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WOLFGANG BRAUNGART


Erbauungsliteratur
Anmerkungen zu Karl Mays Lyrik*



Reinhold Wolff zum 60. Geburtstag




I.


Die folgenden Anmerkungen werden es niemandem recht machen: denen nicht, die, nicht zu Unrecht, Mays Lyrik scharf kritisieren - und kritisiert wurde sie von Anfang an. Und denen nicht, die, ebenfalls nicht zu Unrecht, Mays Lyrik nicht nur für einen Nebenaspekt seines Werkes halten und die sich vielleicht sogar von ihr angesprochen fühlen. Ich will zeigen, inwiefern sich Karl May mit seiner Lyrik zwischen alle Stühle gesetzt hat: Die katholisch-konfessionelle Publizistik mußte sich herausgefordert fühlen, weil hier einer in ihrem Revier wilderte. Den Ansprüchen der modernen deutschen Lyrik, die soeben erst durch Stefan George und Hugo von Hofmannsthal den Anschluß an die europäische Moderne gefunden hatte, konnte Karl May mit seiner Erbauungslyrik aber auch nicht genügen - und eben dies und nichts anderes sind diese Gedichte. Karl May schreibt seine Gedichte in einer Phase, in der er selber mehr und mehr einen dezidierten Kunstanspruch für sein Spätwerk zu erheben beginnt.


Man sollte einmal klar sagen, daß Mays lyrisches Schaffen kein entbehrlicher Teil des literarischen Werkes eines reinen Erzählers ist; vielmehr hat ihn die Gedichtform als eine besonders unmittelbare, auf der anderen Seite aber auch bisweilen besonders verrätselte und kunstvolle Form literarischen Schaffens stets interessiert und bewegt. In der Frühzeit wird die Lyrik in die wilden Prosaträume eingebaut, in der Reiseerzählungsphase meist verdrängt - und wenn sich lyrische Teile in den großen Reiseerzählungen finden, so handelt es sich zumeist um gefühlsbeladene Eruptionen wie ›Kennst du die Nacht‹ oder um eine lyrische Ruhepause wie das berühmte ›Ave Maria‹ aus ›Winnetou III‹. Erst in der großen Lebenskrise Karl Mays um 1900 wird die Lyrik als Möglichkeit erkannt, die eigenen inneren Vorgänge und psychischen Krisen in dichterischer Form fast zwanghaft niederzuschreiben.1


So bilanziert Christoph F. Lorenz in seinem Beitrag für das Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft von 1982 seinen eigenen Versuch, Karl May als Ly-




* Vortrag, gehalten am 21. 9. 2001 auf der 16. Tagung der Karl-May-Gesellschaft in Luzern


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riker zu rehabilitieren. Nun ist Karl Mays Lyrik zwar alles andere als eine »besonders verrätselte und kunstvolle Form literarischen Schaffens«. Aber wichtig ist sie für ihn durchaus; darin muß man Lorenz zustimmen. Karl May selbst hat bekanntlich nur einen Lyrikband vorgelegt. Der Band trägt den charakteristischen Titel ›Himmelsgedanken‹. Er enthält auch bezeichnenderweise einige  S i n n s p r ü c h e  und erschien Ende 1900. Lorenz ist es auch zu danken, daß nun in der Neuauflage von Band 49 der Gesammelten Werke »die Gedichte und Sprüche der ›Himmelsgedanken‹« wieder »im originalen Wortlaut und in der Reihenfolge der Sammlung von 1900« zugänglich sind.2

   Im Vorwort zu dieser Ausgabe argumentiert Lorenz vorsichtig-abwägend. Er weiß natürlich auch, daß Karl May keine zentrale Gestalt in der Geschichte der deutschen Lyrik ist und daß er nie eine solche sein wird. (Grundsätzlich gibt es in der Literaturgeschichte kaum wirkliche Neuentdeckungen zu machen. So sinnvoll es ist, Kanonisierungsprozesse nicht einfach hinzunehmen, so sind sie doch auch nicht nur historisch zufällig und willkürliche Geschmacksdiktate.) Und doch sieht Lorenz genau, daß sich in Mays Lyrik ein Anspruch artikuliert, der sehr ernst zu nehmen ist. Ich stimme Lorenz zu, wenn er die ›Himmelsgedanken‹ als Ausdruck einer großen lebensgeschichtlichen Krise Mays interpretiert, die, wie nicht vergessen werden sollte, mit einem ausgeprägten Krisenbewußtsein der Literatur und Kultur um 1900 überhaupt und einer breiten Renaissance religiöser Interessen und Bewegungen in Europa in diesem Wechsel des Jahrhunderts zusammenfällt. Die religiöse Landschaft um 1900 ist ausgesprochen unübersichtlich. Es entstehen eine Vielzahl neuer religiöser Bewegungen und Gruppen, die sich bewußt fernhalten von kirchlicher, institutionalisierter Religiosität und die sich vielfach mit ästhetischen Gruppenbildungen und Reformbewegungen einerseits und politisch-sozialen Neuorientierungen andererseits überlagern und verbinden.3

   K a r l  M a y s  L y r i k  i s t  -  w i e  g r o ß e  T e i l e  s e i n e s  W e r k e s  ü b e r h a u p t  -  E r b a u u n g s l i t e r a t u r,  und als solche ist sie religiös grundiert. Darin besteht die eigentliche Provokation dieser Lyrik für die ästhetische Moderne. Dies ist meine zentrale, wohl nicht sehr überraschende These, die ich im folgenden erläutern will. Dabei werde ich mich ebenfalls weitgehend auf die ›Himmelsgedanken‹ stützen.

   Unter Erbauungsliteratur versteht man die Gebrauchsliteratur, die nicht primär einer  i n s t i t u t i o n a l i s i e r t e n  religiösen Praxis dient. Sie richtet sich vielmehr in einer sich literalisierenden beziehungsweise einer bereits literalen Kultur, also im Buch und als schriftlicher Text zur individuellen Lektüre an das Individuum oder den religiösen Zirkel und dient zur Meditation,4 zum Trost, zur religiös aufbauenden Betrachtung.5 Noch weit bis ins 18. Jahrhundert hinein zählte solche Literatur - wie die religiöse Literatur überhaupt - durchaus und unangezweifelt zum Kern von Literatur. Erst mit der Durchsetzung der modernen Ästhetik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kommt es zu einer grundsätzlichen Neuorientierung der Lite-


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ratur. Das literarische Kunstwerk, ja das Kunstwerk überhaupt, kann sich jetzt nicht mehr daraus legitimieren, daß es in religiösen, weltanschaulich-moralischen oder gesellig-sozialen Funktionszusammenhängen steht und sie gestalten und bewältigen hilft. Es soll jetzt »Zweck an sich selbst« sein, wie Kant formuliert. Es darf jetzt keinen externen Zweck mehr haben; und es wird bei Kant und Karl Philipp Moritz, den beiden zentralen Autoren der Autonomieästhetik, mit all den Attributen ausgestattet, die traditionsgeschichtlich dem Heiligen, der göttlichen Instanz zugesprochen worden sind. (Das heißt: Es soll vollkommen und in sich abgeschlossen, faszinierend und überwältigend, durch keinen Begriff je erreichbar und in seinem Sinn unausschöpfbar sein.) So wird das Kunstwerk selbst in der Moderne als ein neues Heiliges inthronisiert. Und fortan wird die Literatur, die sich diesem Dogma nicht fügt, von denen, die sich in der Gesellschaft dafür zuständig halten bzw. dafür gelten, aus dem Reich der Kunst ausgeschlossen.6

   Erbauungsliteratur läßt sich also verstehen als wichtiger Teil religiöser Literatur. In ihrer erbaulichen Funktion für bestimmte Lebenssituationen kann man sie auch - in einem weiteren Sinne - als Gelegenheitsliteratur beschreiben.7 Natürlich besteht solche Literatur, die auf soziale oder lebensgeschichtliche Gelegenheiten hin geschrieben worden ist, auch nach der Etablierung der Autonomieästhetik weiter; und natürlich gibt es weiterhin religiöse und erbauliche Literatur. Darüber kann man sich nicht nur in jeder christlichen Buchhandlung und an den kirchlichen Schriftenständen, sondern auch in den Ratgeber- und Erbauungsecken jeder durchschnittlichen Buchhandlung belehren lassen. Auch wenn Erbauungsliteratur heute nicht mehr religiös orientiert sein muß, so verkauft sie sich doch noch massenhaft, wenn sie nur ästhetisch entsprechend angelegt ist. Darauf kommt es an: Wie alle Literatur wirkt auch sie, weil sie auf eine spezifische Weise ästhetisch verfaßt ist. Deshalb muß auch sie Gegenstand literaturwissenschaftlicher Beschäftigung sein. Das schließt entschiedene Wertungen freilich keineswegs aus. In unseren Tagen bietet der Insel-Verlag ›Lektüre für Gestreßte‹ an (Seneca für Gestreßte, Platon für Gestreßte, Goethe, Rilke ...); der Lucy-Körner-Verlag erzielte mit seinen meistens trivialen und banalen ›Verschenktexten‹ vor wenigen Jahren hohe, für Lyrik sonst unerreichbare Auflagen. Zu erinnern ist auch an das für die Geschichte der Lyrik überhaupt nicht hoch genug einzuschätzende Kirchenlied, das im 19. Jahrhundert kräftig neu belebt wird, das aber, dies möchte ich doch behaupten, dann insgesamt nur noch selten das Niveau des Kirchenlieds des 16. bis 18. Jahrhunderts erreicht.8 Nebenbei: Die Geschichte dieser erbaulichen und religiösen Literatur und dieser religiösen Lyrik in der Moderne wäre endlich zu schreiben.9 Christoph Lorenz hat Karl Mays Lyrik nicht zu Unrecht etwa mit der Lyrik eines Karl Gerok in Verbindung gebracht,10 dieses im 19. Jahrhundert (1815-1890) im süddeutschen Raum überaus bekannten evangelischen Geistlichen, der mit seiner religiösen Lyriksammlung ›Palmblätter‹ (zuerst 1857) einer der populärsten Dichter seiner Zeit war (1900


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erscheint die vierhundertste Auflage!). Aber wer kennt heute noch den Lyriker Karl Gerok?

   So wie das Kunstwerk - produktionsästhetisch - der Autonomieästhetik zufolge keinen externen Zweck haben darf, so soll es - rezeptionsästhetisch - auch für keinen Zweck in Anspruch genommen werden. Nur leider: Bis heute halten sich die Leser nicht daran, zum Leidwesen der Literaturexperten. Rilkes ›Stundenbuch‹, dessen erste Fassung 1899 unter dem Titel ›Die Gebete‹ entstanden ist, das dann 1905 erstmals publiziert wurde und von dem zu Lebzeiten Rilkes noch insgesamt 60 000 Exemplare gedruckt wurden, ist ein Erbauungsbuch, das »um Gott« ›kreist‹, »um den uralten Turm«.11 Seine Bestimmtheit, seine Gerichtetheit erfährt das lyrische Subjekt Rilkes aus diesem Versuch einer Anrede, einer Hinsprache auf Gott zu; und indem das lyrische Subjekt diese ›ganz andere‹ Instanz anzureden sucht,12 erkundet es im Medium der lyrischen Sprache sich selbst. Literatur war immer und ist bis heute ein zentrales Medium menschlicher Selbstauslegung. Literatur hat seit jeher die fundamentalen Erfahrungen menschlichen Lebens - Liebe, Krankheit, Trauer, Freude, Tod - gedeutet. Selbst wenn sie, worauf die literarische Moderne förmlich verpflichtet scheint, bei dieser Deutung zu keinem Ergebnis kommt, selbst wenn sie keinen Sinn mehr findet, so versucht sie die Deutung trotzdem. Das muß am Ende von Hofmannsthals berühmtem lyrischen Jugenddrama ›Der Tor und der Tod‹ (1893) die Figur des Todes kopfschüttelnd und verwundert feststellen: »Wie wundervoll sind diese Wesen, / Die, was nicht deutbar, dennoch deuten, / Was nie geschrieben wurde, lesen, / Verworrenes beherrschend binden / Und Wege noch im Ewig-Dunkeln finden.«13

   Literatur hat, an diese Trivialität ist immer zu erinnern, selbst dann etwas zu sagen, wenn sie nichts mehr zu sagen hat: Und dieser Anspruch, etwas zu sagen zu haben, gründet entscheidend in der ästhetischen Form. Formen heißt immer gestalten, und gestalten heißt immer deuten. Literatur ist gestaltete, bestimmte Rede, und weil sie dies ist, lesen wir sie als Rede an uns, die uns etwas zu sagen haben will. Dies gilt selbst und gerade für die ganz großen Autoren: Hölderlin, dessen hymnische Fragmente der Jahre zwischen 1802 und 1806 das Kühnste sind, was die deutsche Lyrik damals und für lange Zeit hervorgebracht hat, diese grandios scheiternde Lyrik, die das Äußerste zu sagen wagt, ist eine Lyrik am Rande des Verstummens, dem Verstummen förmlich abgerungen; und zugleich ist es eine Lyrik, die voll ist von sentenzhaften, spruchhaften, lebensweisheitlichen Wendungen; sie ist von einer rhetorischen Ästhetik geprägt.14

   Die Verse des zweiten Gedichtes von Rilkes ›Stundenbuch‹ kennen wir alle:


Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.15


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Diese Verse gehören zu den besonders beliebten und häufig gewählten Versen in Todesanzeigen. Wenn es uns die Sprache verschlägt, wenn wir in der äußersten existentiellen Erfahrung des Todes nichts mehr zu sagen haben, dann soll uns doch noch das Dichter-Wort etwas sagen. Das Unfaßliche wird gestaltet und so - vielleicht - wenigstens gemildert.

   Die religiöse Rede, als die ich auch die Verse Rilkes und, wie gleich zu zeigen sein wird, die Karl Mays verstehe, ist zugleich Rede auf ein Du hin und als solche Rede Erkundung des Subjekts über sich selbst. Indem die ›ganz andere‹ Instanz Gottes angesprochen wird, indem sich das lyrische Subjekt also ein radikal von ihm unterschiedenes Gegenüber setzt, kann es sich erst als Ich konstituieren. Alle religiöse Lyrik ist zugleich auch ein Versuch, ›Ich‹ zu sagen. Zu den herausragenden Beispielen, ›Ich‹ zu sagen, sich in seiner Not und seiner Freude, seiner Verzweiflung und seiner Ergebenheit in Geschick und göttlichen Willen als Subjekt zu artikulieren, zählen meines Erachtens die alttestamentlichen Psalmen.16



II.


Wenn ich nun, nach diesem Umweg, zur Lyrik Karl Mays komme, so wird damit nicht behauptet, daß man in ihm, wenn schon nicht einen großen Lyriker, dann vielleicht wenigstens einen wirklich bedeutenden Vertreter einer  r e l i g i ö s e n  lyrischen Rede sehen sollte. Ich plädiere nur dafür, diese religiöse Lyrik als eine solche wirklich ernstzunehmen und das heißt auch: als eine Erkundung über das, was Karl May mit ›Ich‹ meint. Das ist nicht mißzuverstehen: Diese Gedichte sollen gerade nicht autobiographisch gelesen werden. Die Rede ist von den Rollen und Haltungen, die diese Lyrik entwirft und die so dem Leser hilft, sich etwas sagen zu lassen zur Orientierung im eigenen Leben, insofern es eben in besonderer Weise gestaltete, bestimmte poetische Rede ist. Sie regt den Leser insofern und zugleich an, sich mit sich selbst zu beschäftigen, weil hier immer auch in der religiösen Rede die Rolle des Subjekts verhandelt wird.

   Poetische  R e d e  meint: Diese Lyrik ist zugleich Hin- und Ansprache; sie ist hochrhetorisch. Gott ist der ganze Band der ›Himmelsgedanken‹ gewidmet. Gott ist die Muse des lyrischen Subjekts; »diese Lieder« sind dem lyrischen Subjekt nur ›geliehen‹; sie sind in Wahrheit »mein Eigentum«, also das Eigentum Gottes, wie es in der ›Widmung‹ heißt, dem Eröffnungsgedicht der ›Himmelsgedanken‹ (S. 26).

   In den ›Briefen über Kunst‹, die in den Jahren 1906 und 1907 in der Zeitschrift ›Kunstfreund‹ erschienen, bestimmt Karl May das Wesen der Kunst im Anschluß an den idealistischen Diskurs:


D i e  K u n s t  i s t  d i e j e n i g e  B e t ä t i g u n g  d e s  m e n s c h l i c h e n  G e i s t e s  u n d  d e r  m e n s c h l i c h e n  S e e l e , w e l c h e  i n  d a s  I n n e r e  d e s  G e g e n s t a n d e s  e i n-


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d r i n g t , u m  d a s  W e s e n  d e s s e l b e n  z u  e r f a s s e n , u n d  d a n n  w i e d e r  n a c h  a u ß e n  z u r ü c k k e h r t , u m  d a s  A e u ß e r e  i m  E i n k l a n g e  m i t  d e m  I n n e r n  d a r z u s t e l l e n !17


Die konkrete Gestalt des Kunstwerks ist nur das Kleid, das sich dem Innern anzupassen hat. May erläutert die Definition dadurch, daß er das Kunstwerk mit der Schöpfungstat Gottes parallelisiert:


Wie Gott sich in sich selbst versenkte, als er beschloß, das All mit seiner Schöpfung zu erfüllen, so läßt sich der schaffende Künstler in sein eigenes Ich hinunter, während er im Geiste und in der Vollkraft seiner Werke auf die Höhe des sichtbaren Lebens steigt. Und das, das kann man nicht begreifen oder, drücke ich mich anders aus: das kann man ihm nicht verzeihen!18


Die ›Briefe über Kunst‹ - der Titel dürfte auf Schiller verweisen - können hier nicht genauer gedeutet werden.19 Hervorzuheben ist nur, daß sich Karl May durchaus ganz deutlich im Vorstellungshorizont der Genie- und Autonomieästhetik des späteren 18. Jahrhunderts bewegt. Denn den Künstler mit dem Schöpfer und das Kunstwerk mit der göttlichen Schöpfung zu parallelisieren, das war eine zentrale Vorstellung der Genie-Ästhetik, und deshalb wurde die mythische Figur des Prometheus in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einer wichtigen Metapher für den Künstler (so etwa in Goethes berühmter früher Hymne ›Prometheus‹).20 Karl Mays religiöse Lyrik ist tatsächlich auch der Versuch, in sein eigenes Ich hinunterzusteigen, und dort erfährt er, was Christus in der äußersten Erniedrigung auch erfahren hat:


Die geistige Einsamkeit und das seelische Leid, sie  v e r t i e f e n  ihn und sie erheben ihn, bis er nur noch rein äußerlich mit der Erde zusammenhängt, innerlich aber sich frei von allen ihren Fesseln und Banden fühlt. Dann kommt ihm plötzlich und wie ein verklärendes Licht die beglückende Erkenntnis, daß jene göttliche Lehre von der Erlösung durch den Schmerz und durch das Absterben des äußerlichen Menschen, welche die Grundlage unseres christlichen Glaubens bildet, sich  a n  u n d  i n  [i h m] u n d  d u r c h  i h n  s e l b s t  bestätigt hat.

So führt jede wirkliche, jede wahre, jede edle Kunst ganz unbedingt empor zum Welterlöser, und man braucht keineswegs Theolog oder gar Priester zu sein - denn auch ich bin ja nur Laie - um jede Kunst, die andere Wege geht, als irrend zu bezeichnen.21


Das ist ein ›klares‹ ›Einerseits - Andererseits‹. Das ›Ich‹ ist der letztlich unausschöpfbare Grund der Kunst; und doch ist das Kunstwerk nur dadurch gerechtfertigt, daß es Heilsmittel ist. Man kann die Anklänge an die liturgische Formel durchhören (an [ihm] und in [ihm] und durch ihn selbst). Die als autonome Tat des Subjekts begründete Kunst ist - als eine solche! - eine  r e l i g i ö s e  Tat. Das ist hoher Anspruch und genau die Doppelung, die der


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modernen Kunst grundsätzlich anhaftet und von der ich schon kurz gesprochen habe. Mit seinen Thesen, deren Tragweite Karl May vermutlich selbst nicht ganz durchschaut, versuchte er die Quadratur des Kreises: nämlich Autonomieästhetik und eine substantielle religiöse Fundierung von Kunst in der Moderne miteinander zu versöhnen. Erst als eine wirklich autonome Kunst ist für May eine wirklich religiöse Kunst möglich. Ich halte dies vom Ansatz her für äußerst interessant, zugleich jedoch zum Scheitern verurteilt, weil Kunst und Religion in ihren Gestaltungs- und Deutungsansprüchen auf eine fundamentale Weise Konkurrenten sind. Karl Mays Lyrik ist ein Zeugnis dieses Scheiterns.

   In der Krise seines Lebens sucht er die eigentlich ambitionierteste Form poetischer Rede: die der Lyrik. Das Potential der lyrischen Form reizt May jedoch nicht ansatzweise aus. Er wagt keine Formexperimente. Er zieht sich vielmehr auf die einfachen, hochritualisierten Formen zurück. Das kann allerdings nicht per se ein Einwand sein; andere, weit bedeutendere Lyriker haben dies auch getan: der alternde Hölderlin, Eichendorff, Brentano, Storm, um nur einige zu nennen.

   In der unverkennbar erbaulichen Struktur der ›Himmelsgedanken‹ kommt nur zum Ausdruck, was überhaupt ein grundsätzlicher Zug von Karl Mays Werk ist und auch für die in die erzählenden Werke eingelagerten beziehungsweise ihnen vorangestellten Gedichte gilt. Das fünfte Kapitel des ›Waldröschens‹ beginnt mit einem in der May-Forschung immer wieder gerühmten und besonders hervorgehobenen Memento-mori-Gedicht, das kurz zitiert sei (vgl. hierzu auch das Gedicht ›Trost‹, S. 247, oder den Schluß von ›Bedachtsamkeit‹: Sei ruhig, wenn das Ende naht! / Bist du nicht zaghaft wie so viele, / So bringt die letzte, schwerste Tat / Auf Engelsschwingen dich zum Ziele; S. 233):


»Kennst Du die Nacht, die auf die  E r d e  sinkt
  Bei hohlem Wind und scheuem Regenfall,
Die Nacht, in der kein Stern am Himmel blinkt,
  Kein Aug' durchdringt des Nebels dichten Wall?
So finster diese Nacht, sie hat doch einen Morgen,
  O, lege Dich zur Ruhe und sei ohne Sorgen!

Kennst Du die Nacht, die auf das  L e b e n  sinkt,
  Wenn Dich der Tod auf's letzte Lager streckt,
Und nah der Ruf der Ewigkeit erklingt,
  Daß Dir der Puls in allen Adern schreckt?
So finster diese Nacht, sie hat doch einen Morgen,
  O, lege Dich zur Ruhe und sei ohne Sorgen!

Kennst Du die Nacht, die auf den  G e i s t  Dir sinkt,
  Daß er vergebens laut um Hilfe schreit,
Die schlangengleich sich um's Gedächtniß schlingt


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  Und tausend Teufel in's Gehirn Dir speit?
O sei vor ihr ja stets in wachen Sorgen,
  Denn diese Nacht allein hat keinen Morgen!«
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Auch hier kann die erbauliche, auf den Tod vorbereitende Intention an sich noch kein Einwand sein. Mörikes raffiniert einfaches Schlußgedicht der Erzählung ›Mozart auf der Reise nach Prag‹, ›Denk es o Seele‹, ist ebenfalls ein Memento-mori-Gedicht (»Denk es« - Memento!). Viele der von der ästhetischen Moderne nobilitierten Melancholie-Gedichte haben auch den Zug einer Einstimmung auf Leid, Sterben und Tod.23 Auch die herausragende Lyrik der Moderne kann kontemplative, erbauliche, meditative, tröstliche Züge haben. Sie erscheint keineswegs immer nur als rätselhaft, überkomplex; sie versetzt keineswegs immer die Denkbewegung in eine fortwährende Unruhe.

   Ich habe bei Mays Gedicht vielmehr ästhetische Bedenken: ›Hohler Wind‹, ›scheuer Regenfall‹: das ist effekthascherisch und doch trivial und schief. Das ja in der vorletzten Zeile ist nur aus rhythmischen Gründen eingeflickt, wie wir es alle bei unserer eigenen Gelegenheitspoesie zum 80. Geburtstag des Großvaters ganz ähnlich halten. Der letzte Vers der ersten beiden Strophen O, lege Dich zur Ruhe und sei ohne Sorgen! läuft metrisch-rhythmisch ohne ersichtlichen Grund ein wenig aus dem Ruder (und sei ohne) - Wechsel vom Jambus in den Trochäus. Die Symbolik der Nacht ist, wie sie Karl May hier nutzt, nicht gerade originell. Die Strophen beginnen mit der Formel, die man aus Goethes Mignon-Lied in Erinnerung hat, und sie erhalten dadurch schon ein gewisses, aber abgenutztes Pathos, das sich durch die weiteren strukturellen Parallelen noch fortsetzt. May nutzt die ›Mignon-Formel‹ noch einmal im Gedicht ›Entwicklung‹ (S. 181f.): Kennst du den Stoff? ... / Kennst du die Kraft? ... / Kennst du den Geist? ... / Kennst du die Seele?

   Formal zeichnet sich das Gedicht ›Kennst Du die Nacht‹ - wie viele Karl Mays - durch Wiederholung und Steigerung aus. Variiert werden im jeweils ersten Vers der drei Strophen nur die semantisch zentralen Worte: ›Erde‹, ›Leben‹, ›Geist‹. Diesem Dreischritt folgen die beiden letzten Verse der ersten und zweiten Strophe, um dann im Schluß der dritten Strophe in den erbaulichen Appell zu münden. Die Nacht der Erde und die Nacht des physischen Lebens können in dieser Perspektive keinen wirklichen Schrecken entfalten. Erst die Nacht des Geistes ist wirklich bedrohlich, weil es aus ihr kein Erwachen gibt.

   Es ist also leicht, dieses Gedicht zu kritisieren: Wie, zum Beispiel, soll sich die Nacht schlangengleich ... um's Gedächtniß schlingen? Man sollte nicht jedes schiefe Bild als Ausdruck poetischer Freiheit rechtfertigen, also auch nicht dieses. - Aber auf solche immer wieder auftretenden verunglückten Bilder soll es mir nun nicht weiter ankommen. Festhalten möchte ich nur, daß sich die erbauliche Struktur der Gedichte Karl Mays sehr häufig in ei-


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ner einfachen Rhetorik der Wiederholung und Variation äußert, der Anapher und Gradation, des Dreischritts, die für die insistierende erbauliche Argumentation eine zwingende Folgerichtigkeit suggeriert: Schau dir die liebe Sonne an! / Ihr Segen reicht  s o  w e i t,  s o  w e i t (›Sonnenschein‹, S. 191; Hervorhebungen hier und i. f. von mir); Werdet frei! (S. 40), im gleichnamigen Gedicht in jeder Strophe als Versanfang mehrfach wiederholt; Ich will nach Gottes Willen mich gestalten, / Und das wird mir  s o  s c h w e r,  s o  s c h w e r gemacht (›Die zweite Welt‹, S. 203);  K o m m  m i t,  k o m m  m i t und folge mir; (›Menschenunmöglichkeit‹, S. 230); Es klingt ein Ruf aus  a l t e r,  a l t e r Zeit / An unser Ohr wie aus Prophetenmund (›Zeit‹, S. 238; hier wird natürlich Schneckenburgers unsägliches nationalistisches Lied ›Die Wacht am Rhein‹ evoziert, freilich ohne daß der poetische Sinn der Evokation erkennbar wäre); Die Liebe, die in stillen Taten / Ihm  h e i m l i c h,  h e i m l i c h helfen kann (›Trost‹, S. 247). Warum heimlich, heimlich?

   Es wäre ein Leichtes, weitere Belege dafür beizubringen. Durch eine solche hochrhetorisierte Rede ritualisiert sich das Sprechen und vermitteln sich dann die einfachen Lebenslehren. Denk oft zurück ins eigne Leben; / Verlang von Andern nicht zu viel! / Du weißt, es führte dich dein Streben / Auch nur so nach und nach ans Ziel (erste Strophe aus dem Gedicht ›Nachsicht‹, S. 223). Das paßt in jedes Poesiealbum. Daß das eine - Erinnerung - mit dem anderen - Nachsicht - nicht viel zu tun hat, zunächst jedenfalls, wird durch diese ritualisierte, spruchhafte Rhetorik überspielt. Zu dieser Rhetorik gehören auch die vielen Fragen, die an sich unlyrisch sind: Sie sorgen für den argumentativen Zusammenhang und Fortgang der poetischen Rede. Sie wollen keineswegs den andern wirklich einbeziehen, wie dies bei Hölderlin etwa der Fall ist: Und heut? Noch rühmen ihn der Himmel Heere; / Noch wird auf jedem Stern sein Lob gesungen; / Noch preisen ihn die Berge und die Meere; / Noch ist der Dank für ihn nicht ausgeklungen. (›In Ewigkeit‹, S. 222; man beachte die anaphorische Struktur und die religiösen Formeln, die an das Kirchenlied erinnern!) Oder im Gedicht ›Vorwärts!‹ gleich die Eröffnungsfrage: Wer geht mit mir? Ich bleibe nicht! / Warum soll ich noch länger warten? (S. 200). Der rhetorisch-ritualisierte Sprachgestus ist hier Selbstzweck; diese Verse passen in ihrer Allgemeinheit für alles und jeden. Nichts wird evoziert. Ich sage dies nicht, um die fehlende Qualität dieser Lyrik herauszustreichen; sie ist zu offensichtlich. Mir geht es vielmehr um die ästhetische Struktur der Gedichte, denen durch Verzicht auf Individualisierung und Konkretion alles Herausfordernde und wirklich An-Sprechende fehlt.

   Die Verbindung von Erbaulichkeit und leichter Zugänglichkeit machte die Romane Karl Mays wie auch seine Lyrik zu einer Herausforderung der konfessionellen religiösen Literaturkritik um 1900. Die heftigen Angriffe auf Karl May etwa durch Carl Muth oder Hermann Cardauns erklären sich wohl auch daraus, daß hier ein Konkurrent wahrgenommen wird. Die reli-


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giöse Literatur um 1900 war bekanntlich in einer schwierigen Lage: Ihr zentrales Problem war, inwiefern sich ästhetische Modernität und religiös-konfessionelle Funktionalität verbinden lassen könnten. Man kann mit guten Gründen die These vertreten, daß die Literatur der Moderne mit einer substantiellen und kirchlich-konfessionell gebundenen Religiosität unvereinbar ist.24 Der Karl-May-Kritiker Carl Muth z. B. hat auch die Lyrik eines Stefan George heftig kritisiert, weil sie für ihn eine Anmaßung darstellt. Für Carl Muth hat sich George nach der Jahrhundertwende mit seinem Versuch der Konstituierung einer poetischen Religion zum Religionsstifter aufgeschwungen, und dadurch mußte er konfessionell gebundener, besonders katholischer Religiosität zum Konkurrenten werden.25

   Die Diskussion um Karl Mays Spätwerk ist noch längst nicht abgeschlossen. Sie soll hier aber nicht aufgegriffen werden. Das erbauliche Moment ist auch dort von grundlegender Bedeutung. Selbst wenn man z. B. die allegorischen Namen der späten Erzählung ›Abdahn Effendi‹ (1908), die in der Edition der ›Gesammelten Werke‹ durch den Kommentar dankenswerterweise entschlüsselt werden,26 nicht wahrnimmt, so bleibt die Erzählung dennoch erbaulich. Der Sieg christlicher Nächstenliebe wird freilich nicht konfessionell fundiert. Hier, wie bei Karl May überhaupt, läuft es auf ein irenisches, ethisch-praktisches Religionsverständnis hinaus.27 Eine irenisch-praktische, lebensweisheitlich orientierte Theologie charakterisiert auch die Gedichte. Im Pathos der Menschheitsliebe, im Interesse an den grundsätzlichen Menschheitsfragen scheint mir eine der Erklärungen zu liegen, warum sich der Expressionismus (Robert Müller) für Karl May erwärmen konnte.

   Es ist verschiedentlich und zu Recht darauf hingewiesen worden, daß Karl May mit dieser irenischen, praktisch orientierten Theologie in der Tradition der deutschen Aufklärung stehe.28 Im Gedicht ›Liebe‹ (S. 35; Hervorhebung von mir) wird Gott förmlich mit der Liebe gleichgesetzt und so entpersonalisiert:


Es ward vom Herrn ein großes Wort geschrieben,
  Wie größer es kein andres, zweites gibt:
Einst wird das Kind so wie der Vater lieben,
 Die Kreatur so, wie der Schöpfer liebt.
O Gott, o Liebe,  n i m m   m i c h   g a n z  zu eigen;
  Ich gebe mich dir durch dich selber hin.
Führ mich in dich und laß zu dir mich steigen,
  Bis einst ich auch nur Liebe, Liebe bin!


Wiederum haben wir eine pathossteigernde Wiederholung (Liebe, Liebe). Der drittletzte Vers variiert erneut die liturgische Formel (›durch ihn, mit ihm und in ihm‹) und beschwört in der Verschränkung zwischen Gott und lyrischem Subjekt eine Unio mystica, die tendenziell häretisch ist, weil das Subjekt in seiner eigenen Liebe diesem Gott, der nichts als Liebe sein soll, gleich wird, so daß sich in jedem Akt liebender Hinwendung


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des Ichs zum Du das Göttliche neu  k o n s t i t u i e r t .  Die poetisch-ästhetische Imitatio Christi, die Karl May in seinen Briefen über Kunst fordert, führt also keineswegs zurück zu einer Christologie, in der auch konfessionelle Differenzen sichtbar werden könnten, sondern begreift den Heiland, den ›Erlöser‹, als Ausdruck und Inkarnation jener universellen, kosmischen Liebe.

   In ihrer irenischen Grundausrichtung ist diese Lyrik auch synkretistisch und anschließbar an viele religiös-erbauliche Diskurse. Das wichtige, auf das Motiv der Selbstermutigung und Selbstrechtfertigung, der Lebensbilanz verweisende Gedicht ›Meine Legitimation‹ steht einerseits in physikotheologischer Tradition. Es schreckt aber andererseits vor einer entschiedenen Entfaltung des physikotheologischen Grundgedankens doch zurück. Zitiert sei zunächst nur die erste Strophe (S. 28):


Grüß Gott, du liebes Tröpflein Tau!
  So einen Schmuck gibt es wohl nimmer:
Von jedem Hälmchen auf der Au
  Spitzt es wie Diamantenschimmer.
Entstammt der Erde, harrst du froh
  Dem holden Morgenlicht entgegen,
Tränkst deinen Halm und wirst ihm so
  Nicht nur zur Zierde, auch zum Segen.


Wieso sollte das Tröpflein Tau ... zum Segen werden? May ist der hochritualisierten Form und der erbaulichen Intention zuliebe großzügig. Er will den Segen hier ins Spiel bringen. Zum Vergleich zitiere ich ein Gedicht aus dem ›Irdischen Vergnügen in Gott‹ (Erster Band, 1721) des Frühaufklärers Barthold Heinrich Brockes, bei dem viel deutlicher wird, welche theologische Brisanz und Problematik in der Physikotheologie steckt:


Das Blümlein Vergißmeinnicht

An einem wallenden, kristallengleichen Bach,
Der allgemach
Die glatte Flut durch tausend Blumen lenkte
Und schlanke Binsen, Klee und Gras
Mit silberreinen Tropfen tränkte,
Saß ich an einem kleinen Hügel,
Bewunderte bald in der blauen Flut
Des Luftsaphirs saphirnen Spiegel,
Bald den smaragdnen Rahm' des Grases, dessen Grün

Der goldne Sonnenstrahl beschien,
Und fand von Kräutern, Gras und Klee
In so viel tausend schönen Blättern


//31//

Aus dieses Weltbuchs A B C
Soviel, so schön gemalt, so rein gezogne Lettern,
Daß ich, dadurch gerührt, den Inhalt dieser Schrift
Begierig wünschte zu verstehn.
Ich konnt es überhaupt auch alsbald sehn
Und, daß er von des großen Schöpfers Wesen
Ganz deutlich handelte, ganz deutlich lesen.

Ein jedes Gräschen war mit Linien geziert,
Ein jedes Blatt war vollgeschrieben;
Denn jedes Äderchen, durchs Licht illuminiert,
Stellt' einen Buchstab vor. Allein,
Was eigentlich die Worte sein,
Blieb mir noch unbekannt,
Bis der Vergißmeinnicht fast himmelblauer Schein,
Der in dem holden Grünen strahlte
Und in dem Mittelpunkt viel güldne Striche malte,
Mir einen klaren Unterricht
Von dreien Worten gab, indem ich ihre Pracht
Auf die Gedanken bracht:

Da Gott in allem, was wir sehen,
Uns sein Allgegenwart und wie er alles liebet
So wunderbarlich zu verstehen,
So deutlich zu erkennen gibet;
So deucht mich, hör ich durchs Gesicht,
Daß in dem saubern Blümchen hier
Sowohl zu dir als mir
Der Schöpfer der Vergißmeinnicht selbst spricht:
Vergiß mein nicht!29


Gott ist in allem und gibt sich in allem Daseienden zu erkennen, wenn man nur richtig sehen will. Die Physikotheologie, wie sie hier bei Brockes poetisch gestaltet wird, hebelt nämlich eine institutionell, kirchlich gebundene und kirchlich organisierte Christologie aus. Durch die sorgsame Erkundung der Natur gibt diese ihre Schönheit preis und provoziert den Schluß auf den letzten Grund solcher Schönheit, auf Gott selbst. So findet das naturkundlich interessierte und natur a i s t h e t i s c h  offene Subjekt selbst zur Gotteserkenntnis: kraft seiner eigenen vernünftigen Einsicht.30 Das ist das aufklärerische Moment an der Physikotheologie, wie es sich in der Lyrik eines Brockes oder auch Albrecht von Hallers darstellt. Während Brockes  p o e t i s c h e  Naturerkundung betreibt, während sein Verfahren also den Leser dazu zwingt, sich auch der  l y r i s c h e n  Schönheit wirklich genau zuzuwenden, entwickelt sich das Gedicht Karl Mays sogleich erbaulich und allegorisch. Die Strophen zwei bis vier von ›Meine Legitimation‹:


//31//

Kommt dann aus gold-brokatnem Tor
  Die Königin des Tags gestiegen,
So strebst du sehnsuchtsvoll empor,
  Dich ihrem Strahle anzuschmiegen.
Du fühlst, du bist ihr untertan,
  Du kannst nicht ohne sie bestehen
Und wirst gezogen himmelan,
  In ihrem Kusse aufzugehen.

Ein solches Tröpflein bin auch ich
  Am Lebensmorgen einst gewesen,
Ein Tröpflein, das den andern glich,
  Nicht auserwählt, nicht auserlesen.
Ich hing nicht hoch, ich wurde nicht
  Von einer Rose stolz getragen;
Tief unten sah ich auf zum Licht
  Und durfte kaum zu hoffen wagen.

Da stieg sie auf, so himmlisch klar,
  So gnadenreich, voll Welterbarmen,
Und mich trieb es so wunderbar,
  Mit ihr die Menschheit zu umarmen.
Es war, als ob ich beten müßt:
  »Oh komm, und stille mein Verlangen!«
Da hat die Liebe mich geküßt,
  Und ich bin in ihr aufgegangen.
(S. 28f.)


Der Tautropfen, der durch den Strahl der aufgehenden Sonne angezogen wird und himmelan steigt, wird mit dem lyrischen Subjekt verglichen, das auch nicht mehr sei als ein solches Tröpflein. Hier, in dieser dritten Strophe, werden lyrisches Ich und empirischer Autor wohl identisch. Die göttliche Liebe weckt das lyrische Ich, das aus bescheidensten Verhältnissen kommt (ich wurde nicht / Von einer Rose stolz getragen), aus der Finsternis zum Licht. Man spürt hier, daß Karl May auch von einer erweckten Religiosität in der Tradition des Pietismus und der Erweckungsbewegung das 19. Jahrhunderts nicht unbeeinflußt ist. Der Weg dieses Ichs beglaubigt das universelle ›himmlische, gnadenreiche‹ Weltgeschehen, die universelle Liebe, das universelle Welterbarmen. Karl May zitiert hier eine Strophe aus einem eucharistischen Kirchenlied. (Ein Vers »Komm stille das [oder mein] Verlangen« ist bereits 1789 für die zwei Kirchenlieder ›Ach Wunder großer Siegesheld‹ und ›Komm keuscher Jesu‹ nachweisbar.31)

   Die Schwierigkeiten, die man mit dieser Lyrik hat, liegen nicht nur in ihrer völlig konventionellen Form. Tatsächlich nutzt Karl May Strophenformen von Volkslied und Kirchenlied.32 Er weicht so gut wie nie von der Reimstrophe ab. Die bevorzugte Reimform ist dabei eindeutig der überschaubare, ästhetisch nicht herausfordernde Kreuzreim. Wichtiger jedoch:


//32//

Die spruchhafte, lebensweisheitliche Erbaulichkeit dieser Gedichte verzichtet völlig auf jede ästhetische und intellektuelle Herausforderung, auf jede Konkretisierung, die ihr irgendeine Prägnanz, irgendeine präzise Kontur geben würde. Das, so scheint mir, ist das eigentliche Problem dieser Gedichte: ›Sei weise!‹: Geh nicht zu denen, welche von sich reden; / Sie kennen nur das eigne, liebe Ich. / Ein feines Ohr vermeidet die Trompeten; / Der Weise hält am liebsten sich für sich. (S. 227) Oder: ›Oberflächlichkeit‹: Denkt nicht, das Leben sei ein Spiel! / Es meint's gar ernst, ja, mehr als ernst. / Erforsche seinen Zweck, sein Ziel / Damit du es begreifen lernst! (S. 254). ›Mehr als ernst‹? Ja was denn noch? Auch all dies kann man alles mühelos ins Poesiealbum übernehmen.

   Aus dem Gedicht ›Die Ehe‹ (S. 195), das ein lyrischer Eheratgeber ist:


Betrachte dich und werde, was du bist! / Ein Mann bist du und hast's doch erst zu werden. / Weißt du vielleicht, was an dir männlich ist? / Der Körper, die Bewegung, die Gebärden. / Du bist so ernst, energisch, alles das, / Was man am Manne lobt, wenn man es findet, ... . Als Mann ererbtest Du die heilge Pflicht, / Zu suchen, was der erste Mann verloren, ... . Als Mann und Weib ererbtet ihr die Pflicht, / Zu suchen, was das erste Paar verloren ...


Das ist eine kleine Ehe-Predigt, die heute nur noch unfreiwillig komisch wirkt.

   Nun hat die literaturgeschichtliche Forschung der letzten Jahre mehr und mehr deutlich machen können, daß der Antimodernismus Teil und konstitutives Element der poetischen Moderne selbst ist. Zu denken ist, beispielsweise, an den bereits erwähnten Stefan George, an Rudolf Borchardt, an Ernst Jünger, um nur einige Dichter aus der deutschen Literatur um und nach 1900 zu nennen. So schwer erträglich der rabiate kultur- und modernekritische Ton etwa bei George häufig ist, so liegt doch genau darin die Eigentümlichkeit seiner späten Lyrik, die sie wahrnehmbar macht in der literarischen Landschaft um und nach 1900. Belehrend, oratorisch, ja stellenweise durchaus auch erbaulich ist manches Gedicht von George, und doch läßt er keinen Zweifel daran, daß seine Lyrik auf eine spezifische historische Situation hin geschrieben ist. Er will die Konfrontation, er begreift sich selbst als Herausforderung an seine Zeit.33 Kulturkritik und Neubegründung einer ästhetischen Religion gehören bei ihm unauflösbar zusammen (›Der Siebente Ring‹, 1907). Das muß einem nicht gefallen. Das ist oft auch poetisch nicht überzeugend. Aber genau diese  g e s c h i c h t l i c h e   S c h ä r f e  fehlt bei Karl May völlig. Das ist der Preis, den er für seine erbaulichen Intentionen zahlt.



III.


Zum Schluß ein kurzer Vergleich, um so das Problem, das Karl Mays Lyrik aufwirft, noch ein wenig präziser zu fassen. Bei seiner Orient-Reise


//33//

1899/1900 plant Karl May eine Gedichtsammlung mit dem Titel ›Eine Pilgerreise in das Morgenland‹. Diese Sammlung ist nicht sehr weit gediehen. Auch in diesen Gedichten geht es um Glaubensfragen. Wie sie von Karl May behandelt werden, erlaubt einen interessanten und aufschlußreichen Vergleich. In dem Gedicht ›Südwärts‹34 thematisiert Karl May die Durchquerung der Alpen auf dem Weg in den Süden, die allegorisch als Weg hinauf verstanden wird. Diese Allegorie des beschwerlichen, ansteigenden Weges ist in der Erbauungsliteratur und noch in erbaulichen Drucken des 19. Jahrhunderts weit verbreitet. May verbindet sie mit dem Bild der sehnsüchtigen Reise in den Süden:


Südwärts.

  Schon weicht der Norden hinter mir;
Die Ebene beginnt, zu steigen.
  So naht das Herz, Jehovah, dir,
Wenn hinter ihm die Zweifel weichen.

  Es ist, als ob am Horizont
Ich Bergesspitzen leuchten sähe.
  So reinigt, läutert, wärmt und sonnt
Die Seele sich in Himmelsnähe.

  Hinauf, hinauf! Ich raste nicht;
Ich will und will nicht unten bleiben.
 Mein frömmstes, seligstes Gedicht
Will ich beim Glühn der Alpen schreiben.

Dann werde ich es heimlich, still
  In einem Kirchlein niederlegen;
Vielleicht gereichts, so Gott es will,
  Dem, der es findet, dann zum Segen!
-


Die pathetischen Wiederholungen, das religiöse Gefühl, das sich regt angesichts des Alpenglühns, die missionarische Wendung am Schluß, mit der eigenen Gotteserfahrung noch den anderen beglücken zu wollen, all dies übergehe ich. Es geht auch in diesem Gedicht nicht wirklich um eine konkrete Naturerfahrung, die evoziert werden soll. Alles ist sofort allegorisch durchsichtig auf den höheren Sinn, und genau darin liegt die Trivialität. Wichtig soll jetzt nur die zweite Strophe sein, die mit einer in der Lyrik des 19. Jahrhunderts immer wieder auftretenden ›Als-ob‹-Wendung einsetzt: Es ist, als ob am Horizont / Ich Bergesspitzen leuchten sähe. Sieht er nun, oder sieht er nicht? Es gibt hier keinen poetischen Grund für das ›als ob‹. Die Seele reinigt, läutert, wärmt und sonnt sich sofort, ganz unvermittelt. Die Naturerfahrung selbst wird in die ›Als ob‹-Position gerückt. Sie ist nicht selbst der Ausgangspunkt. Die Ebene des poetischen Bildes hat selbst kei-


//34//

ne eigene Gültigkeit. Das ist offenkundig schief. Es gibt keine innere Notwendigkeit dafür, daß es scheint, als ›leuchteten‹ die Bergesspitzen. Es geht hier ja nicht um die Möglichkeit oder Unmöglichkeit verläßlicher Wahrnehmung.

   1799 schreibt Novalis ein Kirchenlied, das ein einziges ›Als-Ob‹-Lied ist. Jede der ersten vier Strophen des fünfstrophigen Liedes beginnt mit dem Vers »Wenn ich ihn nur habe«. Ich zitiere die erste Strophe:


Wenn ich ihn nur habe,
Wenn er mein nur ist,
Wenn mein Herz bis hin zum Grabe
Seine Treue nie vergißt:
Weiß ich nichts von Leide,
Fühle nichts, als Andacht, Lieb' und Freude.35


Und ›wenn ich ihn nicht habe‹? Man fühlt sich förmlich aufgefordert, so zurückzufragen. Die dreifache Anapher ist äußerst eindringlich: Trost, Beruhigung, Erbauung findet das lyrische Subjekt nur unter der Bedingung, daß es »ihn«, Gott (vgl. Psalm 73, 25), aber konkreter doch wohl Christus »nur habe«. So erscheint Religion und Christus-Frömmigkeit letztlich als eine  S e t z u n g  d e s  S u b j e k t s, von der alles abhängt. »Er« verbleibt nur in der dritten Person, »er« ist der  h y p o t h e t i s c h e Bezugspunkt. Das Gedicht vermeidet den Ton ungebrochener Innigkeit der Jesus-Minne; es redet ›ihn‹ nicht als ›Du‹ an.

   Hans-Henrik Krummacher hat in einer wichtigen Untersuchung über das ›Als ob‹ in der Lyrik sehr eindringlich gezeigt, wie wichtig diese Möglichkeit zum poetischen Gedankenexperiment sein kann.36 Zum Vergleich mit der ›Als-ob‹-Wendung bei Karl May seien nur noch zwei weitere, ganz berühmte Gedichte zitiert, die oft allzu rasch naiv gelesen werden, es aber keineswegs sind. Wer kennt nicht das berühmte Gedicht Heinrich Heines aus dem ›Buch der Lieder‹:


Du bist wie eine Blume,
So hold und schön und rein;
Ich schau dich an, und Wehmut
Schleicht mir ins Herz hinein.

Mir ist, als ob ich die Hände
Aufs Haupt dir legen sollt,
Betend, daß Gott dich erhalte
So rein und schön und hold.37


Ein in seiner ganzen Schlichtheit außerordentlich raffiniertes Gedicht, das nicht genauer analysiert werden soll. Wichtig ist hier nur, daß sich das lyrische Subjekt offensichtlich aus jener schlichten Religiosität herausgefallen sieht, die es ihm erlauben würde, dem angesprochenen Du tatsächlich die


//35//

Hand aufs Haupt zu legen, also den Segensgestus einfach zu vollziehen. Die »Wehmut« hat sich »ins Herz«  e i n g e s c h l i c h e n .  Das lyrische Subjekt spürt den Drang in sich und vermag doch nicht die ritualisierte Geste einfach und selbstverständlich zu vollziehen. Rhythmisch realisiert Heine diesen Zweifel und diese Unsicherheit durch den Wechsel zu daktylischen Einheiten, die den Rhythmus radikal verändern: »Mir ist, als ob ich die Hände (...)« -  a l s  o b !   Mit so einfachen und zugleich so überzeugenden Mitteln arbeitet Heine.

   Ein dritter Beleg, nicht weniger bekannt und nicht weniger häufig mißverstanden, weil es diesen Zweifel ebenso sensibel und präzise poetisch gestaltet: Eichendorffs berühmtes Gedicht ›Mondnacht‹.38


Mondnacht

Es war, als hätt der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer,
Von ihm nun träumen müßt.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte,
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.39


Dem lyrischen Subjekt kommt es nur so vor, als habe die Hochzeit zwischen Himmel und Erde schon stattgefunden, als habe sich der Himmel mit der Erde versöhnt: »Es war,  a l s   h ä t t  der Himmel / Die Erde still geküßt« (Hervorhebung von mir). Das Gedicht lebt aus der tiefen Sehnsucht des lyrischen Subjekts, endlich und endgültig die Heimat zu erreichen, und zugleich weiß es, daß es sie wohl nie erreichen wird. Die Seele schwingt sich auf: ein altes, wichtiges Motiv der Erbauungsliteratur. Aber es scheint eben nur so, »als flöge sie nach Haus«. Ob sie nun  t a t s ä c h l i c h  »nach Haus« fliegt, bleibt offen und ist  p r i n z i p i e l l  unentscheidbar. Wie der katholische Eichendorff hier redet, ist ebenso ungeheuerlich wie die Religionssetzung bei Novalis.

   Mehr braucht es eigentlich nicht, um die Problematik der erbaulich-religiösen Lyrik Karl Mays deutlich zu machen: Ich kann nur stumm und leise seitwärts treten, / Nicht um zu dichten, sondern um zu beten, so der ärmliche Poet in Mays Gedicht ›Auf Rigi-Kulm‹.40 Bei allem Respekt: So kann man an der Wende zum 20. Jahrhundert keine Dichtung ›ad majorem Dei gloriam‹ mehr produzieren. Man vergleiche mit Eichendorffs Gedicht nur einmal


//36//

Karl Mays scheinbar ebenfalls ganz stimmungshaftes Gedicht ›Des Waldes Seele‹:


Des Waldes Seele

Es war im Wald. Die Bäume alle schliefen;
  Der Mond belauschte lächelnd ihren Traum.
Die Schatten lagen ruhig in den Tiefen;
  Die Welle küßte still des Weihers Saum.

Da kam ein linder, milder Hauch gezogen,
  Des Träumenden gewürzger Atemzug,
Der in des Maienduftes zarten Wogen
  Des Waldes Seele auf zum Himmel trug.

Dort schwebte sie zur ewgen Gnadenquelle,
  Vor der die Bitte um das Leben kniet,
Und wie vom Vöglein an der Waldkapelle
  Erklang ihr sanftes, frommes Klagelied ...

(S. 187)


Das ist unbestreitbar deutscher Kitsch, zu dem die religiös-erbauliche Lyrik in der Moderne neigt (auch Rilke!). Karl May ›verhäuslicht‹ Religion.41 So bequem ist Religion aber nicht zu haben, es sei denn, man begnügte sich mit einer ganz innerweltlichen ›Kuschelreligion‹.42 Die Rivalität zwischen Literatur und Religion läßt sich in der ästhetischen Moderne nicht einfach dadurch erledigen, daß man sie ignoriert. Aber auch dies: daß er dies tut, macht Karl Mays erbauliche Lyrik nun doch zu einer - ästhetischen und religiösen - Provokation.

   In Karl Mays Erbauungslyrik bleibt unbegriffen, daß Skepsis, Zweifel und Verzweiflung grundlegende Modi von Religiosität sind. Freilich nicht nur in der Moderne, die, wenn sie dies für sich beansprucht, ihren eigenen Grandiositätsphantasien erliegt. Man denke z. B. nur an den alttestamentlichen Hiob.



Reinhold Wolff danke ich für die Anregung, dieses Thema einmal aufzunehmen. Meinen Mitarbeitern danke ich für vielfache Hilfe.



1 Christoph F. Lorenz: »Als lyrischen Dichter müssen wir uns Herrn May verbitten«? Anmerkungen zur Lyrik Karl Mays. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1982. Husum 1982, S. 131-157 (154)

2 Christoph F. Lorenz: Vorwort. Wege zum Gipfel? Karl May als Lyriker, Dramatiker und Essayist. In: Karl May's Gesammelte Werke Bd. 49: Lichte Höhen. Lyrik und Drama von Karl May. Bamberg/Radebeul 160. Tsd. 1998, S. 5-24 (17) - Karl May: Himmelsgedanken. In: Ebd., S. 25-282; Nachweis von Zitaten hieraus künftig durch Seiten-Angabe unmittelbar im Text. (Die ›Himmelsgedanken‹ in dieser Edition weichen im Orthographischen von der Erstausgabe Freiburg 1900 ab.)


//37//

3 Vgl. hierzu: Ästhetische und religiöse Erfahrungen der Jahrhundertwenden II: um 1900. Hrsg. von Wolfgang Braungart/Gotthard Fuchs/Manfred Koch. Paderborn u. a. 1998; dort vor allem den Aufsatz von Justus H. Ulbricht: Transzendentale Obdachlosigkeit. Ästhetik, Religion und ›neue soziale Bewegungen‹ um 1900. Ebd., S. 47-67 (mit vielen weiterführenden Hinweisen). - Eine umfassende Bestandsaufnahme zur ästhetischen und kulturellen Situation um 1900 bietet jetzt der Katalog zu einer Darmstädter Ausstellung: Die Lebensreform. Entwürfe zur Neugestaltung von Leben und Kunst um 1900. 2 Bde. Hrsg. von Kai Buchholz/Rita Latocha/Hilke Peckmann/Klaus Wolbert. Darmstadt 2001.

4 Vgl. jetzt: Meditation und Erinnerung in der frühen Neuzeit. Hrsg. von Gerhard Kurz. (Formen der Erinnerung, Bd. 2.) Göttingen 2000.

5 Vgl. hierzu Wolfgang Brückner: Thesen zur Struktur des sog. Erbaulichen. In: Literatur und Volk im 17. Jahrhundert. Probleme populärer Kultur in Deutschland. Teil 2. Hrsg. von Peter Blickle/Dieter Breuer. Wiesbaden 1985, S. 499-508.

6 Vgl. hierzu meinen Versuch: Die Geburt der modernen Ästhetik aus dem Geist der Theodizee. In: Ästhetische und religiöse Erfahrungen der Jahrhundertwenden I: um 1800. Hrsg. von Wolfgang Braungart/Gotthard Fuchs/Manfred Koch. Paderborn u. a. 1997, S. 17-34.

7 Grundlegend: Wulf Segebrecht: Das Gelegenheitsgedicht. Ein Beitrag zur Geschichte und Poetik der deutschen Lyrik. Stuttgart 1977; Wolfgang Adam: Poetische und kritische Wälder. Untersuchungen zu Geschichte und Formen des Schreibens ›bei Gelegenheit‹. Heidelberg 1988

8 Vgl. jetzt: Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder. Hrsg., vorgestellt und erläutert von Hansjakob Becker/Ansgar Franz/Jürgen Henkys/Hermann Kurzke/Christa Reich/Alex Stock. Unter Mitwirkung von Markus Rathey. München 2001.

9 Es ist ein großes Verdienst von Hans-Georg Kempers Werk: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. 6 Bde. Tübingen 1987ff. (insbesondere: Bd. 1. Tübingen 1987), daß es konsequent die religiöse Lyrik einbezieht und überhaupt auf frömmigkeits-, religions- und theologiegeschichtliche Zusammenhänge ausführlich eingeht.

10 Lorenz: Als lyrischen Dichter, wie Anm. 1, S. 132f.

11 Rainer Maria Rilke: Gedichte 1895 bis 1910. Hrsg. von Manfred Engel und Ulrich Fülleborn. (Werke. Kommentierte Ausgabe in vier Bänden. Hrsg. von Manfred Engel u. a. Bd. 1.) Frankfurt a. M./Leipzig 1996, S. 157

12 So die bis heute immer wieder herangezogene, zentrale Bestimmung des Heiligen bei Rudolf Otto: Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen. München 1991 (zuerst 1917)

13 Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in 10 Einzelbänden. Hrsg. von Bernd Schoeller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M. 1979, Gedichte. Dramen I. 1891-1898, S. 297f.

14 Vgl. Wolfgang Braungart: »Wo wollen wir bleiben?« Lyrik als Kulturhermeneutik: Zu Friedrich Hölderlins Fragment ›Der Adler‹. In: KulturPoetik 1, Heft 1/2001, S. 56-74.

15 Rilke, wie Anm. 11, S. 157

16 Unter diesem Gesichtspunkt, sich selbst in all seiner ›Menschlichkeit‹ artikulieren zu können, interpretiert Hermann Kurzke das Kirchenlied: Hermann Kurzke: Kirchenlied und Psychoanalyse. In: Das Unbewusste in Zürich. Literatur und Tiefenpsychologie um 1900. Sigmund Freud, Thomas Mann, Carl Gustav Jung. Hrsg. von Thomas Sprecher. Zürich 2000, S. 73-93.

17 Karl May: Briefe über Kunst I. In: Der Kunstfreund. XXII. Jg. (1906), H. 10-11, S. 153; als Faksimile in: Karl May. Leben - Werk - Wirkung. Eine Archiv-Edition. Hrsg. von Ekkehard Bartsch. Abt. I: Leben. Gruppe a (Biographische Selbstzeugnisse), H. 3. Stilistisch veränderte Wiedergabe in: Karl May's Gesammelte Werke


//38//

Bd. 81: Abdahn Effendi. Reiseerzählungen und Texte aus dem Spätwerk von Karl May. Bamberg/Radebeul 2000, S. 418-444 (419f.)

18 May: Briefe über Kunst, wie Anm. 17, S. 153 (und in: May: Abdahn Effendi, wie Anm. 17, S. 420)

19 Gert Ueding: Glanzvolles Elend. Versuch über Kitsch und Kolportage. Frankfurt a. M. 1973, S. 114: »Mays Reimereien wie erst recht die Sprache seiner Spätwerke kopieren mehr oder weniger erfolgreich das Pathos der Schillersprache, und schließlich zeigt gerade die Wiener Rede den Einfluß der Kunsttheorie Schillers auf Mays eigenes künstlerisches ›Streben‹.«

20 Vgl. Jochen Schmidt: Die Geschichte des Genie-Gedankens in der deutschen Literatur, Philosophie und Politik 1750-1945. 2 Bde. Darmstadt 1985.

21 May: Briefe über Kunst, wie Anm. 17, S. 154 (und in: May: Abdahn Effendi, wie Anm. 17, S. 420); die letzte der Hervorhebungen von mir

22 Karl May: Das Waldröschen oder Die Verfolgung rund um die Erde. Dresden 1882-84; zit. nach dem Reprint einer späteren Ausgabe; Hildesheim-New York 1969, S. 122

23 »Komm, heilige Melancholie«. Eine Anthologie deutscher Melancholie-Gedichte. Mit Ausblicken auf die europäische Melancholie-Tradition in Literatur- und Kunstgeschichte. Hrsg. von Ludwig Völker. Stuttgart 1983

24 Vgl. hierzu Jutta Osinski: Katholizismus und deutsche Literatur im 19. Jahrhundert. Paderborn u. a. 1993; hier vor allem die beiden Schlußkapitel: ›Literatur im katholischen Milieu: Klerikale Romantik‹, S. 253ff.; ›Reformkatholizismus im Abseits: Carl Muths Literaturprogramm‹, S. 339ff.; vgl. auch Susanna Schmidt: ›Handlanger der Vergänglichkeit‹. Zur Literatur des katholischen Milieus 1800-1950. Paderborn u. a. 1994.

25 Vgl. Carl Muth: Schöpfer und Magier. Leipzig 1935, zu Stefan George S. 133-196.

26 In May: Abdahn Effendi, wie Anm. 17, S. 10-84 (83f.)

27 Vgl. Martin Lowsky: Karl May. Stuttgart 1987, S. 107; vgl. auch Hermann Wohlgschaft: Große Karl May Biographie. Leben und Werk. Paderborn 1994, etwa den Abschnitt ››Mein Glaubensbekenntnis‹ oder ›Wider die Resignation und für eine offene Katholizität‹‹, S. 674-681.

28 Siehe etwa Heinz Stolte: Auf den Spuren Nathans des Weisen. Zur Rezeption der Toleranzidee bei Karl May. In: Ders.: Der schwierige Karl May. Zwölf Aspekte zur Transparenz eines Schriftstellers. Husum 1989, S. 96-133.

29 Barthold Heinrich Brockes: Irdisches Vergnügen in Gott. Gedichte. Auswahl und Nachwort von Adalbert Elschenbroich. Stuttgart 1982, S. 11f.

30 Vgl. hierzu mit zahlreichen weiteren Literaturangaben Kemper, wie Anm. 9, Bd. 5/II: Frühaufklärung. Tübingen 1991.

31 In der Konkordanz von Ferdinand Ludwig Braun: Vollständige und allgemeine evangelische Lieder-Concordanz. Erlangen und Leipzig 1789. Für das Lied ›Ach Wunder großer Siegesheld‹ gibt es einen ersten Nachweis schon in der ›Praxis pietatis melica‹, Frankfurt a. M. 1674. Es ist außerdem in den Gesangbüchern von Freylinghausen (ab 1704) und Porst (ab 1748) enthalten und im evangelischen Bereich bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts recht verbreitet: unter anderem im Eisenacher Entwurf ›Deutsches evangelisches Gesangbuch in 150 Kernliedern‹. Stuttgart und Augsburg 1854, sowie im Deutschen evangelischen Gesangbuch von 1915. Der Vers kommt in der sechsten Strophe dieses Liedes vor und lautet sehr konstant »Komm stille das Verlangen«. Im eucharistischen Kirchenlied ›Herr Jesu du mein Leben‹, das erstmals im Würzburger Gesangbuch von 1902 zu finden ist, kommt der Vers ebenfalls vor. - Für freundliche Hilfe danke ich Andreas Scheidgen vom ›Projekt Gesangbuchbibliographie‹ im ›Interdisziplinären Arbeitskreis Gesangbuchforschung‹ an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.


//39//

32 Das läßt sich leicht prüfen mit Hilfe des ›Handbuchs der deutschen Strophenformen‹ von Horst Joachim Frank. Tübingen/Basel 21993.

33 Vgl. etwa Stefan Breuer: Ästhetischer Fundamentalismus. Stefan George und der deutsche Antimodernismus. Darmstadt 1995.

34 Karl May: Eine Pilgerreise in das Morgenland. (Fragment.) In: May: Abdahn Effendi, wie Anm. 17, S. 208-222 (213)

35 Zit. nach Geistliches Wunderhorn, wie Anm. 8, S. 394. Hermann Kurzkes Kommentar, ebd. S. 395-401, erschließt den Text genauer.

36 Hans-Henrik Krummacher: Das ›Als-ob‹ in der Lyrik. Erscheinungsformen und Wandlungen einer Sprachfigur der Metaphorik von der Romantik bis zu Rilke. Köln/Graz 1965 (zu Heine und Eichendorff vor allem die Kapitel 5 und 6)

37 Heinrich Heine: Sämtliche Schriften in 12 Bänden. Bd. 1. Schriften 1817-1840. Hrsg. von Klaus Briegleb. Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1981, S. 131

38 Vgl. hierzu auch Jutta Osinski: Kunst und Religion in der Spätromantik. In: Braungart/Fuchs/Koch: um 1800, wie Anm. 6, S. 187-199 (bes. S. 188-190).

39 Josef von Eichendorff: Werke in einem Band. Hrsg. von Wolfdietrich Rasch. München/Wien 1977, S. 271f.

40 May: Pilgerreise, wie Anm. 34, S. 217

41 Vgl. Helmut Schmiedt: Karl May. Leben, Werk und Wirkung. Frankfurt a. M. 31992, S. 188-194 (Abschnitt ›Das Prinzip Eindeutigkeit: die Verhäuslichung der Exotik‹).

42 Definitionen von Religion und Religiosität, die in diese Richtung gehen, laufen freilich Gefahr, begrifflich unscharf zu werden. Zu diesem weiteren Religionsbegriff in der modernen Gesellschaft ist grundlegend: Thomas Luckmann: Die unsichtbare Religion. Frankfurt a. M. 1991.


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