//267//

Karl Mays Schreibart

Von Studienrat Dr. Max Finke

Was macht den guten Roman aus? Lassen wir uns von einem anerkannten Forscher des Schrifttums, Professor Dr. E d u a r d    E n g e l , darüber belehren! Wie er in einem 1919 zu Dresden gehaltenen Vortrag ausführte, muß der gute Roman drei Forderungen befriedigen: 1. Er muß spannen. 2. Im Mittelpunkt der Handlung muß ein wertvoller oder außergewöhnlicher Mensch stehen. Das Werk muß Schicksale von Menschen behandeln, die uns fesseln, weil sie nach der guten oder bösen Seite hin den Durchschnitt überragen. 3. Der Roman muß in einer formvollendeten Sprache geschrieben sein.

Wie steht es nun mit Karl May hierin? Kein Zweifel, daß seine Handlungen reich, bisweilen überreich an Spannung sind. Kein Zweifel auch, daß diese Spannung alle Volks-, Bildungs- und Altersschichten in ihren Bann zwingt. Auflagenziffer und die bunte Fülle der Leserzuschriften beweisen es.

Der zweiten Forderung Engels wird er schon weniger gerecht. Zwar stehen im Mittelpunkt seiner Erzählungen Helden und Schurken. Das Bedürfnis, zu verehren wird nicht weniger befriedigt als das andre, zu verabscheuen. Aber mit der Lebens-


//268//

echtheit und vor allem der seelenkundlichen Vertiefung hapert es zuweilen. Wo wir Entwicklung, inneres Ringen, seelische Wehen miterleben wollen, da läßt der Dichter auf der Leinwand seiner Erzählungen fertige, flächige Schatten, allerdings unheimlich überlebensgroße, gespenstig-unwirkliche vorbeihuschen. Zwischenstufung der Gepräge-Mischung von Gut und Böse suchen wir bei ihm vergebens. Ein starker Vereinfachungstrieb scheidet die Menschen in zwei Lager: in Gute und Böse. Diese Vereinfachung ist es, die dem Dichter das rasche Verständnis, die drangvolle Anteilnahme seiner Leser sichert. Das Einfache unterhält und erholt am wirksamsten. Anderseits verletzt eine zuweitgetriebne Vereinfachung der Welt die Naturwahrheit. Das Urteil verarmt, es verliert seine Anpassungsfähigkeit. Wo wir das Klopfen von menschlichem Herzblut hören wollen, da vernimmt ein geschärftes Ohr das Rascheln der Schnüre, an der die so unterhaltenden Gliederpuppen zappeln.

In der Tat gehört weiter zur höchsten Spannungskunst der Zauber der Sprache. Mit Recht weist Engel darauf hin, daß die großen Meisterwerke, durch die Jahrtausende hin verfolgt, auch durch den Rang ihrer sprachlichen Form hervorragen, nicht nur durch die Reize ihrer Stoffe. Die Odyssee und der Robinson gleichen sich darin, daß sie die künstlerische Täuschung, den holden Zauber, den der Glaube: »Alles ist wahr« auf den Leser ausübt, durch eine vollendete Sprache sorgfältig nähren.

In der Erfindung einem Edgar Allan Poe, einem Alexander Dumas, einem Jules Verne, einem Gustav


//269//

Meyrink, einem Leo Perutz ebenbürtig, reizt May die Kundigen immer wieder zu dem Vorwurf: »Er pflegt die Sprache zu wenig und hat zuweilen Zigeunerdeutsch.« Engel betont weiter: »Es gibt keine Möglichkeit eines Aufschwungs der deutschen Erzählungskunst, wenn unsre Leser sich nicht bewußt werden, daß die Vollkommenheit der Sprache ein unbedingtes Erfordernis ist; vor allem Reinheit und Richtigkeit der Sprache!«

Karl May ist in der Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins (35. Jahrg., 1920, Nr. 1, Spalte 15 und 16) als Sprachverderber ausgeprangert worden. F. Sigismund, der Richter, sieht nur die Schwächen Mays, der in der Tat manche schlechte Eigenschaft des Vielschreibers aufweist. Doch erfordert die Gerechtigkeit, auch Mays unzweifelhafte Stärke als Schriftsteller hervorzuheben. Es geht doch nicht an, ein schönes, d.h. ein nach Form und Ausdruck schönes Gesicht als häßlich zu bezeichnen, nur weil seine Haut durch einige Sommersprossen verunziert ist. Ebensowenig geht es an, aus dem Vielschreiber Karl May »eine kleine Blütenlese« von Verstößen und Unebenheiten herauszupicken, ohne mit einem einzigen Wort der großen Vorzüge seiner Schreibkunst zu gedenken, und dann das vernichtende Urteil zu fällen: Seht den leichtfertigen Sprachverderber!

Sprachgärtner, willst du einen Baumriesen der Darstellungskunst tadeln, weil er dir nicht den Gefallen tut, an dem Spalier deiner Verbote emporzuwachsen? Augenmaß! Augenmaß!

Die Abneigung gegen die Fürwörter »welches«


//270//

und »dieselbe« teilen wir durchaus. Doch hat der Grad dieser Abneigung bei manchen Sprachreinigern eine krankhafte Stärke angenommen. Sind sie wirklich so »greulich?« Unser Sprachmeister Goethe fühlte noch nicht so. Wir finden sie vielfach in »Reineke Fuchs« wie in »Dichtung und Wahrheit.«

Von größtem Wert muß das Urteil von Dichtern über Mays Stil sein. Der vielgelesene, überaus fruchtbare und formpflegende   M a x    G e i ß l e r  (40) rühmt in Jahrbuch 1918, S. 79/80, an May unter anderen Vorzügen: Glänzende Erzähltechnik und Durchsichtigkeit der Sprache - »Er ist ein flüssiger Erzähler.« Er fügt dann allerdings hinzu: »Zu dichterischem Gepräge der Form gelangt er selten. Seine Sprache ist oft weitschweifig, nüchtern, klappernd.«

Ein andrer Dichter von Rang,   H e r m a n n    H e s s e  - vgl. Den Aufsatz Ludwig Gurlitts im Jahrbuch 1923: Hermann Hesse über Karl May, S. 357 - urteilt über May: »Er ist nämlich gar kein Macher, sondern von einer geradezu verblüffenden Ehrlichkeit!« Wäre May ein Macher, so würde ihn schon seine Schreibart verraten müssen. Denn, eine Einsicht, die erst beginnt, langsam weiten Kreisen aufzudämmern, ist eben die: Wenn es möglich ist, aus der Schädel- und Gesichtsform, aus der Handschrift, aus hundert andern Ausdrucksformen und -bewegungen, meinethalben auch, mit bestimmten Vorbehalten, aus den seltsam verschiedenen Linien der Innenhand gewichtige Schlüsse auf das


//271//

Innere eines Menschen, seine Gemütsart, sein Wollen, seine Weltanschauung, ja Zukunftsaussichten zu gewinnen, so gilt dies alles in mindestens gleichem Maß von einer ungemein aufschlußreichen, ja verräterischen Aeußerungsart des Menschen: seinem Stil, seiner Schreibweise. Diese war bei May, der alles andre als ein Büromensch war, nämlich ein bürgerlich eingekäfigter Dichter, gleichzeitig seine ungezwungene Redeweise.

L u d w i g   G u r l i t   sagt in seinem Buch »Gerechtigkeit für Karl May!«, S. 84: »Seine Sprache ist oft matt, ohne Plastik, salopp, allerdings zuweilen auch von großer Kraft, Wucht, Lebendigkeit und Anschaulichkeit. Er hat da auch Gutes, Mittelware und Schlechtes, aber der Gerechte wertet den Künstler nach seinem Besten. Hüten wir uns vor Splitterrichterei und unfruchtbarer Schulmeisterei! An Mays Schreibweise wird viel mehr Gutes als Schlechtes verschwiegen.«

In der Halbmonatsschrift »Für die Jugend Deutschlands«, »Junge Menschen« (Herausgegeben von Knut Ahlborn, Schriftleiter des Hauptteils Fritz Klatt, Verlag: Junge Menschen G.m.b.H. Hamburg, 1. Jahrg., Heft 1, S. 22) rühmt  W i t t f o g e l  von May: »Schlag eine Zeitung auf und vergleiche 10 Zeilen oder nimm eine beliebige Reisebeschreibung zur Hand. May schlägt die allermeisten!«

W e r n e r   M a h r h o l z  sagt im »Literarischen Echo« (Halbmonatsschrift für Literaturfreunde, verlegt bei Fleischel & Co., Berlin, 21. Jahrg., 1. November 1918, Heft 3) in einem ausführlichen Auf-


//272//

satz, der wohl zum erstenmal vom Standpunkt der Schrifttumsgeschichte Karl May behandelt, über seinen Schreibstil: »Er ist nicht gerade sehr gefeilt, oft nicht frei von Saloppheiten und kleineren Schönheitsfehlern, im ganzen aber richtig, immer anschaulich und packend, es ist ein gewisser Zug in seinen Sätzen, eine wirkliche Erzählerlust und Fabulierfreude, die unwillkürlich mitreißt und fortträgt. Ganz frei ist der Stile Mays von eigentlichen Verstößen gegen den heutigen Sprachgeist, und frei im allgemeinen auch von ödem Schwulst.«

Die von andrer Seite gerügte Schwächen der Mayschen Schreibweise hält er also auch gleich mir nicht für so schwerwiegende Verstöße gegen den guten Sprachgeist, daß sie dem Ruhm Karl Mays als eines hervorragenden Schriftstellers wesentlichen Abbruch tun könnten.

Auch Gurlitt, Droop und andre Kenner Mays tadeln gewisse Mängel seiner Sprache. May schuf mit groben Meißeln. Die feinere Glättung hätte er später, wenn ihm Zeit geblieben, nachgeholt. Die Ueberfeilung der neuen Auflagen erfolgt deshalb ganz im Sinn des Dichters selbst. Ihm schien die Hauptsache zu sein: das Knochengerüst der Handlung, die Muskeln und das Blut der Spannung zu schaffen.

Wie urteilt nun May selbst über sein Können als Stilist? Bd. 34 »Ich« bringt folgenden Aufschluß (S. 467/7):

Es gibt Leute, die meinen Stil als Muster hinstellen; es gibt andre, die sagen, ich habe keinen Stil; und es gibt dritte, die behaupten, daß ich allerdings einen Stil habe,


//273//

aber es sei ein außerordentlich schlechter. Die Wahrheit ist, daß ich auf meinen Stil nichts im geringsten achte. Ich schreibe nieder, was mir aus der Seele kommt, und ich schreibe es so nieder, wie ich es in mir klingen höre. Ich verändere nie, und ich feile nie. Mein Stil ist also meine Seele, und nicht mein »Stil«, sondern meine Seele soll zu den Lesern reden. Auch befleißige ich mich keiner sogenannten künstlerischen Form. Mein schriftstellerisches Gewand wurde von keinem Schneider zugeschnitten, genäht und dann gar gebügelt. Es ist Naturtuch. Ich werfe es über und drapiere es nach Bedarf oder nach der Stimmung, in der ich schreibe. Darum wirkt das, was ich schreibe, unmittelbar, nicht aber durch hübsche Aeußerlichkeiten, die keinen inneren Wert besitzen. Ich will nicht fesseln, nicht den Leser von außen festhalten, sondern ich will eindringen, ich will Zutritt nehmen in seine Seele, in sein Herz, in sein Gemüt. Daß dies das Richtige ist, das haben mir jahrzehntelange, schöne Erfahrungen bestätigt. Diese aufrichtige Natürlichkeit muß, kann und darf ich mir gestatten, weil ich das, was ich erreichen will, nur allein durch sie zu bewirken vermag, weil ich an meine Leser nicht andre oder gar höhere künstlerische Ansprüche stelle als an mich selbst und weil die Zeit, in der ich meinen Arbeiten auch äußerlich eine ästhetisch schöne Form zu geben habe, noch nicht gekommen ist. Jetzt skizziere ich noch und Skizzen pflegt man zu nehmen, wie sie sind.

Im großen Ganzen wird ein klarer Faden der Erzählung aus übervollem Rocken behend und fest weitergesponnen. Ein in sich abgeschlossenes, von Formzwang gerundetes Werk, das wie bei  K .   F .   M e y e r   gleich einem in Gold gearbeiteten Helm vor unserm entzückten Auge steht, wie ein Einzelwesen, ein ragender Baum, ein Denkmal, klar abgehoben gegen seine Umgebung -: dergleichen finden wir bei May nirgends. Die »Formvollendung«, die er (Bd. 34 »Ich«, S. 477) seinem Zwei-


//274//

akter »Babel und Bibel« freigebig zuerkennt, ist Wunschziel geblieben. »Ich habe ein einziges Mal etwas Künstlerisches und Formvollendetes geschrieben, mein "Babel und Bibel".« Schnurrig, daß ein Schriftsteller glaubt, in einem Leben von 70 Jahren nur ein einziges Mal dem Formgesetz genügt zu haben. Mit dem Ausdruck »einzig« will man immer auszeichnen, herausheben, verabständigen. Es bleibt aber dabei, daß May zur Forderung der bewußten künstlerischen Form keine innere Beziehung hatte. Statt baumeisterlicher Strenge überall tropisches Wuchern. Das Bild eines Unterbewußten, eines Schriftstellers, der ohne Hemmungen, ohne scharfe Selbstüberwachung, ohne strenge Stilzucht, ohne Trieb zur Vervollkommnung der Form, wie in einem somnambulen Zustand, wie in »Trance« innere Gesichte ausströmen, aus sich naturhaft herauswachsen läßt.

Daß ihm sein Schreiben ein inneres  S p r e c h e n   war, geht hervor aus der Erklärung: »Ich schreibe es so nieder, wie ich es in mir klingen höre.« Seine Schaffensweise erinnert auffallend an diejenige des ihm verwandten, in mancher Beziehung vielleicht überlegenen  R o b e r t   K r a f t , den Urteilsfähige für den erfindungsreichsten Schriftsteller der letzten Jahrzehnte halten. Wie anders war die Arbeitsweise eines  L e o   T o l s t o i , der seine Werke oft fünf- bis sechsmal über- und umarbeitete, unaufhörlich feilend, verbessernd, läuternd, veredelnd. Er pflegte zu sagen, daß Gold nur durch vielfaches Schlämmen gewonnen werden könne. May dagegen kennt nicht des Nimmerzufriedenen asketische Strenge gegen


//275//

sich selbst, nicht die Kandare des Formgewissens, den Reuestachel, empfindlichen Formgefühls. Sein Erzählertrieb strömt und strömt - kein Damm eines festen Formbetts hindert, daß er gelegentlich über die Ufer schäumt. Seine Epik wuchert und wächst in tropischer Fülle, verästelt sich reich und bettet noch überall in den Boden der Endkapitel Wurzelstöcke und Brutzwiebeln ein, aus denen unschwer nach Wunsch und Gelegenheit ganze neue Wälder von Handlungen und Schicksalen emporschießen können. Verwirrendes und sperrendes Lianengestrüpp hindert zuweilen.

May kann, was Sprachbeherrschung, Charakterentwicklung und Aufbau anbelangt, nicht mit Künstlern wie Storm, Raabe, Heyse, C. F. Meyer auf gleiche Stufe gestellt werden. Die Verehrung des Mannes darf nicht dazu führen, ihn innerhalb unsers Schrifttums falsch zu beziehen und einzuordnen. Seine Stärke ist die zwingende, Zweifel entwaffnende Art seiner Darstellung. Und doch, wenn er so geflissentlich weit hinter C. F. Meyer gestellt wird, so muß doch betont werden, daß er diesem gegenüber den Vorzug größerer Flüssigkeit und leichteren Verständnisses der Schreibweise für sich beanspruchen kann. Meyer erfordert  A u g e n l e s e r , May  O h r e n l e s e r ! Dafür ein Beispiel: C. F. Meyer sagt an einer Stelle seiner zur Zeit Dantes spielenden Novelle »Die Hochzeit des Mönchs« (Leipzig, Haessel 1884, S. 48/49):

Sie hatten in der letzten Herberge zu Padua, wo sie, ohne den Bügel zu verlassen, ihre Pferde fressen und saufen ließen, von dem geschwätzigen Schenkwirt das große Stadt-


//276//

unglück und das größte Aergernis: den Untergang der Hochzeitsbarke und die weggeschleuderte Kutte des Mönches erfahren, so ziemlich mit allen Umständen, ohne die vereinigten Hände Annas und Astorres jedoch, welche noch nicht offenbar geworden waren.

Hier ist die Uebersicht erschwert, die schnelle Auffassung gehemmt, die Ausdrucksweise rutscht ins Unmögliche aus. Die weggeschleuderte Kutte erfahren, für: erfahren, daß der Mönch seine Kutte weggeschleudert habe; die vereinigten Hände waren noch nicht offenbar geworden, für: es war noch nicht offenbar geworden, daß Anna und Astorre ihre Hände vereinigt hatten. Das ist papiernes Deutsch, dem wir bei May kaum begegnen.

Der angeführte Satz ist, wie mancher andre, aus der Feder C. F. Meyers vom Standpunkt der Stilkunde aus unklug gebaut. Es bedarf einer gewissen Anstrengung, das vom Dichter beabsichtigte Vorstellungsbild zu gewinnen. Zu Beginn andrer Sätze entsteht eine unliebe Hemmung im Leser, der nach dem Aufhängepunkt, dem Träger des Satzes sucht, und dafür mit vorweggenommenen Merkmalen belastet wird. Der Ruhe- und Beziehungspunkt wird vorenthalten. Offenbar, um gewisse Merkmale, gewisse künstlerische Eindrücke dem Leser in den Vordergrund seiner Auffassung zu schieben. Das wirkt aber oft wie Künstelei. Das ist Ziselierarbeit am Schreibtisch. Die Wächter der Schrifttumskunde mögen mir Ablaß gewähren für die Sünde, May und Meyer nebeneinanderzustellen. Die beiden so ganz anders eingestellten Dichter verhalten sich hinsichtlich ihrer Schreibart wie Wildwuchs und Edelwuchs, wie


//277//

Natur und Kunst, letztere auf der Scheidegrenze zur Künstelei, die nicht ganz unbefangen, sondern ein wenig mit Berechnung und Absicht arbeitet. Wie ja auch ein Gedicht von Liliencron Meyers Dichtung mit einem in Gold gearbeiteten Helm, also einem Erzeugnis des Kunstgewerbes, vergleicht.

Meyer ist Sprachschmied, Sprachbaumeister. Seine Sprache ist kunstgewerblich. May baut seine Sprache nicht, er läßt sie wachsen (auch wuchern), er läßt sie strömen. Wenn Hermann Hesse Mays Sprache »als allzu schabloniert« rügt, so ist dieser Vorwurf berechtigt. Es darf aber der Zwang der Arbeitsüberlastung bei May nicht übersehen werden. Vom Verleger dringend und wiederholt ermahnt - so nachweislich oft von der Schriftleitung des »Deutschen Hausschatzes« - konnte sich der Ueberlastete, der oft gleichzeitig für verschiedene Verleger und Zeitschriften schrieb, nur retten durch eine Arbeitsweise, die unter Hochdruck stand. An Durchsicht war oft nicht zu denken. So sind denn auch zu Mays großem Schaden in seine ersten bei Münchmeyer erschienenen Romane von dritter Hand Nervenaufregung bezweckende Veränderungen eingestreut worden. Das steht auf Grund gerichtlicher Entscheidung fest. Man vergleiche hierzu Jahrbuch 1919, S. 155, sowie die ganzen Aufsätze: »Die Münchmeyer-Romane« von Dr. E. A. Schmid und »Ein Schlußstrich«. Abschließende Betrachtung zum Streit um Karl Mays Münchmeyer-Romane von Dr. Rudolf Beissel im genannten Jahrbuchband. Aus diesen Aufsätzen fällt auch Licht auf die Art, wie May schrieb. Hätte ihm in der ersten Hälfte seiner


//278//

Laufbahn als Schriftsteller das Feuer der wirtschaftlichen Not nicht so auf den Nägeln gebrannt, so hätte er stilreine Erzeugnisse vorgelegt, wie sie in wachsendem Maß erst später herauskamen. Unter der Ueberfülle seiner inneren Gesichte schreibt er, wie ihm der Schnabel gewachsen. Er drechselt und feilt nicht, seine Stärke liegt in der Sicherheit seiner Einbildung, in der Unwillkürlichkeit, in der unbefangnen Natur seiner Schreib- und Darstellungsweise. Bei vielen gepriesenen Formbeherrschern des Schrifttums finden wir zwar ein hohes Maß von Reinheit, dafür aber auch nicht selten krampfige Absichtlichkeit und störende Spuren nachmaliger Bearbeitung, die der Frische und Unmittelbarkeit einer ungezwungenen Eingebung Abbruch tun.

So urteilt auch Dr. Droop über Mays schriftstellerisches Können: »Es ist eine einfach schlichte, zwar oft trockene, aber kraftvolle, frische Darstellungsweise, gleich dem munteren Plätschern des Bergbaches und dem munteren Singen des Bergvogels.«

Wer tadelt, vergesse nie, zu loben, was des Lobes wert. In dem Vorwurf der »Schablonierung« steckt ein gewisses Lob, insofern darunter die Anerkennung einer gewissen Stetigkeit, des sicheren Gleichflusses, der inneren Ausgewogenheit, des gesunden Rhythmus mit einbegriffen ist. Man versuche einmal, so ungeschraubt, so einfach und verständlich, so volkstümlich im guten Sinne des Wortes, so nach dem Mund und dem Ohr zu schreiben, wie es May vermochte! Langatmige Satzwerke, mit kunstvoller Einschachtlung und Unterordnung der Satzteile,


//279//

drechselt er nicht. Erfordert die innere Erhebung eine erhabene äußere Form, so gelingen ihm freilich auch Gefüge von einem gewissen Schwung.

Die dichterische Kraft offenbart sich außer in der Erfindung von Handlungen vor allem in der Schaffung glücklicher Bilder. Mays sprachliche Bildkraft ist nun bedeutend. Wir finden in seinen Reisebeschreibungen Tausende von wohlgelungenen Vergleichen und bildhaften Ausdrücken.

Ich unterscheide den aufsteigenden und den absteigenden Vergleich. Der aufsteigende Vergleich verbindet Totes mit Lebendigem; der absteigende Lebendiges mit Totem. Die erste Art zu vergleichen ist wuchshafter, die zweite Art mehr äußerlicher Natur. Die erste entspricht dem tiefen Sinn der Erhabenheit, der Würde der Weltanschauung, die zweite hat oft etwas Gewöhnliches, Puppenhaftes, nicht selten erschütternd Drolliges. Wir finden bei May mehr Komik als Humor im eigentlichen tiefen Sinn. Komik ist das, was die Lachmuskeln reizen will, und das tut May gern und häufig. Da vergleicht er Lebendiges mit Totem, sich wuchshaft entfaltende Dinge mit Mechanischem oder Maschinellem. Letztere Art des Vergleichens schafft ganz besonders den Eindruck des Schnurrigen. Das Mechanische steht eben tief unter dem Organischen. Die Vergleichung des Lebendigen mit toter Gegenständlichkeit, die Vergleichung des tatrege Lebendigen mit mechanischer Zuständlichkeit erzeugt die derbe Enttäuschung unteres Wertgefühls, unseres lebendigen Urteils. Dieses Gefühl der getäuschten Erwartung kann sich von der eigenen Spannung nur durch das Bewußt-


//280//

sein äußerster Komik erlösen, die sich wiederum in Lachen entspannt.

Diese Komik liegt vor, wenn May von einem Menschen sagt, er stünde da, »so breitspurig wie ein ostländischer Zwölfspänner«, oder wenn er im selben Band (»Durchs wilde Kurdistan«, S. 203) von sich sagt: »Der Zufall hatte mich nun einmal, sozusagen, an eine Kletterstange gestellt und mich bis über die Hälfte emporgeschoben; sollte ich wieder herabrutschen und den Preis aufgeben, da es doch nur einer Bewegung bedurfte, um vollends emporzukommen?« Kann man den Vorzug steter Beharrlichkeit bildhafter ausdrücken? Von einem Gefängnisschlüssel (ebenda, S. 238) sagt er: »Man mußte ihn bei dem ersten Griff fühlen, denn er war so groß, daß man ihn mit einer Bärenkugel Nummer Null hätte laden können.« Scherzhaft, wie knallige und grelle Plakate, sind seine bildhaften Uebertreibungen. Halefs Augen »rollten wie das Luftrad einer Stubenventilation«. Der Hund des Bannah-Kurden (Bd. 3, S. 67), von der Freude seines Herrn angesteckt, »zog den Schwanz behutsam hervor und versuchte ein verschämtes Wedeln, wobei er mit der Pfote spielend nach meinem Dojan langte, der ihn aber so wenig zu bemerken schien, wie der Großmogul einen Kaminkehrerjungen.« Ein Kurde äußert seine Freude über die Rettung eines Gefährten (Bd. 3, S. 93) »durch Töne, die sich nur mit dem Brummen eines invaliden Spulrads vergleichen lassen.«

Die Lippenbewegung der Gebete murmelnden Haddedihn wird einmal im Band »Am Jenseits« sehr


//281//

anschaulich mit der Kaubewegung von Kaninchen verglichen. Oft sind die Vergleiche klobig, tragen zu stark auf. So heißt es von einem General: »Er verstünde von der Kriegsführung so viel, wie das Flußpferd vom Filetstricken.« Hübsch ist mit Bezug auf Halef: »Die Spitzen seines Schnurrbarts standen auf Krakeel.«

Immer volkstümlich wirken Vergleiche von Menschen und Tieren. Der strenge Diener eines Wirts »war sehr ärgerlich und schäumte wie ein Fennek (Wildfuchs), dem eine Eidechse entschlüpft ist«. May sagt selbst (Bd. 2, S. 47):

Ich weiß, daß man einen Menschen nicht mit einem Wesen aus dem Tierreich vergleichen soll; aber es gibt wirklich menschliche Physiognomien, die unwillkürlich an bestimmte Tiere erinnern. Ich habe Gesichter gesehen, die etwas Affen-, Bullenbeißer- und Katzenartiges hatten; ich habe bei gewissen Gesichtsschnitten sofort an einen Ochsen, einen Esel, eine Eule, ein Wiesel, ein Rüsseltier oder einen Fuchs oder Bären denken müssen. Mag man nun Phrenolog und Physiognomiker sein oder nicht, man wird doch bald merken, daß auch die Haltung, der Gang, die Ausdrucksweise, das ganze Tun und Treiben eines solchen Menschen eine gewisse Aehnlichkeit mit der Art und Weise des Tieres besitzt, an das man durch die Physiognomie erinnert wurde. Das Gesicht des Mannes nun, den ich jetzt sah, hatte etwas Raubvogelähnliches; es war ganz das eines Stößers.

Hier spricht May eine Empfindung aus, die wohl jeder von uns schon gehabt hat. Dem Forscher der Entwicklungsgeschichte und Lebensgesetze sei vorbehalten, darüber nachzudenken, worauf die unausrottbare Vorliebe, worauf die Berechtigung solcher Tiervergleiche beruht. Sie sind mehr als ein bloßes


//282//

drastisches Schilderungsmittel, sie deuten in die dunkle Tiefe der letzten Einheit alles Lebendigen.

Die blumige Redeweise gibt dem Dichter der orientalischen Reiseerzählungen ausgiebig Gelegenheit, seine Kunst der Bildhaftigkeit zu zeigen. So ist einmal »eine Rede bitter wie die Medizin Aloe«. Ein andermal heißt es (Bd. 3, S. 424): »Der Hunger soll deine Eingeweide zerreißen, und der Durst deine Seele auflecken, daß sie vor Qualen zischt, wie der Wassertropfen, an dem das Feuer frißt!«

Im Kapitel »Die Todeskarawane« (Bd. 3, S. 324) erzählt er von dem entsetzlichen Leichengeruch. »Mich erfaßte ein unüberwindlicher Ekel, der mein Inneres wie eine Schraube packte und gegen den keine Beherrschung aufkommen konnte.«

Im Kapitel »In Stambul« (Bd. 3, S. 481) wird von dem Wächter eines verfallnen Hauses eine Schilderung entworfen, in der sich May, wie immer, wenn er das Aeußere, die Kleidung oder das Gebahren von Typen schildert, kaum genug tun kann in greller, ja allzugreller Derbheit. Man lese die Schilderung nach, um meinem Urteil beizupflichten, daß es absichtlich gewollt und schrullig ist. Wie bildhaft, für innere Anschauung zeugend ist aber, wenn er bei dieser Gelegenheit von einer sich überstürzenden Auskunft sagt: »Das alles kam jetzt auf einmal so schnell und hastig heraus wie aus dem Speiteufel einer Schrotmühle.« Ein andermal heißt es von dem unübertrefflichen Khawaß baschi, er »hing auf dem Pferd wie eine Fledermaus in der Dachrinne«.

Die Vergleichskunst Mays ist vor allem auch deswegen so hoch zu bewundern, weil die Vergleiche sich


//283//

ungezwungen aus der Umwelt der Beschäftigungsweise, der jeweiligen Lage seiner Gestalten ergeben. Seine Bilder sind, weit entfernt, nur als schmückendes Beiwerk zu dienen, hervorragende Mittel der Stimmungsbildung und schaffen die innere Einheit der ganzen fremdländischen Welt, in die uns der Dichter auf seinem Zaubermantel versetzt. So sagt einmal der erst gefesselte und dann von Kara Ben Nemsi befreite Hadschi Halef auf die Frage nach dem Verbleib der Ausreißer: »Wie kann ich es wissen, da ich doch gefesselt war wie der heilige Koran, der in Damaskus in eisernen Ketten hängt?«

Wie gibt anderseits er alte  V o g e l s t e l l e r   Silbermann im »Giftheiner« (Bd. 43, S. 340) den Eindruck wieder, den einst die Alwine auf ihn gemacht! Er vergleicht sie mit einem Vogel. Welche andere Umwelt hier!

»Das will ich meinen! Aan Madel wie eine Bachstelz, tipp, tipp zipp, zipp, so wippt und schwippt sie auf und nieder, so glatt und schlank, aan Federle wies andre, aan Schwänzle wie aane Schmerl, und aan Füßchen, aan Schnäbele, so fein und sauber, daß man nur das Netz gleich hinlegen möcht, um das Ding zu fangen. Aber, aber - ich will weiter gar nix sagen! Wie das von außen so zierlich, so niedlich wippt und schnippt, so ists denn auch von innen und der einfachst Hänfling ist mir lieber, als so aan unstet Geschöpf, wenn er auch zuweilen mal auf den "Zapp" verfällt.«

Viele Vergleiche erhöhen den Eindruck toter Marionettenhaftigkeit. Der Engländer David Lindsay ist ja im Grund eine seelenlose Puppe. Wie seine Mundbewegungen, seine von der Aleppobeule gezierte Nase mit dem Ausgebot aller derben Ver-


//284//

gleichsmittel geschildert werden, fällt vielleicht doch auf die Nerven.

Das Seelenleben wird geschickt verbildlicht: »Des Menschen Gedanke ist wie der Reiter, den ein ungehorsame Pferd dorthin trägt, wohin er nicht kommen wollte.« Kann man die Treue der Erinnerung bildlich besser darstellen als Halef im Bd. 25 »Am Jenseits«, S. 2:

»Ich sage dir, Sihdi, alle diese Taten und Begebenheiten sind rundum an den Wänden meiner inneren Seele aufgeschrieben und mit unvergänglichen Pflöcken in den Boden meines Gedächtnisses eingeschlagen, wie man Pferde, Kamele und lebhafte Ziegen an Pflöcke bindet, wenn man befürchtet, daß sie über Nacht den ihnen angewiesenen Ort mit einem andern vertauschen wollen.«

Ein scherzhafter Mensch gleicht dem zerbrochenen Topf, den niemand brauchen kann, »weil er nicht bewahrt«. - »Was ist der silberne Schlüssel, der die Stätten der Weisheit erschließt?« so fragt Halef den Boten Abrahim Mamurs, der den großen Arzt aus »Frankhistan« zur Heilung seiner Frau holen soll. Als Antwort vernimmt der gespannt lauschende Kara Ben Nemsi das leise Klimpern von Geldstücken:

»Ein Piaster? Mann, ich sage dir, daß das Loch im Schlosse größer ist als dein Schlüssel; er paßt nicht, denn er ist zu klein.«
»So muß ich ihn vergrößern.«
Wieder klang es draußen wie kleine Silberstücke ...

Solche reizenden, in ihrer Treffsicherheit zur Bewunderung hinreißenden Vergleiche beleben in verschwenderischer Fülle die Werke Mays.

Andre Vergleiche: Ein Geldbeutel ist so mager wie der Schakal in der Schlinge oder wie die Wüste


//285//

jenseits des Mokkatam. Das Haar Hannehs, der Frau Halefs, ist wie der Schweif des Pferdes Gilja. Ihre Wimpern sind schattig wie die Blätter von el Szent usw. Von dem tänzelnden Hengst »Rih« heißt es (Bd. 1, S. 362): »Seine Füßchen gingen wie die Füße einer Tänzerin, welche versuchen will, ob das Parkett des Saales "wichsig" genug zum Contre sei.«

Vom Roß der Phantasie, dem Pegasus, gebraucht May folgende Bilder: »Die Hufe warfen Zeit und Raum zurück; der dunkle Schweif strich die Vergangenheiten.«

In der Darstellungsweise der Geisterschmiede von Kulub, Bd. 34, »Ich«, S. 272, erinnert die Kraft seines bildhaften Schauens an ungleich Größere, an Dante und Shakespeare. Doch besteht eine Einseitigkeit und Schwäche darin, daß fast alle Vergleiche der Welt toter Gegenstände, und nicht dem Reich des Lebendigen, der wuchshaften Entfaltung entnommen sind. Seine Vergleiche sind absteigend, soweit ich sehe, fast nie aufsteigend und emporbeziehend. Er ist kein Wuchsdenker, er schafft, wie seine Vergleiche zeigen, in den Formen starrer Gegebenheit, er liebt den Kristall mehr als die Zelle.

Karl May ist eben auch kein Leisetreter. Er wagt etwas. - Er schreibt ohne Hemmung: »Mit für fünf Pfennige Rotlack.« Oder: Carpio und May werden »von rundumher« betrachtet. Erfrischend kühn!

Wie meisterhaft handhabt May das Kunstmittel der Wiederholung. Beispiel: der Wirt Franzl in »Weihnacht« ist mildtätig gegen die Auswanderer:

Er nahm die große, noch halbvolle Fisolenschüssel und


//286//

trug sie den Leuten hin; er nahm die ebenfalls noch halbvolle Fleischschüssel und trug sie den Leuten hin; er nahm noch eine ganz volle Weinflasche und trug sie den Leuten hin; er nahm alles, was auf unserm Tisch stand und lag, und trug es den Leuten hin, und als es nichts mehr zu nehmen und zu tragen gab, setzte er sich noch selber zu ihnen hin und forderte uns auf: ...

Das viermal wiederholte »trug sie hin« drückt aufs glücklichste die Sicherheit aus, mit der sich der gute Franzl für den Hilfsdienst entscheidet. Vorausgegangen ist in der Küche ein geräuschvoller Streit mit seiner anfangs knausrigen Ehehälfte, der von May (S. 45/6) mit drolligen Vergleichen aus der Sprache der Musik und Instrumente geschildert wird.

Schon in den »Erzgebirgischen Dorfgeschichten« - nach einer Reihe von Schnurren seine Erstlinge - finden sich Wendungen, die sprachlich hervorragen. So: Balzer »sah die Augen der beiden Liebenden ineinander leuchten«. (Bd. 43, S. 266.) Er bemerkte, »daß der Heiner seinen Arm vertraulich um das Mädchen legte und leis in sie hineinflüsterte.« (Daselbst)

Ein Prüfstein für die Güte eines Schreibers ist auch, wie er die unmittelbare Rede gebraucht. Man urteile: Im »Geldmännle« (Bd. 44, S. 497/8) heißt es:

Nun wird von der ersten Klarinette das eingestrichne a angeblasen, worauf die andern Instrumente das Lied anstimmen: »Den König segne Gott!« Jedermann fällt mit seiner Stimme in! Am Schluß des Gesangs besteigt der Herr Lehrer die Tribüne; auf ihr liegt ein Gegenstand, der sehr schön eingewickelt ist. Er hält die Eröffnungsrede. Er spricht von Weben und Wirken. Das soll ein jeder für sich, aber auch für andre tun! Für das Haus, für die Gemeinde, für das Volk, sogar für die ganze Menschheit. Der Mensch-


//287//

heit ist keiner nütze, der immer nur an sich selbst denkt. Für sich selbst sorge man an besten, wenn man für seinen Nächsten sorge. Das tue jeder brave Mensch, sogar auch Seine Majestät der König. Es sei allgemein bekannt, wie huldvoll er sich der hiesigen Armen angenommen habe. Und daß auch Ihre Majestät, die Frau Königin, an den fleißigen Klöpplerinnen warmen Anteil nehme, das wolle er jetzt beweisen. Sie habe ihm nämlich befohlen, das wohlbekannte Herzle freundlich zu grüßen und ihr das hier vor ihm liegende Ehrenklöppelkissen zu überreichen.

Der  S p l i t t e r r i c h t e r   wird aus den zahlreichen Bänden Mays sogar Verstöße gegen die Sprachregeln herausklauben können. Unschön wirkt die Häufung von Bindewörtern und doppelter Ausdruck, die gelegentlich auffallen und fast altgriechisch anmuten; z.B. doch wohl nicht bloß, schon bereits, doch aber, und aber, nun jetzt. May als Briefstilist ist m.E. weniger glücklich als in seinen Erzählungen. Der Fluß der Sprache fehlt hier bisweilen. Es ist, als ob er, mit den Angelegenheiten des wirklichen Lebens befaßt, aus einem Bannschlummer aufwachte. Gewisse Eigentümlichkeiten kennzeichnen seine Feder, so der häufige Satzbeginn mit »nämlich« und der Ersatz von »müssen« durch »zu haben«; letzteres verrät den Willensmenschen, der seine Ziele allzu rasch verwirklicht sieht, seine Hoffnungsfreudigkeit, seinen Bestglauben. Das Bewußtsein einer Sendung spricht aus der Hoffnung des Greises, er werde als Dramatiker sein Bestes schaffen. In diesem Zusammenhang heißt es mit Vorliebe, er »habe« neue Wege einzuschlagen usw. So ließe sich noch aus vielen andern Eigentümlichkeiten der Sprache Aufschluß über das Gefüge seines Innern gewinnen.


//288//

Sprachschöpferisch war May allerdings nicht. Er hat unser Sprachgut nicht bereichert. Im Umkreis des Gegebenen bewegte er sich aber mit großer Gewandtheit.

Man könnte unschwer ein Buch über May, den Stilisten verfassen. Hier sollte nur auf wenige Punkte hingewiesen werden. May ist ein Quell der Erquickung und Belehrung, auch,   j a   g e r a d e   für diejenigen Leser, die bewußt seine gesunde, klare Schreibweise auf sich einwirken lassen. Man beschäftige sich eingehend mit  E d u a r d   E n g e l s  »Deutscher Stilkunst« (Wien, F. Tempsky; Leipzig, G. Freytag G.m.b.H., 1911) und lese danach oder daneben Karl May. Wenn man nur eine Fähigkeit besitzt, die recht eigentlich den Gebildeten ausmacht, nämlich die, Wesentliches vom Unwesentlichen zu unterscheiden, dann wird man erstaunt sein, wie fabelhaft sicher Karl May die eigentliche Stilkunst meistert, wie ihm alle Kunstmittel der Darstellung gehorchen. Von Schnitzern und kleinen Schönheitsfehlern abgesehen, wird jeder, der sich nicht mit seiner eignen formalen Bildung lächerlich spreizt, dem Urteil beipflichten: Karl May war ein Künstler der Schreib- und Darstellungsweise. Seine Form ist im wesentlichen dem Inhalt ebenbürtig.

Der tiefste Eindruck, den Mays Schreibweise auf mich gemacht, ist der, daß sich in ihr eine schöpferische Unwillkürlichkeit offenbart, die aus Traumtiefen der Selbstsicherheit, Unbefangenheit und des Unbewußten aufsteigt. Kräfte des Gemüts, nicht Tüftelei des Verstandes bilden den Stil.  H e i n r i c h   L h o t z k y  sagt:


//289//

Wer schreibt eigentlich? Wir wissens nicht. Geistergruppen werdens wohl sein, die letzten Endes schreiben. Wir kennen nur die Verfasser, und die irdischen Namen dieser Verfasser sind die zufälligen Erkennungszeichen und Laute, hinter denen sich für die Wissenden Geistergesellschaften betätigen.





[Anmerkung (Im Original am Ende der entsprechenden Seite.)]

40 Verfasser einer Fülle hochwertiger Romane, darunter »Das Moordorf«, »Jockele und die Mädchen«, »Jockele und seine Frau«, »Der gemütvolle Adam«, Staackmann, Leipzig


Übersicht über Max Finkes Aufsätze

Titelseite