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HANS HINTZ


Zum Zweikampf bei Karl May





I. Vorbemerkung


Zum Zweikampf bei Karl May, einem Motiv, das alle wichtigen Phasen seines Schaffens durchzieht,1 findet sich in der mittlerweile sehr ansehnlichen Literatur über den Autor eher wenig. Aus den Titelangaben der in mancherlei Hinsicht repräsentativen Publikationen der Karl-May-Gesellschaft ist eine eingehende Behandlung dieses Themas nicht ersichtlich, und wenn Zweikämpfe angesprochen werden, so in anderen Zusammenhängen und meist kurz, ohne ausdrückliche eigene Würdigung.2 Verschiedentlich wird auf den Initiationscharakter der Zweikampfhandlungen hingewiesen und in diesem Zusammenhang gerne auf ›Winnetou I‹ Bezug genommen, was in Anbetracht der oft festgestellten Qualitäten dieses Werks und auch zahlreicher in ihm geschilderter Zweikämpfe berechtigt, bezogen auf die Komplexität der Thematik und das Gesamtwerk allerdings recht einseitig ist. Für Gunter G. Sehm z. B., der auch die im Rahmen der vorliegenden Arbeit wichtige Rolle der List für den Zweikampf anspricht, ist dieser als ›Legendenmotiv‹ im Rahmen einer Analyse des ersten ›Winnetou‹-Bandes bedeutsam,3 während Andreas Graf darauf aufmerksam macht, daß der Maysche Held Old Shatterhand in Zweikampfsituationen, was den Gebrauch der Waffen betrifft, das »zivilisationsabhängige Gewand der Technik« ablege, also weitgehend auf Schußwaffen verzichte, und sich in der Wahl der Waffen, sei es Messer, Tomahawk oder Speer, dem Entwicklungsstand der ›Wilden‹ anpasse.4 Gerhard Neumann weist in einer Untersuchung zum Helden-Ich bei Karl May darauf hin, daß sogar »das Kernritual aller identifikatorischen Akte im Wilden Westen, der tödliche Zweikampf, (...) sich nach dem streng abgemessenen Modell der europäischen Identitätsprüfungen an Schulen und Universitäten jener Zeit« organisiere.5 Ferner ordnet er den Zweikampf ein in die Gruppe der Handlungselemente und Motive, die dem ›Wiederholungszwang‹ unterliegen und insbesondere die Funktion erfüllen, »Disziplinierungsrituale der Adoleszenz in Formen der Freiheit umzuerzählen«.6 Breiteren Raum als in diesen eher marginalen Beiträgen nimmt die Zweikampfthematik in zwei Arbeiten ein, die zum einen dezidiert literaturwissenschaftlich, zum anderen philosophisch orientiert sind. Helmut Schmiedt stellt Old Shatterhands Zweikämpfe in ›Winnetou I‹ in den Kontext sich in ihren Anforderungen schrittweise steigernder und komplettierender Initiationsleistungen, wobei er in dem Duell Old Shatterhands gegen Intschu tschuna den Umschlagspunkt aus passiven Reaktionshandlungen in selbstbestimmte Aktionsgestaltung sieht.


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Er inszeniert sich die Initiationsszenen fortan selbst, steht so weit über den Dingen, daß er auf entsprechende Anlässe mit effektvollen, genau kalkulierten Einrichtungen reagieren kann. Für den avancierten Old Shatterhand handelt es sich nicht mehr um gefahrvoll-notwendige Prüfungen, sondern um Spielmaterial, mit dem er nach Belieben manipulieren kann; das Abenteuer gewinnt dadurch (...) auch die Qualitäten einer Show.7


Schon in diesen Bemerkungen gibt sich - ein leitender Aspekt auch dieser Untersuchung - der theatralische Charakter des Zweikampfs bei May zu erkennen. Reinhard Tschapke nimmt die von G. W. F. Hegel in seinem frühen Hauptwerk ›Phänomenologie des Geistes‹ entwickelte Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft zum Anlaß, Strukturen eben dieser Beziehung im Werke Mays aufzuspüren.


Der archaische Kampf auf Leben und Tod, das Ringen um Herrschaft und die Konfrontation des Selbst mit dem Anderen stehen zweifellos im Zentrum von Karl Mays Abenteuerwelt und finden ihren prägnantesten Ausdruck im tödlichen Zweikampf, im Duell. Das Duell muß als das beste Beispiel für Hegels These angesehen werden, daß die Anerkennung als Prozeß, als idealtypischer Kampf auf Leben und Tod abläuft, in dem versucht wird, dem anderen die Anerkennung seiner selbst abzunötigen.8


Tschapke unterscheidet deutlich zwischen dem klassischen Duell und dem Zweikampf Mayscher Prägung.


Bei der Auswahl und beim gern wiederholten Aufeinandertreffen der Gegner geht es sichtlich nicht mehr nur um die Aufrechterhaltung des äußeren Scheins, um Anstand oder um die Einhaltung eines überholten bürgerlichen Grundkodexes. Denn letztlich  n i c h t  die Verletzung eines Ehrenkodexes führt zum Duell, vielmehr »konstituiert der Ausgang des Zweikampfes Ehre und Persönlichkeit des Abenteuerhelden.«9


Einer Argumentation Bernd Steinbrinks folgend, hebt Tschapke in diesem Zusammenhang den »initiatorische(n) Charakter des Werkes« hervor10 und verdeutlicht diesen beispielhaft am Zweikampf Old Shatterhands gegen Blitzmesser in ›Winnetou I‹. Darüber hinaus verdient der Hinweis des Autors auf die Unverzichtbarkeit von Zuschauern für die Anerkennung des Selbst auch mit Blick auf diese Studie besondere Beachtung.11

   Trotz dieser instruktiven Beiträge, vor allem der anregenden Untersuchungen von Schmiedt und Tschapke, wird man sagen müssen, daß die bisher zum Zweikampf vorliegenden Ergebnisse recht bescheiden sind und diese Thematik - der Anspruch war allerdings auch nirgends gegeben - keinesfalls erschöpfen.

   Wenn man bedenkt, wie viele spannende und originelle Zweikämpfe May geschildert hat, ist es verwunderlich, daß sich bisher niemand ausführlich mit diesen meist auch erzählerisch gelungenen Darstellungen beschäftigt


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hat. Dieser Aufgabe möchte sich die vorliegende Arbeit annehmen mit dem allgemeinen Ziel, den ›Zweikampf bei Karl May‹ als untersuchungswürdigen und ergiebigen Gegenstand auszuweisen. Insbesondere soll verdeutlicht werden, daß es sich bei Mays Zweikämpfen nicht um Zufallsprodukte oder spontan-willkürliche Schöpfungen handelt, die jeweils nur der augenblicklichen Eingebung oder den Vorgaben eines bestimmten Handlungskonzeptes folgen, sondern um eigenständige Gebilde mit einer festen Struktur und konkret benennbaren Merkmalen.

   Methodisch ist die Untersuchung keiner bestimmen Forschungsrichtung verpflichtet. In Anbetracht der vielen Facetten und des Beziehungsreichtums des Gegenstandes schien dem Verfasser methodische Pluralität, und sei es auch auf Kosten wissenschaftlicher Stringenz und Homogenität der Darstellung, das gebotene Verfahren zu sein. So werden kulturhistorisch, gesellschaftspolitisch, ideologiekritisch, biographisch, psychologisch und werkimmanent orientierte Ausführungen zwanglos, den Erfordernissen des Themas bzw. dem Duktus der Argumentation folgend, aneinandergereiht und miteinander verknüpft, in der Hoffnung, daß sich aus der Vielzahl von Aspekten und methodischen Ansätzen, wenn nicht ein systematisch gefügtes Gesamtbild, so doch ein erster Überblick über einen komplexen Gegenstand ergibt.



II. Begriffsbestimmung


Vier Kategorien vor allem scheinen mir geeignet, Zweikämpfe bzw. Zweikampferzählungen umfassend und differenziert zu beschreiben und dabei sowohl ihrer jeweils eigentümlichen Ausprägung als auch den Erfordernissen der Vergleichbarkeit und Abgrenzung gerecht zu werden. Es sind dies die Begriffe

- Zweckbestimmung

- Reglement

- Einsatz des Lebens

- Publikum.

Nicht in allen Zweikämpfen Mays wird man diese vier Merkmale entdecken können. Gerade den, im Ganzen gesehen eher seltenen, in der Ausführung aber herausragenden Fällen der ›Vollform‹ des Zweikampfs, in denen alle seine vier Grundkomponenten enthalten sind, soll im folgenden das Hauptaugenmerk gelten, so daß das vorrangige Erkenntnisinteresse dieser Studie wie folgt bestimmt werden kann:

   Unter einem ›echten‹ oder ›eigentlichen‹ oder ›großen‹ oder ›maytypischen‹ Zweikampf wird verstanden eine formelle, zweckbestimmte kämpferische Auseinandersetzung zwischen zwei Personen unter Einsatz des Lebens, die nach bestimmten Regeln vor den Augen eines Publikums abläuft. Die folgenden Ausführungen beziehen sich hauptsächlich,


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auch ohne einen der attributiven Zusätze, auf diesen ›Volltyp‹ des Zweikampfs.


Zweckbestimmung:


Jeder Zweikampf Mays steht in einem zielgerichteten Handlungszusammenhang, es soll mit ihm etwas Bestimmtes erreicht werden. Diese Ziele können sein: die Befreiung aus Gefangenschaft oder einer ähnlich prekären Situation (›Befreiungszweikampf‹), die Verteidigung oder Wiederherstellung der Ehre (›Ehrenzweikampf‹), die Bewährung eines meist jungen, unerfahrenen Menschen (›Initiationszweikampf‹), der stellvertretende Einsatz für andere (›Stellvertreterzweikampf‹) sowie die Erfüllung einer Rache (›Rachezweikampf‹).

   Kaum jemals reicht, wie sich zeigen wird, eine dieser fünf Zweckbestimmungen aus, um einen Zweikampf voll zu erfassen, meist sind zwei oder gar drei dieser Aspekte erkennbar. Wer dieser Einteilung deshalb Unschärfe oder Unangemessenheit vorwirft, sollte bedenken, daß allein schon die häufig gegebenen unterschiedlichen Positionen und Interessenstandpunkte der beiden Duellanten eine eindeutige Klassifizierung nicht zulassen.12


Reglement:


Dem Zweikampf gehen seine ›Erklärung‹ und die Vereinbarung bzw. Festlegung von Regeln voraus. Daß diese Regeln für beide Seiten Chancengleichheit auf den Sieg gewährleisten, ist ein Ideal, das - für May, wie sich zeigen wird, recht typisch - kaum einmal gegeben ist. Meist ist es so, daß der Held gegen einen Feind antreten muß, der sich ihm gegenüber mehr oder weniger stark im Vorteil befindet. Dies wiederum ist der Hauptgrund für die Einführung der List in den Zweikampf.


Einsatz des Lebens:


Die Zweikämpfe lauten grundsätzlich ›auf Leben und Tod‹, müssen allerdings nicht tödlich ausgehen. Gerade für Old Shatterhand ist es ja typisch, daß er das Leben seiner Feinde - und das schließt auch seine Zweikampfgegner ein - nach Möglichkeit schont. Berücksichtigt man, daß umgekehrt seine Feinde es meist unerbittlich auf sein Leben abgesehen haben, so ergibt sich aus diesem Gegensatz der Bestrebungen ein erhöhter Spannungseffekt. Für Old Shatterhand heißt das, daß er seinen Zweikampf in einem doppelten Sinn unter erschwerten Bedingungen bestreiten muß: Er muß die ihm auferlegten Benachteiligungen kompensieren und außerdem das Leben seiner Feinde schonen, die ihrerseits alles nur Mögliche tun, um ihn um das seinige zu bringen.


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Publikum:


Im Unterschied zum europäischen Duell sind die Zweikämpfe bei May stets öffentliche Ereignisse. Die zwei Kämpfer stehen nie allein, ihre Aktionen sind immer in kollektive Zusammenhänge eingebunden und von mehr oder weniger großer gesellschaftlicher Bedeutung; meist genügt die Vertretung einer Partei, um Öffentlichkeit herzustellen. Auch Ehrenzweikämpfe, zu denen im allgemeinen die europäischen Duelle zu rechnen sind, finden bei May im Unterschied zu diesen stets vor Publikum statt.13 ›Publikum‹ ist die Bestimmung, die Mays Zweikämpfe zu theatralischen Inszenierungen macht: Der Zweikampfplatz wird zur Bühne, um die sich die Zuschauer in gespannter Erwartung gruppieren.14


Vergleicht man diese den Mayschen Zweikämpfen entnommenen Kategorien und Bestimmungen mit denen des klassischen Duells einerseits und des indianischen Zweikampfs andererseits,15 so fällt folgendes auf: Mays Zweikämpfe haben im Unterschied zum Duell durchgängig den Charakter des Öffentlichen, im Unterschied zum indianischen Zweikampf das Merkmal des Reglements. Aus der Kombination beider ergibt sich eine interessante neuartige ›Mischform‹, die wohl weniger Realitätsanspruch geltend machen, dafür aber als originelles Phantasieprodukt ihres Schöpfers Anspruch auf Anerkennung erheben kann. Die gemessen an den beiden Vergleichsformen europäisches Duell und indianischer Zweikampf höhere Komplexität des Mayschen Zweikampfbegriffs läßt sich besonders gut an den vielfältigen Zweckbestimmungen ablesen, die seine Zweikämpfe haben können. Während das europäische Duell und der indianische Zweikampf sich weitgehend auf die Verteidigung bzw. Wiederherstellung der Ehre oder die Erlangung gesellschaftlicher Anerkennung im Kampfe beschränken, also im Einzelfall je nachdem als Ehren-, Rache- oder Initiationszweikämpfe einzustufen sind, kommen bei May noch die Bestimmungen der Befreiung und der Stellvertretung hinzu, die nachgerade zum Markenzeichen seiner Zweikämpfe werden sollten.



III. Geschichte und Literatur des Zweikampfs


Ob als Regulativ im Rahmen familiärer Fehden und Blutrachen wie besonders in geschichtlicher Frühzeit oder als spielerisch-sportliche Vorschule und Übungsform für den militärischen Ernstfall wie im mittelalterlichen Turnier oder als Vollzug der Verteidigung bzw. Wiederherstellung verletzter Ehre wie im abendländischen Duell der Neuzeit: der Zweikampf stellt sich dar als ein schillerndes Phänomen, brutal, willkürlich, abstoßend auf der einen, stilvoll, gerecht, faszinierend auf der anderen Seite. Vor allem in Zeiten und Regionen unentwickelter oder ungesicherter Rechtsverhältnis-


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se dürfte er durchaus zivilisatorisch gewirkt haben: Gemessen an der spontan, oft genug hinterrücks ausgeführten und sich schlimmstenfalls schier endlos, manchmal bis zur Ausrottung ganzer Familien perpetuierenden Blutrache band er den zerstörerischen Racheimpuls an ein Ritual, das nicht nur eine Begrenzung des Blutvergießens ermöglichte, sondern im Keime schon die Anlage zu grundsätzlich unblutigen Formen der Sühne in sich enthielt.

   Zunehmend fragwürdig wurde der Zweikampf im europäischen Abendland mit der fortschreitenden Usurpation eines persönlichen Ehrbegriffs und des daraus abgeleiteten Rechts auf ›Selbstjustiz‹ durch die ritterliche Adelskaste im Mittelalter und dadurch, diese auch als Rechtsmittel gegen die staatliche Zentralgewalt und ihren Anspruch auf das Gewaltmonopol durchzusetzen. Hieraus resultierte ein Konflikt, der sich so weit zuspitzte, daß mit Beginn der Neuzeit das Duell in den meisten europäischen Staaten, oft unter Androhung der Todesstrafe, verboten war. Es ist allerdings bekannt, daß dieser offizielle Standpunkt im allgemeinen durch weitgehende Toleranz und Nachsicht unterlaufen wurde, eine doppelte Moral, die die Ambivalenz der selbst dem adligen Ehrenkodex verpflichteten kirchlichen und staatlichen Machthaber verdeutlicht.

   Nachdem der ehrverpflichtete Adel und der rechtsverpflichtete Staat auf einer Basis pragmatischer Jurisdiktion einige Jahrhunderte in Frieden miteinander ausgekommen waren, bewirkten die politischen Machtkämpfe im 19. Jahrhundert eine Neubelebung des Duellwesens derart, daß nun auch zunehmend Angehörige des Bürgertums, wirtschaftlich und ideell dem Adel längst überlegen, ihren Anspruch auf ›Satisfaktionsfähigkeit‹ anmeldeten. Es scheint diese Konkurrenzsituation gewesen zu sein, die dem Duell noch einmal zu einer kurzen ›Blütezeit‹ verhalf, bevor es, zumindest in seiner abendländisch-europäischen Ausprägung, von der historischen Bühne verschwand. Die besonders in Deutschland aufgrund der zunehmenden Ansprüche ›bürgerlicher Ehrenmänner‹ festzustellende Inflationierung, sprich ›Vermassung‹, des Ehrbegriffs, bewirkte, in Verbindung mit dem so freigesetzten gewaltigen Aggressionspotential, obsessive Ordnungs- und Autoritätssyndrome, die in organisierter Gewaltentgrenzung des Staates endeten.16 So gesehen kommt dem gerade in den monarchistisch geprägten Staaten Europas wie dem deutschen Kaiserreich besonders ausgeprägten Duellwesen eine Mitverantwortung für die Militarisierung der Gesellschaft und die daraus resultierende wachsende Aggressionsbereitschaft zu. Der Erste Weltkrieg dann entlarvte in den Schrecken der Materialschlachten nicht nur die persönliche Konfrontation der Zweikämpfer endgültig als historisch überholt, sondern entzog mit der Beseitigung der Adelsherrschaft dem Duell auch ideologisch den Boden.

   Die Geschichte des Duells hat in der Literatur deutliche Spuren hinterlassen. Die frühen Überlieferungen, so die Kämpfe zwischen David und Goliath, Achill und Hektor, Hildebrand und Hadubrand sowie die meisten


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mittelalterlichen, z. B. im ›Parzival‹ geschilderten Zweikämpfe stellen diese fast immer in einen militärpolitischen Zusammenhang. Sie finden vor oder während kriegerischer Auseinandersetzungen statt und dienen entweder dazu, eine Schlacht zu eröffnen, in einer schon laufenden Schlacht eine Entscheidung herbeizuführen oder aber ein Gefecht überhaupt zu verhindern. Der Zweikämpfer befindet sich hier noch im Einklang mit dem allgemeinen Volks- oder Staatswillen, durch den er sich legitimiert weiß.

   Die Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts dann17 bezieht ihre Spannung nicht mehr nur allein aus der Erwartung, welcher der beiden Duellanten siegen wird, sondern aus dem ›Reiz des Verbotenen‹, der dem Duell nach den inzwischen erlassenen bzw. verschärften restriktiven Gesetzen anhaftete. Die aus der Arkanpraxis des Duells resultierenden Situationen und Verwicklungen - geheimgehaltenes Zusammentreffen an einem einsamen Ort, oft vor den Stadtmauern, anschließendes Untertauchen oder Flucht des bzw. der Beteiligten - wurden als ›erregende Momente‹ von der Literatur dankbar aufgegriffen. Das Spektrum der Duellanlässe erweiterte sich gewaltig: Ein Vater fordert den Verführer seiner Tochter, ein anderer Vater kämpft um die verlorene Ehre seines Sohnes, ein gehörnter Ehemann fordert den Geliebten seiner Frau usw. Zusätzliche Konstellationen wie die Konfrontation zweier Brüder oder die von Vater und Sohn (so schon im ›Hildebrandslied‹), das Motiv des Feiglings oder die verkleidete Frau als Duellantin lassen erkennen, daß keine Variante des Zweikampfmotivs ausgelassen wurde. Im 18. Jahrhundert ließ das Interesse an dem Thema spürbar nach: Die Aufklärung mit ihren Idealen der Humanität und Gleichheit mußte dem blutrünstigen Schauspiel mit seiner Fetischisierung eines klassenbezogenen Ehrbegriffs ablehnend gegenüberstehen, was nicht hinderte, daß es im 19. Jahrhundert zu erneutem Ansehen kam, allerdings unter anderen, in gewisser Weise umgekehrten Vorzeichen. Konnten im 16. und 17. Jahrhundert die Duellanten noch auf weitgehende gesellschaftliche Sympathie hoffen, insofern sie es wagten, eines wie auch immer dubiosen Ideals wegen ihr Leben nicht nur wechselseitig, sondern auch unter der Drohung staatlicher Sanktion zu riskieren, die, zumindest offiziell, meist auf Tod lautete, so geriet das Duell im 19. Jahrhundert im öffentlichen Bewußtsein als anachronistisch weitgehend in Mißkredit. Parallel dazu lief eine auffällige Liberalisierung der Verfolgungs- und Bestrafungspraxis von Duellanten durch die staatlichen Behörden. Es scheint, als habe der Feudalismus in seiner ›Dekadenzphase‹, in Abwehr des aufstrebenden Bürgertums, noch ein letztes Mal seine ›Kardinaltugend‹, die Ehre, durch weitgehenden Verzicht auf die Ahndung von Duelldelikten vor dem Untergang bewahren wollen. Bezeichnend, vor dem Hintergrund der politischen Verhältnisse allerdings auch nicht verwunderlich, ist, daß die reichhaltigste Duelliteratur in Rußland, Deutschland und Österreich produziert wurde, den Ländern also, in denen der Adel am längsten die politisch bestimmende Kraft in Europa blieb.18


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   Inwieweit May mit der Geschichte und Literatur des Duells vertraut war, ist mir nicht bekannt. Wahrscheinlich sollte man seine Belesenheit in dem Punkte nicht überschätzen. Eine Zweikampferzählung allerdings hat er mit Sicherheit gut gekannt: die biblische Geschichte von David und Goliath.19 Nun bedeutet das angesichts des hohen Bekanntheitsgrades dieses Textes noch nichts Außergewöhnliches. Äußerungen Klara Mays allerdings, daß die Bibel für ihren Mann »d a s  Buch der Bücher« gewesen sei, dessen Inhalt er »sich ganz zu eigen gemacht« und das er »großenteils auswendig« gekannt habe,20 weisen auf eine Intensität der Beschäftigung hin, die weit über das Übliche hinausgeht. In besonderem Maße wird dies für Mays Lektüre des alttestamentarischen Berichts von David und Goliath gelten: Daß gerade diese Erzählung auf einen Abenteuerschriftsteller, zumal einen solchen mit einer ausgeprägten Vorliebe für Zweikämpfe, einen ganz besonderen Reiz ausüben mußte, ist evident. Der Umstand, daß sich in Mays Werken immer wieder diesbezügliche Anspielungen und Zitate finden,21 verdeutlicht die nachhaltige Wirkung dieser Geschichte. So gesehen überrascht es nicht, in dem Duell zwischen David und Goliath das literarische Vorbild für die Mayschen Zweikampferzählungen zu erkennen, in dem sich deren typische Merkmale vorgeprägt finden.


Zweckbestimmung:


David kämpft stellvertretend für sein Volk (Stellvertreterzweikampf). Daran ändert auch das sich anschließende Kampfgeschehen, eher ein Gemetzel an den fliehenden Philistern, nichts, denn nach der formellen Absprache ist die Stellvertreterfunktion eindeutig. Goliath spricht es aus: »Vermag er [David] gegen mich zu kämpfen und erschlägt er mich, so wollen wir eure Knechte sein; vermag ich aber über ihn zu siegen und erschlage ich ihn, so sollt ihr unsere Knechte sein und uns dienen.«22 Die Verhöhnung des ›Herrn Zebaoth‹ durch die Feinde macht es darüber hinaus für David zu einer Ehrenfrage, durch einen Sieg die Überlegenheit seines Gottes zu beweisen: »(...) ich aber komme zu dir im Namen des Herrn Zebaoth, des Gottes des Heeres Israels, den du verhöhnt hast.«23 Da dies der erste Zweikampf des noch knabenhaften David ist, wird man ihm auch die Zweckbestimmung der Initiation zusprechen müssen.


Reglement:


Der Kampf erfolgt, wie erwähnt, nicht spontan, sondern nach vorher abgesprochenen Bedingungen. Außerdem schienen auch die Bewaffnung und damit der Verlauf des Kampfes zunächst bis zu einem gewissen Grade festgelegt. Der Umstand, daß David nicht ebenso gepanzert und bewaffnet wie der Philister antritt, ist seiner kindlichen Gestalt geschuldet - er paßt nicht in Sauls Rüstung hinein -, stellt also keinen willkürlichen Verstoß gegen die


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Gleichheitsbedingungen dar, jedenfalls nicht zuungunsten seines Gegners, dem David nun, nach den herkömmlichen Maßstäben ganz offensichtlich benachteiligt, in seiner einfachen Hirtentracht und nur mit einer Steinschleuder bewaffnet, gegenübertritt.


Einsatz des Lebens:


Daß es sich um einen unversöhnlichen Kampf auf Leben und Tod handelt, wird in der Geschichte mehrfach und sehr drastisch artikuliert. Goliaths Drohung: »Komm her zu mir, ich will dein Fleisch den Vögeln unter dem Himmel geben und den Tieren auf dem Felde«24 tritt David mit nicht geringerer Deutlichkeit entgegen: »Heute wird dich der Herr in meine Hand geben, daß ich dich erschlage und dir den Kopf abhaue und gebe deinen Leichnam und die Leichname des Heeres der Philister heute den Vögeln unter dem Himmel und dem Wild auf der Erde«,25 was dann auch geschieht.


Publikum:


Die Auseinandersetzung findet zwischen den beiden Heeren der Israeliten und der Philister statt. »Und die Philister standen auf einem Berge jenseits und die Israeliten auf einem Berge diesseits, so daß das Tal zwischen ihnen war.«26 Die exponierte Lage des Kampfplatzes ermöglicht den Beteiligten eine genaue Beobachtung des Geschehens, das die Aufmerksamkeit aller ungeteilt in Anspruch nimmt. Der Zweikampf steht konkurrenzlos im Zentrum des allgemeinen Interesses.


Und noch in anderer Hinsicht lassen sich strukturelle Übereinstimmungen zwischen dem biblischen Bericht und Mays Zweikampferzählungen feststellen, z. B. was den konsequenten Einsatz spannungssteigernder Verzögerungselemente betrifft.

   Zunächst wird in Form einer Rückblende Davids Weg von den Schafherden seines Vaters zum Schauplatz der Konfrontation der beiden Heere berichtet. König Saul lehnt anfangs Davids Angebot, gegen den riesigen Philister zu kämpfen, ab, um es dann aber doch, nach hartnäckiger Überredungsarbeit des jungen Hirten, anzunehmen. Nach dem vergeblichen Versuch, sich die schwere Rüstung Sauls anzulegen, und einigen Bemerkungen zu Davids Bewaffnung tritt dieser - endlich! - seinem schrecklichen Herausforderer gegenüber. Nun folgt, was bei solchen Anlässen wohl allgemein üblich war und was auch in keinem Mayschen Zweikampf fehlt: das obligatorische verbale Vorgeplänkel, bestehend aus Prahlerei, Drohung und Beleidigung. Erst jetzt ist die Zeit reif für den eigentlichen Zweikampf, der dann in knapp drei Versen27 berichtet wird.

   Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen der alttestamentarischen Geschichte und Mays Zweikampfschilderungen liegt in der Unterlegenheit


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bzw. Benachteiligung eines der beiden Kämpfer. Im Falle Davids ist das ganz offensichtlich: Der Größen- und damit, wie zu erwarten, auch der Kräfteunterschied zwischen dem schmächtigen Jüngling David und dem ›Riesen‹ Goliath28 läßt keinen Zweifel an dem wahrscheinlichen Ausgang des Kampfes. Nimmt man noch die Unterschiede in der Bewaffnung dazu - Goliath schwer gerüstet mit allen damals gebräuchlichen Waffen, David dagegen nur mit einer Steinschleuder ›bewaffnet‹ -, so wird der Sieg Davids in der Tat nur als ein ›Wunder‹ bzw. durch das Eingreifen des ›Herrn Zebaoth‹ verständlich. May, selbst von körperlich eher kleiner und schwächlicher Statur und wohl auch aus Gründen seiner Herkunft und der Brüche in seiner Lebensgeschichte von Minderwertigkeitsgefühlen geplagt, wird diese Geschichte nicht zuletzt deshalb so geschätzt und zum Grundmuster seiner Zweikampferzählungen gemacht haben, weil sie schon immer ein hervorragendes Interpretations- und Identifikationsangebot für die Schwachen und Zukurzgekommenen darstellte, eine Lesart, in der May sich mit vielen Gleichgesinnten getroffen haben dürfte. Außerdem gewannen seine eigenen Zweikampfgeschichten vor dieser Folie einen hohen Wiedererkennungswert, gleichsam eine ideelle Aufwertung als ›Bearbeitung‹ oder ›Nachdichtung‹ einer vertrauten biblischen Geschichte.

   Die Erfahrung der eigenen Schwäche macht erfinderisch: So kommt der Mensch auf die List.29 Zwar wird man im Falle Davids kaum schon von planvoll-intentionalem Handeln sprechen können; die mimetisch-realistische Anpassung an die Situation und den Gegner jedoch ist mehr als bloß instinktgesteuertes Verhalten, das bei dieser Gelegenheit ansonsten wohl eher eine Fluchtbewegung ausgelöst hätte. Die hellsichtige Wahrnehmung und Beurteilung der Stärken und Schwächen, sowohl der eigenen als auch der des Gegners, eröffnet auch dem augenscheinlich Benachteiligten eine Perspektive. Davids ganzer Habitus, der völlige Verzicht auf die übliche Ausrüstung und Bewaffnung, von seinem körperlichen Kleinwuchs und seinem jugendlichen Alter ganz abgesehen, bewirkt eine totale Irreführung Goliaths, der in dieser Karikatur eines Kämpfers beim besten Willen keinen ernstzunehmenden Gegner entdecken kann und ihn deswegen unterschätzt. Es ist der aus dieser Fehleinschätzung resultierende Überraschungseffekt, der auch die Mayschen Helden immer wieder zum Sieg über stärkere Gegner führt. Der Philister ist nicht nur grundsätzlich nicht auf einen, wie es scheint, unbewaffneten Gegner eingestellt, sondern noch viel weniger darauf, daß dieser völlig überraschend und unkonventionell den Kampf mit einer Aktion eröffnet, auf die er absolut nicht vorbereitet ist und die zu seinem Tode führt, bevor er seine eigene Stärke entfalten konnte.

   Dieser zweite Teil der Überraschung ist allerdings nur deshalb möglich, weil es, im Unterschied zum europäischen Duell, in diesem Falle keine abgesprochenen Modalitäten gibt, die die Eröffnung und den Verlauf des Kampfes regeln. Der Reglementsgedanke ist also in diesem Fall nur ansatzweise ausgebildet und bezieht sich lediglich auf die allgemeinen ›Rahmenbedingungen‹,


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nicht aber auf die Ausführung des Kampfes wie den Gebrauch der Waffen oder das Eröffnungsrecht. In dieser Hinsicht ähnelt der Zweikampf Davids gegen Goliath mehr dem indianischen Zweikampf als dem klassischen Duell.



IV. Der Zweikampf im Leben Karl Mays


Denken in Zweikampfkategorien setzt voraus: einmal die Erfahrung des Kampfes überhaupt, zum andern die Eingrenzung und Zuspitzung der Auseinandersetzung auf zwei Gegner.

   Sich Mays Leben unter ›Kampfbedingungen‹ vorzustellen fällt nicht schwer: Kampf, um dem Elend des proletarischen Milieus zu entkommen; Kampf mit Polizei und Justiz, die seine großen Pläne schon früh und bis ins reife Mannesalter immer wieder durch drakonische Strafen zunichte zu machen drohten; Kampf um den Aufbau einer gesicherten bürgerlichen Existenz; Kampf mit gewissenlosen Geschäftsleuten wie Münchmeyer; Kampf um das Eheglück mit einer sehr reizvollen, aber auch nicht ganz einfachen Frau und besonders, gegen Ende seines Lebens, Kampf um den Bestand des mühevoll Erreichten gegen massive Bestrebungen, ihn und sein Lebenswerk durch eine skrupellose Rufmordkampagne zu ruinieren. Angesichts dieser Auflistung läßt sich wohl ohne Übertreibung feststellen: Kampf war eine Grundbestimmung von Mays Leben.

   Als die schicksalhafte Erfahrung, die ihn und sein Werk zutiefst prägte, wurden immer wieder und mit Recht seine Gefängnis- und Zuchthausaufenthalte angeführt, die ihn über mehrere Jahre an Orte verbannten, die bekanntlich einen besonders fruchtbaren Nährboden für lebhafte Phantasietätigkeit abgeben.30 Daß auf diesem Boden auch kräftig Zweikampfphantasien wucherten, ist wahrscheinlich, zumal sie eine besondere Affinität zur Lage des Gefangenen haben. Wegen der weitgehenden Übereinstimmung der zweikampftypischen Zweckbestimmungen mit den Gefühlen und Wünschen eines Menschen hinter Gittern bot sich gerade der Zweikampf dem inhaftierten May als geeignetes Paradigma einer Standortbestimmung und Zukunftsorientierung an.

   Während sich in der Phantasie des Befreiungszweikampfs das vorrangige und allesbeherrschende Verlangen des Häftlings nach Freiheit reflektiert, tritt im Stellvertreterzweikampf die Solidarität des seinen Mithäftlingen kameradschaftlich verbundenen Gefangenen in Erscheinung. Der Wunsch nach Bewährung, einer eminent juristischen Kategorie, findet sich ausgeprägt in den Initiationszweikämpfen, die gleichfalls der Bewährung dienen. Bedenkt man, wie sehr eine - noch dazu als ungerecht empfundene - Verurteilung und Strafverbüßung als Kränkung und persönliche Verletzung erlebt wird, so werden Zweikampfphantasien sowohl mit Blick auf die Wiederherstellung des guten Rufs (Ehrenzweikampf) als auch als Ausdruck von Rachewünschen (Rachezweikampf) verständlich.


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   Durch Einbindung in die Form des Zweikampfs werden die aggressiven Regungen und destruktiven Impulse, unbestreitbar das Substrat aller Zweikampfvorstellungen, bis zu einem gewissen Grade zivilisiert und legitimiert. Wenn man bedenkt, welche Gefühle den jungen May während seiner Haftverbüßung beherrschten - zeitweilig konnten sie sich zu starken Haßausbrüchen und Rachegelüsten steigern -,31 so wird man die mäßigende Wirkung konstruktiver Phantasiegebilde, zu denen ich den Zweikampf rechnen möchte, nicht geringschätzen.

   Eine weitere Ursache für die Ausbildung von Zweikampfvorstellungen bei May dürfte in der spezifischen Verfassung des bürgerlichen Rechtswesens liegen, dem es, wie die zwanghafte Subsumtion menschlichen Verhaltens unter alles umfassende Paragraphen und die gnadenlose Sanktionierung auch kleinster Verfehlungen ›im Namen des Gesetzes‹ belegen,32 primär um die ›Sache‹, um das ›Prinzip‹, geht, nicht aber um den ›Menschen‹, und schon gar nicht um den straffällig gewordenen. Zu vermuten ist, daß May angesichts seiner Verfehlungen zwar ein subjektives Unrechtsbewußtsein hatte, die Einordnung und Beurteilung seiner Taten nach Maßgabe des geltenden Strafrechts und seiner Fetischisierung des Eigentums aber keineswegs nachvollziehen konnte und - mit einigem Recht - als ungerecht empfinden mußte.33 May, der wie alle Angehörigen seiner Klasse - und zudem als künstlerisch veranlagter Mensch - das Anschauliche, Faßbare liebte, wird sich in den gegen ihn ausgesprochenen Urteilen nicht wiedererkannt, dafür aber um so mehr den Wunsch nach angemessener Darstellung seiner Situation verspürt haben. Zweikampfphantasien mögen hier als Hilfskonstruktionen gedient haben, sich das Abstrakt-Anonyme der gegebenen Rechtsprechung, der er sich hilflos unterworfen fühlte, nicht nur personalisiert besser vorstellen zu können, sondern - und hier wird der Charakter solcher Bilder als Wunscherfüllung noch deutlicher - als beeinflußbar und veränderlich. Machen die bürgerlichen Rechtsverhältnisse den Angeklagten in jedem Falle passiv - ob Freispruch oder Verurteilung: Das Urteil wird immer ›über ihn gefällt‹ -, so gibt der Zweikampf dem Betroffenen die Möglichkeit, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und zu bestimmen. Das Phantasieren von Zweikampferlebnissen kann somit dem verzweifelten Gefangenen May über das Gefühl absoluter Ohnmacht hinweg die Eröffnung einer Chance zur Befreiung ›aus eigener Kraft‹ geboten haben.

   Diesen zahlreichen Erklärungsversuchen der auffälligen Vorliebe Mays für Zweikampferzählungen steht die berechtigte Annahme gegenüber, daß er das Duell ›im wirklichen Leben‹ grundsätzlich ablehnte, nicht nur weil er als ›geborener‹ Proletarier bzw. Kleinbürger, zudem vorbestraft, nach dem Ehrenkodex der Duellanten als ›nicht satisfaktionsfähig‹ galt - hieran dürften auch sein späterer materieller Wohlstand und die damit verbundene gesellschaftliche Aufwertung nichts geändert haben -, sondern weil diese gewaltsame Form der Selbstjustiz mit seinen menschlichen, religiösen und politischen Grundüberzeugungen nicht vereinbar war.


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   Daß May bei aller - wie man heute sagen würde - ›kriminellen Energie‹ ein gewalttätiger Mensch gewesen sei, dürften seine aufrichtigsten Feinde im Ernst nicht behaupten. Nicht Mord, nicht Totschlag, nicht einmal Körperverletzung zählen zu den ihm eigentümlichen Straftaten, für die Gesellschaft stellte er keine Gefahr dar. Schlimmstenfalls wurde er zweimal, in allerdings verfänglichen und ihn belastenden Situationen, im Besitz von Waffen angetroffen, von denen er aber keinen Gebrauch machte, »denn eigentliche Gewalttätigkeit hat May nie gelegen«, wie Hans Wollschläger in diesem Zusammenhang feststellt.34

   Auch unter den veränderten Umständen der späteren Lebensjahre hat May, nun in einer bei allen Widrigkeiten juristisch weitaus günstigeren Position, in keiner Phase versucht, die oftmals beleidigenden und ehrverletzenden, mit anderen Worten ›duellwürdigen‹ Attacken seiner Feinde anders als mit Rechtsmitteln zu parieren. Ich habe es ertragen, ohne mich zur Selbsthilfe reizen zu lassen, weil ich keinen Augenblick lang an Gott und seiner Liebe zu zweifeln vermag ...35 Hier wird der Zusammenhang zwischen seiner Ablehnung gewaltsamer Problemlösungen und seinen religiösen Überzeugungen sichtbar, die als christlich zu bezeichnen nicht falsch, aber doch mißverständlich wäre, weil auch der traditionell im offiziellen Kirchenwesen verwurzelte Adel sich dieses Attribut skrupellos zurechnete. Mit Nachdruck hat sich May von einem solchen bloß nominellen Christentum abgegrenzt und gegen die obrigkeitsstaatliche Usurpation der christlichen Werte deren Verinnerlichung und Überführung in die praktische Lebensführung gefordert. Das im Zentrum eines so verstandenen Christentums stehende Gebot der Nächstenliebe, auf das er sich in seinen Erzählungen immer wieder zur Begründung des humanen Verhaltens seines Helden beruft und zu dem er sich auch als persönlicher Lebensmaxime bekennt,36 ist mit der auf gekränkter Eitelkeit beruhenden Vergeltungsgesinnung des Duellanten nicht vereinbar.

   Mays politische Einstellung läßt ebenfalls keine Nähe zu den ideologischen Befürwortern des Duells erkennen. Bei allen Schwierigkeiten einer klaren Positionsbestimmung: keineswegs wird man May eine Parteinahme für die tragende politische Gruppierung des Duells, den Adel bzw. das höhere Bürgertum, unterstellen können. Hierzu bestand auch keine Veranlassung. So eindrucksvoll sich sein Aufstieg aus den Niederungen eines proletarischen Milieus in eine gutbürgerliche Mittelstandsposition auch darstellt: Der Abstand zu den höheren bürgerlichen Kreisen, die sich in ihren Idealen und Ambitionen an dem Lebensstil des Adels orientierten und, wenn nicht sich selbst, so doch diesem das Duell als gesellschaftliches Privileg ausdrücklich zuerkannten, blieb auch für den Besitzer der Villa Shatterhand noch groß genug. Erfreulicherweise gehörte May nicht zu der fragwürdigen Spezies von ›Neureichen‹, die ihren - vergleichsweise bescheidenen - sozialen Aufstieg durch demonstrative Übernahme des Wertesystems der gesellschaftlichen ›Elite‹ unterstreichen zu müssen glaubte.37 Vieles


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auch spricht dafür, daß er die enorme Verbesserung seiner Lebensverhältnisse nicht der ›Großzügigkeit‹ einer Gesellschaft zuschrieb, die - nicht ganz zu Unrecht - sich die Ermöglichung von Karrieren à la May durch partielle Durchlässigkeit der Klassenschranken als Verdienst zurechnete, sondern vornehmlich - und wohl mit größerem Recht - sich selbst, seiner Begabung, seinem Fleiß, seiner zähen Ausdauer. Ein Grund weniger, seine Verpflichtung oder Dankbarkeit durch Identifizierung mit den Werten der herrschenden Klasse, in diesem Falle dem Ehrenkodex der Duellanten, unter Beweis zu stellen.38

   Der Widerspruch zwischen exzessiven Zweikampfphantasien bzw. entsprechender Vorliebe für Zweikampfgeschichten einerseits und persönlicher Ablehnung des Duells andererseits bedarf einer Erklärung.

   Zweikampfphantasien dürften May, in der einen oder anderen Form, sein Leben lang beschäftigt haben. Maßgeblich, wie gezeigt, in seiner Haftzeit, sei es entstanden oder aber bedeutend verstärkt, bildeten sie das Material, das später, besonders in den achtziger und neunziger Jahren, literarisch in Erzählungen umgesetzt wurde. Daß die Impulse mit der Zeit schwächer wurden, ist unverkennbar und sowohl dem zeitlichen Abstand als auch der Festigung der pazifistischen Grundeinstellung des Dichters geschuldet. Gleichwohl blieb das Zweikampfmodell für May noch virulent, auch nachdem die haftbedingten Phantasien an Stärke eingebüßt hatten; dafür sorgten schon die ›Herausforderungen‹ seiner zahllosen Feinde, denen er sich in seinen letzten Lebensjahren stellen mußte.39 Als literarisches Mittel zur Personalisierung privater Konflikte allerdings - und das ist auch ein Aspekt der Reifung und Läuterung des Dichters - hat der Zweikampf, jedenfalls in der alten gewalttätigen Manier, ausgedient. May stehen nun subtilere, künstlerisch höherwertige Mittel zur Verfügung,40 wie er in den späten Orientromanen beweist. Ein letztes Mal allerdings holt der Zweikampf ihn noch ein, in ›Winnetou IV‹, ein Rückfall, wenn man will, andrerseits eine Reminiszenz, die sich, wie sich zeigen wird, durchaus sinnvoll in die Konzeption des symbolistischen Spätwerks einfügt.41

   Sicherlich wird man auf diese Weise bis zu einem gewissen Grade Mays Ablehnung des Duells einerseits und seine exzessiven Zweikampfphantasien und -erzählungen andrerseits von der lebensgeschichtlichen Entwicklung, der menschlichen ›Reife‹ des Autors abhängig machen und somit erklären können, wie aus einem ›Befürworter‹ ein ›Gegner‹ des Duells wurde, eine ›Wandlung‹, die auch aus dem Gesamtkontext des Alterswerks verständlich wird, in dem May kampfbetonten Szenen weitgehend abgeschworen und sich von dem trotz aller christlichen Überformung vormals recht gewalttätigen Charakter seines Protagonisten Old Shatterhand bzw. Kara Ben Nemsi deutlich distanziert hat.42

   Diese Annahme, die eine plausible Begründung in Mays Orientreise von 1899 findet, die übereinstimmend als fundamentaler biographischer Einschnitt angesehen wird, sollte allerdings nicht dazu verleiten, die verschie-


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denen Schaffensperioden des Autors auseinanderzudividieren oder gegeneinander auszuspielen. Immerhin tritt der spätere Duellgegner Old Shatterhand trotz seiner deutlich artikulierten Abneigung seinen ›letzten Zweikampf‹ bewußt und willentlich an,43 so wie umgekehrt schon der frühe, kämpferischen und ›zweikämpferischen‹ Auseinandersetzungen keineswegs abgeneigte Old Shatterhand durch die ausdrückliche Schonung seiner Gegner einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Humanisierung des sonst meist blutigen Spektakels leistet.44 Vor diesem Hintergrund ist die im letzten Zweikampf artikulierte Duellgegnerschaft Old Shatterhands eben nicht Ausdruck eines radikalen Gesinnungswandels, sondern Resultat eines - sicherlich nicht gleichförmigen, sondern manche Höhen und Tiefen durchlaufenden - letztlich in der Identität einer einheitlichen Lebensgeschichte des Autors begründeten Entwicklungsprozesses.

   Somit läßt sich aus der häufigen Verwendung des Zweikampfmotivs an sich weder auf eine Parteinahme des Autors für noch auf eine solche gegen das Duell schließen, genauso wenig wie der völlige Verzicht auf die Verwendung dieses Motivs den Schreiber schon allein deswegen als Zweikampfgegner ausweist. Realität und Fiktionalität sollten hier säuberlich auseinandergehalten und die literarische Darstellung und Bewertung nicht voreilig mit der wirklichen Einstellung des Schreibers gleichgesetzt werden. Letztendliche Klarheit bringen können hier nur verläßliche Dokumente, unter denen authentische Äußerungen des Autors sicher an vorderster Stelle rangieren. Darüber hinaus bleibt man angewiesen auf sekundäre Zeugnisse, z. B. von Freunden und Verwandten, sowie auf Rückschlüsse, die sich aus dem praktischen Leben des Betreffenden, z. B. seiner Herkunft, seiner gesellschaftlichen Stellung, ergeben. Als ein solcher sekundärer Beleg für die Duellgegnerschaft Mays kann m. E. seine Freundschaft mit der österreichischen Schriftstellerin und Pazifistin Bertha von Suttner gelten, die als führendes Mitglied in der österreichischen Anti-Duell-Liga (!) tätig war und mit der May in den letzten Jahren seines Lebens einen lebhaften Gedankenaustausch pflegte.45

   Abgesehen davon dürfte May, was seine Schriftstellerei betrifft, sehr pragmatisch, vielleicht auch opportunistisch gedacht und nicht unbedingt jede Zweikampfgeschichte zum Anlaß akribischer Gewissenserforschung hinsichtlich der moralischen Verantwortbarkeit seines Tuns gemacht haben. Immerhin ist die Berechtigung des Grundsatzes ›Gut ist, was meinem Roman nützt‹ mit Blick sowohl auf die Qualität eines Buches als auch auf die Sorgen eines auf seinen Broterwerb bedachten Schriftstellers nicht von der Hand zu weisen. Mehr als andere, gerade auch sogenannte Abenteuerschriftsteller, hat May den Reiz und die Faszination von Zweikämpfen erkannt und sie in seinen Werken effektvoll in Szene gesetzt. Die Versetzung in exotische Gebiete machte es ihm außerdem möglich, seine Abneigung gegen das Duell in seinem eigenen Lebensraum zu artikulieren und es so umzudeuten, daß es unter den veränderten Umständen nicht mehr ver-


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werflich, sondern im Gegenteil, wie in den Befreiungszweikämpfen, von hoher moralischer Würde war. So gesehen könnte man vielen der Mayschen Zweikämpfe, auch gegen den Augenschein, ein beachtliches gesellschaftskritisches Potential zusprechen.



V. Die Entwicklung des Zweikampfmotivs im Werke Mays


Zweikampferzählungen durchziehen die Romane und Erzählungen Mays vom Anfang bis zum Ende seiner schriftstellerischen Tätigkeit. Legt man die gelegentlich vorgeschlagene Einteilung in vier Schaffensperioden zugrunde,46 so wird man die ersten beiden von 1874 bis 1880 und 1881 bis 1886 die Vorbereitungs- oder Übungsphase des Motivs nennen können. Die nach dem dieser Studie zugrundeliegenden Erkenntnisinteresse bedeutendsten und ›ausgereiftesten‹ Zweikämpfe hat May in seiner dritten Schaffensperiode zwischen 1887 und 1899 geschrieben, die deshalb als die eigentliche ›Hoch-Zeit‹ des Zweikampfs in seinem Werk gelten kann, während der vierte und letzte Zeitraum von 1900 bis 1912 in gewisser Weise die Läuterungsphase des Motivs darstellt.

   Kennzeichnend für die Zweikampferzählungen der ersten beiden Schaffensperioden ist dreierlei: die Knappheit der Darstellung von in der Regel kaum mehr als zwei bis drei Seiten; die nur rudimentäre Ausbildung der Zweikampfbestimmungen und die geographische Lokalisierung der Handlung im Orient.47

   ›Unter Würgern‹ (1878/79)48 - später unter dem Titel ›Die Gum‹ - liefert das Beispiel eines ›arabischen Duells‹ zwischen einem Tebu und dem Großsprecher Hassan, bei dem sich die beiden Kontrahenten jeweils selbst mit einem Messer Verletzungen zufügen, bis einer von ihnen aufgibt.

   Die Auseinandersetzungen mit Abu Seif in ›Giölgeda padiœhanün‹ (1880/81)49 - später in dem Band ›Durch die Wüste‹ - können als der merkwürdige Fall eines ›arbeitsteiligen‹ Zweikampfs oder eines Zweikampf-›Splittings‹ angesehen werden, dessen Idee auch in den späteren großen Zweikämpfen mit mehreren Durchgängen noch durchscheint. Während das Säbelduell zwischen Kara Ben Nemsi und Abu Seif die Merkmale eines Fechtschaukampfes vor großem Publikum hat, findet der ernsthafte Teil dieses Kampfes erst später, und dann ohne Zeugen und mit tödlichem Ausgang, zwischen Halef und dem Seeräuber statt.

   Der Kurdistan-Abschnitt von ›Giölgeda padiœhanün‹50 - später in dem Band ›Durchs wilde Kurdistan‹ - berichtet von dem meines Wissens einzigen Fall, in dem beide Kämpfer umkommen, und zwar dadurch, daß der ›Heilige‹ der Dschesidi, Pir Kamek, den türkischen Miralai Omar Amed in einem dramatischen Ringkampf mit sich in den Flammentod reißt.

   In ›Der Krumir‹ (1882)51 trägt Kara Ben Nemsi, weil er nicht gewillt ist, einen geforderten Tribut zu zahlen, mit einem Scheik der Khramemsa,


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Hamram el Zagal, einen Ringkampf ›nach allen Regeln der Kunst‹ aus, d. h. einen ›echten‹ Zweikampf der Vollform, allerdings in der für diese Schaffensphase üblichen Kurzversion.

   Der Zweikampf zwischen dem deutschen Hauslehrer Doktor Müller alias Richard von Königsau und einem französischen Hausmeister in ›Die Liebe des Ulanen‹ (1883-85)52 hat offiziell den Charakter einer ›Fechtprobe‹, endet aber doch mit einer ernsten Verletzung des Franzosen. Dieser Kampf ähnelt stark dem klassischen Duell, von dem es in den Münchmeyerromanen zahlreiche Beispiele gibt. Hier entfällt natürlich in den meisten Fällen die Kennzeichnung ›Handlungsort Orient‹.

   Das seltene Beispiel eines ›Erwerbszweikampfs‹, bei dem es ausdrücklich um ein fremdes, von beiden Gegnern erstrebtes Gut geht, findet sich in ›Deutsche Herzen, deutsche Helden‹ (1885-87),53 wo der junge Beduine Tarik im Zweikampf nacheinander zwei Konkurrenten um den ›Besitz‹ der schönen Scheiktochter Badija ausschalten muß. Der relativ große Umfang hebt diese Zweikampfschilderung aus der Reihe der für die frühen Schaffensperioden sonst typischen Kurzfassungen heraus.

   Ein weiteres Beispiel für Zweikampf-Splitting, diesmal in Umkehrung der Ernst-Spiel-Relation, findet sich in der Erzählung ›Durch das Land der Skipetaren‹ (1887/88) - die späteren Band-Titel: ›Durch das Land der Skipetaren‹ und ›Der Schut‹. Während Kara Ben Nemsi dem Czakanangriff eines Miriditen nicht zweikampfkonform mit derselben Waffe, sondern mit einer Parade durch den Bärentöter begegnet,54 findet wenig später zwischen ihm und einem jungen Mann namens Israd, diesmal reglementiert und vor Publikum, ein sportlicher Wettkampf im Czakanwurf statt.55

   Am Schluß der Erzählung56 kommt es zur Abrechnung zwischen Omar Ben Sadek und dem Mörder seines Vaters Hamd el Amasat in Form eines wiederum regelrechten Zweikampfs, allerdings ›en miniature‹.

   Im Unterschied zur ersten und zweiten sind die Zweikampfdarstellungen der dritten Schaffensperiode ausführlich, oft geradezu opulent, und umfassen im Schnitt zwischen zwanzig und dreißig Seiten; sämtliche Zweikampfbestimmungen sind voll ausgeprägt; nahezu alle Kämpfe dieses Typs finden im Wilden Westen Nordamerikas statt.57 Ausnahmen:

   ›Der Mahdi‹ (1892/93)58 berichtet von dem Rachezweikampf Ben Nils, der, eigentlich gegen den alten Abd Asl gerichtet, von dessen Seite ›aus Altersgründen‹ von einem Stellvertreter bestritten wird. Da dieser, ein angeblicher Dschelabi (Händler), sich dem Kampf durch Flucht entziehen will, was eine Kugel Kara Ben Nemsis verhindert, kommt es zu einer Neuauflage des Duells mit einem anderen Gegner, einem riesigen Schwarzen, diesmal bis zum bitteren, tödlichen Ende. Auch hier also eine Art Splitting.

   In ›Am Jenseits‹ (1899)59 findet sich ein dreifacher Zweikampf zwischen Kara Ben Halef, Hadschi Halef Omar und Omar Ben Sadek auf der einen und drei Männern vom Stamme der Beni Khalid auf der anderen Seite um den sogenannten ›Schatz der Glieder‹. Dieses Duell ist gleich in mehrfacher


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Hinsicht bemerkenswert: wegen des ungewöhnlichen Eingreifens einer Frau (Hannehs); weil hier ein weiteres Beispiel des seltenen Erwerbszweikampfs vorliegt und weil der Zweikampf fragmentarisch bleibt, da der geplante dritte Durchgang nicht mehr stattfindet. Außerdem handelt es sich hier um den einzigen Orientzweikampf, der sowohl von der Erfüllung sämtlicher Zweikampfbedingungen als auch der erzählerischen Gestaltung her mit den großen amerikanischen Zweikämpfen vergleichbar ist.60

   Typisch für die Zweikämpfe der Spätphase sind die mehr oder weniger starke Auflösung ihrer realistischen Gestalt und eine abermalige Schwerpunktverlagerung nach dem Orient, wie sie sich schon in dem Roman ›auf der Grenze‹, ›Am Jenseits‹, ankündigte. Die große Ausnahme: ›Winnetou IV‹ (1909/10).61

   Als ein Duell, wenn auch nicht mit Waffen, kann man die Schlüsselszene aus ›Im Reiche des silbernen Löwen IV‹ (1903)62 betrachten, wenn der Ustad dem Ahriman Mirza als ›Chodem‹, als Doppelgänger, gegenübertritt. Beide symbolisieren verschiedene, miteinander in Widerstreit liegende Teile der Persönlichkeit Mays. Der Kampf zwischen gut und böse, typisch für das dualistische Weltbild des Autors, liegt auch dem großen Pferderennen desselben Romans zugrunde, wo die Pferde symbolisch für miteinander konkurrierende literarische Werke stehen.

   In ›Schamah‹ (1907/08)63 wird von einem Knaben namens Thar (Blutrache) berichtet, der spielerisch alle Welt zum Zweikampf herausfordert und diesen somit als kindlich-kindisches Verhalten erkennen läßt. Zum Schluß überwindet der Junge diese Einstellung und freundet sich mit dem Mädchen Schamah (Verzeihung) an. Durch das Kinderpersonal wirkt diese Altersnovelle wie eine späte Abrechnung Mays mit seinen früheren Duellgeschichten.64

   Wie man sieht, läßt sich die mehr als dreißigjährige schriftstellerische Entwicklung Mays auch an seinen Zweikampferzählungen ablesen.

   Der Übergang von der fragmentarischen Orient- zur vollausgebildeten Wildwestgestalt des Zweikampfs wird verständlich aus den Lebensumständen des Autors, die um das Jahr 1887 mit der Beendigung der Massenproduktion für den Kolportageverleger Münchmeyer und der Aufnahme der Arbeiten für Spemanns ›Guten Kameraden‹ einen bedeutungsvollen Einschnitt erfuhren, der u. a. auch positive Auswirkungen auf die Qualität des Geschriebenen hatte. Es ist bekannt, daß May die neue Aufgabe mit großem Elan und Ernst anging,65 so daß in den nun entstehenden Arbeiten auch die bisher unter permanentem Zeitdruck vernachlässigten Gestaltungsqualitäten zu ihrem Recht kommen konnten, und zwar mehr noch, als dies bereits in dem großen Orientroman von 1881-1888 der Fall war. So sehr dieser im Vergleich mit der hektischen Betriebsamkeit der Kolportageromane, ihren zahllosen, oft verwirrenden, manchmal gar völlig ›im Sande verlaufenden‹ Handlungsfäden und ihrem unüberschaubaren Personenbestand durch die bei aller Wildwüchsigkeit im geographischen Raum des


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osmanischen Reiches zusammengefaßte Handlung und die in der Identität des Ich-Erzählers auch personal vereinheitlichte Gesamtkonzeption erzähllogisch und -technisch einen Fortschritt darstellt, so sehr bedingt doch das gerade für dieses wie wohl für kein anderes Werk Mays konstitutive Movens des Reisens zwangsläufig eine Einschränkung der für Zweikämpfe unverzichtbaren Verweildauer. In den Jugendromanen tritt die Reisedynamik zurück zugunsten einer Erzählhaltung, die verstärkt auf die Kohärenz der Handlung und die formale Geschlossenheit der sämtlich einbändigen Werke abzielt. Je weniger die Handlung eine Funktion der Überwindung von Raum und Zeit, je weniger sie der Dominanz der Reisebewegung untergeordnet ist, desto mehr Eigengewicht kann sie gewinnen, desto mehr kann sich die Darstellung auf die Ausgestaltung vorübergehend stillgestellter Situationen konzentrieren, eine für die Schilderung von Zweikämpfen als extrem ›ortsgebundenen‹ Ereignissen notwendige Voraussetzung. Hinzu kommt Mays Gespür für die Bedürfnisse und Wünsche der Jugendlichen, der eigentlichen Adressaten der Romane für den ›Guten Kameraden‹. Daß die ersten großen Zweikämpfe Mays sich gerade in diesen Werken finden, ist mit Sicherheit auch den entwicklungsbedingten Interessen der jugendlichen Leser geschuldet, einer Klientel, für die der Zweikampf, sei es als sportliche Disziplin wie Boxen oder Ringen, sei es als gewöhnliches Raufen und Prügeln, eine zwischen Spiel und Ernst sich bewegende eigene Erfahrung darstellt. Ob Zweikampfdarstellungen nun als Objektivationen menschlicher Gewalttätigkeit im Jugendlichen verheerend oder ›kathartisch‹-abschreckend wirken, ob sie auf dem Wege des Ausphantasierens eine Möglichkeit gewaltfreier Abfuhr von Aggressionspotentialen bieten oder aber ob sie im Vorgriff auf die spätere Bewährung des jungen Menschen in der Konkurrenzgesellchaft ein Modell für die frühzeitige Einübung kämpferischer Handlungsmuster abgeben, ist m. E. eine rein akademische Frage, die an den Wünschen und Bedürfnissen Jugendlicher meist vorbeigeht. Gerade diese aber haben dem Schriftsteller, wenn er denn die Bezeichnung ›Jugendbuchautor‹ verdienen will, besonders am Herzen zu liegen. Nicht zuletzt dieses Nicht-Akademische ist es wohl auch, was jugendliche Leser an May immer geschätzt haben.66

   Auf die Trias der Jugenderzählungen mit Zweikampfdarstellungen, ›Der Sohn des Bärenjägers‹, ›Der Geist der Llano estakata‹ und ›Der Schatz im Silbersee‹, folgt sodann die ›Trias der Trilogien‹, ›Winnetou‹, ›Old Surehand‹ und ›Satan und Ischariot‹. Die Werke sind zwischen 1887 und 1897 erschienen. Während sich im ersten Fall sämtliche Zweikämpfe, nämlich drei, im ersten ›Winnetou‹-Band konzentrieren, verteilen sie sich in den beiden anderen Werken auf je zwei Bände. Allen Beispielen gemeinsam ist die enge Zusammengehörigkeit der in ihnen geschilderten Zweikämpfe.67 ›Winnetou I‹, obgleich keine ausdrückliche Jugenderzählung, atmet doch ganz deren Geist: Wie sie zeichnet sich dieser Roman aus durch die geschlossene einbändige Konzeption,68 die damit verbundene Konzentration


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der Handlung auf relativ wenige elementare und exemplarische Situationen, eine nur schwache Ausprägung des Reisemotivs und die ›Vordergründigkeit‹ des Zweikampfgeschehens, das sich weitgehend, ohne ›Hinter‹-Sinn, selbst genügt. So gesehen erfolgt erst mit ›Old Surehand‹ und ›Satan und Ischariot‹ die eigentliche Rückübertragung der in den Jugenderzählungen nach den ›Übungsversuchen‹ vor allem in den frühen Orientgeschichten zu darstellerischer Reife ausgewachsenen Zweikampfepisoden auf die Reiseerzählungen, allerdings ohne den ›langen Atem‹, der die Schilderungen im ›Sohn des Bärenjägers‹ und im ›Schatz im Silbersee‹ durchzieht. Das Zweikampfgeschehen ist hier vielmehr aufgespalten in jeweils zwei kürzere Episoden, eine Eigentümlichkeit, die schon bei einigen der frühen Zweikämpfe im Kleinen zu erkennen war.69 Mehr als bisher gewährt May hier in literarisch verklausulierter Form Einblicke in seine seelische Befindlichkeit, die dem Geschehen eine bis dahin nicht bekannte ›Hintergründigkeit‹ verleihen; darüber hinaus eröffnen sich schon erste Ausblicke auf seine spätere symbolische Überhöhung und Überführung ins Allgemeinmenschliche.70

   Die beiden Werke von 1896/97 verstärken die schon in ›Old Surehand‹ erkennbare religiöse Tendenz, die in der kurzen Erzählung ›Ein amerikanisches Doppelduell‹ in der bei May einmaligen Problematisierung des Duells als ›Gottesurteil‹ in Erscheinung tritt. In ›»Weihnacht!«‹ dann hat er, im Rahmen einer sehr besinnlichen, autobiographisch inspirierten Erzählung, ein letztes Mal die ›ganz große‹ realistische Konzeption des Zweikampfs nach Art der ›Sohn des Bärenjägers‹- und der ›Schatz im Silbersee‹-Episode verwirklicht. Daß dies in einer ausgewiesenen Reiseerzählung geschieht, unterstreicht die Außergewöhnlichkeit dieses Beispiels.

   Nachdem sich in dem ›abgebrochenen‹ Zweikampf in ›Am Jenseits‹ bereits der ›Bruch‹ im Leben und Werk Mays angekündigt hat, lebt das Motiv in seiner letzten Schaffensphase nur noch selten auf und wenn, dann, der neuen Tendenz des Gesamtwerks folgend, in sublimierter Form, und nun auch wieder im Orient lokalisiert. Fast wäre man versucht zu sagen: Der Kreis schließt sich, wenn, ja wenn die Orient noch der Orient wäre, in dem May die ersten Zweikämpfe ›spielen‹ ließ, und sich nicht vielmehr zu einer ›Seelenlandschaft‹, einer psychischen Topik zur Darstellung menschlichen Strebens, gewandelt hätte.71 Und wenn es nicht noch ›Winnetou IV‹ gäbe, ein Werk, das nach Mays scheinbar unwiderruflicher Abkehr vom Wilden Westen zwölf Jahre zuvor überrascht und das noch ein letztes Mal mit einem ›hochinteressanten‹ Zweikampf aufwartet.72



VI. Der Hauptschauplatz des Zweikampfs: Amerika


Zu den Schauplätzen seiner abenteuerlichen Geschichten hat May in der Hauptsache zwei große geographische bzw. kulturelle Bereiche gewählt:


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den Wilden Westen Nordamerikas mit den dort lebenden wilden Indianerstämmen einerseits und die muslimische Welt Nordafrikas, des Vorderen Orients und Südosteuropas andrerseits. Wie im vorigen Kapitel ausgeführt, liegen die Anfänge der Mayschen Zweikampfgeschichten in der Alten, ihre Höhepunkte dagegen in der Neuen Welt. Hierin lediglich eine Verschiebung oder Steigerung zu sehen, greift m. E. zu kurz. So groß sind die Unterschiede im Umfang, in der Gestaltung und in der Konzeption, daß man schon von einem ›qualitativen Sprung‹ wird sprechen können, der für May eine grundsätzliche Neubewertung des Zweikampfs bedeutete und ihn, zumindest in dieser Form, als kulturspezifische Eigenart des amerikanischen Kontinents zu erkennen gibt.

   Was nun spricht gegen den Orient und für den Wilden Westen als zentralen Schauplatz von Zweikampfhandlungen?

   Anders als im Wildem Westen betrat der Weltreisende May alias Kara Ben Nemsi auf seinen Reisen in die islamische Welt keinen rechtsfreien Raum, sondern ein historisch bedeutsames Gebiet, dessen kulturelle Blüte zwar schon viele hundert Jahre zurücklag, das aber zu Mays Lebzeiten zum größten Teil im Osmanischen Reich unter türkischer Oberhoheit zu einem einheitlichen Staatsgebilde zusammengefaßt war. Auch wenn sich dieses Reich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schon in einer recht dramatischen Phase des Niedergangs befand, sein gewaltiger Umfang auch verhinderte, daß die staatliche Macht alle Winkel des Imperiums erreichte, so muß doch grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß eine Rechtsordnung nicht nur formell, sondern mit allen Unzulänglichkeiten auch faktisch in Kraft war. Bei den im Orient gegebenen Auseinandersetzungen kann somit grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß sie gerichtlich ausgetragen und gelöst werden können.73

   Wie schon die sprichwörtliche Rede vom ›Wilden Westen‹ anzeigt, galt das gewaltige Gebiet jenseits des Mississippi in der Phase seiner Landnahme als ein Bereich der Zivilisations- und Rechtlosigkeit, wenigstens nach den Maßstäben der Weißen. Die ungeschriebene, auf Sitten und Gebräuchen beruhende indianische Rechtskultur mochte zwar zur Lösung der innerindianischen Probleme genügen, konnte aber bei den weißen Eroberern zur Regelung des Verhältnisses zwischen Indianern und Weißen ebenso wenig Anerkennung finden wie umgekehrt die Rechtspflege der Bleichgesichter bei den Indianern. Diesen Zustand der Willkür und ständiger Gefährdung des Lebens, in dem, sofern die Rechtskategorie da noch Sinn macht, das Recht des Stärkeren bzw. das Faustrecht regierte, verdeutlicht metaphorisch Mays häufige Rede von den dark and bloody grounds.74 Ähnlich wie das sog. Shoot-Out des amerikanischen Western, das durch die direkte ›ehrliche‹ Konfrontation der Gegner in die brutale Praxis wildwuchernder Selbstjustiz unter den Weißen eine Art ›Rechtselement‹ einführt, versucht May in seinen Zweikämpfen, besonders durch die Verknüpfung eines stark ausgebildeten Reglements mit dem Prinzip der


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Öffentlichkeit, den gewaltsamen Auseinandersetzungen das Willkürliche zu nehmen und Chancengleichheit zwischen den beiden Duellanten zumindest formell zu gewährleisten. Daß der Deutsche seine Zweikämpfe überwiegend in die Auseinandersetzungen zwischen Indianern und Weißen plaziert,75 verleiht ihnen, im Unterschied zum rein amerikanischen Shoot-Out, zusätzlich eine völkerverbindende Dimension: Mangels eines beiderseits verbindlichen und akzeptierten Rechts fungiert der Zweikampf hier als gemeinsamer Nenner ansonsten unvereinbarer Rechtsvorstellungen.


Der Zweikampf der Weißen


Auch wenn das Duell mit der Besiedlung des Kontinents durch die Europäer Einzug in die Neue Welt hielt und sich dort in den Kreisen der neuen gesellschaftlichen Eliten einer gewissen Beliebtheit erfreute: Daß es in einer auf allgemeiner Freiheit und Gleichheit beruhenden Gesellschaft nicht die hervorragende Rolle als Abgrenzungsritual spielen konnte wie in den europäischen Klassengesellschaften, liegt auf der Hand. So bildeten sich unter den ganz anderen gesellschaftlichen Bedingungen, die auch einen modifizierten Ehrbegriff umfaßten, neue Duellvarianten aus, als deren bekannteste das ›amerikanische Duell‹ und das Shoot-Out gelten können. Obwohl sie beide, mehr wohl noch als das klassische Duell im alten Europa, Randerscheinungen der zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen blieben und dadurch sowohl die Stärken eines die menschliche Würde juristisch schützenden Rechtssystems als auch den Glauben der Menschen, ›Satisfaktion‹ auf dem Rechtswege erlangen zu können, verdeutlichen,76 gelangte zumindest eine der beiden Duellvarianten zu einer Popularität der besonderen Art. Und zwar handelt es sich hier um das Revolverduell des Wilden Westens, das in seiner Ausprägung als ›Shoot-Out‹ zunächst in der Literatur, später im Film nicht nur eine Idealisierung brutaler Tötungshandlungen bewirkte, sondern auch Ausnahmeaktionen zum Regelfall beförderte.

   Selbst wenn man annimmt, daß der sog. Wilde Westen wirklich eine Ausnahme von der Verläßlichkeit der verbrieften Rechtsordnung darstellt - und viele Indizien weisen darauf hin -, wird man in dem Revolverhelden Hollywoodscher Provenienz eher ein verzerrtes Bild von den tatsächlichen Zuständen erkennen müssen. Dem Gegner eine faire Chance im Zweikampf zu geben entspricht nicht der bürgerlichen und besonders amerikanischen Übervorteilungsmentalität, und so dürfte es wohl eher im Interesse eines allgemeinen Überlebenswillens gelegen haben, jede Gelegenheit zur Beseitigung eines Feindes zu nutzen, ohne unnötigerweise das eigene Leben zu riskieren. Es mag schon stimmen, daß im Wilden Westen die ›Revolver locker saßen‹, doch werden es eher informelle Situationen und spontane Aktionen gewesen sein (Überfälle, Hinterhalte, Affekthandlungen usw.), in denen ›die Waffen sprachen‹, und nicht sogenannte Shoot-Outs.


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Dieses muß vielmehr als Teil der amerikanischen Westernlegende gesehen werden und dient der mythologischen Verklärung einer in vielerlei Hinsicht durchaus unrühmlichen Geschichte und ihrer Akteure. Daß Hollywood mit dem Shoot-Out nichtsdestoweniger ein originelles Interpretations- und Identifikationsmuster der eigenen Vergangenheit geschaffen hat, zeigt nicht nur die Erfolgsgeschichte dieses Modells, sondern auch ein Vergleich mit dem klassischen Duell, der seine unverwechselbaren Eigentümlichkeiten um so deutlicher hervortreten läßt.

   Halten wir zunächst die äußeren Modalitäten fest: Die Standardwaffe des amerikanischen Westernduells ist der Revolver, eine Option auf eine Fechtwaffe gibt es nicht; Sekundanten oder auch ein Arzt stehen nicht bereit; der Schußwechsel erfolgt spontan, nicht auf ein Kommando hin, im allgemeinen auch ohne Vergabe eines Erstschußrechts; die beiden Duellanten scheuen nicht die Öffentlichkeit: im Gegenteil, oft ist die Hauptstraße der Ort des Showdown; Ehrverletzung als Duellursache ist nur ein randständiges Phänomen, meist geht es um die Realisierung einer Rache oder die ›Erledigung‹ eines Kriminellen, der anderweitig nicht zur Strecke zu bringen ist.

   Für die beiden Zweikämpfer im besonderen gilt: Grundsätzlich ›satisfaktionsfähig‹ ist jeder, der den dazu erforderlichen Mut und eine Waffe mitbringt. Während sich im klassischen Duell prinzipiell zwei ›Ehrenmänner‹, zumindest im Sinne der Standeszugehörigkeit, gegenüberstehen, treffen im Shoot-Out meist grundverschiedene Charaktere aufeinander, die sich, grob vereinfacht, wie ›gut‹ und ›böse‹ zueinander verhalten. Diese Unterscheidung verleiht dem Duell eine moralische Qualität, die es bis dahin nicht hatte. Die häufige Anbindung an einen gesellschaftlichen Funktionsträger (z. B. einen Sheriff) transformiert es in eine Rechtskategorie und macht aus dem ›guten‹ Zweikämpfer einen positiven Helden im Sinne von ›law and order‹. Nicht zuletzt auch darin erweist sich die moralische Überlegenheit des Helden, daß er seinen Gegner zuerst ›ziehen‹ läßt und ihn dann, trotz des eigenen Nachteils, besiegt, ein ›maywürdiges‹ nobles Verhalten. Und schließlich zeigt sich der moralische Charakter des Shoot-Out darin, daß sein Ausgang im Sinne der Gerechtigkeitserwartung und der inneren Parteinahme des Zuschauers für den Helden präjudiziert ist: Der Sieg des Guten ist Teil des obligatorischen Happy-End.

   Bei May findet sich kein einziges Beispiel für diesen Duelltyp.77 Das mag abermals belegen, daß er, wie ihm häufig vorgeworfen wird, mit den amerikanischen Verhältnissen nicht wirklich vertraut war. Berücksichtigt man aber, daß das Shoot-Out, wie gezeigt, eben weniger gesellschaftliche Realität als vielmehr ein Kunstprodukt der Filmindustrie war, das in der uns bekannten Form erst ›nach May‹ erfunden wurde, so kann ihn dieser Vorwurf hier naturgemäß nicht treffen.78 Trotzdem bleibt die Frage interessant, wieso der Autor, der ansonsten immer wieder zeigte, daß er die ganze Variationsbreite spannungswirksamer Effekte konsequent auszunutzen wußte,


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ausgerechnet auf diese interessante Duellvariante nicht ›kam‹ oder aber bewußt auf sie verzichtete. Eine Erklärung hierfür, sicherlich keine erschöpfende, ist wiederum, daß Mays Bücher überwiegend ›Indianerromane‹ sind, also von Konflikten und Kämpfen zwischen Weißen und Indianern oder zwischen Indianerstämmen handeln und das Revolverduell nun einmal eine für die ›Bleichgesichter‹ typische Disziplin war. Dennoch sind grundsätzliche Übereinstimmungen zwischen dem Shoot-Out und Mays Zweikampfkonzeption in gemeinsamer Abgrenzung vom klassischen Duell unverkennbar: In der Hauptsache betrifft dies den Öffentlichkeitscharakter der Auseinandersetzung, die Andersartigkeit bzw. die Erweiterung der Zweckbestimmungen und die moralische Qualifizierung der Duellanten.

   Im Unterschied zum Westernduell konnte das amerikanische Duell nicht wirklich und anhaltend populär werden. Zu anrüchig, bezogen auch auf das religiöse Empfinden der meisten Amerikaner, mußte seine Grundidee anmuten, die, ausgehend vielleicht von einer dem mittelalterlichen Gottesurteil nahestehenden Vorstellung, im Zuge der umfassenden Säkularisierung, die das Handeln und Denken des neuzeitlichen Menschen erfuhr, zu einer provokativen Versuchung Gottes, einer anmaßenden Herausforderung des Schicksals pervertierte. Der Ausgang des Duells wird hier ganz oder teilweise abhängig gemacht von der ›Vorsehung‹ oder dem Zufall, dem sich die beiden Gegner in fatalistischer, keineswegs aber frommer, sondern verächtlicher Ergebenheit überlassen. In Extremfällen besteht der Zweikampf ›lediglich‹ darin, daß gelost wird, welcher der beiden Duellanten Selbstmord begehen muß; grundsätzlich jedenfalls gilt, daß diese zu weitgehender Passivität verurteilt sind und sich selbst zum Spielball außerhalb ihrer Kompetenz liegender Kräfte machen. Ein Vergleich mit dem ›russischen Roulett‹ dürfte hier nicht ganz abwegig sein.

   Mays kurze Erzählung ›Ein amerikanisches Doppelduell‹ gibt den thematischen Bezug schon in ihrem Titel zu erkennen.79


Der Zweikampf der Indianer


Daß der Zweikampf bei den kriegerischen Stämmen Nordamerikas eine hervorragende Rolle spielte, steht außer Zweifel und ist vielfach belegt.80 Kaum anzunehmen ist allerdings, daß er die streng ritualisierte Form des Duells der Weißen hatte; auch daß er, wie so häufig bei May, Gefangenen eine Befreiungschance eröffnete, ist sehr unwahrscheinlich. Dagegen spricht auch hier die Vorrangigkeit des eigenen Interesses, die einen freiwilligen Verzicht auf einen gegebenen Vorteil im allgemeinen ausschließt. Großherzigkeit und Edelmut als Merkmale der hierzu erforderlichen Gesinnung sind per se keine genuin menschlichen Eigenschaften, auch nicht solche von Naturvölkern, sondern Tugenden, die besonders den sogenannten ›Wilden‹ erst im Zuge einer romantisierenden Verklärung zugeschrieben wurden.81 Bei nüchterner Betrachtung ergibt sich ein anderes, vor allem aber auch


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recht uneinheitliches Bild. Das Schicksal der Gefangenen hing ab von den Gebräuchen der jeweiligen Völker. Noch das Beste, was ihnen passieren konnte, war, daß sie qua Adoption in den Stamm aufgenommen wurden, häufig durch Verehelichung mit einer Frau, die im Kampf ihren Ehemann verloren hatte. Schlimmstenfalls - wohl nicht so häufig, wie in der Abenteuerliteratur und im Film suggeriert, aber doch so oft, daß man hier von einem weitverbreiteten Brauch sprechen kann - mußten sie Torturen am Marterpfahl erleiden.82 Bei einigen Stämmen der Nordwestküste wurden Gefangene auch versklavt oder während eines Potlachs geopfert; die Apachen versuchten häufig, ihre Gefangenen gegen Lösegeld auszutauschen. Nur in seltenen Fällen wurde ihnen die Chance geboten, ihrer Notlage aus eigener Kraft zu entgehen. So bei den Mandan, die den Gefangenen einen Wettlauf mit den Frauen (!) des Dorfes bestreiten ließen. Im Falle seiner Niederlage wurde er getötet, ansonsten nicht etwa freigelassen, sondern adoptiert.83 Man sieht also, daß die Chance einer Befreiung aus der Gefangenschaft durch einen siegreich bestandenen Zweikampf, einer der häufigsten Zweikampfanlässe bei May, bei den nordamerikanischen Indianern kaum bestand.

   Welche Rolle spielte nun der Zweikampf bei diesen Völkern wirklich?

   Zunächst offensichtlich wurde er eingesetzt zur Regelung von Konflikten innerhalb des Familienverbandes und der Stammesgemeinschaft. Zeugnisse hierzu finden sich in Peter Farbs umfangreicher kulturanthropologischer Untersuchung ›Die Indianer‹.84 Was der Autor hier über die Praktiken der Eskimos im Falle der Blutrache schreibt, ähnelt in manchen Punkten den Zweikämpfen bei Karl May. Der gegebene Anlaß läßt deutlich die Zweckbestimmung des Rachezweikampfs und seine Institutionalisierung in der Lebensgemeinschaft der Eskimos erkennen.


Sobald ein Streitfall allgemein bekannt wird, fordern andere Mitglieder der Gruppe einen mit beiden Streitenden verwandten Mann zur Vermittlung auf. Hat jemand mehrmals getötet, so wird er für die Gesellschaft untragbar. Wer bereit ist, diesen Mann, in dem man einen soziale Bedrohung sieht, zu beseitigen, erhält bereits im voraus die Zustimmung der Gemeinschaft, sogar der Familie des unbelehrbaren Mörders. Er muß auch keine Rache fürchten, denn er handelt im Namen aller Mitglieder.85


Den konkreten Austragungsmodus des Duells betreffend, führt Farb ›Faustkampf, Kopfstoßen, Ringen und Sängerwettstreit‹ an, also Anweisungen, die nicht unbedingt ›auf Leben und Tod‹ lauten, wenngleich es, wie sich im folgenden zeigt, oftmals praktisch darauf hinausläuft:


Der Ringkampf, an und für sich unblutig, nimmt gelegentlich ein tödliches Ende und ist eine der subtilsten Möglichkeiten, Blutrache zu üben. Die Kämpfe werden angekündigt und finden vor der versammelten Gruppe statt. Sie sind ein festlicher


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Anlaß; ungeachtet der Rechtslage wird der Sieger als der Stärkere gefeiert. Der Ausgang des Kampfes hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun, aber der Sieger gewinnt nicht nur den Streitfall, sondern auch gesellschaftliches Ansehen.86


Besonders deutlich tritt hier auch das für May typische, hier unter der Kategorie ›Publikum‹ gefaßte öffentliche Interesse hervor.

   Ein Bericht, der gleichfalls die Rolle des Zweikampfs zur Regelung stammesinterner Konflikte verdeutlicht, stammt aus der Familiengeschichte der Siouxfrau Mary Crow Dog.87 Und zwar handelt es sich hier um den auch historisch notierten Kampf zwischen den beiden Brulé-Sioux Spotted Tail und Crow Dog. »Die beiden waren Cousins und in ihrer Jugend auch Freunde.«88 Später verfeindeten sie sich wegen Meinungsverschiedenheiten über die Einstellung zu den Weißen. »Das führte zu Rivalität und die Rivalität zu Verdruß, zu großer Verärgerung, die sich allmählich zwischen die beiden Männer stellte.«89 Den Kampf selbst schildert Mary Crow Dog knapp mit folgenden Worten:


Am 5. August 1881, als Crow Dog, seine Frau neben sich, mit dem Pferdewagen Holz fuhr, sah er Spotted Tail aus dem Versammlungshaus kommen und sein Pferd besteigen. Er übergab die Zügel seiner Frau, nahm das Gewehr, das neben ihm im Futteral steckte, stieg vom Sitz und trat dem Häuptling gegenüber. Spotted Tail erblickte ihn und sagte: ›Das ist der Tag, an dem wir die Sache zwischen uns wie Männer regeln werden.‹ Er griff nach seinem Revolver. Crow Dog kniete sich hin, kam ihm zuvor und schoß. Er traf den Häuptling in die Brust. Spotted Tail fiel vom Pferd und starb, den Revolver, den er nicht mehr hatte abfeuern können, in der Hand. Turning Bear schoß auf Crow Dogs Frau, verfehlte sie aber. Crow Dog fuhr mit seiner Frau nach Hause. Ein Mann namens Black Crow richtete ein Schwitzbad her, um Crow Dog zu reinigen. Er lud die Winchester, schoß viermal in die heiligen Felsen und sagte: ›Jetzt wird dich Spotted Tails Geist nicht mehr belästigen.‹ Dann reinigten sie sich mit Wasser.90


Davon abgesehen, daß es in Mays Werk kein Beispiel eines Zweikampfs zwischen Stammesbrüdern gibt, lassen sich nach den hier zugrundegelegten Kriterien weitgehende Übereinstimmungen erkennen. So wird man im Falle der von Mary Crow Dog berichteten Begebenheit unter Berücksichtigung der Vorgeschichte wohl mit einigem Recht von einem Ehrenzweikampf sprechen können. Auch der ›Einsatz des Lebens‹ ist angesichts der Ausstattung beider Männer mit Schußwaffen offensichtlich, und Publikum wird man vor dem ›Versammlungshaus‹ sicher auch erwarten dürfen. Nicht so stark ausgeprägt ist das Kriterium der Regelabsprache, die Konfrontation erfolgt wohl für beide Seiten überraschend. Das Reglement besteht in kaum mehr als in der beiderseits selbstverständlichen Überzeugung, bei einer Begegnung sofort von der Waffe Gebrauch machen zu dürfen. Das Ganze erinnert stark an das Shoot-Out der Weißen, ausgetragen allerdings mit Revolver und - Gewehr! Die Reaktionen im Anschluß an die Bluttat


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lassen offen, inwieweit der Ablauf dieses Zweikampfs in Übereinstimmung mit den allgemeinen indianischen Gepflogenheiten steht oder aber einen Verstoß dagegen darstellt. Einige Anzeichen sprechen dafür, daß letzteres der Fall ist,91 so daß die Einschätzung dieses Duells zumindest als ›typisch‹ indianisch zweifelhaft wäre.92

   Auch daß der Zweikampf im Verlaufe kriegerischer Auseinandersetzungen eine große Rolle spielte, liegt auf der Hand. Sowohl die indianische Kampfweise als auch die Mentalität der Kämpfer begünstigten das Entstehen von Zweikampfsituationen. Schon aus der Bewaffnung ergab sich beinahe zwingend der Kampf Mann gegen Mann: Die relativ kurze Reichweite der Pfeilgeschosse ließ die Kämpfer nahe aneinanderrücken, machte sie füreinander auf kurze Distanz identifizierbar und nach Abschuß der Pfeile schnell im Nahkampf erreichbar, der dann meist mit Messer und Tomahawk ausgetragen wurde. Krieg war eine Sache der Ehre, wobei es unter den verschiedenen Stämmen strittig war, welcher Kampfestat die größte Ehre zuzusprechen sei. Bei den Mandan bestand sie darin, einen Feind allein aufzuspüren, zu töten und zu skalpieren. In vielen Fällen galt aber das Berühren des Gegners, der sogenannte ›Coup‹, als die höchste Ruhmestat, da sie die größtmögliche Annäherung an den Feind erforderte.

   Im folgenden seien zwei Beispiele für diesen oben grob skizzierten kriegerischen indianischen Zweikampf gegeben, und zwar aus dem Leben der Prärieindianer, also May bekanntlich recht ›nahestehender‹ Stämme.

   Zum einen handelt es sich um eine Art Bildergeschichte aus dem Leben des Mandanhäuptlings Mato-Tope, abgebildet auf einem Bisonlederumhang, die in Worten folgendermaßen klingt:


Die Szene (...) stellt den Angriff eines mit einem Messer bewaffneten Cheyenne auf Mato-Tope dar. In seiner berühmtesten Schlacht kämpfte Mato-Tope im Einzelgefecht gegen den Häuptling der Cheyenne, während die Schlacht um sie herum tobte. Sie begannen mit Gewehren und griffen sich auf Pferden an. Nachdem Mato-Topes Pulverhorn weggeschossen worden war, feuerten sie mit Pfeilen aufeinander, bis ihre Köcher leer waren. Mato-Topes Pferd wurde dabei getötet, und so rannte er nun auf den Cheyenne zu, um ihn von Mann zu Mann zu bekämpfen. Mato-Tope wurde zweimal an der Hand aufgeschlitzt und blutete stark, dann entwaffnete er jedoch seinen Gegner und tötete ihn mit seinem Messer.93


Das zweite Beispiel ist die berühmte Schilderung eines Zweikampfes zwischen zwei Indianerhäuptlingen, die Cooper am Ende seines Romans ›Die Prärie‹ liefert und die sich wie eine literarische Ausgestaltung dieser kleinen Bildergeschichte liest.94

   Zwei große Kriegerscharen der Sioux und Pawnees stehen sich auf den beiden Seiten eines Flusses feindselig-abwartend gegenüber. Als der Pawneehäuptling Hartherz die Initiative ergreift und sich zu Pferde auf eine in der Mitte des Flusses gelegene Sandbank, also dem Feind halbwegs entgegen, begibt, reitet der Sioux-Häuptling Mahtoree, der in dieser De-


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monstration mit Recht eine Aufforderung zum Zweikampf erblickt, nach einem vergeblichen Friedensangebot ebenfalls auf die kleine Insel. »Beide Häuptlinge waren (...) gleich bewaffnet. Jeder hatte seinen Speer, seinen Bogen, Köcher, kleine Streitaxt und sein Messer; desgleichen einen Schild von Häuten, der zur Verteidigung gegen einen Angriff mit diesen Waffen dienen mochte.«95 Nachdem der Sioux »auf einem Punkte des Eilandes, welchen sein höflicher Gegner deshalb freigelassen«96 hatte, gelandet ist, reiten sie aufeinander zu, und nach einer Pause eröffnet Mahtoree das Gespräch mit einer Erneuerung seines Friedensangebotes. Er beschwört das harte Leben der indianischen Völker und die Notwendigkeit, statt sich gegenseitig zu bekriegen, gegen die Weißen als die eigentlichen Feinde zusammenzuhalten. All diese Überredungsversuche werden von dem jungen Pawneehäuptling nur mit Hohn und Spott bedacht, so daß der außerdem noch der Feigheit bezichtigte Sioux schließlich zornentbrannt die Feindseligkeiten eröffnet. Die Kampfhandlungen bestehen zunächst in einem Duell mit Pfeil und Bogen, das so lange dauert, bis die Köcher der beiden Kämpfer leer sind. Es folgt ein Stoßen und Schlagen mit der Lanze, das schließlich den Sioux vom Pferde zwingt, um einem tödlichen Stoß auszuweichen. Unmittelbar danach stürzt das Pferd des Pawnee und klemmt den Reiter teilweise fest. Seine große Chance witternd, läuft Mahtoree nun mit Messer und Tomahawk auf seinen benachteiligten Gegner zu, der ihm aber, keineswegs ganz hilflos, mit gezieltem Wurfe das Messer in die Brust schleudert. Tödlich getroffen wirft sich der Sioux in die Fluten des Flusses, um seinem Widersacher nicht den Triumph zu gönnen, seinen Skalp zu erbeuten. Hartherz jedoch springt ihm hinterher und taucht kurz darauf mit der Kopfhaut seines Feindes wieder auf. Nun setzt - im wahrsten Sinn des Wortes - eine Schlacht zwischen den beiden feindlichen Heeren ein, an deren Ende die weitgehende Vernichtung der Sioux steht.

   Dies stellt die vielleicht eindrucksvollste Schilderung eines indianischen Zweikampfes dar, der man ein hohes Maß an Authentizität wohl nicht wird absprechen können, in Anbetracht sowohl der frappierenden Übereinstimmung mit dem historisch verbürgten Mandanbericht als auch der anerkannten Zuverlässigkeit des Gewährsmannes Cooper.

   Im Unterschied zum Mandanbericht ist Coopers Schilderung viel stärker publikumsbezogen. Während die beiden Häuptlinge gegeneinander kämpfen, ›schweigen die Waffen‹ bei allen anderen, und die gesamte Aufmerksamkeit ist ungeteilt den beiden auf der Sandbank Kämpfenden zugewandt. Erst danach setzen die allgemeinen Kämpfe ein. Bei Mato-Tope dagegen heißt es, daß der Kampf der Häuptlinge stattfand, »während die Schlacht um sie herum tobte«.97 Der Kampf der Häuptlinge ist hier also Teil eines allgemeinen Kampfgeschehens und nicht die ›Initialzündung‹, der Auslöser des Gefechts, wie bei Cooper.98

   Unter dem Gesichtspunkt der Publikumsbezogenheit kommt Coopers Darstellung Mays Zweikampferzählungen sehr nahe. Andrerseits fehlen


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sowohl im Mandanbericht als auch bei Cooper Bestimmungen, die den Ablauf des Kampfes regeln. In der Bisonledergeschichte wird der Betrachter bzw. ›Leser‹ völlig unvermittelt in das Kampfgeschehen versetzt, und bei Cooper erfolgt die Eröffnung des Kampfes durch einen plötzlichen Pfeilschuß des Siouxhäuptlings, der für seinen Gegner gänzlich überraschend kommt und vom Erzähler deshalb als ›verräterisch‹ bezeichnet wird. Hier wirkt alles ›improvisiert‹, unabgesprochen, bietet Raum für Schlauheit und Verrat, Eigenschaften, die Cooper den Indianern oft pauschal oder einseitig, wie in diesem Fall den ›bösen‹ Sioux bzw. ihrem Häuptling, zuschreibt.99

   Trotz aller strukturellen Gemeinsamkeiten findet sich bei May keine Zweikampferzählung, die im einzelnen mit der Schilderung Coopers übereinstimmte, angesichts der Vielzahl seiner Geschichten und seiner ›blühenden Phantasie‹ eigentlich erstaunlich. Mir jedenfalls ist kein Fall bekannt, wo May zwei Indianerhäuptlinge zu Pferde miteinander kämpfen läßt. Wollte er nicht in den Verdacht des Plagiats geraten angesichts dieses sicher sehr bekannten literarischen Vorbilds? Möglicherweise paßte ihm aber ein solcher Zweikampf auch nicht ins Konzept seiner Wild-West-Geschichten, in deren Mittelpunkt nun mal die dominierende Gestalt Old Shatterhands steht.100



VII. Die großen amerikanischen Zweikämpfe im Werke Mays


Zweikampf gentlemanlike (›Der Sohn des Bärenjägers‹, 1887)


Old Shatterhand und Winnetou sowie ihre Gefährten und eine Schar verbündeter Schoschonen haben eine Gruppe feindlicher Upsarocas in einem Cañon gestellt. Um eine größere blutige Auseinandersetzung zu vermeiden, einigt man sich auf ein »Muh-mohwa« (»Hand am Baum«),101 einen Zweikampf, bei dem die beiden Gegner mit einer Hand an einen Baumstamm gebunden werden und in die andere Hand ein Messer erhalten. Das Duell wird in zwei Durchgängen ausgetragen: Zunächst tritt Winnetou gegen einen Upsarocakrieger, anschließend Old Shatterhand gegen den Anführer der Indianer Kanteh-peta an. Beide setzen ihre Gegner ohne Blutvergießen außer Gefecht. Danach wird die Friedenspfeife geraucht, und die Upsarocas verbünden sich mit Old Shatterhand und den Schoschonen zum Kampf gegen die Sioux.

   Dies ist der Zweikampf, bei dem es von vornherein mit rechten Dingen zugehen soll. Schon die ungewöhnliche Ausführlichkeit und Genauigkeit, mit der May die Regularien notiert, lassen das Bestreben erkennen, Zufall und Willkür, jede Möglichkeit einer unlauteren Einflußnahme auf das Geschehen möglichst auszuschließen:


Zwei Männer werden durch starke Riemen mit einer Hand an einen Baumstamm gebunden und erhalten in die andere Hand die verabredete Waffe, Tomahawk oder


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Messer. Die Riemen sind so befestigt, daß sie den Kämpfern erlauben, sich im Kreise um den Stamm zu bewegen. Da die beiden mit den Gesichtern gegeneinander stehen müssen, so ist der eine mit der rechten und der andere mit der linken Hand angebunden. Derjenige, welcher die Rechte zum Kampfe frei hat, ist also gewöhnlich im Vorteile.102


Und nachdem das Messer als Waffe bestimmt ist:


»... wer das Messer nicht mehr halten kann, dem ist es erlaubt, sich mit der Faust weiter zu verteidigen. Wer am Baume niederstürzt und auf seinen Leib fällt, der ist besiegt, mag er tot sein oder noch leben. Wer nur in die Kniee stürzt, darf sich wieder erheben. Vier Männer kämpfen, je zwei gegeneinander, erst ich [Kanteh-peta, der Medizinmann der Upsarocas] gegen dieses Bleichgesicht [Old Shatterhand], und sodann einer meiner Leute gegen einen der roten Krieger. Doch können die beiden letzteren auch vor uns kämpfen. Gehören die beiden Sieger verschiedenen Parteien an, so haben sie dann miteinander zu ringen und den Kampf zu entscheiden. Den Gefährten des Siegers gehört das Leben und alles Eigentum der besiegten Partei, und keiner, dessen Leben verfallen ist, darf sich weigern, sich töten zu lassen.«103


Da die Upsarocas von einer übermächtigen Schar Schoschonen sowie von Old Shatterhand und seinen Leuten in einem Cañon eingeschlossen sind, dient dieser Zweikampf der Befreiung; da außerdem, wie das Reglement es vorsieht, das Leben aller Beteiligten von seinem Ausgang abhängt, wird er insgesamt als stellvertretender Zweikampf gelten dürfen. Ferner lassen die Worte, mit denen Old Shatterhand seine Annahme des Zweikampfangebots begründet, die Zweckbestimmung des Ehrenzweikampfs erkennen: »Es wäre für uns, die wir ihnen so sehr überlegen waren und sie in eine Falle gelockt hatten, in der sie sich nicht bewegen und nicht verteidigen konnten, keine Ehre, sondern eine Schande gewesen, sie niederzuschießen.«104 Bezeichnend für diese Episode ist die weitgehende Identifizierung von ›Ehre‹ und ›Ehrlichkeit‹, die gewissermaßen programmatisch über dieser ganzen Auseinandersetzung steht.105 Und in der Tat kann als das hervorstechende Merkmal, das diesen Zweikampf von allen anderen, die May schildert, unterscheidet, die Fairneß gelten, die den Umgang der Beteiligten miteinander in auffälliger Weise kennzeichnet. Zwar gibt es auch hier die zweikampftypischen Schmähungen und Beleidigungen, auch ist mit der unübersehbaren körperlichen Überlegenheit der beiden Upsarocakämpfer eine klare Benachteiligung Winnetous und Old Shatterhands gegeben. Nimmt man das eine aber als die offensichtlich unvermeidliche ›Begleitmusik‹ eines jeden indianischen Zweikampfs und das andere als rein zufällige körperliche Unterlegenheit der einen Seite, so muß festgestellt werden, daß ansonsten alles unterbleibt, sich selbst in Vor- bzw. den Gegner in Nachteil zu setzen. Old Shatterhand hatte nach der Gefangennahme der Krähenindianer sogar darauf verzichtet, ihnen die Waffen abzuverlangen: Auch in dieser Beziehung hatte er wirklich ritterlich oder ... gentlemanlike gehandelt. Im Gegenzug erwartet er von der anderen Seite, »daß auch sie ohne Tücke und


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Hinterlist an uns handeln wie wir gegen sie«.106 Auf die Bedingung, die ›Pfeife des Schwurs‹ miteinander zu rauchen, geht der Anführer der Upsarocas bereitwillig ein und fügt hinzu: »Und damit der Kampf ein ehrlicher sei, und keiner mehr als der andere durch ein besseres Kleid geschützt werde, sollen die vier Männer mit entblößtem Oberleibe miteinander kämpfen.«107 Hinzu kommt der Losentscheid darüber, welcher der beiden Kämpfer mit dem rechten Arm am Baume festgebunden werden soll, Regelungen, die in den späteren Zweikämpfen, wie sich zeigen wird, meist einseitig zuungunsten Old Shatterhands und seiner Gefährten entschieden werden. Daß der Upsaroca Old Shatterhands Angebot, sich freiwillig mit der rechten Hand festbinden zu lassen, stolz zurückweist, ist ebenfalls ein Indiz dafür, daß das Bemühen um Fairneß in diesem Falle beidseitig ist. Somit entfällt die in nahezu allen folgenden Zweikämpfen gegebene Notwendigkeit, eine Benachteiligung durch List ausgleichen zu müssen. Im Gegenteil: Die körperliche Überlegenheit seines Gegners hindert Old Shatterhand nicht daran, sich freiwillig ein weiteres - und nicht unerhebliches - Handicap aufzuerlegen, indem er den Kampf ganz ohne Waffe bestreitet. Dies beeindruckt um so mehr, als kaum ein anderer seiner Gegner, was die körperliche Statur und die kriegerische Entschlossenheit betrifft, einen so furchteinflößenden und gefährlichen Eindruck macht wie dieser Medizinmann der Upsarocas.108 Statt eine Angleichung der unterschiedlichen Kräfteverhältnisse anzustreben, bewirkt Old Shatterhand also eine zusätzliche Kräfteverschiebung zu seinen Ungunsten.

   Wenn oben festgestellt wurde, daß in diesem Falle keine List zum Ausgleich einer Benachteiligung wirke, so bedeutet das nicht, daß sie gänzlich suspendiert wäre. Allerdings - und das ist der grundsätzliche Unterschied zu den anderen Zweikämpfen - steht sie hier nicht im Dienste des Gegen-, sondern des Füreinander. Hierfür scheint es zwei Gründe zu geben: zum einen den Umstand, daß Old Shatterhand vorhat, die Crows zu Freunden und Verbündeten im Kampfe gegen die Sioux zu gewinnen, zum andern die Tatsache, daß den Gefangenen zuvor von den Sioux-Ogallallah die Medizinen geraubt worden waren, es sich bei ihnen somit um, nach indianischer Mentalität, ihrer persönlichen Identität, ihrer ›Seelen‹ beraubte Menschen handelt. Was den ersten Gesichtspunkt betrifft - Old Shatterhand spricht diese pragmatische Einstellung deutlich aus: »Wenn wir sie schonen, werden sie unsere Verbündeten sein«109 -, so dürfte klar sein, daß Fairneß und Ehrlichkeit mit Blick auf eine künftige Freundschaft eine überzeugendere Werbung darstellen als Tücke und Hinterlist. Zu diesem Zweck allerdings gilt es zunächst erhebliche Widerstände zu überwinden, die in dem vorliegenden Fall mit dem Verlust der Medizinen erklärt werden, der die Upsarocas zu besonders gefährlichen und unversöhnlichen Feinden macht: »Der Indianer, welcher auszieht, um einen verlorenen Medizinsack zu ersetzen, entwickelt eine beinahe wahnsinnige Verwegenheit. Es ist ihm ganz gleich, ob er einen Freund oder einen Feind tötet ...«110 Wohl auch deshalb verzichtet Old


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Shatterhand darauf, sich den Krähenindianern - immerhin scheint er mit dem Bruder des Medizinmannes, Schunka-schatscha, befreundet zu sein111 - zu erkennen zu geben. Statt - unter den gegebenen Umständen wahrscheinlich vergeblich, denn der »Kampf wäre unvermeidlich gewesen«112 - an Freundschaft zu appellieren, bietet Old Shatterhand mit dem Zweikampf den Upsarocas eine Gelegenheit, ihr durch den Verlust der Medizinen verlorenes Selbstvertrauen wiederzugewinnen: Durch den Muh-mohwa aber befreite er [der Anführer der Indianer] sich nicht nur aus dieser augenblicklichen Bedrängnis, sondern er gelangte auch in den sichern Besitz der Skalpe aller seiner Feinde, in deren Hand er sich befand.113 Die von Old Shatterhand in diesem Falle angewandte List, seine und Winnetous Identität zu verschweigen,114 erhält von daher ihren Sinn: Für den Zweikampf soll die ganze Härte feindlicher Konfrontation erhalten bleiben, den Upsarocas nach der erlittenen Schmach eine reale Bewährung ihrer kriegerischen Fähigkeiten ohne Irritation durch freundschaftliche Rücksichtnahmen ermöglicht werden. Der Umstand, daß sie ihrer Medizinen verlustig gingen, was sie zumindest vorübergehend zu nicht vollwertigen Mitglieder ihres Stammes macht,115 scheint in den Augen Old Shatterhands eine derart fundamentale ›Benachteiligung‹ darzustellen, daß er fairerweise auf einen Ausgleich zugunsten seines Gegners bedacht ist.

   Von daher läßt sich auch die Funktion der Episode im Kontext des Romans erhellen. Bezogen auf die Haupthandlung - die Ereignisse um den Bärenjäger Baumann und seinen Sohn Martin -, aber auch die damit verknüpfte ›Indianerhandlung‹ - den Konflikt zwischen Sioux und Schoschonen - scheint dieser Zweikampf, wie die Upsarocaepisode überhaupt, durchaus verzichtbar. Man wird sie aber, auch wenn sie kein wesentlicher Teil der Handlungskonzeption ist, ihres humanen Gehaltes wegen hochschätzen und als wirkungsvolle Bereicherung ansehen dürfen. Im Zusammenhang mit den Ereignissen um den Raub der Medizinen gewährt May interessante Einblicke in die Gebräuche und die Mentalität der indianischen Völker - die Rolle der Medizinen und die Bedeutung ihres Verlustes -, zum anderen ergreift er mit der überaus fairen Behandlung der Upsarocas demonstrativ Partei für die gesellschaftliche Randgruppe der ›Medizinlosen‹, deren Reintegration in den Stammesverband er, hier zunächst durch Stabilisierung ihres Selbstwertgefühls, später dann durch die Rückeroberung der Medizinbeutel, tatkräftig unterstützt. Gerade diese unaufdringliche Verknüpfung spannungsreicher Aktion mit informativem Gehalt und pädagogisch-moralischem Appell - jedes für sich allein wohl unbefriedigend - macht die gelungene Mischung aus, die die Jugendromane Mays kennzeichnet.116

   Die Zeit zwischen der Absprache des Zweikampfs und seiner Ausführung wird von zahlreichen Einschüben kurzweilig ausgefüllt. Da gibt es neben den unvermeidlichen Invektiven die Vorwürfe und Ratschläge der Gefährten, die Präzisierung der Kampfbedingungen und Vermutungen


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über den Ausgang des Kampfes. Herausragend und einmalig im Rahmen von Zweikampfsituationen ist in diesem Falle die ausführliche Schilderung der Kalumet-Zeremonie, die der feierlich-rituellen Beglaubigung dieses ›ehrlichen‹ Zweikampfs dient und seine gesellschaftliche Bedeutung sinnfällig macht.

   Erwähnenswert ist noch ein kurzer Auftritt der beiden jüngsten Männer in Old Shatterhands Gefolge. Provoziert nämlich durch die Beleidigungen und Herausforderungen der beiden Upsarocas, bieten sich der Sohn des Bärenjägers, Martin Baumann, und der junge Mandanindianer Wokadeh als Kämpfer an, Vorschläge, die allerdings von Winnetou und Old Shatterhand zurückgewiesen werden.117 Zwar werden die beiden jungen Leute wegen ihres Mutes gerühmt, doch lassen Old Shatterhand und Winnetou es sich nicht nehmen, diesen Zweikampf - es ist der einzige, den sie gemeinsam austragen118 - selber zu bestreiten. Zu groß ist offensichtlich die Bedeutung dieses Kräftemessens, als daß sie es den beiden jungen Leuten überlassen wollten. Immerhin geht es hier nicht allein um den Sieg, sondern auch um die Schonung des Lebens und die Wiederherstellung der Würde und des Selbstbewußtseins künftiger Freunde, und Garanten dafür sind nun mal am ehesten die beiden ›berühmtesten Krieger des Westens‹, wie es der besiegte Kanteh-peta später Old Shatterhand gegenüber bestätigt: »Wenn du dieser berühmte Jäger bist, ... so hat der große Geist uns noch nicht verlassen. Ja, du mußt es sein, denn du hast mich mit der Faust niedergeschlagen. Von dir besiegt worden zu sein, ist keine Schande.«119 Am Schluß dann heißt es - und diesem Zwecke hatte, wie sich rückblickend zeigt, der Zweikampf hauptsächlich zu dienen -: So waren abermals Feinde in Freunde umgewandelt worden ...120


Zweikampf im Zwielicht (›Der Geist der Llano estakata‹, 1888)


In Helmers Home, einer Niederlassung am Rande des Llano Estacado, kommt es nach wechselvollen Anschuldigungen und Beleidigungen zu einem Schußwechsel zwischen Bloody-fox und einem mexikanisch gekleideten ›Bravo‹. Dieser wird, nach Abgabe seiner beiden Schüsse und trotz eines Fluchtversuchs, von einer Kugel des jungen Mannes in die Stirn getötet.

   Von allen Zweikämpfen Mays ist dies derjenige, der dem Shoot-Out des amerikanischen Western am nächsten kommt: Zwei Weiße tragen ein Duell mit Schußwaffen aus, allerdings mit Gewehren und nicht wie dort - und auch im klassischen Duell - mit Pistolen. Der Schußwechsel soll aus einer Distanz von fünfzig Schritten erfolgen, und zwar sollen, nach Helmers Kommando, »beide ganz beliebig schießen« können, »jeder zwei Kugeln, denn unsere Gewehre sind doppelläufig«.121 Dem Beschuldigten wird für den Fall seines Sieges freier Abzug zugesichert.

   Ein besonderer atmosphärischer Reiz entsteht hier dadurch, daß dieser Zweikampf, wohl auch einmalig bei May, abends bzw. bei Einbruch der


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Nacht stattfindet, so daß zur Erhellung des blutigen Geschehens jedem der beiden Duellanten ein Leuchter zur Seite gestellt wird. Es ist klar, daß unter solchen Umständen auch ein Schußwechsel besonders spannend ist, wenn man die Unberechenbarkeit des Ausgangs unter solchen Lichtverhältnissen bedenkt:


Es war selbst für diese kampfgewohnten Leute ein Augenblick höchster Spannung. Die beiden im Luftzuge wehenden Flammen beleuchteten mit rußigrotem, flackerndem Scheine die beiden Gruppen. Die Männer standen still, und doch schien es bei dem unruhigen Lichte, als ob sie sich unausgesetzt bewegten. Es war unter diesen Umständen sehr schwer, ein ruhiges Ziel zu nehmen, besonders da die Beleuchtung nicht zureichend war, die Kimme des Visieres oder gar das noch weiter vom Auge entfernte Korn zu erkennen.122


Der Zweckbestimmung nach handelt es sich hier vornehmlich um einen Ehrenzweikampf: Der Fremde wird als ›Bravo‹, Bloody-fox im Gegenzuge als ›Kind‹ beleidigt; für den ersten ist außerdem die Befreiungs-, für den zweiten, in seiner Eigenschaft als ›Avenging-ghost‹, der die Mörder seiner Eltern verfolgt, die Rachebestimmung gegeben. Die Anklänge an die Geschichte von David und Goliath sind diesmal besonders stark: Dem ›Kinde‹ Bloody-fox steht ein langer, starker, vollbärtiger Kerl gegenüber, der den Jüngling fast um Kopfeslänge überragte123 und den Eindruck eines physisch starken, aber auch rohen Menschen124 machte. Eine besondere Pointe erhält diese Episode durch den Ablauf des Schußwechsels. Da der Bravo einen Sprung zur Seite tut,125 um zu entfliehen, findet der Kampf genaugenommen keinen ganz korrekten Abschluß. Dem ›Geiste‹ des Reglements nach ist Bloody-fox' Schuß natürlich berechtigt, ebenso - und im formalen Sinne sogar noch mehr - gilt dies aber auch für Bobs Schuß, denn es war vereinbart worden: »Wer seinen Platz verläßt, bevor die Kugeln gewechselt worden sind, der wird von dem, welcher ihm das Licht hält, niedergeschossen.«126 Aller Formalismus verblaßt natürlich vor dem Resultat des Schußwechsels: der Demonstration der überragenden Schießkunst des Bloody-fox unter diesen [extrem schwierigen] Umständen127 einerseits und dem komischen Effekt andererseits, den Bobs Schuß auslöst: ein glatter ›Hosendurchschuß‹ aus kürzester Distanz, ein Kontrast zu dem Meisterschuß des jungen Mannes, den der Neger - für den Leser allerdings keinen Augenblick glaubhaft - für sich reklamiert.

   Das Publikum ist in diesem Falle nicht so zahlreich wie sonst, doch grundsätzlich gegeben. Zwar spielt sich das Ganze diesmal nur in recht kleinem Kreise und in der Dämmerung ab - typische Merkmale auch des klassischen Duells -, der Schauplatz des Ereignisses allerdings ist eine quasi öffentliche Gaststätte. Wie stark das Zweikampfgeschehen die Aufmerksamkeit der Beteiligten in Anspruch nimmt, verdeutlicht die Flucht des Anführers der Pfahlmänner, Stealing-Fox, als der sich der verkleidete Geistliche


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später herausstellt. Daß seine Flucht im Schutze des Duells geschieht, ist eine geschickte und glaubhafte Lösung, die schon als Einschub während der Besprechung des Reglements vorbereitet wird.128

   Kein anderer von May geschilderter Zweikampf steht so weit vorn im Ganzen eines Romans bzw. einer Erzählung. Während die anderen Episoden meist im letzten Viertel des Textes zu finden sind, sei es nun zum Zwecke der Retardation oder als dem Schluß zugehöriges Spannungselement, scheint May ihn in diesem Falle zur frühzeitigen Charakterisierung seines jugendlichen Helden Bloody-fox an den Anfang gesetzt zu haben.


List ist kein Betrug (›Der Schatz im Silbersee‹, 1890/91)


Old Shatterhand ist zusammen mit dem langen Davy, dem dicken Jemmy und dem Hobble-Frank in starke Bedrängnis durch die Utahs geraten, eine bedrohliche Situation, der sich die Vier nur durch einen Zweikampf, genaugenommen durch vier Zweikämpfe, entziehen können. Folgende Kampfdisziplinen werden von dem Häuptling Großer Wolf festgelegt: 1) Der lange Davy muß mit dem Roten Fisch um sein Leben schwimmen, 2) der dicke Jemmy muß mit dem Großen Fuß einen Ringkampf bestehen, 3) der Hobble-Frank muß mit dem Springenden Hirsch um sein Leben laufen, und 4) Old Shatterhand muß mit dem Häuptling Großer Wolf einen Kampf mit Messer und Tomahawk ausfechten. Da die einzelnen Disziplinen vom Häuptling absichtlich mit Blick auf die jeweiligen körperlichen Voraussetzungen zum Nachteil der Weißen ausgewählt und verteilt wurden, müssen Listen ersonnen werden, die einen Sieg trotzdem ermöglichen. Und in der Tat gelingt es den vier Weißen so, ihre überlegenen Gegner zu besiegen: Der lange Davy macht sich die Vorteile einer günstigen Strömung zunutze, der dicke Jemmy überwindet seinen Gegner durch einen überraschenden Schulterwurf, der Hobble-Frank führt seinen geistig beschränkten Gegner durch einen Finte in die Irre, und auch Old Shatterhand täuscht seinen Gegner, den Häuptling Großer Wolf, bevor er ihn in gewohnt souveräner Manier außer Gefecht setzt. Obwohl die vier Weißen alle ihre Zweikämpfe gewonnen haben, müssen sie schnell fliehen, da sie von den wütenden Utahs, gegen die Absprache, angegriffen werden.

   Es handelt sich hier zweifellos um einen Höhepunkt der Zweikampfdarstellung bei May. Über ca. vierzig Buchseiten erstreckt sich die Schilderung der spannenden Ereignisse, die schon deshalb so umfangreich geraten ist, weil es sich um einen der bei May beliebten ›Mehrfach-Zweikämpfe‹ handelt, der in diesem Fall - Rekord! - immerhin vier Disziplinen mit insgesamt acht verschiedenen Kämpfern umfaßt.

   Viele verzögernde Zwischenstücke tragen ein Weiteres dazu bei, diese Zweikampfdarstellung zur längsten überhaupt in Mays Werk zu machen. Wie vielseitig und kurzweilig, abwechslungsreich und unterhaltsam diese Episode im einzelnen gestaltet ist, soll eine stichpunktartige Übersicht über


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die vielfältigen Handlungselemente verdeutlichen, die gleichzeitig auch einen Eindruck von dem durchdachten Aufbau dieses Teils vermittelt:

   Ankündigung des Kampfes und allgemeines Vorgeplänkel, Bestimmung der Kampfbedingungen durch die Indianer - Vorstellung der Gegner, Kontrast zwischen der schon an den Namen ablesbaren wettkampfspezifischen Überlegenheit der indianischen Kämpfer und den körperlich benachteiligten Weißen - ausgiebige Beratung zwischen Old Shatterhand und seinen Gefährten über die zu treffenden Maßnahmen zwecks Ausgleichs dieser Benachteiligungen, bezogen auf die Disziplinen Schwimmen (Davy) und Ringkampf (Jemmy) - Festlegung der näheren Bedingungen des Schwimmkampfs, Durchführung des Kampfes, Davys Verzicht auf Leben und Eigentum seines unterlegenen Gegners - konkrete Ratschläge der Freunde an Jemmy, Durchführung des Ringkampfs, Anerkennung Jemmys als Sieger nach heftigem Streit, Verschiebung der Entscheidung über das Schicksal des Unterlegenen auf später - Festlegung der näheren Bestimmungen des Wettlaufs, Austausch über zulässige Listen, Durchführung des Kampfes, zwischendurch und anschließend Streit um die vom Hobble-Frank angewandte List, Verzicht Franks auf Leben und Eigentum seines Gegners - erste ›Steinkraftprobe‹ zwischen Großem Wolf und Old Shatterhand: Verstellung Old Shatterhands, Streit um Bewaffnung der gegnerischen Parteien, verbales Vorspiel, zweite ›Steinkraftprobe‹: Kraftdemonstration Old Shatterhands, Durchführung des Zweikampfs und Sieg Old Shatterhands, dessen Verzicht auf Leben und Eigentum seines unterlegenen Gegners - Flucht Old Shatterhands und seiner Freunde.

   Da Old Shatterhand und seine Gefährten von den überlegenen Utahs eingeschlossen sind, müssen sie faktisch als deren Gefangene gelten, auch wenn der Westmann nach einer eindrucksvollen Schießdemonstration durchsetzt, daß er und seine Freunde nicht gebunden werden und sogar ihre Waffen behalten dürfen. Mit dem Rauch der Friedenspfeife verspricht Old Shatterhand, daß sie keine Gegenwehr leisten und sich dem Beschluß der indianischen Ratsversammlung über ihr Schicksal fügen werden. Der anschließende Zweikampf verdient also trotz der etwas undurchsichtigen Situation die Bezeichnung Befreiungszweikampf. Publikum ist reichlich gegeben. Nachdem schon die formelle Beratung über des Los der Gefangenen das öffentliche Interesse an der Sache gezeigt hat,129 wird die allgemeine Anteilnahme an diesem hochinteressanten Zweikampfe auch im weiteren Verlauf der Ereignisse immer wieder betont.130

   Besonderen Reiz erhält die Episode durch den originellen Einfall des Hobble-Frank, seinen einfältigen Laufgegner irrezuführen, und die anschließende schelmische Rechtfertigung dieser List vor dem Häuptling.131 Überhaupt kommt der List in diesem Falle eine ganz besondere Bedeutung zu. In kaum einem anderen Zweikampf Mays wird sie so konsequent und skrupellos, und zwar von beiden Seiten, angewandt wie hier. Die ganze Episode ist durchzogen von abgrundtiefem Mißtrauen: Old Shatterhand und


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seine Gefährten müssen ständig auf der Hut sein, damit zu den Benachteiligungen des Anfangsreglements der Zweikämpfe nicht noch weitere hinzukommen, und bereit, sich ihre durch die gewonnenen Zweikämpfe eigentlich garantierte Freiheit durch Flucht zu erzwingen, wie der Verlauf der Ereignisse schließlich zeigt. Die Utahs ihrerseits fühlen sich an ihre Zusagen nur gebunden in todsicherer Erwartung ihres Sieges, der angesichts der überwältigenden Vorteile, die sie sich durch ihr Diktat der Kampfbedingungen verschafft haben, gewiß scheint. Nur vor diesem Hintergrund wird verständlich, daß sogar der grundehrliche Old Shatterhand hier zu einem Mittel greift, das mit Fug und Recht den Namen Betrug verdient: Bei der Wahl der Schwimmrichtung (erster Zweikampf) manipuliert er dreist die Grashalme, die als Losentscheid dienen sollen. Auf der anderen Seite setzt sich der Große Fuß im Ringkampf gegen Jemmy über das Reglement hinweg, indem er sich nach einem plötzlichen Ruck am Lasso seinem Gegner zuwendet, und auch der minderwertige Tomahawk, den der Große Wolf Old Shatterhand anbietet, paßt in das Bild einer Veranstaltung, die ganz im Zeichen rücksichtsloser Übervorteilung steht. Bemerkenswert ist auch, daß sich die vier Freunde dieses problematische Zweikampfverständnis vom Häuptling Großer Wolf ausdrücklich bestätigen lassen. Auf die Frage des Hobble-Frank, ob eine solche List, wie sie der Große Fuß gebrauchte, erlaubt sei, entgegnet der Häuptling lakonisch: »List ist kein Betrug. Warum soll sie verboten sein?«132

   Die List, in den anderen Zweikämpfen meist nur einseitig und ausnahmsweise zum Ausgleich von Benachteiligungen eingesetzt, wird hier zur Regel, zum festen Bestandteil des Zweikampfs selbst, und gerade von der Seite zum Programm erhoben, die sich selbst schon zuvor ganz unverblümt in den Besitz sämtlicher Vorteile gebracht hat, ganz offensichtlich schon im Namen eben dieser List. Statt auf eine Gleichheit der Chancen hinzuwirken, wie es der Idee eines ehrlichen Zweikampfs entspräche, steigern die Utahs die Benachteiligung der Gegenseite ins Maßlose und geben die List somit praktisch als eine sublimierte Form von Gewalt zu erkennen. Unter solchen Bedingungen zum Kampf anzutreten kommt für die Betroffenen fast einem Todesurteil gleich, ja dürfte dieses vielleicht mit noch größerer Sicherheit vollstrecken als ein gewöhnlicher Kampf, als dessen Ersatz der Zweikampf hier fungiert. Zwar erfährt der spontane Tötungsimpuls durch die Regularien des Zweikampfs einen Aufschub und eröffnet der benachteiligten Seite eine Überlebenschance, andrerseits aber bindet das Reglement dem Unterlegenen zusätzlich die Hände und präpariert ihn dadurch förmlich für den Empfang des tödlichen Streiches. Wohl in keiner anderen seiner Zweikampferzählungen133 hat May die häßliche Seite des Zweikampfs so ungeschminkt vorgeführt und ihn als das entlarvt, was er immer auch war: ein raffinierter Vorwand zur Beseitigung von Widersachern unter Wahrung der Etikette.134

   Die Ironie, mit der May auf die Unerträglichkeit dieses Zustandes reagiert, gerät ihm zur Posse, indem er den Hobble-Frank zum ideellen Träger


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der Handlung macht, der an Erfindungsreichtum sogar Old Shatterhand übertrifft und, obwohl er nur einen von vier Zweikämpfen bestreitet, in diesem Falle den nachhaltigsten Eindruck hinterläßt. In ihm hat sich das den skandalösen Auswüchsen des Zweikampfs entgegengesetzte kritische Potential hauptsächlich konzentriert und personifiziert, ihm vor allem ist es zu verdanken, daß die Betroffenheit und Empörung des Lesers angesichts des unverfrorenen Anschlags auf Old Shatterhand und seine Freunde umschlägt in Erleichterung und Triumph über dessen Mißlingen. Daß dies zudem ein lachender Triumph ist, dafür sorgen Humor und Komik des Hobble-Frank.

   Trotz aller Monstrositäten dieses menschlichem Gleichheitsempfinden hohnsprechenden Zweikampfs bleibt seine Form unangetastet, wird er grundsätzlich nicht in Frage gestellt: weder - verständlicherweise - von den Vorteilsnehmern, den Utahs, noch - schon schwerer verständlich, doch sie haben wohl keine andere Wahl - von den Benachteiligten, Old Shatterhand und seinen Gefährten, und auch der Erzähler hält sich mit kritischen Kommentaren zurück, als ob er sich und seinen Lesern nicht den prickelnden Genuß eines spannenden Abenteuers verderben wolle. Diese Wahrung der formalen Identität des Zweikampfs geht allerdings einher mit einer weitgehenden inhaltlichen Veränderung, die seine Form ›verzerrt‹, aber nicht ›sprengt‹, eine Struktur, die in der Parodie ihre adäquate literarische Ausdrucksform hat. Die »verspottende, verzerrende oder übertreibende Nachahmung« von etwas, »unter Beibehaltung der äußeren Form«, das allgemeine Merkmal der Parodie,135 ist der adäquate sprachliche Ausdruck für das Verhalten von Personen, die, wie hier, in eine todernste Angelegenheit - einen Zweikampf ›unter Einsatz des Lebens‹! - verstrickt sind und gleichzeitig alles tun - auch hier ist wieder der Hobble-Frank führend -, um den Ernst der Situation durch Wort und Tat zu unterlaufen, und den Zweikampf damit letztlich der Lächerlichkeit preisgeben. Und alles natürlich mit augenzwinkernder Billigung des Autors, des eigentlichen ›Strippenziehers‹, der seine Personen auf zwanglos unterhaltsame Weise die eigene kritische Intention vorführen läßt. Die List erscheint hier nicht nur als durchgängiges Verhaltensmerkmal der sich gegenseitig übervorteilenden Zweikämpfer, sondern als Stilmittel, dessen sich der Autor zur ›Überlistung‹ seiner Leser bedient, um traditionelle, stereotype Erwartungen an Zweikampfschilderungen in Abenteuerromanen zu hinterfragen, indem er die Auswüchse dieser Kampfform bis ins Groteske steigert und - tendenziell - ad absurdum führt. Es ist diese List als ›Ingredienz‹ der Parodie, die den Zusammenhalt der alten Form (paritätischer Zweikampf) mit dem neuen Inhalt (Benachteiligung bzw. Vorteilsnahme) garantiert und die formale Klammer um das wechselvolle Spiel von List und Gegenlist bildet, das sich auf der inhaltlichen Ebene des Zweikampfs abspielt.

   Wie besonders das umsichtige Verhalten des Hobble-Frank demonstriert, ist die Dramatik des Geschehens gekennzeichnet von einer weitge-


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henden Ablösung der psychomentalen von den physischen Eigenschaften der Duellanten. Kaum sind diesmal die körperlichen Qualitäten der Beteiligten für den Ausgang des Kampfes entscheidend, sondern List und Gegenlist, die man hier, gleichsam personifiziert, als die ›eigentlichen Zweikämpfer‹ wird bezeichnen können. Es zeigt sich schon an dieser Stelle, was später in den symbolischen Entwürfen Mays Gestalt annehmen wird, daß zwar der Zweikampf in seiner realen Gestalt ›zerstört‹, sein Prinzip aber nicht aus der Welt geschafft, sondern lediglich ›aufgehoben‹, in eine andere Dimension überführt werden kann, wo sich, im Vergleich gesprochen, nicht mehr Old Shatterhand und der Große Wolf im Tomahawkkampf gegenüberstehen, sondern die hinter ihnen stehenden, in ihnen agierenden antagonistischen Kräfte der List und Gegenlist. Das Duellmotiv als Paradigma der Beschreibung des ewigen Kampfes zwischen Gut und Böse gewinnt von daher Bedeutung für Mays später im großen Stile entwickeltes dualistisches Weltbild.


Die Zweikämpfe des Greenhorns (›Winnetou I‹, 1893)


(1) Ein junges Greenhorn aus Deutschland, später als Old Shatterhand berühmt, kämpft mit einem riesigen Kiowa-Indianer (Blitzmesser136) um das Leben gefangener Apachen. Das Duell wird mit dem Messer ausgetragen, und zwar in den Kreisen einer in den Sand gezeichneten Acht, die die Kämpfer nicht verlassen dürfen, bevor nicht einer von ihnen getötet ist. Nachdem Old Shatterhand durch schnelle Wahl der südlichen Schleife der Acht seinen Gegner der Blendung durch die Sonne ausgesetzt und ihn außerdem durch Provokationen zu unvorsichtigen Äußerungen gereizt hat, versetzt er dem unbeherrscht angreifenden Indianer einen tödlichen Stich ins Herz. Der Häuptling der Kiowas Tangua muß zwar wütend den Sieg Old Shatterhands anerkennen, verweigert aber unter einem Vorwand die Freilassung der Apachen.

   (2) Old Shatterhand und seine Gefährten befinden sich in der Gewalt der Apachen, die sich unsicher sind, ob die Weißen den Tod wirklich verdienen. Ein Zweikampf zwischen den beiden »vornehmste(n)«137 Vertretern der gegnerischen Parteien soll hier Klarheit bringen. Da der Häuptling Intschu tschuna hierfür sich selbst und auf der anderen Seite Old Shatterhand hält, sich außerdem durch dessen Fausthieb beleidigt fühlt, stehen die beiden Kämpfer fest. Wenn der Weiße eine Zeder am jenseitigen Ufer des Flusses erreichen kann, sollen er und seine Gefährten frei, ansonsten sie alle dem Tode verfallen sein. Durch geschickte Verstellung und Ausnutzung der natürlichen Gegebenheiten gelingt es Old Shatterhand, den ihm nachsetzenden Intschu tschuna mit dessen eigenem Tomahawk kampfunfähig zu machen und damit seine und seiner Gefährten Freiheit zu erwirken.

   (3) Old Shatterhand erinnert den Kiowa-Häuptling Tangua daran, daß er den Wunsch nach einem Zweikampf mit ihm geäußert hatte. Sowohl die


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Wahl der Waffe - das Gewehr - als auch das Recht auf den ersten Schuß werden dem Indianer zugesprochen. Nachdem dessen Schuß fehlgegangen ist und er trotz Old Shatterhands Warnung einen seitliche Stellung eingenommen hat, um eine geringere Trefffläche zu bieten, zerschmettert die Kugel des Weißen beide Kniee138 Tanguas. Winnetou lehnt es ab, den Verwundeten in seinem Pueblo zu pflegen, und verfügt, daß die Kiowas noch am selben Tag abziehen.

   Diese drei Zweikämpfe, die Old Shatterhand in drei verschiedenen Situationen gegen drei verschiedene Gegner ausfechten muß,139 bilden eine Einheit. Dafür spricht nicht nur ihre schnelle, gedrängte Abfolge auf zusammen knapp hundert Buchseiten, sondern auch ihre thematische Zusammengehörigkeit im Rahmen der Konflikte zwischen weißen Landvermessern und Apachen bzw. Apachen und Kiowas sowie die personale Fokussierung des Geschehens auf Old Shatterhand. Es gibt keine zweite Erzählung, in der Old Shatterhand dermaßen im Zentrum des Geschehens steht, was verständlich wird vor dem Hintergrund des ersten ›Winnetou‹-Bandes als Geschichte des werdenden Westmanns Old Shatterhand. Die Zweikämpfe haben somit Bewährungs- bzw. Initiationscharakter und müssen im Zusammenhang gesehen werden mit den vielen anderen Bewährungsproben, die das junge Greenhorn aus Deutschland bestehen muß, um sich als Westmann zu qualifizieren. Vorausgegangen waren ja schon Kämpfe mit Büffel, Bär und Mustang und eine tatkräftige Auseinandersetzung mit dem Schurken Rattler. Fortgesetzt wird diese Reihe nun mit drei Kämpfen gegen Indianer, also einer neuen Herausforderung, die dem unerfahrenen Landvermesser auch neue Fertigkeiten abverlangt: Gefordert sind nun einerseits die Beherrschung indianischer Kampfformen und Waffen (Messerkampf, Tomahawk), andrerseits elementare Fähigkeiten, die ein Westmann generell zum Überleben braucht (laufen, schwimmen, schießen). Genau in der Mitte des Romans plaziert, markiert dieses ›Zweikampfpaket‹ sowohl  e i n e n  Höhepunkt des Gesamtromans als auch  d e n  Höhepunkt der Greenhornhandlung.

   So treffend der Begriff der Initiation diese Zweikämpfe im Kontext des Romans und seiner Grundintention auch charakterisiert, so unvollständig bleibt diese Bestimmung im Kontext der Zweikampfthematik. Wenn sich etwa Intschu tschuna durch den Faustschlag Old Shatterhands, der ihn betäubt zu Boden streckte, ›gekränkt‹ fühlt, so ist in dem von ihm deshalb veranlaßten Duell unschwer die Zweckbestimmung des Ehrenzweikampfs zu erkennen, während sich das Ganze aus der Perspektive Old Shatterhands und seiner Gefährten als Befreiungs- bzw. Stellvertreterzweikampf darstellt, wie schon zuvor, wenngleich nicht mit derselben Deutlichkeit,140 sein Kampf gegen Blitzmesser. Die Herausforderung Tanguas wiederum begründet dann Old Shatterhand mit einem ›Ehrenargument‹: Der Häuptling der Kiowas habe ihn, als er hilflos in Fesseln lag, beleidigt und seinen Wunsch nach einem Zweikampf mit ihm geäußert.


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   Besonders die handlungslogische Notwendigkeit des Zweikampfs Old Shatterhand - Intschu tschuna ist gelegentlich bezweifelt worden: Das Vorzeigen der Winnetou bei der Befreiung aus der Gefangenschaft der Kiowas abgeschnittenen Haarlocke hätte wahrscheinlich genügt, und seine Gefährten und er wären frei gewesen.141 Von einem solchen Standpunkt handlungsimmanenter Schlüssigkeit her scheinen dann aber auch die beiden anderen Zweikämpfe in ihrer Zwangsläufigkeit fragwürdig: So wäre der Kampf gegen Blitzmesser vermeidbar gewesen, wenn Old Shatterhand den kurz vorher überwältigten Kiowa-Häuptling Tangua, statt ihn ohne Not und Gegenleistung freizulassen, gegen die gefangenen Apachen ausgetauscht hätte. Nimmt man noch hinzu, daß auch der Zweikampf gegen Tangua genaugenommen eine unnötige Provokation des frischgebackenen Westmanns war - wem mußte er eigentlich jetzt noch etwas beweisen? -, so ergibt sich das merkwürdige Resultat, daß eigentlich keiner der drei Zweikämpfe wirklich nötig war. Um so stärker erstrahlt natürlich der Held, der alle diese Kämpfe so gesehen mehr oder weniger freiwillig eingeht, sie gewissermaßen sucht und nach Belieben herbeiführt, um sich dann in ihnen bestens zu bewähren.

   Daß Old Shatterhand durch die schnelle Wahl einer der beiden Schleifen der Acht seinen Gegner Blitzmesser zwingt, in die blendende Sonne zu schauen, ist ein Aspekt der in diesen Episoden angewandten List. Er rechtfertigt diese vermeintlich unehrliche Uebervorteilung142 mit den vorangegangenen Beschimpfungen, die er von dem Kiowa erfuhr. Wie der Verlauf des Kampfes zeigt, hat Old Shatterhand sich die Mahnungen und Ratschläge Sam Hawkens' voll zu eigen gemacht:


»Wenn es Euch also gelingen sollte, Euren Gegner kampfunfähig zu machen, so müßt Ihr ihn vollends erstechen, ihm den Gnadenstoß geben, sonst gilt es nichts. Macht Euch nur ja kein Gewissen daraus! Wenn Ihr ein tüchtiger Westmann werden wollt, so wird Euer Messer noch manches Stück Menschenfleisch zu kosten bekommen. Denkt, daß diese Kiowas alle räuberische Schufte sind, daß sie die Schuld tragen an allem, was jetzt geschieht, weil sie die Pferde der Apachen stehlen wollten. Wenn Ihr einen solchen Schurken tötet, rettet Ihr so vielen braven Apachen das Leben; wenn Ihr ihn aber schont, so sind sie verloren ...«


Und Old Shatterhand bestätigt ganz im Sinne seines Mentors:


»Wenn es Euch beruhigt, so seid überzeugt, daß ich nicht nachsichtig sein werde, denn es wird ihm auch nicht einfallen, mich zu schonen. Ich rette dadurch so viele Menschenleben. Es ist ein Zweikampf. Drüben im alten Lande gehen die angesehensten Kavaliere wegen einer Kleinigkeit gegen einander los; hier steht aber mehr auf dem Spiele, und ich habe es nicht mit einem Kavaliere, sondern mit einem roten Spitzbuben und Mörder zu thun.«143


Blitzmesser ist der erste und meines Wissens auch der letzte, der von Old Shatterhand im Zweikampf getötet wird. Eine hinreichende Erklärung


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hierfür dürfte sich aus den beiden obigen Zitaten ergeben, wobei nochmals ausdrücklich an die besondere Bedingung dieses Zweikampfs erinnert werden soll, die den Tod eines der beiden Kämpfer in jedem Fall fordert. Darüber hinaus stellt dieser Kampf, wie man aus den Worten Sam Hawkens' ersehen kann, mit seinen kompromißlosen Bedingungen für den künftigen Westmann gewissermaßen den ›Härtetest‹ dar, der beweisen soll, daß er nicht nur Kämpfe gewinnen, sondern notfalls auch Menschen töten kann. Und noch aus einem dritten Grund wird die Tötung des Gegners in diesem Falle plausibel: Old Shatterhand ist eben zu diesem Zeitpunkt noch nicht der perfekte Westmann, ihm fehlen noch die Mittel und die Autorität, die ihm später, auch in ähnlich schwierigen Situationen, unblutige Lösungen ermöglichen.

   Blitzmesser nimmt in seinem Kampf von dem Vorteil, den der Weiße sich genommen hat, überhaupt keine Notiz, so als ob er seine Benachteiligung durch die blendende Sonne gar nicht begreife. Seine vorlaute Drohung: »die Geier sollen deine Eingeweide fressen!« wird von Old Shatterhand eine große Unvorsichtigkeit, ja geradezu eine Dummheit genannt,144 da der Kiowa damit seine geplante Waffenführung verrät. Old Shatterhands List im Kampf gegen Intschu tschuna wird vom Erzähler selbst treffend als Verstellung145 bezeichnet: Durch Vortäuschung, er sei ein schlechter Schwimmer und ein Angsthase, wiegt er seinen Gegner in Sicherheit. Hinzu kommen eine Anzahl dumm-dreister Bemerkungen, die Kampfbestimmungen betreffend, die den Häuptling provozieren und um seinen Gleichmut und seine Kaltblütigkeit bringen. Auch die geschärfte Beobachtungsgabe, die Fähigkeit, die Vorteile einer bestimmten Geländebeschaffenheit in die Planung miteinzubeziehen, wird man in diesem Handlungszusammenhang, ähnlich wie die Beachtung des Sonnenstandes beim Kampf gegen Blitzmesser, als einen Aspekt listigen Verhaltens bezeichnen können. Ohne Old Shatterhand und seine Siege schmälern zu wollen: Der Erfolg seiner Listen wird häufig durch die ›Dummheit‹ seiner Gegner ermöglicht. Mit Blick auf Intschu tschuna und die Apachen spricht er dies selbst deutlich aus: Es war übrigens eine ganz plumpe List gewesen, durch welche sie sich hatten täuschen lassen, denn so, wie sie mich bisher kannten, hatten sie gar keine Veranlassung, mich für feig zu halten.146 Eine ganz besondere Form der ›Selbstüberlistung‹ schließlich gelingt Tangua, der ein Opfer seiner eigenen Schlauheit wird, als er sich, indem er Old Shatterhand die schmale Seite seines Körpers zuwendet, der Kugel entziehen zu können glaubt. Hier hat dieser es gar nicht nötig, zu einer eigenen List zu greifen: Er braucht nur Tanguas ›Angebot‹ anzunehmen - nicht ohne ihn vorher vor den schlimmen Folgen zu warnen - und fügt dem Unbelehrbaren dann einen größeren Schaden zu, als ihn der Kiowa ohne seine vermeintliche List erlitten hätte.

   Mit großer Genauigkeit beschreibt May in ›Winnetou I‹ das äußere Arrangement der Zweikämpfe. So ergibt sich in der ersten Episode eine qua-


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si-mathematische Aufstellung der nach Parteizugehörigkeit geordneten Personen: Am Kampfplatz bilden die Kiowas, nachdem sie zuvor von Tangua von dem zu erwartenden Schauspiele147 benachrichtigt worden sind, einen Dreiviertelkreis; das vierte Viertel sollten wir Weißen ausfüllen.148 Dem Kampf zwischen Old Shatterhand und Intschu tschuna geht eine längere Rede des Häuptlings voraus, die sich in einem sehr formellen Ordnungsrahmen vollzieht, der in diesem Fall die Gestalt eines Halbkreises hat und die gesellschaftliche Hierarchie des Stammes widerspiegelt: Im Innern desselben [des Halbkreises] saßen zunächst die Kinder und hinter diesen die Mädchen und Frauen ... . Dann kamen die jungen Burschen, hinter denen die erwachsenen Krieger standen.149 Mit Beginn des eigentlichen Zweikampfs löst sich die starre Form auf und macht einer lockeren Anordnung der Zuschauer Platz: Wir gingen fort, durch den Halbkreis, welcher sich uns öffnete, dem Ufer zu. ... Die Indianer folgten hinter uns und lagerten sich dann beliebig nieder, um das interessante Schauspiel, das sie erwarteten, bequem zu genießen.150 Das Publikum erweist sich als sehr engagiert und begnügt sich nicht mit stummem Zuschauen, sondern begleitet den Zweikampf mit lauten Zurufen, Geheul und Gebrüll151 und droht am Schluß sogar den theatralischen Rahmen bzw. die Zweikampfsituation zu sprengen.152 Das Duell Old Shatterhands gegen Tangua wird dann wieder streng ›more geometrico‹, wie schon das gegen Blitzmesser, beschrieben: Es läßt sich denken, daß alle Anwesenden von der größten Spannung ergriffen worden waren. Sie hatten sich in zwei Reihen rechts und links von uns aufgestellt, so daß eine breite Straße entstanden war, deren Endpunkte wir beide markierten. Es herrschte tiefe Stille.153


Vater und Sohn (›Die Felsenburg‹, 1893/94 - ›Satan und Ischariot I/II‹, 1897)


(1) Old Shatterhand und Winnetou stehen zusammen mit den befreundeten Mimbrenjos im Kampf gegen die Yumas, deren Häuptling Großer Mund ihnen in die Hände gefallen ist. Ein kurzes Gespräch zwischen dem Gefangenen und Old Shatterhand wird von dem Häuptling der Mimbrenjos, Starker Büffel, zum Vorwand genommen, den Westmann des Verrats zu bezichtigen, ein Vorwurf, den dieser zurückweist und als Ausdruck geistiger Verwirrung bezeichnet. Der zum Jähzorn neigende Mimbrenjo empfindet dies als eine so schwere Beleidigung, daß er Old Shatterhand zum sofortigen Zweikampf herausfordert.154 So kommt es, nach einem vergeblichen Vermittlungsversuch Winnetous, zu einem Messerduell, das Old Shatterhand nach einer geschickten Finte schnell für sich entscheidet, indem er seinem Gegner einen schweren Schlag ins Genick versetzt, der eine beinahe tödliche Lähmung bewirkt. Statt den Häuptling, wie dieser es anschließend wünscht, zu töten, schenkt Old Shatterhand dessen Leben seinem jüngeren Sohn.

   (2) Old Shatterhand und eine Gruppe der verbündeten Mimbrenjos stehen einer überlegenen Schar feindlicher Yumas gegenüber, die den Tod des


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Weißen und des Yumatöters, des älteren Sohnes des Mimbrenjohäuptlings, verlangen, weil sie den Sohn des Häuptlings getötet und den Großen Mund verletzt hätten. Nun haben die Beschuldigten aber mit dem Yumahäuptling Listige Schlange die Friedenspfeife geraucht und dürfen deshalb nicht einfach getötet werden. Statt dessen wird ihnen ein Zweikampf angeboten. Old Shatterhand muß zu einem Lanzenduell gegen zwei Gegner antreten, das er durch ›fintierte Doppelwürfe‹ für sich entscheidet. Den zweiten Durchgang trägt stellvertretend für seinen Bruder der jüngere, noch namenlose Mimbrenjo aus.155 Durch Einfettung seines Körpers und mit Hilfe eines Atemrohrs entzieht er sich seinem viel stärkeren Gegner und tötet ihn durch einen plötzlichen Angriff. Später nimmt sich Old Shatterhand vor der versammelten Kriegerschar der Mimbrenjos und der Yumas den Mimbrenjoknaben zur Seite und erteilt ihm den Namen ›Yuma-tsil‹ (Yumaskalp).

   Abgesehen von ihrer Einbettung in die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Yumas und Mimbrenjos scheinen diese beiden Zweikämpfe, die in dem Gesamtroman weit auseinanderliegen, nichts miteinander zu tun haben.156 Und doch haben wir hier ein gutes Beispiel dafür, wie die Geschlossenheit der Romane Mays nicht nur durch die äußerliche Verknüpfung von Handlungsfäden hergestellt wird, sondern auch durch tiefer liegende Motivstrukturen. Im Falle der ›Satan‹-Trilogie scheint mir diese ›Grundierung‹ in familiären Konstellationen und Konflikten zu liegen,157 als deren Protagonisten in der einen oder anderen Gruppierung je nachdem Vater, Sohn und Bruder bzw. Onkel Melton, Vater und Tochter Silberberg, Bruder und Schwester Vogel und - vielleicht am unauffälligsten, aber für unser Thema am wichtigsten - Vater Starker Büffel und seine beiden Söhne in Erscheinung treten. Die hervorstechende Tatsache, daß in diesem Roman sowohl der Vater als auch einer seiner Söhne einen Zweikampf bestreiten, scheint mir ein Indiz dafür zu sein, daß May hier im Bilde des Zweikampfs Aspekte und Probleme einer Vater-Sohn-Beziehung in Szene gesetzt hat.

   Zwar weisen die hier geschilderten Zweikämpfe, wie in den meisten Fällen, auch andere Zweckbestimmungen auf - bei dem Zweikampf zwischen Old Shatterhand und dem Starken Büffel handelt es sich zweifellos um einen Ehrenzweikampf, im Falle des späteren Doppelduells um einen Befreiungszweikampf -, dominant aber und relevant für die Verknüpfung der beiden Episoden scheint mir hier, wenngleich nicht so vordergründig wie in ›Winnetou I‹, die Initiationsthematik. Schon dem älteren Sohn des Starken Büffels gegenüber hatte sich Old Shatterhand als großzügiger und verantwortungsvoller Förderer erwiesen, was darin gipfelte, daß dem jungen Mimbrenjo nach einer Reihe tapferer Taten, die er im Bündnis mit Old Shatterhand vollbringen konnte, von diesem der Ehrenname ›Yuma-Shetar‹ (Yumatöter) verliehen wurde, eine Namensgebung, die die Aufnahme des jungen Mannes in den Kreis der Krieger bedeutete. Verstärkt zeigt sich diese patenhafte Einstellung Old Shatterhands noch in der Art, wie er sich


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um den jüngeren Sohn des Mimbrenjohäuptlings bemüht. Zunächst schenkt er, nach seinem Sieg über den Starken Büffel, dem Sohn das Leben des Vaters, dann berät er ihn fachmännisch vor dem Zweikampf mit dem Yuma, und schließlich verleiht er, ähnlich wie im Falle des älteren Bruders, nun auch dem jüngeren öffentlich einen Kriegsnamen. Eine weitere Verbindung zwischen den weit auseinanderliegenden beiden Zweikämpfen wird im Sinne einer Vorausdeutung hergestellt: Dem bitteren Vorwurf des Starken Büffels, es bedeute für ihn eine Schmach, wenn Old Shatterhand sein Leben »einem Kinde« schenke, entgegnet der Westmann, daß es »keine Schande« sei, von Old Shatterhand besiegt zu werden; außerdem deutet er an, daß auch sein jüngerer Sohn demnächst einen ebenso berühmten Namen haben werde wie sein älterer.158 Auch wenn der Vater, und mit ihm der Leser, darauf sehr lange warten muß, bildet diese Ankündigung doch einen Spannungsbogen, der das Duell des Vaters mit dem des Sohnes verbindet.

   Legt man den beiden Zweikämpfen dieses Verhältnis als Interpretationsfolie zugrunde, so gewinnen sie eine Dimension, die den Blick freigibt auf eine die Initiation bestimmende Struktur, die man wohl nicht zu Unrecht als ›ödipal‹ wird bezeichnen können. Die dramatische innere Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn, aus der nach Freuds klassischer, sicher nicht unumstrittener, aber in vielen Fällen sowohl klinisch als auch hermeneutisch bewährter Konzeption die männliche Identitätsbildung wesentlich hervorgeht, erscheint bei May - im Medium der Kunst, wie man wohl sagen muß, notwendigerweise - aus dem psychischen Vorstellungsraum der frühkindlichen Phase in die raumzeitlichen Koordinaten realen Geschehens transponiert. Der Zweikampf bietet sich hier an als adäquate Form, den Ablösungsprozeß eines Heranwachsenden von seinem übermächtigen Vater szenisch darzustellen. Old Shatterhands Kampf gegen den ›Vater‹ Starker Büffel und der des ›Sohnes‹ gegen den feindlichen Yuma stehen in einem gegenseitigen Verweisungsverhältnis, das den Prozeß der Verschiebung des ödipalen Tötungswunsches des Jungen vom ›haß-geliebten‹ Vater auf den ›nur-gehaßten‹ Feind anzeigt. Als Katalysator dieses Vorgangs fungiert Old Shatterhand, der dem Knaben stellvertretend den Kampf auf Leben und Tod mit dem Vater abnimmt und ihm statt dessen - und hier kommt seine Protektorfunktion voll zur Geltung - dazu verhilft, sich vermöge eines Kampfes mit dem ›wahren‹ Feind von der Vormacht des Vaters nicht durch dessen - natürlich tabuisierte - Tötung zu lösen, sondern gerade dadurch, daß er sich durch die Tötung eines ›externen‹ Feindes einen ›eigenen‹ Namen macht.

   Dieser innere Zusammenhang zwischen den beiden Zweikämpfen zeigt sich auch in der gleichen Waffe, dem Messer, mit dem sie ausgefochten werden, und der Beschreibung der beiden Gegner: Sowohl der Häuptling der Mimbrenjos als auch der Yuma Schwarzer Biber werden als ungewöhnlich kräftig beschrieben.159 Statt an die Schläfe des Gegners, ansonsten die übliche Treffstelle von Old Shatterhands ›Jagdhieb‹, der meist nur eine kurze


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Betäubung zur Folge hat, zielt der Schlag diesmal in den Nacken des Gegners und zeitigt eine fast tödliche Wirkung. Es ist naheliegend, im Sinne der obigen Deutung, hierin eine symbolische Darstellung der bedrohlichen Stärke des ödipalen Tötungswunsches zu sehen, der den Knaben beherrscht.160

   Während der erste Zweikampf, wie ausdrücklich betont wird, nach gar keiner Regel161 erfolgen soll, werden die Modalitäten des zweiten recht genau festgelegt: »Erst kämpft Old Shatterhand und dann der Mimbrenjoknabe. Der Kampf Old Shatterhands findet mit der Lanze statt. ... Der Mimbrenjo wird im Wasser mit dem Messer kämpfen. Sein Gegner ist der ›schwarze Biber‹. Beide kämpfen, bis einer tot ist ...«162 Von Old Shatterhand wird, da er das Blut eines Häuptlingssohns vergossen hat, »doppelte Vergeltung [gefordert]. Darum soll er nicht mit einem, sondern mit zwei Gegnern kämpfen, und zwar zu gleicher Zeit. Jeder erhält fünf Lanzen, und die Entfernung beträgt dreißig Schritte.«163

   Wie so oft müssen sich Old Shatterhand und seine Freunde auch hier mit verschiedenen Handicaps gegen ihre Feinde durchsetzen. Old Shatterhand muß gleichzeitig gegen zwei Yumas kämpfen, die auch doppelt so viele Waffen zur Verfügung haben. Das Ansinnen, ihm schlechte Lanzen zu unterschieben, verhindert eine Prüfung durch Winnetou. Der Mimbrenjoknabe ist seinem hünenhaften Gegner ähnlich unterlegen wie der gleichfalls noch jugendliche David dem ›Riesen‹ Goliath. Zahlreich aber auch sind die Listen, die gegen alle diese Benachteiligungen ins Feld geführt werden. Schon im Kampf gegen den Starken Büffel, der - schließlich kämpfen hier ›Freunde‹ gegeneinander - grundsätzlich paritätisch ist, verleitet Old Shatterhand seinen Gegner durch die Finte des fallengelassenen Messers zu einem ungestümen Angriff, der von ihm vorausschauend pariert und mit einem schnell entscheidenden Gegenschlag beantwortet wird. Den beiden Yumas gegenüber entzündet er später ein wahres Feuerwerk listiger Anschläge. Zunächst nutzt er - ein Vorteil, den er sich durch rasches Handeln schon im Kampf gegen Blitzmesser verschafft hatte - die günstigen Lichtverhältnisse für sich aus, dann macht er einen scheinbar mißglückten Probewurf, der die Yumas in Sicherheit wiegen soll, und schließlich wendet er seinen ›fintierten Doppelwurf‹ an, der in ähnlicher Form auch in ›»Weihnacht!«‹ und in ›Am Jenseits‹ zum Einsatz kommt. Besonders gemein - und sicher auch Ausdruck einer gewissen Überheblichkeit - ist bei dieser Gelegenheit, daß Old Shatterhand genau den Trick, den er selber später benutzt, seinen Feinden zur Anwendung rät. Er spekuliert hier, wie so oft, gleichermaßen auf seine überragenden Fähigkeiten und die Dummheit seiner Gegner, auch ihm nicht zuzutrauen, was sie selbst nicht vermögen.

   Schon vor seinem Zweikampf hatte Old Shatterhand in einem Gespräch mit dem Mimbrenjoknaben dessen Kampfstrategie besprochen und ihn für seine gute Idee gelobt, sich dem Zugriff seines Feindes durch Einfettung seines Körpers zu entziehen. Old Shatterhand fügt dem noch den Rat, sich


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ein Atemrohr zu schnitzen, hinzu, und mit Hilfe dieser beiden Listen gelingt dem jungen Mann der Sieg über seinen überlegenen Gegner. Aufschlußreich ist an dieser Stelle wieder ein kleiner Beitrag zur ›Rechtfertigungsideologie‹ der List. Originalton Old Shatterhand: »So mag es genug sein. Es giebt zwar der Listen und Kniffe noch viele; aber man muß im Zweikampfe den Gegner ehrlich behandeln; ich gab dir nur deshalb einen Wink, weil du ein Knabe bist und dein Feind ein erwachsener Krieger sein wird.«164

   Publikum stellt sich in der ersten Episode schon deshalb schnell ein, weil die Indianer, welche als Wilde einen leiseren Schlaf als civilisierte Menschen besitzen, durch das Geschrei des Alten aufgeweckt worden waren ...;165 sogar die gefangenen Yumas suchten sich unter ihren Fesseln eine solche Lage zu geben, daß sie zusehen konnten. Auf allen Gesichtern war der Ausdruck größter Spannung zu bemerken ...166 Im zweiten Fall ist es zunächst eine Ratsversammlung, die das öffentliche Interesse an dem Zweikampf in Form einer höchst eigentümlichen Verkündigung, ja einer obrigkeitlichen Bekanntmachung167 artikuliert. Während die Anteilnahme am Zweikampf Old Shatterhands nur einmal eher lakonisch angesprochen wird, steigert sich das Interesse der Zuschauer am Kampf des jungen Mimbrenjo mit dem Schwarzen Biber zu atemloser Spannung,168 bis sogar einer der Yumas seinem kämpfenden Kameraden ein Warnzeichen gibt. Nachdem Winnetou in seiner Eigenschaft als ›Schiedsrichter‹ dieses verräterische Verhalten mit einer Kugel beantwortet hat, heulen die Yumas ob dieser kühnen That des Apatschen grimmig auf, wendeten aber ihre Aufmerksamkeit schnell von ihm ab und nach dem Wasser169 wieder den beiden Zweikämpfern zu.


Zwischen Liebe und Haß (›Old Surehand I/III‹, 1894/96)


(1) Apanatschka, ein Häuptling der Naiini-Komantschen, befindet sich in der Gefangenschaft Old Shatterhands und seiner Gefährten. Das Angebot des Westmanns, ihn freizulassen, lehnt er stolz ab und besteht darauf, um seine Freiheit kämpfen zu dürfen. Nachdem Old Shatterhand es ihm freigestellt hat, die Form des Kampfes und seinen Gegner zu bestimmen, wählt der Häuptling als Waffe das Messer und als Gegner Old Surehand. Da durch eine Finte Old Surehands den beiden Duellanten die Messer aus den Händen gerissen werden, wird der Kampf zunächst als Faust- und dann als Würgkampf170 bis zur Bewußtlosigkeit der beiden Kämpfer fortgesetzt. Apanatschka hat sich nach Old Shatterhands Wertung des Duells seine Freiheit verdient und wird somit freigelassen.

   (2) Ein Savannengericht soll über den gefangenen Tramp Toby Spencer befinden. Da keine Einigkeit über die Strafe erzielt werden kann - alle außer Winnetou und Old Shatterhand verlangen seinen Tod -, schlägt ein Schmied, dem von dem Beschuldigten übel mitgespielt wurde, vor, mit diesem ein Duell auszufechten. Die beiden Kämpfer erhalten Schmiedehämmer,171 die ihnen an den Handgelenken festgebunden werden. Nach einem


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kurzen Schlagabtausch macht der Schmied seinen Gegner dauerhaft kampfunfähig, verzichtet aber darauf, ihm das Leben zu nehmen.

   Das Messerduell, der Zweckbestimmung nach ein Befreiungs-172 bzw. ein Ehrenzweikampf, weckt zunächst keine große Erwartungen, stellt es doch die bei May am häufigsten verwendete Zweikampfform dar. In diesem Falle gelten nach den Worten Apanatschkas folgende Bestimmungen: »Die beiden Gegner werden mit den linken Händen zusammengebunden und bekommen das Messer in die rechte Hand. Es geht um das Leben.«173 »Es soll keiner das Recht des Angriffes, des ersten Stiches haben. Old Shatterhand mag das Zeichen geben, wann der Zweikampf beginnen soll, und dann kann von uns anfangen, wer da will.«174 Erst später nimmt das Ganze eine Entwicklung, die aus dieser Standardsituation ein Duell von ganz unverwechselbarem Reiz und im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubender Dramatik hervorgehen läßt.

   Nachdem Apanatschka Old Shatterhand und Winnetou als unersetzlich aus dem Kreis seiner möglichen Gegner ausgeschieden hat, ist seine Wahl mit Old Surehand - keiner der Beteiligten weiß es zu diesem Zeitpunkt - auf seinen Bruder gefallen. Die deutlich erkennbare und auch wechselseitig bekundete Sympathie füreinander scheint für die beiden die Attraktivität des Kampfes auf Leben und Tod eher zu erhöhen als zu vermindern. Da auch alle anderen Beteiligten für beide nur Freundschaft und Zuneigung empfinden - besonders deutlich von Old Shatterhand artikuliert -, gibt es eigentlich niemanden, der diesen Zweikampf oder gar den Tod eines der beiden überhaupt will, von dem blutdurstigen Old Wabble und den sensationslüsternen Indianern abgesehen. Was ist näherliegend, als zu wünschen, daß, wenn der Kampf schon nicht zu vermeiden ist, er doch wenigstens keinen der zwei das Leben kosten solle? Die Konzeption dieses Zweikampfs bestimmt sich somit von seinem gewünschten Ausgang her: Mögen sie miteinander kämpfen, wenn sie nur überleben. Da das Messer für eine solche glimpfliche Lösung eine zu gefährliche Waffe ist, muß es eliminiert werden (Old Surehands Meisterstück175) und einem Kampf mit den Fäusten bzw. Händen weichen. Hierin schenken die beiden Kämpfer sich dann aber auch nichts. Wie um den Ernst des Kampfes auch ohne Waffen zu unterstreichen, steigern sie sich in einen von May mit nahezu sadistischer Akribie geschilderten Würgeexzeß hinein, der sie beide an den Rand des Todes bringt.

   Für den Roman insgesamt erfüllt diese Episode den Zweck einer ersten Annäherung der beiden verschollenen Brüder. Selbst einander noch unbekannt, deutet die überraschende Feststellung ihrer Ähnlichkeit durch Old Shatterhand auf die sich im Verlaufe des Romans schrittweise entfaltende Schicksalsgeschichte der Familie Old Surehands voraus:


Ihre Hände ruhten noch ineinander. Als sie jetzt, Auge in Auge, die Blicke ineinander tauchten, kam es plötzlich über mich, warum die Züge des Comantschen mir


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während der Unterredung bekannt vorgekommen waren; sie besaßen mit denen von Old Surehand eine wenn auch nicht auffällige, aber doch solche Aehnlichkeit, daß ich mich wunderte, dies nicht sofort erkannt zu haben ...176


Auf das Ganze bezogen stellt sich der Zweikampf hier dar als der Anfang eines Aufklärungsprozesses, an dessen Ende die Auflösung des Familienrätsels um Old Surehand und seine Angehörigen stehen wird. Daß er selbst schon Teil dieser Enthüllung ist, sprechen die ›ineinandertauchenden Blicke‹ aus, in denen sich vielleicht schon ein tieferes Erkennen mitteilt als in dem Kommentar des äußeren Betrachters Old Shatterhand. Diese nicht wissentliche, aber ahnungsvolle empathische Wahrnehmung der beiden Brüder ist, noch vor Aufdeckung ihrer Geschwisterbeziehung, Ausdruck eines ›Verwandtschaftsgefühls‹ der besonderen Art, nämlich zweier Menschen, die sich in der existentiellen Grenzsituation des Duells - das Zusammenbinden der Hände verdeutlicht dies symbolisch - in unvergleichlicher Weise aufeinander verwiesen sehen. Das den beiden Zweikämpfern Old Surehand und Apanatschka von May verliehene Geschwisterverhältnis macht ›Brüderlichkeit‹ in einem über die Verwandtschaftsbeziehung hinausgehenden Sinn als ein allgemeines menschliches Empfinden besonderer Verbundenheit, hier der ›Schicksalsgemeinschaft‹ der Zweikämpfer, verständlich.

   In der zweiten Episode schildert May seinen wohl spektakulärsten Zweikampf, der sogar Old Shatterhand in kaum verhohlene Begeisterung versetzt.


Welch ein Gedanke! Also um einen Cyclopenkampf sollte es sich handeln!

   Ich gestehe aufrichtig, daß dieser Kampf dem Westmanne in mir sehr interessant vorkam, während ich als Mensch glaubte, ihn verwerfen zu müssen; aber dieser Zwiespalt in mir fand gar keine Zeit, zur Geltung zu kommen, denn meine Gefährten gingen mit großer Bereitwilligkeit auf den Vorschlag des Schmiedes ein. Ein Zweikampf, und noch dazu ein solcher, durfte nach dem Savannenbrauche nicht zurückgewiesen werden. ... Das hatte man noch nicht erlebt; das war noch nicht dagewesen! Man war sofort Feuer und Flamme.177


In der Tat ist es fraglich, wo sonst noch, sei es historisch oder literarisch, sich das Beispiel eines Duells mit Schmiedehämmern findet. Aber auch in anderer Hinsicht ist dieser Zweikampf bemerkenswert.

   Zunächst stellt Old Shatterhand eine Ungleichheit zwischen den beiden Kämpfern fest. Es stehen sich nämlich, nach seinen Worten, ein »Schurke« und ein »Ehrenmann« gegenüber,178 so daß eine Situation gegeben ist, die üblicherweise ein Duell ausschließt. Daß es dennoch dazu kommt, liegt daran, daß das Savannengericht, das über Spencers Schicksal zu befinden hat, sich nicht einigen kann, was mit dem Rowdy geschehen soll. Diese »Savannenjury«,179 gewissermaßen das Gegenstück zur indianischen Ratsversammlung, neigt anfangs mehrheitlich dem Todesurteil zu, verständigt sich


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aber schließlich, unter dem mäßigenden Einfluß Old Shatterhands einerseits und nach dem resoluten Eingreifen des Schmieds andrerseits, auf einen Zweikampf. Vom Typ her handelt es sich für den Rowdy um einen Befreiungs-, für den Schmied um einen Rachezweikampf. Der Verlauf des Duells ist nur wenig reglementiert. Um sicherzustellen, daß die Hämmer tatsächlich nur zum Schlagen und nicht etwa auch zum Schleudern verwendet werden, bindet man sie an den Handgelenken der beiden Gegner fest. Ansonsten heißt es: »Es sollen alle Vorteile gelten, und die Kämpfenden können auch die freien Hände gebrauchen!«180

   Wie kommt nun die absolut ungewöhnliche Wahl der Waffen zustande? Voraussetzung ist zunächst der oben genannte Unterschied zwischen ›Schurke‹ und ›Ehrenmann‹, wonach dem Ehrenmann, gewissermaßen als Ausgleich für seine Duellbereitschaft, das Wahlrecht der Waffen zukommt. Da der Schmied dem Rowdy körperlich unterlegen ist, ist es nur verständlich, wenn er eine Waffe wählt, die dieses Manko ausgleicht. Was ist da näherliegend als eine Waffe, mit der der Schmied täglich umgeht und in deren Gebrauch er mit Sicherheit die größere Übung hat? Da es bekanntlich Mays Bestreben ist, die Verbindung zwischen Straftat und Strafe möglichst sinnfällig werden zu lassen - in solchen Konstruktionen gibt sich immer wieder der Lehrer in ihm zu erkennen -, ist es nach dieser Logik nur konsequent, wenn ein Übeltäter, der einem Schmied schweren Schaden zugefügt hat, seine Bestrafung durch einen Schmiedehammer erfährt.

   Man wird dieser Episode den Vorwurf der Effekthascherei nicht ganz absprechen können. Innerhalb der Gesamtkonzeption des Romans ist sie durchaus peripher, ja verzichtbar: Es kämpfen gewissermaßen zwei Statisten gegeneinander, zwei Nebenpersonen, die für die Handlung, der Schmied mehr noch als Spencer, relativ bedeutungslos sind. Als retardierendes Moment vor der Schlußabrechnung mit den Schurken und der Aufklärung des Familiendramas um Old Surehand mag dieser Teil dagegen seinen erzähltechnischen Sinn haben. Auch als Ausdruck von Mays Rechtsempfinden ist es bezeichnend, wenn er nach dem Kampf den Polizisten Treskow sagen läßt: »Fiat justitia! ... Er hat, was er verdient, wenn auch nicht den Tod«,181 und mit der lateinischen Rechtsformel dem Zweikampf nachträglich die juristische Legitimation erteilt.

   Eine besondere Bedeutung gewinnt diese Darstellung im Kontext einer auch die erste Episode mitumfassenden tiefenpsychologischen Betrachtung.182 Dies ist neben ›Der Geist der Llano estakata‹ die einzige amerikanische Zweikampferzählung, die kein Duell mit Beteiligung Old Shatterhands enthält! Was ist der Grund für diese Zurückhaltung, und wie hängen die beiden zeitlich weit auseinanderliegenden und erzähllogisch völlig unabhängigen Zweikämpfe zusammen? Anders als in ›Winnetou I‹, wo die Zusammengehörigkeit der drei Zweikämpfe evident ist,183 anders auch als in ›Satan und Ischariot‹, wo eine deutliche personale und handlungsmäßige Zusammengehörigkeit zwischen den dort gleichfalls weit auseinanderlie-


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genden Duellen gegeben ist, handelt es sich hier um Personen bzw. ›Paarungen‹, wie sie verschiedener nicht sein können: zum einen um zwei Brüder, die sich, auch unabhängig von ihrer verwandtschaftlichen Beziehung, freundschaftlich tief verbunden fühlen, zum andern um zwei grimmige Feinde, einen Schmied und einen Rowdy, die haßerfüllt aufeinander losgehen. Liebe und Haß, so scheint es, sind die Qualitäten, die die beiden Episoden abgrenzend charakterisieren, in ihrer Gegensätzlichkeit aber auch wieder aufeinander beziehen.

   Kein anderer Zweikampf ist so lange und so intensiv von größtmöglicher körperlicher Nähe gekennzeichnet wie die ›Würgeumarmung‹ zwischen Old Surehand und Apanatschka. Nimmt man noch hinzu, daß es zwei Brüder sind, die sich hier so innig umarmen,184 so wird der Fall durch Hinzutreten einer inzestuösen Komponente eher noch delikater. So gesehen ist es in einem doppelten Sinn der Zweikampf zweier Liebender - Apanatschka: »... meine Seele fühlt sich zu ihm [Old Surehand] hingezogen«185 -, der sich bis zur Extase (ein Aechzen ..., ein Stöhnen, ein doppeltes Röcheln186) steigert und an dessen Ende die beiden Liebenden steif und starr in den Sand fallen, allerdings ohne die Hände voneinander zu lassen.187 In Anbetracht der schockierenden Härte und Verbissenheit, mit der dieser Kampf trotz oder vielleicht gerade wegen aller zuvor beteuerten Freundschaft und Liebe ausgetragen wird, ist es nicht verwunderlich, daß May sein Alter ego Old Shatterhand und dessen Bluts-›Bruder‹ Winnetou in diesem Falle für heilig und für unantastbar188 erklärt und mit dieser von Apanatschka vorgebrachten Begründung aus dem Kreis der möglichen Zweikampfkandidaten ausschließt. Es scheint, als habe May der homosexuellen Komponente des Zweikampfs nur distanziert Ausdruck verleihen können, indem er ›sich selbst‹, d. h. Old Shatterhand, aus dem Geschehen heraushielt.

   Auch der andere Zweikampf des Romans fügt sich passend in dieses Bild. Was ›Hämmer‹ volkstümlicherweise ›bedeuten‹, bedarf keiner Erklärung. Auch hier weist May den Homosexualitätsverdacht von sich, indem er den symbolträchtigen Kampf diesmal von zwei völlig unbedeutenden Personen austragen läßt. So steht dem Kampf zweier Liebender jetzt in Gestalt des Schmiedes und des Rowdys ein haßerfülltes Drauflosschlagen gegenüber, das im Unterschied zu dem kurzen Zustand der Bewußtlosigkeit Old Surehands und Apanatschkas bei Spencer schwere Verletzungen zur Folge hat, nachdem der Schmied zuvor von diesem und seinen Leuten mißhandelt (vergewaltigt?)189 worden war. Man kann vermuten, daß May in diesen beiden Duellen seine Wunsch- sowohl als auch seine Angstvorstellungen von homosexuellen Beziehungen kontrastiv in Szene gesetzt hat.


Exkurs: Zum Zweikampf Winnetou - Old Shatterhand190


Viele Karl-May-Leser werden sich wohl schon gefragt haben, wieso ihr zweikampfverliebter Autor keinen ›echten‹ Zweikampf zwischen Winne-


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tou und Old Shatterhand stattfinden läßt. Böte nicht gerade diese ›Paarung‹ der ›berühmtesten Helden‹ des Wilden Westens, wie May oft schwärmt, Stoff für den vielleicht gewaltigsten aller Zweikämpfe? Immerhin: Ein Kampf findet statt zwischen den beiden, doch nicht nach den Maßstäben der großen Zweikämpfe des Mayschen Typs. Daß die späteren Blutsbrüder nur über den Kampf glaubhaft zueinander finden können, schien dem Verfasser von vornherein klar gewesen zu sein, so daß ein friedliches Zusammenführen der beiden für ihn wohl nie in Betracht kam. May scheint hier ganz der weitverbreiteten, vor allem in der neueren Mythologie der Abenteuerliteratur und des Films gepflegten Überzeugung verhaftet zu sein, daß wahre Männerfreundschaft sich nur im Kampfe bilden könne. Dieses Merkmal weisen in der Tat alle drei Varianten der entscheidenden Begegnung zwischen Winnetou und Old Shatterhand auf. Sowohl in der Zeitschriftenfassung des ›Sohn des Bärenjägers‹ als auch im ›Scout‹ als auch im ersten ›Winnetou‹-Band kommt es zwischen den beiden zu Nahkämpfen, in denen kräftig gewürgt, gestochen und geschlagen wird. Weitere Gemeinsamkeiten liegen darin, daß in allen drei Fällen gleichzeitig auch andere Kampfhandlungen ablaufen und daß Old Shatterhand jedesmal einen Messerstich in den Hals bzw. den Mund erhält.

   Im ›Sohn des Bärenjägers‹191 überfällt Winnetou zusammen mit zehn Apachen ein Lager von sechs Weißen, unter ihnen Old Shatterhand. Nach hartem Gefecht bleiben nur noch Winnetou und Old Shatterhand übrig. Als es dem Weißen gelingt, den Apachen niederzuwerfen, bietet ihm dieser die nackte Brust, woraufhin Old Shatterhand ihm die Hand reicht und seine Freundschaft anbietet.

   Im ›Scout‹192 treffen die beiden während eines Kampfes zwischen den Komantschen und Apachen aufeinander. Hier muß Old Shatterhand seinen Gegner mühevoll niederringen, bis Winnetous Bewußtlosigkeit den Kampf beendet. Nachdem Old Shatterhand ihn vorübergehend, ›zu seinem eigenen Schutz‹, an einen Baum gefesselt hat, läßt er ihn wenig später frei, womit die Basis der künftigen Freundschaft gelegt ist.

   In ›Winnetou I‹ erfolgt die Konfrontation während eines Überfalls der Apachen auf die Kiowas. Hier schlägt Old Shatterhand zunächst den auf ihn einstürmenden Intschu tschuna nieder, den er dann vor dem skalplüsternen Kiowa-Häuptling Tangua schützt, indem er diesen mit einem Würgegriff ausschaltet. Was folgt, ist die vielleicht berühmteste Zweikampfszene Mays. Dem fürchterlichen Kolbenhieb193 des von hinten angreifenden Winnetou kann Old Shatterhand gerade noch ausweichen, um sich gleich darauf in wildem Handgemenge mit dem Apachen zu befinden, dessen Verlauf und Ausgang weitgehend dem Muster des ›Scout‹ folgen, nur daß hier statt der allmählichen Erschöpfung zwei, drei rasch aufeinanderfolgende Faustschläge194 Winnetous Betäubung herbeiführen.

   Es ist wohl keine Frage, daß diese letzte Version der kämpferischen Begegnung zwischen Winnetou und Old Shatterhand, nicht nur was die Aus-


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führlichkeit und Dramatik der Schilderung betrifft, mit Abstand die beste der drei Varianten ist. Zwei Kunstgriffe Mays vor allem heben die in den beiden Vorläufern nur knapp und eher lieblos erzählte Begegnung auf ein beachtliches erzählerisches und konzeptuelles Niveau: zum einen die Einführung von Winnetous Vater Intschu tschuna in die Handlung, die der Auseinandersetzung eine ganz neue Dimension verleiht; zum andern der Kolbenhieb (schon wieder!) eines ungenannten Apachenkriegers, der Old Shatterhand, nach Winnetous vergeblichem Versuch, diesmal wirklich niederstreckt und in die Gefangenschaft der Apachen bringt. Beide Neuerungen haben für die Begründung der Freundschaft zwischen Winnetou und Old Shatterhand konstitutive Bedeutung. Ergab sich diese im ›Sohn des Bärenjägers‹ und im ›Scout‹ noch spontan, unmittelbar aus dem Kampf, so wird sie in ›Winnetou I‹ auf längere Zeit vertagt. Old Shatterhands Bewußtlosigkeit (Kolbenhieb) und Sprachlosigkeit (Messerstich durch die Zunge) verhindern, ganz abgesehen von den handlungsmäßigen Verwicklungen, die einer freundschaftlichen Verbindung im Wege stehen, Verständigung und Annäherung, und Blutsbrüderschaft darf erst getrunken werden, nachdem Old Shatterhand sich als Befreier der beiden Apachenhäuptlinge aus der Gefangenschaft der Kiowas zu erkennen gegeben hat (Haarlocke Winnetous) und - was für unsere Untersuchung das Interessantere ist! - nachdem er Intschu tschuna im Zweikampf bezwungen hat.

   Fassen wir vorläufig zusammen: 1) Ein Zweikampf zwischen Winnetou und Old Shatterhand mußte stattfinden, alles andere hätte, nach Mays wahrscheinlich berechtigter Annahme, die Erwartungen der Leser enttäuscht. 2) Ein ›echter‹ Zweikampf findet nicht statt, was die Frage nach den Gründen dieses Verzichtes aufwirft.

   Eine naheliegende und bis zu einem gewissen Grade sicher einsichtige Erklärung dieser auffälligen Vermeidungshaltung - immerhin in drei vergleichbaren Fällen - liegt darin, daß die Niederlage des einen oder anderen der beiden Kämpfer eine zu starke Demütigung des jeweils Unterlegenen, eine zu große Beschädigung seines Ansehens bedeutet und auch die Freundschaft der beiden Männer auf die eher fragwürdige Basis eines Machtgefälles als auf die für eine Blutsbrüderschaft wünschenswerte Gleichrangigkeit gegründet hätte. Dagegen läßt sich sagen, daß May in den verschiedenen informellen Kämpfen die Überlegenheit Old Shatterhands - in ›Winnetou I‹ gleich zweimal - deutlich in Szene gesetzt hat, offenbar ohne Rücksicht auf derartige Bedenken. Außerdem hätte es der Autor als unumschränkter Herrscher über die Geschöpfe seiner Phantasie durchaus einrichten können - der Zweikampf zwischen Apanatschka und Old Surehand bestätigt dies -, daß auch das Duell Winnetou - Old Shatterhand ›unentschieden‹ ausgeht und somit keiner der beiden Schaden an seinem Ansehen nimmt.

   Bei aller Plausibilität der ›Gleichrangigkeitsthese‹: Eine befriedigende Antwort liefert sie nicht. Die Ursache für die ängstliche Vermeidung eines


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echten Zweikampfs zwischen Old Shatterhand und Winnetou muß anderswo liegen, und zwar in dessen Form selbst, ganz unabhängig von seinem möglichen Ausgang.

   Wenn man bedenkt, wie angreifbar Männerfreundschaften durch die allzeit mögliche Unterstellung homosexueller Neigungen grundsätzlich sind, zumal in einer Zeit, die dieser ›Normabweichung‹, wie übrigens manch anderer auch, nicht mit derselben Toleranz begegnete wie die heutige, so wird verständlich, daß May im Falle Winnetous und Old Shatterhands - immerhin seines ›Alter ego‹ - die Intimität dieser Beziehung nicht ins ›Rampenlicht‹ einer öffentlichen Zweikampfveranstaltung rücken wollte.195 Andrerseits schien ihm wohl auch eine völlig isolierte ›einsame‹ Begegnung der beiden suspekt. Liegt dem ersten Fall die Angst vor der Verurteilung tabuisierter sexueller Neigungen durch die ›öffentliche Meinung‹ zugrunde, so dem zweiten die Angst vor der Macht der eigenen Gefühle, die, wenn völlig ›unbeaufsichtigt‹, sich unkontrolliert zu bedrohlichen Auswüchsen elementarer Triebhaftigkeit steigern könnten. Die Plazierung des Zweikampfs zwischen Winnetou und Old Shatterhand in allgemeines Kampfgetümmel vermittelt zwischen den beiden Extremen. ›Publikum‹ ist formell gegeben, aber doch so sehr mit sich selbst beschäftigt, daß die sich im Kampf Umarmenden nicht zum Gegenstand allgemeiner Verurteilung werden können. Die Verstrickung sämtlicher Beteiligter in Kampfhandlungen reduziert die Bedeutsamkeit des einzelnen Zweikampfs und damit auch die ihm innewohnende emotionale Brisanz: Eine im Einzelfall tabuisierte Handlung erfährt gesellschaftliche Akzeptanz, wenn es alle tun. Auf der anderen Seite wird die Bedrohlichkeit der reinen Zweierbeziehung durch Einbindung in eine allgemeine Gefechtssituation gemildert, die sowohl formell als auch real eine ›Öffnung‹ auch für andere ›Beziehungen‹ bedeutet. Diese Wechselhaftigkeit des Kampfgeschehens, in dem potentiell jeder mit jedem in ›Kontakt‹ treten kann, ist auch in den gegebenen Kampfsituationen deutlich erkennbar, wenn Old Shatterhand kurz nacheinander vier verschiedene ›Feindberührungen‹ hat: zunächst mit Intschu tschuna, dann mit Tangua, des weiteren mit Winnetou und schließlich mit dem unbekannten Apachen, der ihn niederschlägt.

   May wäre allerdings nicht May, wenn nicht das Verdrängte, zumindest literarisch, umgehend wiederkehrte,196 und so scheinen zumindest in drei der echten Zweikämpfe die Energien und Phantasien des zensierten Zweikampfs Winnetou-Old Shatterhand eingegangen und in verfremdeter Form zur Darstellung gekommen zu sein. Wie schon angedeutet, handelt es sich hierbei um die Zweikämpfe Old Shatterhand-Intschu tschuna (›Winnetou I‹), Old Shatterhand-Starker Büffel und Mimbrenjoknabe-Yuma (›Satan und Ischariot I/II‹) und Old Surehand-Apanatschka (›Old Surehand I‹), die man, unbeschadet natürlich ihrer je eigenen Bedeutsamkeit, mit Blick auf Old Shatterhand und Winnetou als ›Ersatzzweikämpfe‹ wird bezeichnen können. Den Zweikampf Old Surehand-Apanatschka betreffend, dessen Stellvertreterfunktion für Old Shatterhand und den Apachen Winnetou schon von der Na-


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menswahl her evident ist, ist alles Diesbezügliche bereits gesagt.197 Was die Zweikämpfe der beiden anderen Romane unter Zweikampfgesichtspunkten miteinander verbindet - für ›Satan und Ischariot‹ wurde das bereits an entsprechender Stelle hervorgehoben -,198 ist die ihnen gemeinsame Vater-Sohn-Thematik. In beiden Fällen besiegt Old Shatterhand einen Vater vor den Augen des Sohnes, Siege, die, wenngleich dies nicht ausdrücklich betont wird, auch für die Söhne Konsequenzen haben. Grundsätzlich wird man sagen können, daß die Niederlage der Väter und die damit verbundene Schwächung ihrer Position, kantisch gesprochen, die ›Bedingung der Möglichkeit‹ der Befreiung der Söhne von der väterlichen Autorität bedeutet.199

   Was schon für die Grundthematik der ›Old Surehand‹- und ›Satan‹-Trilogien festgestellt wurde, nämlich eine auffällige Ausprägung familiärer Konstellationen und Probleme, gilt ähnlich auch für ›Winnetou I‹: Anders als in den Vorläufern ›Der Sohn des Bärenjägers‹ und ›Der Scout‹ begegnet Winnetou seinem späteren Freund hier von vornherein in ›Familienbanden‹.200 Im ganzen Roman gibt es kaum eine Situation, in der nicht entweder der Vater Intschu tschuna oder die Schwester Nscho-tschi mit anwesend wäre. Winnetou macht den Eindruck eines vom Vater wohlbehüteten Sohnes und der Schwester zärtlich verbundenen Bruders. Dem mußte abgeholfen werden. Der Weg Old Shatterhands zu Winnetou führt über Intschu tschuna und Nscho-tschi, genaugenommen über deren Leichen. Die ersten noch gemäßigten Schritt in diese Richtung unternimmt Old Shatterhand selbst, indem er den Vater im Zweikampf demütigt und später die ganze Familie durch rüde Zurückweisung des verschämt vorgetragenen ›Heiratsantrages‹ der Tochter kränkt. Vollends klare Verhältnisse schafft dann Santer, der die beiden ungeliebten Konkurrenten um Winnetous Gunst aus dem Wege räumt. Die Braut heißt Winnetou, und darum mußte Nscho-tschi sterben.201 Der Vater seinerseits dürfte, jedenfalls realistisch betrachtet, wohl kaum gebilligt haben, daß sein Sohn, wie dieser es später liebte, mit seinem neuen Freund oft wochenlang durch die Lande zog, statt sich als Sohn des Häuptlings und dessen künftiger Nachfolger um die Belange seines Stammes zu kümmern. Die Unbedingtheit der Freundschaft zwischen Winnetou und Old Shatterhand duldet keinen Dritten im Bunde, auch keinen Verwandten. Zur Klärung der Situation in diesem Sinne leistet der Zweikampf Old Shatterhand-Intschu tschuna einen Beitrag.


Entscheidung von oben ( ›Ein amerikanisches Doppelduell‹, 1896)


Old Shatterhand und Winnetou beschuldigen zwei Tramps, Slack und Grinder, des Mordes an zwei Goldsuchern. Da die Tat den beiden nicht nachzuweisen ist, Slack und Grinder sogar auf der ausdrücklichen Anerkennung ihrer Unschuld und ihrer Freilassung bestehen, fordern sie ihre Ankläger Old Shatterhand und Winnetou zu einem ›amerikanischen Duell‹ heraus, das mit Messern in einem dunklen Schuppen ausgetragen werden soll.


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Zu dieser Messerstecherei kommt es aber nicht, vielmehr wird die Entscheidung durch einen plötzlich hereinbrechenden Blizzard herbeigeführt. Die Wucht des Sturmes bringt den Holzschuppen zum Einsturz und begräbt die beiden Verbrecher unter sich. Der eine, Slack, ist vor Angst wahnsinnig geworden, dem anderen hat ein Balken die Nasenwurzel ein- und beide Augen ausgeschlagen. Damit haben sich ihre stereotypen Fluchformeln - Slack: »Gott soll mich wahnsinnig machen«, Grinder: »ich will gleich erblinden« - an ihnen vollstreckt.202

   Diese kleine Erzählung nimmt im Zusammenhang unseres Themas eine besondere Stellung ein. Nicht nur haben wir hier das einzige nennenswerte Beispiel Mays für ein ›amerikanisches Duell‹,203 sondern es ist auch der einzige Zweikampf, dem von May ausdrücklich die Bedeutung eines ›Gottesurteils‹ zugeschrieben wird,204 ja er läßt Old Shatterhand geradezu den Antrag stellen, auf ein Doppelduell als Gottesurteil zu erkennen, ein Vorgehen, das die Heiterkeit der Angeklagten, welche förmlich stolz darauf waren, nicht an Gott zu glauben, erregte.205 Das Reglement sieht nach den Worten eines der beiden Verbrecher wie folgt aus:


»Steckt uns heut abend mit ihnen [Old Shatterhand und Winnetou] in einem dunkeln Raume zusammen, und gebt jedem ein gutes, spitziges Messer in die Hand! Wenn sie auf diese ritterliche Art der Ueberführung eingehen, so soll mich Gott wahnsinnig machen, wenn wir ihnen unsere Unschuld nicht in der Weise durch die Rippen stechen, daß morgen früh nur noch ihre stinkenden Kadaver übrig sind.«206


Im einzelnen wird bestimmt, daß wir vier Personen, jede mit einem Messer bewaffnet, von heut abend acht Uhr bis morgen früh acht Uhr in einem leeren Schuppen einzuriegeln seien, um die Frage über die Schuld oder die Unschuld der Angeklagten blutig auszufechten.207 Auch die Struktur dieses Duells ist bemerkenswert: Genaugenommen weist es einen ›doppelten Doppelcharakter‹ auf. Die offensichtliche Bedeutung ist sicher die, daß sich hier zwei mal zwei Personen im Kampf gegenüberstehen, Old Shatterhand und Winnetou auf der einen, Slack und Grinder auf der anderen Seite. Hintergründig entpuppt sich aber der Zweikampf selbst gewissermaßen als ein doppelter: Geplant als ein Duell nur mit Messern in einem abgeschlossenen dunklen Schuppen, wird er faktisch entschieden nicht durch diesen Kampf, sondern durch den plötzlich hereinbrechenden Blizzard. Die Beurteilung des Geschehens im Kontext der Duellthematik ist somit heikel: Der Schneesturm bewirkt zwar eine Entscheidung zwischen den beiden feindlichen Parteien, war aber vom Reglement her nicht vorgesehen: Das amerikanische Doppelduell als Messerstecherei findet nicht statt. Damit sind Slack und Grinder schon insofern ins Unrecht gesetzt, als dieser ihr eigener Vorschlag, der ja einer gewissen Perversion nicht entbehrt, von einer ›höheren gerichtlichen Instanz‹ aufgehoben und durch einen anderen Austragungsmodus des Zweikampfs, nämlich den entscheidungbringenden


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Blizzard, ersetzt wird. Dem Begriff des amerikanischen Duells, das ja gerade eine übergeordnete ›metaphysische‹ Instanz, ob sie nun als Zufall oder als göttliche Vorsehung verstanden wird, zur Entscheidung aufruft, widerspricht diese Veränderung formal gesehen nicht; vielleicht wird man sogar sagen können, daß die völlige Passivität, zu der das Naturereignis die Beteiligten zwingt, dem Wesen dieses Zweikampfs noch mehr entspricht als der ursprünglich geplante Kampf. Daß dieser nicht nach den vereinbarten Bedingungen verläuft, ist diesmal nicht in der List oder Hinterlist der Menschen begründet, und so wird auch die Gültigkeit der durch den Blizzard herbeigeführten Entscheidung von keinem der Beteiligten in Frage gestellt, sondern ungeachtet der Abweichung von den Eingangsbedingungen als ›Gottesurteil‹ akzeptiert.

   Was May zu der Änderung des Titels der Erzählung von ursprünglich ›Ein amerikanisches Doppelduell‹ in ›Ein Blizzard‹ bewogen haben mag, ist mir nicht bekannt. Aus dem Gesagten ergibt sich allerdings eine plausible Erklärung: Das eigentliche ›Gottesurteil‹ - und darum geht es May - wird durch den Blizzard vollstreckt, das geplante, von den Schurken Slack und Grinder geforderte ›amerikanische Duell‹ fällt aus: warum also danach die Geschichte benennen?

   Wenngleich die List, wie oben bemerkt, in diesem Falle keine handlungsbestimmende Rolle spielt, kommt ihr doch im Vorfeld der Ereignisse eine nicht unerhebliche Bedeutung zu: die List besteht weitgehend in dem Inkognito, in das sich Old Shatterhand und Winnetou hüllen.208 Das ist überhaupt die Voraussetzung, unter der die beiden feigen Verbrecher bereit sind, zu einem Duell anzutreten: die Gewißheit, ihren Gegnern überlegen zu sein, ein Umstand, der meist bei den Kontrahenten Old Shatterhands festzustellen ist. Als sie erfahren, daß sie es mit den beiden berühmten Westmännern, die ja bekanntlich als unbesiegbar gelten, zu tun haben, sind sie entsetzt und wollen von dem Kampf zurücktreten. »Das ist Betrug; das ist Hinterlist! Warum wurde uns nicht eher mitgeteilt, wer diese Leute sind?«209 Slack hat wohl nicht ganz Unrecht. Darf man bei einem Duell nicht wirklich erwarten, daß man genau weiß, mit wem man es zu tun hat? Zwar stimmt es, daß sich Winnetou und Old Shatterhand nicht erst anläßlich des Zweikampfes das Inkognito zulegten,210 gleichwohl bleibt es fraglich, ob sie es nicht im Sinne der Fairneß oder einfach der Ehrlichkeit halber hier hätten lüften müssen. Wie auch immer: Der Zweck heiligt die Mittel. Die Burschen mußten zum Kampfe gezwungen werden, und das ging offensichtlich nur so. Übrigens hatten Old Shatterhand und Winnetou gar nicht vor, ihre Gegner zu töten: Was uns betraf, so wollten wir sie nicht erstechen, sondern durch die Todesangst zum Geständnis bringen.211

   Der Zweckbestimmung nach handelt es sich bei diesem Zweikampf um eine Verbindung von Befreiungs-, Stellvertreter- und Ehrenzweikampf: Old Shatterhand und Winnetou gehen diesen Kampf ein, um stellvertretend für die beiden des Mordes beschuldigten Caddo-Indianer deren Frei-


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lassung zu erwirken. Ein Ehrenzweikampf liegt vor, insofern sich die Kontrahenten gegenseitig der Lüge bezichtigen: Old Shatterhand die beiden Schurken, da diese die Ermordung der Brüder Burning hartnäckig leugnen; Grinder und Slack die beiden Freunde, da diese nachdrücklich deren Täterschaft behaupten. Die Unterstellung einer Lüge war schon immer einer der häufigsten Anlässe für ein Ehrenduell.

   Auch unter dem Gesichtspunkt des Publikums hat dieser Zweikampf einen ganz eigentümlichen Status. Der faktischen Nichtöffentlichkeit - das Messerduell soll in einem abgeschlossenen Raum stattfinden; von einer Einsichtmöglichkeit, etwa durch Fenster, ist nicht die Rede - steht eine formelle Öffentlichkeit gegenüber, insofern die Ereignisse im Inneren des Schuppens Resultat einer gerichtlichen Verhandlung sind und, wenn auch nicht der Zweikampf selbst, so doch sein Austragungsort von patrouillierenden Soldaten überwacht wird. Daß von Publikum in diesem Falle nicht wirklich gesprochen werden kann, ist auch der ungewöhnlichen Dauer dieses Zweikampfs geschuldet (von heut abend acht Uhr bis morgen früh acht Uhr212), die die Aufmerksamkeit und Geduld der Zuschauer um so mehr ermüden würde, als es zunächst eigentlich nichts Aufregendes zu sehen gibt. Als sich das dann mit dem Losbrechen des Blizzards ändert, der mit der Zerstörung der Hütte, bildlich gesprochen: dem Niederreißen des blickhemmenden Vorhangs, potentiellen Zuschauern dann doch eine Teilnahme am Vollzuge des Gottesurteils gestattet hätte, tritt die Bedeutung des Duells vor dem elementaren Interesse, das eigene Leben zu schützen, zurück: Das Rufen draußen war verschollen; die Wächter hatten sich in die Blockhütten geflüchtet.213


Exkurs: Zum ›Gottesurteil‹


Grundsätzlich kann jeder Zweikampf als Gottesurteil gesehen oder auch nicht gesehen werden. Der vorliegende Text macht dies ganz deutlich, indem der Antrag Old Shatterhands auf ein Doppelduell als Gottesurteil unmittelbar kontrastiert wird mit der Feststellung seiner Gegner, daß sie überhaupt nicht an Gott glauben.214 Auch die Ungebräuchlichkeit eines Begriffs wie ›Gottesurteilszweikampf‹ verdeutlicht, daß es sich hierbei um keinen eigenen Zweikampftyp, sondern lediglich um eine Interpretationskategorie handelt. Kurz: Ob ein Zweikampf als Gottesurteil gilt, ist eine reine Glaubensfrage. So ist es nicht verwunderlich, daß dieser Begriff für das positivistische Welt- und Rechtsverständnis des säkularisierten Zeitalters faktisch keine Bedeutung mehr hat, im Unterschied etwa zur Gottesurteilspraxis des Mittelalters, wo das ›Ordal‹ Teil eines Rechtswesens war, das nicht nur auf der Einvernehmlichkeit eines allgemein anerkannten Gottesglaubens beruhte, sondern in der Einheit von staatlicher und kirchlicher Jurisdiktion auch institutionalisiert war.215 Heutigentags, wie auch schon zu Lebzeiten Mays, wird man von ›Gottesurteil‹ also nicht mehr in einem substan-


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tiellen, sondern lediglich in einem übertragenen oder metaphorischen Sinne reden können. In dieser Bedeutung soll der Begriff darauf aufmerksam machen, daß der Ausgang eines Kampfes nie nur allein von den - und sei es noch so überragenden - Fähigkeiten eines einzelnen Kämpfers abhängig ist, sondern von zahlreichen Unwägbarkeiten und Zufällen. Interessant ist, daß der ansonsten mit entsprechenden religiösen Deutungen nicht gerade zurückhaltende May bei der Schilderung der Zweikämpfe seines Helden Old Shatterhand kaum einmal von Gottesurteil spricht,216 sondern meist nur da, wo es, wie in ›Ein Blizzard‹, um die gerechte Bestrafung von Bösewichtern geht. Der Zweikampf scheint bei May, was sein Alter ego Old Shatterhand betrifft, eher eine Bewährung des Tüchtigen zu sein, den mehr die eigene Kraft zum Sieg trägt, als daß er hierzu der Hilfe Gottes bedürfte. Auch von daher wird die überragende Bedeutung der List in den Zweikämpfen Old Shatterhands verständlich, nämlich als eine Ersatz- oder säkularisierte Form des göttlichen Beistandes.217 May zeigt sich hier gar nicht von der Seite frommer Bescheidenheit, sondern als echtes Kind der bürgerlichen Aufklärung, Old Shatterhand als Prototyp des bürgerlichen Subjekts, das ganz dem eigenen Vermögen, und zwar der spezifisch menschlichen Kraft der Vernunft und deren heimlichem Wesen, der List, vertraut.


Der Zwang zur Wiederholung (›»Weihnacht!«‹, 1897)


Old Shatterhand ist zusammen mit seinem Jugendfreund Carpio und dem Kellner und Medizinstudenten Rost in die Hände der feindlichen Blutindianer geraten, die sich zusammen mit den Kikatsa-Upsarocas auf einem Kriegszug gegen die Schoschonen befinden. Mit Rücksicht auf ihre Verbündeten müssen die Old Shatterhand eigentlich freundlich gesinnten Krähenindianer ihn und seine Gefährten formell als Gefangene behandeln. Ein ›Sti-i-poka‹, ein Kampf auf Leben und Tod, soll Klarheit in die verworrene Situation bringen. Dreimal tritt Old Shatterhand gegen den Häuptling der Blutindianer, Peteh, an: zum Faust- und Würgekampf am Baum, zum Tomahawk-Nahkampf und zum Tomahawk-Fernkampf. Nachdem der Westmann seinen Gegner in den ersten beiden Durchgängen durch seinen berühmten ›Jagdhieb‹ nur betäubt hat, greift er im letzten Durchgang zu der bewährten List des ›fintierten Doppelwurfs‹, mit dem er seinen Gegner endgültig kampfunfähig macht.

   Dies ist nach ›Der Sohn des Bärenjägers‹ und ›Der Schatz im Silbersee‹ die dritte der ›ganz großen‹ ausführlich und sorgfältig ausgearbeiteten Zweikampfepisoden, die hier als integraler Bestandteil der Gesamterzählung Höhepunkt und gleichzeitig Abschluß der sogenannten ›Indianerhandlung‹ bildet. Die Bestrafung Petehs durch die schwere Verletzung, die schließlich zu seinem Tode führt, stellt eine erzähllogische Konsequenz aus den vorangegangenen Ereignissen dar. Schon der Anfang des Amerikateils des Romans baut auf einer Aktion Petehs auf. Die Ermordung der sechs


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Upsarocas durch ihn und seine Blutindianer, in deren Folge der Pelzjäger Hiller als Mitschuldiger von den Krähenindianern gefangen genommen218 wurde, ist die Initialhandlung, die diesen Teil des Romans in Gang bringt: Old Shatterhand macht sich auf, um Hiller zu befreien.

   Erst vor diesem Hintergrund wird die Eigentümlichkeit dieses Zweikampfs verständlich. Grundsätzlich ist nicht einzusehen, warum Old Shatterhand in diesem Fall dreimal gegen Peteh antreten muß, während ansonsten immer die einmalige Überwindung des Gegners genügte. Nachdem anfangs nur von einem Zweikampf Old Shatterhands gegen den Häuptling der Blutindianer die Rede war,219 werden auf dessen Drängen hin die Kampfbedingungen im weiteren Verlauf der Ereignisse derart erweitert und präzisiert, daß Peteh zunächst gegen Old Shatterhand und dann gegen die beiden anderen Weißen, Carpio und Rost, kämpfen werde.220 Und noch viel später erfolgt dann die endgültige Festlegung, daß je zwei andere Gegner nur dann anzutreten hätten, wenn einer der beiden, Old Shatterhand oder Peteh, im Kampf getötet würde.221 Daß Old Shatterhand dann dreimal gegen Peteh antritt, entspricht also ganz diesem Reglement, wird aber faktisch erst dadurch möglich, daß er seinen Gegner in den beiden ersten Durchgängen jeweils nur betäubt und nicht tötet. Durch die Siege Old Shatterhands bleibt es seinen Gefährten erspart, die für sie vorgesehenen Zweikämpfe antreten zu müssen, in denen sie mit Sicherheit chancenlos wären; indem er Peteh schont, hebt er sich für die folgenden Zweikämpfe immer den stärksten Gegner auf, was eines Old Shatterhand schließlich nur würdig ist.222 Wichtiger ist allerdings - und hier kommt wieder der Romankontext zur Geltung -, daß sich so die Möglichkeit ergibt, dem Übeltäter Peteh eine gründliche Lehre zu erteilen. Dieser Zweikampf zeigt somit deutlich die Merkmale einer drastischen, fast sadistisch ausgekosteten Bestrafungsaktion: Schließlich ist Peteh nicht nur ein heimtückischer Mörder, sondern auch ein Kriegsanstifter zwischen den Stämmen der Schoschonen und Upsarocas. Die Schwere der Taten und die Verächtlichkeit der Gesinnung rechtfertigen nach Mays Verständnis von ›Schuld und Sühne‹ diese öffentliche ›Vorführung in drei Akten‹. Die Notwendigkeit mehrerer Waffengänge ergibt sich darüber hinaus aus dem Charakter des Blutindianers, aus seiner hartnäckigen Unbelehrbarkeit, die offensichtlich der Überzeugungskraft mehrerer Niederlagen bedarf. Die Magie der Zahl drei, deren bekanntlich alle guten Dinge sind, tut ein Übriges, die Angelegenheit auch symbolisch abzurunden.

   Nachdem May immer wieder und vielfach mit Recht der arglose und exzessive Gebrauch von Wiederholungen vorgeworfen und als Zeichen dürftigen Einfallsreichtums angerechnet wurde, gibt es in jüngerer Zeit die Tendenz, wie in anderen Bereichen und bei namhafteren Autoren schon längst üblich, auch in seinem Falle die Wiederholung als erzählerisches Stilmittel anzuerkennen.223 Daß May, so wie überhaupt, auch in seinem Schreiben vielfachen Zwängen unterlag, deren einer, im ganzen Facettenreichtum des


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Begriffs, der ›Wiederholungszwang‹ ist, der als wesentliche Triebkraft auch seine Zweikampfmanie verständlich macht, diskreditiert somit nicht von vornherein die vielen Wiederholungen in seinem Werk. Macht man deren Gebrauch nicht abhängig von dem Kriterium bewußter Planung und Konstruktion - was bezogen auf künstlerische Produktion im allgemeinen, besonders im Falle Mays, fragwürdig erscheint -, sondern in erster Linie von gelungener Funktionalität, so wird man in dem dreifachen Zweikampf Old Shatterhands gegen Peteh eine mehrfach motivierte und sinnvolle Anwendung des Repetitionsprinzips erkennen können.

   Während Old Shatterhand die ersten beiden Gänge des Kampfes aus eigener Kraft schnell für sich entscheidet, greift er für den dritten Durchgang zu einer List. Ungewöhnlich ist, daß er sich hierzu einen Helfer sucht - wann läßt sich Old Shatterhand bei seinen Siegen sonst schon helfen! -, und zwar den Krähenhäuptling Yakonpi-topa, der ihm nicht nur hervorragende Wurfbeile zur Verfügung stellt,224 sondern auch als ›Schiedsrichter‹ des Zweikampfs Old Shatterhands Plan, den Häuptling der Blutindianer durch einen schnellen Doppelwurf zu Fall zu bringen, tatkräftig unterstützt: Daß diese offensichtliche Unfairneß dem Sieg des Helden keinen Abbruch tut, wird verständlich vor dem Hintergrund dieses Zweikampfs als demonstrativer Bestrafung des Mörders und Kriegsaufwieglers Peteh: Die List steht hier im Dienste des Rechts. Außerdem wirkt die Zusammenarbeit des Häuptlings in diesem Fall dem Verdacht einer willkürlichen oder persönlichen Racheaktion Old Shatterhands entgegen: Die Bestrafung des Übeltäters erhält dadurch höchstrichterliche Weihe. Insofern er durch den Zweikampf die für die Ermordung der sechs Krähenindianer fällige Exekution Petehs vollzieht, handelt Old Shatterhand ganz im Sinne des Häuptlings bzw. des Ältestenrats der Upsarocas.

   Die retardierenden Momente, die sich spannungssteigernd zwischen die Ankündigung und die Ausführung des Zweikampfs schieben, sind, ähnlich wie in der ›Sohn des Bärenjägers‹- und der ›Schatz im Silbersee‹-Episode, besonders ausgeprägt und abwechslungsreich: Ankündigung des Duells - Gespräch mit Carpio, Vergleich zwischen indianischem und konventionellem Duell - Old Shatterhands energisches Auftreten vor dem Ältestenrat (›Selbstbefreiung‹) und Konfrontation mit Peteh - Spekulationen über den wahrscheinlichen Ausgang des Kampfes - Kampfbestimmungen: Waffen und Reglement - Demonstration von Old Shatterhands Tomahawkwurfkünsten vor Yakonpi-topa - die drei Kämpfe: Kampf am Baum mit schnellem Sieg Old Shatterhands, Erstaunen und Erleichterung bei den Zuschauern - Tomahawk-Nahkampf mit schnellem Sieg Old Shatterhands, Erstaunen und Erleichterung bei den Zuschauern - Feststellung von Carpios Abwesenheit (Vorausdeutung) - Tomahawkweitwurf: Aufstellung und Situationsbeschreibung, zwei Fehlwürfe des Indianers, Old Shatterhands Doppelwurf: Peteh schwer getroffen - Bestätigung der Befürchtung: Carpio von Verbrechern entführt.


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   Wie im ›Schatz im Silbersee‹ äußert sich das öffentliche Interesse an dem Fall zunächst in einer indianischen Ratsversammlung, in der es diesmal recht stürmisch zugeht, weil sowohl Old Shatterhand als auch der cholerische Peteh sehr massiv und respektlos auftreten; später dann nimmt natürlich das ganze Lager lebhaften Anteil an den verschiedenen Durchgängen des Zweikampfs: Es bedarf wohl keiner Versicherung, daß alle Gedanken auf den zu erwartenden Kampf gerichtet waren. Es herrschte seinetwegen eine mehr als ungewöhnliche Aufregung im Lager.225 Und später:


Ganz wie vorhin war jetzt wieder zunächst alles still. Daß Anfang und Ende des Kampfes auf kaum eine Minute gefallen waren, das wollten die Roten nicht begreifen, denn der Indianer ist gewöhnt, den Zweikampf so lange wie möglich hinauszuziehen, ungefähr wie man eine Delikatesse nicht hinunterschlingt, sondern langsam und mit Genuß verzehrt. Als sie aber sahen, daß Peteh sich nicht bewegte, gaben sie ihren Beifall umso lauter zu erkennen; die Blutindianer blieben natürlich still.226


Dabei reproduzieren sich die bekannten Vorstellungen: das Bild vom Kreis bzw. Doppelkreis während der Ratsversammlung, vom Kreis um den Baum der ersten Zweikampfstation, vom Kreis auch während des Tomahawk-Nahkampfs, schließlich von der Linie bzw. Doppellinie aus Anlaß des Tomahawkweitwurfs.227 May scheint eine Vorliebe für mathematische Anordnungen seiner Zweikämpfe zu haben, die einerseits sicherlich in den natürlichen Vorgaben des Geschehens begründet liegen, andrerseits als ästhetisches Konstruktionsprinzip der nordamerikanischen Wildnis und ihren Bewohnern ideale Raumvorstellungen und europäische Verhaltensmaßstäbe unterlegen. Fast automatisch ergeben sich so, je nachdem, stadion-, arena- oder theaterähnliche Räume, wie sie dem ›Schauspiel‹ des Zweikampfs228 als einer publikumswirksamen Veranstaltung angemessen sind.

   Der Zweckbestimmung nach handelt es sich in diesem Fall um einen Befreiungszweikampf, denn Old Shatterhand und seine Gefährten wollen sich aus der Gefangenschaft der Blutindianer lösen. Andrerseits sind sie frei, da sie sich im Lager der befreundeten Upsarocas befinden, denen hier die eigentliche ›Gerichtsbarkeit‹ zusteht. So stellt deren Häuptling Yakonpi-topa deutlich fest:


»Old Shatterhand ist stets ein Freund der Upsaroka's gewesen; darum darf ihm von ihnen nichts geschehen; er und die beiden Bleichgesichter sind frei; sie können gehen, wohin sie wollen, und sie dürfen alles nehmen und behalten, was ihnen gehört.«229


Der Zweikampf stellt also einen Kompromiß zwischen dieser bedingungslosen Freiheit als ›Gast‹ der Upsarocas und der ebenso bedingungslosen Bestimmung für den Marterpfahl dar, dem Old Shatterhand als Gefangener des unversöhnlichen Feindes aller Bleichgesichter, Peteh, verfallen ist. Der


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Westmann stellt allerdings seinen Gefangenenstatus - und damit den Stellenwert seines Zweikampfs als Befreiungszweikampf - demonstrativ in Frage: So verdeutlicht er sehr nachdrücklich, daß er sich wirklich frei fühlt und nur scheinbar bzw. freiwillig in Gefangenschaft befindet. Zunächst war er, obwohl gefesselt, durch einen überraschenden Sprung auf Hatatitla zeitweilig aus dem Indianerlager geflohen, um sich kurz darauf wieder zu stellen mit der herausfordernden Frage: »Nun, habe ich bewiesen, daß ich frei sein kann, wenn ich will?«230 Des weiteren, und dies ist der erste Aspekt der in dieser Episode angewandten List, sorgt er schon bei seiner Fesselung durch geschickte Haltung der Hände dafür, daß er bei Gelegenheit seine Fesseln schnell abstreifen kann. Das ermöglicht ihm, sich in einem günstigen Augenblick vor der Ratsversammlung seiner Fesseln zu entledigen und wie ein freier Mann aufzutreten. Die Bezeichnung Befreiungszweikampf verdient die Auseinandersetzung also nur mit Blick auf Old Shatterhands Gefährten, die selbst keine Chance hätten, ihr Leben und ihre Freiheit zu erkämpfen und die sich deshalb ganz dem stellvertretenden Einsatz ihres starken Beschützers anvertrauen müssen.

   Nicht nur als Abschluß und Höhepunkt der Indianerhandlung ist diese Zweikampfepisode schlüssig, auch als Überleitung zu der nun ebenfalls zügig dem Ende zustrebenden Carpio-Handlung ist sie sinnvoll: Um die Zusammenführung und Lösung der Handlungsstränge der Carpio-Handlung am Finding-hole zu ermöglichen, mußte den Verbrechern um Corner zusammen mit dem entführten Carpio die Flucht aus dem Indianerlager gelingen. Der Zweikampf fungiert hier als die Ermöglichungsbedingung: Während die Aufmerksamkeit aller, einschließlich der Wächter der Gefangenen, dem Zweikampf galt, konnte es Corner und seinen Komplizen gelingen, mit den besten Pferden, sämtlichen Waffen und dem hilflosen Carpio zu entkommen.231


Das Ende des Zweikampfs (›Winnetou IV‹, 1909/10)


Der alte Old Shatterhand ist von vier seiner unversöhnlichsten Feinde - von Tangua, dem Häuptling der Kiowas, To-kei-chun, dem Häuptling der Racurroh-Komantschen, Tusagha Saritsch, dem Häuptling der Kapote-Utahs, und Kiktahan Schonka, dem ältesten Häuptling der Sioux - zu einem letzten entscheidenden Zweikampf herausgefordert worden. Nacheinander muß er - Waffe ist das Gewehr - gegen die Vier antreten, die sich auch das Recht des ersten Schusses jeweils gesichert haben. Bevor der erste seiner Gegner, Tusagha Saritsch, das Gewehr auf Old Shatterhand anlegt, läßt dieser sich in aller Ruhe von seiner Frau dessen Medizinbeutel, den er sich, wie auch die drei anderen, zuvor angeeignet hatte, vor die Brust an die Stelle des Herzens hängen mit dem erwarteten Ergebnis: Entsetzt läßt der Utah sein Gewehr fallen und ergreift die Flucht. Ähnlich ergeht es nacheinander auch den drei anderen Häuptlingen. Tatellah-Satah, der ›Bewahrer der großen


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Medizin‹, verkündet das Ergebnis des Zweikampfs: »Old Shatterhand hat gesiegt! Ein Sieg ohne Blut! Und darum ein zehnfacher Sieg!«232

   In Mays letztem Amerikaroman kommt nicht nur seine Gesamtvision vom Wilden Westen zum - versöhnlichen - Abschluß, auch das Zweikampfmotiv erfährt hier seine letzte und extreme Zuspitzung. Verständlich wird dies vor dem Hintergrund von zweierlei Entwicklungen. Zum einen war der Wilde Westen mit dem letzten Blutbad, das die amerikanische Armee 1890 unter den Sioux anrichtete, und der Zivilisierung des bis dahin von mehr oder weniger großer Rechtsunsicherheit geprägten Lebens der Bewohner des amerikanischen Westens definitiv zu Ende gegangen und damit sowohl der indianischen Kampfkultur als auch dem amerikanischen Revolverheldentum substantiell die Grundlage entzogen worden. Zum anderen hatte May schon seit längerem den ›dark and bloody grounds‹ als Schauplatz seiner Romane den Rücken gekehrt - der letzte Amerikaroman vor ›Winnetou IV‹, ›»Weihnacht!«‹, war bereits 1897 erschienen - und sich ganz der orientalischen Welt zugewandt. Wirkt der letzte Winnetou-Roman, was die geographische Lokalisierung betrifft, wie ein Fremdkörper in den orientalischen Landschaften von ›Im Reiche des silbernen Löwen III/IV‹ und ›Der Mir von Dschinnistan‹, so muß er bezogen auf die Amerikareihe als später Nachkömmling bezeichnet werden, der zwar räumlich, handlungsmäßig und personell an seine Vorläufer anschließt, konzeptuell aber sehr stark vom Geist des Orients geprägt ist. So wie dieser, zentral personifiziert in der überragenden Gestalt Marah Durimehs, im Osten Gestalt annahm, verkörpert er sich nun im Westen, abgesehen von dem männlichen Gegenstück Marah Durimehs, Tatellah-Satah, in einer Vielzahl für Mays Wilden Westen sonst eher untypischer Frauen, die maßgeblichen Anteil an der Destruktion des Westernmythos Mayscher Prägung - und damit der des Zweikampfs - haben. Namentlich hervorzuheben sind hier außer Frau Klara Shatterhand z. B. Kolma Putschi (!), die beiden Aschtas, Dunkles Haar und ihre Schwester;233 aber auch zahlreiche andere weibliche Verehrerinnen, die Winnetahs, sind in diesem Zusammenhang erwähnenswert. Ehefrau Klara wirkt sogar im Duell mit, indem sie ihrem Gatten die Medizinen seiner Gegner herzschützend vor die Brust hängt. Vorher war der Protest Kiktahan-Schonkas gegen ihre Anwesenheit mit den Worten zurückgewiesen worden: »Es fällt Old Shatterhand nicht ein, mit euch zu kämpfen, denn er ist ein Mann. Er brachte euch seine Squaw, von der eine einzige Handbewegung genügt, einen jeden von euch zu vernichten.«234 Ein Schlag in das Gesicht eines jeden indianischen Kriegers, für den es eine unauslöschliche Schande ist, den Tod durch die Hand einer Squaw zu erleiden.

   Darüber hinaus wirft das Zitat die grundsätzliche Frage auf, ob es sich hier überhaupt um einen Zweikampf im Sinne der Absprache handelt. Vieles befremdet und läßt Zweifel daran aufkommen. Unklar ist, wer sich hier eigentlich im Zweikampf gegenübersteht. Old Shatterhand stellt es für sich


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in Abrede und verweist statt dessen auf seine Frau Klara; aber auch wenn man seine Worte als bloße Absichtserklärung interpretiert, die später korrigiert wird: Die Tatsache des Eingriffs einer dritten Person in ein Geschehen, dessen Teilnehmer ausdrücklich namentlich festgelegt wurden - Old Shatterhand und kein anderer sollte es sein! - und das per definitionem durch die Zweiheit bestimmt ist, bleibt so oder so bestehen, gleichgültig ob diese Dritte nun als ›Ersatz‹ für den zurückgetretenen Old Shatterhand oder als Hilfe an seiner Seite tätig wird. Ferner wird man fragen können, ob dieser Zweikampf überhaupt stattfindet. Immerhin: Es wird kein einziger Schuß abgefeuert - recht merkwürdig für ein Duell mit Schußwaffen. Gleichwohl wird Old Shatterhand als Sieger ausgerufen, ohne daß sich eine Stimme erhebt - nicht einmal aus dem feindlichen Lager -, die dieses Urteil anficht. Man folgt hier wohl der gängigen Praxis, derzufolge im Falle, daß die eine Seite nicht zum Kampf antritt oder, wie hier, die Flucht ergreift, der anderen Seite der Sieg zuzusprechen ist. So korrekt die Bewertung des Geschehens in diesem Sinne, so hintergründig und undurchschaubar - in seinen Voraussetzungen, seiner Struktur und seinen Konsequenzen - bleibt dieser Zweikampf insgesamt.

   Die Auseinandersetzung Old Shatterhands mit den vier feindlichen Häuptlingen durchzieht den Roman vom Anfang bis zum Ende, beginnend mit der merkwürdigen Einladung To-kei-chuns und Tanguas, die ihren Erzfeind Old Shatterhand auffordern, zu einem letzten tödlichen Zweikampf nach Amerika zu kommen, über den Diebstahl der Medizinen im ›Haus des Todes‹, den eigentlichen Zweikampf bis hin zur Verschüttung der feindlichen Indianer und der abschließenden Versöhnung. Daß es sich bei dieser letzten entscheidenden Auseinandersetzung um einen Zweikampf handelt, wird im einzelnen erst beim Zusammentreffen der Kontrahenten festgelegt, wenngleich von Anfang an klar ist, daß es um eine ganz persönliche Abrechnung geht, die den Leser schon etwas ›Zweikampfähnliches‹ erwarten läßt. Auch die Abfassung von Tanguas Schreiben läßt das ahnen: »Hast Du Mut, so komme herüber nach dem Mount Winnetou! Meine einzige Kugel, die ich noch habe, sehnt sich nach Dir!«235 Die später von den vier Häuptlingen festgelegten Bestimmungen des geplanten Duells sind in ihrer Präzision nur vergleichbar mit denen des ersten großen Duells des Mayschen Typs, dem aus dem ›Sohn des Bärenjägers‹, diese durch die Schärfe des Kommandotones einer quasi amtlichen Anweisung allerdings noch überbietend und auch in der Intention ganz anders gerichtet:


»Die Waffe sei das Gewehr. - - - Er [Old Shatterhand] hat mit einem jeden der vier Häuptlinge zu kämpfen. - - - Die Reihenfolge wird durch das Los bestimmt. - - - Geschossen wird im Sitzen. - - - Es gibt für jeden nur einen einzigen Schuß. - - - Die Gegner sitzen einander gegenüber, nur sechs Schritte voneinander entfernt. - - - Den ersten Schuß hat stets der ältere. - - - Der zweite Schuß fällt genau eine Minute nach dem ersten. - - - Es wird gekämpft bis zum Tode. - - - Wenn die vier Gän-


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ge mit den vier Häuptlingen vorüber sind und Old Shatterhand ist noch nicht tot, werden sie von vorn angefangen.«236


Der Verlauf dieses schon vom Reglement her befremdlichen Duells bringt weitere Irritationen für den Leser. Gemessen an den früheren spannenden und aktionsreichen Zweikampfschilderungen muß er enttäuschend wirken. Fraglich ist, ob die überraschende und originelle Wendung,237 die Old Shatterhand dem Geschehen durch den Einsatz der Medizinbeutel gibt, hierfür entschädigt. Wie auch immer: Da, entgegen den Zweikampfbedingungen, keiner der Gegner im Kampf sein Leben einbüßt, ist die aufs Ganze gehende Entscheidung abermals vertagt und den Folgeereignissen um die Bergkatastrophe und ihren Konsequenzen überantwortet. Bezogen auf die hochgespannten und immer wieder neu genährten Erwartungen des Lesers, nun endlich die Entscheidung in der Auseinandersetzung Old Shatterhands mit seinen alten Feinden zu erleben, wirken Verlauf und Ergebnis des Zweikampfs ernüchternd, im Kontext des Gesamtromans dagegen stellt er eine wirkungsvolle Retardation vor dem eigentlichen Finale dar.

   Der öffentliche Rahmen dieses Zweikampfs ist, im Vergleich mit allen anderen Duellen, in diesem vierten ›Winnetou‹-Band gewaltig ausgedehnt. Schon der Umstand, daß der Schauplatz der Ereignisse diesmal nicht die Wildnis der Prärie oder des Felsengebirges ist, sondern auf »der Scheide zwischen der Oberstadt und der Unterstadt«238 liegt, garantiert ein weitaus größeres, aber auch anspruchvolleres Publikum und erfordert erstmals eine planvolle Organisation der Veranstaltung. Immerhin gilt es, Plätze für Hunderte von Zuschauern239 bereitzustellen und darüber hinaus - auch ein Novum - eine Sitzordnung nach Rang240 und Namen zu schaffen. In keinem anderen Fall241 kommt May mit der Beschreibung der Öffentlichkeitsstruktur des Zweikampfs der nach Rang- bzw. Preisstufen gegliederten Theaterkultur der bürgerlichen Gesellschaft so nahe:


Wir fünf Duellanten saßen in der Mitte des abgesteckten Platzes. Unsere Beigeordneten befanden sich in nächster Nähe. Tatellah-Satah saß, wie schon erwähnt, direkt hinter mir. Den ersten großen Kreis um uns bildeten die anwesenden Häuptlinge. Auch die zwölf Apatschenhäuptlinge waren da. Hinter ihnen kamen die Unterhäuptlinge und sonstigen Personen, welche eine Art von Rang besaßen. Und weiter hinaus gab es die gewöhnlichen Leute. ... Sie hatten ihre Arbeit verlassen, um das Schauspiel des Kampfes zu genießen ...242


Auch die Erwartungshaltung der Zuschauer ist, verglichen mit den früheren Zweikämpfen, noch anspruchsvoller und steigert sich stellenweise bis zu Superlativen - daß die Augen aller dieser Menschen mit größter Spannung auf uns gerichtet waren, versteht sich ganz von selbst -243 und bringt die überragende Bedeutung des Ereignisses zum Ausdruck: Man sprach von nichts anderem als von dem bevorstehenden Kampf auf Leben und Tod zwischen


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Old Shatterhand und den vier berühmten Häuptlingen. ... Kurz, das Abenteuer war in aller Mund ...244

   Es mag befremdlich und wie ein Widerspruch wirken, wenn das ›Publikums‹-Merkmal als typisches Element des indianischen Zweikampfs in dieser Episode so extrem gesteigert erscheint, andrerseits aber mit bislang nicht dagewesener Deutlichkeit nun typische Merkmale des klassischen Duells hinzutreten, die so in den Zweikämpfen Mays bisher nicht zu beobachten waren.245 Gemeint ist zum einen der offizielle Charakter der Herausforderung, die ganz formell durch einen Dritten, in diesem Fall den Kiowa Pida, dem Herausgeforderten überbracht wird, zum anderen das ›Schiedsgericht‹, bestehend aus (z)wei Personen auf jeder Seite,246 das für die Einhaltung des Reglements sorgt, ein Arrangement, das, allerdings in zahlenmäßiger Verdoppelung, an das Sekundantentum im europäischen Duellwesen erinnert.247 Schon hierin läßt sich ein Grund für ›das Ende des Zweikampfs‹ bemerken: Das Maysche Zweikampfmodell als Verschmelzung des europäischen Duells mit dem indianischen Zweikampf konnte nur so lange ›funktionieren‹, wie deren verschiedenartige Bestandteile sich, gleichsam auf niedrigem Niveau, gegenseitig ergänzten ohne Anspruch auf vollständige Realisierung. Die verstärkte Ausprägung der heterogenen Elemente der beiden Duelltypen dagegen mußte die Geschlossenheit des eh fragilen Konstruktes, als das der Maysche Zweikampf sich in allen Fällen mit mehr oder weniger großer Deutlichkeit erwies, letztendlich zerstören.

   Um Stellenwert und Bedeutung dieses letzten Zweikampfs - dieses »großen, letzten Kampfe(s)«, wie es einer der Häuptlinge ausdrückt248 - zu erfassen, empfiehlt es sich, an die ›Schatz im Silbersee‹-Episode anzuknüpfen als diejenige, in der May bis dahin am schärfsten die grundsätzliche Fragwürdigkeit dieser Kampfform artikuliert hatte. Die noch größere Radikalität von ›Winnetou IV‹ liegt darin, daß die Kritik jetzt nicht mehr im Rahmen des Zweikampfs verbleibt, sondern über ihn hinausgeht. Die Übervorteilung der einen Seite, in diesem Fall Old Shatterhands, hat hier eine solch unglaubliche Zuspitzung erfahren - dem Reglement zufolge vier mal ein Schuß auf Old Shatterhands Herz aus kürzester Distanz mit jeweiligem Vorrecht des ersten Schusses für die gegnerische Seite -, daß nicht einmal mehr der Schein einer Chancengleichheit aufrechtzuerhalten ist. Waren im ›Schatz im Silbersee‹ immerhin noch - wenngleich sehr geringe - Chancen für die Benachteiligten gegeben, so sind sie jetzt gleich Null. Die List, mit der die vier Häuptlinge sich den Vorteil eines todsicheren Reglements zur Liquidierung ihres größten Feindes verschafft haben, ist ein wesentlicher Schritt zur Destruktion des Zweikampfs. Darauf einzugehen - und Old Shatterhand tut es zum Entsetzen seiner Frau bedenkenlos249 - heißt, sich vor ein Erschießungskommando stellen.250 Hier bleibt kein Raum mehr für eine Gegenlist, die die verletzte Balance, das empfindliche Spiel des Ausgleichs der Vor- und Nachteile, wiederherstellen könnte. Will Old Shatterhand, nachdem er die skrupellosen Bedingungen seiner Feinde ohne Wenn


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und Aber angenommen hat, lebend aus der Affäre herauskommen, so muß er einen Schritt unternehmen, der deren Vorgehen an Konsequenz und Radikalität noch übertrifft und der die von den Vieren faktisch ad absurdum geführte Zweikampfform als das entlarvt, was sie nunmehr ist: eine Farce. Das Mittel hierzu sind die Medizinen seiner Gegner,251 in deren Besitz sich Old Shatterhand im ›Haus des Todes‹ gebracht hat und die nun zum Einsatz kommen. Ist der List der Gegner, wie gezeigt, im Rahmen des Zweikampfs keine Gegenlist mehr gewachsen, so liegt die Rettung allein darin, sie von außen in ihn hereinzuholen. So paradox es klingt: Die Gegenlist ist der List vorausgeeilt und hat mit ihr den Platz getauscht. Mit dem Diebstahl der Medizinen hat sie sich bereits als ›erste‹ List, längst vor dem Zweikampf, etabliert. Statt abzuwarten, betätigt sie sich vorausschauend, indem sie nicht nur die feindlichen Anschläge mit einplant, sondern auch deren Scheitern organisiert. Statt entscheidend zu sein, ist der Zweikampf längst entschieden. Old Shatterhand hat Vorsehung gespielt; um welchen Preis, wird sich zeigen.

   So wie die vier Häuptlinge durch ihre wahnwitzig überzogene Vorteilsnahme den Zweikampf von innen aushöhlen, so vollendet Old Shatterhand dessen Ende von außen, indem er mit den Medizinen eine völlig neue, mit seinem alten Wesen nicht vereinbare Qualität in ihn einführt. Aus der Gegenüberstellung zweier auf physische Vernichtung des Gegners bedachter Zweikämpfer ist durch Zwischenschaltung der Old Shatterhand vor das Herz gebundenen Medizinen eine Konfrontation des indianischen Kämpfers mit sich selbst geworden. Der Zweikampf wird somit nach innen verlagert, zu einem Kampf, den die Häuptlinge mit sich selbst austragen müssen, wenn es um die Entscheidung geht, ob sie den Tod ihres Feindes mit der Zerstörung ihrer Medizinen erkaufen wollen. Die Einseitigkeit des Vorgangs allerdings dämpft die Hoffnung auf eine grundsätzliche Revision des alten blutigen Zweikampfmodells. Lediglich die vier Häuptlinge sind in ihrem Handeln psychisch blockiert, während Old Shatterhand alle Freiheiten, auch die des tödlichen Schusses, behält und mit dieser Option seine hilflosen Gegner in die Flucht treiben kann. Mays Indianerbild zeigt hier seine ideologische Beschränktheit: Die Vorherrschaft des Bleichgesichts bleibt bis zuletzt, auch in ›Winnetou IV‹, ungebrochen. Die sich hierin dokumentierende Überlegenheit des ›aufgeklärten‹ Europäers bzw. seines amerikanischen Abkömmlings, der sich längst aus den animistischen Verstrickungen der Naturvölker gelöst, dem ›Aberglauben‹ an die Wirksamkeit persönlicher Medizinen abgesagt und sich so der Erpreßbarkeit durch gegenständlichen Zauber entzogen hat, macht diese Zweikampfsituation als Modell einer alternativen unblutigen Konfliktlösung suspekt. Nur dann, wenn Old Shatterhands ›Einsatz‹ dem seiner Feinde entspräche, er gleichermaßen existentiell betroffen und verletzlich wäre, wie es die vier Häuptlinge durch die ihnen vorgehaltenen Medizinen sind, könnte die Parität der Voraussetzungen eine verläßliche Tötungshemmung bewirken, die


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b e i d e  Kontrahenten ›vom Kampfplatz an den Verhandlungstisch‹ zwingt und nicht lediglich Resultat eines einseitigen Diktats wäre.

   Im ›Haus des Todes‹ hatte sich Old Shatterhand über die Einwände des Jungen Adlers, der nachdrücklich auf die Unverletzlichkeit der Medizinen hinwies, großzügig hinweggesetzt. Nicht nur habe er nicht vor, sie zu verletzen, sondern: »Sie sind eine Macht in meiner Hand, und zwar eine große, segensreiche Macht.«252 Die Entwendung der Medizinen, Sinnbild der ihrer Identität beraubten indianischen Rasse, verweist auf eine fünfhundertjährige Geschichte, die nicht nur durch die systematische Enteignung der Eingeborenen von Grund und Boden so schnell und mit so durchschlagender Wirkung zur Erfolgsgeschichte des weißen Mannes werden konnte, sondern kaum weniger durch die Zerstörung ihres kulturellen und persönlichen Selbstverständnisses. Die Medizinbeutel nun ihren Besitzern großmütig und mit den besten Zukunftswünschen zurückzugeben, wie Old Shatterhand dies, vermittelt über den Jungen Adler, am Schluß des Romans tut und mit der Bitte um Verzeihung253 verbindet, mag als noble Geste beeindrucken und ist, im symbolischen Ausdruck, sicher mehr, als die Vereinigten Staaten von Amerika ihren indianischen ›Mitbürgern‹ jemals konzediert haben.254 Die abermalige Demütigung jedoch, die darin liegt, das ursprüngliche Eigentum wie ein Lehen aus der Hand eines Dienstherrn in Empfang zu nehmen, vermag dadurch nicht verdeckt zu werden. May bleibt befangen in einem Euro- bzw. Amerikazentrismus, der sich eine Höherentwicklung der indianischen Rasse nur unter der Leitung des weißen Mannes, nicht aber aus der Besinnung auf originär indianische Kräfte und Traditionen vorstellen kann.255

   Betrachtet man die Wegnahme der Medizinbeutel als das, was sie faktisch ist, nämlich eine widerrechtliche Aneignung fremden Eigentums, im Klartext ein Diebstahl bzw. in Anbetracht der religiösen Bedeutsamkeit der Gegenstände ein Sakrileg, so erscheint Old Shatterhands Triumph in seinem letzten Zweikampf auch in diesem Lichte als sehr problematisch. Was ist von einem Sieg zu halten, der seinen Erfolg einem vorausgegangenen Diebstahl und einer anschließenden Erpressung verdankt? »List ist kein Betrug«, hatte der Große Wolf im ›Schatz im Silbersee‹ festgestellt256 und damit ausdrücklich sanktioniert, was alle Zweikämpfe Mays mehr oder weniger deutlich kennzeichnete, nämlich daß persönliche Vorteilsnahme mit dem Gleichheitsprinzip kompatibel sei. Mit der Idee des Zweikampfs wirklich vereinbar ist dieser Grundsatz aber nur dann, wenn seine beidseitige Befolgung zumindest möglich ist. Das aber ist, wie gezeigt, in ›Winnetou IV‹ im Rahmen des Zweikampfs nicht der Fall. ›List ist doch Betrug!‹ Diese Botschaft dringt aus der tieferen Bedeutungsschicht des ›letzten Zweikampfs‹ hervor257 und markiert den Schlußpunkt der lebenslangen Beschäftigung Mays mit dem Duell: ein schlichtes, vielleicht befremdliches, vielleicht auch ärgerliches Resultat, das aber das Duellwesen, ganz seiner immanenten Logik folgend, in ungewöhnlich hellsichtiger und unbestechlicher Weise auf


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den Begriff bringt. Im Vergleich mit seinen literarischen Zeitgenossen, die sich dem Problem, sofern sie es denn überhaupt als ein solches empfinden und in ihren Werken berücksichtigen, für gewöhnlich von außen nähern, indem sie das Anachronistische des Duells als eines feudalen Relikts anprangern und ihm als blutrünstigem Ritual einer überlebten Klasse den zivilisatorischen Fortschritt bürgerlicher Gesinnung und Empfindung gegenüberstellen,258 ist May insofern der konsequentere ›Analytiker‹ des Zweikampfs, als er das oberste Postulat der bürgerlichen Rechtsauffassung, die Gleichheit, in ihn hineinträgt und auf den Prüfstand stellt. Nicht so sehr das Trennende, das Gemeinsame interessiert May, und so kann er, wie im archaischen Duell das neuzeitliche Ideal der Gleichheit, umgekehrt in den geordneten bürgerlichen Rechtsverhältnissen den Fortbestand von Vorteilsnahme und Ungleichheit bloßlegen. Mays eigentümliche Adaption des Duells erweist sich somit  a u c h  als Spiegelbild der bürgerlichen Gesellschaft. Daß sein abschließendes Urteil über das Duell negativ ausfällt, ist daher nicht nur dessen Unzulänglichkeiten anzulasten, sondern auch der Fragwürdigkeit des Maßstabes: Gleichheit selbst ist problematisch, ja Fiktion, das Streben nach Gerechtigkeit darf bei ihr als ultima ratio nicht stehenbleiben. Hieraus wird verständlich, wieso May auch nach der Einsicht in die Untauglichkeit des Zweikampfs als eines Gerechtigkeitsmodells seine diesbezüglichen Hoffnungen nicht auf die politische Verwirklichung der Gleichheitsideale im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft richtet, mit deren Rechtssprechung er in jungen Jahren außerdem schlechte Erfahrungen gemacht hatte,259 sondern in die Idee einer besseren, von Liebe und Brüderlichkeit geprägten Menschheit - eine Idee, zu deren literarischer Realisierung ihm nicht die eigene gesellschaftliche Wirklichkeit die Anregung und die Vorbilder lieferte, sondern die Welt des Orients in ihren vielfältigen religiös motivierten Entwürfen des Glaubens an eine ›höhere‹ Gerechtigkeit in Gott.



Für wertvolle Hinweise danke ich den Herren Dr. Eckehard Koch, Essen, und Peter Krauskopf, Bochum; Herrn Krauskopf außerdem für die kritische Durchsicht des Entwurfs und zahlreiche Verbesserungsvorschläge; meiner Frau Margit für tatkräftige Unterstützung am Computer.



1 In den Zwischenüberschriften dieser Arbeit beziehen sich die Jahresangaben aus Gründen der chronologischen Dokumentation immer auf das Jahr der Erstveröffentlichung des betreffenden Textes.

2 Beispiele hierfür sind u. a.: Ekkehard Koch: Winnetou Band IV. Versuch einer Deutung und Wertung, 2. Teil. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 1971. Hamburg 1971, S. 276f.; Helmut Schmiedt: Helmers Home und zurück. Das Spiel mit Räumen in Karl Mays Erzählung ›Der Geist des Llano estakado‹. In: Jb-KMG 1982. Husum 1982, S. 65; Wolfgang Hammer: ›Der Schatz im Silbersee‹ - Eine Strukturanalyse. In: Jb-KMG 1997. Husum 1997, S. 317; Klaus


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Lüderssen: Landschaften mit Moral. ›Der Schatz im Silbersee‹ - eine erste Welt. In: Ebd., S. 399ff.

3 Vgl. Gunter G. Sehm: Der Erwählte. Die Erzählstrukturen in Karl Mays ›Winnetou‹-Trilogie. In: Jb-KMG 1976. Hamburg 1976, S. 21.

4 Andreas Graf: »Habe gedacht, Alles Schwindel«. Balduin Möllhausen und Karl May - Beispiele literarischer Adaption und Variation. In: Jb-KMG 1991. Husum 1991, S. 353f.

5 Gerhard Neumann: Das erschriebene Ich. Erwägungen zum Helden im Roman Karl Mays. In: Jb-KMG 1987. Husum 1987, S. 76

6 Ebd., S. 85

7 Helmut Schmiedt: »Einer der besten deutschen Erzähler ...«? Karl Mays ›Winnetou‹-Roman unter dem Aspekt der Form. In: Jb-KMG 1986. Husum 1986, S. 38

8 Reinhard Tschapke: Überlegungen zum Verhältnis von Herr und Knecht in Karl Mays Abenteuerromanen. In: Jb-KMG 1988. Husum 1988, S. 285f.

9 Ebd., S. 286 (das Binnenzitat nach Bernd Steinbrink)

10 Vgl. ebd., S. 286f.

11 Vgl. ebd., S. 288.

12 So können, logischerweise, nur Gefangene einen Befreiungszweikampf austragen, für die andere Seite ist es dagegen im allgemeinen eine Frage der Ehre (Ehrenzweikampf) oder der Rache (Rachezweikampf), die Befreiung zu verhindern.

13 Es mag dies auch etwas mit Mays Eitelkeit zu tun haben, der sein Licht - und meist ist es ja der strahlende Sieger Old Shatterhand, der leuchtet - keinesfalls unter den Scheffel stellen, sondern eben vor den Menschen leuchten lassen möchte.

14 Zum ›theatralischen Charakter‹ Mayscher Darstellung vgl. z. B. die Untersuchung von Joachim Biermann und Ingmar Winter: Die Roman-Welt als Bühne. Szenen, Szenerien und Szenisches bei Karl May. In: Jb-KMG 1991. Husum 1991, S. 213-249.

15 Auf eine durchgängige Unterscheidung zwischen ›Duell‹ und ›Zweikampf‹, die an sich zwecks Differenzierung wünschenswert wäre, wird im folgenden verzichtet. Semantisch besteht kein Unterschied, die bedeutungsidentische Verwendung hilft Wiederholungen zu reduzieren. Auch May macht hier, soweit ich sehe, keinen Unterschied. Mit ›Duell‹ verbindet sich allerdings eher die Vorstellung der ›klassischen‹ oder ›europäischen‹ Form des ›Zweikampfs‹.

16 Vgl. hierzu: Achatz von Müller: Schauspiele der Gewalt. Vom Zweikampf zum Duell. In: Das Duell. Der tödliche Kampf um die Ehre. Hrsg. von Uwe Schultz. Frankfurt a. M./Leipzig 1996, S. 31: »Norbert Elias hat in seinen ›Studien über die Deutschen‹ darauf hingewiesen, daß die ›satisfaktionsfähige Gesellschaft‹ in Deutschland vor allem über den Weg corps-studentischer Paukböden und Mensuren aus der europäischen Zähmungsgeschichte von Gewalt, die der Soziogenese des Duells unverbrüchlich aufgegeben war, heraustrat und einen Weg beschritt, den Elias als  r e g r e s s i v  bezeichnet, da er zur Steigerung des gesellschaftlichen Gewaltpotentials führte.«

17 Zum Beispiel Calderón, Corneille, Cervantes, Molière; eine sehr informative Übersicht über das Duell in der Literatur liefert der Artikel ›Duell‹ in: Elisabeth Frenzel: Motive der Weltliteratur, Stuttgart 51999, S. 113-127.

18 Zum Beispiel Puschkin, Tolstoi, Dostojewski, Lermontow; Kleist, Hebbel, Fontane; Schnitzler, Roth

19 1. Samuel, 17. In: Die Bibel. Nach der Übersetzung Martin Luthers. Stuttgart 1985, S. 303-304, Vers 1-58

20 Klara May: Die Lieblingsschriftsteller Karl Mays. Mit Anmerkungen von Hans Wollschläger. In Jb-KMG 1970. Hamburg 1970, S. 151

21 Zum Beispiel in: Karl May: Der Schatz im Silbersee. In: Der Gute Kamerad. 5. Jg.


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(1890/91), S. 519; Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 1987, und: Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. VII: Winnetou, der Rote Gentleman I. Freiburg 1893, S. 280; Reprint Bamberg 1982

22 1. Samuel, 17, wie Anm. 19, Vers 9

23 Ebd., Vers 45

24 Ebd., Vers 44

25 Ebd., Vers 46

26 Ebd., Vers 3

27 Ebd., Vers 49-51

28 Ebd., Vers 4: »Da trat aus den Reihen der Philister ein Riese heraus mit Namen Goliat aus Gat, sechs Ellen und eine Handbreit groß.« Für unser Thema interessant ist auch die wörtliche Übersetzung von ›Riese‹, so wie sie in der Übersetzung (wie Anm. 19) dem Verse beigefügt ist: ›Vorkämpfer zwischen den Fronten‹.

29 Zur Bedeutung der List für die Emanzipation des Menschen im Zuge der historischen Entfaltung von Rationalität vgl. Max Horkheimer und Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Frankfurt 1971, z. B. S. 46-54.

30 Vgl. z. B. Claus Roxin: Karl May, das Strafrecht und die Literatur. In: Jb-KMG 1978. Hamburg 1978, S. 9-36; ferner Gert Ueding: Der Traum des Gefangenen. Geschichte und Geschichten im Werk Karl Mays. In: Ebd., S. 60-86.

31 Vgl. Karl May: Meine Beichte. In: Rudolf Lebius: Die Zeugen Karl May und Klara May. Ein Beitrag zur Kriminalgeschichte unserer Zeit: Berlin 1910, S. 4; Reprint Lütjenburg 1991: Dieses Entsetzen hat mich nicht wieder verlassen; es gab mich nicht wieder frei. Es krallte sich in mir fest und fraß mich innerlich mitten auseinander. Der Gedanke an die mir widerfahrene Schande und an das Herzeleid meiner armen Eltern und Geschwister bohrte sich so tief und so vernichtend in meine Seele ein, daß sie schwer und gefährlich erkrankte. Es entwickelte sich eine jähe seelische (nicht etwa geistige) Depression, in deren Tiefe wahnsinnige Erwägungen entstanden. ... Ich sann auf Rache, und zwar auf eine fürchterliche Rache, auf etwas noch niemals Dagewesenes. Diese Rache sollte darin bestehen, daß ich, der durch die Bestrafung unter die Verbrecher Geworfene, nun wirklich auch Verbrechen beging.

32 Claus Roxin betont den »bagatellarischen« Charakter von Mays Verfehlungen und weist auf die Möglichkeiten auch der »damaligen Rechtslage« hin, z. B. »den Vorfall mit den Kerzen seminarintern durch einen Verweis zu regeln«, statt zum Mittel der Relegation zu greifen. (Roxin: Strafrecht, wie Anm. 30, S. 17f.)

33 Ich erinnere daran, daß ich von einem Dresdener Staatsanwalt sogar aus nur rein »wissenschaftlichen« Gründen an diesen Pranger genagelt worden bin, bei lebendigem Leibe! Er konnte nicht einmal meinen Tod abwarten und behauptete, durch einen Gesetzesparagraphen zu dieser Vivisektion berechtigt worden zu sein. Da schaut man denen, die von Humanität sprechen, ganz unwillkürlich in das Gesicht, ob sich da nicht etwa ein sardonisches Lächeln zeigt, welches verrät, wie es eigentlich steht. Und da fühlt man mit den Hunderttausenden, die hierunter leiden, das brennende Bedürfnis, einmal alle die Paragraphen, an denen der gute Wille der Menschheit scheitert, an das Tageslicht zu ziehen und dahin zu stellen, wo sie stehen müssen, um durchschaut zu werden - - - vor die Oeffentlichkeit, vor den Reichstag! (Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg o. J. (1910), S. 308f.; Reprint Hildesheim/New York 21982. Hrsg. von Hainer Plaul)

34 Hans Wollschläger: Karl May. Grundriß eines gebrochenen Lebens. Zürich 21977, S. 37f.

35 May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 33, S. 312

36 Das belegen zahlreiche briefliche Äußerungen Mays, z. B. im Schreiben an Willy Einsle vom 23. 3. 1905 (Karl und Klara May: Briefwechsel mit Adele und Willy Einsle. In: Jb-KMG 1991. Husum 1991, S. 30f.)

37 Bei aller psychischen Labilität Mays und allem, was in seinen Werken als Anbie-


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derung an den wilhelminischen Obrigkeitsstaat lesbar ist, unterscheidet er sich hier wohltuend vom Typ eines Diederich Heßling aus Heinrich Manns satirischem Roman ›Der Untertan‹. Eine ›autoritäre Persönlichkeit‹, die ›nach oben buckelt und nach unten tritt‹, war May sicherlich nicht.

38 Jedenfalls in seinen späteren Schriftstellerjahren hatte May Kontakte zu Angehörigen aus großbürgerlichen und Adelskreisen.

39 Zum Beispiel Mamroth, Kahl, Pöllmann, Gerlach, Cardauns, Fischer, Lebius. Vgl. hierzu etwa die Dokumentation von Gerhard Klußmeier: Die Gerichtsakten zu Prozessen Karl Mays im Staatsarchiv Dresden. Mit einer juristischen Nachbemerkung von Claus Roxin. In: Jb-KMG 1980. Hamburg 1980, S. 137-174 (1. Teil) und Jb-KMG 1981. Hamburg 1981, S. 262-299 (2. Teil). Interessant in diesem Zusammenhang sind auch Äußerungen Mays, die Assoziationen an eine Duellsituation hervorrufen, z. B.: ... und weil eine Menge mir auferzwungener Prozesse wie drohende Revolver auf mich gerichtet sind. (May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 33, S. 299)

40 Zur Charakterisierung des Mayschen Spätstils vgl. Wollschläger: Karl May, wie Anm. 34, S. 117.

41 Vgl. unten den Abschnitt ›Das Ende des Zweikampfs‹.

42 »Du bist Old Shatterhand?« ... »Ich war es,« antwortete ich ruhig, aber bestimmt. ... »Du bist Kara Ben Nemsi Effendi?« »Ich war es,« erwiderte ich abermals. (Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXIX: Im Reiche des silbernen Löwen IV. Freiburg 1903, S. 67; Reprint Bamberg 1984)

43 Karl May: Winnetou IV. Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXXIII, Freiburg 1910, S. 528f.; Reprint Bamberg 1984: »Ich werde diesem Pida sehr männlich gestehen, daß ich Duellgegner bin. Und ich werde dann ebenso männlich hinzufügen, daß ich trotzdem sehr gerne bereit bin, mich mit den vier Häuptlingen zu schießen.« (Erstdruck der Erzählung: Karl May: Winnetou Band IV. In: Lueginsland. Beilage zur ›Augsburger Postzeitung‹ (1909/1910); Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 21998)

44 In den zahlreichen Zweikämpfen, die May seinen Protagonisten Old Shatterhand bzw. Kara Ben Nemsi bestreiten läßt, tötet dieser nur einen seiner Gegner (Blitzmesser). Natürlich wird die Notwendigkeit dieses Handelns ausführlich begründet. Vgl. unten den Abschnitt ›Die Zweikämpfe des Greenhorns‹.

45 Vgl. Dietmar Kügler: Das Duell - Zweikampf um die Ehre. Stuttgart 1986, S. 105. Was die Verläßlichkeit duellkritischer Äußerungen des Erzähler-Ichs und die Berechtigung, hieraus Rückschlüsse auf den Standpunkt des Autors zu ziehen, betrifft, so steht die literaturwissenschaftliche Hermeneutik einer derartigen Gleichsetzung - wohl mit Recht - sehr reserviert gegenüber. Umgekehrt dürfte die enge Verknüpfung zwischen Realität und Fiktionalität bei May die Glaubwürdigkeit authentischer Zeugnisse relativieren. Der Stellenwert entsprechender Äußerungen aus dem Munde Old Shatterhands oder Kara Ben Nemsis wäre im Bewußtsein dieser Problematik zu bestimmen. Ein weiteres Beispiel - vgl. auch Anm. 42 - hierfür: Meine Ansicht über das Duell, welches ich allerdings verwerfe, war hier gleichgültig. (Karl May: Durch das Land der Skipetaren. Reise-Erinnerungen aus dem Türkenreich. In: Deutscher Hausschatz. XIV. Jg. (1887/88), S. 746; Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg/Regensburg 1978)

46 Siehe neuerdings Siegfried Augustin: Zwischen Wüste und Prärie. Das Gesamtwerk im Überblick. In: Karl May: Leben, Werk, Wirkung. Hrsg. von Siegfried Augustin/Heinrich Pleticha. München 1996 (zit. nach der Ausgabe Augsburg 1999, S. 111ff.). Wohl zum ersten Mal erscheint die Einteilung in vier Schaffensperioden bei Arno Schmidt: Vom neuen Großmystiker (Karl May). [Funkessay, am 25. Mai 1956 gesendet.] In: Ders.: Bargfelder Ausgabe. Werkgruppe II: Dialoge. Bd. 1. Bargfeld/Zürich 1989, S. 207-233 (214): »v i e r  Perioden literarischer


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Tätigkeit« (freundlicher Hinweis von Gabriele Wolff).

47 Die folgende Beispielsammlung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. In Anbetracht des Umfangs von Mays Werk, der Kürze, teilweise ›Flüchtigkeit‹ der Szenen und der in dieser Schaffensphase großen Offenheit der Zweikampfform dürfte Vollständigkeit hier auch nur sehr schwer zu erreichen sein. Ähnliches gilt für die weiter unten angeführten Beispiele aus dem Spätwerk. Was die großen amerikanischen Zweikämpfe betrifft (vgl. das letzte Kapitel), glaube ich dagegen, alle wichtigen erfaßt zu haben.

48 Karl May: Unter Würgern. In: Deutscher Hausschatz. V. Jg. (1878/79), S. 653f.; Reprint in: Karl May: Kleinere Hausschatz-Erzählungen. Hrsg. von Herbert Meier. Hamburg/Regensburg 1982 (spätere Fassung: Die Gum. In: Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. X: Orangen und Datteln. Freiburg 1894, S. 84ff.; Reprint Bamberg 1982)

49 Karl May: »Giölgeda padiœhanün«. Reise-Erinnerungen aus dem Türkenreiche. In: Deutscher Hausschatz. VII. Jg. (1880/81), S. 410f., 465f.; Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg/Regensburg 1977

50 Ebd., S. 679

51 Karl May: Der Krumir. In: Belletristische Correspondenz. Jg. 1882, S. 62ff.; Reprint in: Karl May: Der Krumir. Seltene Originaltexte Bd. 1. Hrsg. von Herbert Meier. Hamburg/Gelsenkirchen 1985 (spätere Fasssung in May: Orangen und Datteln, wie Anm. 48, S. 312ff.)

52 Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. II Bd. 9: Die Liebe des Ulanen I. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Bargfeld 1994, S. 84ff.

53 Karl May: Deutsche Herzen, deutsche Helden. Dresden 1885-87, S. 568ff.; Reprint Bamberg 1976 - Sicherlich wird man den hier erstmals erwähnten ›Erwerbszweikampf‹ (der in ›Am Jenseits‹ wiedererscheint; vgl. Anm. 59) als eigenständige Zweikampfkategorie ansehen können. Daß er nicht ausdrücklich unter dem Punkt ›Zweckbestimmung‹ aufgeführt ist, hat seinen Grund darin, daß er in den amerikanischen Zweikämpfen, dem Hauptuntersuchungsaspekt dieser Arbeit, keine Rolle spielt. Was den Gegenstand dieses Zweikampftyps betrifft, so ist zu beachten, daß es hier ausdrücklich oder zumindest vorrangig um die Inbesitznahme von Personen oder Sachen geht, nicht etwa nur um ›Beutegüter‹, die dem Sieger nach dem Kampf gewissermaßen nebenbei zufallen.

54 May: Durch das Land der Skipetaren, wie in Anm. 45, S. 423ff.

55 Ebd., S. 531ff.

56 Ebd., S. 746ff.

57 Da diese Zweikampferzählungen in dem letzten Kapitel ausführlich behandelt werden, braucht an dieser Stelle nicht auf sie eingegangen zu werden.

58 Karl May: Der Mahdi. Zweiter Band. Im Sudan. In: Deutscher Hausschatz. XIX. Jg. (1893), S. 122ff.; Reprint der Karl-May-Gesellschaft Hamburg/Regensburg 1979

59 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXV: Am Jenseits. Freiburg 1899, S. 382ff.; Reprint Bamberg 1984

60 Es sei dahingestellt, ob die Mängel dieser Zweikampfdarstellung - Einfallslosigkeit bei der Wahl der Waffen und der Durchführung des Kampfes, vorzeitiger Abbruch mit Verzicht auf den letzten Durchgang - als Indiz dafür verstanden werden können, daß Mays einziger Versuch, eine großangelegte Zweikampfepisode in eine Orienthandlung einzufügen, gescheitert ist. Zu berücksichtigen ist auch, daß dieser Zweikampf (von 1899!) der letzte im Rahmen der ›realistischen‹ Konzeption ist und mit seinen ›Defiziten‹ möglicherweise schon auf die ›Götterdämmerung‹ des Zweikampfs in ›Winnetou IV‹ verweist.

61 Siehe den Abschnitt ›Das Ende des Zweikampfs‹.


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May: Im Reiche des silbernen Löwen IV, wie Anm. 42, S. 538ff. und S. 589ff.

63 Karl May: Schamah. In: Efeuranken. XVIII. Jg. (1907/08), insbes. S. 104ff.; Reprint in: May: Der Krumir, wie Anm. 51

64 Die Hinweise auf die Zweikampfszenen in den Werken ›Giölgeda padiœhanün‹ und ›Durch das Land der Skipetaren‹ sowie ›Im Reiche des silbernen Löwen‹ und ›Schamah‹ verdanke ich Peter Krauskopf, Bochum, an dessen Wortlaut (in einem Brief an mich vom 20. 5. 2000) ich mich hier auch weitgehend halte.

65 Vgl. Wollschläger: Karl May, wie Anm. 34, S. 70f.: » (...) daß er zum erstenmal wohl ganz eine Mission als Schriftsteller spürt: mit Fleiß und Energie widmet er sich den Beiträgen, die ausgesprochen ›Schriften für die Jugend‹ sein sollen: belehrend, ohne trocken zu sein; spannend, ohne allzu sehr ans Oberflache kunterbunten Zeitvertreibs sich zu halten; ›jugendfrei‹ auch, in jedem Sinne; kurz das, was ihm nach bestem Wissen erzieherisch scheint (...).«

66 Es sollte klar sein, daß ›akademisch‹ hier nicht den häufig bei May durchaus spürbaren Gestus des Oberlehrerhaften meint, der ihm von seinen jugendlichen Lesern wohl meist verziehen wurde, weil ihnen das ›Lernen‹ aus seinen Büchern immer noch mehr Spaß machte als aus langweiligen Schulbüchern, sondern die viel weiter reichende überhebliche Wertsetzung und Bestimmung dessen, was für Jugendliche ›gute‹ bzw. ›schlechte‹ Literatur ist, bis hin zur Anordnung von Leseverboten.

67 Vgl. das Kapitel ›Die großen amerikanischen Zweikämpfe‹ mit den Abschnitten ›Die Zweikämpfe des Greenhorns‹, ›Vater und Sohn‹ und ›Zwischen Liebe und Haß‹. - ›Satan und Ischariot‹, im Zeitschriften-Erstdruck aus zwei Erzählungen bestehend, ist erst in der Buchausgabe eine Trilogie.

68 Als einziger der drei ›Winnetou‹-Bände ist der erste insgesamt eine wirkliche Neuproduktion, die sich gerade durch die Einheit der Handlung wohltuend von dem ›Flickenteppich‹ der beiden anderen Bände unterscheidet, mit denen sie kaum mehr als die Santer-Handlung verbindet.

69 So im Zweikampf Kara Ben Nemsi-Abu Seif-Halef und Miridit-Kara Ben Nemsi-Israd.

70 Vgl. Siegfried Augustin: Nachwort zu ›Old Surehand III‹. In: Karl Mays Illustrierte Werke: Old Surehand III. Stuttgart 1995, S. 423: »Von vielen Kennern wird die ›Old Surehand‹-Trilogie als das menschlich aufschlußreichste Werk Karl Mays angesehen. Tatsächlich unterscheidet es sich von den früheren Werken durch eine weitaus größere ethisch-religiöse Tiefe. Bei aller Spannung und Buntheit der Handlung findet May immer wieder Zeit zu längeren Betrachtungen über grundsätzliche, ihn persönlich berührende Probleme. Vor allem der nach Mays Schaffenskrise 1894/95 verfaßte dritte Band zeigt bereits erste Merkmale des an Reflexionen reichen Spätwerks, ohne indes an Spannung einzubüßen.«

71 So verständlich sein Bestreben, die Geschlossenheit seines Lebenswerks, sei es nun aus privaten oder geschäftlichen Rücksichten, zu betonen, so offensichtlich ist und bleibt die thematische und qualitative Differenz zwischen dem Spätwerk und dem von May etwas despektierlich so genannten ›Vorarbeiten‹ der früheren Produktionsphasen, ein Faktum, das von der May-Forschung entsprechend ernstgenommen wird.

72 Ein Werk, dessen Entstehung wohl nur begreiflich ist als ›Summe‹ der Amerikareise von 1908.

73 Die Vielzahl der Gerichtsszenen in Mays Orientromanen bestätigt dies. So in: ›Durch die Wüste‹, ›Im Reiche des silbernen Löwen II‹, ›Durch das Land der Skipetaren‹, ›Im Lande des Mahdi II‹. Vgl. Michael Niehaus: Verfahrensmängel. Die Gerichtsverhandlung in Karl Mays Reiseerzählungen. In: Jb-KMG 1999. Husum 1999, S. 166-190. Da Niehaus nicht zwischen amtlicher Gerichtsbarkeit (im Orient) und Savannengerichten (im Wilden Westen) unterscheidet, tritt die hier ge-


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troffene Unterscheidung zwischen den Rechtsverhältnissen in den beiden Bereichen natürlich nicht in Erscheinung. Der Fall etwa, daß ein orientalisches Gericht einen offiziellen Urteilsspruch auf Zweikampf fällt, ist undenkbar; nicht so bei einem Savannengericht des Wilden Westens. Vgl. unten den Abschnitt ›Zwischen Liebe und Haß‹.

74 Vgl. Peter Uwe Hohendahl: Von der Rothaut zum Edelmenschen. Karl Mays Amerikaromane. In: Karl Mays ›Winnetou‹. Hrsg. von Dieter Sudhoff/Hartmut Vollmer. Frankfurt a. M. 1989, S. 217: »Mays Wilder Westen zeichnet sich vor allem dadurch aus, grundlegend anders zu sein als die zivilisierte Welt. Im Wilden Westen fehlt die gesellschaftliche Ordnung (wie bereits Cooper in ›The Prairie‹ hervorhob), es gibt keine anderen verbindlichen Normen des Zusammenlebens als die Sitten der wilden Stämme und die kruden Ordnungsbegriffe der Waldläufer und Squatter. Es ist eine Welt, in der jeder für sich selbst einstehen und sorgen muß. Der Schwache wird durch den Starken bezwungen und dieser wiederum durch den Stärkeren.«

75 Fast alle amerikanischen Zweikämpfe Mays finden zwischen Weißen und Indianern bzw. zwischen Indianern statt.

76 Daß dieser Glaube allerdings auch schwach werden konnte, belegt die zeitweilig in den Vereinigten Staaten stark grassierende Praxis der ›Lynchjustiz‹, eine im Vergleich mit dem privatistischen Charakter des Duells gewissermaßen demokratisierte Form der Selbstjustiz.

77 Die weitestgehende Annäherung findet sich im Zweikampf zwischen Bloody-fox und einem ›Bravo‹ in ›Der Geist der Llano estakata‹. Vgl. hierzu unten den Abschnitt ›Zweikampf im Zwielicht‹.

78 »Die ritualisierte Form des ›shoot-outs‹ konnte May noch gar nicht kennen. da sie eine Erfindung Hollywoods ist. In der Literatur kommt sie meines Wissens erstmalig in dem Roman ›The Virginean‹ von Owen Wister aus dem Jahre 1902 vor, der 1929 mit Gary Cooper verfilmt wurde. Vielleicht war das legendäre Messerduell zwischen Buffalo Bill und dem Sioux-Häuptling Gelbe Hand ein Vorbild für May. Überhaupt ist Karl May von den gängigen Western-Klischees ziemlich unbeleckt, weil sie gleichzeitig oder später als sein Werk entstanden.« (Peter Krauskopf im erwähnten Brief vom 20. 5. 2000)

79 Zu einem Duell dieses Typs kommt es außerdem noch zwischen dem Lieutenant Scharfenberg und seinem Regimentskameraden Hagenau in: Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. II Bd. 17: Der verlorne Sohn IV. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Bargfeld 1995, S. 2098ff.

80 Zum Beispiel in Peter Farb: Die Indianer. Entwicklung und Vernichtung eines Volkes. München 51993, S. 66f.; Mary Crow Dog: Lakota Woman. Die Geschichte einer Sioux-Frau. München 1994, S. 173f.; Walter Hansen: Die Reise des Prinzen Wied zu den Indianern. München/Zürich 1978, S. 85f.; Christian F. Feest: Kulturen der nordamerikanischen Indianer. Köln 2000, S. 213

81 Zum Bild des ›edlen Wilden‹ vgl. z. B. Till Hiddemann: ›Winnetou‹ und ›Der letzte Mohikaner‹. Sonderheft der Karl-May-Gesellschaft Nr. 108/1996. Der Autor zeichnet u. a. die Linie nach, die den Topos vom ›edlen Wilden‹ bei Cooper mit der Rezeption durch May verbindet.

82 Vgl. hierzu die Ausführungen Feests, wie Anm. 80, S. 213.

83 Vgl. den Artikel ›Kriegsgefangene‹ in: Ulrich van der Heyden: Indianerlexikon. Wiesbaden 1996, S. 172.

84 Farb, wie Anm. 80, S. 66f.; ob die hier angeführten Beispiele aus dem Leben der Eskimos auch für die Indianerstämme Zentralnordamerikas, insbesondere die für May bedeutsamen, Gültigkeit besitzen, kann allerdings ebenso wenig als bewiesen gelten wie die Berechtigung der Verallgemeinerung anderer stammestypischer Gebräuche, solange hierüber keine konkreten Nachweise vorliegen. An-


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sonsten wird man sich hier wohl mit mehr oder weniger wahrscheinlichen Schlußfolgerungen begnügen müssen, wie sie z. B. auf der Grundlage der ethnologischen Verwandtschaft oder der Sprachgemeinschaft verschiedener Stämme möglich sind.

85 Farb, wie Anm. 80

86 Ebd.

87 Crow Dog, wie Anm. 80

88 Ebd., S. 173

89 Ebd.

90 Ebd., S. 173f.

91 Ebd., S. 174: »Black Crow meinte zu Crow Dog: ›Cousin, die Blutschuld wird vier Generationen lang auf euch lasten. ( .. ) Du wirst vom Stamm getrennt leben, Cousin, dein Leben wird einsam sein.‹«

92 Auch die ›Wahl‹ der Waffen spricht dagegen.

93 Abbildung und Text zu diesem Kampf finden sich in: Robert J. Moore: Die Indianer. Die verlorene Welt der Ureinwohner Nordamerikas. Erlangen 1997, S. 271.

94 J. F. Cooper: Der Lederstrumpf. 5. Band: Die Prärie. Frankfurt 1983, S. 420ff. Die weitgehenden Übereinstimmungen zwischen diesen beiden Zeugnissen aus dem Leben der Prärieindianer sind um so bemerkenswerter, als es nahezu ausgeschlossen ist, daß sie auf gegenseitiger Kenntnis beruhen: Die Zeichnungen des Bisonlederumhangs dürften erst nach den Aufenthalten der Maler Catlin und Bodmer bei den Mandan zwischen 1832 und 1834 der Öffentlichkeit bekannt geworden sein (vgl. Moore, wie Anm. 93), während Coopers ›Die Prärie‹ schon 1827 erschienen war.

95 Cooper, wie Anm. 94, S. 423

96 Ebd.

97 Moore, wie Anm. 93, S. 271

98 Wie auch immer: In keinem der beiden Fälle steht der Kampf der Häuptlinge stellvertretend für die allgemeinen Feindseligkeiten, sondern ist, lediglich zeitversetzt, Teil derselben.

99 Möglicherweise entspricht Coopers Kommentar an dieser Stelle nicht der indianischen Mentalität, der zufolge ein derartiger Überraschungsangriff durchaus üblich gewesen zu sein scheint. Ähnlich plötzlich erfolgte ja auch die Eröffnung des Kampfes zwischen Spotted Tail und Crow Dog.

100 Meines Wissens gibt es bei May nur ganz wenige Fälle, wo Indianer einen Zweikampf gegeneinander bestreiten. In ›Der Sohn des Bärenjägers‹ mißt sich der Häuptling Winnetou mit einem Upsarocakrieger (vgl. den Abschnitt unten ›Zweikampf gentlemanlike‹); in ›Satan und Ischariot‹ kämpfen ein junger Mimbrenjo und ein Yuma-Krieger gegeneinander (vgl. den Abschnitt ›Vater und Sohn‹). In beiden Fällen stehen sich keine Häuptlinge gegenüber. Das einzige mir bekannte Beispiel eines Zweikampfs zwischen zwei Indianerhäuptlingen bei May findet sich ganz versteckt und unscheinbar in ›Winnetou III‹ und hat nicht einmal den Stellenwert einer Szene, sondern lediglich den einer Randnotiz. Auf die Frage Old Shatterhands, was er in der Zeit, die sie sich nicht sahen, erlebt habe, antwortet Winnetou: »Das Wetter stürzt das Wasser aus den Wolken herab, und die Sonne trägt es wieder empor. So ist es mit dem Leben des Menschen. Die Tage kommen und verschwinden. Was soll Winnetou viel erzählen von den Sonnen, die vorüber sind? Ein Häuptling der Sioux-Dakota beleidigte mich; ich folgte ihm und nahm seinen Skalp; seine Leute verfolgten mich; ich vernichtete meine Fährte, kehrte zu ihren Wigwams zurück und holte mir die Zeichen meines Sieges, welche ich auf das Pferd des Häuptlings lud. Da stehet es!« (Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. IX: Winnetou, der Rote Gentleman III. Freiburg 1893, S. 393; Reprint Bamberg 1982) Der Erzähler fährt fort: Mit diesen wenigen anspruchslosen Wor-


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ten berichtete dieser Mann eine Heldenthat, zu deren Erzählung ein anderer die Zeit von Stunden gebraucht hätte. Aber so war er. Er hatte von den Ufern des Rio Grande im Süden bis weit hinauf zum Milk-River im Norden der Vereinigten Staaten Monate lang einen Feind durch Urwälder und Prairien verfolgt, diesen endlich im männlichen, offenen Kampfe besiegt, sich dann mitten in das Lager der Gegner gewagt und ihnen die köstlichsten Trophäen abgenommen. Das war ein Stück, welches ihm kein anderer nachmachte, und wie bescheiden berichtete er es! (Ebd., S. 393f.) Das war's auch schon. Erzähllogisch ist dieser Kurzmitteilungsstil natürlich bestens mit Winnetous Bescheidenheit, zudem als Kennzeichen des schweigsamen Tatmenschen, begründet. Bemerkenswert ist, daß Klaus Dill im Rahmen seiner ›Winnetou III‹-Bilderreihe diesem Erlebnis Winnetous, das bei May so marginal wie nur etwas erscheint, zwei (!) von seinen zwölf Gemälden widmet. (Klaus Dill: WesternArt. Bergisch Gladbach 1997, S. 79f.) Hat der Maler hier, vielleicht ganz im Sinne vieler May-Leser, ein Desiderat empfunden, dessen Erfüllung May aus welchen Gründen auch immer versagte, nämlich den Wunsch nach dem Kampf zweier Indianerhäuptlinge wie bei Cooper? Wie selbstverständlich hat auch Dill den Zweikampf Winnetous mit dem Sioux-Häuptling als Reiterkampf dargestellt.

101 Karl May: Der Sohn des Bärenjägers. In: Der Gute Kamerad. 1. Jg. (1887); S. 410; Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 1983

102 Ebd.

103 Ebd., S. 425

104 Ebd., S. 411

105 Interessant vor allem im Vergleich mit der Ehrvorstellung des ›klassischen‹ Duellanten, welch ganz andere Bedeutung May hier der Ehre beimißt: Aus einer Kategorie ständischen Dünkels wird hier ein Begriff moralisch-gesellschaftlicher Verantwortung.

106 May: Der Sohn des Bärenjägers, wie Anm. 101, S. 412

107 Ebd., S. 425

108 Ebd., S. 409: Der Anführer der feindlichen Indianer war ... eine wirklich herkulische Gestalt. Er saß wie ein Kriegsgott zu Pferde.

109 Ebd., S. 411

110 Ebd., S. 393

111 Vgl. ebd., S. 411.

112 Ebd.

113 Ebd., S. 410

114 Ein weiteres Mal inkognito im Kontext einer Zweikampfgeschichte erleben wir Old Shatterhand und Winnetou in ›Ein amerikanisches Doppelduell‹. Vgl. den Abschnitt unten ›Entscheidung von oben‹.

115 May: Der Sohn des Bärenjägers, wie Anm. 101, S. 393: »Es gibt keine größere Schande für einen Indsman, als wenn ihm sein Heiligtum gestohlen wird. Er darf sich nicht eher wieder bei den Seinen sehen lassen, als bis er es sich wiedergeholt oder an seiner Stelle ein anderes geraubt und also den Besitzer desselben getötet hat.«

116 Zur Eigenart und besonderen Qualität der Jugendromane Mays - gerade auch in pädagogischer Hinsicht - siehe Heinz Stolte: Ein Literaturpädagoge. Untersuchungen zur didaktischen Struktur in Karl Mays Jugendbuch ›Die Sklavenkaravane‹. 2. Teil. In: Jb-KMG 1974. Hamburg 1973, insbes. S. 188.

117 Anders als in ›Satan und Ischariot‹, wo Old Shatterhand einen jungen Mimbrenjo tatkräftig in dessen Zweikampfambitionen unterstützt. (Vgl. hierzu unten den Abschnitt ›Vater und Sohn‹.) Allerdings liegt hier wohl auch keine Initiationssituation vor, da Martin und Wokadeh trotz ihrer Jugend schon beachtliche ›westmännische‹ Leistungen vollbracht haben (Kämpfe mit Bären und Büffeln).


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118 Abgesehen von ›Ein amerikanisches Doppelduell‹, das sich aber in seinem Austragungsmodus nur bedingt mit diesem Kampf vergleichen läßt. Vgl. hierzu unten den Abschnitt ›Entscheidung von oben‹.

119 May: Der Sohn des Bärenjägers, wie Anm.101, S. 442

120 Ebd., S. 443

121 Karl May: Der Geist der Llano estakata. In: Der Gute Kamerad. 2. Jg. (1888); S. 411; Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 1983

122 Ebd., S. 411f.

123 Ebd., S. 394, 410

124 Ebd., S. 394 - Eine Parallellektüre von 1. Samuel, wie Anm. 19, Kap. 17, Vers 42-43 mit diesen Passagen bei May zeigt frappierende Übereinstimmungen.

125 May: Der Geist der Llano estakata, wie Anm. 121, S. 412

126 Ebd., S. 411

127 Ebd., S. 412

128 Ebd., S. 411: ... die Vorbereitungen wurden sofort getroffen. Sie waren damit alle so beschäftigt, daß es keinem einfiel, auf den frommen Tobias Preisegott Burton besonders acht zu geben. Diesem schien die Szene jetzt ganz gut zu behagen. Er rückte langsam von seinem Platze nach der Ecke der Bank und zog die Füße unter dem Tische hervor, so daß er am passenden Augenblicke die Beine sofort zur Flucht benutzen konnte.

129 May: Der Schatz im Silbersee, wie Anm. 21, S. 479: Die Beratung nahm wohl zwei Stunden in Anspruch, eine lange Zeit für diejenigen, deren Schicksal von dem Erfolge derselben abhängig war; dann kündete ein allgemein und laut gerufenes »Howgh!« den Schluß der Sitzung an. Die Weißen wurden geholt; sie mußten in das Innere des Kreises treten, um dort ihr Schicksal zu vernehmen.

130 Ebd., S. 519; vgl. ebd., S. 494: Dort [am See] wimmelte es bereits von Menschen jeden Alters und Geschlechts, denn es sollte da der Schwimmkampf entschieden werden. Siehe ferner: S. 508 und 520.

131 Eine sehr frühe Betrachtung dieses Zweikampfteils findet sich bei Fritz Prüfer: Wettlauf. In: Karl-May-Jahrbuch 1925. Radebeul bei Dresden 1924, S. 228-252.

132 May: Der Schatz im Silbersee, wie Anm. 21, S. 507

133 Abgesehen von ›Winnetou IV‹, wo die hier erkennbare kritische Darstellung des Zweikampfs eine Wiederaufnahme und Verschärfung erfährt. Vgl. unten den Abschnitt ›Das Ende des Zweikampfs‹.

134 Diese Wahrheit kommt historisch in der ›Dekadenz‹-Phase des europäischen Duells ans Licht, wo es tatsächlich in vielen Fällen den Vorwand bot, persönliche Feinde, politische Gegner oder geschäftliche Konkurrenten, die anders nicht zu belangen waren, zu provozieren und aus dem Weg zu räumen. Vgl. Uwe Schultz: Von der Heldentat zum Freitod. In: Das Duell, wie Anm. 16, S. 10: »Aber das willkürlich hingeworfene Schimpfwort, um den konkurrierenden Politiker, den bevorzugten Liebhaber einer Schauspielerin, den Kritiker des eigenen Theaterstücks herauszufordern, läßt das Duell zur brutalen Technik verkommen, die eigenen Interessen durchzusetzen - gerade auch jenseits des Motivs der Ehre.«

135 Vgl. das Stichwort ›Parodie‹ in: Gero von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart 41964, S. 494.

136 May: Winnetou I, wie Anm. 21, S. 280

137 Ebd., S. 349

138 Ebd., S. 376

139 In ›»Weihnacht!«‹ hat er drei Zweikämpfe gegen denselben (!) Gegner zu bestehen. Vgl. unten den Abschnitt ›Der Zwang zur Wiederholung‹.

140 Im Kampf zwischen Old Shatterhand und Blitzmesser geht es um die Freilassung der gefangenen Apachen. Abweichend von den sonstigen Fällen kämpft hier ein Unbeteiligter - Old Shatterhand zählt nicht zu den Gefangenen - gewissermaßen


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freiwillig und in eigener Ernennung, nicht im Namen der Betroffenen, um deren Leben.

141 So Schmiedt: Einer der besten, wie Anm. 7, S. 38

142 May: Winnetou I, wie Anm. 21, S. 282

143 Ebd., S. 278f.

144 Ebd., S. 283

145 Ebd., S. 359

146 Ebd.

147 Ebd., S. 276

148 Ebd., S. 280

149 Ebd., S. 333

150 Ebd., S. 355

151 Ebd., S. 360: Welch ein Geheul erhob sich da! Es war, als ob tausend Teufel losgelassen seien und um die Wette brüllten.

152 Ebd., S. 363: ... ich sah, daß viele Rote sich ins Wasser warfen, um herüberzuschwimmen, an ihrer Spitze Winnetou. Das konnte, falls sie nicht gewillt waren, Wort zu halten, gefährlich für mich und meine Gefährten werden.

153 Ebd., S. 375

154 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XX: Satan und Ischariot I. Freiburg 1897, S. 333; Reprint Bamberg 1983

155 Diese Stellvertretung war nach dem Reglement erlaubt: »Da der ›große Mund‹ einen verwundeten Arm besitzt und nicht zu kämpfen vermag, so muß ein anderer für ihn kämpfen; dafür erlauben wir auf der andern Seite dem Yumatöter, daß er seinen kleinen Bruder für sich kämpfen lassen kann.« (Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXI: Satan und Ischariot II. Freiburg 1897, S. 167; Reprint Bamberg 1983)

156 Vgl. dagegen ›Winnetou I‹, wo die Zusammengehörigkeit der drei dort geschilderten Zweikämpfe gleich mehrfach begründet ist: in der Einheit der Person (in allen drei Fällen ist Old Shatterhand einer der beiden Zweikämpfer), in der Einheit der Zweckbestimmung (in allen drei Fällen geht es um die Initiation des Greenhorns) und in der Einheit der Darstellung (alle drei Zweikämpfe folgen schnell, kompakt zusammengefaßt in der Mitte des Romans, aufeinander).

157 Für May keineswegs ungewöhnlich: Im Falle der ›endlosen‹ Münchmeyer-Romane, die man auch als vielgliedrige, in zwei Fällen (›Die Liebe des Ulanen‹ und ›Waldröschen‹) über mehrere Generationen reichende Familiengeschichten bezeichnen kann, ist diese Struktur noch bestimmender.

158 May: Satan und Ischariot I, wie Anm. 154, S. 341f.

159 Der Starke Büffel (nomen est omen!) besaß den Bau und die Körperkraft eines Hünen. (Ebd., S. 336) Und: Der Schwarze Biber zeigte Formen, welche nicht nur eine ungeheure Körperkraft verrieten, sondern in ihm auch einen ausgezeichneten Schwimmer vermuten ließen. (May: Satan und Ischariot II, wie Anm. 155, S. 182)

160 Die Anwendung psychoanalytischer Begrifflichkeit und Methoden stößt erfahrungsgemäß häufig auf Ablehnung. Der sparsame Gebrauch, der in dieser Arbeit davon gemacht wird, möge als Indiz dafür gewertet werden, daß die Erkenntnisse dieser Disziplin hier nicht als Dogmen oder Universalschlüssel verstanden werden, sondern als im Einzelfall zweckmäßige und sinnvolle Interpretationshilfen. Nicht selten auch kommt derjenige, für den die Erkenntnisse der Psychoanalyse im Kontext wissenschaftstheoretischer Grundsatzfragen keinen Bestand haben, auf dem Wege kritischer Selbstreflexion zu durchaus vergleichbaren Einsichten. Einmal seines Reizwortcharakters entkleidet, dürfte sich der ›Ödipuskomplex‹ als Summe seelischer Prozesse zu erkennen geben, die nicht leicht zu leugnen sind. - Zur ›Psychoanalysediskussion‹ im Falle May vgl. z. B.: Volker Klotz: Über den Umgang mit Karl May. Unter anderm: psychoanalytisch: unter anderm. In:


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Jb-KMG 1980. Hamburg 1980, S. 12-27 und: Wolf-Dieter Bach: Erkennen als lebendige Erfahrung. Zur psychoanalytischen Optik, angewendet auf May in essayistischen Formen. In: Ebd., S. 28-34.

161 May: Satan und Ischariot I, wie Anm. 154, S. 335; formell gesehen wird man diese ausdrückliche Feststellung natürlich auch als Merkmal eines Reglements werten können.

162 May: Satan und Ischariot II, wie Anm. 155, S. 169

163 Ebd., S. 172

164 Ebd.

165 May: Satan und Ischariot I, wie Anm. 154, S. 333

166 Ebd., S. 336

167 May: Satan und Ischariot II, wie Anm. 155, S. 167

168 Ebd., S. 183; vgl. ebd., S. 169: Auf unserer Seite herrschte tiefe Stille. Mann lag neben Mann im Grase, um das Kommende zu erwarten.

169 Ebd., S. 183f.

170 Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. XIV: Old Surehand I. Freiburg 1894, S. 576; Reprint Bamberg 1983

171 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XIX: Old Surehand III. Freiburg 1896, S. 356; Reprint Bamberg 1983

172 Als Befreiungszweikampf wäre er eigentlich überflüssig, da Old Shatterhand dem Komantschenhäuptling schon weitreichende Freiheiten im Rahmen seiner Gefangenschaft eingeräumt hat, die erwarten lassen, daß die ganze Freiheit nur eine Frage der Zeit ist.

173 May: Old Surehand I, wie Anm. 170, S. 568

174 Ebd., S. 569f.

175 Ebd., S. 574

176 Ebd., S. 573

177 May: Old Surehand III, wie Anm. 171, S. 356f.

178 Ebd., S. 356: »Er ist ein Schurke, um den es nicht schade sein würde, und Ihr seid ein Ehrenmann, der Kinder hat, Ihr dürft Euer Leben nicht gegen das seinige einsetzen.« So ähnlich auch im Falle des ›Bravo‹ in ›Der Geist der Llano estakata‹. Vgl. den Abschnitt ›Zweikampf im Zwielicht‹.

179 Ebd., S. 353

180 Ebd., S. 361

181 Ebd., S. 364

182 Siehe Anm. 160.

183 Vgl. Anm. 156.

184 Daß dieser Zweikampf letztlich waffenlos ausgetragen wird, ist nur konsequent in Anbetracht der Intimität des Verhältnisses, die durch den direkten Körperkontakt sinnfällig wird.

185 May: Old Surehand I, wie Anm. 170, S. 573

186 Ebd., S. 576

187 Ebd.; wer hierin, dem freien Spiel der Phantasie sich überlassend, eine Szene gegenseitiger Masturbation erkennen möchte, dürfte nicht völlig falsch liegen. Die Verlagerung der Blickrichtung von den unteren auf die oberen Gliedmaßen, die auch gestaltmäßig vergleichbar sind und beide sehr leicht zu ›Zugriffen‹ herausfordern, entspricht dem psychischen Mechanismus der Verschiebung. Auch der für einen Würgekampf eher ungewöhnliche Umstand, daß nur eine - die rechte! - Hand dem Gegner an die Gurgel geht, verweist auf die übliche Masturbationspraxis.

188 Ebd., S. 568

189 Vgl. May: Old Surehand III, wie Anm. 171, S. 363: »Ich habe ihm das Schulterblatt zerbocht. ... Wenn er nicht daran zu Grunde gehen sollte, wird er wenigstens nie-


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mals wieder friedliche Menschen vergewaltigen können.«

190 Die Behandlung dieses thematischen Aspekts findet sich erst hier und nicht, wie eigentlich zu erwarten, nach ›Winnetou I‹, weil mir zum besseren Verständnis der Problematik die Kenntnis der beiden zwischengeschalteten Abschnitte über die Zweikämpfe in ›Satan und Ischariot‹ und ›Old Surehand‹ wichtig scheint.

191 May: Der Sohn des Bärenjägers, wie Anm. 101, S. 554f.

192 Karl May: Der Scout. In: Deutscher Hausschatz. XV. Jg. (1888/89), S. 600, 602; Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 21997

193 May: Winnetou I, wie Anm. 21, S. 293 - Auf die erste kurze ›Begegnung‹, bei deren Gelegenheit Old Shatterhand Winnetou kurzerhand niederschlägt - es war dies im Verlauf des ersten Gefechts zwischen den Apachen und den Kiowas -, muß hier nicht eingegangen werden, denn daß ich ihn schon einmal niedergeschlagen hatte, das war kein Sieg zu nennen, weil kein Kampf vorangegangen war, wie Old Shatterhand später selbst bemerkt. (Ebd., S. 295)

194 Ebd.

195 Zum Verhältnis Winnetou-Old Shatterhand, insbesondere auch zu ihrem ›Zweikampf‹ vgl. Dieter Ohlmeier: Karl May: Psychoanalytische Bemerkungen über kollektive Phanasietätigkeit. In: Sudhoff/Vollmer, wie Anm. 74, S. 346: »In dieser Kampfszene mögen wir unschwer Züge eines sadistisch gefärbten Geschlechtsverkehrs zu erkennen, der mit einer partiellen Kastration (Stich durch die Zunge, Verlust der Sprache und der verbalen Fähigkeit zur Aufklärung des Konflikts) einhergeht. Unübersehbar ist auch die homosexuelle Qualität des ›Kampfes‹ der beiden jungen Männer, der im orgastischen Keuchen Winnetous endet, aber auch in der lebensgefährlichen Verwundung und Beschädigung Old Shatterhands.« Zur Person Winnetous: »Die jünglingshafte Attraktivität wird jedoch von weiblichen Zügen noch übertroffen, und die oben zitierte erste Begegnung des Ichs mit Winnetou gleicht einer Liebe auf den ersten Blick. Spätere Begegnungen mit Winnetou sind zärtliche Rendezvous voll unruhiger Sexualerwartung (...).« (Ebd. S. 348)

196 Zu ›Zwang‹ und ›Verdrängung‹ in Mays literarischer Produktion vgl. Claus Roxin: Vorläufige Bemerkungen über die Straftaten Karl Mays. In: Jb-KMG 1971. Hamburg 1971, S. 83f. Ferner: Hans Wollschläger: »Die sogenannte Spaltung des menschlichen Innern, ein Bild der Menschheitsspaltung überhaupt.« Materialien zu einer Charakteranalyse Karl Mays. In: Jb-KMG 1972/73. Hamburg 1972, S. 12f.

197 Vgl. den Abschnitt ›Zwischen Liebe und Haß‹.

198 Vgl. den Abschnitt ›Vater und Sohn‹.

199 Da dies für den jungen Mimbrenjo schon aufgezeigt wurde, kann ich mich im folgenden auf Winnetou beschränken.

200 Die Überschrift des dritten Kapitels ›Winnetou in Fesseln‹ (May: Winnetou I, wie Anm. 21, S. 137) erhält so eine interessante Bedeutungsvariante.

201 Vgl. hierzu Ohlmeier, wie Anm. 195, S. 355: »Als sie [Nscho-tschi] ›zur Frau erzogen werden‹ soll und mit Old Shatterhand verlobt werden soll, wird sie erschossen, geht gemeinsam mit ihrem Vater Intschu-tschuna in den Tod. Die Wendung zur weiblichen Identität darf ihr nicht gelingen. Andererseits ist die Versuchung, die die Begegnung mit weiblicher Sexualität für das ›Ich‹ darstellt, damit gebannt, ist abgewertet. Die Kastrationsgefahr ist behoben.« Ellwanger und Kosciuszko weisen auf einen interessanten Zusammenhang zwischen ›Brautschaft‹ und ›Blutsbrüderschaft‹ hin: »In der Blutsbrüderschaft (...) vereinigt der Held die helle, bewußte Seite der Persönlichkeit mit der animalischen Seite und erfährt dadurch einen hohen Zuwachs an Kraft. Zugleich weist die Zeremonie aber auf gewisse Hochzeitsbräuche und die Verbindung des männlichen und weiblichen Lebensprinzips: In Posen ist es Sitte, daß sich die Brautleute vor der Trauung gegen-


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seitig einige Haare abschneiden [vgl. Winnetous Haarlocke, d. Verf.], dann ritzen sie sich in den Arm, die Haare werden in das hervorquellende Blut getaucht und zwischen Braut und Bräutigam gewechselt; das soll ein Zeichen der unzertrennlichen Ehe sein.« (Wolfram Ellwanger/Bernhard Kosciuszko: Winnetou - eine Mutterimago. In: Sudhoff/Vollmer, wie Anm. 74, S. 373)

202 Karl May: Ein Blizzard. In: Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXIII: Auf fremden Pfaden. Freiburg 1897, S. 567-598 (571); Reprint Bamberg 1984 - Für diese Buchausgabe des Fehsenfeld-Verlages hat May die zunächst im Einsiedler Marien-Kalender (für das Jahr 1897) veröffentlichte Erzählung ›Ein amerikanisches Doppelduell‹ mit dem neuen Titel ›Ein Blizzard‹ versehen.

203 Vgl. Anm. 79.

204 Jedenfalls im Rahmen der Amerikaromane. Die gleichlautenden Worte Intschu tschunas: »... wir wollen den großen Geist zwischen uns und ihnen entscheiden lassen«, von Old Shatterhand als sogenanntes Gottesurteil bezeichnet (May: Winnetou I, wie Anm. 21, S. 348f.), geben lediglich den indianischen Standpunkt wieder wie auch der Erzählerkommentar zum Zweikampf ›Hand am Baum‹ in ›Der Sohn des Bärenjägers‹: Dieser Kampf wird bei manchen Stämmen als eine Art Gottesgericht in Scene gesetzt. (May: Der Sohn des Bärenjägers, wie Anm. 101, S. 410)

205 May: Ein Blizzard, wie Anm. 202, S. 590

206 Ebd., S. 589

207 Ebd., S. 590

208 So auch in: May: Der Sohn des Bärenjägers, wie Anm. 101. Dies sind die beiden einzigen Zweikämpfe, die Winnetou und Old Shatterhand gemeinsam austragen.

209 May: Ein Blizzard, wie Anm. 202, S. 592

210 Als eigentlicher Grund wird zu Anfang der Erzählung die Vorsicht genannt: Da auf diesem Fort oft Sioux erschienen, welche uns ganz unverdienterweise als ihre Todfeinde betrachteten, so hüteten wir uns natürlich, unsere Namen zu sagen. Es war für alle Fälle besser, wenn niemand wußte, daß Winnetou und Old Shatterhand anwesend seien. (Ebd., S. 569)

211 Ebd., S. 594

212 Ebd., S. 590

213 Ebd., S. 595

214 Ebd., S. 590

215 Vgl. das Stichwort ›Gottesurteil‹ in: Frenzel, wie Anm. 17, S. 296-311.

216 Vgl. May: Der Scout, wie Anm. 192, S. 602.

217 Einfacher formuliert: ›Hilf dir selbst, so hilft dir Gott!‹

218 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Band XXIV: »Weihnacht!« Freiburg 1897, S. 210; Reprint Bamberg 1984

219 Ebd., S. 481

220 Ebd., S. 486

221 Ebd., S. 491f.

222 Ebd., S. 500: Ich war schlimm daran, weil ich das Leben meines Gegners schonen mußte und ihn auch nicht so verwunden durfte, daß er kampfunfähig wurde, denn ich hatte gesagt, daß ich nur mit Häuptlingen kämpfen könne, und sah mich also gezwungen, ihn mir bis zum dritten Gange aufzuheben.

223 Zur Wiederholungsstruktur im Werke Mays, besonders im Zusammenhang mit Initiationsszenen in ›Winnetou I‹, vgl. Schmiedt: Einer der besten, wie Anm. 7, besonders S. 44f.

224 Im Gegensatz zum Großen Wolf in ›Der Schatz im Silbersee‹, der seinem Gegner nur ein minderwertiges Beil anbietet. Vgl. den Abschnitt ›List ist kein Betrug‹.

225 May: »Weihnacht!«, wie Anm. 218, S. 488f.

226 Ebd., S. 502

227 Ebd., S. 484: Da saß Yakonpi-Topa mit den ältesten seiner Krieger, ihm gegenüber


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Peteh mit Innua Nehma, seinem alten Vertrauten. Um diese herum hatte sich ein Kreis sitzender Indianer gebildet, welcher von einem noch weiteren Kreise stehender Krieger eingeschlossen wurde. Siehe ferner S. 496 und 505.

228 Zum Schauspielcharakter des Zweikampfs vgl. Anm. 14.

229 May: »Weihnacht!«, wie Anm. 218, S. 486

230 Ebd., S. 440

231 Eine ähnlich günstige Gelegenheit zur Flucht anläßlich eines Zweikampfs bietet sich auch dem angeblichen Mormonengeistlichen Burton, alias Stealing Fox, in ›Der Geist der Llano estakata‹. Vgl. den Abschnitt ›Zweikampf im Zwielicht‹.

232 May: Winnetou IV, wie Anm. 43, S. 554 (Erstdruck siehe Anm. 43).

233 Ebd., S. 548

234 Ebd., S. 547

235 Ebd., S. 6

236 Ebd., S. 534

237 So aufdringlich die Vorausdeutung des Medizinbeuteldiebstahls rückblickend auch erscheint: Die Erwartung, daß die Beutel am Schluß des Romans gerade diese Rolle innerhalb des Zweikampfes haben werden, dürfte wohl kaum ein Leser zuvor gehabt haben.

238 May: Winnetou IV, wie Anm. 43, S. 535

239 Ebd., S. 538

240 Ebd., S. 547

241 Mit Ausnahme vielleicht von ›Winnetou I‹, wo es, aus Anlaß des Zweikampfs Old Shatterhand - Intschu tschuna, eine offensichtlich hierarchisch abgestufte Sitzordnung unter den Apachen gibt.

242 May: Winnetou IV, wie Anm. 43, S. 547f.

243 Ebd., S. 548

244 Ebd., S. 538

245 Als wesentliches Element der klassischen Duells, das auch allen Zweikämpfen Mays zugrunde liegt und das Hauptkriterium für die Abgrenzung vom indianischen Zweikampf darstellte, galt bisher das Reglement.

246 May: Winnetou IV, wie Anm. 43, S. 535

247 Üblicherweise waren beim klassischen Duell außer den beiden Duellanten noch ein Arzt und je ein Sekundant anwesend.

248 May: Winnetou IV, wie Anm. 43, S. 6; vgl. den Kommentar des Erzählers ebd., S. 7, und die Kapitelüberschrift Kämpfe ebd., S. 432.

249 Ebd., S. 534: »Ich stelle keine [Bedingungen] ... Ich gehe auf alles ein, was die Häuptlinge von mir verlangen.«

250 Ebd., S. 538: Man sagte, daß es von ersterem [Old Shatterhand] geradezu wahnsinnig sei, auf so blutrünstige Bedingungen einzugehen.

251 Schon in der ersten der hier vorgestellten Episoden spielte ein Medizinenraub eine Rolle (vgl. den Abschnitt ›Zweikampf gentlemanlike‹). Um Medizinen und Medizinbeutel geht es in Mays Amerikaromanen immer wieder wie auch um Medizin im Sinne von Arznei in seinem gesamten Werk, ein Umstand, in dem sich Mays früher Berufswunsch, Arzt zu werden, widerspiegelt. Es ist übrigens nicht das einzige Mal, daß Old Shatterhand in, wie man wohl sagen muß, recht arroganter und sadistischer Manier, seinen indianischen Feinden mit der Vernichtung ihrer Medizinen droht. So bereits früher einmal To-kei-chun. Vgl. Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXVI: Im Reiche des silbernen Löwen I. Freiburg 1898, S. 124ff.; Reprint Bamberg 1984

252 May: Winnetou IV, wie Anm. 43, S. 373; vgl. S. 372: »Eigentlich ist es [das Wegnehmen der Medizinen] verboten. Es steht der Tod darauf. Kein Indianer würde wagen, sich an ihnen zu vergreifen. Für uns ist es einfach ein Gebot der Notwendigkeit.« Abgesehen davon, daß es eben doch Indianer gibt, wie z. B. die Sioux-


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Ogellallah aus ›Der Sohn des Bärenjägers‹ (vgl. den Abschnitt ›Zweikampf gentlemanlike‹), die es wagen, Medizinen zu stehlen, braucht Old Shatterhand als Nicht-Indianer natürlich noch weniger Skrupel zu haben, sich an dem persönlichsten Besitz eines Indianers zu vergreifen, wenn es ihm opportun scheint. Er macht es sich eben oft sehr leicht mit der Rechtfertigung seines Verhaltens.

253 May: Winnetou IV, wie Anm. 43, S. 620

254 Siehe hierzu: David Hurst Thomas u. a.: Die Welt der Indianer. München 1994. Teil 5: Gegenwart und Zukunft, S. 384ff.

255 Vgl. ebd.

256 May: Der Schatz im Silbersee, wie Anm. 21, S. 507

257 Daß May selbst diese Konsequenz nicht zieht, ist kaum verwunderlich angesichts der zweifelhaften Rolle, die Old Shatterhand in diesem Zusammenhang spielt und die etwas Tragisches an sich hat: Die ›Entzauberung‹ des Zweikampfs war nur möglich, indem der ›Held‹ sich dessen schmutziger Praktiken bediente und seine Agenten letztlich an Skrupellosigkeit der Mittel noch übertraf. Daß er schuldig wurde und schuldig werden mußte, blendet May aus: Anzunehmen ist, daß Old Shatterhand bis zuletzt von der Rechtmäßigkeit seines Tuns überzeugt ist und den Vorwurf des Betruges weit von sich weisen würde.

258 Vgl. z. B. die Äußerungen von Wüllersdorfs in Fontanes ›Effi Briest‹: »unser Ehrenkultus ist ein Götzendienst, aber wir müssen uns ihm unterwerfen, solange der Götze gilt.« Dagegen Effi: »Ehre, Ehre, Ehre ... und dann hat er den armen Kerl totgeschossen (...). Dummheit war alles, und nun Blut und Mord.« (Theodor Fontane: Effi Briest. In: Ders.: Romane und Erzählungen. Bd. 7. Berlin/Weimar 41993, S. 238 und S. 277)

259 Vgl. das Kapitel ›Der Zweikampf im Leben Karl Mays‹.


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