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HANS-RÜDIGER SCHWAB


Karl Mays Atheisten



Das religiöse Gebiet in der menschlichen Seele gleicht dem Gebiete der Rothäute in Amerika, das, man mag es beklagen oder mißbilligen, soviel man will, von deren weißhäutigen Nachbarn von Jahr zu Jahr mehr eingeengt wird.
David Friedrich Strauß: Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntnis (1872)1


I.


Das 19. Jahrhundert ist ein Raum tiefgreifender Veränderungen in allen Bereichen: dem Technischen und Gesellschaftlichen, dem Politischen und Geistigen. Ein wichtiger Aspekt innerhalb dieser Gemengelage, obgleich zentraler Inhalt der zeitgenössischen Debatten, kommt in der Literaturgeschichtsschreibung dabei bis heute sonderbarerweise entschieden zu kurz. Ich meine die Abnahme der normativen Bindungskraft christlicher Religion im Sinne eines Schwunds von Transzendenz, während zugleich von ihr wahrgenommene Sinnstiftungs-Funktionen immer häufiger anderweitig abgedeckt werden: sei es nun mit Blick auf emotionale Stabilität oder Kontingenzbewältigung, auf Legitimation von Gemeinschaft oder Spiritualisierung des Kosmos, um nur einige davon zu nennen.

Die Bestreitung des Wahrheitsanspruchs traditionellen Glaubens war von der Mitte des 19. Jahrhunderts an in wachsendem Tempo zum Gemeinplatz einer liberalen Öffentlichkeit geworden, zu einem der Leitdiskurse des gebildeten Bürgertums, an dem zeitlich versetzt, dafür aber mit beträchtlicher Resonanz, die junge Arbeiterbewegung teilhatte. Lautstarke Bekenntnisse zum Atheismus findet man dort allenthalben, flankiert von den heftigen Klagen Andersdenkender über diese Entwicklung und Versuchen, ihr gegenzusteuern.

Die paradigmatisch am Christentum geübte Grundsatzkritik der Religion als Negation eines absoluten, personalen und transzendenten Gottesbegriffs ist d a s große weltanschauliche Thema der Epoche im Zersetzungsprozess des spekulativen Idealismus. Innerhalb dieses Spektrums entwickeln sich unterschiedliche Varianten, die sich oft berühren, teilweise aber auch durchaus konfliktär zueinander stehen können. In chronologischer Reihenfolge seien daher zunächst einige Wegmarken atheistischer Theoriebildung der sieben Jahrzehnte zwischen 1840 und 1910 aufgelistet und angegeben, wie groß deren Reichweite jeweils war:2



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· Am Anfang steht ›Das Wesen des Christentums‹ von Ludwig Feuerbach mit seiner These von ›Gott‹ als einer projektiven Hervorbringung des Menschen, einer Spiegelung von dessen eigener Unendlichkeit. 1841 erschienen, erreicht das Buch 1883 die vierte Auflage, bevor es anschließend in preisgünstigen Volksausgaben vertrieben wird.
· 1851 legt Arthur Schopenhauer seine ›Parerga und Paralipomena‹ vor, in deren zweitem Band, dem Kapitel ›Ueber Religion‹, eine schneidende Generalabrechnung mit dem Theismus (als schlimmstenfalls »einer Art partieller Gehirnlähmung«3) erfolgt. 1908 gehen sie in die achte Auflage, nicht gerechnet die seit 1874 veranstalteteten Werkausgaben - ganz abgesehen davon, dass der Philosoph als intellektuelle Identifikationsfigur des Bürgertums zahlreiche Multiplikatoren findet.
· 1855 kommen Ludwig Büchners ›Empirisch-naturphilosophische Studien. In allgemein-verständlicher Darstellung‹ mit dem Titel ›Kraft und Stoff‹ heraus, die durch aktuelle Ergänzungen im Lauf der Zeit nahezu auf das Doppelte anschwellen. 1904 in 21. Auflage greifbar, handelt es sich bei diesem Projekt materialistischer Volksaufklärung um eines der meistverbreiteten weltanschaulichen Bücher der Zeit, dessen Inhalte von seinem Verfasser zusätzlich in zahlreichen Broschüren popularisiert werden.
· 1859 erscheint Charles Darwins ›On The Origin of Species by Means of Natural Selection‹ (›Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl‹, in Deutschland 1876 in sechster Auflage), dem zwölf Jahre später ›The Descent of Man‹ (›Die Abstammung des Menschen‹) folgt, wo der englische Naturforscher selbst jene Konsequenzen formuliert, die andere aus seinem grundlegenden Werk schon vorher gezogen hatten. Dolf Sternberger zufolge kann »Darwins Lehre (...) ohne Übertreibung als die mächtigste, populärste und einflußreichste ideologische Neuerung des 19. Jahrhunderts« überhaupt bezeichnet werden.4 Die Deszendenztheorie stützt ein von jeglicher Metaphysik freies Kausalprinzip der Evolution. Während mit ihr die Frage nach dem Ursprung der Gattung Mensch rein innerweltlich beantwortet wird, vermag sie zugleich recht heterogene Phantasien über deren Weiterentwicklung freizusetzen.
· Die nächste Station ist Ernest Renans ›La Vie de Jésus‹ (›Das Leben Jesu‹), eine dogmenferne Darstellung, welche zumal das Jesusbild jener prägte, die sich von der Kirchenlehre bereits distanziert hatten. Im Jahr der Originalausgabe, 1863, liegt sie sogleich auf deutsch vor und wird 1908 in 100. Auflage vertrieben; ein Buch, das den Nazarener als edlen Idealisten und Gründer einer Herzensreligion der Menschlichkeit zeigt, übernatürliche Aspekte jedoch verneint und (teilweise gegen den Willen des Verfassers) zum Instrument freidenkerischer Kritik am Christentum wird.
· Ein Jahr nach der Reichsgründung, 1872, meldet sich David Friedrich Strauß (der schon 1835 mit seinem 1905 in 17. Auflage erscheinenden,



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· fundamentalkritisch die Historizität des christlichen Erlösers anzweifelnden ›Leben Jesu‹ zum Pionier der Entmythologisierung der neutestamentlichen Schriften geworden war),5 mit einer weiteren Schrift zu Wort: ›Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntnis‹ zu Wissenschaft, Kunst und Nation, die der Autor hier als postreligiöse Werte ausruft, womit er besonders im nationalliberalen Milieu durchschlagend erfolgreich ist (was die raschen Neuauflagen belegen: ihre fünfzehnte erscheint 1903).
· 1874 erregt Eduard von Hartmanns Buch ›Die Selbstzersetzung des Christentums und die Religion der Zukunft‹ Aufsehen (noch im gleichen Jahr in zweiter, 1888 in dritter Auflage), eine streitbare Verbindung von Weltimmanenz und lebensbejahendem Pessimismus, unter deren Vorzeichen er eine neue »Weltanschauung« befördern möchte.6
· Am 18. April 1877 stellt August Bebel in einer Reichstagsdebatte klar, dass er und seine Parteigenossen sich »auf einem ganz religionslosen, auf einem atheistisch-materialistischen Standpunkte« befänden.7 Diese Position der jungen Sozialdemokratie, in deren Diskurs die Religionskritik des Junghegelianismus, von Marx, Engels und Bakunin, ebenso eingespeist wird wie die des bürgerlichen Liberalismus, ist in einer Vielzahl von Broschüren und Zeitungsartikeln verbreitet.
· Friedrich Nietzsches radikale Ablehnung der Religion beginnt spätestens mit ›Also sprach Zarathustra‹ (1883/85). ›Der Antichrist‹, sein 1888 entstandener ›Fluch auf das Christenthum‹, ist erstmals 1895 greifbar, zu einer Zeit, als der Autor, im Jahrzehnt vor 1900, unaufhaltsam zur mannigfach gegenwärtigen Kultfigur aufsteigt.
· 1899 veröffentlicht Ernst Haeckel - als Abschluss jahrzehntelang zurückreichender Arbeiten seit seiner ›Natürlichen Schöpfungsgeschichte‹ (1868, elfte Auflage: 1911) - das Buch ›Die Welträtsel. Gemeinverständliche Studien über monistische Philosophie‹, in elfter Auflage 1919, flankiert durch zahlreiche Zusatzschriften (nicht zuletzt auch durch die von ihm betriebene Gründung des ›Deutschen Monistenbundes‹ 1906, einer der vielen freidenkerischen Organisationen seit 1873).8
· Schließlich kündigt 1907 der kurze Aufsatz von Sigmund Freud ›Zwangshandlungen und Religionsübungen‹ ein weiteres Argumentationsmodell der Kritik an, insofern hier »die Neurose als eine individuelle Religiosität« und »die Religion als eine universelle Zwangsneurose« diagnostiziert werden.9


Und damit sind nur die wichtigsten der Höhenkamm-Erscheinungen verzeichnet! Von Auguste Comtes ›Catéchisme positiviste‹ (1852) angefangen über Rudolf Virchow, John Stuart Mill oder Hippolyte Taine bis hin zu Emil Du Bois-Reymonds Agnostizismus könnten sie mühelos um viele weitere Namen und Spielarten des Argumentationsmusters ergänzt werden. Nicht



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zu vergessen die Verbreitung solcher Ideen durch die Literatur: im liberalen Volkskalender oder bei den Vertretern des bürgerlichen Realismus - um nur Berthold Auerbach und Theodor Storm, Gottfried Keller und Paul Heyse, Ferdinand von Saar und Felix Dahn herauszugreifen -, erst recht dann im programmatischen Naturalismus, der seit den 1880er Jahren auf spektakuläre Weise religionskritisches Gedankengut aufgreift.10 In jener Epoche ist es also ganz unmöglich, von der in sich ausdifferenzierten, mächtigen Strömung des Atheismus nicht berührt zu werden, die den Gottesglauben als unvereinbar mit dem Erkenntnisstand der Zeit verwirft - zumal sie auch den Gegenstand vehement geführter gesellschaftlicher Kontroversen bildet.

Hinzu kommt, dass die lebensweltlichen Dimensionen des sich beschleunigenden Wertewandels im Sinne der Säkularisierung beträchtlich sind, wie statistische Daten über den Rückgang von Gottesdienstbesuch, Taufen und kirchlichen Trauungen bestätigten. Sie reichen weit in die Bevölkerung hinein und werden als Massenphänomen wahrgenommen.11

Von institutioneller Seite erlebt man diesen Mentalitätswandel denn auch als fundamentale Bedrohung. Eine fortschreitende Erosion wird befürchtet. So heißt es etwa in dem beliebig herausgegriffenen Artikel einer christlichen Zeitschrift von 1874:


Was jedoch am meisten betrüben und beunruhigen muß, das ist eben die Ausbreitung des Unglaubens auf die unteren Klassen, während er in früheren Zeiten stets auf die oberen, gebildeten Stände beschränkt, das eigentliche Volk aber unberührt von ihm geblieben war. Und zwar ist es durchgehends (...) die radicale, die atheistische und materialistische Denkweise; (...) und daß das platte Land allgemach nachkommt, dafür wird schon durch eine massenhafte populäre Literatur hinlänglich gesorgt, durch Blätter wie die ›Gartenlaube‹ (...), die (...) schon bis in die entlegensten Dörfer vorgedrungen sind.12


Zugkräftige Lesestoffe stellen aus dieser Perspektive eine Hauptgefahr dar - mit dem gleichen Mittel sucht man daher der Bedrohung der Religiosität entgegenzuwirken.

So entfaltet sich am Ende des Jahrhunderts ein Panorama des Unglaubens in all seinen theoretischen und praktischen Formen: Umfassende atheistische Synthesen legen die Unhaltbarkeit der Religion dar und prognostizieren ihr baldiges Ende, in nahezu jeder Bevölkerungsgruppe geht die kirchliche Praxis zurück, teilweise aggressiv antireligiöse Bewegungen werben für ihre Ziele. Viele sind sich sicher, dass der Triumph des Atheismus irreversibel geworden ist. In seinen Erinnerungen (›Ein Zeitalter wird besichtigt‹) schreibt Heinrich Mann rückblickend über die geistige Situation um 1900: »Die Gottlosigkeit des gebildeten Bürgers und der arbeitenden Masse war zu selbstverständlich geworden. (...) die mittleren Intelligenzen (...) hatten (...) am Ausgang des Jahrhunderts für alle Metaphysik nur Mißachtung und Gelächter.«13 Freilich macht sich gegenläufig - die Formu-



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lierung verrät es - just zur gleichen Zeit ein Überdruss an diesem Befund bemerkbar, finden massive Erschütterungen jener »Selbstsicherheit des atheistischen Denkens«14 statt. ›Am Sterbelager des Jahrhunderts‹ stellt Ludwig Büchner, der Gründungsvorsitzende des ›Deutschen Freidenkerbunds‹ von 1881, resigniert fest, dass auch bei den »Kulturnationen (...) tausendjähriger Irrtum und Aberglauben mit einer Zähigkeit festgehalten werden, welche nichts besiegen zu können scheint«,15 ja in neuen Formen wie etwa »d o p p e l t e ( m ) B e w u ß t s e i n« oder »H y p n o t i s m u s mit S u g g e s t i o n s erscheinungen«16 aufträten, die nicht zuletzt einer »Flut antimaterialistischer Litteratur in den letzten Jahrzehnten« geschuldet seien.17



II.


Bei dem, worüber ich bis jetzt in gedrängter Ausführlichkeit sprach, handelt es sich um einen (in seiner Gewichtigkeit bisher nicht angemessen gewürdigten) Hintergrund der Texte Karl Mays, wo nicht gar um deren Voraussetzung. Was ich im Folgenden versuchen möchte, ist die darauf bezogene Kontextualisierung seines Schaffens, will heißen: eine Deutung aus dessen zeit- und mentalitätsgeschichtlicher Situation heraus. Dieses hermeneutische Prinzip erfordert methodisch den Verzicht auf die Zuhilfenahme psycho-biographischer Theorien, mit denen ein respektabler Teil der Forschung operiert, erst recht auf irgendwelche Aktualisierungen Mays, die ohnehin fragwürdig sind. Auch von Wertungen soll abgesehen werden, welche (wie unschwer nachzuweisen wäre) höchst unterschiedlich je nach der (a-)religiösen Gestimmtheit des Interpreten selbst ausfallen. Ziel ist vielmehr, am Beispiel einer grundlegenden Frage, des Hegemoniestreits zweier Deutungskulturen, für die Ergiebigkeit seiner Texte im Hinblick auf das Verständnis ihrer Epoche sowie ihre Prägung durch dieselbe zu sensibilisieren. Wann immer der Autor nämlich Religiöses zur Sprache bringt, wenn gar direkte Äußerungen zum Atheismus fallen oder entsprechend konnotierte Figuren auftreten, beteiligt er sich an dem großen (so Haeckel 1899) »Kampfe der Weltanschauungen«18 seiner Zeit, und dies (mit einer Anleihe aus der späten Polemik die eigene Kolportage betreffend), um programmatisch gegen die ›Vergiftung‹ (dieses fürchterliche Gift) der Seele unseres deutschen Volkes aufzutreten.19

Stets auf das Neue kommt er in seinen Werken auf das für ihn höchst unerfreuliche Bild zu sprechen, welches seine materielle Zeit, das ideals- und glaubenslose fin de siècle biete (Surehand III, S. 151; 1896). Die »gepriesene« westliche »Zivilisation«, sagt Fang, der gebildete Chinese in ›Und Friede auf Erden!‹ (Erstfassung ›Et in terra pax‹, 1901), sei mit ihrer »angebetene(n) Weltweisheit nicht weitergekommen ..., als nur zu der Behauptung, daß kein Gott die Welt regiere ...« (Friede, S. 172). Unter der Herrschaft des gelehrten ... Materialismus (Jenseits, S. 456; 1899) muss man (wie der sterbende Gam-



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busino in ›Am Rio de la Plata‹, Erstfassung 1889/90) allenthalben gewärtig sein, es mit ›Freigeistern‹ zu tun zu haben (»Sind Sie Freigeist oder gläubig?«; Plata, S. 236). »Wollen Sie Prophetin sein, Judith?« fragt der Schurke Harry Melton in ›Satan und Ischariot‹ (Erstfassung 1893/94; Satan II, S. 40): »Das ist ein schlechtes Geschäft, denn die jetzige Menschheit besitzt keinen Glauben.« Ja, »es giebt so viele Arten der Ungläubigen«, belehrt der Ich-Erzähler seinen Gefährten Old Surehand,


»daß man wohl zu unterscheiden hat. Der eine ist zu gleichgültig, der andere zu faul, der dritte zu stolz, nach Gott zu suchen; der vierte will sein eigener Herr sein und keinen Gebieter über sich haben; der fünfte glaubt nur an sich, der sechste nur an die Macht des Geldes, der siebente an das große Nichts, der achte an den Urstoff und der neunte, zehnte, elfte und die folgenden alle jeder an sein besonderes Steckenpferd.« (Surehand III, S. 466).


Selbst die Theologie gleiche augenblicklich fast ... einem Wetterhäuschen ..., aus dem ... bald der Glaube und bald der Unglaube vor die Türe tritt.20 Kurz: »Der Glaube ist weg. Das Gottvertrauen verschwand. (...) Es gibt keine Ewigkeit, keinen Himmel, keine Seligkeit mehr.«21 Dass derlei Überzeugungen fatalerweise unter den einfachen Leuten grassieren, bietet zur besonderen Sorge Anlass.

Angesichts dieser Situation verhält sich der Schriftsteller Karl May sehr anders als jene, deren »Gleichgültigkeit« der Münedschi in seiner Vision moniert: sie »sahen den Säemann der göttlichen Liebe über die Felder schreiten, und sie sahen, daß die Krähen des Unglaubens hinter ihm den Samen wegfraßen; sie sind unthätig nebenhergegangen ... .« (Jenseits, S. 326). Ich bin nun einmal ein gläubiger Christ, betont er im ›Nachwort zur 1. Auflage‹ von ›Winnetou III‹ (1893), und habe den unwiderstehlichen Drang, dies in meinen Werken nicht zu verheimlichen. ... bei den Strömungen grad der gegenwärtigen Zeit mit ihren ungläubigen, oder, was vielleicht noch schlimmer ist, ... indifferenten Büchern sei das für die Resonanz gar nicht gleichgültig (Winnetou III, S. 629). Ja, ihm liege so sehr am Herzen ..., soviel Menschen wie möglich an dem sonnigen Glücke teilnehmen zu lassen, welches ich meinem Glauben verdanke (Jenseits, S. 458). Mit unverhohlenem Stolz verweist May daher gern auf die zu Gott führende (und damit zugleich moralische, von den Betreibern atheistische(r) Tendenzen gefürchtete) Richtung seiner Texte.22

So in der autobiographischen Humoreske ›Freuden und Leiden eines Vielgelesenen‹ (1896): Er möchte seinen Lesern den unerschütterlichen Glauben an Gott23 geben, sei er selbst doch nichts als nur ein schwaches Werkzeug Gottes.24 Deshalb berührten ihn auch Zuschriften (a)m tiefsten ..., welche sich auf die - an erster Stelle - religiösen ... Wirkungen meiner einfachen Erzählungen beziehen.25 Einige davon, wie nämlich die Lektüre zum Glauben geführt habe, zitiert er gleich mit, mag es sich angesichts des



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bunt gemischten Rezipientenkreises nun um Studenten der Philosophie oder einen bösen Menschen handeln.26 Ähnlich im zweiten Band von ›Im Reiche des silbernen Löwen‹ (1898): Wenn aber ein Autor Zwecke verfolgt, wie die meinigen sind, Zwecke, welche sich auf den Glauben an Gott, auf den Sinn für alles Gute, Schöne und Edle beziehen, so giebt es für ihn Gedanken und Betrachtungen, die er ... nicht oft genug wiederholen kann. (Silberlöwe II, S. 453). Oder in der Selbstapologie ›»Karl May als Erzieher« und »Die Wahrheit über Karl May« oder Die Gegner Karl Mays in ihrem eigenen Lichte - von einem dankbaren May-Leser‹ (1902), wo er sich zumal auf die ›Erzgebirgischen Dorfgeschichten‹, ›»Weihnacht!«‹ und ›Am Jenseits‹ beruft: Wer noch nicht an Gott glaubt, der m u ß hier glauben lernen. Wer an der Gerechtigkeit der Vorsehung zweifelt, dem wird hier das freudigste Vertrauen kommen.27 Sein Selbstbild ist das eines spirituellen Arztes am Krankenbett der Zeit,28 welche zunehmend unter Gottvergessenheit leidet.

An Definitionen darüber, wie Mays religiöse Haltung im Detail aussieht,29 will ich mich nicht beteiligen; für mein Thema ist dies auch nicht sonderlich von Bedeutung. Behelfsmäßig könnte man sie als christlichen, in weiten Teilen katholisch grundierten, eklektizistisch angereicherten, ethisch und zunehmend evolutiv, ja chiliastisch ausgerichteten (Semi-)Gnostizismus bezeichnen (mit unterschiedlichen Akzenten in einzelnen Lebensphasen: mal tritt der eine, mal der andere Zug stärker hervor). Innerste Mitte jedoch bleibt ihre durchgehend theistische Orientierung, die Überzeugung von einem p e r s ö n l i c h e n G o t t ,30 auf den der g e w a l t i g e M e n s c h e n g e i s t und die Seele bezogen sind, welche keinesfalls als Zellengefangene im Nervenbrei des Gehirns stecken,31 wie eine materialistische Propaganda behaupte. Wenn er gegen Verabschiedungen dieses obersten Werts eintritt, handelt es sich um alles andere als Opportunismus. Wie wichtig er ihm ist, davon legen auch seine privaten Einlassungen Zeugnis ab.

... gesiegt hat die Sache meines lieben Herrgottes, für den ich schreibe, um ihm recht, recht viele Menschenherzen zuzuführen, äußert sich May, mit Bezug auf triumphale Reisen, über sein literarisches Selbstverständnis etwa im Brief an Emil Seyler vom 15. April 1898.32 Nahezu gleichlautend Friedrich Ernst Fehsenfeld gegenüber am 7. November des gleichen Jahres: Mein Zweck ist, meine Leser zu Gott zu führen und sie für alles Gute, Edle, Schöne und Erhabene zu begeistern.33 Oder an Marie Luise Fritsch, 8. November 1905: Mein höchstes Bestreben ist, der Menschheit das »versteinerte Gebet« zurückzugeben.34 Entsprechend sollen dem ›Silbernen Löwen III‹ (1902) zufolge seine Bücher Predigten der Gottes- und der Nächstenliebe sein (Silberlöwe III, S. 32; vgl. auch schon Surehand III, S. 308), und überhaupt wisse doch ... Jedermann, daß es keine einzige Karl May'sche Erzählung giebt, in der die Religion bei Seite geschoben ist!35 Am Ernst von des Autors mit einer gewissen Penetranz wiederholten Bekundungen, als religiöser Lehrer wirken zu wollen36 (und dieses Ziel mit einer Welt- wie Kunstanschauung zu verbinden, die er gerne ›idealistisch‹ nennt,37 wo nicht gar e n t s c h i e d e n



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c h r i s t l i c h 38), haben wir weniger zu zweifeln als an manch anderer seiner Äußerungen. In der Tat bestätigt das Werk sie als Glutkern seiner Wirkungsabsicht. Im späten Schaffen grundiert von der Idee, exemplarisch beglaubigter Repräsentant des Menschheitsschicksals zu sein, stellt er sein Schreiben in den Dienst eines Anliegens. Hieraus ergeben sich zugleich Strategien der Leserlenkung.

Unter dem gleichen Vorzeichen stehen kaum von ungefähr auch die Anfänge seiner organisierten Rezeption: So durfte im 1898 gegründeten Münchner ›Karl-May-Club‹ nur derjenige Mitglied werden, welcher »die christliche Weltanschauung des Herrn Dr. May« teilte.39 In einem Aufruf des ›Vorstands der Karl-May-Vereinigung‹ kurz nach seinem Tod wird er sinnigerweise als »Laienprediger« bezeichnet.40 Der katholische Literaturstreit mit (und um) May widerspricht dem keineswegs, da dort teils konfessionelle Dogmatik eingefordert, teils die Unangemessenheit seiner Mittel als religiöser Autor moniert wird, es also um rein binnenreligiöse Divergenzen geht.41 Seine Stellung innerhalb der zeitgenössischen Kontroverse über Gottesglauben und Atheismus scheint also ein unhintergehbarer Kontext zu sein, aus dem heraus May als Schriftsteller zwischen Reichsgründung und Erstem Weltkrieg verstanden werden muss.

Dem Bewusstsein der eigenen Sendung, seiner katechetisch-volkspädagogischen Absicht, entspricht die Konzeption der Helden bei ihm. Diese sind im tiefsten Sinne Heilsbringer. In ›Waldröschen oder Die Rächerjagd rund um die Erde‹ (1882-84) sagt der Schurke Gasparino Cortejo über sich: »... der Teufel ist mein Genosse; er ist oft mächtiger als dieser Gott, vor dem sich Tausende fürchten, ohne daß sie sagen können, daß er auch wirklich existirt.« (Waldröschen I, S. 201) Figuren wie er sind Störer der Weltordnung, die von den bestens dazu ausgestatteten Helden als Gottesbeweis wiederhergestellt werden muss.42 An ihrer Spitze steht natürlich die mit überirdischer Vollmacht auftretende Ich-Instanz: In ›Durchs wilde Kurdistan‹ (1881/82, Endfassung 1907) initiiert Marah Durimeh Kara Ben Nemsi zum Missionar einer »Religion der echten, wahren Menschlichkeit« (Kurdistan, S. 549; vgl. S. 531), die theistisch, ja christlich definiert ist und deswegen auch aktuell gefährdet: »Da fand ich, daß ein großer Gott das All regiert und daß ein lieber Vater alle bei der Hand hält ... . Aber viele sind abgefallen von ihm; sie lachen über ihn.« (Ebd., S. 544f.)

Zur Widerlegung eben jener ist Kara Ben Nemsi ein »Werkzeug Gottes« (ebd., S. 288), buchstäblich eine Lichtgestalt (vgl. ebd., S. 446). Und er bleibt es bis zum Alterswerk, wo er als Sonderbotschafter der Prophetin in die Dunkelwelt geschickt wird, mit dem Auftrag, dieser zu ihrem geistigen Aufstieg zu verhelfen, ihrer Heimkehr zu Gott. Im ›Kurdistan‹-Roman ruft ihm ein vornehmer Chaldäer eine Art messianische Akklamation zu: »Du bist ein Liebling Gottes, und auf deine Stimme müssen wir hören!« »Tut es, ihr Männer; das wird zu eurem Heile gereichen!« (Ebd., S. 522). Mehr noch als er (vgl. Silberlöwe I, S. 539; 1898) ist sein Westmann-Pendant Shatterhand



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Experte für die Beantwortung der Frage: »Giebt es einen Gott?«, die gelegentlich so direkt an ihn gerichtet wird. In der Anrede durch den sterbenden Old Wabble verbindet sie sich mit der Begründung: »Ihr seid ein gläubiger, ein frommer Mann« (Surehand III, S. 497; vgl. Surehand I, S. 408) - ganz, wie wenn ohne diese Disposition kompetente Auskunft darüber gar nicht erteilt werden könne. Als »eine Gottlosigkeit, welche ich fast nicht begreifen kann«, bezeichnet es Krüger-Bei, dass Thomas Melton Kara Ben Nemsi »einen Lügner« nennt (Satan II, S. 450). An ihm auch nur zu zweifeln kommt einem Sakrileg, einem Verbrechen gleich. In der ›Mahdi‹-Trilogie (Erstfassung 1891-93) schwärmt der gefangene Ssali Ben Aqil so von dem Deutschen: »die Liebe Gottes ist mit ihm, ... er allein ist der wahrhaft Gläubige« (Mahdi III, S. 518 - lebendes Exempel zugleich dafür, »daß Gott noch Wunder thue!«; ebd., S. 531; 1896). Das Erzähler-Ich straft nicht nur die Bösen, sondern setzt, durch fraglos göttliche »Fügung«43 in Krisenfällen erfolgreich zur Stelle, auch jene ins Unrecht, die den Allmächtigen verneinen. Gleiche Vollmacht gilt aber auch für die überlegenen Personen der Kolportageromane. Nachdem etwa Steinbach (im ersten Band von ›Deutsche Herzen, deutsche Helden‹, 1885) den Targi bezwungen hat, redet er Hiluja, die gefangene Schwester der Königin der Wüste, fast mit einer jesuanischen Formel an: »Dein Glaube hat dich nicht betrogen. Du bist frei.« (Herzen, S. 377; vgl. z. B. Mt 9, 22par; Lk 7, 50; 17, 19; 18, 42)

Tatsächlich gibt es in Mays Büchern keine scheiternde Religiosität, geschweige denn ein dauerhaftes Aushalten von Spannungen, wie es der modernen Gläubigkeit unaufhebbar eingeätzt ist. Notorisch lösen sie zeitweilige Irritationen vielmehr im Sinne jenes festen Glauben(s) an und ... ebenso felsenfeste(n) Vertrauen(s) zu Gott auf, von deren Bekenntnis sie durchzogen sind: Es giebt einen himmlischen Vater, der keines, keines seiner Kinder verläßt, der selbst in der tiefsten Wildnis, in der schauerlichsten Wüste, in der Abgeschiedenheit des fernsten Erdenwinkels bei dem von allen Menschen verlassenen Erdenpilger bleibt, wenn dieser die Hand der ewigen Liebe nicht von sich weist! (Mahdi III, S. 461).

In all seinen literarischen Genres reagiert May auf Infragestellungen theistischer Religiosität, und zwar nicht nur, indem er affirmativ über diese nachdenkt. Daneben ist sein Werk, schon vom ›Dukatenhof‹ (Erstfassung 1877) an, voll von Menschen, die entweder an Gott zweifeln oder denen er abhanden gekommen ist oder die seine Existenz verneinen. Als Funktionen des Glaubens werden positiv Glück (Jenseits, S. 458) und Halt (Weihnacht, S. 445; vgl. S. 505; 1897) beschworen, »Trost« und »innere(r) Friede« (Winnetou I, S. 130; 1893), die Erfüllung des Bedürfnisses nach Zusammenhang, sowie negativ die Abwehr der als bedrohlich empfundenen Skepsis der Moderne, ihres Autonomieanspruchs und Wissenschaftsverständnisses. Reflexiv wie in Personenzeichnung und Handlungsmuster herrscht ein Impuls der Belehrung vor. In hohem Maße, ja grundlegend, gibt sich May mithin als ein strategischer, ein Zweck- (wenn man so will: ein Tendenz-) Autor zu er-



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kennen. Sein Schaffen verdankt sich also keineswegs n u r dem Ausdruckszwang eines versehrten Menschen, der unablässig an seiner persönlichen Mytho-Biographie arbeitet! Jenseits aller Inhaltlichkeit, könnten die (an dieser Stelle leider nur knappen) Ausführungen zu seinem religiösen Bewusstsein den Blick gerade darauf lenken.

Drei kontroverse Felder der zeitgenössischen Religionsdebatte, an der May beteiligt ist, möchte ich herausgreifen: das Verständnis der Natur, die Frage nach der Theodizee oder einer gütigen Vorsehung Gottes und schließlich die politischen Implikationen des Bekenntnisses.44



III.


Beim nächtlichen Wüstenritt im ersten Band der ›Surehand‹-Trilogie behauptet Old Shatterhand zwar, dass sein Glaube »durch zahlreiche Prüfungen« (Surehand I, S. 408; 1894) und »Zweifel« (ebd., S. 407) gegangen sei, leider jedoch wird das über die kurze Reminiszenz hinaus nirgendwo Gegenstand der Erzählung selbst. Vielmehr tritt der Protagonist als jener felsenfest (Surehand III, S. 150) oder unerschütterlich (Surehand I, S. 408) seinem Gott Verpflichtete auf, welchem wir auch sonst in den ›Reiseerzählungen‹ begegnen. Was May selbst betrifft, ist es - gegen die Abrede in seiner späten Autobiographie, er habe je mit dem Zweifel oder gar mit dem Unglauben zu ringen gehabt45 - immerhin aus dem einen oder anderen seiner frühen Texte erschließbar, dass er, wie im Llano estacado angedeutet, tatsächlich nicht zu allen Zeiten religiös gefestigt war. (Ich erwähne dies nicht, um zu spekulieren, ob hierin der Grund zu einem später konfigural ausgetragenen Konflikt liegen könnte: Vielmehr reicht bereits der Befund, dass er zeitgenössische Infragestellungen des Glaubens rezipierte.)

Welche an der religionskritischen Debatte beteiligten Autoren und wie genau er sie gekannt hat, bleibt präzise freilich un-rekonstruierbar. Der Bestand von Mays hinterlassener Bibliothek besagt nichts über seine tatsächlich genutzten Quellen, da diese reiche Sammlung (in der etwa Nietzsche ganz prominent vertreten war) erst im Lauf der Jahre entstand. Am Anfang seines Schaffens war er, schon aus Kostengründen, auf öffentliche Büchereien angewiesen. Dazu kommt die mittlere und untere Diskursebene von Periodika, Kleinbroschüren und der regionalen Presse, nicht zu vergessen der persönliche Austausch. Illustrierte Unterhaltungs- und Familienblätter wie ›Daheim‹ oder die (wie schon erwähnt: christlicherseits zuweilen beargwöhnte) ›Gartenlaube‹ machten sich etwa durchaus die Popularisierung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zur Aufgabe.46 Im Zusammenhang mit »Darwin« erwähnt May einmal (1882) die Lektüre einer »Abhandlung«.47 Haeckel (dessen Bestseller er später für seine Bibliothek anschaffte) wird von ihm genannt,48 einige Wendungen legen die Ludwig-Büchner-Lektüre nahe,49 und auch für die Kenntnis religionskritischer Kollegen gibt



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es Anhaltspunkte (nicht zuletzt über die Bühne vermittelt).50 All dies sagt natürlich nichts darüber aus, wie intensiv May die jeweiligen Standpunkte begutachtet oder verstanden hatte.

Teilweise Faszination durch sie bezeugen jedenfalls einige Texte aus seiner schriftstellerischen Prähistorie, an erster Stelle das Fragment ›Ange et Diable‹ (wohl um 1870 entstanden), in dem Gott und Teufel als eine Personificirung des Menschenthums ausgegeben werden.51 Der personale, extramundane Gott sei eine überwundene Vorstellung aus der Kindheitsphase des aufgeklärte(n) Menschen.52 Wir sind nicht Ebenbilder Gottes, sondern Gott ist das Ideal des Menschen,53 welches er in sich selbst fühlt,54 heißt es mit unverkennbarem Echo auf die Feuerbach'sche Theorie vom »anthropologischen Wesen der Religion«,55 die hier wahrscheinlich durch Entlehnungen bei der schwarzen Romantik aus Frankreich und Italien verstärkt wird, wie sie Mario Praz beschrieben hat.56 Außerdem gilt dem Verfasser ein von Christus vollbrachtes Heilswerk als Ding der Unmöglichkeit. Was die Inkarnation betrifft, witzelt er sogar über einen Gott, der sich durch den intimen Umgang mit der Braut eines Andern um sein ganzes moralisches Renommé bringt ...57

Nun wurde dieser Text von May nie veröffentlicht. Einige Jahre später, zu Beginn seiner eigentlichen Autorschaft, lässt sich jedoch immer noch ein gewisser Nonkonformismus dingfest machen. Dieser betrifft weiterhin die Person des Erlösers. In seinen Beiträgen zum ›Buch der Liebe‹ bei Münchmeyer (1876), wo dessen Mitarbeiter im Sinne der fortschreitenden Aufklärung ... vorurtheilsfrei58 von den Finsterlingen gleichen Abstand zu halten bestrebt sind wie von den Freidenkenden,59 lässt er das Christentum auf den Mythus der Gottessohnschaft zurückgehen, den man schon früher bei anderen, primitiven Völkern finde.60 Im Beitrag ›Blumen deutscher Kirchenlieder‹ aus ›Schacht und Hütte‹ (1875) wird Christus als Weiseste(r) der Lehrer bezeichnet.61 Den ›Geographischen Predigten‹ zufolge ist er (einigermaßen raunend) der viel Verkannte und Mißverstandene.62 Einflüsse der wie auch immer vermittelten Strauß- und vor allem Renan-Kenntnis sind denkbar, angesichts solcher Formulierungen wahrscheinlich kaum von der Hand zu weisen: dieser Eine wird von Tausenden verspottet und von Millionen vergöttert, weil die Einen ihn gar nicht und die Anderen ihn nur halb verstanden.63 Als der Letzte und Größeste der Propheten sei er doch immerhin gottähnlichste(r) der Menschen.64 Mit derlei befinden wir uns indes noch weit entfernt vom Heiland und historischen Wundertäter, der später den Zweiflern zum vertrauensvollen Gebet anempfohlen wird.65

Eine Art rationalistische Theologie prägt diese beiden Veröffentlichungen, mit unverhohlen kritischer Absicht zuweilen: dort etwa, wo May im ›Buch der Liebe‹ tadelt, das religiöse Gefühl wolle sich immunisieren gegen (man findet den Satz nahezu identisch bei Eduard von Hartmann!) eine historische Kritik seiner geschichtlichen Voraussetzungen und die philosophische Kritik seines übersinnlichen Vorstellungskreises66 - womit er übrigens



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fast genau eine Prämisse umreißt, unter der er selbst zur gleichen Zeit als Erzähler beginnt. Um eine Art wissenschaftlich gereinigten Glauben ist es ihm hier zu tun (universal ausgerichtet und in Uebereinstimmung mit den Vernunftgesetzen67), der aber nicht so weit geht, die Vorstellung eines persönlichen Gottes pantheistisch zu verabschieden (wie dies einer unserer scharfsinnigsten Forscher tue, gemeint ist wahrscheinlich Humboldt oder Haeckel),68 ihn zu leugnen (wie er hier schon sagt), ab(zu)setz(en) oder an dessen Stelle irgendeinen Stoff, eine Kraft, ein Gesetz zu stellen69 (was natürlich auf Ludwig Büchner anspielt).

Aus dem bis zur Jahrhundertmitte durchaus üblichen Geist einer religiösen Unterfütterung des wissenschaftlichen Fortschritts70 wird die Natur in den ›Geographischen Predigten‹ (die May nicht ohne Grund im Alter als Programmschrift seiner gesamten Arbeit angesehen wissen wollte71) als durch eine unfehlbare ... Logik sinnvoll geordnet und allenthalben vom weisen Willen des Schöpfers zeugend verstanden, von dessen allwaltende(r) Gerechtigkeit und unendliche(r) Liebe sie künde.72 Ja, im Buche der Natur, heißt es ausdrücklich, werde der Beweis [!] vom Dasein eines allmächtigen und allliebenden Gottes geführt.73 Dieser enthusiastisch beschriebene, auf Höherentwicklung des Menschen angelegte Schöpfungsplan aber verdankt sich gerade dem alten teleologischen Verständnis der Natur, für das aus der Zweckmäßigkeit der biologischen Welt, dem harmonischen Zusammenwirken aller ihrer Teile zu einem sinnvollen Ganzen, eben zugleich die Existenz Gottes hervorging: ein Denken, von dem sich die moderne Naturwissenschaft (unter heftigen Kämpfen mit den überkommenen Autoritäten) seit Mitte des 19. Jahrhunderts freizumachen begann und deren Überzeugungskraft rapide schwand.74 (Einen recht bekannten literarischen Reflex, der auf die Zählebigkeit der alten Vorstellungen verweist, bietet übrigens die Satire Wilhelm Buschs auf den beim »Portwein« hexametrisch »die hohe / Weisheit der Mutter Natur« rühmenden Professor Klöhn in ›Fipps der Affe‹;75 1879.) Hinzu kommt, dass diese natürliche Theologie wesentlich Anwältin des Optimismus war, welcher in der Philosophie der Zeit unter Verweis auf die Evidenz des Bösen, des Schmerzes, des Elends zunehmend abgelehnt wurde.

Bei May hingegen kommt mit dem traditionellen teleologischen Verständnis zugleich eine naturwüchsige Gottesbezogenheit zur Geltung: ein Band ... zwischen Schöpfer und Creatur, dessen Knoten tief im Innersten des Menschen geschlungen ist, und welches nie zerreißt, selbst dann nicht, wenn das schwache Geschöpf seinen allmächtigen Erzeuger verleugnet.76 Dieser Wortwahl zufolge ist der Atheismus eine Abweichung von der humanen Norm. Ihm kann daher zwangsläufig nur entweder ein intellektueller, seelischer oder gar moralischer Defekt zugrunde liegen. Nicht anders verhält es sich tatsächlich nach des Autors Überzeugung77 wie bei seinen Figuren. Und entsprechend wurde schon seit dem Vormärz bis an das Jahrhundertende in zahlreichen religiösen Volksschriften argumentiert. Um dafür nur ein Bei-



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spiel zu geben, erscheint 1889 die Broschüre eines Prof. Dr. Otto mit dem Titel ›Nie ist Einer im Ernste Atheist oder Gottesleugner gewesen‹. Der katholische Priester geht hier vom »natürlichen anerschaffenen Gottesbewußtsein« aus und folgert:78 »Der Kampf« dagegen »in der menschlichen Seele muß also notwendig ganz erfolglos sein«, weil dieses sich nicht »verbannen« lässt.79 So stehe fest, »daß es einen wirklichen Gottesleugner thatsächlich nicht geben kann, daß aber allerdings eine Abschwächung, Verdunkelung und Trübung des eigentlichen Gottesbewußtseins bei Manchen stattfinden kann und bei Vielen stattgefunden haben wird (...)«.80

Der Begriff des ›Gottesleugners‹, den wir von May her schon kennen: seine Verwendung ist für den geistigen Ort des Schriftstellers höchst aufschlussreich. Gottfried Keller war es, der früh (1852, in seiner Auseinandersetzung mit Jeremias Gotthelf) auf das Tendenziöse, ja Ideologische jener Denkform aufmerksam machte, die mit dem »unsinnige(n) und boshafte(n) Wort ›Gottesleugner‹« aus dem »Munde der Pfaffen« einhergehe. »Lügen«, schreibt er, »heißt gegen seine Überzeugung von der Wahrheit einer Sache aussagen, Gottleugnen also, Gott innerlich voraussetzen und äußerlich leugnen, daher der widerliche Klang des schlau erfundenen Worts«.81 Eine solcherart gestrickte Unterstellung werde gegen die Religionskritiker ins Feld geführt: sie seien, wenn nicht verwirrte und heilungsbedürftige, so in jedem Falle schlechte Menschen, da sie wider besseres Wissen die Existenz Gottes bestritten. Genau dies aber bleibt der konstitutive Deutungshorizont Karl Mays, der mit Bedacht ständig von ›Gottesleugnern‹ spricht.82

Von der christlichen Tradition grenzte sich das religionskritische Denken zunächst aufgrund von dessen Widerspruch zum neuzeitlichen Vernunftprinzip ab. Angesichts der sich seiner Dynamik verdankenden Erkenntnisse schienen die kirchlichen Lehrinhalte nicht mehr bestehen zu können. Mit dem Siegeszug von Naturwissenschaften und Technik, die im Jahrhundert der Industrialisierung endgültig für die Lebenswelt breiter Bevölkerungsschichten bestimmend wurden, verfestigte sich in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend ein Gegensatz von (altem) Glauben und (neuem) Wissen, ein Antagonismus von im Irrealen befangener Religion und realitätsverändernder gesellschaftlicher Rationalität.

Zum Synonym für die moderne Wissenschaft schlechthin und eine darauf gründende Weltanschauung des naturgesetzlichen Fortschritts wurde der Darwinismus.83 Ironie ihm gegenüber macht May schon in einem Vers aus ›Schacht und Hütte‹ (1875) geltend,84 dann in ›Die Both Shatters‹ (1882)85 und möglicherweise auch in der ›Sklavenkarawane‹ (1889/90).86 Gegenläufig dazu findet interessanterweise gar nicht so selten das Einverständnis mit Kategorien der Durchsetzung in den Daseinskämpfen statt: Als der künftige Mahdi fragt, »mit welchem Rechte« er von dem Ich-Erzähler festgehalten werde, antwortet dieser: »Mit dem Rechte des Stärkern.« (Mahdi II, S. 112) Welches bei ihm natürlich immer das Recht dessen ist, der moralisch höher steht. Auch dem Scheik Amr el Makaschef gegenüber, der die Bastonade



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erhalten soll, beruft er sich darauf (vgl. ebd., S. 425). Ganz zu schweigen von der sozialdarwinistisch anmutenden Ausrottung des menschlichen »Ungeziefer(s)« (Herzen III, S. 1488), für die der Gemütsmensch Sam Barth sich in ›Deutsche Herzen, deutsche Helden‹ stark macht:87 »Sehe ich irgendwo ein giftiges Kraut wachsen, so reiße ich es aus und denke nicht daran, daß es auch geschaffen worden ist.« (Ebd., S. 1338; freilich findet Sam den Widerspruch seiner Begleiterin)88

Ein Zeitungsartikel Mays aus der Kur in Bad Salzbrunn 1907 (›Theater‹) fordert zwar den Ernst der Kunst, um erläuternd hinzuzufügen, man solle aber nicht das Häckel'sche Welträtsel über die Bibel und einen Dreyer'schen Probekandidaten über den Herrgott setzen.89 Hauptperson von Max Dreyers seinerzeit vielgespieltem Drama ist ein junger Biologielehrer, der entlassen wird, weil er sich weigert, gegen seine Einsicht zu handeln, und daher im Unterricht die Darwinsche Theorie vermittelt, statt sie »als (...) für die Gottentfremdung unserer Zeit (...) charakteristische (...) Irrlehre« zu brandmarken.90 Just wie die Autoritäten in dem Stück von 1899 dringt May auf die innerlichen Wohltaten des Glaubens, des Gottvertrauens ...:91 bringen Sie uns anstatt des Zweifels den Glauben, anstatt der düsteren Verneinung die beglückende Bejahung.92 Dem krankhaft(en) Naturalismus, der von der atheistischen Naturwissenschaft inspiriert ist, wird so eine reine, edle Welt- und Lebensanschauung als Quelle der Kunst entgegengesetzt:93 Der Schriftsteller, wie May ihn sich wünscht, hat die Aufgabe eines Agenten religiöser Bestätigung zu übernehmen.

Von besonderem Interesse für sein eigenes, wesentlich spirituell getöntes Bild der Natur ist die zur Ergänzung der Buchausgabe von ›Im Lande des Mahdi III‹ 1895/96 entstandene, in sich geschlossene Erzählung ›Thut wohl Denen, die Euch hassen!‹, deren Titel aus der lukanischen Feldrede (Lk 6, 27) zitiert. Im kontroverstheologischen Sinne erweist sich hier durch Kara Ben Nemsi die Überlegenheit des christlichen Gottes noch in einer Situation wider alle Hoffnung und Vernunft.

Nicht umsonst ist gerade in diesen (von der Forschung völlig vernachlässigten) Text eine für das Thema ›Atheismus‹ bei May zentrale Passage eingelassen, eine Naturmeditation mit metaphysischem Verweischarakter,94 als Gegenmodell zum Verfahren der empirischen Wissenschaft. Es beginnt damit, dass die Erfahrung der Nacht beim Ich-Erzähler das emphatisch beschriebene Gefühl der Gottesnähe freisetzt, dessen Untrüglichkeit sich authentisch mitteilen soll: die mit allen Fasern und Fibern empfundene Gegenwart dessen, welcher die allerhöchste Macht und zugleich die allerhöchste Liebe ist, das seligmachende Durchdrungensein von der Ueberzeugung, daß eine unendliche und allbarmherzige Weisheit mich an Ort und Stelle geleitet hat und mich auch weiter führen wird. (Mahdi III, S. 348f.) Mit einem von der Physikotheologie des frühen 18. Jahrhunderts gern gebrauchten Bild der Unsterblichkeit wird der Mensch davon in völliger Abhängigkeit gesehen, die zu akzeptieren seinem eigenen Interesse entsprechen müsste:



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Wie die winzige Puppe eines kleinen Falters, zu dem sie sich entwickeln soll, auf der Fläche einer geöffneten Gigantenfaust, so liegt der Mensch mit Leib und Seele, mit allem seinem Denken und Fühlen, mit all seinem Hoffen, Harren und Zagen in der allgewaltigen Hand Gottes, die ihn nicht zerdrücken, sondern zum irdischen Glücke führen [!] und dann zur Seligkeit des Himmels leiten will. (Ebd., S. 349)


Hierbei handelt es sich erkennbar um die Fortschreibung jenes aufgeklärten Theismus aus Mays schriftstellerischer Frühzeit, der sich von der Warte seiner fraglosen Wahrheiten gegen eine zeitgenössische Praxis wendet, die im Sinne der beabsichtigten Leserlenkung angesichts des qualitativen Abstands zwischen Mensch und Gott nurmehr als lächerliche Vermessenheit angeprangert werden kann. Konkret zielt sie auf die positivistische Naturforschung ab, deren Erkenntnisse - am Beispiel derjenigen der Astrophysik vom »periodischen Wechsel der verschiedenen kosmogenetischen Zustände (...) im Universum«95 - kurzerhand zur puren Fiktion erklärt werden, womit May einen von dort an die Adresse der Religion gerichteten Vorwurf gegen dessen Urheber umkehrt:


Und - sollte man es für möglich halten - dieses Würmlein wagt es, an dem Dasein dieses Giganten zu zweifeln, dessen Faust es mühelos zermalmen kann. Dieses Würmlein will die Erde und den Himmel meistern, will die ewigen Gesetze des Herrn der Welten kritisieren, will seine Tempel zerstören und seine Altäre niederreißen, will sich selbst zum ersten und letzten Endzweck der Schöpfung ernennen und Atome und Molekule erfinden [!], um aus ihnen Sonnen- und Sternenbälle zu formen, die nur dazu entstanden seien, sich wieder in ihr Nichts aufzulösen! (Ebd.)


Natürlich setzt der Autor hier etwas voraus - die Existenz Gottes -, ohne es stringent zu begründen, und entzieht von dieser Grundlage aus der naturwissenschaftlichen Infragestellung des vermeintlich Evidenten, welche sich für die Beschränktheit des Menschen nicht schicke, jede Legitimität. Was beabsichtigt wird, ist die Überwältigung des Lesers durch eine Affektstrategie.

Auch in der Folge argumentiert er rein suggestiv, nämlich mit den psychologischen Beruhigungen der Religion, wobei ein möglicher Zusammenhang zwischen Bedürfnis und Projektion völlig außer Betracht bleibt:


Wie anders, wie so ganz anders steht es da um ein Herz, welches in dem festen, unerschütterlichen Glauben schlägt, daß es in des Vaters Liebe ruhe und sich von seiner weisen Güte leiten lassen müsse, auch wenn es seine Absicht nicht erkennt. Wie unsagbar wohl [!] lebt man, während ringsum die Stürme toben, im warmen, stillen [!] Gottvertrauen, welches sich durch keinen Zweifel stören und durch keine noch so subtile Hyperkritik irre machen läßt. (Ebd.)


Was folgt, ist eine pure Schutzbehauptung, die einen Kampfbegriff der populären Religionskritik mit rhetorischem Pathos zurückweist: Das ist keine



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gedankenlose oder denkfaule Hingabe an das Großmutter- und Kindermärchen vom »lieben Gott, der alles sieht«, sondern ein selbstbewußtes und selbstgewolltes und deshalb um so beglückenderes Aufgehen in einem ebenso allgütigen wie unerschütterlichen höhern Willen, gegen den kein Sträuben hilft. (Ebd., S. 349f.) Wohl dem Menschen, hatte May schon in ›Durch das Land der Skipetaren‹, 1887, geschrieben, welcher dann erkennt, daß er zwar selbstbestimmend auf sein Schicksal einzuwirken vermag, daß aber doch eine mächtigere Hand ihn immer hält und leitet, selbst dann, wenn er diese Hand von sich zu stoßen vermeint! (Skipetaren, S. 81).

Der freiwillige Verzicht auf eine letztgültig handlungsleitende, autonome Vernunft ist es also, die angemahnt wird, gestützt durch unterschwellige Drohungen für den Fall, dass man doch nicht vom falschen Weg der Selbstbestimmung lassen wolle:


Wer da meint, widerstehen zu können, dem wird und muß die Erkenntnis seines Irrtumes kommen, wenn nicht noch im letzten, schwersten Augenblicke seines Lebens, so doch ganz sicher im ersten Augenblicke nach der Stunde, die wir so falscher Weise die Todesstunde nennen. Die Menschenseele besteht nicht aus Atomen, welche, wenn die Begräbnisglocken nicht mehr klingen, in dem von den Leugnern erfundenen großen Nihil zerstäubend untergehen, und wird, sobald sie ihr irdisches Haus verlassen hat, dem ewigen Richter Rechenschaft ablegen müssen über jeden Schritt des Weges, den sie von ihrem Erwachen zum Bewußtsein an bis zur Befreiung von ihrer körperlichen Hülle zurücklegte. Das ist eine Gewißheit [!], die Grausen erregen müßte, wenn es nicht ebenso gewiß [!] wäre, daß zwar die ewige Gerechtigkeit die Untersuchung führen und das Urteil sprechen, aber dann die göttliche Barmherzigkeit das Recht der Begnadigung besitzen und an dem Reuigen ausüben wird. (Mahdi III, S. 350)


Auskunft darüber, woher er seine Gewißheit bezieht, bleibt der Ich-Erzähler schuldig. Weitaus wichtiger ist für ihn, dass er damit eine Semantik zu besetzen vermag, die sonst von der ›gemeinverständlich‹ unter das Volk gebrachten, atheistischen Naturforschung in Beschlag genommen wird.

Diese letztlich als Direktive auftretende Apologie des Gottesglaubens steht in engem Zusammenhang mit langen, teilweise religiös getönten Reflexionen über die Gefahren des Alkoholismus, der soziales Elend verursacht (ebd., S. 274ff., 541), und Willensfreiheit, wobei der Determinismus im Gewand der Kismet-Lehre kritisiert wird. »Ein jeder«, lässt (wie ein vorzeitiger Fuhrmann Henschel aus dem Orient) der Sklavenjäger Ben Kawasi schon im ersten Teil der Trilogie das Thema anklingen, »wandelt den Weg, welcher ihm vorgezeichnet ist, und keiner kann anders, als ihm beschieden ist. Darum trifft keinen Menschen eine Schuld.« Eine Maxime, die dem Ich-Erzähler entschieden missfällt: »Das ist eine sehr billige Beruhigung ...« (Mahdi I, S. 607) - wobei ihm seinerseits später nur in gewundenen Passagen möglich ist, Vorsehung und Willensfreiheit zusammen zu denken (vgl. Mahdi III, S. 334f.). Angesichts dieser Verbindung von Themen mit aktuellem li-



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terarischen Signalcharakter ist es durchaus nicht unplausibel, dass May hier eine geheime Widerlegung des Naturalismus (und dessen theoretischen Unterbaus) im Blick hat. Dazu passen auch die eingestreuten Darwin-Assoziationen (Suchen nach Beute, Raub und Fraß überall!, ebd., S. 351) und das Motiv vom Schweiß der Armen, der auch zum Himmel schreit wie Abels Blut (ebd., S. 352).

Den Geltungsanspruch der Vernunft weist May im Zusammenhang mit dem transzendierenden Zeichencharakter der Natur auch sonst in seine Grenzen, was freilich nie ohne Aporien abgeht. In ›Am Jenseits‹ etwa - dem nach eigener Einschätzung seit langer Zeit kräftigsten Schlag in das Gesicht des Unglaubens96 - betreibt er eine massive Wissenschaftskritik, deren Heftigkeit an polemischer Energie sich nicht von jener unterscheidet, mit der innerhalb des religionskritischen Diskurses gegen die noch im theistischen Glauben Befangenen vom Leder gezogen wurde. Die Wissenschaft (oder vielmehr nur sogenannte Wissenschaft; Jenseits, S. 134), die »kleine« (ebd., S. 305) und »beschränkte« (ebd., S. 302), »arme« und »blinde« (ebd., S. 237), die »irdische« (ebd., S. 302) eben - gemeint sind damit Erkenntnisse der empirischen Rationalität: das, wie es abschätzig heißt, was man etwa chemisch begutächteln (ebd., S. 134) kann -, die »nur immer mit Stoff und Kraft [!] zu thun« (ebd., S. 305) hat, auf materialistisch blinden Wissensdünkel hinausläuft, der unstatthaft »darüber zu Gericht« sitze, »ob es einen Gott giebt oder nicht«97 (ebd., S. 237): diese (Pseudo-)Wissenschaft also liefert der fulminanten Vision des blinden Münedschi zufolge nur »das Material zu einer Mauer der Einbildung und Ueberhebung, mit welcher ihr euch umgeben und eingeschlossen habt«98 (ebd., S. 305), da sie »von Gott einen ausführlichen Urkundenbeweis« (ebd., S. 307) verlange, den sich der Seher verbittet (und ihn gleich noch einer moralischen Verdächtigung unterzieht). Hingegen halte man die »Augen des Glaubens ... geschlossen« (ebd., S. 302), weshalb man auch nicht zu einer »h i m m l i s c h e n «, einer Erkenntnis des »Jenseits« gelange (ebd., S. 304), welche eben »nur« über den weithin verschwundenen »Glaube(n)« zu erlangen ist (ebd., S. 305; vgl. S. 308ff.), der seinerseits die mystische unio zur Bedingung hat, »auf der innigsten Vereinigung des Glaubenden mit dem Gegenstande des Glaubens beruht« (ebd., S. 306). Und natürlich wird der Vernunft vorgeworfen, voller »Stolz« und damit liebesunfähig zu sein (ebd., S. 305). Letztlich aber heißt das: »Die Menschen haben verlernt, zu gehorchen; sie wollen alle befehlen.« (Ebd., S. 321) Emanzipation - die Grundlage modernen Selbstbewusstseins - wird also ausdrücklich verneint, da sie nichts weiter als »Auflehnung gegen göttliche ... Gesetze« (ebd., S. 320f.) sei, »Revolution« (ebd., S. 321),99 wie sich ganz aktuell ja zeige: teils in »immer weiter greifender Gärung«, teils »in offener, gewaltthätiger Angriffsweise« (ebd., S. 321). Auch eine Drohung gegen diese »Abgötterei« fehlt wieder nicht: Allah werde sie »strenger bestrafen ... als den unverschuldeten Irrtum der Heiden, welche nur deshalb Götzen verehrten, weil sie keine Offenbarung hatten!« (Ebd., S. 238).



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In Frontstellung gegen jene öffentlich agitierende Areligiosität, die oft in militante Antireligiosität umschlug, gegen das Fortschrittspathos einer transzendenzfreien Moderne, für die theistische Religion wissenschaftlich obsolet ist (und auch lebenspraktisch überwunden werden muss), bringt May kein Verständnis dafür auf, dass es sich bei dem, was er mit einer Häufung pejorativer Attribute versieht, nicht schlechthin um Größenwahn oder Reduktionismus, sondern, fern jeder triumphalistischen Geste, vielleicht nur um einen Akt intellektueller Redlichkeit handeln könnte, deren Vorgaben ein verantwortbarer Glaube ernsthaft zu bedenken hat. Das unterscheidet ihn auch deutlich von methodenkritischen Wissenschaftlern wie etwa dem Physiologen Emil Du Bois-Reymond in seiner aufsehenerregenden ›Ignorabimus‹-Rede von 1873, die die Grenzen des analytischen Instrumentariums sehr wohl einräumten, ohne deshalb gleich von einem ›Jenseits‹ dieser Grenzen als feststehender Wirklichkeit auszugehen.100

Die himmlischen Offenbarungen aber, von denen man in der Schöpfung umgeben sei,101 von lauter Wundern Gottes, welche er für unbezweifelbar hält - der Gottesleugner mag mir das bestreiten; ich beklage ihn (Skipetaren, S. 480) -, sind (hier verstrickt sich May in einen sehr zeittypischen Widerspruch) ihrerseits rational stützbar. Aus seiner Optik gibt es (ein Postulat, das der Münedschi übrigens verwirft: Jenseits, S. 307) sichere »Beweise [!] eines ewigen Lebens« (Jenseits, S. 96), die eben nur nicht anerkannt werden, Beweise eines von der göttlichen Weisheit vorgeschriebenen und unendlich logischen Zusammenhanges der unsichtbaren mit der sichtbaren Welt (ebd., S. 456).102 Wer aber, so der Ich-Erzähler, gelernt hat, zu sehen, der kann in seinem Leben (noch einmal:) Beweis um Beweis [!] finden (ebd., S. 458) für die Spuren Gottes im Medium der eigenen Seele. Es kennzeichnet das angesichts der Entzauberung der Welt wachsende Bedürfnis nach ›Ganzheit‹ in der Umbruchsphase des Fin de Siècle, jener »Heilssuche im Industriezeitalter« (welche Anne Harrington oder Ulrich Linse untersucht haben103), dass die Zurückweisung des radikalaufklärerischen Anspruchs der modernen Wissenschaft sprachlich selbst nicht ohne deren Kriterien auskommt. Dies ist bei vielen der religionsähnlichen Bewegungen zu beobachten - vom Vegetariertum über den Okkultismus bis hin zu diversen utopischen Lebensstilen und dem verbreiteten Interesse an allem, was ›Mystik‹ genannt werden konnte -: mit dem gemeinsamen Ziel, das in den Mühlen des Positivismus zerriebene Individuum an eine übergeordnete Einheit rückzubinden und ihm so wieder zu seinem ›höheren‹ oder ›eigentlichen‹ Selbst zu verhelfen (wie immer das erkenntnistheoretisch überzeugend rechtfertigbar sein mag). In diese Strömung münden die Ausprägungen von Mays theistischer Naturteleologie ein.



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IV.


»Warum duldet Gott, daß der Unglaube an ihn oder seine Existenz von Tag zu Tag größer wird (...)?«104 So etwa konnte man im zeitgeschichtlichen Kontext ein altes Thema variieren, je nachdem herausfordernd oder angefochten: »Warum läßt er die Gerechten leiden und die Ungerechten in Hoffarth und Wollust sich blähen?«105 Und natürlich durfte der Hinweis nicht fehlen auf »die vielen Mängel, Schmerzen und Unzulänglichkeiten des irdischen Daseins, welche unvereinbar sind mit dem Glauben an eine gütige liebevolle Allmacht, durch welche die Schicksale der Menschen bestimmt werden«.106 Fragen wie diese zielen auf die klassische Theodizee-Problematik der Rechtfertigung Gottes angesichts von Sinnwidrigkeit und Elend in der Welt. Vor dem Hintergrund der Entwicklung des modernen Geistes wächst ihr eine ganz neue Virulenz zu. Geistliche und Theologen beider Konfessionen beobachten besorgt die im Vergleich zu ihren (wie Engelbert Lorenz Fischer 1883 schreibt) »Analoga in der Vorzeit« wachsende Reichweite und »Destructivität«.107 Deshalb, so sein protestantischer Amtsbruder Wilhelm Schmidt 1887, sei die positive Auseinandersetzung damit (»im ›Zeitalter des Darwinismus‹«) »unabweisliche Pflicht« einer »christlichen Apologetik«, die der »Erkrankung unseres Volkslebens« wehren müsse.108

Als unverschuldet empfundenes Leid führt auch in Mays Werk zum Zweifel oder Glaubensabfall. Besonders Old Surehand oder der Bimbaschi Dozorca (im ersten Band des ›Silberlöwen‹), indirekt auch Hiller (Weihnacht, S. 258; 1897), werfen angesichts ihrer persönlichen Erfahrungen die Theodizeefrage auf: »Ein Gott, der die Liebe, die Güte, die Gerechtigkeit ist, kann das nicht zugeben; wenn es trotzdem geschieht, so giebt es keinen Gott.« (Surehand I, S. 410) Beziehungsweise: »Ich kann mir keinen Gott denken, der die ewige Weisheit und Liebe ist und doch den Menschen, sein Geschöpf, sein Kind, in das Elend sinken läßt.« (Silberlöwe I, S. 542) »Warum fallen wir, ohne zu wissen, warum, ohne schuld zu sein? Warum bleiben tausend andere stehen, ohne es zu verdienen? Warum nimmt er dem Braven alles, alles, ... und dem Verdienstlosen giebt er fort und immerfort ...?« (Ebd., S. 540) Die Zurückweisung dieser »Anklage« (ebd., S. 539), zunächst in einer Didaxe über die menschliche Unzulänglichkeit109 mit Blick auf die »wunderbare(n)« »Wege des Herrn« (Weihnacht, S. 258), dann vor allem als in die Lebensverhältnisse eingreifendes Korrektiv, durch dessen Handeln sich alles wieder zum Besten fügt, ist eine Spezialität Old Shatterhands wie Kara Ben Nemsis. Einbezogen findet man darin auch jene Spielart des Agnostizismus, der Gott zwar »nicht ganz« verwirft, doch (wie der Perser mit dem Bulldoggengesicht in ›Abdahn Effendi‹, 1908) behauptet, »daß er viel zu hoch steht, als daß er sich um uns bekümmern kann«.110 Herausfordernd »verlangen« er und sein türkisches Pendant (ein bewusster »Frevel«, vor dessen - selbstredend eintretender - Bestrafung (»Strafe«) sie sich nicht »fürchten«) den Beweis, dass Gott »wirklich existiert und daß seine Ohren offen stehen, zu



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hören, was man betet.« Erst »(w)enn er das tut«, so der Perser, wenn er sich als reagierend Handelnder erweist, »werde ich an ihn glauben«.111

In einem berühmten Buch zeichnete Benno von Wiese am Beispiel der Tragödie nach, wie innerhalb der deutschen Literatur zwischen Lessing und Hebbel der Deutungshorizont von Theodizee durch den des Nihilismus abgelöst wird:112 ein Prozess, der den eingangs skizzierten Wandlungen des Denkens entspricht. Tatsächlich ist es den bedeutenden Schriftstellern deutscher Sprache mit dem Erfahrungshintergrund der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kaum mehr möglich, die Rechtfertigung der Wirklichkeit als einer sinnvollen Ordnung zu gestalten. Exemplarisch hat Heinrich Detering dies an Wilhelm Raabe gezeigt.113 So aber, wie sich dessen gesamtes Werk in unterschiedlichen Variationen als scheiternde Theodizee dechiffrieren lässt, wo Gottvertrauen und Vorsehungsgewissheit angesichts des Zustands der Welt intellektuell wie moralisch ins Unrecht gesetzt werden, ist umgekehrt Mays gesamtem Schaffen der Wille zur Theodizee elementar eingestiftet. Durchgehend bleibt sie erklärte Absicht wie Zielpunkt seines Erzählens. Hier, schreibt er schon im ›Buch der Liebe‹ über die Erde, gelte die Offenbarung einer göttlichen und ewigen Gerechtigkeit, welche Nichts ohne Folge bestehen läßt, sondern gebietet, daß sich Eines nach unumstößlichen Gesetzen aus dem Andern entwickle und zwar in der Weise, daß das Folgende stets eine Vergeltung, also eine Bestrafung oder Belohnung des Vorhergehenden enthalte.114

Auf das konstitutive Ineinander von Theodizee und literarischem Verfahren macht May selbst wiederholt aufmerksam. Beispielsweise wenn er zu Beginn das Kapitels ›Thut wohl Denen, die euch hassen!‹ auf - für ihn allgemeine - »schriftstellerische Regeln« eingeht, dass nämlich »die sämtlichen Konflikte gelöst worden sind und der Gerechtigkeit Genüge geschehen ist« (Mahdi III, S. 153). Unterfüttert wird diese handwerkliche Maxime einmal mehr mit Jes 28, 29: Wer die heilige Schrift kennt, hat jedenfalls auch gelesen: »Herr, deine Wege sind wunderbar, und du führest alles herrlich hinaus!« (Ebd.; vgl. Waldröschen IV, S. 1965f., Sohn II, S. 853, Weihnacht, S. 258) Aber auch andernorts heißt es: »Das Böse, die Sünde, kann niemals unüberwindlich sein, sondern das Gute, die Gerechtigkeit, gelangt stets, wenn auch zuweilen spät, zum Siege.« (Ebd., S. 429) Hass und Bosheit ernten bei ihm daher zuletzt zwangsläufig »nichts als nur Rache, die Strafe Gottes«, »die Vergeltung« (ebd., S. 543). In der Praxis führt dieser Gestaltungswille zu einer Mechanik der nemesis divina. Seine Texte sind auf Versöhnung ausgerichtet - wenn man so will: erbaulich -, insofern sie das Vorhandensein einer göttlichen Wirksamkeit nachzuweisen suchen (der, unter dem Gesichtspunkt metaphysischen Ausgleichs, selbstverständlich nicht widerspricht, dass zuweilen auch Fromme und Unschuldige sterben müssen).115 Diese Überzeugung aber wird zeitgenössisch in die Schema-Literatur abgedrängt oder in Bücher ›zur Belehrung und Erhebung für jung und alt‹, mit Titeln wie ›Gottes Auge. (...) Eine Darstellung mannigfacher wunderbarer Fügungen in den Schicksalen der Menschen‹.116



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Die Theodizee ist für Mays Schaffen von Anfang an strukturbestimmend, und sie bleibt es bis zum Ende. Notwendigerweise erfordert sie jenes singuläre Ich (bzw. die überlegenen Helden in den anderen Texten) als Vertreter göttlichen Weltenregiments zur Durchsetzung des Guten und Rechten, notfalls auch mit Mitteln der Gewalt. Oder, um sich die Hände nicht selbst schmutzig machen zu müssen, wird von ihnen wenigstens die Strafe vorhergesagt, die eine höhere Instanz unfehlbar vollstreckt, deren prophetisches Medium sie sind (Surehand I, S. 403ff.). Zweifellos ist dieser Typus, wie zuletzt Bettina Plett in ihrer Habilitationsschrift über ›Held und Heroismus im realistischen Erzählen‹ dargelegt hat - welche jenseits der populären Unterhaltungsliteratur dort eben beide problematisch werden -, von der Erfüllung »bestimmte(r) Surrogat- und Kompensationsfunktionen« nicht zu trennen.117 Im Rahmen einer fiktiven Realität, die sozusagen dialektisch auf die Entwicklungen der Moderne reagiert (natürlich immer auch auf persönliche Miseren), nimmt May also eine Art von ›therapeutischem‹ Ausgleich dahingehend vor, dass es jenseits aller Prüfungen und Ängste letztlich doch ein unversehrtes Leben gebe. Damit bestreite ich nicht seinen Wunsch nach identifikatorischer Selbst-Inszenierung als souveräner Akteur (die nach Freuds Schrift ›Der Dichter und das Phantasieren‹ für eine ganz bestimmte Art von Literatur kennzeichnend ist118). Aber die individualpsychologische Sichtweise reicht zur Deutung des Phänomens nicht hin. Am entschiedensten widerspricht ihr Mays Bewusstsein einer gesellschaftlichen Sendung.

Das heroische Ich als nachgerade religiöse Heilsfigur, wie wir es bei ihm vor uns haben, entsteht also nicht zuletzt aus dem Bedürfnis nach Theodizee, die vom kritischen Religionsdiskurs der Epoche bedroht ist. Es stellt, auch erzähltechnisch, Komplexitätsreduktion angesichts irritierender Wirklichkeit her, was Hermann Lübbe als eine grundlegende Leistung der Religion beschrieben hat.119 Erst recht gilt dies für den in seiner Unangreifbarkeit viel beschworenen ›Kinderglauben‹ (z. B. Surehand I, S. 406ff.; Weihnacht, S. 443).

Schon seit der ›Rose von Ernstthal‹ und ›Wanda‹ (1875) laufen tatsächlich alle Texte mit dem Erweis des Tun-Ergehen-Zusammenhangs auf eine Apologie göttlicher Fügung hinaus: in Form der Tilgung der Not, des Ausgleichs für erlittene Ungerechtigkeit oder der verdienten Strafe. (Irreversibles Leid, etwa in Form von Naturkatastrophen, gerät hingegen nie in den Blick.) Auf die Herkunft dieser Denkform aus der zeitgenössischen Erbauungspoesie verweist in der ›Rose von Ernstthal‹ ein von Richard stammendes Gedicht, ›Trost‹, wo es mit einer durch Karl Geroks ›Palmblätter‹ inspirierten Wendung heißt: »Wiß, daß ... wenn Sorgen Dich umwogen / Und dich umhüllt des Zweifels Nacht, / ... Ein treues Vaterauge wacht!«120 Drei weitere Male, in ›Schacht und Hütte‹, ›Der Verlorne Sohn‹ und ›Der Weg zum Glück‹, ist May noch auf sie zurückgekommen,121 und der Erfolgspoet aus Vaihingen blieb für ihn auf dem Weg zu ›Lichten Höhen‹ der Lyrik noch ein Vierteljahrhundert später das Vorbild.122



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Mit ›Der Dukatenhof‹ (Erstfassung 1877) steht am Anfang der ›Erzgebirgischen Dorfgeschichten‹ programmatisch eine Bekehrungsgeschichte. Als Autobiograph macht May selbst darauf aufmerksam, in diesem Genre habe er regelmäßig nachgewiesen, daß Gott nicht mit sich spotten läßt, sondern genau so straft, wie man sündigt.123 Aber das trifft, wie gesagt, auch hinsichtlich seiner anderen Texte zu. Für unser Thema ist von Bedeutung, dass gerade die Dorfgeschichte ein bevorzugtes Artikulationsfeld des populären Religionsdiskurses war. Das Schaffen zweier von dessen kritischen Vertretern, Berthold Auerbach und Ludwig Anzengruber, kannte May ja gut und ließ sich von ihnen anregen.124

Besonders zu Anzengrubers ländlicher Prosa liefert er ein völliges Kontrastprogramm. Oft geht es bei dem maßgeblich von Feuerbach beeinflussten Wiener Autor um die Demonstration, dass es keine gütige Weltenlenkung gebe. In seiner Geschichte ›Wie der Huber ungläubig ward‹ etwa (um die gleiche Zeit wie Mays ›Dukatenhof‹ erschienen) findet ein Bauer keine Antwort auf das ungerechte Leid und wendet sich von Gott ab.125 Anders Mays Dukatenbauer Heinrich Graf, der rückblickend Selbstanklage erhebt: »Seit ich die Schule verlassen habe, ist mir der Glaube an Gott abhanden gekommen ...«126 - diese vermeintlich »gebrochenen Charaktere« sind also keineswegs erst in den 1890er Jahren dingfest zu machen.127 Er bekennt, »ein harter, gotteslästerlicher Mensch« gewesen zu sein, »der sich aus dem lieben Gott nichts machte«, dessen Dasein er vielmehr - man errät es: »leugnete«.128 In einem (so die Kapitelüberschrift) Gottesgericht129 zum Krüppel geworden, gelangt der weiland stolze Verbrecher und Mörder zur rechten Erkenntnis: »jetzt aber weiß ich, daß es wirklich die Gerechtigkeit gibt, die in der Bibel steht: Auge um Auge, Zahn um Zahn.«130 Die Strafe verhält sich spiegelbildlich zur Tat. Da der einst so harte ... Sünder131 den »verdienten Lohn« von »dem da droben« mustergültig akzeptiert, vermag er gleichwohl »Gnade« und »Versöhnung« zu erlangen.132

Wieder und wieder wird der Leser von Mays Texten zum Nachvollzug aufgefordert, dass durch das Eingreifen göttlicher Boten unschuldiges Leid zunichte gemacht und damit eine moralische Weltordnung bewiesen wird. So etwa in der Erzählung ›Fürst und Leiermann‹ (1881) - erschienen im ›Lahrer Hinkenden Boten‹, einem jener Volkskalender also, wo volkstümliche Religionskritik allemal ihren Platz finden konnte.133 Nach dem Vorbild biblischer Szenen, in denen Engel unschuldig bedrängten Menschen zu Hilfe kommen (vgl. zumal Dan 10, 12; auch Dan 3, 49; Tob 5, 4ff.),134 tritt dort der alte Dessauer mit einer Variation des ›Fürchte dich nicht!‹-Grußes an die weinende Emma heran. Das »aus einer reinen und gläubigen Seele« kommende »Gebet ... sollte darum wohl Erhörung finden«, belehrt er. »Freilich kommt der liebe Herrgott nicht vom Himmel herunter, um gleich eigenhändig zuzugreifen, sondern er schickt seine Leute ...«135 Und noch deutlicher: »... weil Du ein frommes und braves Kind zu sein scheinst, so schickt uns der da droben herüber, um Dir zu helfen.«136



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Solche Geschichten können auf den Anspruch von erschütternder Unwiderleglichkeit angelegt sein, wie es in ›Ein amerikanisches Doppelduell‹ (1896) heißt137 - implizit sind sie es alle -, und mit ernsten Mahnungen enden: Wer da noch leugnet, daß es eine ewige Gerechtigkeit giebt, der kein Mensch, ob hier oder im Jenseits, entgehen kann, der mag sich wohl hüten, durch das Walten eben dieser Gerechtigkeit zur Erkenntnis geführt werden zu müssen!138 Gleichermaßen hatte Halef im ›Schut‹ (Erstfassung 1888) bereits das Ende Manach el Barschas kommentiert: »Allahs Hand trifft alle Gottlosen, den einen früher und den andern später, und doch wollen sie sich nicht bessern.« (Schut, S. 195)

Geradezu inflationär wird die Theodizee-Rede in den Kolportage-Romanen. Durch ihre Permanenz entwertet sie sich unvermeidlich selbst. In ›Deutsche Herzen, deutsche Helden‹ etwa empört sich die bei Ibrahim Pascha als Sklavin gehaltene Zykyma: »O Allah, ich zürne Dir, obgleich ich nur eins Deiner Geschöpfe bin! Warum läßt du so viele, viele Unglückliche geboren werden! Du bist nicht so gütig, wie es in den Büchern steht!« (Herzen I, S. 107) Die Handlung aber macht sie auf eine Weise klüger, welche der Leser sich aneignen soll. Nachdem sie von Steinbachs Rettung erfahren hat, jubelt sie: »Oh, es giebt doch noch eine Vorsehung, eine himmlische Liebe, eine ewige Gerechtigkeit. Bereits wollte ich verzweifeln!« (Ebd., S. 249) Und später: »Gott ist allmächtig und allbarmherzig. Seine Wege sind unbegreiflich, doch sie enden in Glück und Segen!« (Ebd., S. 290) Als Anna von Adlerhorst noch am Ort der Versuchung, von Gott abzufallen,139 ihren lange verschollenen Sohn Martin wieder trifft - beide waren in dem Quecksilberbergwerk des »Teufel(s)« (Herzen III, S. 1654) Roulin gefangen -, artikuliert sie in Gebetsform eine Art religiöses Manifest Mays, das für sein gesamtes Werk gilt und in den Münchmeyer-Romanen nur besonders aufdringlich im Vordergrund steht:


»Gott ist doch barmherzig; fast wollte ich zweifeln! ... vergessen wir Den nicht, der uns wieder zusammenführt, Den, der dort über den Sternen thront! Ja, Herr und Gott, Du Vater der Elenden und Erretter der Bedrängten, Dein Auge ist allsehend, und Deine Barmherzigkeit lenkt jeden Schritt der Zaghaften und Irrenden. Dein sind wir im Leben und im Tode. Du führst uns durch Trübsal zur Herrlichkeit. Dank, Ehre, Ruhm und Preis sei Dir jetzt und in alle Ewigkeit!« (Herzen IV, S. 2006)


Unablässig wird diese Maxime vor allem in diesem und im Zyklus ›Der verlorne Sohn‹ (1884-86) abgewandelt (vgl. z. B. Sohn IV, S. 1984; Sohn V, S. 2592). In ihr zeigt sich zugleich ein dramaturgisches Prinzip, dem zufolge das ständige Eingreifen Gottes noch Unwahrscheinlichstes beglaubigt. Selbst bis zum offensichtlichen Nonsens kann dieses apologetische Verfahren dort gehen: »Wie albern sind doch die Leute, welche meinen, daß es keinen Gott gebe!«, sagt Sam Barth in ›Deutsche Herzen, deutsche Helden‹ allen Ernstes, als er im fernen Westen unverhofft seiner früheren Rupperts-



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grüner Geliebten Gustel begegnet: »Nur der liebe Gott ist es, der Dich auf den Gedanken gebracht hat, herüber nach Amerika zu gehen. Oder meinst Du nicht?« Was sie sogleich uneingeschränkt bestätigt: »Ja, es war wie eine Eingebung.« (Herzen III, S. 1352) May bedient sich zu oft, zu schnell und zu leichtfertig solcher Denkformen; er macht sie dadurch im Grunde lächerlich. ›Gott‹ wird so zur schematischen Konstruktion, um eine Handlung voller ›Wunder‹ zu beglaubigen, die Guten zu beschützen, welche trotz aller Leiden in unanfechtbar gläubigem Vertrauen auf ihn verharren, und die Bösen zu bestrafen, die als ›Gottlose‹ nach Ausweis ihrer Taten allemal, im Fall von Gasparino Cortejo oder Franz von Helfenstein aber auch ihrer Weltanschauung entsprechend Atheisten sind,140 Agenten des Gott-bestreitenden, gegen-göttlichen Prinzips.

Die stabilisierende Funktion dieser Motivkonstanten für die Leser liegt auf der Hand. Sie soll das Einverständnis mit ihrem eigenen Schicksal befördern, auch dort, wo es um soziale Ungerechtigkeit geht. Noch im Alter hat May daraus gar keinen Hehl gemacht.141 An zwei Beispielen aus den ›Sclaven der Arbeit‹ wird das besonders deutlich. Dem etwa des Musterzeichners Wilhelmi, von welchem es heißt: Früher hatte er gebetet, ja; dann aber hatte er es verlernt. Im tiefen Schlamme des Elendes steckend, hatte er sich vergeblich nach Hilfe umgeschaut, und da war ihm der Glaube an Gott und die Menschen verloren gegangen. So wenigstens dachte er. Er hielt es nicht für wahr, daß dieser Glaube eigentlich unveräußerlich sei. (Sohn II, S. 1089) Oder dem des blutarme(n) Teufel(s) Schulze, eines früheren Hauers, der nach dem Verlust seines Arms nurmehr Hunde ... schieben (Sohn III, S. 1128) kann und den religiösen Trost seiner Frau mit verzweifeltem Kopfschütteln quittiert:


»Ja: Gott wird helfen; das bleibt wahr. ... Wir werden sterben; dann ist uns geholfen! ... Gott kann helfen, so heißt es; aber ich begreife ihn nicht, daß er es gar nicht thut. Wir hungern; wir frieren; wir sollen gepfändet werden! Unsere Kinder sind elend und krank; Du hast Dich fast um das Augenlicht gebracht, und ich bin um einen Arm gekommen, ohne daß man mir einen Kreuzer Entschädigung angeboten hat. Es wird Zeit, daß Gott hilft.« (Ebd., S. 1132)


Hier wie dort fügt sich kurz danach die Begegnung mit dem Fürsten des Elends, der einem deus ex machina gleich auftritt: beiden wird von ihm Wohlthat erwiesen (Sohn VI, S. 2854). Später erhalten sie gar noch eine Belohnung für die Festnahme Seidelmanns und Horns ausbezahlt (ebd., S. 2878).

In den Reiseerzählungen stellt sich die Theodizee-Problematik auch im Gewand der anderen Offenbarungsreligion, wobei als Resultat nie Gottes Gerechtigkeit in Frage steht, das Leid vielmehr als Bestandteil eines sinnvollen Persönlichkeitsprozesses erscheint, nachdem Kara Ben Nemsi (wer immer das sein mag) es aufgehoben hat: Hafid Sichar etwa (›Im Lande des Mahdi II‹), der vom Ich-Erzähler aus der Sklaverei befreit wird, in die er un-



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schuldig geriet und von der er sich fragt, wie er ein solches Unglück »verdient habe« (Mahdi II, S. 406), verhehlt es nicht: »Ich habe im Elende mit Allah gehadert ...« (Ebd., S. 407) Er lässt sich jedoch dahingehend belehren, dass es überhaupt kein unverschuldetes Leid gibt - in dessen Zulassung ohnehin stets eine göttliche Finalität am Werk ist: Es seien


»alle Menschen ... Sünder, welche nur von Allahs Gnade und Barmherzigkeit leben. Jedes Ereignis, wenn wir es ein Unheil nennen, haben wir reichlich verdient, und dennoch fügt es Allah, daß dieses Unheil, wenn wir es in der rechten Weise auf uns wirken lassen, uns zum Heile und Segen wird. Sprich also nicht vom Verdienen! Es war eine Prüfung, von Allah gesandt, vielleicht um dein Herz zu läutern, deinen Sinn nach innen und nach oben zu lenken.« (Ebd., S. 406).


Hafid Sichar »überkommt« denn auch »wie ein heller Blitzstrahl die leuchtende Erkenntnis, daß du recht hast. ... Heute stehe ich plötzlich, ohne daß ich selbst eine Vorahnung davon hatte, als ein Neuer auf. Ja, ich habe nicht umsonst gelitten. Allah sei gelobt dafür!« (Ebd., S. 407) Als Werkzeug, durch das Gott eingreift und die Zweifel an seiner Fügung widerlegt, bekräftigt der deutsche Effendi schließlich den Kohärenzcharakter aller Wirklichkeit: »Du hast Monate und Jahre deines Lebens verloren, dafür aber innere Schätze gefunden, deren Wert nicht wie die Zeit vergänglich ist. Und was dir an Hab und Gut genommen wurde, das, hoffe ich, werde ich dir später zurückgeben können.« (Ebd., S. 407) Es ist ganz wie bei Hiob: die Belohnung folgt der überstandenen Prüfung.142

Bestimmte Ungläubige werden bei May mit Kalkül auf drastische Weise zur rechten Gesinnung geführt. Ich möchte dieses Grundschema an der ›Marienkalender‹-Erzählung ›Christ ist erstanden!‹ (1893) verdeutlichen (ebenfalls ein weißer Fleck in der Forschung). Von dem Protagonisten mit allegorisch-bezeichnendem Namen Señor Perdido und der Weise seiner Verlorenheit heißt es dort: er


besaß, was mich am meisten abstieß, weniger Glauben als ein Heide ... . Ich unterhielt mich mit meinen Toba-Indianern oft und gern über Religion; dann lag auf seinem sonnverbrannten Gesichte stets der Ausdruck eines Spottes, eines Hohnes, der sich meist in dem Ausrufe Luft machte:

»Chito - schweigen Sie! Es giebt keinen Gott; warum reden Sie davon!«

Ich gab ihm natürlich hierauf die erforderliche ernste Antwort; er aber wendete sich unwillig von mir ab ...143


Über Christus verbreitet sich der Señor respektlos im Stil der entmythologisierenden Bibelkritik: »Sind Sie denn wirklich so albern, das, was Sie sagen, zu glauben? ... Wer war Christus? Ein Mensch wie Sie und ich! Wie kann ein Mensch die ganze Menschheit selig machen! Er ist gestorben, wie jeder sterben muß. Und daß er das Erlösungswerk durch seine Auferstehung ge-



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krönt haben soll, das ist - das - das ist - - - ... Unwahrheit. Kein Toter steht auf!«144 Perdido, die Gezwungenheit der stockenden Rede verrät es schon, ist ein im Grunde pathologischer Fall, da er das, was ihm zuinnerst gut täte, gewaltsam verdrängt. Die Sprache entlarvt seine unbewussten Wünsche einmal noch deutlicher, als ihm die Wendung »Gracias á [!] Dios«145 entschlüpft. Auch sein Gesichtsausdruck schwankt zwischen der gewöhnliche(n) Verachtung für den christlichen Glauben und etwas, was ich beinahe Sehnsucht oder geistlichen Hunger hätte nennen mögen.146

Wie der Ich-Erzähler mit psychologisch geschultem Blick diagnostiziert, bedarf dieser Leugner »eines Heilandes wohl mehr ... als tausend andere Menschen«, da in ihm ein »finster(er) Geist« wohnt, »ein böses Gewissen!«147 Dieses gründet im Abfall von der Welt seines »sehr brave(n), fromme(n)« Elternhauses,148 das er mit sich selbst, doch auf eine andere Weise, ins Unglück stürzte. Als gleichsam atheistischer Jedermann handelt es sich bei Perdido zugleich um ein Exempel dafür, dass, wie es in ›Deutsche Herzen, deutsche Helden‹ heißt, der eine, große Gottesgedanke jenseits aller Verschiedenheit der Confession eine anthropologische Konstante darstellt, dem Menschen unauslöschlich eingeschrieben (Herzen II, S. 795), was dort auch durch die eingefügte Strophe von Mays ›Großem Lehrgedicht‹149 bekräftigt wird. Wenn er verblasst ist oder man ihn gar durchgestrichen hat, kann er in einem Akt der ›Erlösung‹ gleichsam therapeutisch neu zu Tage gefördert werden.

Im Falle Perdidos geschieht dies so, wie der Ich-Erzähler ihm vorhersagt: durch eine unfreiwillige Nachfolge der Passion Christi. In der tiefsten Verstörung werde er die Wahrheit erfahren: »Es giebt nur ein Heil für Sie, und dieses kommt von Dem, den Sie verleugnen [!] Damit ist genau das getroffen, wovor der Angesprochene sich fürchtet, weil er weiß, dass es stimmt. Seine Reaktion zunächst mit Leichenblässe, dann mit einem kurze(n), heisere(n) Gelächter,150 bestätigt alles. Unter dem Vorzeichen der fortwirkenden Prophezeiung durchläuft der Patient das reinigende Psychodrama tatsächlich in der Karwoche, wobei er sich zunächst noch gegen jenen Durchbruch wehrt, der ihm zur Befreiung seines eigentlichen Selbst nötig ist: wahnwitzig und zugleich so trostlos schreit er unter der Gewissensfolter im Dunkeln »nach - nach - Erlösung« und verlacht im gleichen Atemzug »Kreuzestod« und »Auferstehung«.151 Von den ihn verfolgenden Comerciantes in der Höhle eines Wasserfalls dem grausamen Tod preisgegeben, ausgesetzt gleichsam auf der Grenze des Bewusstseins, einer Situation aus der »Tiefe«152 der Verlassenheit im Sinne des Psalmisten, vollzieht sich dann die Wandlung durch den mythischen Seelenkampf des »Gute(n) ... mit dem Bösen«.153 Seine eigentliche Rettung verdankt er dem »guten Gott, der die Schicksale der Menschen ... lenkt«, »dem guten Gott, von dem ich nichts wissen wollte«, den er aber in der Todesgefahr »um Barmherzigkeit« anzuflehen lernte, »fort und immerfort«, bis ihm (wie in Johann Rists Kirchenlied gesagt wird) »die Zunge am Gaumen klebte«.154 Nachdem er, seinem Erlöser



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symbolisch gleichförmig, den ganzen Karsamstag »geschlafen« hat, im Grab geruht sozusagen, leuchtet am Ostermorgen (mit der Rückkehr zum Vater) auch ihm »die Sonne« der Auferstehung aus der zwanghaften, selbstzerstörerischen Gottesverleugnung, die sein Atheismus letztlich war.155

Die Therapie, in welcher der verschüttete Gottesgedanke zurück ans Licht befördert werden kann, nimmt bei May oft die Form der Extremerfahrung an, eines die Vernunft gleichsam panisch reinigenden Schwellenerlebnisses, genauer: Es handelt sich um die Begegnung mit dem Grauen des eigenen Todes als Innewerdung der schlechthinnigen Angewiesenheit eines endlichen Wesens auf Gott. Schon im Beitrag ›Blumen deutscher Kirchenlieder‹ aus ›Schacht und Hütte‹ ist von der in vielen Gesangbuchtexten angesprochenen Konfrontation mit der Sterbestunde als einem persönlichen Ernstfall ohnegleichen die Rede, der zur religiösen Umkehr nötigt, dort nämlich, wo der spottende Mund sich zum verzweifelten Hilferuf öffnet.156

Nicht allen seiner gottfernen Figuren jedoch lässt May solche Gnade zuteil werden, was etwa aus dem Schicksal des Armeniers in der (taktloserweise ausgerechnet zur Zeit der ersten blutigen Verfolgung dieses Volkes um 1895 entstandenen!) Erzählung ›Der Kys-Kaptschiji‹ erhellt. Dieser Anführer einer Bande von Mädchenräubern und Mördern ist gleich dem ersten Eindruck nach »ein Lügner, ein religions- und gewissenloser Mensch, und so einer Person ist alles zuzutrauen«.157 Tatsächlich fluchen er und seine Leute trotz der Reuemahnung Kara Ben Nemsis selbst angesichts eines langsamen, grausamen Todes, welcher ihnen bevorsteht, »auf den Glauben, auf alle Religionen«.158 Nicht anders verhält es sich mit dem »aus der menschlichen Gesellschaft getreten(en)« (Silberlöwe II, S. 420) - das heißt hier auch: den Guten zur Selbstjustiz freigegebenen - Säfir im zweiten Band von ›Im Reiche des silbernen Löwen‹, für den das »ewige Leben«, das »Paradies« und die »Hölle« bloße »Verrücktheiten« sind: »Was Muhammed und euer Christus darüber sagen, ist lächerlich, denn nach dem Tode ist alles aus.« (Ebd., S. 396f.) Wie um vielleicht eine anderslautende innere Stimme (und nicht nur den Appell des deutschen Orientreisenden) zu übertönen, wiederholt er die letzten beiden Worte dreimal - zuletzt mit wütendem Gebrüll.

Ansonsten aber bieten Situationen von Todesangst159 oder Agonie die Chance zum Gesinnungswandel der ›von Gott Losen‹ (vgl. Surehand I, S. 401), zur Heimkehr der verlorenen Söhne Gottes. Dass der Ich-Erzähler diese Schocktherapie ganz bewusst einsetzt, räumt er in anderem Zusammenhang ein, am Beispiel des Sklavenhändlers Murat Nassyr (aus ›Im Lande des Mahdi‹): ich wurde von der besten Absicht geleitet. Er sollte in sich gehen; er sollte jetzt in der Grube einige böse Stunden verbringen; er sollte Todesangst ausstehen, um dadurch vielleicht zur Erkenntnis zu kommen. (Mahdi II, S. 565) Als in der Reiseerzählung ›In den Cordilleren‹ (Erstfassung 1890/91) »die Vorsehung« eingreift (Cordilleren, S. 486), wird selbst der Sendador weich: Die Todesangst um seinen Sohn hatte wirklich die harte, unzerstörbar scheinende Rinde dessen gebrochen (ebd., S. 487), der zuvor



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noch bei Gott keine Gnade sucht (ebd., S. 439). Hiller in ›»Weihnacht!«‹ betreffend schließlich ist es ein Bär, der, leichthin beschworen, tatsächlich erscheint und im Entsetzen der »Todesnot«, einer himmlischen »Antwort« auf seine »Lästerungen«, ihm die glaubenslosen Sprüche austreibt wie ihm zur Wandlung verhilft. Keineswegs von ungefähr erweist sich dabei just das »Gehirn« desjenigen (Weihnacht, S. 515), der nicht nur »stolz, eingebildet und ... brutal« (ebd., S. 513), sondern nachgerade sein »eigener Gott« war (ebd., S. 515), als besonders gefährdet: jenes Organ also, das wähnte, objektiv nicht vorhandene Gründe für eine Widerlegung Gottes zu finden, während das eigentliche Erkenntnisproblem doch nur in seines Besitzers eigener moralischer Fragwürdigkeit bestand.

Der spektakulärste Fall für Gottes »starke Mittel zur Heilung« (ebd.) aber ist Old Wabble, den May vorher ganz so argumentieren lässt wie einen Ludwig Büchner der Prärie. Der alte Westmann, der Spötter, der Leugner, der Lästerer (Surehand III, S. 203) schlechthin - als sozialdarwinistischer »Indianerschinder« (Surehand III, S. 17) daher auch ein Erzbösewicht -, verlangt ständig nach dem »Fact«: »sonst« gilt ihm nichts als »Beweis« (Surehand I, S. 403). Mit hoher Wahrscheinlichkeit liegt hier ein Nachklang auf die Lieblingsvokabel des Erziehers zum Atheismus vor, welcher der Verfasser von ›Kraft und Stoff‹ ja sein wollte. Was er beansprucht, ist (schreibt er gleich einleitend) die »unvermeidlichen Consequenzen einer vorurtheilslosen, empirisch-philosophischen Naturbetrachtung« zu ziehen. Deren »Resultate« würden »mit Entschiedenheit jede Art von Supranaturalismus oder Idealismus aus der Erklärung des natürlichen Geschehens verbannen (...). Die Kraft ihrer Beweise besteht in T h a t s a c h e n (...). Gegen Thatsachen aber läßt sich auf die Dauer nicht ankämpfen (...).« Geradezu leitmotivisch kommt er schon hier auf diesen Angelpunkt seiner Argumentation zurück: »die Welt« sei


nicht die Verwirklichung eines einheitlichen Schöpfergedankens, sondern ein Complex von Dingen und Thatsachen (...) - den wir erkennen müssen, wie er ist, nicht wie ihn unsere Phantasie gern ersinnen möchte (...). Wir werden uns bemühen, unsere Ansichten in allgemein-verständlicher Weise und gestützt auf bekannte oder leicht einzusehende Thatsachen vorzutragen (...).


Auch von seinen Gegnern fordert Büchner, »sich mit uns auf den Boden der Thatsachen, der Empirie« zu »begeben«.160 Und wie dies alles präludierend, borgt er das Motto des ›Vorwort(s) zur ersten Auflage‹ (1855) aus Charles Dickens' Jugendwerk ›Sketches by Boz‹ (1836): »Now what I want, is - facts.«161 Hierin das Vorbild für die ständige Einforderung eben derselben durch Old Wabble zu sehen, erscheint nicht ganz unwahrscheinlich.

Darüber hinaus besteht der Sündenfall des »›König(s) der Cowboys‹« (Surehand I, S. 436) - eines uralten, gleichsam mythischen Heiden wie der May vermutlich bekannte Hildebrand, Theoderichs Waffenmeister bei



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Felix Dahn (vgl. Wüste, S. 215; Erstfassung 1881: »Gotenschlacht«) - im Insistieren auf der modernen Freiheitsgeschichte des Individuums, die hier erneut dem Gottesglauben entgegengesetzt wird, sei Fred Cutter skandalöserweise doch zeitlebens nur sein »eigener Gesetzgeber« (Surehand I, S. 401) gewesen,162 der ein zufälliges Leben am Rande des Nichts führt. Mit seiner gedanklichen Kompetenz ist es folglich nicht weit her. Zeichenhaft lässt der Autor ihn auch sonst »Dummheiten« (ebd., S. 497) begehen, weil er sich dem Führungsanspruch Old Shatterhands nicht fügen will. In biblischer Diktion spricht dieser das Urteil über den Abweichler: »wer mir nicht gehorcht, an dem habe ich keinen Teil« (ebd., S. 548).

Mit Gründen allerdings wird Wabble von Shatterhand nicht widerlegt - stattdessen zieht der sich, teils persönlich beleidigt, teils erschrocken über die zynische Unzugänglichkeit des Alten, auf Betroffenheitsrhetorik und drohende Prophezeiungen zurück, die ihn als Werkzeug eines höheren Willens (ebd. I, S. 405) ausweisen. (Im Hinblick auf Hiller ist es übrigens nicht anders: obwohl er gläubig sei, halte er sich nämlich für »so ziemlich vernünftig« (Weihnacht, S. 442), bekommt der Kontrahent von Winnetous Freund zur Antwort, und überhaupt werde jeder Einwand gegenstandslos, wenn man sich die vorausgesetzte Synonymität von »höchste(r) Vernunft« und »Gott« zu eigen mache (ebd., S. 443).) Was bleibt, ist die ethische Anschwärzung des widerspenstigen Denkers und die Lektion, welche ihm sein grässlicher Tod vor dem Horizont jenes ›Donnerwortes‹ »Ewigkeit« erteilt (Surehand III, S. 495, vgl. 494ff.), das schon im ›Dukatenhof‹, im ›Verlornen Sohn‹ und in ›Christ ist erstanden!‹163 als besonders einschüchternd befunden wurde: »so schwer, so gewaltig, so niederschmetternd« (Sohn I, S. 411; durch Mark und Bein gehend, Surehand III, S. 495).164 Zur zeitgenössischen Bußpredigt von der Kanzel herab tauglich,165 verfällt Old Wabble einem gerechten Strafgericht (Surehand III, S. 4), in dem, für May ein »Fact« gegen »die falsche Logik« (Surehand I, S. 403) des Entarteten (Surehand III, S. 4), Gott sein Dasein und seine Wirksamkeit erweist - wobei in der Todesart übrigens ein schon bei dem Bösewicht Fritz Seidelmann im ›Verlornen Sohn‹ auftretendes Motiv recycelt wird, der fast exakt so stirbt wie der alte Westmann: »beide Beine ... zermalmt« (Sohn III, S. 1286) hier, mit entsetzlich zusammengepreßtem Unterleibe (Surehand III, S. 488) dort.

Die Umkehr des Atheisten in seiner Sterbestunde, wo er mit Schrecken die Hohlheit jeder ›Leugnung‹ Gottes (vgl. ebd. III, S. 497f.) einsieht und das vorbildliche Bekenntnis ablegt: »der Mensch braucht einen Gott« (ebd., S. 497) - gerade dieses Motiv ist nun ebenfalls nicht von einer kontroversen zeitgenössischen Debatte zu trennen. Einerseits erweist sich hier erneut die Nähe der Position Mays zu der volkstümlicher religiöser Broschüren: »In der letzten Stunde«, kann man dort (1889) etwa wie ein Kommentar zu seinem Grundmuster lesen, »konnte auch nicht E i n e r von diesen großen Atheisten in partibus (...) dem Rufe ihres plötzlich e r w a c h t e n Gewissens widerstehen«. Dies jedenfalls sei »die moralische Lehre« aus dem Buch »ei-



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nes berühmten Arztes und aufmerksamen Forschers«.166 Gemeint sind Hubert Lauvergnes 1843/45 auf deutsch erschienene Bände ›Der Todeskampf und der Tod in allen Klassen der Gesellschaften aus dem Gesichtspunkt der Humanität, Physiologie und Religion betrachtet, zugleich ein Beitrag für die Pastoral‹. Ganz ähnlich in einem anderen Text (aus der Barmener Reihe ›Freundschaftliche Streitschriften‹, deren erste Auflage 1894 »in wenigen Wochen vergriffen« war167), wo zahlreiche Beispiele von ehemaligen »Gottesleugnern« angeführt werden, welche durch die Erfahrung von Todesgefahr wieder beten lernten. Woraus der Verfasser den Schluss zieht,


daß, während es leicht sei, auf festem Boden und in guter Sicherheit dem Allmächtigen zu trotzen, es eine eigene Sache damit sei, wenn man am Rande des Todes stehe. Wir glauben: Jeder Mensch hat am Ende noch so viel Gewissen, um überzeugt zu sein, daß Gott ihn für seine Sünden strafen muß, und in jedem Herzen finden die Worte der Schrift einen Widerhall: »Will man sich nicht bekehren, so hat er das Schwert gewetzt.« (...) Ich kann mir nicht anders denken, als daß Gottes Stimme zuletzt durch das Gewissen auch zu einem solchen Menschen reden wird, und zwar unter dem Todeskampfe, welcher noch diesem und jenem zum Heile dienen kann. (...) O wie war da der (...) Religionsvertilger, der sonst Gott so kühn in die Schranken rief, plötzlich so klein und arm und elend geworden! Wie wurde auf dem Schmerzenslager dem Titanen sein furchtbarer Trotz so gründlich klein zermahlen und ihm zum Bewußtsein gebracht das Wort: »Irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten!« (...) wie elend und unglücklich der Unglaube den Menschen macht (...).168


Mays Todesangst- und Sterbeszenen als letzten Grund des Glaubens auf diese Weise zu kontextualisieren, bedeutet nicht zuletzt, Leserzuschriften wie etwa jene anonyme an die ›Volksstaat‹-Redaktion von 1876 vergleichend einzubeziehen, wo es mit unverhohlener Aggression heißt: »Ihr gottvergessenen Menschen, daß Ihr dem Arbeiter den Glauben nehmen wollt und Alles und Jedes läugnet. Ich wünschte doch, daß Eure Sterbestunde derartig wäre, daß Ihr gar nicht ersterben könntet!«169 Das je nach Perspektive straf- oder gnadenpädagogische Motiv, welches wir bei May finden, war in der Tat sehr geläufig und wurde mit Vorliebe gegen den wachsenden Atheismus in Stellung gebracht.

Hinter alledem steht die ›Entzauberung des Todes‹ im naturwissenschaftlich-materialistischen Denken der Moderne. Als ein dem Immanenzprinzip gemäßes Zeichen, das sich von der traditionellen Praxis bewusst unterscheiden sollte, wurde die erste gesetzlich erlaubte Feuerbestattung in Deutschland 1878 in Gotha durchgeführt. Entscheidend für die kirchliche Kritik an diesem neuen Ritual insbesondere von Freireligiösen und Freidenkern war, dass es als »Ausdruck einer pragmatisch-rationalen Einstellung zum Tod« aufgefasst wurde, wie Norbert Fischer in seiner Studie zur ›Sozialgeschichte der Friedhöfe in Deutschland‹ ausführt.170 Das areligiöse Todesbild in der freigeistigen, liberalen oder sozialdemokratischen Publi-



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zistik spiegelt exemplarisch ein Artikel in der ›Neuen Zeit‹ von 1884 mit dem Schlusssatz: »Was der Glaube vergeblich versuchte, der Wissenschaft wird es dann gelungen sein: d e m T o d e d e n S t a c h e l z u n e h m e n.«171 Besonders die Presse der Arbeiterbewegung beklagte auch wiederholt Versuche von Geistlichen oder ›barmherzigen Schwestern‹, noch auf dem Sterbebett Sozialdemokraten zu bedrängen, um eine religiöse Bekehrung, ein christliches Begräbnis oder die bisher versäumte Taufe der Kinder zu erwirken. Die meisten Genossen indes, findet man häufig voller Genugtuung vermerkt, seien standhaft geblieben oder hätten die kirchlichen Manipulatoren erst gar nicht eingelassen.172

Davon abgesehen konnte die anti-atheistische Mobilisierung der Schrecken des Todes für den Ungläubigen im zeitgenössischen Kontext durchaus zweischneidig aufgenommen werden, schien sie doch weithin den Verdacht zu bestätigen, dass Religion sich grundsätzlich der Furcht des Menschen vor unbezwingbaren Mächten verdanke. Schon David Hume oder Claude Adrien Helvétius hatten sich solchermaßen geäußert, was im 19. Jahrhundert bei Comte, Feuerbach oder Engels seine Fortschreibung findet und in der freireligiösen wie der Publizistik der Arbeiterbewegung schließlich zum festen Topos gerinnt.173

Auch literarisch wurde das strategische Operieren mit der Panik des Lebensendes kritisiert. So verteidigt etwa Theodor Storm in seinem Gedicht ›Ein Sterbender‹ (1864) mit Nachdruck die Würde des Verscheidens in Gottes- und Priesterferne.174 Unter der Überschrift ›Atheismus‹ (1888) wünscht sich der junge Naturalist John Henry Mackay am Lebensende geistige Klarheit, um nicht »mit einer Lüge« Abschied nehmen zu müssen. Noch seine »letzte(n)« Regungen nämlich sollten davon künden: »Ich glaubte nie an einen Gott da droben, / Den Lügner oder Thoren nur uns geben (...).«175 Besonders aber ist es Ludwig Anzengruber gezielt darum zu tun, den Lesern jene Furcht vor Tod und Jenseits zu nehmen, die für ihn ein wirksames religiöses Disziplinierungsmittel darstellt. In seiner Dorfkomödie ›Die Kreuzelschreiber‹ (1872) lässt er den Steinklopferhanns davon erzählen, wie es ihm möglich wurde, sich von diesem Druck zu befreien. Umgeben von der freien Natur, während er eigentlich sterben will, führt etwas, das der einfache Mann als »Eingebung« und »extraige Offenbarung« bezeichnet,176 zur Selbsttherapie, die freilich in eine völlig andere Richtung weist als bei May. Das Leben nämlich sei bis zum Schluss ohne Furcht in konsequenter Diesseitsbejahung zu führen: »Es kann dir nix g'schehn! (...) Ob d' jetzt gleich sechs Schuh tief da unterm Rasen liegest oder ob d' das vor dir noch viel tausendmal siehst - es kann dir nix gschehn! - Du ghörst zu dem alln und dös alls ghört zu dir!«177 Mit beträchtlicher Ausstrahlung wurde der Trost dieser All-Einheits-Intuition ohne Gott zur Parole angstfreien Endlichkeitsbewusstseins.178



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»O ja«, spottet Schopenhauer in seinen ›Parerga und Paralipomena‹, »den Fürsten ist der Herrgott der Knecht Ruprecht, mit dem sie die großen Kinder zu Bette jagen, wenn nichts Anderes mehr helfen will; daher sie auch viel auf ihn halten«.179 Das Argument ist im 19. Jahrhundert weit verbreitet. Gerade Verteidiger eines obrigkeitlichen Denkens sind es, die gern auf Gott zurückgreifen und, so Schopenhauer weiter, den fadenscheinigen Anspruch erheben, dass »Staat, Recht und Gesetz (...) der Religion als ihres nothwendigen Komplementes bedürfen«.180 Wer nicht glaubt, stellt unter dieser Perspektive auch eine politische Gefahr dar. Was der bürgerliche Individualist aus Frankfurt diagnostizierte, war - in pro und contra - schon seit dem Vormärz Bestandteil der Religionsdiskurse verschiedener Milieus. Neben der wissenschaftlichen Unhaltbarkeit sowie den Widersprüchen zwischen göttlicher Vorsehung und irdischem Leid nahm die Kritik immer wieder den herrschaftsstützenden Charakter der Religion ins Visier.181 Spätestens im Umfeld der frühen Arbeiterbewegung wird dieser zum gängigen Feindbild.

Tatsächlich rechtfertigte der höchste Souverän des Reiches seine Stellung offensiv über das ›Gottesgnadentum‹. Andere Fürsten, darunter auch der sächsische König, taten es ihm gleich. Sofern man aber, mehrheitlich sogar innerhalb des liberalen Lagers, darauf verwies, dass die Religion das geistige Fundament jedes wohleingerichteten Staatswesens bilden müsse, weil auf ihr letztlich jede Ordnung beruhe, geriet sie zwangsläufig zur tragenden Säule einer Doppelideologie von machtpolitischer Legitimität und Sozialdisziplinierung. Ihre Inanspruchnahme als »Waffe gegen den Umsturz«182 wurde ganz bewusst betrieben. Kirchlicherseits nahm man daran keinen Anstoß. Mit seiner zum vielzitierten Schlagwort gewordenen Forderung, »die Religion« müsse »dem Volke erhalten bleiben«, wies Wilhelm II. höchstselbst den Weg.183 Neben der »revolutionären Staatsgefährlichkeit« (und mit dieser verbunden) stellte umgekehrt daher der »kulturfeindliche« und »sittenwidrige (...) Religionshaß« den wichtigsten Grund zum Einschreiten gegen die Sozialdemokratie dar.184

Aus der Luft gegriffen war das gewiss nicht, denkt man etwa an den Feuerbach-Enthusiasmus in der frühen Arbeiterbewegung, daran, dass August Bebel sich auch in Reichstagsdebatten mehrfach zum »Atheismus« als intellektueller Grundlage der Partei bekannte, oder an die wiederholte Organisation von Kirchenaustrittskampagnen. Nicht nur dem Parteivorsitzenden erschienen »Obrigkeit und Religion (...) allgemein als ein Pakt gleichgearteter Mächte«. Da die »himmlische« und die »irdische Autorität« so eng ineinander verwoben waren, bestand Konsens über die Notwendigkeit, beide zu unterminieren: »Mit der wissenschaftlichen Vernichtung der Gottesidee«, konnte man in der sozialdemokratischen Presse ohne jede Zurückhaltung lesen, »ist aller autoritären Gewalt die Grundlage genom-



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men. Ist einmal der Kaiser des Himmels entthront, so laufen die Kaiser der Erde, in Ermangelung jeden prinzipiellen Haltepunktes, von selbst davon.«185

Karl May - »th'is clear!« - stand demgegenüber entschieden auf der anderen Seite. Zunächst einmal dadurch, dass er in seiner Kritik des Religionszweifels dazu neigt, den »Gehorsam« zur Bedingung des »Glaubens« zu machen, die Abkehr von »dem eigenen Willen« (Silberlöwe I, S. 541) - das ist jedenfalls die Lehre, die Dozorca (im ›Silberlöwen I‹) von Kara Ben Nemsi erteilt wird,186 und das ist die Doktrin, die der Münedschi (›Am Jenseits‹) verkündet. Glaube und Selbstbestimmung geraten in einen unauflöslichen mentalen Gegensatz. So überrascht auch die politische Implikation nicht, welche darin beschlossen ist: Gott, König und Vaterland, in diesen Worten liegt das wahre Glück ...! Jene jugendliche Ermahnung findet May dem innere(n) Wesen nach noch zur Zeit der Entstehung seiner Autobiographie gültig.187 Eine verwandte Trias fasst im ›Dankbaren Leser‹ jene Gaben zusammen, die seine Werke bringen: ... Glauben, A c h t u n g v o r d e r O b r i g k e i t , ... Warnung v o r s o z i a l e n und r e l i g i ö s e n I r r l e h r e n ... .188 Völlig in diesem Sinne weitet sich das Schlussbild des ›Verlornen Sohns‹ mit dem Erscheinen des Königs und der Erhebung Gustav Brandts in den Adelsstand zur Apotheose der Einheit von Thron und Altar: »da oben waltet Gott und hier steht ihr Monarch« (Sohn VI, S. 3200). Im ›Weg zum Glück‹ (1886/87) wird Ludwig II. von Bayern entsprechend zur weltlichen Heiligenfigur stilisiert. Umgekehrt trägt der Aufstand von Ahriman Mirzas Männerbund der »Schatten« gegen den Schah im letzten Band des ›Silberlöwen‹ zugleich religiöse wie politische Züge (vgl. Silberlöwe IV, S. 447, 449, 496, 620).

Wenn sich im ›Verlornen Sohn‹ der frömmelnde Heuchler Seidelmann mit folgender Gleichsetzung über Ferdinand Freiligrath empört: »der Revolutionär, der Gottesleugner!« (Sohn I, S. 173), dann stimmt das inhaltlich zwar nicht (denn gerade die Religiosität des Lyrikers war es ja, die seinen Freundeskreis um Marx und Engels den Kopf über ihn schütteln ließ),189 ist aber ein Indiz dafür, dass May gewisse Positionen der vormärzlichen Religionskritik ebenso wie ihre politisch motivierte Zurückweisung im Kaiserreich gekannt hat. Auf polemischer Distanz zur Arbeiterpartei bleibt er denn auch von der Tätigkeit für ›Schacht und Hütte‹ an. Um ein gegen den Unglauben und die Bestrebungen der Sozialdemokratie gerichtetes Blatt habe es sich gehandelt,190 schreibt er rückblickend, ein religiös und sittlich unanfechtbares und belehrendes Blatt, das dem gewöhnlichen Arbeiter ... einen innern Halt verleihen und ihn davor bewahren wollte, in unzufriedene, demokratische [!] oder überhaupt illoyale Hände zu fallen.191 »Doch nicht etwa gar zu roth und radical?«, fragt angesichts dieser Gefahr in den ›Sclaven der Schande‹ der König besorgt die amerikanische »Republikanerin« Ellen Starton, die ihn aber sofort durch ein vorbildliches Bekenntnis zum religiös verfassten Monarchismus beruhigt (Sohn IV, S. 1877). In dem von Heinrich Keiter gestrichenen Heimat-Kapitel aus ›Satan und Ischariot‹ wendet sich



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der Erzähler gegen die »Irrlehren der Sozialdemokratie« (deren Agitatoren bei den »brave(n) Staatsbürgern« und »treue(n) Untertanen« im armen Erzgebirge zum Glück erfolglos blieben).192 Und mit spürbarem Stolz zitiert er in der Humoreske ›Freuden und Leiden eines Vielgelesenen‹ eine Publikumszuschrift wie diese: »seit wir Ihre Werke gelesen haben, sind wir keine Sozialdemokraten mehr und sehen zu unserer Freude, daß alle, denen wir sie borgen, auch langsam zu uns übertreten.«193

Ganz besonders in den späten Selbstrechtfertigungen legt May Wert darauf, dass seine religiöse und politische Wirkungsabsicht ineinander übergehen: streng königstreu und christlich194 seien seine Werke allesamt, weshalb er gerade von bestimmten Kreisen angefeindet werde. Solche Gegner, wie die am linken Rand des bürgerlich-liberalen Lagers angesiedelte ›Frankfurter Zeitung‹ (aus der die SPD-Presse tatsächlich nicht selten religionskritische Artikel übernahm195) oder Rudolf Lebius (als aus der Kirche ausgetretenen Verfasser einer Schrift ›Die Religion der Zukunft‹), sucht er durch ihre Nähe zur organisierten Arbeiterschaft moralisch zu diskreditieren.196

Nun sahen viele Christen zwar (wie die ultramontane ›Schlesische Volks-Zeitung‹ 1876 schrieb), »daß die sozialdemokratischen Ideen der Abwendung von Gott ihren Ursprung verdanken«, machten aber für die wachsende Glaubensferne des Proletariats letztlich andere verantwortlich, habe doch dem »gottlosen Arbeiter (...) der strenge Brotherr vielleicht selbst die letzte Wurzel des Glaubens aus dem Herzen gerissen«.197 Die auf Mehrung ihres Profits ausgerichteten Reichen also, zumal wenn sie sich in einem rein zweckhaften Verhältnis zur Religion befinden, sind dieser Lesart gemäß die eigentlichen Paten des Atheismus. Gemeint ist damit jene zeitgenössische Praxis, die Friedrich Albert Lange den »ethischen Materialismus« nennt,198 welchem konfessionsübergreifend die wachsende Einsicht in den Wert sozialer Pastoral und Arbeit entspricht. Eine verwandte Denkform finden wir tatsächlich auch bei May, und zwar über den allgemeinen Abscheu vor der Gier nach finanziellem Gewinn hinaus:199 so ist der »›Geldmarder‹« Klaus in ›Der Gichtmüller‹ (1879) in jeder Weise »gottlos«,200 obwohl er, äußerlich fromm, zum »wunderthätigen«201 Gnadenbild von »Mariahilf« wallfahren möchte.202 Nicht anders verhält es sich mit den Seidelmanns im ›Verlornen Sohn‹, von denen gar eine »Gesellschaft, welche für die Zwecke der Wohlthätigkeit und inneren Mission arbeitet« (Sohn II, S. 639; vgl. Sohn III, S. 1365), skrupellos missbraucht wird. Die soziale Unverantwortlichkeit solcher Heuchler stürzt die Arbeiter in Grübeleien, die sie an Gottes Hilfe verzweifeln lassen.

Noch im späten ›Geldmännle‹ (1903) ist die Kritik an einem die Abwendung von der Religion befördernden Kapitalismus ein Hauptmotiv. Das arme Paar dort »glaubt« tatsächlich an den »Herrgott«: »du aber nicht«, wirft Marie dem ausbeuterischen Musterwirt und Patron ihres Verlobten Anton vor, »obgleich du dich so stellst«.203 Der sozial engagierte Lehrer ausgerechnet mit Namen Bernstein, der »für den hungernden Arbeiter« und dessen



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Selbsthilfe schreibt204 - »›Die Notlage der Handweberei im Erzgebirge. Eine volkswirtschaftliche Studie‹«205 sowie: »›Die Arbeiterarmut und das unlautere Kapital‹«206 -, führt in seinen Büchern das Herzle und die Mutter »als einen Beweis« dafür an, »daß die Armut ganz wohl das unlautere Kapital besiegen kann, wenn sie dem lieben Gott vertraut, die Hände fleißig regt und ebenso fleißig darüber nachdenkt, wie man sich selbst auch helfen kann«.207 Was May wünschenswert erscheint, ist in der Erzählung bereits Wirklichkeit. Der König ermutigt die dem Herrn des Himmels und ihm selbst treu ergebenen Untertanen zur Initiative gegen die demoralisierenden Wirkungen des Wirtschaftsliberalismus. Auch Bernstein setzt auf »die gottvertrauende Seele unserer Bevölkerung« im »Kampf zwischen Menschenhand und Maschine, zwischen Armut und Reichtum«. Anders als die Sozialdemokraten (welche damit unausgesprochen gemeint sind) will er »nicht durch Sturm und Kampf ... erreichen«, dass »das Kapital ... sich nicht mehr zwischen den Produzenten und Konsumenten stellen« werde, »um beide auszubeuten ..., sondern auf dem friedlichen Wege des Gesetzes und christlicher Liebe«. Deswegen werde auch »der Herr Minister« selbst seine Ausstellung eröffnen,208 denn natürlich fungiert die Obrigkeit als Garant dieser kommenden sozialen Theodizee. Der Wirt hingegen, ein »Reiche(r)«, der den Erwerb des »Arme(n)« wegnimmt,209 später auch bildhaft ›Herr Frömmelt‹ genannt, ist trotz seiner pseudoreligiösen Mimikry nicht nur der lebenspraktischen Gottferne, der Fixierung auf das Geld wegen »ein materieller, höchst materieller Herr, so materiell, daß« - bekommt er gesagt - »Sie von Geist fast keine Spur besitzen«.210

Materialisten - das sind für May offensichtlich nicht nur jene, die keinen Himmel kennen und damit zugleich eine unendlich reiche Schöpfung bestreiten, welche der Mensch in sich trägt (Friede, S. 218). Auch jene anderen zählen dazu, die ›krass selbstsüchtig‹211 handeln, was bedeutet: ihrer sozialen Verantwortung nicht gerecht werden. Aus eben diesem Grund klagt sich Hiller nach seiner Umkehr als schlechter Aristokrat an: »ich höhnte über die christliche Lebensregel, welche dem Hochstehenden gebietet, Liebe zu säen, um dafür doppelt Liebe zu ernten.« (Weihnacht, S. 513f.) Unübersehbar fordert die religiöse Wende handlungsleitende Konsequenzen, gelobt er doch, eingedenk des neu gefundenen Glaubens »hilfsbereit gegen alle Menschen« zu sein, »welche, wie ich jetzt erkenne, meine Brüder sind.« (Ebd., S. 515) Sich vom Dienstgedanken des aufgeklärten Absolutismus Friedrichs II. von Preußen abgrenzend, sieht der Aphoristiker der ›Himmelsgedanken‹ analog dazu jede(n) Fürst(en) in Gottes Stellvertretung als Vater seines Volkes mit allen Vaterpflichten und Vaterrechten ...212 Als Akte gegenseitiger religiöser Pflichterfüllung sollten demnach der Fürst ... für des Volkes und das Volk für des Fürsten Wohlfahrt sorgen. Nur wenn beides geschieht, ist das richtige, beglückende Verhältnis da.213 Hinaus läuft dies auf ein vormodernes Staatsverständnis, dessen Wortwahl in der Spiegelung metaphysischer Verhältnisse Fürsorge auf der



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einen und Unmündigkeitsbewusstsein auf der anderen Seite miteinander kreuzt: Ein Fürst, welcher nach den Wünschen seines Volkes fragt, handelt nach dem Vorbilde Gottes, welcher will, daß seine Kinder ihm die ihrigen im Gebete sagen.214

D e r Schlüsseltext für die heikle Wechselbeziehung von ethischer Reform und politischer Affirmation in Verbindung mit dem Atheismus-Diskurs ist die Klekih-petra-Episode aus ›Winnetou I‹ (1893). Nun ist der deutsche Lehrer der Apachen, wie wir ihn kennen lernen, ganz sicher eine beeindruckende Figur, der niemand seinen Respekt versagen kann. Er stellt sich auf die Seite der Unterdrückten, wird mit einem Herzen voller »Mitleid und Erbarmen« (Winnetou I, S. 130) zum Anwalt der sterbenden »roten Rasse«, an der »ein großes fortgesetztes Verbrechen« (ebd., S. 125) begangen wird, und zieht sich von dessen Urhebern, »den Weißen und ihrem Treiben«, angewidert zurück (ebd.). Freilich nicht, ohne den Indianern deren positive Prinzipien zu vermitteln: Aufklärung und Bildung. Durch und durch ist er ein Vertreter von tätiger Sympathie und humaner Vernunft sozusagen aus dem Geist des Jakobusbriefs, denn: »Der Baum des Glaubens muß die Früchte der Werke tragen.« (Ebd., S. 130; vgl. Jak 2, 14ff.) Auch wenn er die dem Tod geweihten Eingeborenen nicht »retten« kann, will er ihnen doch ihre letzte weltgeschichtliche Stunde erleichtern und über diese »den Glanz der Liebe, der Versöhnung fallen« lassen (Winnetou I, S. 130). Um seinen Schüler Winnetou, den künftigen Edelmenschen, zu schützen, dem der Schuss des betrunkenen Rattler eigentlich gegolten hatte, stirbt er den Opfertod.

Das alles nehmen wir mit emotional grundierter Hochachtung zur Kenntnis, und May hat es sogar sehr gezielt bewusst darauf abgesehen, dass Klekih-petras Porträt durch einen rabenschwarzen Hintergrund desto glänzendere Konturen gewinnt. Mit diesem aber sind wir völlig bei unserem Thema. Klekih-petras Ende ist nämlich nicht nur Hingabe für einen anderen, sondern auch »Sühne« (ebd., S. 135) und Wiedergutmachung, ganz dezidierte sogar, zurückliegender Schuld (wodurch sich erneut die transzendente Sinnhaftigkeit eines in der Leitung durch »Gottes Hand« (ebd., S. 129) gründenden Weltbilds bezeugt). Auch sein didaktischer Eifer verdankt sich dem Schatten der Vorzeit: »Ich wollte wirken, womöglich grad entgegengesetzt meinem früheren Wirken« (ebd., S. 130).

Diese einstige Praxis aber ist durch ein Ineinander von politischer und religiöser Auflehnung gekennzeichnet, durch die Entfesselung von Hass und Gewalt, die Unschuldige, viele »brave Menschen«, ins Zuchthaus bringt, ja ihr Leben verlieren lässt. Erst diese Konsequenz traf ihn »wie ein Keulenschlag« (ebd., S. 129). Kurzum: in seinen Selbstanklagen outet sich der Vater der Mescaleros als fanatischer Demagoge von 1848, dessen schiefe Bahn schon vorher als eine Art junghegelianischer Intellektueller im Schuldienst begann und folgerichtig in die Katastrophe führte: »Ich hatte Gott verloren ... « (ebd., S. 127) - so leitet Klekih-petra seine Lebensbeichte kurz vor dem Tod ein, deren Kernsätze lauten: »Mein größter Stolz bestand darin, Freigeist zu sein, Gott abgesetzt [!] zu haben, bis auf das Tüpfel nachweisen zu



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können, daß der Glaube an Gott ein Unsinn ist. ... Da war ich der Massendieb, der Massenräuber, der den Glauben an und das Vertrauen zu Gott in ihnen tötete. Dann kam die Zeit der Revolution.« (ebd., S. 128) Geschickt kontaminiert May hier einige im Weltanschauungskampf der Zeit beliebte Negativ-Klischees: den Lehrer, den Revolutionär, schließlich den per se lieblosen und unmoralischen Atheisten.

Seitens der Forschung hat man sich bemüht, ihn durch den Hinweis in Schutz zu nehmen, dass die Geschichte Klekih-petras, des »frühere(n) Gottesleugner(s)« (ebd., S. 131), von der psychischen und individual-ethischen Problematik des Autors her, aus seinen inneren Hoffnungen, Nöten und Bewältigungsversuchen zu interpretieren sei:215 eine Betrachtungsweise, die jedoch nicht nur mit den zur Genüge bekundeten Wirkungsabsichten Mays kollidiert. Sie wird ferner dem zeitgeschichtlichen Referenzrahmen des Textes nicht gerecht. Ein Leser von 1893 wusste die darin wurzelnden Botschaften der Episode denn wohl auch durchaus zu entschlüsseln.

Zunächst das Schreckbild vom ungläubigen Pädagogen also, der die Jugendlichen verdirbt. Solche Vorwürfe grassierten in der religiösen und konservativen Polemik spätestens seit dem Nachmärz.216 »(...) die Religionsgefahr«, stellte etwa Gottfried Keller in seiner Rezension von Jeremias Gotthelfs ›Zeitgeist und Berner Geist‹ (1852) fest, fange bei der »freisinnigen Einrichtung und Leitung des Lehrerseminars« an: darauf laufe der »Inhalt« des gesamten Romans hinaus.217 Deswegen wachte man in der zweiten Jahrhunderthälfte auch mit Nachdruck darüber, dass »in erster Linie die Schule« (so Wilhelm II. am 1. Mai 1889) »durch Pflege der Gottesfurcht und Liebe zum Vaterlande die Grundlage für eine gesunde Auffassung auch der staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu legen« habe.218

Sodann der Topos des Umstürzlers der Obrigkeit, welcher über Leichen geht (mit der Unterstellung, es sei eben nur der Atheismus, durch den der Boden für Gewalt und Terror bereitet werde). Sicher trifft zu, dass die Revolution von 1848/49 ihre intellektuellen Wurzeln auch in der frühen Religionskritik gehabt hatte. Auf den vormärzlichen Radikalismus verweist der Werdegang zahlreicher publizistisch sehr aktiver Sozialisten und Freidenker des Kaiserreichs. Stellvertretend erwähne ich nur Adolf Douai, zunächst Oberlehrer aus dem sächsischen Altenburg (!), wie Klekih-petra Revolutionär und Amerika-Flüchtling, der nach seiner Rückkehr in viel gelesenen Broschüren wie ›ABC des Wissens‹ (1874) oder ›Eine Antwort an den Bekenner des Theismus‹ (1875) die traditionellen Gottesbeweise zu widerlegen bestrebt war.219

Mit dem weißen Indianerfreund konstruiert May für die revolutionären Vorgänge gleichwohl eine höchst anfechtbare Kausalität. Nur zur knappen Erinnerung: in Dresden (worauf er sich besonders beziehen mag) brach Anfang Mai 1849 die Revolution aus, weil der König sich weigerte, die Reichsverfassung anzuerkennen, und auf Anraten des reaktionären Ministers von Beust heimlich die Hauptstadt verließ, um dadurch einen offenen



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Konflikt mit dem teils liberal, teils demokratisch, teils kommunistisch gesinnten Volk herbeizuführen. Nach der militärischen Niederlage der provisorischen Regierung wurden etwa 12 000 Personen gerichtlich verfolgt. Todesurteile ließ Friedrich August II. zwar nicht vollstrecken, dafür starben die zu langjähriger oder lebenslänglicher Haft Verurteilten häufig an Hunger, Krankheit oder Verzweiflung.220 Einen Einblick in diese Zustände, die Misshandlungen, denen zumal die politischen Gefangenen der unteren Stände ausgesetzt waren, bietet der Dresdener Musikdirektor und Publizist August Roeckel, ein Freund Richard Wagners, der 1865 seine Erinnerungen an die Haftzeit veröffentlichte (›Sachsens Erhebung und das Zuchthaus zu Waldheim‹), im gleichen Jahr noch in zweiter Auflage erschienen: über jenes Gefängnis mithin, das May, aus anderen Gründen, selbst bald darauf kennen lernen sollte - und bei aller erlittenen Demütigung doch ungleich besser behandelt wurde als jene Dissidenten. Solche Zusammenhänge und (um es sehr zurückhaltend zu formulieren) höchst komplexen Verantwortlichkeiten gilt es im Blick zu behalten, wenn man mit der tendenziösen Kette von Ursache und Wirkung konfrontiert wird, die Klekih-petra herstellt. Am Rande bemerkt gibt es in der zeitgenössischen Literatur auch Beispiele dafür, wie während der Revolution die Erfahrung gerade o b r i g k e i t l i c h e r Gewalt, welche den Tod Unschuldiger zur Folge hat, den Verlust des Glaubens nach sich zieht, Ada Christens Erzählung ›Im Armenhause‹ (1876) etwa.221

Nun kann man Mays Dämonisierung der Revolutionäre, fürchte ich, nicht damit entschuldigen, dass ihm die Ereignisse von 1848 etwa nur als beliebige Auslöser von Handlungsmotiven dienten, so als ob sein Schaffen ein rein mytho-biographisches, in der eigenen ›Seele‹ gründendes Phantasieunternehmen gewesen sei. Nein: dieser Autor setzte nachgerade Ehrgeiz darein, stets auch Botschaften zu vermitteln. Hieraus ergibt sich das fundamentale Doppelgesicht seines Werks. Und eine dieser Botschaften bezweckt eben, dem Atheismus die intellektuelle und die moralische Legitimation zu entziehen sowie vor seinen verheerenden Folgen für die Staatsordnung zu warnen. »Wer keinen Gott anerkennt, dem ist auch kein König, keine Obrigkeit heilig« (Winnetou I, S. 128): dieses Argument Klekih-petras kehrt bei den Apologeten des politischen Systems und der Religion im Kaiserreich ständig wieder und wird von den Kräften der Veränderung kritisch umgepolt.

Mays schneidendste Waffe in diesem Streit ist die Gleichung, Abfall von Gott bedeute notwendigerweise Abfall von der Liebe, und es mag wohl sein, dass er ehrlich davon überzeugt war. Jedoch birgt sie auch eine krasse Insinuation den Atheisten gegenüber: diese nämlich seien daher nicht zu einer so leuchtenden Ethik, einem so menschenfreundlichen Wirken wie der geläuterte Klekih-petra imstande. Tatsächlich können Zweifel oder Kritik dem Glauben gegenüber bei May zwar subjektiver Not entspringen, die im Lauf der Handlung aufgehoben wird (so bei Old Sure-



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hand, Dozorca oder Hiller),222 nie aber intellektueller Loyalität. Wie im gesamten religionsapologetischen Schrifttum der Zeit steckt hinter den hartgesottenen Gottesleugnern vielmehr grundsätzlich ein verdorbener Charakter.223 Dies zeigt sich an der häufig gebrauchten Semantik des ›Gottlosen‹, wo Verneinung Gottes und Schlechtigkeit miteinander deckungsgleich werden: Ihr Umfeld deutet immer auf einen praktischen Atheismus, der sich um die Gebote des Herrn nicht bekümmert. Seine Agenten sind auch für May Bösewichter durch und durch. »Solchen Menschen, welche von Gott abgefallen sind, fällt keine Missethat zu schwer« (Sohn I, S. 360), heißt es im ›Verlornen Sohn‹ bei Gelegenheit einer atheistischen Selbstbeschreibung. Oder auch: es »ist der von Gott abgefallene Mensch zu Allem fähig« (ebd., S. 402). Den Kirchen galt der »Verfall der Moral«, der sich besonders in einer steigenden Kriminalität niederschlage, als Indiz für die »Glaubenskrise«.224 »Menschen, welche behaupten, daß es keine Sünde gebe, kennen auch den Begriff und das Wort Verbrechen nicht« (Silberlöwe I, S. 435), sekundiert Kara Ben Nemsi im Auftaktband des ›Silbernen Löwen‹.225 Wenn mit dem Tod wirklich »Alles, alles aus!« ist, wie der Säfir im folgenden Band unbelehrbar und obsessiv brüllt (Silberlöwe II, S. 397), entarten Menschen zwangsläufig zu solchen »Bestien« wie er selbst (ebd., S. 420).

Nun befinden wir uns aber auch bei diesem Thema während der Epoche auf einem Feld, wo es letztlich um die Deutungshoheit von Begriffen geht, und so blieben die Attackierten auf breiter publizistischer Front eine Antwort in gleichen Kategorien nicht schuldig. »Der Atheismus (...) ist die Religion der Menschenliebe«, beanspruchte - mit Feuerbach - etwa die ›Neue Mainzer Zeitung‹ Anfang 1875, nur eine Stimme unter vielen.226 Darauf, »daß Ungläubigkeit nicht gleichbedeutend mit Unmoralität ist«,227 legten alle großen Vordenker des zeitgenössischen Atheismus mit Nachdruck Wert. Darüber hinaus begleitet eine vehemente Infragestellung des theistischen Monopolanspruchs auf Ethik den eigenen Diskurs. »In ihren Todesnöthen sieht man die Religion sich an die Moral anklammern, für deren Mutter sie sich ausgeben möchte«, schreibt Schopenhauer: »- aber mit Nichten! Aechte Moral und Moralität ist von keiner Religion abhängig (...)«.228 Im Gegenteil, so Eduard von Hartmann, fange »wahre Moralität erst (...) bei der selbstgesetzgebenden Selbstbestimmung« an, dem menschlichen Autonomiebewusstsein, weshalb »alle theistische Moral nothwendig unsittlich wirken« müsse, da ihr Handeln »nur gehorsame Ausführung eines fremden Willens« sei.229 Vor dem Horizont »einer besseren Zukunft«230 systematisiert Ludwig Büchner den durch eine atheistische Ethik voran getriebenen Paradigmenwandel:


Menschenliebe tritt an die Stelle der Gottesliebe, Arbeit und Fleiß an die Stelle des Gebets und der Erwartung einer nie eintretenden Hülfe von Oben, Liebe zu Wahrheit und Wissenschaft (...) an die Stelle geträumter Paradiesesfreuden,



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Energie und Thatkraft an die Stelle weichlicher Ergebung in den unabänderlichen Willen oder Rathschluß Gottes.231


Durch die Presse finden solche Gedanken intensive Verbreitung. Zugespitzt konnten Religion und sittliche »Menschenveredelung« auch dort als Gegensätze dargestellt werden, weil das Christentum nicht der wahren Moral dienlich sei, sondern sie nachgerade behindere. Von daher entstand der Doppelslogan vom »sittlich reinen Ungläubigen« und dem »sittlich verrohten Frommen«.232

Die Beziehung zwischen Gottesglauben und Ethik betreffend, werden in der Zeit also gegensätzliche Standpunkte vertreten, die einander polemisch evozieren. Zwischen ihnen zu entscheiden aber ist nicht die Aufgabe eines Literaturwissenschaftlers. Was indes auch an diesem letzten Beispielbereich erkennbar geworden sein sollte, ist das konkrete geschichtliche Spannungsfeld, dem Mays Texte weithin zuzuordnen sind. Dass sie als Beiträge zu einer zentralen Diskussion ihrer Epoche an Bedeutung keineswegs verlieren und in ihren Aussageabsichten nicht der nachträglichen Identifikation oder Distanzierung bedürfen: derlei zu zeigen, war meine Absicht.


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Diese Studie ist das überarbeitete Manuskript eines Vortrags auf dem 17. Kongress der Karl-May-Gesellschaft in Plauen vom 19. Oktober 2003. Der Gestus mündlicher Rede wurde beibehalten.



Auf die Bände der ›Gesammelten Reiseromane‹ bzw. ›Gesammelten Reiseerzählungen‹ und der ›Historisch-kritischen Ausgabe‹ wird mit Kürzeln verwiesen:

Karl May: Gesammelte Reiseromane:

Bd. VI: Der Schut. Freiburg 1892; Reprint Bamberg 1982 (Kürzel: Schut)

Bd. VII: Winnetou, der Rote Gentleman I. Freiburg 1893; Reprint Bamberg 1982 (Winnetou I)

Bd. IX: Winnetou, der Rote Gentleman III. Freiburg 1893; Reprint Bamberg 1982 (Winnetou III)

Bd. XIV: Old Surehand I. Freiburg 1894; Reprint Bamberg 1983 (Surehand I)

Bd. XVI: Im Lande des Mahdi I. Freiburg 1896; Reprint Bamberg 1983 (Mahdi I)

Bd. XVII: Im Lande des Mahdi II. Freiburg 1896; Reprint Bamberg 1983 (Mahdi II)

Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen:

Bd. XVIII: Im Lande des Mahdi III. Freiburg 1896; Reprint Bamberg 1983 (Mahdi III)

Bd. XIX: Old Surehand III. Freiburg 1896; Reprint Bamberg 1983 (Surehand III)

Bd. XXI: Satan und Ischariot II. Freiburg 1897; Reprint Bamberg 1983 (Satan II)

Bd. XXV: Am Jenseits. Freiburg 1899; Reprint Bamberg 1984 (Jenseits)

Bd. XXVI: Im Reiche des silbernen Löwen I. Freiburg 1898; Reprint Bamberg 1984 (Silberlöwe I)

Bd. XXVII: Im Reiche des silbernen Löwen II. Freiburg 1898; Reprint Bamberg 1984 (Silberlöwe II)

Bd. XXVIII: Im Reiche des silbernen Löwen III. Freiburg 1902; Reprint Bamberg 1984 (Silberlöwe III)



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Bd. XXIX: Im Reiche des silbernen Löwen IV. Freiburg 1903; Reprint Bamberg 1984 (Silberlöwe IV)

Bd. XXX: Und Friede auf Erden! Freiburg 1904; Reprint Bamberg 1984 (Friede)

Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. von Hermann Wiedenroth/Hans Wollschläger:

Abt. II Bd. 3-8: Waldröschen I-VI. Bargfeld 1997ff. [Bd. 7 u. 8: Hrsg. von Hermann Wiedenroth] (Waldröschen)

Abt. II Bd. 14-19: Der verlorne Sohn I-VI. Bargfeld 1995f. (Sohn)

Abt. II Bd. 20-25: Deutsche Herzen, deutsche Helden I-VI. Bargfeld 1996f. (Herzen)

Abt. III Bd. 3: Die Sklavenkarawane. Nördlingen 1987 (Sklavenkarawane)

Abt. IV Bd. 1: Durch die Wüste. Nördlingen 1988 (Wüste)

Abt. IV Bd. 2: Durchs wilde Kurdistan. Nördlingen 1988 (Kurdistan)

Abt. IV Bd. 5: Durch das Land der Skipetaren. Nördlingen 1988 (Skipetaren)

Abt. IV Bd. 7: Am Rio de la Plata. Nördlingen 1988 (Plata)

Abt. IV Bd. 8: In den Cordilleren. Nördlingen 1988 (Cordilleren)

Abt. IV Bd. 21: »Weihnacht!«. Nördlingen 1987 (Weihnacht)


1 David Friedrich Strauß: Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntnis. Leipzig o. J. [1934], S. 104
2 Allgemeine Übersichten bieten Fritz Mauthner: Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande [1922]. Bd. 3; Reprint Hildesheim 1963; Georges Minois: Geschichte des Atheismus. Weimar 2000.
3 Arthur Schopenhauers Werke in fünf Bänden. Nach den Ausgaben letzter Hand hrsg. von Ludger Lütkehaus. Zürich 1988. Bd. V: Parerga und Paralipomena. Kleine philosophische Schriften. Zweiter Bd., S. 290
4 Dolf Sternberger: Schriften Bd. V: Panorama oder Ansichten vom 19. Jahrhundert. Frankfurt a. M. 1981, S. 112
5 1864 wird eine ›für das deutsche Volk bearbeitete‹ Ausgabe veröffentlicht.
6 Eduard von Hartmann: Die Selbstzersetzung des Christenthums und die Religion der Zukunft. Berlin 21874, S. 113; weitere Veröffentlichungen Hartmanns in diesem Sinne sind ›Die Krisis des Christenthums in der modernen Theologie‹ (1880) und ›Das religiöse Bewusstsein der Menschheit im Stufengang seiner Entwickelung‹ (1882).
7 Zit. nach Sebastian Prüfer: Sozialismus statt Religion. Die deutsche Sozialdemokratie vor der religiösen Frage 1863-1890. Göttingen 2002, S. 254. Ihren Wert gewinnt diese hervorragende Studie nicht zuletzt durch die sehr ergiebige Aufbereitung von Zeitungsmaterial.
8 Vgl. Max Henning: Handbuch der freigeistigen Bewegung in Deutschland. Leipzig 1914; Frank Simon-Ritz: Die Organisation einer Weltanschauung. Die freigeistige Bewegung im Wilhelminischen Deutschland. Gütersloh 1997; Horst Groschopp: Dissidenten. Freidenkerei und Kultur in Deutschland. Berlin 1997.
9 In: Sigmund Freud: Gesammelte Werke. Chronologisch geordnet. Siebenter Bd.: Werke aus den Jahren 1906-1909. Frankfurt a. M. 41966, S. 129-139 (139)
10 So bildet etwa in der ›Freien Bühne‹ die Glaubens- neben der Frauenfrage das am meisten und ausführlichsten behandelte Thema. Unter dem Titel ›Das Ende der Religion‹ argumentiert Heinrich Hart im 2. Jahrgang der Zeitschrift 1891, die »Kultur« könne »nichts Besseres tun, als beide Atavismen, Ekstase und Religion, zu den Akten der Entwicklungsgeschichte« zu legen. (Zit. nach Richard Hamann/Jost Hermand: Epochen deutscher Kultur von 1870 bis zur Gegenwart. Bd. 2: Naturalismus. Frankfurt a. M. 1977, S. 85.)
11 Nimmt man etwa die Häufigkeit der Teilnahme an Abendmahlsgottesdiensten pro Jahr als verlässlichen Indikator für kirchliche Gebundenheit, so wird (trotz



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aller konfessionellen, soziologischen und regionalen Unterschiede, und obwohl die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung nominell einer christlichen Kirche angehörte, jahres- und lebenszyklische Religiosität weiterhin den Alltag prägte) ein drastischer Verfall der Kirchlichkeit ersichtlich. In Mays Heimat, dem Königreich Sachsen, halbiert sich die Quote der Abendmahlsteilnahmen zwischen 1862 und 1913 von 72 auf 35 pro 100 evangelische Einwohner. Die sächsische Landessynode beklagt 1876, der Kirchenbesuch sei gut nur auf »entlegenen Bauerndörfern« und bei Frauen, schlecht dagegen bei »gebildeten Ständen«, Lehrern, Hand- und Fabrikarbeitern. Dafür sind vor allem in Dresden und Leipzig Freidenkervereine recht aktiv. Ende 1876 präsentiert sich der ›Sächsische Dissidentenbund‹ auf einer Versammlung in Chemnitz erstmals einer breiteren Öffentlichkeit. Drei Jahre später bereits wird er auf der Grundlage des Sozialistengesetzes verboten. Auch sonst bleibt die Obrigkeit nicht untätig. In den Jahren 1876 bis 1878 kommt es, besonders in Sachsen, zu massiven Strafverfolgungen wegen Religionsschmähung und Gotteslästerung. (Vgl. Prüfer, wie Anm. 7, S. 200, 226, 229ff., 234, 241f., 343.) Weitere Literatur: Religion im Kaiserreich. Milieus - Mentalitäten - Krisen. Hrsg. von Olaf Blaschke. Gütersloh 1996; Thomas Nipperdey: Religion im Umbruch. Deutschland 1870-1918. München 1988.
12 Zit. nach Prüfer, wie Anm. 7, S. 203f. (es handelt sich um die Zeitschrift ›Concordia‹)
13 Heinrich Mann: Ein Zeitalter wird besichtigt. (Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Bd. 13.) Düsseldorf 1974, S. 189f.; zur intellektuellen Grundströmung der »ganze(n) Epoche der achtziger Jahre des (...) Säkulums« vgl. auch Gerhart Hauptmanns ›Das Abenteuer meiner Jugend‹: »Der Grundzug unseres damaligen Wesens und Lebens war Gläubigkeit. So glaubten wir an den unaufhaltsamen Fortschritt der Menschheit. Wir glaubten an den Sieg der Naturwissenschaft und damit an die letzte Entschleierung der Natur. Der Sieg der Wahrheit, so glaubten wir, würde die Wahn- und Truggebilde auch auf den Gebieten religiöser Verblendung zunichte machen.« (In: Gerhart Hauptmann: Sämtliche Werke. Centenar-Ausgabe. Hrsg. von Hans-Egon Hass. Bd. VII: Autobiographisches. Frankfurt a. M./Berlin 1962, S. 1071)
14 Minois, wie Anm. 2, S. 545; eine spezifische Reaktionsweise der literarischen Moderne darauf beschreibt Uwe Spörl: Gottlose Mystik in der deutschen Literatur um die Jahrhundertwende. Paderborn 1997.
15 Ludwig Büchner: Am Sterbelager des Jahrhunderts. Blicke eines freien Denkers aus der Zeit in die Zeit. Zweite, vom Verfasser durchgesehene und ergänzte Auflage. Gießen 1900, S. 5
16 Ebd., S. 50
17 Ebd., S. 105
18 Ernst Haeckel: Die Welträtsel. Gemeinverständliche Studien über monistische Philosophie. Mit einer Einleitung von Iring Fetscher. Stuttgart 1984, S. 7; vgl. auch Gunter Mann: Ernst Haeckel und der Darwinismus: Popularisierung, Propaganda und Ideologisierung. In: Medizinhistorisches Journal 15 (1980), S. 269-283 (bes. S. 278); Dietrich von Engelhardt: Polemik und Kontroversen um Haeckel. In: Ebd., S. 284-304. Ludwig Büchner sprach schon 1887 von »jene(m) große(n) Kampf zwischen der übernatürliche Ursachen statuirenden Religion und der nach Aufdeckung natürlicher Ursachen strebenden Wissenschaft oder zwischen Glauben und Wissen, (...) welcher heutzutage in Folge der großartigen Fortschritte menschlichen Wissens und menschlicher Erkenntniß heftiger und unversöhnlicher tobt, wie jemals zuvor (...).« (Über religiöse und wissenschaftliche Weltanschauung. Ein historisch-kritischer Versuch. Leipzig 1887, S. 20; Reprint Neustadt am Rübenberge 1999)



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19 Karl May: Ein Schundverlag. In: Ders.: Ein Schundverlag. Ein Schundverlag und seine Helfershelfer. Prozeß-Schriften Bd. 2. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1982, S. 271 und 276; vgl. S. 261f. sowie: Karl May: Zur Abwehr. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 1983. Husum 1983, S. 69-75 (69) - dass eine solche Übertragung legitim ist, zeigt sich etwa an einer zeitgleichen Aufzeichnung: ... den Mörder der Seele preist man als großen Philosophen - womit zweifellos die Religionskritiker auf dem Katheder gemeint sind. (Zit. nach: Parerga und Paralipomena über Gott und die Welt aus Karl Mays späten Jahren. Hrsg. und kommentiert von Dieter Sudhoff. In: Zwischen Himmel und Hölle. Karl May und die Religion. Hrsg. von Dieter Sudhoff. Bamberg/Radebeul 2003, S. 209-331 (326)).
20 Karl May: Briefe über Kunst. In: Der Kunstfreund. XXII./XXIII Jg. (1906/07) bzw. (›6. Kunstbrief vom 15. April 1907‹) in: Karl-May-Jahrbuch 1920. Radebeul 1919, S. 65-71; als Faksimile in: Karl May. Leben - Werk - Wirkung. Eine Archiv-Edition. Hrsg. von Ekkehard Bartsch. Abt. I: Leben. Gruppe a (Biographische Selbstzeugnisse), H. 3. Hier: 6. Kunstbrief, S. 66
21 So in dem stark von Karl May inspirierten Aufsatz von 1909: Franz Langer: Die Schund- und Giftliteratur und Karl May, ihr unerbittlicher Gegner. Als Faksimile in: Für und wider Karl May. Aus des Dichters schwersten Tagen. Hrsg. von Siegfried Augustin. Materialien zur Karl-May-Forschung Bd. 16. Ubstadt 1995, S. 221-240 (227); auch in: Karl May's Gesammelte Werke Bd. 85: Von Ehefrauen und Ehrenmännern. Biografische und polemische Schriften. Bamberg/Radebeul 2004, S. 283-299 (287; die These, Franz Langer sei lediglich ein Pseudonym für May ist allerdings widerlegt; siehe Wolfgang Hermesmeier/Stefan Schmatz: Wer war Franz Langer? In: Ebd., S. 279-282). - Vgl. etwa noch: Parerga und Paralipomena, wie Anm. 19, S. 246 (›Aphorismen um 1900‹); Karl May: Der Dichter über sein Werk. Skizze zu Babel und Bibel. In: Karl May's Gesammelte Werke Bd. 49: Lichte Höhen. Lyrik und Drama. Bamberg/Radebeul 1998, S. 455-484 (466; entstanden 1906).
22 Karl May: May gegen Mamroth. Antwort an die »Frankfurter Zeitung« [1899]. In: Jb-KMG 1974. Hamburg 1973, S. 131-152 (150)
23 Karl May: Freuden und Leiden eines Vielgelesenen. In: Deutscher Hausschatz XXIII. Jg. (1897), S. 18; Reprint in: Karl May: Kleinere Hausschatz-Erzählungen. Hrsg. von Herbert Meier. Hamburg/Regensburg 1982
24 Ebd., S. 19
25 Ebd., S. 18
26 Ebd.
27 »Karl May als Erzieher« und »Die Wahrheit über Karl May« oder Die Gegner Karl Mays in ihrem eigenen Lichte - von einem dankbaren May-Leser. Freiburg i. Br. 1902, S. 14; Reprint: Karl May: Der dankbare Leser. Materialien zur Karl-May-Forschung Bd. 1. Ubstadt 1974 - unter den Zuschriften, die der Autor hier im Anhang versammelt, finden sich zahlreiche, die ihn als »Theophoros« (ebd., S. 142) für seine Leser preisen, als Retter » m a n c h e ( r ) S e e l e « (ebd., S. 104; vgl. S. 105; auch S. 91). Umgekehrt ist May davon überzeugt, man habe sich wegen seiner gläubigen Richtung gegen ihn verbunden. Die Angriffe sind also nicht gegen ihn, sondern g e g e n s e i n e n G l a u b e n gerichtet, und zwar von den Feinden des Christentums. (Ebd., S. 21; vgl. S. 20, 27; auch das Fremdzeugnis S. 141)
28 Vgl. May: May gegen Mamroth, wie Anm. 22, S. 135: Ich lege die Sonde an die großen Wunden der Gegenwart .... Ich zeige die Heilung auf dem Wege des Glaubens, der Liebe und des Friedens. Im ›Silbernen Löwen‹ geht Kara Ben Nemsi ausdrücklich wie ein spiritueller Arzt bzw. Seelenarzt vor (Silberlöwe I, S. 610f.).
29 Jüngeren Datums vgl. z. B. Oliver Gross: Old Shatterhands Glaube. Christentumsverständnis und Frömmigkeit Karl Mays in ausgewählten Reiseerzählun-



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gen. Husum 1999; Zwischen Himmel und Hölle, wie Anm. 19; Hermann Wohlgschaft: Große Karl-May-Biographie. Leben und Werk. Paderborn 1994; danach auch drei Aufsätze des gleichen Verfassers: Mays Droschkenparabel und das Enneagramm oder Die Gottesgeburt in der Seele des Menschen. In: Jb-KMG 1999. Husum 1999, S. 297-359; »Die Schöpfung ist noch nicht vollendet.« Der Entwicklungsgedanke bei Karl May und Pierre Teilhard de Chardin. In: Jb-KMG 2003. Husum 2003, S. 141-188; Karl May und die Evolutionstheorie. Quellen - geistesgeschichtlicher Hintergrund - zeitgenössisches Umfeld. In: Ebd., S. 189-243.
30 Brief an Hans Möller vom 6. Oktober 1905 (»Liebe Wißbegierde!« Karl und Klara Mays Briefwechsel mit Hans Möller. In: Jb-KMG 1998. Husum 1998, S. 9-33 (14); die Stelle auch in: Parerga und Paralipomena, wie Anm. 19, S. 302) - Mays im Brief vom 18. Dezember 1906 an Prinzessin Wiltrud von Bayern niedergelegtes Glaubensbekenntniß, welches sich höchst unorthodox an dem nicaeo-konstantinopolitanischen der alten Kirche orientiert, beginnt mit dem Satz: Ich glaube an Gott! (Karl May: Briefe an das bayerische Königshaus. In: Jb-KMG 1983. Husum 1983, S. 76-122 (100f.); auch in Parerga und Paralipomena, wie Anm. 19, S. 276; vgl. 278)
31 Brief an Marie Therese von Bayern vom 26. September 1906 (May: Briefe an das bayerische Königshaus, wie Anm. 30, S. 85; die Stelle auch in: Parerga und Paralipomena, wie Anm. 19, S. 310; vgl. auch S. 297, 307, 313)
32 Fritz Maschke: Karl May und Emma Pollmer. Die Geschichte einer Ehe. Bamberg 1973, S. 241; auch in: Volker Griese: Karl May. Chronik seines Lebens. Husum 2001, S. 71
33 Zit. nach Griese, wie Anm. 32, S. 80
34 In: Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft (M-KMG) 35/1978, S. 4; auch in: Griese, wie Anm. 32, S. 129
35 Brief an Karl Pustet vom 11. Januar 1909 (Karl May: Briefe an Karl Pustet und Otto Denk. Mit einer Einführung von Hans Wollschläger. In: Jb-KMG 1985. Husum 1985, S. 15-62 (43); die Stelle auch in: Parerga und Paralipomena, wie Anm. 19, S. 320)
36 »Er lehrt [seine Leser] wieder an Gott glauben«, schreibt sein Apologet Franz Langer (Langer, wie Anm. 21, S. 234, auch Bd. 85, S. 293). Im Brief an Heinrich Kirsch vom 4. April 1901 setzt May seine W e r k e sogar mit einem Gotteshaus gleich (in: M-KMG 2/1969, S. 14ff.; die Stelle auch in: Parerga und Paralipomena, wie Anm. 19, S. 282).
37 »Er ist der größte Idealist und darum auch der meistgelesenste [!] Schriftsteller in der gegenwärtigen deutschen Literatur«, sagt 1909 sein Apologet Franz Langer (Langer, wie Anm. 21, S. 230, auch Bd. 85, S. 290). Vgl. dazu insbesondere Mays ›Briefe über Kunst‹ (wie Anm. 20, III. [Kunstbrief]), wo ihr die quasi-religiöse Aufgabe zugewiesen wird, die Dissonanzen des Erdenlebens in Wohlklang aufzulösen, wo sie ferner darzustellen hat, was die Seele erhebt und nicht nach unten zieht.
Mit anti-naturalistischer Stoßrichtung preist der Münedschi in seiner Gerichtsvision jene »Künstler, deren Streben es war, in ihren Werken die wahre Natur [!], die Uebermacht des Guten und Schönen über das Böse und Häßliche, also die Offenbarung Gottes im Menschen, des Himmlischen im Irdischen nachzuweisen. Sie wühlten nicht wie andere mit Wollust im Schmutze; sie machten nicht unter dem irrigen Vorgeben, wahr sein zu müssen, die Roheit und das Laster zur Staffel ihres Ruhmes, denn sie wußten, daß die Sünde nicht die Wahrheit, sondern ihre abstoßende Verneinung ist. Die Kunst ist nur dann wirkliche Kunst, wenn sie nach dem Edlen auch auf edlem Wege strebt. Wer da glaubt, er könne dem Hohen durch die Darstellung des Niedrigen dienen, der versteht die Aufgabe nicht, die ihm von Gott, dem Urquell des höchsten Könnens und also auch aller Kunst, geworden ist!«



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(Jenseits, S. 336; vgl. auch ebd., S. 325: »daß die wahre, echte Kunst himmelan zu streben hat«; ferner Karl May: Himmelsgedanken. Freiburg 1900 (Reprint: Hrsg. von Ralf Schönbach. Norderstedt o. J. [2005]), insbes. S. 233f. (›Das Volkslied‹), 144, 243 (Aphorismen); May: Der dankbare Leser, wie Anm. 27, S. 64 (vgl. ebd., S. 141); Karl May: Auch »über den Wassern«. In: Jb-KMG 1976. Hamburg 1976, S. 230-272 (237f.); Parerga und Paralipomena, wie Anm. 19, S. 250, 252f. (›Aphorismen um 1900‹), S. 273 (›Aufzeichnungen um 1904‹), Brief an Sascha Schneider von 1906 (in: Hansotto Hatzig: Karl May und Sascha Schneider. Dokumente einer Freundschaft. Bamberg 1967, S. 110-112; auch in: Parerga und Paralipomena, wie Anm. 19, S. 302); Brief an Prinzessin Marie Therese von Bayern vom 26. September 1906 (in: May: Briefe an das bayerische Königshaus, wie Anm. 30, S. 87-90; auch in: Parerga und Paralipomena, wie Anm. 19, S. 311f.) und Parerga und Paralipomena, wie Anm. 19, S. 324 (Brief an Oskar Neumann vom 5. Oktober 1909).
38 Brief an Prinzessin Marie Therese von Bayern vom 26. September 1906 (May: Briefe an das bayerische Königshaus, wie Anm. 30, S. 90; auch in: Parerga und Paralipomena, wie Anm. 19, S. 312)
39 Zit. nach Erich Heinemann: Eine Gesellschaft für Karl May. 25 Jahre literarische Forschung 1969-1994. Husum 1994, S. 11
40 Zit. nach ebd., S. 12; May selbst nennt sich einmal einen Laienbruder (Parerga und Paralipomena, wie Anm. 19, S. 294 (Brief an Wilma Carthaus vom 20. März 1905)). Was die Münchmeyer-Romane betrifft, qualifiziert ein Forscher der Gegenwart Karl May als »praktische(n) Seelsorger: für schlichte Leser, für arme Leute (›schlicht‹ und ›arm‹ im Sinne von Mt 11, 25 bzw. Mt 5, 3), für Menschen also, die die Sehnsucht nach ›höheren Dingen‹, nach Rettung auch der Verlorenen, nach neuer Erfahrung von Sinn, nach unvergänglicher Liebe, nach ›Gottes Reich‹ nicht aufgegeben haben«. (Hermann Wohlgschaft: »Ich möchte heim ...« Sterbeszenen in Mays Kolportageromanen. In: Jb-KMG 1997. Husum 1997, S. 176-210 (198)). Auch den anderen Werkgruppen eigne der »›Wille zum Sinn‹«, eine »religiös-didaktische Grundtendenz«, ein »metaphysische(r) Hintergrund«, wo es sich nicht gar vollends um »›theologische Poesie‹« handle. (Ebd., S. 178)
41 Vgl. etwa Hermann Cardauns: Herr Karl May von der anderen Seite. In: Jb-KMG 1987. Husum 1987, S. 206-224, bes. S. 210f.; Auszug in: Karl May. Hrsg. von Helmut Schmiedt. Frankfurt a. M. 1983, S. 19-23, bes. S. 22 (als Faksimile in: Karl May. Leben - Werk - Wirkung. Eine Archiv-Edition. Hrsg. von Ekkehard Bartsch. Abt. I: Leben. Gruppe c (Presseauseinandersetzungen bis 1912); bes. 524f.). Der theistische Glaube wurde May von seinen katholischen Kritikern jedenfalls nie abgesprochen. (Von der anonymen Pantheismus-Denunziation bei der vatikanischen Zensurkongregation kann man dabei absehen. Vgl. Hubert Wolf: Karl May und die Inquisition. In: Zwischen Himmel und Hölle, wie Anm. 19, S. 333-422)
42 Jürgen Wehnert: Old Shatterhand auf christlichen Pfaden. In: Zwischen Himmel und Hölle, wie Anm. 19, S. 25-49, nennt Mays »unüberwindliche Helden (...) Christusse im exotischen Gewand« (ebd., S. 38; vgl. auch S. 33f., 39f.).
43 Zu diesem für Mays Handlungskonstellationen strukturbestimmenden Motiv vgl. Gross, wie Anm. 29, S. 65-74, bes. S. 73.
44 Ein eigenes Kapitel, das mit Blick auf die Religionskritik Nietzsches angebracht wäre, liegt bereits vor: Hans-Rüdiger Schwab: Der Sieg über den Panther. Karl Mays Auseinandersetzung mit Friedrich Nietzsche. In: Jb-KMG 2002. Husum 2002, S. 235-274. An meine Bemerkung ebd., S. 253, knüpft die vorliegende Studie an.
45 Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg o. J. (1910), S. 95; Reprint Hildesheim/New York 1975. Hrsg. von Hainer Plaul. Die Ueberzeugung, daß es einen



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Gott gebe, der auch über mich wachen und mich nie verlassen werde, ist, sozusagen, zu jeder Zeit eine feste, unveräußerliche Ingredienz meiner Persönlichkeit gewesen ... (Ebd.) Allerdings wird eine innere Störung durch die Art des Religionsunterrichts erwähnt (ebd.).
46 Vgl. Jutta Dreisbach-Olsen: Ludwig Büchner. Zur soziologischen Analyse naturwissenschaftlich-materialistischen Denkens im 19. Jahrhundert. Diss. Marburg/Lahn 1969, S. 89.
47 Karl May: Ein wohlgemeintes Wort. In: Neuer deutscher Reichsbote. Jg. 1883 (Reprint in: Ein wohlgemeintes Wort. Frühe Texte aus dem »Neuen deutschen Reichsboten« 1872-1886. Hrsg. von Michael Petzel/Jürgen Wehnert. Lütjenburg 1994 (S. 130)) - die zeitgenössische Häufigkeit solcher Lektüreanlässe bezeugt 1875 der frühe Neukantianer Friedrich Albert Lange: Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart. Zweites Buch: Geschichte des Materialismus seit Kant. Hrsg. und eingeleitet von Alfred Schmidt. Frankfurt a. M. 1974, S. 685: Es »nehmen alle Zeitschriften Partei für oder gegen Darwin; es erscheinen fast täglich neue größere oder kleinere Schriften über die D e s z e n d e n z t h e o r i e , d i e n a t ü r l i c h e Z ü c h t u n g und besonders, wie sich denken lässt, über die A b s t a m m u n g d e s M e n s c h e n (...)«.
Zum gesamten Zusammenhang vgl. Andreas W. Daum: Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert. Bürgerliche Kultur, naturwissenschaftliche Bildung und die deutsche Öffentlichkeit 1848-1914. München 1998; im Hinblick auf May vgl. Wohlgschaft: Evolutionstheorie, wie Anm. 29. Die sorgfältige Untersuchung eventueller Quellen des Autors bezieht von diesem selbst freilich nur zwei frühe theoretische Arbeiten ein, ›Geographische Predigten‹ und ›Das Buch der Liebe‹, sowie den späten Roman ›Ardistan und Dschinnistan‹. Wohlgschafts Thesen gegenüber, May habe »die biologische Evolutionslehre (...) gebilligt« (ebd., S. 200), »ja freudig begrüßt« (ebd., S. 226), sei ein »unorthodoxer Darwinianer« (ebd., S. 209) oder »›darwinistischer Pietist‹« (ebd., S. 227) gewesen, habe gar »zwischen der modernen (darwinistischen) Evolutionslehre und dem theistischen Schöpfungsglauben zu vermitteln versucht« (ebd., S. 223), scheint mir trotz einer frühen Bemerkung aus dem ›Buch der Liebe‹, es liege in der »Entstehungslehre« des Engländers - setze man nur den göttlichen Schöpfer voraus - »keineswegs eine Entwürdigung des menschlichen Geschlechtes« (zit. nach ebd., S. 200), und der darwinistischen Literatur in seiner Bibliothek (vgl. ebd., S. 235), jedoch Skepsis angebracht. Bei der nachdrücklichen Ablehnung des »haltlose(n) Evolutionistenthum(s)« (zit. nach ebd., S. 213) aus der Spätzeit handelt es sich keineswegs nur um eine »Schutzbehauptung« (ebd.) offiziellen katholischen Empfindlichkeiten gegenüber, wie sein zeitgleich entstandener Aufsatz mit der Zurückweisung von Haeckel und Max Dreyers pro-darwinistischem Stück zeigt (Karl May: Theater. In: Jb-KMG 1985. Husum 1985, S. 364-366; vgl. in dieser Studie S. 118). Zutreffend ist vielmehr, dass sich Mays Entwicklungsdenken wesentlich aus ganz anderen Traditionen speist, und Wohlgschaft hat Recht, wenn er es dann doch vor allem mit »Spiritualismus« (ebd., S. 194) und »teleologische(r) Weltbetrachtung« (ebd., S. 202, vgl. S. 205) in Verbindung bringt. Selbst im ›Buch der Liebe‹ ([Karl May:] Das Buch der Liebe. Dresden 1875/76 (als Reprint der Karl-May-Gesellschaft: Karl May: Das Buch der Liebe. Regensburg 1988/89. Hrsg. von Gernot Kunze; Bd. I: Textband)) argumentiert May trotz punktueller Darwin-Anleihen durchgehend mit einem großen Zweck (1. Abth., S. 6) der vom ewigen Vater durch-walte(ten) und regir(ten) Schöpfung (S. 16), in der Alles seine Bestimmung habe (S. 15) und man von himmlischen Offenbarungen umgeben sei (3. Abth., S. 91; vgl. S. 96-102, 1. Abth., S. 11, 22, 28, 120). Sein später Begriff der Entwickelung als (wie in dem gleichnamigen Gedicht aus den ›Himmelsgedanken‹, wie Anm. 37, S. 251f.) zielgerichtete Stufenordnung von Stoff, Kraft, Geist



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und Seele, die sich in dem ›Menschheitsfragen‹-Vortrag mit der Perspektive einer notwendig fortschreitenden ›Dematerialisierung‹ verbindet, bis sich im »Gottesbewußtsein« »der letzte und höchste Schritt der Heimkehr zum Vater« vollziehen werde (May lt. einem damaligen Pressebericht in: Karl May's Gesammelte Werke Bd. 82: In fernen Zonen. Karl Mays Weltreisen. Bamberg/Radebeul 1999, S. 378f.; vgl. Silberlöwe IV, S. 34ff.), hat jedenfalls nichts mit Darwin zu tun, der bekanntlich im Gegenteil Kategorien der Zielgerichtetheit und notwendigen Stufenfolge des älteren entwicklungsgeschichtlichen Denkens nachdrücklich bestritt und niemals in metaphysischen Kategorien argumentierte. Hinzu kommt, dass der (für Darwin unhintergehbare) Begriff der exakten Wissenschaft gerade in Mays Spätwerk durchgehend negativ besetzt ist (vgl. in dieser Studie S. 121). Von einer ›Vermittlung‹ kann also kaum die Rede sein, allenfalls von einem esoterischen Gegenkonzept der Entwickelung, das, nicht untypisch für die Zeit, die individuelle Modifikation überkommener religiöser Inhalte mit einer neuen Semantik kreuzt. (So ist etwa auch bei Madame Blavatsky - die Darwin ins Russische übersetzte - häufig von ›Evolution‹ die Rede, wobei nie ein biologisch fassbarer Sinn erkennbar, vielmehr eine okkulte Höherentwicklung des Menschen angenommen wird. Vgl. Gerhard Wehr: Helena Petrowna Blavatsky. Eine moderne Sphinx. Biographie. Dornach 2005.) Auf für seine sinnvolle Verwendung wesentliche Bedeutungsunterschiede und Differenzierungen des Evolutions-Begriffs achtet der aktuelle interdisziplinäre Dialog mit Bedacht übrigens sehr genau: vgl. Darwin und Gott. Das Verhältnis von Evolution und Religion. Hrsg. von Ulrich Lüke/Jürgen Schnakenberg/Georg Souvignier. Darmstadt 2004. Zur sachgemäßen Kontextualisierung von Mays Utopie wäre in jedem Falle zu beachten: Eve-Marie Engels: Die Rezeption von Entwicklungstheorien im 19. Jahrhundert. Frankfurt a. M. 1995; Friedrich Wilhelm Graf: Alter Geist und neuer Mensch. Religiöse Zukunftserwartungen in Deutschland. In: Das neue Jahrhundert. Europäische Zeitdiagnosen und Zukunftsentwürfe um 1900. Hrsg. von Ute Frevert. Göttingen 2000, S. 185-228, bes. S. 221ff. Weiteres zu Darwin-Assoziationen bei May unter Anm. 83ff.
48 Im V. der ›Briefe über Kunst‹ (wie Anm. 20) oder in: May: Theater, wie Anm. 47, S. 365; zur Haeckel-Präsenz in Mays Bibliothek vgl. Wohlgschaft: Teilhard de Chardin, wie Anm. 29, S. 180; ders.: Evolutionstheorie, wie Anm. 29, S. 235.
49 Vgl. schon May: Das Buch der Liebe, wie Anm. 47, 3. Abth., S. 11f.; zur Wendung von ›Kraft und Stoff‹ außerdem: Jenseits, S. 305, 309, die Reisetagebücher (siehe die Auszüge in: May: In fernen Zonen, wie Anm. 47, S. 198, 374) oder ›Himmelsgedanken‹ (wie Anm. 37), auch im V. der ›Briefe über Kunst‹ (wie Anm. 20).
50 In Dresden sah May, über dessen späte Theaterbesuche wir immerhin informiert sind, etwa Ibsens ›Gespenster‹ (10. Mai 1903; vgl. Griese, wie Anm. 32, S. 119), wo bekanntlich nicht nur der Determinismus das Geschehen strukturiert, sondern Frau Alving ausdrücklich den »alten, toten Glauben« angreift und dafür von Pastor Manders hilflos zurechtgewiesen wird: »O diese abscheulichen, aufrührerischen, freidenkerischen Schriften!« (Henrik Ibsen: Sämtliche Werke. Volksausgabe in fünf Bänden. Hrsg. von Julius Elias/Paul Schlenther. Berlin 1916. Bd. 4, S. 139) Mays Lieblingsschauspielerin am Dresdener Hoftheater, Pauline Ulrich, setzte sich besonders für Ibsen und andere moderne Autoren ein (vgl. Klara May: Die Lieblingsschriftsteller Karl Mays. Mit Anmerkungen von Hans Wollschläger. In: Jb-KMG 1970. Hamburg 1970, S. 149-155, vgl. bes. S. 153, Anm. 1). Zu Max Dreyers ›Der Probekandidat‹ vgl. Anm. 90. Unter den religionskritischen Autoren, die May las, sind an erster Stelle Ludwig Anzengruber und Berthold Auerbach zu nennen. (Vgl. Jürgen Hein: Die ›Erzgebirgischen Dorfgeschichten‹. Zum Erzähltyp »Dorfgeschichte« im Frühwerk Karl Mays. In: Jb-KMG 1976. Hamburg 1976, S. 47-68.) Der ländliche Erzähler Auerbach - auf den das ›Buch der Liebe‹



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(wie Anm. 47, 1. Abth., S. 143) eine inhaltliche Referenz enthält - gehörte zu den meistgelesenen Autoren in Gefängnisbibliotheken. Seine Religionskritik artikuliert sich am deutlichsten in ›Lucifer‹ (1847), ist aber (vor allem pantheistisch, zuweilen auch atheistisch grundiert) in anderen seiner Geschichten greifbar. Was Anzengruber betrifft, spricht einiges dafür, dass sich Mays Wurzelsepp Anregungen durch die gleichnamige Figur aus dessen Volksstück ›Der Pfarrer von Kirchfeld‹ verdankt, das in Österreich und Deutschland ein riesiger Bühnenerfolg war. (Vgl. Christoph F. Lorenz: Karl Mays zeitgeschichtliche Kolportageromane. Frankfurt a. M. 1981, S. 270ff.) Während jedoch der Kräutersammler bei dem Wiener Autor als Beispiel dafür dient, wie die alte Kirche einen Menschen innerlich zu zerstören und eine liberale Praxis der Frömmigkeit ihn wieder zu versöhnen vermag, fungiert sein Namensvetter im ›Weg zum Glück‹ als Heldenfigur aus dem Geist des Volkes, das jederzeit treu zu Gott und König steht. (Übrigens wird im ›Pfarrer von Kirchfeld‹ auch ein »Talmüller« erwähnt: Ludwig Anzengrubers sämtliche Werke. Unter Mitwirkung von Karl Anzengruber hrsg. von Rudolf Latzke/Otto Rommel. Kritisch durchgesehene Gesamtausgabe in 15 Bänden. Wien 1921 (Reprint: Nendeln/Liechtenstein 1976), Bd. 2: Ländliche Schauspiele, S. 31.) Zur Anzengruber-Bewunderung ihres Mannes vgl. Klara May (s. o., S. 149). Schließlich ist auch ein später Besuch der Inszenierung von Anzengrubers ›Meineidbauer‹ bezeugt (9. April 1902: vgl. Griese, wie Anm. 32, S. 112). Nicht vergessen sei, dass May in seiner Frühzeit mit Christoph August Tiedge gern einen älteren literarischen Religions-»Zweifler« zitiert (May: Das Buch der Liebe, wie Anm. 47, 3. Abth., S. 11f.; Karl May: Geographische Predigten. In: Schacht und Hütte. Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für Berg-, Hütten- und Maschinenarbeiter. 1. Jg. (1875/76); Reprint Hildesheim/New York 1979, S. 149, vgl. 126). Dessen langes Gedicht ›Urania. Über Gott, Unsterblichkeit und Freiheit‹ von 1800 wurde bis in die zweite Jahrhunderthälfte hinein gern gelesen (1862 erschien die 18. Auflage).
51 Karl May: Hinter den Mauern und andere Fragmente aus der Haftzeit. In: Jb-KMG 1971. Hamburg 1971, S. 122-143 (130); vgl. Franz Cornaro: Bemerkungen zu Karl Mays Manuskript ›Ange et diable‹. In: Jb-KMG 1978. Hamburg 1978, S. 256-263.
52 May: Hinter den Mauern, wie Anm. 51, S. 130
53 Ebd., S. 131; später dagegen streicht May gerade den Ebenbild-Gedanken heraus: so z. B. Surehand III, S. 308; Jenseits, S. 303; erstmals schon im ›Buch der Liebe‹, wie Anm. 47 (z. B. 3. Abth., S. 102)!
54 May: Hinter den Mauern, wie Anm. 51, S. 129
55 Ludwig Feuerbach: Das Wesen des Christentums. Nachwort von Karl Löwith. Stuttgart 1978, S. 80
56 Mario Praz: Liebe, Tod und Teufel. Die schwarze Romantik. München 41994
57 May: Hinter den Mauern, wie Anm. 51, S. 130
58 May: Das Buch der Liebe, wie Anm. 47, 1. Abth., S. 28f.; vgl. 3. Abth., S. 102.
59 Ebd., 1. Abth., S. 14; vgl. S. 22 und 3. Abth. S. 101.
60 Ebd., 3. Abth., S. 10; vgl. abgemildert auch ebd., 1. Abth., S. 24: Er warf das leuchtende Wort von der Gotteskindschaft mitten hinein in die Finsterniß des Unglaubens, Mißglaubens und der Sclaverei und war somit - also nicht präexistent! - der Sohn Gottes, der Erstgeborene vor allen Kreaturen. Mit kirchenkritischem Eifer schreibt May, es werden noch lange Zeiten vergehen, ehe das echte, lautere Gold der Lehre Christi aus den umgebenden Schlacken geschieden ist ...(S. 29).
61 [Karl May (?)]: Blumen deutscher Kirchenlieder. In: Schacht und Hütte, wie Anm. 50, S. 38; in der Zeitschrift werden wiederholt der ›Spott‹ und die ›Indolenz‹ der Zweifler ausdrücklich kritisiert: vgl. ebd., S. 39, 117, 125. Zu Christus als ›Weisestem der Weisen‹ vgl. auch May: Das Buch der Liebe, wie Anm. 47, 1. Abth., S. 14; vgl. auch S. 21f., 24f.



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62 May: Geographische Predigten, wie Anm. 50, S. 118
63 Ebd., S. 173 (Renans ›Leben Jesu‹ findet sich übrigens später in Mays Bibliothek: vgl. Wohlgschaft: Evolutionstheorie, wie Anm. 29, S. 191. Siehe auch Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Supplemente Bd. 2: Katalog der Bibliothek. Hrsg. von Hermann Wiedenroth/Hans Wollschläger. Bargfeld 1995, S. 70.)
64 May: Geographische Predigten, wie Anm. 50, S. 247 und 126
65 Etwa Winnetou III, S, 426; Surehand I, S. 402; Mahdi III, S. 376; Weihnacht, S. 523; Karl May: Christ ist erstanden! In: Benziger's Marien-Kalender 1894; Reprint in: Christus oder Muhammed. Marienkalender-Geschichten von Karl May. Hrsg. von Herbert Meier. Hamburg 1979 (S. 150)
66 May: Das Buch der Liebe, wie Anm. 47, 3. Abth., S. 8; vgl. damit von Hartmann, wie Anm. 6, S. 18: »das echte und unverfälschte religiöse Gefühl (...) w i l l nichts wissen von einer historischen Kritik der geschichtlichen Voraussetzungen seines Glaubens, es w i l l nichts hören von einer philosophischen Kritik seines metaphysischen Vorstellungskreises (...).« Die verblüffende Übereinstimmung lässt kaum einen anderen Schluss zu, als dass May in die frühen Veröffentlichungen für Münchmeyer manches anonyme Zitat einfließen ließ, wie immer es ihm zugekommen sein mag.
67 May: Das Buch der Liebe, wie Anm. 47, 3. Abth., S. 15; auch diese Wendung findet sich bei von Hartmann, wie Anm. 6, der für die »moderne Bildung« nur einen »der Welt immanenten Gott der ewigen Vernunftgesetze« (S. 29) akzeptabel findet, welcher in seinen vielen Erscheinungsweisen » u n p e r s ö n l i c h « sei (S. 107ff.).
68 May: Das Buch der Liebe, wie Anm. 47, 3. Abth., S. 10; vgl. May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 45, S. 70: ... lernte ich Humboldt ... und alle jene »Großen« kennen, welche der Wissenschaft mehr als der Religion vertrauen .... Bereits erstgenannter stellte den Kosmos ja als reinen Zusammenhang von Naturgesetzen dar, ohne dafür einen schöpferischen Willen zu postulieren.
69 May: Das Buch der Liebe, wie Anm. 47, 3. Abth., S. 11f. Denen, die sein Dasein gar bezweifeln, setzt er einen aufgeklärten kosmologischen Beweis der Existenz Gottes entgegen: während er Myriaden Welten durch das Endlose des Universums sendet, ihn [= sich] zu verkünden. (Ebd., S. 100)
70 Zum Zeitraum zwischen 1822 und 1850 bemerkt Heinrich Schipperges (Weltbild und Wissenschaft im Spiegel der »Naturforscherversammlungen«. In: Dietrich von Engelhardt: Zwei Jahrhunderte Wissenschaft und Forschung in Deutschland. Entwicklungen - Perspektiven. Stuttgart 1998, S. 151-159), er sei für die ganz überwiegende Mehrzahl der Naturwissenschafter »eindeutig getragen von einer religiösen Metaphorik, die bald zur Metaphysik wird. (...) Die Zeit der Erfüllung ist nahe, denn Forschung allein führt zu Gott.« (S. 153). Vgl. damit May: Das Buch der Liebe, wie Anm. 47, 3. Abth., S. 99: forsche in der Lehre von den Naturkräften und in der Geschichte der Naturkörper ..., so weit dein Einsichtsvermögen reicht. Natur- und Weltkunde sind die beiden Staffeln der Leiter, die zur Gottesliebe, zur Gottesfurcht, zur echten Frömmigkeit führt ....
71 Vgl. May: May gegen Mamroth, wie Anm. 22, S. 133, 135; ders.: Auch »über den Wassern«, wie Anm. 37, S. 257; Karl May's Gesammelte Werke Bd. 34: »Ich«. Karl Mays Leben und Werk. Bamberg 381991, S. 194 (ein in die Autobiographie eingefügtes Flugblatt von 1901); May: Der dankbare Leser, wie Anm. 27, S. 13; Karl May: An die 4. Strafkammer des Königl. Landgerichtes III in Berlin. Prozeß-Schriften Bd. 3. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1982, S. 55.
72 May: Geographische Predigten, wie Anm. 50, S. 205
73 Ebd., S. 167; in diesem Sinne spricht er auch von den Naturgesetzen Gottes (May: Das Buch der Liebe, wie Anm. 47, 3. Abth., S. 101).
74 Vgl. etwa [Rudolf Virchow:] Glaubens-Bekenntniss eines modernen Naturforschers. Berlin 1873, S. 11: »die sog. D a r w i n ' s c h e n Grundsätze« seien »jetzt bei



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den meisten Naturforschern an die Stelle des Z w e c k m ä s s i g k e i t s b e g r i f f e s (der t e l e o l o g i s c h e n N a t u r a n s c h a u u n g ) getreten«. Auch Ludwig Büchner: Kraft und Stoff oder Grundzüge der natürlichen Weltordnung. Nebst einer darauf gebauten Moral oder Sittenlehre. In allgemein verständlicher Darstellung. 16., vermehrte und verbesserte Auflage. Leipzig 1888, S. 215: »Die heutige Naturforschung und Naturphilosophie hat sich von diesen leeren und nur die Oberfläche der Dinge beschauenden Zweckmäßigkeits-Begriffen ziemlich emancipirt (...).« Ferner Lange, wie Anm. 47, S. 680, 690f., 693, 717. Allgemeine Literatur zur innerhalb weniger Jahre erfolgenden Durchsetzung eines neuen naturwissenschaftlichen Paradigmas: Hans Querner: Die Idee der Evolution auf den Naturforscherversammlungen des 19. Jahrhunderts. In: Die Versammlungen Deutscher Naturforscher und Ärzte im 19. Jahrhundert. Hrsg. von Heinrich Schipperges. Stuttgart 1968, S. 56-66; Wolfgang U. Eckart: Survival of the fittest - Charles Darwin und der Darwinismus im Spiegel der Naturforscher- und Ärzteversammlungen. In: von Engelhardt, wie Anm. 70, S. 123-137.
75 Wilhelm Busch: Werke. Studienausgabe in sieben Bänden. Bd. V: Hans Huckebein, der Unglücksrabe. Fipps der Affe. Plisch und Plum. Hrsg. von Friedrich Bohne. Zürich 1974, S. 100-104 (100)
76 May: Geographische Predigten, wie Anm. 50, S. 351; diese Überzeugung zieht sich durch bis ins späte Denken: vgl. die Aphorismen in May: Himmelsgedanken, wie Anm. 37, S. 111 (Denke nach! Giebt es einen Menschen ohne Religion?); Karl und Klara May: Briefwechsel mit Adele und Willy Einsle vom 8. April 1905. In: Jb-KMG 1991. Husum 1991, S. 11-96 (30) (Der Trieb zu Gott); Brief an Prinzessin Marie Therese von Bayern vom 26. November 1906, wie Anm. 31, S. 90 (Denn die Religiosität liegt eben im tiefsten, innersten Wesen des Menschen); beide Briefstellen auch in Parerga und Paralipomena, wie Anm. 19, S. 295, 312. Auf der Ebene der ›Reiseerzählungen‹ entspricht dem die »Stimme« des »Herzens« (Surehand I, S. 409). Als Ergänzung dazu mag das bekannte Augustinus-Zitat betrachtet werden, das May sowohl im ›Buch der Liebe‹ als auch in ›Old Surehand‹ beibringt: »Des Menschen Herz ist ruhelos, bis es ruhet in Gott!« (Surehand I, S. 413; vgl. May: Das Buch der Liebe, wie Anm. 47, 1. Abth., S. 29).
77 Vgl. Silberlöwe I, S. 543, gegen Dozorca: »Gott ist das absolute Ich; wer ihn leugnet, vernichtet sich selbst; eine Lächerlichkeit, denn wer leugnet, muß doch existieren.«
78 [Friedrich Wilhelm] Otto: Nie ist Einer im Ernste Atheist oder Gottesleugner gewesen. Paderborn 1889, S. 17; vgl. S. 18.
79 Ebd., S. 23
80 Ebd., S. 32
81 Gottfried Keller: Sämtliche Werke in sieben Bänden. Hrsg. von Thomas Böning u. a. Bd. 7: Aufsätze. Dramen. Tagebücher. Frankfurt a. M. 1996, S. 109; dennoch findet man das Wort in der Zeit teilweise auch bei Religionskritikern.
82 Dabei manchmal ausdrücklich im von Keller monierten Sinn, wonach Gott nicht ge-, sondern geradezu verleugnet werde (May: Geographische Predigten, wie Anm. 50, S. 351; vgl. Parerga und Paralipomena, wie Anm. 19, S. 254 (›Aphorismen um 1900‹)).
83 Vgl. dazu - neben Daum, wie Anm. 47 - Alfred Kelly: The Descent of Darwin. The Popularization of Darwinism in Germany 1860-1914. Chapel Hill 1981; auch Fritz Bolle: Darwinismus und Zeitgeist. In: Das Wilhelminische Zeitalter. Hrsg. von Hans-Joachim Schoeps. Stuttgart 1967, S. 235-287; Frederick Gregory: Scientific Materialism in Nineteenth Century Germany. Dordrecht 1977; Marian L. Rybarczyk: Die materialistischen Entwicklungstheorien im 19. und 20. Jahrhundert. Darstellung und Kritik. Königstein/Ts. 1979. Zur Erforschung der literarischen Rezeption (die übrigens noch erheblich erweiterbar wäre!) etwa Peter



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Sprengel: Darwin in der Poesie. Spuren der Evolutionslehre in der deutschsprachigen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Würzburg 1998; Werner Michler: Darwinismus und Literatur. Naturwissenschaftliche und literarische Intelligenz in Österreich, 1859-1914. Wien 1999; Dagmar Kaiser: »Entwicklung ist das Zauberwort«. Darwinistisches Naturverständnis im Werk Julius Harts als Baustein eines neuen Naturalismus-Paradigmas. Mainz 1995. An anderer Stelle geht Sprengel einem »Metaphysische(n) Darwinismus in der Literatur des frühen 20. Jahrhunderts« nach, wo - wie am Beispiel der durch Haeckel und Wilhelm Bölsche anverwandelten, allerdings selektiven Rezeption der Evolutionstheorie in Texten Gerhart Hauptmanns oder Gottfried Benns dargestellt wird - dem »materialistische(n) Schock«, welchen Darwins Thesen zunächst ausgelöst hatten, eine neue ästhetische »Spiritualisierung« der Natur ebenso zu folgen vermag wie eine »heimliche Restauration« des alten idealistischen »Teleologieprinzips«. (Peter Sprengel: Vom »Ursprung der Arten« zum »Liebesleben in der Natur« Metaphysischer Darwinismus in der Literatur des frühen 20. Jahrhunderts. In: »Scientia poetica«. Literatur und Naturwissenschaft. Hrsg. von Norbert Elsner/Werner Frick. Göttingen 2004, S. 293-315 (297f.)). Es wäre dabei freilich zu berücksichtigen, dass gerade die nicht-darwinistischen, die romantischen und naturtheologischen Elemente des monistischen Weltbilds die Haeckel-Rezeption nachdrücklich bestimmt haben. (Vgl. Bernhard Kleeberg: Theophysis. Ernst Haeckels Philosophie des Naturganzen. Köln 2005.) May jedenfalls hat das Teleologieprinzip niemals aufgegeben und es, anders als die genannten Autoren, immer mit der Existenz eines persönlichen Gottes verbunden.
84 [Karl May (?)]: Allerlei. In: Schacht und Hütte, wie Anm. 50, S. 360; vgl. auch May: Geographische Predigten, wie Anm. 50, S. 181.
85 Von Sam Thin heißt es dort: auf seinem Hinterkopfe balancirte ein eigenthümlicher Gegenstand, dessen hundertster Urenkel nach der Darwin'schen Lehre wahrscheinlich Hut zu nennen sein würde (Karl May: Die Both Shatters. In: Für alle Welt! 5. Jg. (1881), S. 838; Reprint in: Karl May: Old Firehand. Seltene Originaltexte Bd. 3. Hrsg. von Ruprecht Gammler. Hamburg 2003).
86 Der landeskundliche Gewährsmann von Mays Sudanromanen, Ernst Marno, beginnt seine Ausführungen zur Sklavenfrage mit einem Verweis auf »Darwin's Lehre ›vom Kampfe um das Dasein und der hiebei stattfindenden natürlichen Auswahl‹« (zit. nach Bernhard Kosciuszko: »In meiner Heimat gibt es Bücher.« Die Quellen der Sudanromane Karl Mays. In: Jb-KMG 1981. Hamburg 1981, S. 64-87 (67)). Heinz Stolte (Ein Literaturpädagoge. Untersuchungen zur didaktischen Struktur in Karl Mays Jugendbuch ›Die Sklavenkarawane‹, 3. Teil. In: Jb-KMG 1975. Hamburg 1974, S. 99-126) sieht in der im Text notorisch unbeantworteten Examensfrage Pfotenhauers, warum die Vögel Federn haben, eine (zustimmende) Anspielung auf das von Darwin neu aufgeworfene Problem der »Selektionstheorie« (S. 119). Eher handelt es sich indes um eine komische Brechung, da sich am Ende mit dem ›Vater der elf Haare‹ ja ein offensichtlich inkompetenter Autor als Ornithologe versucht. In jedem Falle bekennen sich Mays Helden auch in der ›Sklavenkarawane‹ mit gefalteten Händen ausdrücklich zu dem, der die Natur ... geschaffen hat (Sklavenkarawane, S. 245).
87 Zum ›Recht des Stärkeren‹ vgl. auch Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXIII: Auf fremden Pfaden. Freiburg 1897; Reprint Bamberg 1984, S. 94 (verfasst 1879). Hinsichtlich der quasi-nietzscheanischen Modifikation dieser Denkform im Spätwerk vgl. Schwab, wie Anm. 44, S. 248f. Zu weiteren Darwin-Anspielungen beim alten May vgl. noch den V. der ›Briefe über Kunst‹, wie Anm. 20.
88 Mit einer ähnlichen, darwinistisch inspirierten Naturmetapher argumentiert in Felix Dahns Ostgotenroman übrigens Teja, der dazu auffordert, »das Schlechte in



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den Staub« zu »treten, wo du es findest: (...) du tilgst auch Natter und Nessel, obwohl sie nicht dafür können, daß sie nicht Nachtigall und Rose (...).« (Felix Dahn: Ein Kampf um Rom. Historischer Roman. Mit einem Nachwort von Hans-Rüdiger Schwab. München 2003, S. 958)
89 May: Theater, wie Anm. 47, S. 365
90 Max Dreyer: Der Probekandidat. Drama in vier Aufzügen. In: Dramen des deutschen Naturalismus. Von Hauptmann bis Schönherr. Anthologie in zwei Bänden. Hrsg. von Roy C. Cowen. Bd. 2. München 1981, S. 199-264 (237)
91 May: Theater, wie Anm. 47, S. 365
92 Ebd., S. 366
93 Ebd., S. 365
94 Zu anderen Beispielen dieser Art bei May vgl. Gross, wie Anm. 29, S. 120ff.
95 Haeckel, wie Anm. 18, S. 471
96 May: May gegen Mamroth, wie Anm. 22, S. 140
97 Der Münedschi verwahrt sich dagegen, dass »das große Ausrufungszeichen nach Gottes Gerechtigkeit getragen« werde. Diejenigen, welche sich derlei herausnehmen, werden umstandslos mit einer Trias der Aufsässigkeit in Verbindung gebracht: »Sie haben sich gegen sein großes Gesetz der Liebe empört, ihm den Gehorsam verweigert, ihm den Glauben versagt ...« (Jenseits, S. 322). Vgl. auch ebd., S. 325: das Gericht über »die Genies, welche ihre herrlichen Geistesgaben nur brauchten, um gegen den zu kämpfen, der sie ihnen lieh ...« Da die W i s s e n s c h a f t ... nicht mehr zu Gott hin trachte, sondern von ihm ab, da sie den heilgen G l a u b e n mit sich fort reiße, indem sie sich für berufen erkläre, Gott ein- oder absetzen zu können, ganz wie es ihr beliebt (Brief an Prinzessin Marie Therese von Bayern vom 26. September 1906, wie Anm. 31, S. 87; auch in: Parerga und Paralipomena, wie Anm. 19, S. 310; vgl. May: Der Dichter über sein Werk, wie Anm. 21, S. 466), setzt May sein Heil ausdrücklich n i c h t auf sie, sondern auf die O f f e n b a r u n g , und wer den guten Willen hat, sein Auge hierin zu üben, dem spendet die Offenbarung ganze Ströme der Erkenntniß, wo die Wissenschaft nur einzelne, arme Tropfen giebt. Ich glaube, solche Augen zu besitzen.« (Brief an Prinzessin Wiltrud von Bayern vom 29. November 1906, wie Anm. 30, S. 92; auch in: Parerga und Paralipomena, wie Anm. 19, S. 313).
98 May betreibt hier Wissenschaftskritik im Namen einer behaupteten Totalität menschlicher Erkenntnis, deren Organe grundsätzlich gleichrangig sind: »... ihr sprecht von Kopf und Herz, vom Verstehen, Fühlen, Erkennen und Wollen, von Vernunft, Verstand und Gefühl. Könntet ihr euch sehen, wie ich euch sehe ..., so würde euch klar werden, wie falsch alle diese Unterscheidungen sind. ... denn der geistige Mensch ist - wie Gott - a u c h E i n s « (Jenseits, S. 302f.).
99 Anders noch in der schriftstellerischen Frühzeit: D i e G e s c h i c h t e v o n d e m S ü n d e n f a l l e ist d i e G e s c h i c h t e v o n d e r E m a n c i p a t i o n d e s M e n s c h e n g e i s t e s , d i e G e s c h i c h t e s e i n e s E r w a c h e n s z u s e l b s t s t ä n d i g e r , s e l b s t b e w u ß t e r T h ä t i g k e i t ... . (May: Das Buch der Liebe, wie Anm. 47, 1. Abth., S. 14) Nur bedingt relativiert wird diese Autonomie-Kritik durch den Topos des ›freien Geists‹ im Spätwerk: vgl. Schwab, wie Anm. 44, S. 250, 260.
100 Vgl. Naturwissen und Erkenntnis im 19. Jahrhundert: Emil Du Bois-Reymond. Hrsg. von Gunter Mann. Hildesheim 1981; Ferdinando Vidoni: Ignorabimus! Emil du [!] Bois-Reymond und die Debatte über die Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis im 19. Jahrhundert. Frankfurt a. M. 1991.
101 May: Das Buch der Liebe, wie Anm. 47, 3. Abth., S. 91
102 Die natürlich und moralisch notwendig aufeinander bezogene Gesetzmäßigkeit der Welt, ihre Einheit, sei nicht von der Hand zu weisen: das, findet May, giebt auch der Gottesleugner zu (Jenseits, S. 453, vgl. S. 454ff.).
103 Anne Harrington: Die Suche nach Ganzheit. Die Geschichte biologisch-psychologischer Ganzheitslehren: Vom Kaiserreich bis zur New-Age-Bewegung. Rein-



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bek b. Hamburg 2002; Ulrich Linse: Geisterseher und Wunderwirker. Heilssuche im Industriezeitalter. Frankfurt a. M. 1996
104 Büchner: Weltanschauung, wie Anm. 18, S. 25
105 Ebd., S. 26; »Warum schleppt sich blutend, elend, / Unter Kreuzlast der Gerechte, / Während glücklich als ein Sieger / Trabt auf hohem Roß der Schlechte? // Woran liegt die Schuld? Ist etwa / Unser Herr nicht ganz allmächtig? / Oder treibt er seinen Unfug? / Ach, das wäre niederträchtig«, heißt es klassisch in Heines spätem Gedicht ›Zum Lazarus I‹ (Heinrich Heine: Sämtliche Schriften in zwölf Bänden. Hrsg. von Klaus Briegleb. München/Wien 1976. Bd. 11: Schriften 1851-1855, S. 201). Das soziale Elend als Grund, an der Existenz eines fürsorglichen Gottes zu zweifeln, thematisierte Heine bereits im Gedicht ›Die schlesischen Weber‹ (vgl. ebd., Bd. 7: Schriften 1837-1844, S. 455). Prüfer, wie Anm. 7, S. 50ff., 83f., 203, zitiert zu dem gleichen Motiv aus Texten der frühen Arbeiterbewegung. Aus der neueren philosophischen Literatur zu dem Thema sei erwähnt: Theodizee - Gott vor Gericht? Hrsg. von Willi Oelmüller/Carl-Friedrich Geyer. München 1990; Leszek Kolakowski: Falls es keinen Gott gibt. Freiburg i. Br. 1992, S. 15-51. Theologischerseits sieht man in der »Theodizeefrage« das »Kernstück« noch aller aktuellen Religionskritik (Gregor Maria Hoff: Religionskritik heute. Regensburg 2004, S. 69).
106 Büchner: Weltanschauung, wie Anm. 18, S. 87
107 Engelbert Lorenz Fischer: Das Problem des Übels und die Theodicee. Mainz 1883, S. IV
108 Wilhelm Schmidt: Die göttliche Vorsehung und das Selbstleben der Welt. Berlin 1887, S. 4; vgl. ebd., S. 3: »Ohne den Glauben an die Vorsehung Gottes lässt sich die christliche Lebens- und Weltanschauung nicht halten.«
109 Angesichts seiner Kurzsichtigkeit der Ewigkeitsperspektive Gottes gegenüber setzt sich jeder ins Unrecht, wenn er die Theodizee-Frage überhaupt stellt: »Das Auge des Menschen reicht nicht« so »weit ..., den Ratschluß des Allwissenden zu durchdringen« (Silberlöwe I, S. 539). Wer »den Herrgott und sein Walten« vor den menschlichen »Richterstuhl« zieht, überhebt sich angesichts des »Abstand(s)« zu ihm (Surehand I, S. 411). Derlei ist purer »Hochmut« (Silberlöwe I, S. 540), wo nicht gar der »Wahnsinn einer Insektenlarve« (Surehand I, S. 411). Hinzu kommt die Verdrängung des eigenen Anteils am Unglück (vgl. Silberlöwe I, S. 540f.). Kein Zweifel aber darf darüber bestehen: »Ich habe vor Gott weder Rechte noch Verdienste sondern nur Pflichten gegen ihn ...« (Surehand I, S. 413). Nach dem eigenen Beispiel lässt der Ich-Erzähler die Aufforderung an andere ergehen, »getrost meinen Herrgott über mir walten« zu »lassen« (ebd., S. 412). Dabei besteht immer die (regelmäßig eintretende) Aussicht, dass Gott scheinbares »Unglück« des Unschuldigen wunderbar wendet, mag er ihn auch zeitweise mit der »Rute des Vaters« züchtigen (ebd., S. 411).
110 Karl May: Abdahn Effendi. In: Grazer Volksblatt. 41. Jg. (1908), 6. Forts.; Reprint in: Karl May: Der Krumir. Seltene Originaltexte Bd. 1. Hrsg. von Herbert Meier. Hamburg 1985; der Begriff »Agnostizismus« wurde übrigens 1869 von dem Darwin-Anhänger Thomas Henry Huxley geprägt, »um die Überzeugung auszudrücken, dass wir weder Gott noch irgendeine vermeintliche Realität hinter den Erscheinungen erkennen können. Das heißt, Huxley hatte seine Zweifel am ›Übernatürlichen‹, aber er traute den Erscheinungen und der menschlichen Intelligenz.« (Peter Burke: Montaigne zur Einführung. Hamburg 21993, S. 34f.)
111 May: Abdahn Effendi, wie Anm. 110, 6. Forts. (»... an ihn zu glauben«, werden sie schließlich durch Kara Ben Nemsi zwingend überzeugt. Ebd., 23. Forts.)
112 Benno von Wiese: Die deutsche Tragödie von Lessing bis Hebbel. Erster Teil: Tragödie und Theodizee. Zweiter Teil: Tragödie und Nihilismus. Hamburg 1948
113 Heinrich Detering: Theodizee und Erzählverfahren. Narrative Experimente mit religiösen Modellen im Werk Wilhelm Raabes. Göttingen 1990; die Sehnsucht nach



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einem moralisch stimmigen Zustand auf Erden besteht freilich durchaus bei den großen Autoren der Zeit. Theodor Fontane etwa schreibt über seine Kriminalerzählung ›Unterm Birnbaum‹ am 16. November 1885 an Georg Friedlaender: »(...) das Schöne, Trostreiche, Erhebende schreitet aber gestaltlos durch die Geschichte hin und ist einfach das gepredigte Evangelium von der Gerechtigkeit Gottes, von der Ordnung in seiner Welt. Ja, das steht so fest, daß die Predigt sogar einen humoristischen Anstrich gewinnen konnte.« (Theodor Fontane: Briefe an Georg Friedlaender. Hrsg. und erläutert von Kurt Schreinert. Heidelberg 1954, S. 25)
114 May: Das Buch der Liebe, wie Anm. 47, 3. Abth., S. 108
115 Zumal der Quasi-Märtyrertod des kleinen Schubert-Jungen im ›Verlornen Sohn‹, der in aller erfahrenen Brutalität gottergeben bleibt (vgl. Sohn II, S. 806f.; dazu auch Wohlgschaft: Sterbeszenen, wie Anm. 40, S. 189f.), wirft von daher nicht eigentlich die Theodizeefrage auf.
116 Gottes Auge. Das Walten der göttlichen Vorsehung. Eine Darstellung mannigfacher wunderbarer Fügungen in den Schicksalen der Menschen. Zur Belehrung und Erhebung für jung und alt auf Grund wirklicher Begebenheiten erzählt von L. Mittenzwey. Leipzig 21893
117 Bettina Plett: Problematische Naturen? Held und Heroismus im realistischen Erzählen. Paderborn 2002, S. 354
118 In: Freud, wie Anm. 9, S. 213-223 (bes. S. 216f., 220)
119 Vgl. Hermann Lübbe: Religion nach der Aufklärung. Graz u. a. 21990, bes. S. 160ff.; die »Theodizee« wird dort »als Kontingenzerfahrungsdementi« bezeichnet (S. 195).
120 Karl May: Die Rose von Ernstthal. In: Deutsche Novellen-Flora. 1. Bd. Heft 11-14. 1875, S. 187; Reprint in: Karl May: Unter den Werbern. Seltene Originaltexte Bd. 2. Hrsg. von Herbert Meier. Hamburg 1986
121 Vgl. Hedwig Pauler: Deutscher Herzen Liederkranz. Lieder und Gedichte im Werk Karl Mays. Materialien zur Karl-May-Forschung Bd. 18. Ebermannstadt 1996, S. 101ff., 159.
122 Vgl. Christoph F. Lorenz: »Als lyrischen Dichter müssen wir uns Herrn May verbitten«? Anmerkungen zur Lyrik Karl Mays. In: Jb-KMG 1982. Husum 1982, S. 131-157 (bes. S. 132f.); Wolfgang Braungart: Erbauungsliteratur. Anmerkungen zu Karl Mays Lyrik. In: Jb-KMG 2002. Husum 2002, S. 19-39 (bes. S. 21f.).
123 May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 45, S. 115
124 Vgl. Anm. 50 in dieser Studie.
125 Anzengruber, wie Anm. 50, Bd. 11: Dorfgänge. I. Teil, S. 122-140; vgl. Aloys Klocke: Die religiöse und weltanschaulich-ethische Problematik bei Ludwig Anzengruber. Diss. Freiburg i. Br. 1955; Werner Martin: Der kämpferische Atheismus Ludwig Anzengrubers. Diss. Berlin (Ost) 1960.
126 Karl May: Der Dukatenhof. In: Erzgebirgische Dorfgeschichten. Karl Mays Erstlingswerke. Bd. 1. Dresden-Niedersedlitz 1903, S. 167-277 (252); Reprint Hildesheim/New York 1977
127 Wo sie dann allerdings gehäuft auftreten. Vgl. Claus Roxin: Vernunft und Aufklärung bei Karl May - zur Deutung der Klekih-petra-Episode im »Winnetou«. In: M-KMG 28/1976, S. 25-30 (27).
128 May: Der Dukatenhof, wie Anm. 126, S. 264f.
129 Ebd., S. 212
130 Ebd., S. 252
131 Ebd., S. 258
132 Ebd., S. 264f.
133 Vgl. Inga Wiedemann: »Der Hinkende Bote« und seine Vettern. Familien-, Haus- und Volkskalender von 1757 bis 1929. Katalog der Kalendersammlung des Museums für Deutsche Volkskunde. Berlin 1984, S. 18.



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134 Vgl. Sohn III, S. 1579 (›Die Sclaven der Schande‹), wo der Aktmaler Arthur Elias Hildas Vertrauen auf göttliche Hilfe vergebens zu erschüttern versucht: »Die Legenden von den Engeln, welche auf die Erde kommen, um die Menschen aus Noth und Trübsal zu befreien, sind Dichtung, aber keine Wahrheit. Es giebt keine Engel.« Worauf ihm das Mädchen antwortet: »So giebt es gute Menschen«, derer sich Gott bediene, um sich als Wirkender zu bezeugen. In ›Deutsche Herzen, deutsche Helden‹ erscheint Langendorff sein Freund Steinbach »wie eine Gottheit, welche zur rechten Zeit vom Himmel herniedersteigt, um den Bedrängten zu erretten« (Herzen III, S. 1633). Mehr zu diesem Motiv vgl. bei Rainer Jeglin: Herrgottsengel, Rebell und Missionar. Anmerkungen zum Rettungsstil bei Karl May. Sonderheft der Karl-May-Gesellschaft (S-KMG) Nr. 24/1980.
135 Karl May: Fürst und Leiermann. In: Großer Volks-Kalender des Lahrer Hinkenden Boten. 1882, S. 80; Reprint in: May: Unter den Werbern, wie Anm. 120
136 Ebd.
137 Karl May: Ein amerikanisches Doppelduell. In: Einsiedler Marien-Kalender 1897; Reprint in: Christus oder Muhammed, wie Anm. 65 (S. 222)
138 Ebd. (S. 229); die beiden durch ein Gottesurteil bestraften Raubmörder Grinder und Slack sind zuvor förmlich stolz darauf ..., nicht an Gott zu glauben (S. 227).
139 Als solcher wird er von May durch Dante- und Doctor Faust-Anspielungen (Herzen IV, S. 1816, 2067) metaphysisch stilisiert. Mit Bezug auf das Motto am Eingang des Inferno in der ›Divina Commedia‹ will Roulin den Gefangenen planmäßig die Vergeblichkeit der Anrufung Gottes vor Augen stellen: »Ihr werdet beten wollen, aber Euer Gebet wird ein Fluch, eine Lästerung sein.« (Ebd., S. 1816, vgl. auch S. 1984.)
140 So bezeichnet Helfenstein die fromme Kirchengesang-Bitte um Jesu Schutz als »Unsinn« (Sohn V, S. 2511; vgl. S. 2518). Der alte Köhler beklagt sich denn auch bei seinem Vetter über den verkleideten Verbrecher: »daß er unsern Glauben verachtet, daß er die alten Lieder verspottet, die uns getröstet haben in Trübsal, Hunger und Noth, das kann und mag ich nicht länger leiden. ... ich will mir meine höchsten Güter, meinen Glauben und meinen Seelenfrieden nicht rauben ... lassen.« (Ebd., S. 2512, 2516).
141 Vgl. Langer, wie Anm. 21, S. 227, 234.
142 Ohne lebensgeschichtliche Prüfung wird die Theodizeefrage der Chodiah in ›Die »Umm ed Dschamahl«‹ (1898) beantwortet, deren Söhne Kara Ben Nemsi vor dem Tod rettet. Karl May: Die »Umm ed Dschamahl«. In: Regensburger Marien-Kalender. XXXIV. Jg. (1899), S. 191, 198f.; Reprint in: Christus oder Muhammed, wie Anm. 65.
143 May: Christ ist erstanden!, wie Anm. 65 (S. 149)
144 Ebd. (S. 150)
145 Ebd. (S. 151)
146 Ebd. (S. 150)
147 Ebd. (S. 150f.)
148 Ebd. (S. 152)
149 Dazu ausführlich Pauler, wie Anm. 121, S. 174-184
150 May: Christ ist erstanden!, wie Anm. 65 (S. 151)
151 Ebd. (S. 153)
152 Ebd. (S. 159)
153 Ebd. (S. 158)
154 Ebd. (S. 159)
155 Ebd. - vgl. auch Silberlöwe I, S. 542: man leugnet ihn aus Angst - - - beweist aber grad dadurch sein Dasein.
156 Blumen deutscher Kirchenlieder, wie Anm. 61, S. 39



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157 Karl May: Der Kys-Kaptschiji. In: Benziger's Marien-Kalender 1896 und 1897; Reprint in: Christus oder Muhammed, wie Anm. 65 (S. 176) - zu seiner bereits viel über ihn verratenden (National-)Physiognomie vgl. ebd. (S. 173).
158 Ebd. (S. 185)
159 So schon in der frühen Dorferzählung ›Der Teufelsbauer‹ (1878; als ›Der Einsiedel‹ in: May: Erzgebirgische Dorfgeschichten, wie Anm. 126, S. 160); vgl. später noch May: Christ ist erstanden!, wie Anm. 65, S. 158; Mahdi III, S. 329; May: Himmelsgedanken, wie Anm. 37, S. 136 (›Kannst du noch beten?‹).
160 Büchner: Kraft und Stoff, wie Anm. 74, S. XIX-XXII
161 Ebd., S. XIX
162 Mit einer distanzlos Mays Wertung folgenden Formulierung überschreibt Oliver Gross in seinem Buch (wie Anm. 29, S. 132-141) das Old-Wabble-Kapitel: »Der eigenmächtige Mensch«. Hartmut Vollmer (Die Schrecken des ›Alten‹: Old Wabble. Betrachtung einer literarischen Figur Karl Mays. In: Karl Mays »Old Surehand«. Hrsg. von Dieter Sudhoff/Hartmut Vollmer. Paderborn 1995, S. 210-242) betreibt eine autobiographische Psychologisierung des Cowboys. Die May'sche Botschaft von der »teuflische(n) Macht des gottlosen Materialismus« (ebd., S. 227) transportiert er unbefragt. Auch Wolfgang Hammer macht sich bei der Betrachtung des übergeordneten Themenkomplexes (Bekehrung bei Karl May. S-KMG Nr. 92/1992) grundsätzlich die Perspektive des von ihm untersuchten Autors zu eigen. Nicht anders verfährt Hermann Wohlgschaft: Sterbeszenen, wie Anm. 40, bes. S. 196f.
163 Vgl. May: Der Dukatenhof, wie Anm. 126, S. 179f., 258; ders.: Christ ist erstanden!, wie Anm. 65 (S. 151, 153, 159); Sohn I, S. 410ff.
164 Als Zeitgenosse Mays berichtet auch der Hymnologe Eduard Emil Koch (Geschichte des Kirchenlieds und Kirchengesangs der christlichen, insbesondere der deutschen evangelischen Kirche. Bd. VIII. Zweiter Haupttheil: Die Lieder und Weisen. Bearbeitet von Richard Lauxmann [1876]. Reprint: Hildesheim/New York 1973, S. 676-679) von einigen Fallbeispielen, um »die durchdringende Kraft des (...) Liedes« (S. 678) zu veranschaulichen.
165 Vgl. das Zeugnis eines Pfarrers im Anhang von May: Der dankbare Leser, wie Anm. 27, S. 73f.; auch ebd., S. 114.
166 Otto, wie Anm. 78, S. 43
167 Robert Horath: Freidenker und Ungläubige. Barmen 21894, S. 2
168 Ebd., S. 8f.; Schriften mit der gleichen Botschaft gibt es übrigens bis in die Gegenwart hinein: vgl. etwa Giuseppe Pasquali: Und Gott sagt basta. Das erschreckende Lebensende bekannter Gottesleugner. Gröbenzell 41980.
169 Zit. nach Prüfer, wie Anm. 7, S. 81
170 Norbert Fischer: Vom Gottesacker zum Krematorium. Eine Sozialgeschichte der Friedhöfe in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert. Köln 1996, S. 95; zu Mays Ablehnung der Feuerbestattung vgl. May: Himmelsgedanken, wie Anm. 37, S. 71.
171 Zit. nach Prüfer, wie Anm. 7, S. 316
172 Vgl. ebd., S. 319f.
173 Vgl. ebd., S. 84f.
174 Theodor Storm: Sämtliche Werke in vier Bänden. Hrsg. von Karl Ernst Laage/Dieter Lohmeier. Bd. 1: Gedichte. Novellen 1848-1867. Frankfurt a. M. 1987, S. 79-82
175 John Henry Mackay: Sturm. Zürich/Leipzig 31898, S. 30
176 Anzengruber, wie Anm. 50, Bd. 4: Dorfkomödien, S. 72, 70
177 Ebd., S. 73
178 Vgl. Karlheinz Rossbacher: Literatur und Liberalismus. Zur Kultur der Ringstraßenzeit in Wien. Wien 1992, S. 210ff.
179 Schopenhauer, wie Anm. 3, S. 308



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180 Ebd., S. 294
181 Vgl. beispielhaft Werner Bröker: Politische Motive naturwissenschaftlicher Argumentation gegen Religion und Kirche im 19. Jahrhundert, dargestellt am »Materialisten« Karl Vogt (1817-1895). Münster 1972.
182 Vgl. Walter Eyckmann: Religionsunterricht: Stütze für König und Vaterland, Waffe gegen den Umsturz. In: Wilhelm II. und die Religion. Facetten einer Persönlichkeit und ihres Umfelds. Hrsg. von Stefan Samerski. Berlin 2001, S. 265-283.
183 Zit. nach Hamann/Hermand, wie Anm. 10, S. 88; zu den Reformkonzepten für den Religionsunterricht, die der ›Schulkaiser‹ im Kampf gegen die Sozialdemokratie formulierte, vgl. Eyckmann, wie Anm. 182.
184 Vgl. Prüfer, wie Anm. 7, S. 33f.; ferner ebd. S. 107, 120, 129, 143, 175, 196, 268, 348.
185 Zit. nach ebd., S. 256 (aus dem ›Vorboten‹ von 1869)
186 Auch wenn es dort einmal (mit anti-deterministischer Stoßrichtung) heißt, man hätte als Mensch doch »Freiheit« und »Selbstbestimmung« (Silberlöwe I, S. 543).
187 May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 45, S. 46
188 May: Der dankbare Leser, wie Anm. 27, S. 21
189 Vgl. Freiligraths Werke in einem Bd. Hrsg. von Werner Ilberg. Berlin/Weimar 1976, S. XXIII.
190 May: Ein Schundverlag, wie Anm. 19, S. 299
191 Ebd., S. 297; entsprechend heißt es in einer ›Briefkasten‹-Notiz: Auch ist alle Kritik über Politik und Religion streng aus unsern Spalten gewiesen. (Schacht und Hütte, wie Anm. 50, S. 192)
192 Karl May: In der Heimath. In: Karl May's Gesammelte Werke Bd. 79: Old Shatterhand in der Heimat. Bamberg/Radebeul 1997, S. 86; vgl. ebd., S. 43, 112.
193 May: Freuden und Leiden eines Vielgelesenen, wie Anm. 23, S. 18
194 May: Ein Schundverlag und seine Helfershelfer, wie Anm. 19, S. 84
195 Vgl. Prüfer, wie Anm. 7, S. 75, 163.
196 Siehe auch May: Strafkammer, wie Anm. 71, S. 3, 49f., May: Ein Schundverlag und seine Helfershelfer, wie Anm. 19, S. 107; Karl May: Lebius, der »Ehrenmann«. In: Jb-KMG 1983. Husum 1983, S. 33-49 (34f.).
197 Zit. nach Prüfer, wie Anm. 7, S. 146f.; vgl. S. 297.
198 Vgl. Lange, wie Anm. 47, S. 954: »die rücksichtslose Sorge für die eignen Interessen, zumal auf dem Gebiete des Gelderwerbes« sei »ein hervorstechender Zug unserer Zeit.« Dieses »Prinzip (...), in welchem wir das Wesen des ethischen Materialismus erkannt haben, findet sich nun aber allerdings nicht selten mit dem theoretischen Materialismus verbunden«.
199 Zu diesem moralischen Antikapitalismus vgl. Martin Lowsky: Problematik des Geldes in Karl Mays Reiseerzählungen. In: Jb-KMG 1978. Hamburg 1978, S. 111-141. Übrigens kritisiert May im frühen ›Buch der Liebe‹ (wie Anm. 47, 1. Abth., S. 22), dass der Kern der Religion, die Liebe Gottes, mit klug berechnendem Scharfsinn zur Erreichung von Kastenzwecken benutzt worden sei, wobei man freilich eher an eine Art ›Priestertrugtheorie‹ als an soziale Verwerfungen zu denken hat. Andererseits erachtet er es hier als eine heilige Verpflichtung eines jeden staatlichen Körpers, ... gefährliche innere Zustände, z. B. Revolution ... mit aller Kraft zu unterdrücken ... (ebd., S. 143).
200 Karl May: Der Gichtmüller. In: Weltspiegel. 3. Jg. (1879), S. 591; Reprint in: May: Old Firehand, wie Anm. 85
201 Ebd., S. 592
202 Ebd., S. 591
203 Karl May: Das Geldmännle. In. May: Erzgebirgische Dorfgeschichten, wie Anm. 126, S. 439-648 (482)
204 Ebd., S. 534



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205 Ebd., S. 532
206 Ebd., S. 534
207 Ebd., S. 573f.
208 Ebd., S. 462
209 Ebd., S. 564
210 Ebd., S. 533
211 May: Der dankbare Leser, wie Anm. 27, S. 21: krassen, selbstsüchtigen Materialismus
212 May: Himmelsgedanken, wie Anm. 37, S. 175
213 Ebd., S. 215
214 Ebd., S. 80
215 Insbesondere gilt dies für Roxin, wie Anm. 127, bes. S. 26f., 29, und Heinz Stolte: »Stirb und werde!« Existentielle Grundsituation als episches Motiv bei May. In: Jb-KMG 1990. Husum 1990, S. 51-70.
216 Zum Einfluss von Ludwig Büchners Materialismus auf die Pädagogen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vgl. Hermann Lübbe: Politische Philosophie in Deutschland. Studien zu ihrer Geschichte. Basel/Stuttgart 1963, S. 131f.; im zeitgenössischen Horizont ferner Wilhelm Heinrich Riehl: Die bürgerliche Gesellschaft. Hrsg. und eingeleitet von Peter Steinbach. Frankfurt a. M. u. a. 1976, S. 86, 101f. - Auch Old Shatterhand selbst behauptet, »ungläubige Lehrer« (Surehand I, S. 407) gehabt zu haben.
217 Keller, wie Anm. 81, S. 108
218 Zit. nach Prüfer, wie Anm. 7, S. 180. Vgl. auch Eyckmann, wie Anm. 182.
219 Beide zusammen 1894 im Verlag des ›Vorwärts‹ unter dem Titel ›Wider Gottes- und Bibelglauben‹ erschienen. Zu der interessanten Figur vgl. Justine Davis Randers-Pehrson: Adolf Douai. The turbulent life of a German forty-eighter in the homeland and in the United States. New York u. a. 2000; Ilse Schossig: Zu den politischen, schulpolitischen und pädagogischen Auffassungen des Mitglieds der I. Internationale Adolf Douai. Ein Beitrag zur Geschichte der Bildungspolitik und Pädagogik und zur Fröbelrezeption der revolutionären Arbeiterbewegung. Diss. Berlin (Ost) 1988. Aus der Perspektive der Obrigkeit verkürzt übrigens schon Heines satirisches Gedicht ›Erinnerung aus Krähwinkels Schreckenstagen‹ (1854) die Gründe für die Revolution: »Auch Gottesleugner sind es meist. / Wer sich von seinem Gotte reißt, / Wird endlich auch abtrünnig werden / Von seinen irdischen Behörden.« (In: Heine, wie Anm. 105, Bd. 11, S. 230)
220 Neuere Untersuchungen dazu finden sich in: Dresdner Maiaufstand und Reichsverfassungskampagne 1849: Revolutionäres Nachbeben oder demokratische politische Kultur? Hrsg. von Martina Schattkowsky. Leipzig 2000; Jörg Ludwig/Andreas Neemann: Revolution in Sachsen 1848/49. Darstellung und Dokumente. Dresden 1999; Hans-Peter Lühr (Red.): Der Dresdner Maiaufstand von 1849. Dresden 1995.
221 In: Ada Christen: Ausgewählte Werke. Hrsg. und mit Einleitung versehen von W. A. Hammer. Wien u. a. 1911, S. 91-103
222 So ist bei Dozorca bezeichnenderweise nicht die Kraft der Argumente für Kara Ben Nemsi das Problem; dieses stellt sich vielmehr auf einer rein psychologischen Ebene dar: sein Herz war tot und leer (Silberlöwe I, S. 544). Am Ende des langen Glaubensgesprächs mit dem Seelenarzt (ebd., S. 611) aus Deutschland heißt es dann auch: Das starre Herz war gebrochen. (Ebd., S. 615). Nicht anders sieht es bei Hiller aus: Ich nahm mir vor, ... auf sein Herz zu wirken. (Weihnacht, S. 440)
223 Vgl. etwa von Georg Michael Schuler: Was sind die Gottesleugner eigentlich für Leute? Ein Beitrag zur religiösen Aufklärung. Köln 1868, bis zu den verbreiteten Texten Ludwig von Hammersteins: Meister Breckmann, wie er wieder zum Glauben kam und aufhörte, Socialdemokrat zu sein. Trier 21888, und: Edgar oder vom



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Atheismus zur vollen Wahrheit. Trier 61900. Lange, wie Anm. 47, S. 932, nennt derlei abschätzig »Pfaffenlehre von der moralischen Verruchtheit aller Ungläubigen«.
224 Vgl. Prüfer, wie Anm. 7, S. 94.
225 Fast ›dostojewskijsch‹ (vgl. Kolakowski, wie Anm. 105, S. 74) heißt es im ersten Band des ›Silberlöwen‹ weiter: »Wenn es keinen Gott giebt, giebt es kein Gesetz und kein Gericht, kein Unrecht und kein Gewissen, keine Anklage und keine Strafe ... « (Silberlöwe I, S. 541).
226 Zit. nach Prüfer, wie Anm. 7, S. 255; vgl. ebd., S. 299, aus der ›Duisburger Freien Zeitung‹ 1876: »Die ›Religion der Sozialdemokratie‹ (...) ist die Religion der Menschenliebe«, welche dem herrschenden »Egoismus« entgegengesetzt sei. Für Feuerbach, wie Anm. 55, S. 401, »muß (...) praktisch das h ö c h s t e und e r s t e G e s e t z die L i e b e d e s M e n s c h e n z u m M e n s c h e n s e i n «. In seinem Aufsatz ›Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie‹ (1888) wütet Friedrich Engels heftig gegen den »allgemeinen Versöhnungsdusel« dieser »schwülstigen Liebesreligion«. (In: Karl Marx/Friedrich Engels: Studienausgabe in 4 Bänden. Hrsg. von Iring Fetscher. Frankfurt a. M. 1966, Bd. 1, S. 206f.)
227 Büchner: Kraft und Stoff, wie Anm. 74, S. 481
228 Schopenhauer, wie Anm. 3, S. 344
229 von Hartmann, wie Anm. 6, S. 30. Vgl. ebd., S. 116: »heteronome Pseudomoral«.
230 Büchner: Weltanschauung, wie Anm. 18, S. 89
231 Ebd., S. 72
232 Vgl. Prüfer, wie Anm. 7, S. 95f., auch S. 241.



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