, das gesprochen wur-


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de, als Pharisäer eine Ehebrecherin verdammt wissen wollten? Helles Erinnern mag manchen Sittenrichter von heute mit bangem Entsetzen erfüllen, wenn er glaubt, mit gretchenhafter Unschuldsmiene vor das Angesicht der Welt tretend, schonungslos vernichten zu dürfen, was ein Leben langer Arbeit an Sühne für Vergehen der Jugend geleistet hat! Richtet nicht, auf daß Ihr nicht gerichtet werdet - auch heute noch hat dieses Wort Berechtigung. Wer aber  b e r u f e n  ist, zu richten, Recht zu sprechen im Namen seines Königs, der ist verpflichtet, auch sorgfältig jedes Für und Wider auf der Wage der Gerechtigkeit zu prüfen.

  Das scheint uns hier nicht im zur völligen Klärung des Sachverhaltes genügenden Ausmaße geschehen zu sein, deshalb reden wir. Wenn alles verdammt und kritiklos verurteilt - wir wollen kritisch wägen und zur Vorsicht mahnen. Und wird dadurch auch nur  e i n e m  Menschen der im Schwinden begriffene Glaube an die unbeirrt waltende Gerechtigkeit bewahrt, dann schrieben wir nicht vergebens.

  Wir ergreifen nicht ohneweiters für May Partei, aber auch nicht ohne Prüfung des Sachverhaltes gegen ihn. Wir stehen auf dem Standpunkte, daß  h e u t e  n o c h  diese vielumstrittenen Fragen zu wenig geklärt sind, als daß man ein endgiltiges Verwerfungsurteil fällen dürfte.  G e r e c h t i g k e i t  muß walten, auch gegenüber dem von  A l l e n  Beschuldigten.


Freistatt vom 16. 4. 1910



K a r l  M a y .

Es stand nicht anders zu erwarten, als daß die gesamte Presse auf das eingehendste von der Durchführung der Beleidigungsklage Notiz nehmen werde, welche eben vor dem Gerichte in Charlottenburg zum Austrag kam. Karl May hatte den Redakteur des ›Bund‹, Rudolf Lebius, einen der wütendsten Vorkämpfer der gelben Gewerkschaften, wegen Beleidigung verklagt, weil Lebius den Schriftsteller May einen ›geborenen Verbrecher‹ in einem Brief an eine Dame genannt hatte. Lebius ließ durch seinen Rechtsanwalt den Beweis für seine Behauptung erbringen. Rechtsanwalt Bredereck stellte fest, daß May Freiheitsstrafen in der Höhe von 6 Wochen Gefängnis, 4 Jahren Zuchthaus und 4 Jahren schweren Kerkers erhalten habe, sämtliche Strafen wegen gemeinen Diebstahls und Raubes, denn - Karl May ist in seinen jungen Jahren Räuberhauptmann im Erzgebirge gewesen. Als solcher war er so fürchterlich, daß ihn nicht einmal das aufgebotene Militär, geschweige denn die tüchtige sächsische Polizei dingfest machen konnte; erst in Mailand, wo er im Fiebertraum seine eigenen Schandtaten erzählte, erwischte man den Verbrecher und führte ihn der gebührenden Strafe zu.  N a c h  r e i c h l i c h  4 0  J a h r e n , als May schon längst ein berühmter und an Neidern der reichste Schriftsteller geworden war, erfährt jetzt auch die breite Öffentlichkeit, welch schlechter Mensch May ist, welche Strafen er hinter sich hat und wie wenig er berechtigt ist, der Jugend anständige Bücher in die Hand zu geben, er, der selbst unter dem  V e r d a c h t  steht, einmal sittlich nicht einwandfreie Bücher geschrieben zu haben und der noch dazu ein literarischer Dieb


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und Fälscher ist, wie P. Ansgar Pöllmann sagt, der hartnäckigste Mayfeind [!]. Die Verhandlung in Charlottenburg endigte mit der Freisprechung des Lebius, weil ihm der Schutz des § 193 zugebilligt wurde. Damit ist gleichzeitig - wenigstens beweisen das die mit anerkennenswerter Präzision in gleichem Wortlaut in den verschiedensten Zeitungen erscheinenden Verhandlungsberichte - Karl May gerichtet, er ist tatsächlich der ›geborene Verbrecher‹, seine Strafliste ist richtig in die Welt posaunt, kurz, alles, was Mays liebevolle Gegner bisher gesagt und verbreitet haben, ist zutreffend und es war noch eine Unverschämtheit von May, daß er das nicht ruhig einsteckte, sondern Klage stellte.

  Betrachten wir uns aber die Sache einmal etwas näher, nicht in der Rolle des bedingungslosen und auch vielleicht unberufenen Verteidigers, sondern vom gerechten, menschenfreundlichen Standpunkt aus, der erst dann vom Nächsten das Schlimme glaubt, wenn es einwandfrei erwiesen ist. So zu handeln, sind wir wenigstens in der Jugend gelehrt worden, als wir noch den Katechismus zu bewältigen hatten. Also sine ira et studio!

  Bei der Verfolgung der Mayaffäre und namentlich jetzt wieder tritt uns unwillkürlich das Bild vom gehetzten Eber vor Augen, der unter den Bissen der Hunde zusammenbricht. Und weidwund ist der Eber jetzt. Es gibt allem Anschein nach in der Vergangenheit Mays einen wunden Punkt, den er am liebsten der Oeffentlichkeit entziehen möchte. Es scheint dies auch dadurch bestätigt zu werden, daß May selbst zugibt, vorbestraft zu sein. Entschieden aber stellt May in Abrede, daß die ihm gemachten Vorwürfe stimmen, sein einstmaliges Vergehen sei ein anderes. Gut, warum aber sagt Karl May nicht,  w e l c h e r  A r t  seine Vorstrafe ist, warum läßt er die Meinung offen, daß er wirklich fast 10 Jahre hinter schwedischen Gardinen verbracht hat? Das macht Mays Freunden die Verteidigung so schwer, daß er niemals den Stier bei den Hörnern packt, sondern in langatmigen Ausführungen stets auf Umwegen seinen Gegnern sich stellt. Warum kein entschiedenes Dementi? Warum keine positive, durch Aktenmaterial belegte Behauptung? Ist es in seinem letzten Prozeß in Charlottenburg nicht wieder gerade so gewesen? Bei aller Vorliebe für May muß da der objektive Beobachter stutzig werden, wenn es sich wirklich auch  n u r  u m  d i e  P e r s ö n l i c h k e i t  M a y s , nicht um den  z u  w e r t e n d e n  S c h r i f t s t e l l e r  handelt. In dieser Beziehung hat die ›Augsburg. Postzeitg.‹ recht, wenn sie sagt, daß May gänzlich einwandfreie Bücher geschrieben habe und für Vergangenes nicht mehr verantwortlich gemacht werden dürfe. Den Gegnern Mays - und meist sind es die verbissensten Katholikenfresser und jene, welche durch den von May auf die Jugend geübten veredelnden Einfluß ihre Felle davonschwimmen sehen - ist die  P e r s o n  M a y  völlig gleichgültig, soweit sie zu ihren edlen Motiven nicht auch noch den Neid als Waffe führen, sondern die gesunde Moral des Schriftstellers, seine sittlich reinen Werke sind es, welch ihnen in das Handwerk pfuschen. Die Katholiken sollten deshalb gegen May nicht so schroff Front machen. Selbst wenn in seinen jüngeren Jahren sein Leben kein makelloses war, so darf das später nicht mehr behauptet werden,


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denn jeder Mensch kann umkehren. Es ist nicht richtig, daß er sich als Moralprediger gibt und sich selbst als Mustermenschen hinstellt. Es gibt keinen so tadellosen und mit allen Vorzügen des Geistes und Körpers zugleich ausgerüsteten Menschen, wie ihn die ›Ich-Person‹ in den Mayschen Reiseerzählungen darstellt, sondern May wollte den Edelmenschen zeichnen, der der Fehler entkleidet und mit Vorzügen überreich ausgestattet ist.

  Ein anderer Gegner, den wir nicht zu den vorgenannten Widersachern rechnen, ist P. Ansgar Pöllmann O.S.B., der als literarischer Kritiker May gegenübertritt. Es gefällt uns auch von ihm nicht, daß er die  P e r s o n  M a y s  zum Hauptgegenstand seiner Kritik in den ›Kritischen Spaziergängen‹ macht und nur kurz die Plagiate Mays zeigt. Diese Plagiate sind sämtliche  g e o g r a p h i s c h e r  oder  e t h n o g r a p h i s c h e r  N a t u r , die an der Schilderung der Reiseerzählungen gar nichts ändern. Freilich wäre es anständig von May gewesen, offen die Quellen zu zitieren, dann wäre er der Beschuldigung, ein Plagiator zu sein, entgangen. Ob die Reisen von May alle  s e l b s t  gemacht worden sind, ist eine Frage von untergeordneter Bedeutung; nur kurz wollen wir sagen, daß ein solcher Unsinn nicht geglaubt werden soll, May sei über Deutschlands Grenzen nicht hinausgekommen. Im gleichen Prozeß wurde beispielsweise konstatiert, daß May in  M a i l a n d  erkrankt ist. Hat also May wirklich  n i e m a l s  Deutschland verlassen? Von den anderen zahllosen Beweisen (Karten, Briefe usw.) dafür, daß May gereist ist, wollen wir heute schweigen.

  Wir sind zu Ende. Unsere Ausführungen geben ein anderes Bild wie die gehässigen Prozeßberichte. Möchte doch May die angekündigte Selbstbiographie bald erscheinen lassen, sie wird seine Gegner am besten aufklären. Enthält diese Selbstbiographie die Wahrheit und nur die strengste Wahrheit, so wird sie besser wirken als tausend Prozesse mit glücklichem Ausgang.         H. W

[Gesperrte Aussagen sind im Original fettgedruckt.]


Donau-Zeitung vom 15. 4. 1910, Morgenausgabe


Karl May.

Man ist es bereits gewöhnt, dass in letzter Zeit in Deutschland sich ganz unglaubliche Dinge ereignen. Zum Beispiel: Die Eulenburg Processe, die Grete Beyer, die Affaire des Seearsenals, um von den Zuständen in den Colonien gar nicht zu sprechen.

  Eine gar abscheuliche Sache hat sich aber da unlängst abgespielt.

  Ein greiser Reiseschriftsteller und Dichter, dessen Werke bereits seit Jahrzehnten in aller Welt verbreitet sind und der den Ruf der deutschen Literatur in aller Herren Länder erhöht hat, wird von einem Schöffengerichte auf Grund zweifelhafter Beweise zum Plagiator und Zuchthäusler degradiert.

  Dreissig Jahre hat er seine unsterblichen Werke geschaffen zur Ehre des deutschen Namens; es hat sich niemand gefunden, der diesen grossen Mann angetastet hätte, nur jetzt auf einmal fällt es der Konkurrenz und dem Brotneide ein, über ihn den Stab zu brechen.


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  Ich glaube gerne, dass es für ›Schriftsteller‹, deren Name nicht über die Grenzen einer Tischgesellschaft hinausreicht, nicht angenehm ist, wenn sie es hören, dass der verachtete Gegner Millionen Exemplare seiner Werke anbringen kann. Aber, dass sich dann ein Gericht findet, mit dessen Assistenz eine in Ehren ergraute Feder ruiniert werden kann, das sollte man im zwanzigsten Jahrhundert kaum für möglich halten.

  Ob es gelungen ist: Karl May's Nimbus von der Fläche der Litteraturgeschichte auszulöschen, das glaube ich kaum. Im Gegenteil! Dieser Prozess hat ihm genützt, war ein Reklamestück für den vielgelesenen Autor, der nun noch grösseren Absatz für seine Schöpfungen finden wird.

  Die deutsche Jugend ist in den Ideen des Karl May aufgewachsen. Keine Pressecampagne, keine Gerichtsurteile werden aus den Herzen von Millionen einen Old Shatterhand, einen Winnetou, eine Marah Durimeh ausrotten.

  Die Geisterschmiede in Kulub, das Feenschloss des Mir von Dschinnistan, die Farm des Bloody-Fox und die übrigen Schaffungen seiner bewundernswerter [!] Phantasie, wären den [!] wirklich Plagiate?

  Sind denn die Silberbüchse, der Henrystutzen, der Bärentöter nur in einem Krämerladen in Dresden angekauft worden, um in der radebeuler [!] Villa ›Old Shatterhand‹, zum Betrug der Mayschen Leser hingestellt zu werden.

  Ist denn der radebeuler [!] Schulmeister wirklich nur ein kleiner Zuchthäusler und bedauernswerter Plagiator?

  Aber nun Spass bei Seite!

  Warum melden sich denn die Autoren nicht von denen May angeblich: ›Winnetou‹, ›Old Surehant‹ [!], ›Satan u. Iskariot‹ [!], ›Durch die Wüste‹, ›Von Bagdad nach Stambul‹, ›Durchs wilde Kurdistan‹, ›In den Schluchten des Balkan‹, ›Durch das Land der Skipetaren‹, ›Der Schut‹, ›Am stillen Ozean‹, ›In den Cordilleren‹, ›Am Rio de la Plata‹, ›Im Lande des Mahdi‹, ›Orangen und Datteln‹ u.s.w. wie seine herrlichen Werke alle heissen, dieselben gestohlen hat? Und wer ist denn der originelle Verfasser der ›Himmelsgedanken‹, des Dramas »Babel und Bibel?«

  Ich glaube, wenn May de facto Plagiator wäre, hätten sich die Autoren gemeldet. Wohl beschuldigt ihn der Benediktiner Pöllmann, aber Beweise kann er nicht anführen, ebensowenig als Dr. Cardauns, deren Missgunst vielleicht nicht so sehr dem Schriftsteller May, als dem Protestanten May gilt.

  Dass Redakteur Lebius ihn dadurch vernichten will, dass er dem siebzigjährigen Greis Jugendsünden vorwirft, für welche er längst gebüsst, ist unmenschlich und diskreditiert nicht Karl May, sondern seine Gegner.

  Uns speziell interessiert Karl May als Reiseschriftsteller, dessen Schilderungen für Jung und Alt manche schöne Stunde verschafft haben.

  Kein Schriftsteller versteht es besser, als dieser Gnadenmann, auf das menschliche Gemüt einzuwirken. Es ist eine ganz unbeschreibliche Wonne, ihn zu lesen und aus der eintönigen Umgebung des alltäglichen Lebens ihm


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ein bischen in die freie Gottesnatur, auf die unendliche Prärie, in die Schluchten des Balkan zu folgen. Wer Karl May nicht gelesen, versteht ihn nicht, der ihn aber liest und versteht, dem kann man es mit Verdächtigungen nicht beweisen, dass der radebeuler [!] Schulmeister niemals über die Grenzen des Sachsenlandes hinausgekommen ist, und nur ein schwacher Plagiator sei.

  May hat sich mit seiner Feder einen Weltruf geschaffen und wird denselben als Reiseschriftsteller, Dichter und besonders interessanter Psycholog für immer behaupten.


Veridicus


Der Tourist vom 14. 5. 191069


  M o r a l s i m p e l e i .

  Horrido! Hussassa!

  Fort über Stock und Stein tobt die wilde Jagd. Die Jäger kreischen, die Meute kläfft. Piff, paff, puff! Wars ein Schuß der knallte oder hat es aus hundert Flinten geblitzt? Gleichviel: das gehetzte Wild liegt; es ist glücklich zur Strecke gebracht. Halali!

  Und das liebe deutsche Vaterland ist wieder einmal gerettet.

  Gerettet vor wem? Natürlich vor Karl May, dem Räuberhauptmann. Gestern rot, heute tot. Gestern ein vielgepriesener, vielgelesener Autor, von manchem wie eine Art Halbgott verehrt, heute ein geborener Verbrecher, ein Abschaum der Menscheit, ein Scheusal, das in die Wolfsschlucht gehört. Hinunter damit!

  Tausend Hände greifen zur Feder, tunken sie in die Tinte, wo sie am schwärzesten ist und vollenden das verdienstliche Werk. Und alles, was Philister heißt, schmunzelt behaglich, wenn es im Morgen- oder Abendblatt die erschröckliche Mär liest, so sich betitelt: Karl Mays Glück und Ende.

  Für den vorurteilslosen Betrachter freilich ist dieser ganze biedre Entrüstungsrummel weiter nichts als eine ungeheuerliche Moralsimpelei, oder, wie der Berliner drastisch zu sagen pflegt, Moralfatzkerei, wie wir dergleichen freilich im angestammten Lande der Philister beiderlei Geschlechts, im heiligen römischen Reich deutscher Nation, seit langem gewöhnt sind. Im Reich Herrmanns des Cheruskers, der nach Kleist ein so durchtriebener, gerissener Intrigant, nach dem Urteil seiner germanischen Brüder dagegen ein echter blondbärtiger Teutone mit der groben Faust und dem goldenen Herzen unterm Schuppenpanzer war. In diesem Reiche, wo jeder dritte Mann, sobald es um Dinge geht, die nicht im behördlichen Sinne stubenrein sind, sich als waschechter Moralfatzke entpuppt.

  Moralfatzke! Das treffende Wort stammt, sofern ich mich recht erinnere, von keinem geringeren als von Wildenbruch. Er hat es zum mindesten in seiner ›Haubenlerche‹ litteraturfähig gemacht.

  Aber greifen wir zu Karl May zurück. Was ist denn nun eigentlich so Entsetzliches geschehen, um alle Gutgesinnten wider den Mann auf die Schanze zu rufen? Ihn in einer wahren Schlammflut von Moral meuchlings zu ersticken?


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  Karl May hat, wie sich in einem kürzlich vor dem Charlottenburger Schöffengericht verhandelten Prozesse herausstellte, keine einwandfreie Vergangenheit. Er ist vorbestraft. Öfters sogar, und sehr schwer. Erst mit Gefängnis, dann zweimal mit Zuchthaus. Für Delikte, die sich als Diebstahl und Einbruch charakterisieren. Mehr noch: er hat, wie sein Namensvetter Karl in den Schillerschen ›Räubern‹, zwar nicht in den böhmischen Wäldern, aber im sächsischen Erzgebirge eine veritable Räuberbande gebildet, nach berühmten Mustern eine komfortabel ausgestattete Höhle bewohnt, Marktfrauen und andere harmlose Individuen überfallen und mit seinem Räuberkollegen Krüpel [!] allerhand sonstigen Unfug getrieben. Was im Prozesse zur Sprache kam, hört sich für Zeitgenossen mit humoristischer Weltanschauung bisweilen recht lustig an. So der Streich, den die beiden, als eine militärische Razzia stattfand, der sächsischen Soldateska spielten. May zog sich, so wird erzählt, die Uniform eines Gefangenenaufsehers an, fesselte seinem Freunde Krüpel [!] die Hände und passierte so unbehelligt mit ihm die Militärkette. Ein andermal schrieb er renommistisch mit Kreide auf einen Wirtshaustisch: ›Hier haben May und Krüpel [!] gesessen und Brot und Wurst gegessen.‹ - Neckisch, nicht war?

  Für diese teils neckischen, teils verbrecherischen Taten hat dann Karl May harte Strafen zu leiden gehabt. Die Zeitungen registrieren acht Jahre Zuchthaus, die er absitzen mußte. Acht Jahre! Man braucht kein Zuchthaussträfling gewesen zu sein, um sich doch mit einem geringen Aufwand an Phantasie vorstellen zu können, was eine solche Strafe bedeutet. Noch dazu in einer Zeit, in der unendlich schlimmere Zustände in deutschen Zuchthäusern herrschten wie heutzutage, wo der Strafvollzug, dank der regen Agitation der demokratischen Presse, um achtzig Prozent humaner geworden ist. Denn Mays Strafen fallen in seine Jugend, die weit zurückliegt; der Räuberhauptmann von anno dazumal zählt jetzt achtundsechzig Jahre, hat also die Schwelle des Greisenalters bereits überschritten.

  Sind acht Jahre Zuchthaus keine ausreichende Sühne? Wer ist Pharisäer genug, eine Stein auf den Mann zu werfen, der so hart die begangenen Jugendsünden gebüßt hat?

  Und wer will sich vermessen, wegen dieser Jugendsünden, und mögen sie noch so schwer ins Gewicht fallen, kurzerhand den Stab über ihn zu brechen? Der Mensch ist, wie die moderne Wissenschaft lehrt, das Produkt des Milieus, in dem er aufwuchs. Wer kennt dieses Milieu bei Karl May so intim, daß er sich ein Urteil über die Motive bilden könnte, die den blutjungen Burschen auf die schiefe Ebene drängten? Ich finde in den Zeitungen kein Wort darüber erwähnt. Finde auch kein Wort über das Temperament des Knaben, das jedenfalls hitziger und leidenschaftlicher war als das normal veranlagter Altersgenossen. Wer weiß: vielleicht war nur eine gewisse romantische Abenteuersucht schuld an dem ersten Schritt auf der abschüssigen Bahn, die, einmal betreten, unter neunundneunzig Fällen von hundert zum endgiltigen Verderben, zum Gewohnheitsverbrecher und ewigen Zuchthauskandidaten führt.


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  Karl May hat sich hier mit respektablem Anstand aus der Affäre gezogen. Er hat die Verbrechen, die er beging, nicht nur durch Zuchthausstrafen, er hat sie durch ein langes arbeitsames Leben gesühnt. Es gehört wirklich eine tüchtige Portion Moralfatzkerei dazu, ihm jetzt immer wieder mit verbissener Gehässigkeit unter die Nase zu reiben, was er längst innerlich überwunden, was er durch eisernen Fleiß, durch eine seltene Ausdauer in der Entwicklung der ihm verliehenen Geistesgaben tausendfach gutgemacht hat.

  Beim Niederschreiben des Wortes ›Geistesgaben‹ höre ich förmlich das Hohngelächter, das von allen Seiten heranbraust. Was? Dieser Schmierpeter, dieser Kolportageromanschreiber, dieser litterarische Hochstapler und - ›Geist‹? Jeder ehrliche Moralfatzke fährt aus der Haut und gebärdet sich wie toll. Das fehlte gerade noch, diesem Verderber der deutschen Jugend, dessen gesammelte Schriften am zweckmäßigsten lieber heute als morgen öffentlich verbrannt würden, ein Fünkchen ›Geist‹ unterzuschieben!

  Gemach, meine Damen und Herren: ich habe ja den über Nacht verfemten Karl May noch nicht unter die Klassiker versetzt. Nein: ein Schiller oder Goethe ist er nicht. Darin sind wir ohne weiteres einig. Aber einem Autor, der sich ein Lesepublikum erobert hat, das nach Hunderttausenden, vielleicht nach Millionen zählt, jedes Talent, jede geistige Regsamkeit absprechen zu wollen, ist nicht nur absurd, ist einfach lachhaft. Wo Rauch aufsteigt, brennt's! lautet eine alte Wahrheit. Und mag das Feuer, das auf dem geistigen Herde Karl Mays brennt, auch nur ein Feuerchen sein: unzählige haben sich daran gewärmt und sind ihm dankbar für diese Wärme gewesen. Es wäre ungerecht und grausam, ihm das Verdienst zu bestreiten, den Weg zum Herzen seiner Leser mit sicherm Instinkt gefunden und konsequent verfolgt zu haben.

  Nehmen wir doch die Verhältnisse so wie sie sind und treiben wir auch in der Litteratur ein bischen Realpolitik. Die Schiller und Goethe sind immer verzweifelt dünn gesät und dichten nur für verzweifelt wenige. Die kompakte Majorität der Leser sucht auch kompaktere Genüsse als Nektar und Ambrosia; sie lechzt nach irdischer, nicht nach göttlicher Speise, und stillt ihren Durst, statt aus dem kastalischen Quell, aus soliden Bierfässern. Die Köche und Küfer, die für das Bedürfnis der Menge sorgen, sind in ihrer Art sehr nützliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft; und ich sehe keine Ursache, einen Karl May niedriger zu taxieren als etwa die Schönthan, die Blumenthal-Kadelburg, oder die Blaustrümpfe à la Eschstruth und sonstige Allerweltsamüseure und Volksunterhalter. Alles sehr kluge, betriebsame Arbeiter im Weinberge des Herrn, die mit Eifer die Massenpsyche studieren und sich geschickt und geschmeidig ihr anzubequemen lernen. ...

  In dieser Kunst ist Karl May sicher ein Meister. Ich will hier keine Kritik über die Summe, über den Wert oder Unwert seines Schaffens geben. Schon, weil ich mich nicht dazu legitimiert fühle; ich habe nur spärliche Blicke in seine Bücher getan und kann daher nicht erschöpfend mitreden. Aber der Riesenerfolg, den diese Bücher gefunden haben, rechtfertigt meine Behauptung zur Genüge. Was ich davon kenne, hat mich gefesselt und in-


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teressiert, ohne mich tiefer zu bewegen oder bleibende Eindrücke bei mir zu hinterlassen; ich habe mich aber durchaus nicht veranlaßt gesehen, ihre Lektüre meinen Jungen zu verbieten, die mit offenbarer Lust die Mayschen Indianergeschichten verschlangen. Ich glaube freilich, ich hätte sie ihnen selbst dann nicht verboten, wenn ich diese abenteuerlichen Geschichten, um mich des landläufigen Ausdrucks zu bedienen, für ›schädlich‹ gehalten hätte. Du lieber Gott: was verträgt ein gesunder deutscher Knabenmagen nicht alles! Man soll da nicht gar zu tantenhaft zimperlich Zensur üben. Denn schließlich können die ›Räuber‹ oder der ›Götz‹, trotzdem sie für klassisch gelten, nicht minder schädlich auf die jugendliche Einbildungskraft wirken, als ein Mayscher Räuberroman! Meine Jungen haben sogar den Nick Carter vortrefflich verdaut. Wäre er ihnen verboten worden, sie hätten ihn hinterm Rücken des Zensors vermutlich erst recht gelesen!

  Kommen wir zum Schluß. Ist es nicht eine Moralfatzkerei sondergleichen, Zorn und Empörung in Kübeln über das Haupt eines alten Herrn auszuschütten, weil er in der Jugend, als ihn das Zuchthaus endlich entließ, nicht feste weiter gestohlen und eingebrochen, sondern erfolgreiche Bücher geschrieben hat? Daß er seine tastende Begabung zunächst an Kolportageromanen erprobte, mag mit der Not um den Lebensunterhalt, um die Bedürfnisse des Augenblicks, zu entschuldigen sein; ich kenne Dichter von Ruf, die in verzweifelter Lage desgleichen getan, ja, was schlimmer ist, abgeschrieben, also fremdes Eigentum stiebitzt haben. Daß später Karl May, als er seine besonderen Fähigkeiten entdeckt hatte, sich mit dem Nimbus des weitgereisten Gobetrotters, des Polyglotten umgab, ohne fremde Länder geschaut zu haben und fremder Sprachen mächtig zu sein, darf ihm in unserer reklamelüsternen Zeit nicht allzusehr verübelt, geschweige denn als Verbrechen angekreidet werden: berühmte Tenöre und Primadonnen bringen noch ganz andere Mätzchen auf, um von sich reden zu machen und dem staunenden Spießer Sand in die Augen zu streuen. Ich beneide den Moralsimpel nicht, der den Dresdener Cooper wegen dieser nachträglichen Schönheitsfehler in Grund und Boden verdammt. Nur eins rechne ich dem ehemaligen Räuberhauptmann ernstlich zum Vorwurf an: daß er vor Gericht nicht offen Farbe bekannt, daß er alles das, was ich zu seinen Gunsten hier ins Treffen schickte, nicht selber und doppelt so deutlich und nachdrücklich gesagt hat. Die Rolle als Drückebergers [!], die er vor dem Schöffengericht und vor der in ethischem Pathos schwelgenden Gegenpartei spielte, war seiner nicht würdig. Und er hatte es doch so leicht, die Sympathien auf seine Seite zu zwingen! Denn wer ist Herr Lebius? Wer kennt ihn? Was hat er geleistet? Mit solchem Ankläger fertig zu werden, dazu gehörte wahrhaftig nicht viel Kurage!

  Scherz bei Seite: fast unsere gesamte Presse hat sich bei dieser so plump und so roh in Szene gesetzten Moralhetze wieder einmal gründlich blamiert. Einen doch immerhin geistig nicht unbeträchtlichen Europäer, wie es Karl May ist, guillotiniert sie nach allen Regeln publizistischer Effekthascherei - und einem armseligen Tropf wie dem Hauptmann von Köpenick, dem in un-


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bewußtem Draufgängertum ein kecker Handstreich blind geglückt ist, der aber seitdem als kompletter Narr die diversen Erdteile unsicher macht, flicht sie unermüdlich in zahllosen Notizen und Artikeln den Lorbeer des großen Satirikers um die Stirn. (...)

  Sollte am Ende auch hier, bei dieser verfehlten und völlig sinnlosen Hinrichtung, der Neid der geistig Besitzlosen die bewegende Triebfeder sein?

  Von Karl May aber erwarte ich, daß er nicht länger sich scheu versteckt, nicht länger, was dunkel in seinem Erdenwallen ist, schamhaft verbirgt. Der Schleier ist einmal gelüftet; nun mag er auch ganz fallen. Der listenreiche, in so vielen Sätteln gerechte und zweifellos stark begabte Mann entschließe sich rasch, sein bestes Buch: die wahrheitsgetreue Schilderung seines Lebens, zu schreiben. Er entschließe sich zu dieser Generalbeichte mit allem sittlichen Ernst, dessen er fähig ist; er scheint mir, wie kaum ein anderer, berufen, uns ein menschliches Dokument ersten Ranges, ein erschütterndes Gemälde seelischer Irrungen und Wirrungen, zu liefern. Immer vorausgesetzt, daß er kein Haarbreit von der Wahrheit abweicht, mag sie auch noch so medusenhafte Züge tragen. Dieses Buch wird nicht nur sein bestes, es wird ohne Frage auch sein erfolgreichstes werden. Los!

Till


Die Raketen vom 27. 4. 1910


Nach dem Urteil vom 12. April 1910 verlor der Fall Karl May für die Presse - bis auf wenige Ausnahmen - zunächst einmal an Interesse. Meist handelte es sich um die großen überregionalen Blätter, für die der Fall Karl May erledigt war. Viele Redaktionen nahmen die Meldung, daß der Schriftsteller Berufung gegen das Charlottenburger Urteil eingelegt hatte, gar nicht mehr zur Kenntnis, obwohl May über das ihm gewogene Büro der ›Sächsischen Korrespondenz‹ den Redaktionen die Meldung zugehen ließ:


D i e  K a r l  M a y - A f f ä r e .

B e r l i n , 16. April. Schriftsteller Karl May hat gegen das den Redakteur Lebius freisprechende Urteil des Kgl. Schöffengerichts Charlottenburg  B e r u f u n g  angemeldet. Die Berufung soll ferner die Privatklage auf  v e r l e u m d e r i s c h e  Beleidigung ausdehnen. Entgegen seiner Haltung vor dem Schöffengericht hat Karl May seinen Berliner Rechtsanwalt bevollmächtigt, in der bevorstehenden Berufungsverhandlung ohne Rücksicht auf die noch schwebenden Prozesse  d i e  E i n z e l h e i t e n  d e r  M a y s c h e n  V e r g a n g e n h e i t  a n  d e r  H a n d  d e r  a m t l i c h e n  A k t e n  b e k a n n t z u g e b e n . (Wenn das schon beim letzten Prozeß geschehen wäre, hätte Karl May sich und seinen Freunden eine Unsumme von Unannehmlichkeiten ersparen können. D. Red.)


[Gesperrte Passagen sind im Original fettgedruckt.]


Donau-Zeitung vom 17. 4. 1910


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V. Zwischenspiel: Der ›Krügel-Prozeß‹


Noch vor der Berufungsverhandlung zum Charlottenburger Urteil galt es für Karl May, den Prozeß gegen Lebius' Hauptinformanten Hieronymus Richard Krügel, gegen den May am 10. März 1910 in Hohenstein-Ernstthal Klage eingereicht hatte, durchzustehen. Am 9. August 1910 mußte Krügel schließlich gegenüber dem angegriffenen Schriftsteller zugeben, daß er Rudolf Lebius einen Bären aufgebunden hatte und zudem große Teile der angeblichen Wahrheiten über Karl May von ihm und Lebius schlichtweg erfunden worden waren.70 Auch dieser Prozeß fand seinen Weg in die Presse, wenn auch das Rauschen im Blätterwald im Vergleich zum Charlottenburger Prozeß eher einem lauen Lüftchen glich:


M a y  u n d  L e b i u s .

Karl May hat Glück; es hat sich ihm ein Gegner in den Weg gestellt, bei dessen Anblick man unwillkürlich für den Winnetou-Dichter eingenommen wird. Dieser Gegner ist Herr Lebius, ein Mann, der nach mancherlei Irrfahrten bei den gelben Gewerkschaften angelangt ist und im Nebenamt Karl May vernichtet. Vor einigen Monaten kam es zwischen beiden zu einer Gerichtsverhandlung wegen Beleidigung, die für Lebius sehr günstig verlief.

  Lebius hatte behauptet, daß May in seiner Jugend eine Reihe schwerer Zuchthausstrafen erlitten habe und u. a. einmal Räuberhauptmann in den böhmischen Wäldern gewesen sei. Das Schöffengericht hielt den Wahrheitsbeweis im wesentlichen für erbracht und sprach Lebius frei.

  Inzwischen sind nun weitere Aufklärungen in der Sache erfolgt, die zwar noch sehr vieles im Ungewissen lassen, aber immerhin über einiges orientieren.

  Man kann danach mit einiger Bestimmtheit annehmen, daß die Behauptung des Lebius,  K a r l  M a y  sei wegen  s c h w e r e r  E i g e n t u m s d e l i k t e  vor langen Jahren  w i e d e r h o l t  v o r b e s t r a f t ,  r i c h t i g  i s t , daß dagegen die  r o m a n t i s c h e n  E i n z e l h e i t e n  über das Leben des Räubers May in den böhmischen Wäldern die Produkte der Phantasie äußerst  u n z u v e r l ä s s i g e r  Gewährsmänner sind.

  Die Situation Mays ist damit nicht gebessert; denn die kurzweiligen Ausschmückungen, um die es sich hier handelt, wären eher geeignet gewesen, den Delikten Mays einen Zug ins sozusagen Heroische zu geben und für den Täter eine Art von Respekt einzuflößen, etwa so, wie man der Tat des Hauptmanns von Köpenick einen gewissen Respekt nicht versagt hat. Damit ist es nun nichts, und es bleibt nur ein gewöhnlicher armer Sünder übrig, dessen Vorleben die Oeffentlichkeit gar nichts mehr angehen würde, wenn nicht seine schriftstellerische Tätigkeit zur Beschäftigung mit ihm gezwungen hätte.

  Steht also May nach den Aufklärungen der letzten Monate auf dem alten Fleck, so wird andererseits Lebius durch sie auf das allerschwerste belastet. Es stellt sich nämlich heraus, daß Herr Lebius bei seinen Bemühungen, Ma-


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terial gegen May zu sammeln, zu den anfechtbarsten Mitteln seine Zuflucht genommen hat. Ein Hauptgewährsmann des Lebius ist der Arbeiter Krügel in Hohenstein-Ernstthal, der jüngst vor Gericht seine Erzählungen über die Heldentaten Mays zurücknehmen mußte. Jetzt glaubt nun Herr May weiter festgestellt zu haben, daß Lebius den Krügel durch das Anerbieten von 2000 Mk. zu einer unwahren Aussage zu verleiten bemüht gewesen sei. Krügel hat darüber, wie der ›Hohenstein-Ernstthaler‹ mitteilt, vor einem Notar Bekundungen gemacht, über die ein ausführliches Protokoll aufgenommen worden ist: Nach dieser Aussage, die Krügel auf seinen Eid genommen hat, wird man alle weiteren Feststellungen des Herrn Lebius mit der größten Vorsicht aufnehmen müssen. Wir werden kaum in dem Verdacht stehen, mit Karl May zu sympathisieren; aber gegen die Art, wie Herr Lebius Material sammelt, muß jeder, wer er auch sei, in Schutz genommen werden.


Neue Würzburger Zeitung vom 28. 8. 1910



VI. Die Revision


Zwar wurde in der Berufungsverhandlung am 18. Dezember 1911 in Berlin-Moabit vor dem königlichen Landgericht das Charlottenburger Urteil revidiert und Lebius wegen schwerer Beleidigung zu 100 Mark bzw. 20 Tagen Gefängnis sowie zum Tragen der Kosten des Verfahrens verurteilt, doch ein Sieg für Karl May war das längst nicht mehr. Seit jenem Dienstag in Charlottenburg war der Schriftsteller spürbar dem physischen Verfall preisgegeben: Kuraufenthalte mehrten sich, Prozeßtermine mußten wegen Krankheit verschoben werden, Nervenfieber, Schlaflosigkeit und Lungenentzündung zehrten die letzten Kräfte auf und machten ihn zum Greis. Portraitfotos der letzten beiden Jahre sprechen da eine beredte Sprache. Auch seine Feder vertrocknet, kein Reiseroman erschien mehr. Sein Lebenswerk schien zerstört, sein Bemühen, aus dem Sumpf von Weberelend und Verbrechen herauszukommen und zu einem geachteten Bürger zu werden, war gescheitert; er war in einem gewissen Sinn vogelfrei, jeder konnte ihn seit jenen Apriltagen ungestraft beschimpfen. Er selbst bekennt: Ich bin nicht töricht genug, mir zu verheimlichen, daß man mich als einen Ausgestoßenen betrachtet, ausgestoßen aus Kirche, Gesellschaft und Literatur.71



VII. Juristische Anmerkungen von Claus Roxin72


»Der Charlottenburger Prozeß wirft mancherlei Rechtsfragen auf. Noch in der Berufungsinstanz wurde darüber gestritten, ob eigentlich das erste oder das zweite Urteil, das verurteilende oder das freisprechende, wirksam sei. Mit Recht wurde das zweite Urteil, also der Frei-


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spruch, als gültig angesehen. Denn die Urteilsverkündigung ist erst mit der mündlichen Bekanntgabe der Gründe beendet, die hier noch nicht erfolgt war. Bis dahin ist das Gericht nicht an seinen Ausspruch gebunden und kann noch wieder in die Verhandlung eintreten.73 Das Gericht durfte sich also noch korrigieren, so sonderbar ein solcher Vorgang wirken mußte.

  Dafür war das zweite Urteil freilich der Sache nach unrichtig. Das Gericht hat den Ausdruck ›geborener Verbrecher‹ anscheinend sowohl als eine dem Beweise zugängliche Tatsachenbehauptung nach § 186 wie als Formalbeleidigung nach § 185 StGB angesehen. Richtigerweise kam von vornherein nur eine Formalbeleidigung in Betracht, denn Lombrosos schon damals sehr umstrittene und inzwischen längst widerlegte Theorie von der Existenz geborener Verbrecher konnte als diskriminierender Ausdruck im privaten Briefverkehr eines kriminologisch völlig ungebildeten Menschen nicht als Behauptung beweisbarer Fakten gelten. Wenn das Gericht aber einmal annahm, hier sei ein Faktum angesprochen, das durch Sachverständige hätte geklärt werden können, dann hätte der Wahrheitsbeweis erhoben werden müssen, bevor auf § 193 StGB zurückgegriffen wurde;74 auch eine Beschränkung des Verfahrens auf § 185 StGB, wie sie das Gericht anscheinend vornehmen wollte, wäre dann nicht möglich gewesen. Bei einer Beweisaufnahme hätte sich dann ohne weiteres ergeben, daß ein Mensch, dessen letzte Straftat mehr als 40 Jahre zurücklag, der sich inzwischen zu Ansehen und Wohlstand emporgearbeitet hatte und außerdem nicht ein einziges der von Lombroso angenommenen Merkmale aufwies, keineswegs ein geborener Verbrecher sein konnte. Um das zu erkennen, hätte es nicht einmal eines Sachverständigen bedurft. Einer so leichtfertig falschen Tatsachenbehauptung hätte dann aber auch nicht der Schutz des § 193 StGB gewährt werden können.

  Ging man andererseits, wie es richtig gewesen wäre und worauf sich auch das Gericht bei der Entscheidungsfindung anscheinend beschränken wollte, von einer reinen Formalbeleidigung aus, so war darauf entgegen der Meinung des Gerichts § 193 StGB von vornherein nicht anwendbar. Denn diese Bestimmung kommt nach ihrem Wortlaut nicht in Betracht, wenn »das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht«. Eine schlimmere Diskriminierung als die Bezeichnung ›geborener Verbrecher‹ ist aber kaum denkbar. Es verschlägt demgegenüber nichts, wenn das Gericht unter Hinweis auf die »Anwendung des fachmännischen Ausdrucks« an der Beleidigungsabsicht des Angeklagten Lebius zweifelt. Denn erstens kann natürlich eine Beleidigung nicht dadurch gerechtfertigt werden, daß man sie in fachmännische Ausdrücke kleidet; wer einen anderen als verrückt oder idiotisch bezeichnet, begeht auch dann eine Beleidigung, wenn er sich dazu einer psychiatri-


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schen Terminologie bedient. Und zweitens ist nach richtiger, vom Reichsgericht allerdings nicht geteilter Auffassung eine Beleidigungsabsicht für eine Formalbeleidigung überhaupt nicht erforderlich;75 wenn es für eine Beleidigung nach § 185 StGB einer darauf gerichteten Absicht unbestrittenermaßen nicht bedarf, ist es nicht einzusehen, warum im Rahmen der Wahrnehmung berechtigter Interessen etwas anderes gelten sollte.«



VIII. Epilog


Um überhaupt die wahrhaft philiströse Entrüstung vieler über Werk und Person Karl Mays verstehen zu können, muß man einen genauen Blick in die Zeitgeschichte werfen. May hatte mit der Behauptung, er sei Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi und habe alle geschilderten Abenteuer wirklich erlebt, der Öffentlichkeit viel zugemutet. So mußte sich die Kritik einfach mit dem äußerst populären Schriftsteller auseinandersetzen. Daß dabei nicht nur die Fiktionalität der Old-Shatterhand-Legende, sondern auch die Tatsache herauskam, daß er Protestant und gar nicht Katholik war, obwohl er als Musterbeispiel eines katholischen Schriftstellers galt, war ein wichtiges Moment in der Auseinandersetzung.

  Entscheidend war aber der Hinweis, Karl May habe Kolportageromane unsittlichen Inhalts geschrieben. Schaut man in die Zeitungen anfangs des Jahrhunderts, so wird deutlich, in welche Situation May mit der Diskussion um seine Romane hineingeriet. Weite Kreise beteiligten sich an der vehement geführten Auseinandersetzung um Schmutz und Schund. Werke von Hackländer, Hauff und Dominik kursierten auf Entwurfslisten zum Schmutz- und Schundgesetz. Es wurden regelrechte Feldzüge gegen die Kunst unternommen. Diese trafen wenige Jahre später selbst so bekannte Künstler wie Paul Verlaine, Gottfried August Bürger und Friedrich Schiller, dessen ›Venuswagen‹ mit Lithographien von Lovis Corinth unter die Zensur fiel und beschlagnahmt wurde.76 Doch zunächst beließ man es bei einem Zusatz zum Strafgesetzbuch. Das Paragraphenpaket, die sogenannte ›Lex Heinze‹, wurde am 25. Juni 1900 im Reichstag beschlossen und beschäftigte sich neben verstärkten Strafvorschriften bei Kuppelei auch mit allgemeinen Fragen der Sittlichkeit.77

  Vom Autor angeblich unsittlicher Kolportageromane stammend, konnten, nein durften, nach dem Verständnis der Tugendwächter auch die Reiseerzählungen nichts anderes als Schmutz sein. Der Schluß vom Werk auf den Autor lag nahe, also stürzte man sich mit Freuden auf Lebius' Enthüllungen von Mays vermeintlicher ›Verbrecherlaufbahn‹: Beides, Werk und Schöpfer, mußten demnach entschieden bekämpft werden; da wurde jede sich bietende Möglichkeit, jede Chance des An-


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griffs dankbar wahrgenommen. Bei Karl May kam hinzu, daß er als moralisch unanfechtbar erschien und zudem noch als Erzieher der Jugend galt. Da war dann auch noch einmal die Fehde zwischen Lebius und May willkommener Anlaß, um den moralischen Zeigefinger zu heben.

  Bei all den Pressekampagnen für und wider Karl May, bei den Prozessen, die der Schriftsteller, besorgt um seine Reputation, ängstlich führte, geriet er schnell in ein Gemenge von Pressepolitik, konfessionellen Kämpfen und - nicht zuletzt - auch Parteien-Streit. Hainer Plaul hat das ausführlich dargelegt,78 und Harry Ziegler geht in diesem Jahrbuch79 den Ursachen dafür nach.

  Da ging es auch im Gefolge des Charlottenburger Urteils längst nicht mehr nur um den Alten aus Radebeul, vielmehr hatte sich das sogenannte ›Karl-May-Problem‹ zu einem Problem der Deutschen entwickelt. Denn: War dieser rauschhaft daherschwadronierende Fabulierer, dem Jung und Alt nachliefen, der für Friede und gegen Unterdrückung in einer Zeit eintrat, wo doch allenthalben schon vom Krieg als heilsamem Gewitter geredet wurde, war er nicht ein Stachel im Fleisch vieler und eine Art Fremdkörper? Paßte Karl May gerade dadurch nicht in die herkömmlichen Schablonen?



Anhang


Folgende Artikel wurden für die vorliegende Arbeit durchgesehen. Ungefähr 80 % der Artikel basieren auf den Mitteilungen des Korrespondenzbüros Schweder und Hertsch bzw. sind in Anlehnung an diese gehalten.


Herrn Wolfgang Sämmer, der diese Zeitungsartikel zur Verfügung stellte und die Zitate daraus für diesen Aufsatz überprüfte, sei an dieser Stelle herzlich gedankt.


ZeitungDatumÜberschrift
Aachener Anzeiger13. 4. 1910(Rubrik: Vermischtes)
Aachener Anzeiger15. 4. 1910Karl May
Amberger Tagblatt18. 4. 1910(Rubrik: Vermischtes)
Aschaffenburger Zeitung13. 4. 1910Karl May (Mittagausgabe)
Augsburger Abendzeitung20. 4. 1910(Rubrik: Nichtpolitische Zeitung)
Badener Tagblatt14. 4. 1910(Rubrik: Verschiedenes)
Barmer Zeitung13. 4. 1910Ein Beleidigungsprozeß von Karl May
Bayerischer Kurier14. 4. 1910Karl May vor seinen Anklägern
Bergisch-Märkische Zeitung13. 4. 1910Karl May's Moralische Verurteilung
Berliner Morgenpost13. 4. 1910Aus den Jugendtagen des Schriftstellers Karl May
Berliner Morgenpost17. 4. 1910Karl May. Räuberromantik des Räuberhaupmanns


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Bielefelder General-Anzeiger13. 4. 1910Prozeß May-Lebius
Bielefelder General-Anzeiger14. 4. 1910Karl May vor Gericht
Bonner General-Anzeiger13. 4. 1910Privatklage-Prozeß Karl May
Braunschweiger Allgemeiner Anzeiger13. 4. 1910Karl May vor dem Gericht
Braunschweigische Landeszeitung13. 4. 1910Schwere Anklagen gegen den Reiseschriftsteller Karl May
Braunschweiger Neueste Nachrichten14. 4. 1910Der Beleidiger Karl Mays freigesprochen
Buersche Zeitung14. 4. 1910(Rubrik: Aus aller Welt)
Casseler Allgemeine Zeitung12. 4. 1910(Rubrik: Letzte Nachrichten)
Coblenzer Zeitung13. 4. 1910Der Prozeß gegen Karl May
Coblenzer-Volks-Zeitung13. 4. 1910
Coburger Zeitung14. 4. 1910
Cuxhavener Tageblatt14. 4. 1910(Rubrik: Aus dem Reiche)
Das Volk, Lokalausgabe Siegen14. 4. 1910Ein aufsehenerregender Beleidigungsprozeß
Der Hohenstaufer. Göppinger Tageblatt13. 4. 1910Karl May überwiesen
Der Tourist14. 5 1910Karl May
Die Freistatt16. 4. 1910Zum Prozeß May-Lebius
Die Raketen27. 4. 1910Moralsimpelei
Die Zeit15. 4. 1910Der Zuchthäusler als Erzieher
Donau-Zeitung15. 4. 1910Karl May
Donau-Zeitung17. 4. 1910Die Karl May-Affäre
Dresdner Rundschau30. 4. 1910Ein Vielverehrter und Vielverfolgter
Echo der Gegenwart13. 4. 1910Die Wahrheit über Karl May (Morgenausgabe)
Echo der Gegenwart13. 4. 1910Die Entlarvung Karl Mays
Elberfelder Generalanzeiger23. 4. 1910(Rubrik: Lokales)
Erlanger Tagblatt13. 4. 1910Karl May
Frankfurter Zeitung13. 4. 1910(Rubrik: Tagesrundschau)
Fränkische Tagespost13. 4. 1910Karl May gegen Lebius
Fränkische Zeitung13. 4. 1910(Rubrik: Gerichtsverhandlungen)
Fränkisches Volksblatt15. 4. 1910Karl May endgültig entlarvt
Fränkisches Volksblatt20. 4. 1910Karl May
Freie Stimme14. 4. 1910Karl May
Freie Stimme17. 4. 1910Neuestes von Karl May
Fuldaer Zeitung13. 4. 1910Karl May vor Gericht
Gelsenkirchener Zeitung12. 4. 1910Neuestes von Karl May
Gelsenkirchener Zeitung13. 4. 1910Ein Prozeß in der Karl May-Affäre
Gelsenkirchener Zeitung14. 4. 1910Karl May als Kläger


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Gelsenkirchener Zeitung18. 4. 1910Karl May als Kläger
General-Anzeiger15. 4. 1910Karl May
Generalanzeiger für Bonn und Umgebung15. 4. 1910Karl May als Kläger (Abendausgabe)
Generalanzeiger für Bonn und Umgegend15. 4. 1910Privatklage-Prozeß Karl May (Morgenausgabe)
Generalanzeiger für Elberfeld-Barmen13. 4. 1910Karl May gerichtet
Goslarsche Zeitung13. 4. 1910Karl May und sein Prozeßgegner
Göttinger Tageblatt14. 4. 1910Der hineingefallene Karl May
Hanauer Zeitung13. 4. 1910(Rubrik: Gerichtszeitung)
Hildesheimer Allgem. Zeitung u. Anzeigen13. 4. 1910Der wahre Karl May
Hildesheimer Allgem. Zeitung u. Anzeigen17. 4. 1910(Rubrik: Gerichtszeitung)
Hofer Anzeiger15. 4. 1910Schriftsteller Karl May als Privatkläger
Ingolstädter Tagblatt14. 4. 1910
Ingolstädter Zeitung16. 4. 1910
Ingolstädter Zeitung17. 4. 1910Karl May
Iserlohner Kreisanzeiger13. 4. 1910Die Entlarvung Karl Mays
Karlsruher Tagblatt13. 4. 1910Karl May - ein Räuberhauptmann
Kieler Zeitung13. 4. 1910(Rubrik: Vermischte Nachrichten; (Abendausgabe)
Konstanzer Zeitung14. 4. 1910Karl May - ein ›geborener Verbrecher‹
Konstanzer Zeitung15. 4. 1910Vom Jugendschriftsteller Karl May
Landshuter Zeitung14. 4. 1910(Rubrik: Gerichtssaal)
Leipziger Abendzeitung15. 4. 1910Old Shatterhand
Leipziger Neueste Nachrichten14. 4. 1910Eine gefallene Größe
Lübecker Generalanzeiger14. 4. 1910Karl May als Kläger
Ludwigsburger Zeitung /Tagblatt14. 4. 1910(Rubrik: Gerichtssaal)
Mainzer Anzeiger13. 4. 1910
Mainzer Journa13. 4. 1910Karl May
Mainzer Tagblatt13. 4. 1910Karl May vor Gericht
Märkischer Sprecher13. 4. 1910Die Anklagen gegen Karl May
Minden-Lübbecker Kreisblatt14. 4. 1910(Rubrik: Vermischtes)
Mindener Zeitung14. 4. 1910Karl May als Kläger
Nachrichten für Stadt und Land13. 4. 1910(Rubrik: Unpolitisches)
Neckar Zeitung13. 4. 1910Karl May's Entlarvung
Neue Konstanzer Abendzeitung14. 4. 1910Karl May's ›Räuberleben‹ (Teil 1)
Neue Konstanzer Abendzeitung15. 4. 1910Karl May's ›Räuberleben‹ (Schluß)


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Neue Würzburger Zeitung14. 4. 1910Karl May's Entlarvung
Neue Würzburger Zeitung15. 4. 1910Karl May gerichtet
Neue Würzburger Zeitung17. 4. 1910Ein Epilog zum Karl May-Skandal
Neue Würzburger Zeitung22. 4. 1910(Rubrik: Vermischtes)
Niederrheinische Volkszeitung13. 4. 1910(Rubrik: Vermischtes; Mittagausgabe)
Nordbayrische Zeitung13. 4. 1910Karl May am Pranger
Oberhessische Zeitung14. 4. 1910(Rubrik: Unpolitische Tagesnachrichten)
Ostfriesische Zeitung14. 4. 1910(Rubrik: Unpolitisches)
Paderborner Anzeiger13. 4. 1910Karl May
Pfälzische Post13. 4. 1910Der Jugendschriftsteller Karl May
Pfälzische Post14. 4. 1910Karl May als Kläger
Pfälzische Volkszeitung13. 4. 1910
Pfälzische Volkszeitung14. 4. 1910Karl May als gründlich blamierter Kläger
Recklinghäuser Volkszeitung13. 4. 1910Der Karl May-Prozeß
Reichenberger Zeitung13. 4. 1910Karl May, der »Jugendschriftsteller« als Fälscher, Dieb, Betrüger und Räuber entlarvt
Reichenberger Zeitung14. 4. 1910Karl May am Pranger
Schwäbische Tagwacht13. 4. 1910Der Prozeß May kontra Lebius
Schwarzwälder Kreiszeitung14. 4. 1910(Rubrik: Gerichtszeitung)
Siegener Zeitung 14. 4. 1910Karl May vor Gericht
Soester Anzeiger13. 4. 1910Schriftsteller Karl May als Privatkläger
Soester Kreisblat13. 4.1910(Rubrik: Vermischtes)
Stuttgarter Neues Tagblatt13. 4. 1910Der Schriftsteller Karl May
Stuttgarter Neues Tagblatt14. 4. 1910Der neueste Karl May
Trierscher Volksfreund14. 4. 1910Zerstörter Nimbus
Tübinger Chronik13. 4. 1910
Ulmer Tagblatt13. 4. 1910(Rubrik: Gerichtssaal)
Volkswacht13. 4. 1910Schriftsteller Karl May als Privatkläger
Westdeutsche Landeszeitung13. 4. 1910
Westdeutsche Volkszeitung14. 4. 1910Karl May - ein Räuberhauptmann?
Westfälische Zeitung13. 4. 1910Der Beleidiger Karl Mays freigesprochen
Westfälische Zeitung14. 4. 1910Karl May als Kläger
Westfälisches Tageblatt14. 4. 1910Die Anklagen gegen Karl May
Westfälisches Volksblatt13. 4. 1910(Rubrik: Vermischtes)
Wiesbadener Zeitung13. 4. 1910Der Karl May-Prozeß
Würzburger Generalanzeiger?  4. 1910Karl May - 8 Jahre im Zuchthaus
Würzburger Generalanzeiger29. 4. 1910Karl May will sich rehabilitieren
Würzburger Generalanzeiger15. 4. 1910Karl May vor Gericht
Würzburger Glöckli30. 4. 1910Karl May


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1 Brief Rudolf Lebius an Karl May vom 7. 4. 1904; zitiert nach Gerhard Klußmeier: Die Gerichtsakten zu Prozessen Karl Mays im Staatsarchiv Dresden. Mit einer juristischen Nachbemerkung von Claus Roxin (I). In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 1980. Hamburg 1980, S. 157-74 (157)

2 Zu Lebius siehe: Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg o. J. (1910). Hildesheim-New York 1975. Hrsg. von Hainer Plaul, S. 455ff.*, Anm. 293 von Hainer Plaul, sowie Jürgen Wehnert: Einführung (1. Kapitel: Zur Biographie von Rudolf Lebius). In: Rudolf Lebius: Die Zeugen Karl May und Klara May. Ein Beitrag zur Kriminalgeschichte unserer Zeit. Berlin-Charlottenburg 1910; Reprint Lütjenburg 1991 (Veröffentlichung aus dem Karl-May-Archiv Bd. 1), S. VII-XI.

3 Vgl. zu diesen Vorgängen: Hans Wollschläger: Karl May. Grundriß eines gebrochenen Lebens. Zürich 1976, S. 134ff.; Mays eigene Darstellung in: May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 2, S. 259-71.

4 Die Nr. 1 des ersten Jahrgangs der Dresdener Sonntagszeitung ›Sachsenstimme‹ erschien am 1. 2. 1904, Redakteur war Rudolf Lebius. Lebius erwarb die Zeitung am 4. 8. 1904. Ab dem 2. Jahrgang mußte Lebius laut Kaufvertrag den Namen der Zeitung ändern. Die Zeitung erschien in der Folge unter den unterschiedlichsten Titeln: ›Sachsenstimme‹, ›Sachsenstimme. Pilatus. Sächsische Sonntagszeitung‹, ›Pilatus. Sachsenstimme. Sächsische Sonntagszeitung‹ u. a. (Angaben nach: May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 2, S. 457f.*, Anm. 295 von Hainer Plaul).

5 Solche Artikel erschienen beispielsweise in der ›Dresdner Rundschau‹, »die das Material - nämlich die Lebius-Briefe vom 7. 4., 3. 5., 12. 7. und 8. 8. 1904 (siehe Selbstbiographie, S. 259, 263-266) sowie die anonyme Karte von Anfang September 1904 (siehe Selbstbiographie, S. 267/68) und das Lebius-Schreiben an Max Dittrich vom 15. 8. 1904 (siehe Selbstbiographie, S. 266) - in ihrer Ausgabe vom 18. 3. 1905 unter der Überschrift ›Ein ganzer Kerl‹ auszugsweise veröffentlichten.« (May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 2, S. 467*, Anm. 310 von Hainer Plaul).

6 Egon Grübel in einer Sendung ›Lebendige Geschichte von Radio DDR‹; ein Abdruck erfolgte in der ›Sächsischen Zeitung‹ vom 24. 12. 1987.

7 Vgl. die Dokumentation von Jürgen Seul: Karl May, Lebius und der ›Vorwärts‹. Die Geschichte einer wechselvollen Auseinandersetzung in der Zeit zwischen 1904 und 1914 im Spiegel des ›Vorwärts‹. Ahrweiler 1996.

8 Vgl. hierzu Mays Darstellung in: Mein Leben und Streben, wie Anm. 2, S. 275-90, und die dazugehörigen Anmerkungen von Hainer Plaul.

9 Die Umstände und der Prozeß sind dokumentiert bei Klußmeier: Die Gerichtsakten (I), wie Anm. 1, S. 143ff.

10 Der Brief wird weiter unten (in Kapitel ›III: Das Urteil‹) im Urteilstext mit unwesentlichen Auslassungen wiedergegeben. Der vollständige Text erschien in ›Die Freistatt‹. Wien. 2. Jg., Nr. 17 vom 30. 4. 1910; wiedergebeben in May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 2, S. 479f.*, Anm. 339 von Hainer Plaul.

11 zitiert nach: Lebius: Die Zeugen Karl May und Klara May, wie Anm. 2, S. 289; zum Begriff ›geborener Verbrecher‹ siehe: Hartmut Wörner: Vom ›geborenen Verbrecher‹. Karl May und die Verbrechenstheorien seiner Zeit. In: Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft (M-KMG) 78/1988, S. 3-9.

12 StGB § 186, Üble Nachrede

13 Lebius: Die Zeugen Karl May und Klara May, wie Anm. 2, S. 289ff.

14 Vgl. dazu Klußmeier: Die Gerichtsakten (I):, wie Anm. 1.

15 Vgl. dazu den Artikel der Wiener Zeitung ›Freistatt‹ vom 16. 4. 1910; der Text wird unten in Kapitel IV wiedergegeben.

16 Der von Fritz Barthel in ›Letzte Abenteuer um Karl May‹ (Bamberg 1955) gebrachte Augenzeugenbericht ist mit Vorsicht zu genießen, wenn man um die Entstehung dieses Buches weiß. Ursprünglich sollte dort die Revisionsverhandlung in Moabit am 18. 12. 1911 geschildert werden. Nachdem die Chronologie dann auf den Druckfahnen geändert wurde, blieb die immer noch falsche Uhrzeit des Prozeßherganges stehen. Fritz Barthel verließ nach eigenen Angaben den Gerichtssaal kurz vor 11.00 Uhr, nachdem er dem größten Teil des Geschehens beigewohnt hatte. Der Prozeß begann aber erst um 11.20 Uhr, schenkt man den Zeitungen Glauben. Dagegen trat man im


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Revisionsprozeß des Charlottenburger Urteils 1911 in Moabit nur wenig nach 9.00 Uhr in die Verhandlung ein.

  Als Leitfaden für die Schilderung des Prozeßhergangs dienten aus über 100 eingesehenen Artikeln der verschiedensten deutschen Zeitungen u. a. folgende Abdrucke:

-Westdeutsche Volkszeitung vom 14. 4. 1910
-Hildesheimer Allgemeine Zeitung und General-Anzeigen (Gerstenbergsche Zei tung) vom 14. 4. 1910
-Soester Anzeiger vom 13. 4. 1910
-Göppinger Tageblatt vom 14. 4. 1910
-Pfälzische Volkszeitung vom 14. 4. 1910;
-3. Beilage zum Lübecker Generalanzeiger vom 14. 4. 1910.

17 Nach: Braunschweiger Allgemeiner Anzeiger vom 13. 4. 1910

18 Mays Schriftsatz ist glücklicherweise erhalten geblieben, da er ihn im Prozeß May ./. Lebius vor dem Königlichen Amtsgericht Kötzschenbroda nochmals verwandte. Er wird wiedergeben in Klußmeier: Die Gerichtsakten (1), wie Anm. 1, S. 152-55.

19 Karl May: An die 4. Strafkammer des königlichen Landgerichtes III in Berlin, Schriftsatz zur Berufungssache May ./. Lebius aus dem Jahre 1911 (2. Fassung). Prozeßschriften Bd. 3. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1982, S. 114f.

20 »Rechtsanwalt Paul Bredereck (1877 - ?), der Verteidiger des Beklagten Lebius in den May-Prozessen von Charlottenburg und Moabit. Als gewohnheitsmäßiger Spieler 1912 wegen Veruntreuung von Mündelgeldern selbst gerichtlich verfolgt, wußte er sich der Verurteilung nur durch die Flucht zu entziehen. Nach dem ersten Weltkrieg nach Deutschland zurückgekehrt, beteiligte er sich aktiv am Kapp-Putsch; im kurzlebigen Kabinett Kapp fungierte er als Pressechef.« (Karl May. Biographie in Dokumenten und Bildern. Hrsg. von Gerhard Klußmeier und Hainer Plaul. Hildesheim-New York 1978, S. 270 (Legende zu Bild 658, einem Porträt Brederecks)

21 Vgl. dazu den von Lebius dem Gericht eingereichten Schriftsatz vom 22. 3. 1910, wiedergegeben in: Lebius: Die Zeugen Karl May und Klara May, wie Anm. 2, S. 289-96.

22 Zu den von May tatsächlich verübten Delikten vgl. Hainer Plaul: Auf fremden Pfaden? Eine erste Dokumentation über Mays Aufenthalt zwischen Ende 1862 und Ende 1864. In: Jb-KMG 1971. Hamburg 1971, S. 144-64; Ders: Alte Spuren. Über Karl Mays Aufenthalt zwischen Mitte Dezember 1864 und Anfang Juni 1865. In: Jb-KMG 1972/73. Hamburg 1972, S. 195-214; Klaus Hoffmann: Der »Lichtwochner« am Seminar Waldenburg. Eine Dokumentation über Karl Mays erstes Delikt (1859). In: Jb-KMG 1976. Hamburg 1976, S. 92-104; Ders.: Zeitgenössisches über ein »unwürdiges Glied des Lehrerstandes«. Pressestimmen aus dem Königreich Sachsen 1864-1870. In: Jb-KMG 1971, a. a. O., S. 110-21; Ders.: Karl May als »Räuberhauptmann« oder Die Verfolgung rund um die sächsische Erde. Karl Mays Straftaten und sein Aufenthalt 1868 bis 1870. 1. Teil. In: Jb-KMG 1972/73, a. a. O., S. 215-47; Ders.: Karl May als »Räuberhauptmann« oder die Verfolgung rund um die sächsische Erde. Karl Mays Straftaten und sein Aufenthalt 1868 bis 1870. 2. Teil. In: Jb-KMG 1975. Hamburg 1974, S. 243-75. Eine kurze Zusammenstellung findet sich in: Wollschläger: Karl May, wie Anm. 3, S. 29ff.

23 Nach: Soester Anzeiger vom 13. 4. 1910

24 Vgl. dazu Karl Lackner / Christian Kühl: Strafgesetzbuch mit Erläuterungen. München 211995, 187, Randnummer 7a.

25 Nach: Westdeutsche Volkszeitung vom 14. 4. 1910

26 Nach: 3. Beilage zum Lübecker General-Anzeiger vom 14. 4. 1910

27 Nach: Westdeutsche Volkszeitung vom 14. 4. 1910

28 Nach: 3. Beilage zum Lübecker General-Anzeiger vom 14. 4. 1910

29 Nach: Göttinger Tageblatt vom 14. 4. 1910

30 Nach: 3. Beilage zum Lübecker General-Anzeiger vom 14. 4. 1910

31 Nach: Soester Anzeiger vom 13. 4. 1910

32 Nach: Soester Anzeige vom 13. 4. 1910

33 Nach: 3. Beilage zum Lübecker General-Anzeiger vom 14. 4. 1910

33a Ebd.

34 Nach: Hildesheimer Allgemeine Zeitung und General-Anzeigen (Gerstenbergsche Zeitung) vom 13. 4. 1910


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35 Nach: 3. Beilage zum Lübecker General-Anzeiger vom 14. 4. 1910

36 Ebd.

37 Ebd.

38 Ebd.

39 Ebd.

40 Nach: Hildesheimer Allgemeine Zeitung und Anzeigen vom 13. 4. 1910

41 Ebd.

42 Ebd.

43 Ebd.

44 Ebd.

45 Ebd.

46 Ebd.

47 Ebd.

48 Nach: Reichenberger Zeitung vom 14. 4. 1910

49 Nach: 3. Beilage zum Lübecker General-Anzeiger vom 14. 4. 1910

50 Ebd.

51 Ebd.

52 Ebd.

53 Ebd.

54 Nach: Pfälzische Volkszeitung vom 14. 4. 1910

55 Nach: 3. Beilage zum Lübecker General-Anzeiger vom 14. 4. 1910

56 Ebd.

57 Vgl. Berliner Tageblatt vom 12. 4. 1910 und Reichenberger Zeitung vom 13. 4. 1910.

58 Nach: Berliner Morgenpost vom 13. 4. 1910

59 Lebius erhielt das Urteil erst am 1. Juni 1910. Zwischen dem Abdruck des Urteils bei Lebius: Die Zeugen Karl und Klara May, wie Anm. 2, S. 296ff., und bei Karl May (May: An die 4. Strafkammer, wie Anm. 19, S. 118ff.) gibt es leichte stilistische Unterschiede, die an der Sache aber nichts ändern.

60 May: An die 4. Strafkammer, wie Anm. 19, S. 118ff.

61 Elberfelder Generalanzeiger vom 23. 4. 1910

62 Vgl. Ekkehard Bartsch: Korrespondenz-Büro Schweder & Hertsch. In: M-KMG 14/1972, S. 27.

63 May: An die 4. Strafkammer, wie Anm. 19, S. 120

64 Vgl. Brief Klara May an einen unbekannten Empfänger vom 28. 12. 1910. In: Karl-May-Autographika Heft 1. Hrsg. von Volker Griese. o. O. 1995, S. 41.

65 In: Der Sturm (Berlin) vom 12. 5. 1910; abgedruckt in: Jb-KMG 1971. Hamburg 1971, S. 230-33

66 In: Elet (Budapest). 2. Jg., Nr. 18 (1. 5. 1910); abgedruckt in: M-KMG 78/1988 S. 53ff.

67 In: Würzburger Glöckli vom 30. 4., 7. 5, 14. 5.; der Beitrag wurde erneut abgedruckt in: Für und wider Karl May. Hrsg. von Siegfried Augustin. Materialien zur Karl-May-Forschung Bd. 16. Ubstadt 1995, S. 366-75 (Zitat, S. 369)

68 Dresdner Rundschau vom 30. 4. 1910

69 Das Pseudonym ›Veridicus‹ wurde von Ernö Vajda verwandt. Vgl. dazu Hans-Dieter Steinmetz: »Eine in Ehren ergraute Feder«. Eine Stimme aus Bosnien - nach dem Charlottenburger Urteil. In: M-KMG 79/1989, S. 43ff.; dort finden sich neben dem Artikel Vajdas auch biographische Daten zu Vajda.

70 Die Umstände und der Prozeß sind dokumentiert bei Gerhard Klußmeier: Die Gerichtsakten zu Prozessen Karl Mays im Staatsarchiv Dresden. Mit einer juristischen Nachbemerkung von Claus Roxin (II). In: Jb-KMG 1981. Hamburg 1981,S. 262-99.

71 May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 2, S. 313

72 Claus Roxin: Ein ›geborener Verbrecher‹. Karl May vor dem Königlichen Landgericht in Moabit. In: Jb-KMG 1989. Husum 1989, S. 9-36 (26f.)

73 »Ständige Rechtssprechung; zuletzt: Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen. Bd. 25 (1974), S. 333ff.; (335/336)«; ebd., S. 35, Anm. 38.

74 »Entscheidung des Bundesgerichtshofes in Strafsachen, Bd. 11 (1958), S. 273ff«; ebd., S. 35, Anm. 39.


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75 »Vgl. [Adolf] Schönke/ [Horst] Schröder/ [Theodor] Lenckner: Strafgesetzbuch, Kommentar, 231988, 193, Rdn. 27«; ebd., S. 35, Anm. 40.

76 Kurt Tucholsky: Der Zensor geht um. In: Gesammelte Werke. Bd. 2, Reinbek 1989, S. 444ff.

77 Vgl. Jürgen Seul: Karl May und die »Lex Heinze«. In M-KMG 115/1998, S. 10-17.

78 Vgl. Hainer Plaul: Literatur und Politik. Karl May im Urteil der zeitgenössischen Publizistik. In: Jb-KMG 1978. Hamburg 1978, S. 174-255.

79 Vgl. Harry Ziegler: Karl May. Plädoyer für einen kulturwissenschaftlichen Forschungsansatz. In: Jb-KMG 1998. Husum 1998, S. 176-92.





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