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RUDI SCHWEIKERT


Münchhausen aus Mühlhausen
Die Reise durch ein ›Wurmloch‹ im Text von Karl Mays ›Der Sohn des Bärenjägers‹ Hin zum Hofrat Beireis und dem Charlatan-Topos*



Mikrologie muß sein
Ernst Bloch



»Die Erfahrung hat mich gelehrt, in allen Lagen auch das Kleinste zu beobachten«, weist Kara Ben Nemsi in ›Von Bagdad nach Stambul‹ das bewundernde Lob Hassan Ardschir-Mirzas bescheiden zurück, nachdem er einen Diener der Gefangenenbefreiung überführt hat.1 Lassen wir uns von dieser Einsicht, selbst das Geringfügigste zu beachten, auch leiten, wenn wir Karl Mays Texte betrachten, die aufgrund ihres spezifischen ›Sogs‹, den sie auf viele Leser ausüben, eher zum Übersehen denn zum Verfolgen von hie und da eingestreuten, den Text gewissermaßen transzendierenden kurzen Signalen verführen. Lesen wir May also gegen den Strich. Das heißt: Achten wir auf das einzelne Wort, beobachten wir selbst das Kleinste.

Ausgangspunkt der mikrologischen philologischen Reise, zu der ich Sie einladen möchte, ist jene Szene in ›Der Sohn des Bärenjägers‹, in der der Dicke Jemmy seinen Spezial, den Hobble-Frank, mit einer Münchhauseniade zu foppen und ihm einen gewaltigen Bären aufzubinden versucht.2 Jemmy erzählt genau in der bekannten Münchhausen-Manier, die das Unmögliche als humoristisch pointierte Tatsache und Selbstverständlichkeit ausgibt:


»Ich war bei einem Freunde, dessen Vater Rittergutsbesitzer war und ein bedeutendes Jagdrevier besaß, auf Besuch. Der Herr hatte einen siebenbürgischen Bärenbeißer geschenkt erhalten, konnte ihn aber nicht auf die Probe stellen, weil es keine Bären gab. Der Hund gewöhnte sich schnell an mich und begleitete mich auf allen meinen Spaziergängen.«3


Bei einem dieser Spaziergänge schlägt der Hund vor der Tür eines Bauernhauses an; sie treten ein - der Hund springt auf einen Tisch, auf dem ein Buch liegt, leckt die Seiten um, bis er bei einem bestimmten Blatt anhält, es verbellt und schnappt, als ob er sich in ein Tier verbeiße. Dem Hobble-





* Vortrag, gehalten am 17.10.2004 auf der 17. Tagung der Karl-May-Gesellschaft in Plauen



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Frank ist dies unbegreiflich, es ist ihm terra incognita - oder, wie er es ausdrückt - »terra in Cognaco«.4 Des Rätsels aberwitzige und typisch münchhauseniadische Lösung: Der Hund hat draußen auf der Straße die Abbildung eines Bären in einem ABC-Buch gewittert und durch sein Beißen des Bildes unter Beweis gestellt, daß er ein richtiger Bärenbeißer ist. In diese Fopperei durch den Dicken Jemmy verbeißt sich nun postwendend der Hobble-Frank, und man bekommt folgende Tirade zu hören:


»Ehe Sie im Schtande sind, mir nur eenen eenzigen Bären offzuhängen, hab' ich mir selber schon mehr als fuffzig offgebunden. In Beziehung off das aktiv-passive Anlügenlassen bin ich Ihnen weit über. Sie sind ja der reene Münchmeier, und wenn - - -«

»Münchhausen heißt es,« fiel Jemmy ein.

»Wollen Sie gleich off der Schtelle schtille sein, Sie dicker Loobfrosch, Sie! Een Münch, der andere bemeiert, kann eben nur Münchmeier heeßen. Wenn dieser Lügenkönig seit eeniger Zeit zuweilen Münchhausen genannt worden ist, so ist das die mißverschtandene Folge eener idealen Begriffsverwechslung im materialen Zusammenhange mit seinem Geburts- und Heimatsorte. Nämlich nach dem Impfscheine, welcher von ihm noch vorhanden ist, wurde er zur Zeit des schtarken Augusts im Schtädtchen Mühlhausen, Kreisdirektion Sonderschhausen, Regierungsbezirk Schaffhausen geboren, drei Orte, die mit ›hausen‹ endigen, weil dort die mehrschte Hausenblase verschifft wird. Bei so vielmal ›hausen‹ ist es gar keen Wunder, daß man diese Endung aus Versehen an das ›Münch‹ gehängt hat. Unsereener aber ist nich so leicht zu täuschen. Meine historisch weltgeschichtlichen Schtudien befähigen mich, solche Schpreu vom guten Weizen auszuscheiden, und darum habe ich ooch, noch ehe Sie Ihre Geschichte angefangen hatten, sofort mit meinem angenehmen Scharfblicke erkannt, daß es off eene großartige Lüge und Münchmeierei abgesehen war. Ich hab' Sie aber reden lassen, weil ich von jeher een eifriger Bewunderer des parlamentarischen Taktes gewest bin. Ich hab' mich großmütig in meine Ueberlegenheet gehüllt und von oben herunter bemerkt, wie Sie mich von unten herauf angelogen haben. Jetzt aber geb' ich meiner Langmut den allerletzten Gnadenschtoß und fordere Sie allen Ernstes off: Geben Sie in Zukunft dem Kaiser, was des Kaisers ist, und dem Frank, was dem Frank gehört, nämlich Anerkennung seiner Schtandeswürde und ergebene Berücksichtigung seiner Persönlichkeet.«5


Uns als Kennern des Lebens und Werks von Karl May ist natürlich etwas aufgefallen, was den Lesern des ›Guten Kameraden‹, der Stuttgarter Jugendzeitschrift, in der ›Der Sohn des Bärenjägers‹ 1887 erschienen ist, zwangsläufig entgehen mußte, da sie von Mays langjähriger Tätigkeit für den Verlag von Heinrich Gotthold Münchmeyer in Dresden kaum etwas wissen konnten. Wir sehen mit gewissem Vergnügen, wie sich May gekonnt in diejenige Sphäre literarischer Anspielung begibt, die Thomas Mann Privatscherz nannte und die häufig würziges Ingrediens besonders von Texten polyhistorisch orientierter Humoristen der sogenannten Hochliteratur ist. Es steckt jene diebische Autor-Freude hinter solchen und artverwandten anderen ›Beziehungszaubereien‹, die Thomas Mann einmal in einem Brief



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an Karl Kerényi gewissermaßen lächelnd händereibend so umschrieb: »Ich warte auf den Kritiker, der als Erster merkt, woher ich das Kapitel ›Die Hündin‹ im dritten Josephbande habe. Einmal muß er doch kommen.«6

Daß May solche kleinen poietischen Tricks wie die Meister seines Fachs beherrschte, wirkt bei ihm immer wieder überraschend. Es kommt unerwartet, daß seine Texte nicht nur als riesige Fläche mit zahlreichen zu untersuchenden Bezugspunkten auf ihr betrachtbar sind, sondern gelegentlich auch, abgesehen von der gewollten Bedeutungsschwere im Spätwerk, in ungeahnte Tiefen verweisen - wovon jener Privatscherz um die tatsächlichen oder vermeintlichen Beschummelungen Mays durch seinen Verleger Münchmeyer, der ihm zum Beispiel eine versprochene »feine Gratifikation« nach Abschluß des ›Waldröschens‹ schuldig blieb, welch letztere daraufhin als Stich- und Stichelwort wie ein nicht umzubringender Revenant durchs Werk geistert, nur ein Vorschein ist.

In die Tiefe der Geistes- und Kulturgeschichte führt bei dieser Tirade des Hobble-Frank eine Stelle, die völlig belanglos klingt. Es ist eine Stelle, die man noch leichter überliest als den bitteren Privatscherz mit Münchmeyer, durch den May das tut, was mindestens bis zu Lessings Zeiten mit dem Ausdruck ›jemandem hinterwärts einen Münch (oder Mönch) stechen‹ bezeichnet wurde: hinter jemandes Rücken über ihn lästern und spotten, ihn verhöhnen und ihm giftige Stichwörter nachreden, auch: hinter ihm eine obszöne Gebärde (die Feige) machen.7 - So bewahrheitet sich in gewissem Sinn die Aussage Hobble-Franks, nun gemünzt auf May, daß er (Hobble-Frank wie May) seinem Antipoden (Münchmeyer oder dem Dicken Jemmy) beim insgeheimen oder auch offensichtlichen Bärenaufbinden beziehungsweise beim Bemeiern, beim Foppen und Hintergehen mithin,8 weit über sei. Zumindest haben diese beiden, May und Hobble-Frank, das letzte Wort, jedenfalls vorläufig.

Versuchen wir jetzt, das zu tun, was Hobble-Frank vorgibt zu tun oder zu beherrschen, nämlich aufgrund ganz kurzen historisch-weltgeschichtlichen, auch geographischen Studiums die Spreu vom guten Weizen in Hobble-Franks Rede zu trennen. In einigen Fällen wenigstens.

Zur Zeit des Starken August, Augusts II. von Sachsen (1670-1733), soll also laut Hobble-Frank der ›richtige‹ Münchhausen-Münchmeier gelebt haben. Der tatsächliche Lügenbaron, Karl Friedrich Hieronymus Freiherr von Münchhausen, war damals allerdings noch ein Kind. Er kam 1720 zur Welt und starb 1797. Geboren wurde er bekanntlich in Bodenwerder, einem kleinen Städtchen im Kreis Holzminden in Niedersachsen - und nicht in der thüringischen Stadt Mühlhausen, rund 30 Kilometer südwestlich von Sondershausen an der Wipper, eine Ortschaft, die mehr als meilenweit von Schaffhausen an der schweizerisch-deutschen Grenze entfernt liegt.

Auf den ersten Blick haben wir damit den für die Figur des Hobble-Frank typischen Wissenskuddelmuddel und lachhaften Nonsens vor uns. Doch



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sollten wir uns hüten, es bei dieser Bewertung bewenden und die ganze Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen.

Wenn der Hobble-Frank sich als Kipper und Wipper von Worten und Wendungen betätigt, der mit Bedeutungen als Meister der Verwechslung jongliert, dann steckt in diesem scheinbaren Unsinn doch auch die unausgesprochene Aufforderung an diejenigen, die den Text lesen, das behauptete Verkehrte ins Zutreffende und tatsächlich Verbürgte zu verwandeln. Es handelt sich dabei um die Spielart einer Grundkonstante von Mays Erzählen, die ich die Wissensprobe genannt habe. Sie taucht in fast unzählbar vielen Variationsformen auf, von denen ich bei verschiedenen Gelegenheiten einige bereits vorgestellt und kommentiert habe.9 Allein wenn man die Wissensprobe als Auftakttopos näher untersucht, kommt man bei flüchtiger Durchmusterung von Mays Œuvre leicht auf mehr als ein Dutzend Varianten.10 Nicht nur ein rein innerfiktionales Spiel ist dies, in dem sich einzelne Gestalten im Dialog auf die Probe stellen, sondern in manchen Fällen auch ein metafiktionales, ein die Fiktion transzendierendes, ein interaktives Spiel zwischen dem Text und seinen Lesern. Es stellt dies eine besondere Form der Lust am Lesen dar, die gerade bei einem Autor wie May, dessen erzählende Texte auf eine andere Art der Leselust, nämlich aufs ›Verschlingen‹, auf rasches und vergleichsweise flüchtiges Konsumieren angelegt zu sein scheinen, nicht erwartet wird. Läßt man sich allerdings auf das metafiktionale Wissensprobe-Spiel ein, erscheint eine bisher wenn überhaupt, dann nur unscharf wahrgenommene Facette des Schriftstellers May konturierter - die nämlich des gelehrten humoristischen Autors in der Tradition eines Rabelais oder Laurence Sterne. Was für andere Traditionen, in denen May mit seinem Schreiben steht, nüchtern betrachtet gilt, gilt auch für diese ästhetische Nebenkomponente: Gemessen an den Hochleistungen der jeweiligen Traditionen, in die Mays Texte begründet zu stellen sind, befinden sie sich, will man denn werten, in der Niveau- und Rangskala eher am unteren Ende, bestenfalls im mittleren Bereich.

Karl Mays Wissensprobe-Spiele sind in der Regel - wie wir es eben auch bei unserem Dialog zwischen dem Hobble-Frank und dem Dicken Jemmy gesehen haben - mit einem weiteren generell textstrukturierenden Element verknüpft - dem des Foppens, das im Erzählen Karl Mays mit seinen teilweise wenig offensichtlichen subversiven Strategien ebenfalls innerfiktionalen wie metafiktionalen Status besitzt, und es behält sein Gewicht bis zuletzt.11 Mays spezifische Tricks zu erkennen, mit denen er seine Leser foppt, wird nicht nur durch das Klandestine seiner diesbezüglichen Erzählstrategie erschwert, sondern, für uns heutige Leser, auch durch den historischen Abstand, den wir mittlerweile zum konkreten Wissensfundus seiner Zeit haben. Uns sind mittlerweile beträchtliche Teile des Hintergrundwissens, das Karl May sich erlesen hatte, abhanden gekommen. Gerade um die verborgenen, unterschwelligen Anspielungen oder Spielangebote der Mayschen Texte, einen Reichtum besonderer Art, wiedererkennen zu kön-



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nen, ist es vonnöten, bei der Interpretation zusätzlich eine Archäologie des Wissens zu betreiben.

Wenden wir uns nach diesen allgemeineren Ausführungen wieder unserer Textstelle aus dem ›Sohn des Bärenjägers‹ zu.

Für die hauptsächliche Leserzielgruppe des ›Guten Kameraden‹, die jungen werdenden Bildungsbürger ausgangs des 19. Jahrhunderts, war es eine leichte Übung, Münchhausen betreffende Informationen wie Desinformationen richtig einzuordnen, denn lustige Geschichten à la Münchhausen oder Eulenspiegel gehörten zum Lesekanon selbst der einfachen Schulverhältnisse: Mit solchen Histörchen war man aufgewachsen. Wurde man mit ihnen auf die Probe gestellt, war der Wissenstriumph gewiß.

Doch wie sieht's mit der Reihung Mühlhausen - Sondershausen - Schaffhausen aus und der Angabe, daß dort die meiste Hausenblase, also Fischleim verschifft werde? Das ist doch barer Unsinn, oder? Was die Verschiffung von Hausenblase angeht, ja. Die kam, gewonnen aus der Schwimmblase großer Fische, vorzugsweise Störe, im 19. Jahrhundert meist aus Rußland (nebenbei einem aus den Münchhausengeschichten wohlbekannten Land) und diente zum Klären von Wein, Bier und Likören, zum Leimen, zur Herstellung von Kitt, zum Appretieren und noch manch anderem.12

Hier aber, an dieser Unsinns-Stelle, versucht der Text, den Lesern kaum bemerklich hinterwärts einen raffinierten Münch zu stechen, sie zu verladen, sie zu leimen. Damit meine ich jetzt weniger den Umstand, daß Mühlhausen, die Kreisstadt an der Unstrut, im 19. Jahrhundert unter anderem für ihre Leimfabrikation und Bierbrauerei bekannt war,13 sondern vielmehr die Aussage, daß der Lügenkönig in Mühlhausen geboren worden sei. Die schelmische Tücke bei dieser Formulierung ist, daß die Aussage sowohl wahr als auch falsch ist.

Hinsichtlich des historischen Lügenbarons ist sie eindeutig falsch, mit Blick auf eine andere historische Persönlichkeit von (kuriosem) Rang, den man nach dem Lügenbaron einen Münchhausen nannte, ist sie richtig.

Wir haben hier, wenn wir beim Lesen von Mays Erzählung abrupt innehalten und das Kleinste, nämlich die bestenfalls flach-witzig erscheinende Wendung ›(Münchhausen/Münchmeier) in Mühlhausen geboren‹ beobachten, bei genügender Kenntnis deutscher Geistes- und Kulturgeschichte die Möglichkeit, wie durch ein Dimensionstor, wie durch ein Wurmloch in eine andere ›geistige Weltgegend‹ zu gelangen. Hier, in dieser Bemerkung vom - laut Hobble-Frank - fälschlich so genannten Münchhausen, der in Mühlhausen geboren sei, überlappen und durchdringen sich gewissermaßen drei semantische Beziehungskreise oder, räumlich gedacht, -kugeln: erstens die semantische Sphäre der Figur, die diese Bemerkung äußert, also das meist verzerrende irrwitzige Spiegelkabinett von Hobble-Franks Wissens-Scherben, einem durcheinandergeschüttelten Büchmann plus vielbändigem Konversations- oder, wie er es selbst einmal kippend



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und wippend bezeichnet: »Konvexationslexikon«14 gleich; zweitens die semantische Sphäre des Texts, die sich teilweise mit der des Autors deckt (teilweise deswegen, weil sich Beziehungen auch außerhalb des vom Autor Intendierten ergeben); und drittens die semantische Sphäre, auf die die jeweiligen Zitate und Anspielungen verweisen - in unserm Fall: auf wen oder was ›Münchhausen aus Mühlhausen‹ als Reiz- oder Schlüsselwendung verweist.

Einfach machen könnten wir es uns natürlich, etwa indem wir lapidar vermerken: es gibt eine Anspielung (oder es ist eine Anspielung zu vermuten), die einen bestimmten Sinnzusammenhang mit einem außerhalb des betrachteten Textes liegenden Gegenstand herstellt - und es damit sein Bewenden haben lassen. Doch dies wäre ein Lesen der einfachen und im Grunde stupiden und zu bequemen Art (wie es allzu häufig akademisch betrieben wird).

Nein, wir haben uns, wie ich es bereits bei früherer Gelegenheit einmal durch den Eideshelfer Henry David Thoreau habe aussprechen lassen, beim Lesen gefälligst Mühe zu geben; wir haben es beim Lesen mit »einer erhabenen, geistigen Anstrengung« zu tun,15 die uns nötigt, auch jenen anderen, jenen durch die Schlüssel- oder Reizwörter angedeuteten Bereich zu betreten, zu dem die Anspielung uns weist. Denn dort könnte - und tut es häufig - geheimer Sinn liegen, der uns die Stelle, von der aus wir hierhin geraten sind, erst voller begreifen läßt.

Unternehmen wir diese Reise.

Als Schlüssel und ›Sesam öffne dich‹ ist dabei die Kenntnis vonnöten, daß Mühlhausen in Thüringen der Geburtsort eines zu seiner Zeit berühmten und späterhin bis ins 20. Jahrhundert zumindest als Kultur-Kuriosum noch bekannten phantastischen Gelehrten war, der als Münchhausen bezeichnet wurde.16 Sein Name: Gottfried Christoph Beireis, ein Zeitgenosse des historischen Münchhausen, zehn Jahre nach diesem geboren (1730) und 1809 in Helmstedt, wo er die meiste Zeit seines Lebens verbrachte, gestorben.

Beireis, bereits zu Lebzeiten eine Legende und wie May ein ›Star‹, zu dem man neugierig-verehrungsvoll pilgerte, war der Inbegriff des etwas wirren Polyhistors und gelehrten Sonderlings, freilich mit viel Schalk im Nacken und großer pseudologisch fundierter Überzeugungskraft, der durch Übertreibungen zu beeindrucken suchte, sich seinerseits aber durch rationale Einwände, anekdotischer Überlieferung zufolge, überhaupt nicht beeindrucken ließ.17 Insofern geht der Hobble-Frank mit seinem Wissen und Verhalten genau in seinen Spuren - bis hin zur Wissenspräsentation in, bei Beireis, sächsisch-thüringisch gefärbter Aussprache.

Signifikant für Beireis ist die Geschichte, wie er, der der Ansicht war, dem Verzehr von Kartoffeln sei die zunehmende Verdummung der Menschen zuzuschreiben, sich herauswand, als ihm nach einem Essen, das ihm ganz ausgezeichnet geschmeckt hatte, von der Dame des Hauses eröffnet



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wurde, daß es mit Kartoffelmehl zubereitet worden sei. »Darüber ausgelacht, bewährte er eine vortreffliche Begabung, nämlich den esprit du moment: ›Da sehen Sie die Bestätigung von dem, was ich stets predige. Die Kartoffeln haben mich so dumm gemacht, daß ich sie gar nicht erkannt habe.‹«18 - Die Nähe zum jeder Logik hohnsprechenden Humor Hobble-Frankscher Prägung ist, denke ich, spürbar.

Betrachtet man den Lebenslauf von Beireis, vermeint man, Karl May mit Haarbeutelperücke, in Habit und Schnallenschuhen um hundert Jahre zeitversetzt vor sich zu erblicken.

Beireis' Vater erkannte gleich Mays Vater, so wie wir es aus Mays eigener Darstellung kennen, früh die Talente des Sohns und förderte sie mit wie auch immer geartetem Nachdruck. »Ein ungewöhnlicher Ernst, eine außerordentliche Reizbarkeit, glühende Imagination und Lebhaftigkeit des Geistes, verbunden mit dem treuesten Gedächtnisse und großer Wißbegierde, die schon den Knaben (...) auszeichneten, bestimmten den Vater (...,) der wissenschaftlichen Erziehung und Ausbildung seines Sohnes allen Fleis zu widmen«, heißt es im Beireis-Artikel der ›Allgemeinen Encyclopädie der Wissenschaften und Künste‹, des nach seinen beiden Herausgebern so genannten und auch von Karl May gelegentlich benutzten Ersch-Gruber 1821.19 Im Gegensatz zu May kann Beireis mit seinen Kenntnissen »in alten und neuen Sprachen, in Mathematik, Physik und Geschichte«, der es nebenbei auch »in Musik und selbst in gymnastischen Übungen (...) ungemein weit gebracht« hat20 oder haben soll, die Universität in Jena beziehen (1750), studiert die Rechte, »aus Neigung aber Mathematik, Physik, Chemie und Medizin«.21 Danach verliert sich für einige Jahre seine Lebensspur. Es setzt das ein, was in der May-Forschung unter dem Stichwort Frühreisen-Legende läuft.

Aus dieser Zeit ist eine Anekdote überliefert, die jede von Karl May geschilderte Pferdebändigungsepisode, was Wunschdenken und pseudorationale ›Berechnung‹ betrifft, bei weitem in den Schatten stellt:


Unser Reisender ergeht sich in Genua. Das Volk strömt nach einem Platz, wo ein Bereiter demjenigen ein vorgeführtes Pferd zum Geschenk bietet, der es zu reiten vermöge. Zahllose vergebliche Versuche! Bald hat B e i r e i s mit scharfem mathematischen Blick beobachtet und berechnet, daß das Thier dahin dressirt sei, den Reiter nur unter einem Winkel von 87° 35´ aufsitzen zu lassen. Er tritt vor, besteigt das Pferd mit richtiger Körperneigung, dieses folgt dem Zügel wie ein Lamm, und das Volk läßt stürmisch den divino Beireisio hochleben. Selbstredend wird das Pferd nicht angenommen.22


Beireis gibt später an, auf weiten Reisen in fernen Ländern gewesen zu sein, unter anderem in Indien (nach einer anderen Quelle in Ägypten23), und dabei »große Schätze zusammengebracht, erstaunlich viel Sprachen gelernt und seltsame, den meisten Menschen unzugängliche Erfahrungen gesammelt« zu haben.24 Einer, der im 20. Jahrhundert über ihn schrieb, der



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gerade zitierte Alexander Bessmertny, hat dazu und zu Beireis' Sprachenkenntnissen folgende schöne Geschichte parat, die uns ebenfalls an May erinnert, an seine Mezzofanti-Phantasien der gewandten Vielsprachigkeit wie an das Talent, aus dem Stegreif zu fabulieren, als berichte er Selbsterlebtes:25


Mit seinen sprachlichen Kenntnissen pflegte Beireis besonders gern zu prunken, aber er sprach englische und französische Worte, noch dazu in seinem thüringisch-sächsischen Dialekt, so aus, wie sie geschrieben wurden.26 Von orientalischen Sprachen wußte er kaum etwas, und wahrscheinlich ist er überhaupt nie im Ausland gewesen. Aber er hatte die Fähigkeit, Schilderungen, die er irgendeinmal gelesen haben mag, so lebendig in seinen Erzählungen zu benutzen, daß diese plastischen Darstellungen wie eigene Erlebnisse wirkten. Als er einmal wieder erzählte, sagte ein Zuhörer, der unbemerkt die Daten seiner Reisen notiert hatte: ›Herr Hofrat, Sie sind wirklich ein außerordentlicher Mensch, Sie sind bereits dreizehn Jahre vor Ihrer Geburt auf Reisen gegangen.‹ - Aber so etwas brachte ihn weiter nicht in Verwirrung. Eines Tages wollte ihn der Graf von Veltheim aufziehen und gab ihm eine Etikette mit chinesischen Schriftzeichen von einer Teepackung. Beireis sah das Papier und rief begeistert: ›Wie sind Sie dazu gekommen? Das ist das bisher fehlende Stück aus dem berühmtesten chinesischen Roman.‹ Und dann spann er zum Entzücken der Zuhörer eine halb traurige, halb lustige Liebesgeschichte aus dem alten China aus, so daß man ganz darüber vergaß, daß man Beireis eigentlich hatte hereinlegen wollen, und daß er den Spieß umgedreht und seine Zuhörer mit reizender Ironie selbst zum besten hatte.27


So mag es auch bei mehr oder minder trauten, kritisch-unkritischen Runden mit Karl May im Mittelpunkt zugegangen sein.

Im Unterschied zu May erreichte Beireis alles, was ersterem versagt blieb: An der kleinen Universität zu Helmstedt lehrte Beireis, anscheinend ein begabter Arzt, Medizin und daneben eine Vielzahl naturwissenschaftlicher Fächer, von der Botanik über Mineralogie und Metallurgie, Chemie, Farbenlehre, Hydraulik, Mechanik bis zur Optik und Mathematik, dazu noch Musik, Ästhetik, Numismatik und Ökonomie - es wird schon danach gewesen sein. Lehrstühle für Physik, Medizin und Chirurgie hatte er inne.

Bessmertny erzählt:


(S)ehr schnell hatte er bald acht Lehrstühle an der kleinen Universität besetzt. Er zeigte so viele Vorträge und auf so verschiedenen Gebieten an, wie es kein deutscher Professor vor oder nach ihm je gewagt hätte. Aber mit seinen Vorlesungen war es eine eigene Sache. Die Studenten lernten bei ihm eine ganze Menge, aber nur nicht gerade das, was sie dem Thema nach lernen wollten. Er schweifte dauernd ab und erzählte zum Beispiel in dem Kolleg über die Luftpumpenversuche des Otto von Guericke, dessen Apparate er besaß, viel über die Familie Guericke und über den ganzen magdeburgischen Adel, nur auf die Luftpumpe selbst kam er nicht zu sprechen.28



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Auch dies gemahnt an die kunterbunten und digressionsreich zelebrierten ›analytischen Beiträge‹ des Hobble-Frank und an das in seinen Texten vorgetragene polyhistorische Vielwissen Mays, das, rhetorisch geschickt aufgepumpt, nach mehr klingt, als es ist.

Beireis, klein von Statur wie May,29 war berühmt-berüchtigt für seine Aufschneidereien und seine Prahlsucht, ebenso für seinen Hang zur Fopperei, aber auch für seine Generosität - auch darin ein Pendant zu May. In seinen umfangreichen Sammlungen - Gemälde, Münzen, physikalische Apparate, Rechenmaschinen und Vaucansonsche Automaten sowie Naturalien aller Art - mischte sich Echtes mit Falschem, von Beireis alles mit großer Charlatanerie als unübertrefflich gepriesen. Kamen Kenner zu Besuch, war so manches ›Prunkstück‹ gerade in Reparatur oder plötzlich unauffindbar; wurde von hartnäckig neugierigen Besuchern nachgefragt oder genauer hingeschaut, wechselte der Meister das Thema oder führte einen vom zu sehr interessierenden Objekt weg - wir erinnern uns ähnlicher Ausflüchte bei May. Auch daß die Renommierschaustücke sich in ruinösem Zustand befanden, wird von Besuchern beider ›Stars‹ berichtet; im Falle von Beireis war es Goethe, im Falle Mays Egon Erwin Kisch.30 Selbst den Zug, eine Narbe am Körper als Beweis für eine erfundene Tat herzuzeigen, teilten beide.31 Als wahrer ›Fürst des Schwindels‹ erwies sich Beireis, wenn es um seinen Haupt- und Staats-›Diamanten‹ ging:


Selten und am wenigsten Kennern zeigte er [= Beireis] eine durchsichtige Masse, die größer als ein Hühnerei war, und von der er behauptete, daß sie ein Diamant von 6400 Karat Gewicht sei, den alle Fürsten der Erde nicht zu bezahlen im Stande wären. Er erzählte, daß der Kaiser von China dies kostbare Juwel bei ihm versetzt habe, und wußte diese Fabel mit allen Einzelnheiten auszuführen.32


Nur schade, daß der Stein gar kein Diamant war, wie unter anderen Goethe aufgrund seiner mineralogischen Kenntnisse unschwer erkennen konnte.33

Große Anziehungskraft übte Beireis auf seine Zeitgenossen auch deswegen aus, weil er suggerierte, Gold künstlich erzeugen zu können, wofür er den Beinamen des ›Adepten von Helmstedt‹ beziehungsweise den des ›Letzten Alchemisten‹ erhielt.34 Er zählt als Spätkömmling zur Galerie der galanten Charlatane des 18. Jahrhunderts, zu den Düpierern von Rang wie Cagliostro oder Saint-Germain, die als Verkörperung der Rätselhaftigkeit, des Geheimnisses, des außergewöhnlichen Wissens, des Okkulten und Übernatürlichen galten und fast unwiderstehlich reizend wirkten auch auf die Nachwelt, und zwar mit einem Potential, das zahlreiche Schriftsteller nur allzu kräftig ausmünzten, ob in der Bel-Etage der Literatur oder im Souterrain, von Goethe und Schiller über Ludwig Tieck, Alexandre Dumas père, Willibald Alexis, ja sogar einen schriftstellernden Sproß des Hauses Münchhausen, Philipp Otto von Münchhausen, bis zu Karl May mit seiner Erzählung ›Aqua benedetta‹ (1877) beziehungsweise ›Ein Fürst des Schwindels‹ (1880), in der er einen vermutlich zwanzig Jahre vor Beireis



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Geborenen, den Grafen von Saint-Germain, in den Mittelpunkt des Geschehens stellt.

Womit wir unversehens im Zentrum von Karl Mays Heldenkonzeption stehen, denn ohne diese essentielle Komponente dessen, was sich im literarisch populär vermittelten Charlatan-Konzept bündelt, sind Mays Helden-Figuren nicht angemessen zu verstehen.

Das Lockende dieses Stoffes vom überlegen vielwissenden und nahezu alles vermögenden, allgegenwärtigen Einzelnen - die lange Faust-Tradition gehört ebenso zu dieser Sphäre wie die magisch angereicherte Gestalt des Ewigen Juden, auf die in Mays Texten immer wieder verwiesen wird; es gehören dazu das zentrale Motiv der geheimen Gesellschaft oder bestimmte Zweige des Schauerromans -: all das liegt in Urträumen des Menschen, in kollektiven Unterschichten des Gattungsgedächtnisses, geboren aus Angst und Glücksverlangen. Dies ist die Ursuppe, aus der die Super- wie die Subhelden in Karl Mays Erzählkosmos ihre Kraft gewinnen. An einer Stelle von Mays Kolportageroman ›Deutsche Herzen, deutsche Helden‹ wird es elliptisch ausgesprochen, als der ebenso omnipotente wie omnipräsente Superheld Oskar Steinbach ins Erzählgeschehen eingeführt wird: »Hm! Er verglich sich mit dem ewigen Juden. Vielleicht haben wir es mit einem geistreichen Abenteurer, mit einer neuen Auflage von Cagliostro, Casanova oder Graf von Saint Germain zu thun.«35 Ebenso signifikant ist die emotional hoch aufgeladene Stelle in ›»Weihnacht!«‹, als der Ich-Erzähler Sappho/Old Shatterhand seinem Jugendgeliebten Carpio wiederbegegnet. Dort heißt es, nachdem der Ich-Erzähler bekannt hat, daß er »nämlich noch aus einigen anderen Existenzen«36 besteht, innerhalb des Umfangs von einer Textseite des Erstdrucks: Ich (= Old Shatterhand) bin »Ueberall und nirgends« zu Hause, und: Er (= Old Shatterhand) ist »ein großes Rätsel« und steckt »in lauter Geheimnissen«.37

Damit haben wir es in diversen Verwandlungen und in diversen hintergründigen mythischen Verkleidungen (etwa dem Freischütz, dem sagenhaft sicher Treffenden) bis zum Ende von Karl Mays Werk zu tun. Selbst der Kara Ben Nemsi, selbst der Old Shatterhand der letzten Phantasien Mays, selbst die letzte fiktionale Inkorporation seines Ichs zieht ihre Kraft zur Beförderung der Humanität aus diesem archetypischen Extrakt-Gemisch. - Magie ist eben immer eine gute Suppe.

Um Vollkommenheitsideen, um menschliche Wahnideen dreht es sich dabei - Gold, das Heilige, die Sonne auf Erden, aus minder ›edlen‹ Metallen herstellen; über das Rezept überlangen Lebens, unbeschwert von Krankheit, verfügen (denken Sie an Marah Durimeh und Tatellah-Satah); das Triebschicksal, die Trennung, die Gabelung in zwei Geschlechter überwinden und wieder zurückkehren zur ersehnten Androgynität, dem ursprünglichen Zustand (denken Sie noch einmal an die späte Dyade Marah Durimeh - Tatellah-Satah in ›Winnetou IV‹, aber auch an das, was pars pro toto in der Schmetterhand Old Shatterhands wie Dr. Karl Sternaus gebün-



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delt erscheint: ›männliche‹, gegebenenfalls tötende Gewalt ebenso wie ›weibliche‹ Zartheit, denn die Faust, so die Fiktion an verschiedenen Stellen festschreibend, gehört zu einer ›Frauenhand‹, einer ›Ladieshand‹38). Und es geht weiter: darüber hinaus souverän-sichere Verbindungen mit der höheren Welt besitzen, den Genius, den Schutzgeist, gegen jede Gefährdung um sich wissen (und auch jetzt können Sie beispielsweise an die Figur der Marah Durimeh denken, die diese Funktion andeutet); ja, nicht nur die machtverleihenden Geheimnisse um solche Dinge, sondern schlichtweg alles und gerade das Allersekreteste bis in die hintersten Winkel jeglicher Geheimgesellschaft zu wissen - all das führt uns Karl May in seinen buchgewordenen Phantasmagorien mal verborgen, mal offen und, von Ausnahmen abgesehen, meist in häufiger Wiederholung vor.

Wie sehr Karl Mays Gedankenwelt von Anfang an bis zu seiner späten Edelmenschen-Idee auch durch solche ›Ursuppe‹ voller Hybris gespeist wurde, zeigen die oft tragisch für ihn ausgehenden Maskenzüge seines Lebens ebenso wie seine Werke (und ihr Erfolg) - in der Kindheit ausgelöst durchs dumpfe Stubengemunkel vom Besseren-Höheren inmitten bitterster Entbehrung und sehnsüchtigem, verzweifelt überall nach ›Rettung‹ und nach Rückerstattung des Verlorenen-Vorenthaltenen suchendem Aber-Glauben. May, oft genug Fiktionen für Fakten nehmendes Menschheitsproblem im Singular, ging stets, ob ahnungsvoll, ob ahnungslos, in archaischen Verhaltensspuren der Gattung, deren Verwandlung in Literatur gleich welcher Art sich gemeinhin nicht schlecht verkauft.

Wohin hat uns unsere mikrologische Reise geführt? Bis hin zum Allgemeinen im Besonderen Mayschen Fabulierens. Ins Reich der Düpierer, Fopper und Gaukler, das der Ursprung von Mays Phantasieren war, in das der Märchen- und Lügengeschichtenerzähler, das so alt ist wie das Erzählen überhaupt. Ins Reich des Doppelzüngigen, Uneindeutigen, Sinnverdrehenden, ins Reich der mehrfachen Wahrheiten. Ich bin diesen Weg auf schmalem Grat gegangen, der semantischen Stärke einer winzigen Formulierung im Buchstabenkosmos Karl Mays trauend.

Natürlich ist ein solcher Gang riskant und mit der Gefahr des Fehlgehens und Überinterpretierens besonders behaftet. Um bei Ihnen aber das mögliche Mißtrauen gegenüber einem solchen Verfahren zu mindern, bleibe ich bei Karl Mays Schwindler-Geschichte um den raffinierten Grafen von Saint-Germain, die am Hofe Ludwigs XV. zu Versailles einsetzt. Nach authentischen Quellen sei die Erzählung verfaßt, gibt der Untertitel der Zweitfassung kund. May nennt die Quellen natürlich nicht. Was man bei einem fiktionalen Text ja auch nicht tut. Aber irgendwie scheint es die Schriftsteller doch zu jucken - siehe das Briefzitat von Thomas Mann -, einen Hinweis, und sei er noch so unbestimmt, auf die Herkunft dessen, was sie jetzt so schön-neu und mit Pfiff oder Chuzpe aus vorgegebenen Materialien zusammenfabuliert oder gar nur abgeschrieben haben, zu geben - an entlegener Stelle, versteckt und völlig unauffällig, versteht sich.



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Fünf Jahre nach dem Erstdruck der Hochstapler-Erzählung (›Aqua benedetta‹, 1877) kann May, durch was auch immer geleitet, nicht umhin, im fernen Westen Nordamerikas ein Eckchen seiner maßgeblichen Quelle fürs erste Kapitel der Geschichte aus dem galanten Europa um den Charlatan Saint-Germain aus dem Text hervorlugen zu lassen. Und damit haben wir ein weiteres ›Wurmloch‹ vor uns, diesmal eines, das auf klandestine Weise zwei thematisch voneinander entlegene May-Texte miteinander verbindet.

Es handelt sich um die Erzählung ›Ein Oelbrand‹, die 1882/83 im ›Neuen Universum‹ veröffentlicht wurde, das ebenso wie später der ›Gute Kamerad‹ im Verlag von Wilhelm Spemann in Stuttgart herauskam. May läßt seinen Old Shatterhand als Einstieg in die Erzählung folgendes Genrebild leicht augenzwinkernd entwerfen:


Einer nicht ganz leichten Verwundung wegen hatte ich in Fort Caß am Zusammenfluß des Bighorn mit dem Yellowstrome einige Wochen lang das Lager gehütet, und das war eine recht trübselige Zeit gewesen. Nicht daß es mir an Mitteln gefehlt hätte, die Zeit meines gezwungenen Verweilens mir so angenehm wie möglich zu machen; ich hatte vier volle Maultierladungen Felle mitgebracht und ein schönes Sümmchen dafür gelöst; aber die hier gebotenen Genüsse gipfelten in Tabakrauchen und Brandytrinken. Der Tabak bestand zur Hälfte aus Surrogat, und der Brandy schien verdünnte Schwefelsäure zu sein. Außerdem gab es drei oder vier Spiele Karten, deren Bilder kaum mehr zu erkennen waren, und eine Bibliothek von drei Bänden, nämlich Shakespeares Heinrich VIII., bestehend aus Einband und Titelblatt; die andern Blätter waren bereits zu Pfropfen verwendet worden! - Voltaires Karl XII. - einmal in den Feldkessel gefallen und die Blätter infolgedessen fest zusammengeklebt; - und der vierte Band der Chronik des Oeil de Boeuf - hatte im Zuckerkasten des Majors gelegen und war von den Ameisen halb aufgefressen worden.39


Von drei Büchern ist also die Rede, die sich aber, dank banausischer Mithilfe einiger Nebenmenschen, dem Gelesenwerden verweigern. Als Titel sind sie da und dennoch nicht zugänglich oder, wie beim letzten angeführten Buch, nur noch zur Hälfte vorhanden. Die Bücher foppen gewissermaßen unseren Old Shatterhand: Er hat sie vor der Nase und kann nichts oder nur ganz wenig mit ihnen anfangen. Je ein Werk von Shakespeare und Voltaire, die sich in den Wilden Westen verirrt haben. Zwar wird ›The Famous History of the Life of King Henry the Eighth‹ Shakespeare nur zugeschrieben, Voltaires ›Histoire de Charles XII‹ aber ist authentisch, und die Leser, wenn sie wollen, können mehr mit den Büchern anfangen als Old Shatterhand und fühlen sich wissend und nicht gefoppt. Doch was ist das Dritte? Die ›Chronik des Œil de Bœuf‹? Sie ist das Werk, mit dem jetzt auch den Lesern eine Nase gedreht wird, in metafiktionalem hermetischem Spiel, ohne daß wir entscheiden können, ob das Spiel diesmal vom Autor wie bewußt auch immer angezettelt worden ist oder nicht. Entscheidend sind bei s o l c h e n Spielformen immer Mays Texte und die Prätexte, aus denen er sich umschöpfend bedient hat.



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Halten wir uns wieder an unseren Ausgangs- und Leitsatz: »Die Erfahrung hat mich gelehrt, in allen Lagen auch das Kleinste zu beobachten«. Forschen wir also der rätselhaften Chronik nach. Sie erschien ohne klare Verfasserangabe in acht Bänden zwischen 1830 und 1832 in Paris. »Herausgegeben durch die verwittwete Gräfin von B**« (»publiées par Mme la comtesse donairière de B***«), heißt es auf dem Titelblatt, doch in Wahrheit wurde sie von dem französischen Schriftsteller und Historiker Georges Touchard-Lafosse (1780-1847) geschrieben, auf der Basis von Dokumenten und Memoirenwerken. Sie stellt also eine (romanhaft erzählende) Kompilation dar. In Frankreich war sie, da unterhaltsam geschrieben, ein ›Renner‹ und wurde bis weit ins 20. Jahrhundert immer wieder aufgelegt. Ihr vollständiger Titel lautete ›Chroniques pittoresques et critiques de l'Œil-de-bœuf, des petits appartemens de la Cour et des salons de Paris, sous Louis XIV, la Régence, Louis XV et Louis XVI‹. Das Werk wurde parallel ins Deutsche übertragen (von Ludwig von Alvensleben) und kam 1832 in der Wigand'schen Verlags-Expedition zu Leipzig heraus unter dem Titel ›Chronik des Œil de Bœuf der innern Gemächer des Schlosses und der Gesellschaftssäle von Paris. Eine Schilderung der Sitten und ihres Verfalles unter den Regierungen Ludwigs XIV., der Regentschaft, Ludwigs XV. und Ludwigs XVI. Herausgegeben durch die verwittwete Gräfin von B**‹. In Nordamerika lief die Sittengeschichte unter dem Namen ›The Rollicking Chronicles of Touchard-Lafosse‹, und in Spanien erschien noch 1966 eine Ausgabe (›Cronicas del ojo de buey‹).

In Deutschland freilich wurde das Werk im Laufe des 20. Jahrhunderts vergessen.

Die berichteten beziehungsweise erzählten wichtigen oder für wichtig gehaltenen Ereignisse sind darin nach Jahren geordnet, und so findet sich nicht im vierten, wohl aber im siebten Band der deutschen Übertragung (beziehungsweise im sechsten Band der französischen Originalausgabe) die Regierungszeit Ludwigs XV. dargestellt. Die Seiten 131 bis 146 aus dem vierten Kapitel hat Karl May akkurat für seine Saint-Germain-Geschichte benutzt, das heißt ganz klar abgeschrieben und nur hin und wieder stilistisch glättend geändert, wobei das genaue Kopieren-Plagiieren bis zum aus der Vorlage übernommenen Druckfehler reicht. Was May zum Zucker für seine Charlatan-Erzählung wurde, der süße Bücher-Quell, aus dem er mehr als nippte, den steckte er, ob als dankbare Reminiszenz, ob als Einbekennen des schlechten Benutzer-Gewissens, ob völlig unabsichtlich, in den Zuckerkasten des Majors im Fort Caß und ließ ihn dort von den ebenso emsig wie er selbst arbeitenden Ameisen halb vertilgen. Aber eben nur halb - damit der findige ideale, nicht der rasch konsumierende reale Leser irgendwann einmal (denn einmal muß er doch kommen) zum Genuß dieser gehobenen inter- und metatextuellen Verflechtung gelangen kann.40

Mit diesen Ausführungen - und damit komme ich zum Schluß - wollte ich Ihnen zeigen, daß hinter dem Lesen von Abenteuern, wie sie uns Karl



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May schildert, auch das Abenteuer Lesen in elaboriertem Sinn stehen kann. Ein Plädoyer für das ästhetisch genußvolle partielle Anders-Lesen Karl Mays sollten sie sein, ein Anders-Lesen, das aufgrund kleiner und kleinster Signale im Fließtext Mayschen Erzählens eine philologische Detektivgeschichte sui generis erzeugt; ein Plädoyer für eine May-Philologie, die sich mit Gewinn, mit Erkenntnis-Gewinn, in aufmerksam nachhorchender und nachsuchender Tiefenbohrung sozusagen, in behutsamer und möglichst wissender Archäologie auch auf das Kleinste einläßt, ohne der Gefahr intersubjektiv nicht mehr überprüfbaren Assoziierens zu unterliegen. Damit sollte es auch ein Plädoyer sein gegen die allgemeine Rutschbahn ins Nichtwissen, maskiert als medial-digitales Raten, auf der die Gesellschaft derzeit laut johlend-bohlend sich dumm amüsiert und den Verlust kulturellen Bewußtseins bejubelt.

Um das Sichtbarmachen von untergründigen Textqualitäten ging es mir, und darum, hervorzuheben, daß Karl May bei aller zeilenschindenden flinken Lohnschreiberei auch (mit gebührendem Erstaunen) als ernstzunehmender polyhistorisch-humoristischer literarischer Spieler von einigem Niveau zu begreifen ist. Geben Sie in Zukunft dem Kaiser, was des Kaisers ist, und dem Frank, was dem Frank gehört, beziehungsweise: gebt dem May, was dem May gehört, könnte ich die eingangs zitierten Worte aus dem ›Sohn des Bärenjägers‹ aufgreifen, nämlich Anerkennung seiner Schtandeswürde als autodidaktisch vielgelehrter Autor und ergebene Berücksichtigung seiner Persönlichkeet, die wohl doch noch mehr enthielt, als bisher nachhaltig wahrgenommen wurde. Was den Respekt vor Karl Mays Lebensleistung sicher noch erhöht.


1 Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. IV. Bd. 3: Von Bagdad nach Stambul. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Nördlingen 1988, S. 208. - Dies ist ein wiederkehrender Gedanke bei May; siehe Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXVI: Im Reiche des silbernen Löwen I. Freiburg 1898, S. 576; Reprint Bamberg 1984: »Ich pflege auf meinen Reisen den geringsten Umstand zu beachten und habe sehr häufig die Erfahrung gemacht, daß Kleinigkeiten, welche andern entgehen würden, mir, wenn ich sie im Gedächtnisse behalten hatte, später großen Nutzen brachten.«
2 Vgl. Karl May: Der Sohn des Bärenjägers. In: Der Gute Kamerad. 1. Jg. (1887), S. 315; Reprint in: Karl May: Der Sohn des Bärenjägers/Der Geist der Llano estacata. Hrsg. von der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 1983.
3 Ebd.
4 Ebd.
5 Ebd.
6 Thomas Mann an Karl Kerényi am 4. 5. 1937, zitiert nach: Thomas Mann/Karl Kerényi: Gespräch in Briefen. München 1967, S. 84 (sonderreihe dtv)
7 Vgl. Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. 6. Bd. Leipzig 1885, Sp. 2489f. s. v. Mönch.
8 Vgl. ebd. Sp. 1904 s. v. Meier bzw. Sp. 1906 s. v. meiern.
9 Vgl. insbesondere vom Verf.: Von Befour nach Sitara - in Begleitung der Wilden Jagd. Über ein mythisches Muster, die Wissensprobe als artistisches Prinzip bei



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Karl May sowie etwas über sein Lesen, Denken und Schreiben. Ein Fantasiestück in philologischer Manier. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 1994. Husum 1994, S. 104-142.
10 Vgl. vom Verf.: Die Wissensprobe als Auftakttopos bei Karl May. Ein Überblick. In: Ders.: Geheime Erzählerfreuden. Studien zu Werk und Wirkung Karl Mays. Husum 2004 (im Erscheinen).
11 Daß der Erzähler von ›Im Lande des Mahdi I‹ sich selbst die Eigenschaft, angeborene(n) Schabernack zu besitzen, zuspricht, darf man angesichts der Fülle von erzählten Foppereien im Gesamtwerk ruhig als Selbstaussage Mays ansehen (Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. XVI: Im Lande des Mahdi I. Freiburg 1896, S. 208; Reprint Bamberg 1983). Die letzten fiktionalen Foppereien präsentiert May in ›Winnetou IV‹, z. B. in der Szene auf den ersten beiden ›Teufelskanzeln‹, als der Erzähler mit seinem Herzle »Allotria« treibt (Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXXIII: Winnetou IV. Freiburg 1910, S. 192; Reprint Bamberg 1984). Zum Thema des auch metaliterarischen Foppens bei May siehe Schweikert: Von Befour nach Sitara, wie Anm. 9, bes. S. 115f.
12 Vgl. den Artikel ›Hausenblase‹ z. B. in Meyers Großem Konversations-Lexikon. Bd. 8. Leipzig 61904, S. 884.
13 Vgl. hierzu z. B. die Einträge ›Mühlhausen‹ in: Pierer's Universal-Lexikon der Vergangenheit und Gegenwart oder Neuestes encyclopädisches Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Gewerbe. Bd. 11. Altenburg 41860, S. 510f. oder in: Meyers Großes Konversations-Lexikon, wie Anm. 12, Bd. 14 (1906), S. 219.
14 Aus dem ›Schatz im Silbersee‹ ist uns in Erinnerung, wie sich der Dicke Jemmy und der Hobble-Frank wie hier im ›Sohn des Bärenjägers‹ um vermeintliche und tatsächliche Wissensgüter streiten und der Hobble-Frank dabei den denkwürdigen Ausspruch fallenläßt: »Ich werde schon wissen, wie ich mich im Konvexationslexikon zu benehmen habe!« (Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. III Bd. 4: Der Schatz im Silbersee. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Nördlingen 1987, S. 403.)
15 Schweikert: Von Befour nach Sitara, wie Anm. 9, S. 105 und 133 (Nachweis in Anm. 2)
16 Vgl. Carl von Heister: Nachrichten über Gottfried Christoph Beireis, Professor zu Helmstedt von 1759 bis 1809. Berlin 1860, S. 199: Beireis »war Menschenkenner. Fand er, daß die Fremden lediglich gekommen seien, um die Neugierde zu befriedigen, um vom wundersamen Hofrath erzählen zu können, gab sich der Besucher wissenschaftliche Blößen, so brach ein Strom von Mystifikation über ihn herein. (...) So kam es, daß die Besucher [von dieser Art] (...) ausposaunten, sie hätten Alles, was man von B e i r e i s erzähle, weit übertroffen gefunden, und gegen ihn sei M ü n c h h a u s e n ein glaubwürdiger Mann.« - Carl von Heister unterscheidet zwei Arten von Besuchern: die wissenschaftlich gebildeten und relativ schwer hinters Licht zu führenden, bei denen Beireis »das Prahlen zurück(hielt)« (ebd.), und die (vermeintlich) düpierbaren, die dann die Kunde von Beireis als ›Super-Münchhausen‹ verbreiteten. Von Heister versucht in seinem Buch, Beireis gegen die letztere Einschätzung zu verteidigen: »Wir möchten gleich hier hervorheben, daß B e i r e i s eigentlich ein M ü n c h h a u s e n nicht war.« (S. 26)
Am bekanntesten sind Goethes Schilderungen eines Besuchs bei Beireis im Jahre 1805 (Johann Wolfgang von Goethe: Tag- und Jahres-Hefte als Ergänzung meiner sonstigen Bekenntnisse. [1805] In: Goethes Werke. Hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. 1. Abt. 35. Bd. Weimar 1892, S. 205f., 210-232). Einer der jüngsten Nachdrucke in: Kleine Bettlektüre für den passionierten Sammler. Ausgewählt von Gert Woerner. Bern u. a. o. J., S. 23-39.
17 Vgl. von Heister, wie Anm. 16, Beilage Nr. 44 (Urtheile zweier Anonymi in der Casseler Allgemeinen Zeitung vom Jahre 1810 über B e i r e i s), S. 361f. (362):



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» B e i r e i s befand sich in Harbke, bei dem Vice-Berghauptmann v o n V e l t h e i m, in einer größeren Gesellschaft, zu welcher auch der Hofrath S c h r a d e r, ein witziger und satirischer Kopf, auch als Dichter nicht ganz unbekannt, gehörte. Man setzte B e i r e i s in Athem und ließ ihn von seinen Reisen erzählen. S c h r a d e r setzte sich bei Seite und zeichnete genau auf, wie lange sich B e i r e i s in jedem Ort aufgehalten haben wollte. Am Ende fragt S c h r a d e r: ›Wie alt sind Sie, Herr Hofrath?‹ B e i r e i s, welcher diese Frage selten beantwortete, nannte diesmal eine bestimmte Zahl. ›Nun, bei Gott,‹ erwiedert S c h r a d e r, - ›Sie sind doch in Allem außerordentlich und wunderbar. Sie sind bereits dreizehn Jahr vor Ihrer Geburt gereist.‹ Diese und ähnliche Sarkasmen brachten den Mann durchaus nicht aus der Fassung, und er verstand die Kunst, die Unterhaltung augenblicklich so zu leiten, daß man an das Vorhergegangene nicht mehr dachte. -«
18 Ebd., S. 142, mit dem Zusatz von Heisters: »An anderer Stelle ist von einem Mittagsessen die Rede, wo Alles von Kartoffeln bereitet war.«
19 Baur: Artikel ›Beireis‹. In: Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste in alphabetischer Folge von genannten Schriftstellern bearbeitet und hrsg. von J. S. Ersch und J. G. Gruber. 6. Theil. Leipzig 1821, S. 375-377 (375)
20 Ebd.
21 Ebd. - Die Angaben variieren allerdings in den verschiedenen Nachschlagewerken des 19. Jahrhunderts.
22 von Heister, wie Anm. 16, S. 52
23 Baur, wie Anm. 19, S. 375
24 Alexander Bessmertny: Deutsche Abenteurer und Originale. III. Gottlieb [sic!] Christoph Beireis, der Adept von Helmstedt. In: Die Woche. 33. Jg. (1931), 2. Bd., S. 1039f. (1039)
25 Bessmertnys Quelle ist das Buch von Heisters; bei den Übernahmen formulierte Bessmertny leicht um und zitierte gelegentlich ungenau. Die Wiedergabe der Anekdote um die ›Frühreise‹ dreizehn Jahre vor der Geburt im folgenden Zitat zeigt ersteres bereits. Siehe auch Anm. 28.
26 Ergänzend hierzu von Heister, wie Anm. 16, S. 111: »Einst citirte er [= Beireis] einen englischen Autor, den ›Thesamius‹. Man schlug nach und fand ›the same‹, den nämlichen Verfasser als vorhergehend.«
27 Bessmertny, wie Anm. 24, S. 1039; von Heister, wie Anm. 16, S. 131f: »Ein Blättchen mit chinesischer Schrift, worin Tusche eingewickelt gewesen, wird B e i r e i s vorgelegt, ob er es lesen könne. ›Ja wohl, und mit besonderer Freude ersehe ich, daß sich hier ein Bruchstück eines der beliebtesten chinesischen Romane findet.‹ Diesen trägt er nun sofort höchst interessant und spannend vor. Als es aber zu der Katastrophe kommt, steht er auf und sagt: ›den Schluß der Geschichte wollen Sie gefälligst selbst hier auf diesem Blättchen nachlesen.‹ - So hatte sich der abgeschossene Pfeil der Mystifikation gegen den Schützen gewendet.« Dazu folgt die erklärende und quellennachweisende Fußnote (S. 132): »G. A. E b e r h a r d will dieses Geschichtchen von C u r t S p r e n g e l gehört haben. Es wird zu Ungunsten von B e i r e i s aufgefaßt; jedoch heißt es von diesem: ›einer der berühmtesten und interessantesten Zeitgenossen.‹ Abendzeitung vom 24. Febr. 1843.« - Achim von Arnim, der in seinem Roman ›Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores‹ (1810) Eindrücke eines Besuches bei Beireis (1806) literarisiert wiedergibt, versieht diese Anekdote mit einem anderen Schluß und erzählt die Geschichte so: »Er [ein namenlos Bleibender] habe ihm [Beireis] nämlich einen Umschlag von einer chinesischen Tusche sauber geplättet, so daß es wie ein Blatt aus einem Buche ausgesehen, vorgezeigt, da er nun behaupte alle Sprachen zu verstehen, habe er ihm dies Blatt gezeigt und gefragt, was es besage. Mit großer Dreistigkeit habe jener ihm versichert, es sei ein Stück aus einem chinesischen Romane und es sogleich übersetzt. Lachend habe er ihm darauf gesagt, es sei aber ein bloßer Umschlag vom



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Tusch. Ohne in Verwirrung zu geraten, versicherte hierauf der Doktor, die Chineser pflegten, um Stellen ihrer guten Schriftsteller zu verbreiten, die gewöhnlichsten Bedürfnisse darin einzuwickeln.« (Ludwig Achim von Arnim: Sämtliche Romane und Erzählungen. Bd. 1. Hrsg. von Walther Migge. München 1962, S. 278)
28 Bessmertny, wie Anm. 24; vgl. von Heister, wie Anm. 16, S. 80f.: »Kam der Apparat von G u e r i k e vor, so lernte man nicht allein die Genealogie des Erfinders kennen, sondern zugleich die des gesammten magdeburgischen Adels. Auch wurde man in einem naturwissenschaftlichen Kollegium auf das Angenehmste in specieller deutscher Reichsgeschichte gefördert. ›M a n l e r n t s e h r v i e l, aber selten viel von dem, wofür man das Honorar bezahlt hat.‹«
29 Vgl. von Heister, wie Anm. 16, S. 376: »Er war ein kleines hageres Männchen, dabei aber sehr rührig.« (Beilage Nr. 55, Mitteilung eines Schülers von Beireis.) Siehe auch das Zeugnis Fouqués, der im Juli 1806, im Jahr nach Goethe, Beireis besuchte: »ein kleiner, hagrer, todtbleicher Mann mit scharfen, bedeutsamen Gesichtszügen (...).« (Lebensgeschichte des Baron Friedrich de la Motte Fouqué. Aufgezeichnet durch ihn selbst. Halle 1840, S. 273. Orthographisch leicht verändert zitiert von Arno Schmidt in: Der Zauberer von Helmstedt. In: Arno Schmidt: Bargfelder Ausgabe. Werkgruppe III Bd. 3. Bargfeld/Zürich 1995, S. 129-133 (132), und in: Fouqué und einige seiner Zeitgenossen. Bargfelder Ausgabe. Werkgruppe III Bd. 1. Bargfeld/Zürich 1993, S. 187)
30 Vgl. Goethe, wie Anm. 16, S. 211f.: »Gar manches (...) war in den jämmerlichsten Umständen; die Vaucansonschen Automaten fanden wir durchaus paralysirt. In einem alten Gartenhause saß der Flötenspieler in sehr unscheinbaren Kleidern; aber er flötete nicht mehr (...). (...) Die Ente, unbefiedert, stand als Gerippe da, fraß den Haber noch ganz munter, verdaute jedoch nicht mehr (...).«
»Daß Shatterhands Wunderwaffen in späten Jahren nicht mehr in so hellem Glanz erstrahlten, kritisierte Egon Erwin Kisch (1885-1948). Er hatte sich am 9. Mai 1910 ›im Wigwam Old Shatterhands‹ aufgehalten und konnte allerlei besichtigen, ›darunter ein altes verrostetes Schießholz - den unfehlbaren Henrystutzen, den Sehnsuchtstraum der abenteuerlichen Gymnasiasten, ... der allerdings gar kein Stutzen war, sondern ein gewöhnliches Winchestergewehr, wie es die Armeen haben, auch europäische ... (...)‹ ›Die Silberbüchse erwies sich als Torso eines europäischen Schießprügels, dem die Läufe fehlten‹.« (Klaus Hoffmann: Silberbüchse, Bärentöter, Henrystutzen - Mythos und Realität. In: Klaus Hoffmann/Jochen Rascher/Peter Richter: Silberbüchse, Bärentöter, Henrystutzen. Die berühmtesten Gewehre des Wilden Westens. Radebeul 1990, S. 24; auch in: Klaus Hoffmann: Silberbüchse - Bärentöter - Henrystutzen, »das sind die drei berühmtesten Gewehre der Welt«. Herkunft, Wirkung und Legende. In: Jb-KMG 1974. Hamburg 1973, S. 74-108 (87)) Vgl. auch die leicht abweichende Version in Kischs Reportage: Im Wigwam Old Shatterhands. In: Egon Erwin Kisch: Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Bd. 5. Berlin/Weimar 1974, S. 313-339 (338).
31 Zu May siehe das Zeugnis von Joseph Bernhart, das Claus Roxin (»Dr. Karl May, genannt Old Shatterhand«. Zum Bild Karl Mays in der Epoche seiner späten Reiseerzählungen. In: Jb-KMG 1974. Hamburg 1973, S. 26) zitiert. - Zu Beireis siehe von Arnim, wie Anm. 27, S. 289: »Er [Beireis] zeigte die herrlichsten anatomischen Präparate; das war ihm aber nicht genug, er zog auch den Strumpf von seiner Wade, und zeigte eine Lücke im Fleische; nun holte er ein kostbares Glas mit angeschliffenen Vergrößerungsgläsern sehr pathetisch aus dem Schranke, und versicherte: von diesem Ausgeschnittenen habe er diese einfache, schlechthin nicht weiter zu zerteilende Urmuskelfaser geschnitten.«
32 Artikel ›Beireis‹. In: Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände. (Conversations-Lexikon.) 1. Bd. Leipzig 71830, S. 759f. (759) (F. A. Brockhaus)



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33 Was Goethe freundlich-ironisch-zurückhaltend formulierte. Siehe Goethe, wie Anm. 16, S. 232: »Indessen (...) hatte ich, chromatischer Prüfungen eingedenk, das Wunderei vor die Augen genommen, um die horizontalen Fensterstäbe dadurch zu betrachten, fand aber die Farbensäume nicht breiter, als ein Bergkrystall sie auch gegeben hätte; weßhalb ich im Stillen wohl einige Zweifel gegen die Echtheit dieses gefeierten Schatzes fernerhin nähren durfte.«
»Doch war der Obermedizinalrath Klaproth in Berlin so glücklich ihn [den ›Diamanten‹] zu sehen, und er fand nichts weiter darin, als ein übrigens durch seine Größe ausgezeichnetes Topasgeschiebe, dergleichen kleinere hie und da in Samlungen unter dem Namen madagaskarische Kiesel vorkommen.« (Baur, wie Anm. 19, S. 376)
34 Siehe dazu auch den historischen Roman von Hermann Klencke: Der Adept zu Helmstedt. Leipzig 1851.
35 Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. II Bd. 20: Deutsche Herzen, deutsche Helden. 1. Bd. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Bargfeld 1996, S. 49
36 Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. IV Bd. 21: »Weihnacht!«. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Nördlingen 1987, S. 318
37 Ebd., S. 317f.
38 Siehe z. B. Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. II Bd. 4: Waldröschen. 2. Bd. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Bargfeld 1997, S. 1072: »... diese Hand, so weich wie eine Frauenhand.« (Über Sternaus Hand); Karl May: Der schwarze Mustang. In: Der Gute Kamerad. 11. Jg. (1896/97), S. 30; Reprint in: Karl May: Der schwarze Mustang. Hrsg. von Hansotto Hatzig. Hamburg 1991: »Man hat mir gesagt, daß seine Hände trotzdem fast so klein wie Ladieshände seien« (Über Old Shatterhands Hände); May: Im Reiche des silbernen Löwen I, wie Anm. 1, S. 12: »Das ist ja eine Frauenhand.« (Über Old Shatterhands Hand).
39 Karl May: Ein Oelbrand. In: Das Neue Universum. 4 Bd. (1882/83), S. 1; Reprint in: Jb-KMG 1970, Hamburg 1970, S. 221-257 (221), und in: Winnetou's Tod. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1976, S. 13-180 (13)
40 Detailliert stelle ich dies dar in: Karl Mays Saint-Germain-Erzählung. Texte - Kommentare - Interpretation. Materialien zum Werk Karl Mays. Husum (in Vorbereitung).





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