"Bleib! Rühre Dich nicht von der Stelle!" gebot ich ihm. "Du bist mein Gefangener!"

"Dein Gefangener?" lachte er. "Siehst Du nicht, daß sie kommen?"

Er deute auf seine Gefährten, die eben heranjagten.

"Die tun mir nichts," antwortete ich. "Weg mit den Waffen!"

Lanze und Flinte waren ihm schon entfallen, als ich ihn vom Pferde zog. Jetzt entriß ich ihm auch den Köcher samt den Pfeilen, die vergiftet sein mochten, und auch das Messer, nach welchem er griff, um nach mir zu stoßen. Ich schleuderte beides ein Stück weit fort, wo es sicher lag, weil es ihm unmöglich war, sich aufzurichten, um es zu holen. Zu untersuchen, ob er irgendwie Schaden gelitten hatte, dazu war jetzt keine Zeit, denn die beiden andern kamen jetzt heran. Ihre Gewehre während des Rittes zu laden, dazu fehlte es ihnen höchst wahrscheinlich am Geschick. Auch von Pfeil und Bogen konnten sie unter den gegenwärtigen Umständen keinen Gebrauch machen. Darum drangen sie mit den Lanzen auf mich ein. Ich parierte den Stoß des Vordersten von ihnen leicht mit meinem Bärentöter. Der Angreifer schoß dabei an mir vorüber und zügelte dann sein Pferd, um es zu wenden; aber mit zwei, drei schnellen Sprüngen war ich ihm nach, griff ihm in die Zügel (Seite 48A) und riß sein Pferd auf die Hinterfüße. Es wollte augenblicklich wieder in die Höhe, aber ich drängte ihm den Kopf tief nieder. Es schnellte die Hinterhand hoch empor. Der Reiter verlor dadurch den Halt und flog aus dem Sattel. Zwar sprang er rasch wieder auf, aber noch stand er nicht fest, so traf ich ihn mit dem Kolben des Bärentöters derart auf die Schulter, daß er mit einem Schmerzensschrei zusammenbrach. Im Nu war er entwaffnet. In diesem Augenblick nahte sein Gefährte heran, der nur nach vorn, nicht aber hinter sich schaute, wo Halef ihm hart auf der Ferse war. Der zweite Angreifer hatte nur den einen Gedanken, an mich zu kommen. Die Lanze zum Stoße einlegend, spornte er sein Pferd auf mich zu. Er kam aber gar nicht zum Stoße, denn Halef trieb, das Gewehr in der Luft wirbelnd, seinen Rappen zum entscheidenden Sprunge an und schlug den Gegner mit dem Kolben an den Kopf, daß der Getroffene die Lanze und Zügel fallen ließ und mit beiden Händen nach dem turbanbedeckten Schädel fuhr. Sein Pferd tat einen Satz zur Seite und er taumelte herab. Da warf sich Halef schnell von seinem Tiere herunter und nahm den Besiegten beim Genick.

"Hamdullillah!" rief er fröhlich aus. "Nun sitzen sie alle unten! Wollen wir sie zusammentragen?"

"Ja; komm!"

Der von ihm Besiegte war stark betäubt. Halef zog ihn vom Boden auf, stieß ihn vor sich her und brachte ihn zu dem jungen Manne, der noch immer nicht von der Stelle konnte. Ich holte den andern herbei, dem mein Kolbenhieb so gut bekommen war, daß er keinen Versuch des Widerstandes machte. Als nun alle drei beisammen saßen und ihre Waffen in der Nähe auf einem Haufen lagen, setzte sich Halef mit jener wohlbekannten Miene zu ihnen hin, die er stets zu zeigen pflegte, wenn ihm der Schalk im Nacken saß. Er sah sich einen nach dem andern an, sehr lange, sehr genau und sehr freundlich. Dann sagte er:

"Es freut mich unendlich, daß wir einander wieder haben. Ich bitte, mir zu sagen, womit wir Euch so sehr gekränkt haben, daß es Euch nicht mehr bei uns gefiel!"

"Wer bist Du?" fragte der Jüngere in kurzem, bestimmtem Tone, ohne sich von der Freundlichkeit des kleinen Hadschi betören zu lassen.

"Wie kommst Du zu dieser Frage?" antwortete Halef. "Wie kommt es überhaupt, daß Du das Wort ergreifst? Deine Gefährten sind älter und also wohl auch erfahrener als Du."

"Ich bin der Vornehmere!" fuhr der andere auf.

"Vornehmer?" fragte Halef. "Was nennst Du vornehmer?"

"Ich bin der Ilkewlad!"

Er sprach dieses Wort so aus, daß man es nicht nur im gewöhnlichen Sinne, sondern auch als Titel nehmen mußte, also in der Bedeutung, die bei uns das Wort Kronprinz hat. Darum fragte Halef:

"Also der Erstgeborene des Herrschers?"

"Ja."

"Welches Herrschers?"

"Das geht Dich nichts an!"

"Ich will es aber wissen!"

"Du wirst es nicht erfahren!"

"Du irrst. Erfahren werde ich es jedenfalls, wenn nicht von Dir, so doch von den andern. Es wäre für Dich aber jedenfalls vorteilhafter, wenn Du aufrichtig mit uns redetest."

"Mit Leuten, wie Ihr seid, spricht man nicht vertraulich. Ihr seid unsere Feinde. Ihr seid Ussul!"

"Ussul? Wir?" fragte Halef, indem er ein lautes Gelächter aufschlug. "Sihdi, wir sind Ussul! Wer das behauptet, der muß blind und taub und alles andere sein, aber nur nicht bei Sinnen!"

"Wollt Ihr es etwa leugnen?" fragte der >Erstgeborene< in verweisendem Tone.

Da nahm der eine seiner Begleiter das Wort, und zwar in sehr höflichem Tone:

"Sie sind kleiner als die Ussul; das haben wir bisher außer acht gelassen. Und der eine wird von dem andern Sihdi (Seite 48B) genannt. Dieses Wort ist bei den Ussul nicht gebräuchlich. Man findet es nur bei den türkischen und persischen Arabern."

"So seid Ihr wohl Türken?" fragte der Jüngere.

"Nein," antwortete Halef.

"Oder Perser?"

"Nein."

"Was sonst?"

"Das geht Dich nichts an! Wer uns keine Auskunft gibt, der hat auch von uns keine zu erwarten. Ich will aber hier eine Ausnahme machen und meine Gnade über Dir leuchten lassen, indem ich Dir sage, wer wir sind. Wir sind nämlich auch >Erstgeborene<, er der meinige und ich der seinige. Ich bin also sein Vater, und er ist mein Vater. Folglich sind wir beide noch viel eher als nur erstgeboren, und Du reichst mit Deiner einfachen Erstgeburt in keiner Weise an unsere doppelte heran!"

"Narr!" rief der jungen Mann beleidigend aus. "Der Witzbold ist überall der niedrigste Mensch des ganzen Stammes. Ich verachte Dich! Ich mag gar nicht wissen, wer und was Ihr seid. Packt Euch von dannen!"

"Das werden wir allerdings tun. Euch aber packen wir zusammen und nehmen Euch mit!"

"Wohin?"

"Auch das geht Euch nichts an!"

"Wagt es, Euch nochmals an uns zu vergreifen! Wir sind keine Ungläubigen, wie die Ussul. Wir sind Moslemin!"

"Meinst Du, daß Du Dir hierauf etwas einbilden kannst? Ich sage Dir: Auch ich bin Moslem; ich bin sogar mehr Moslemer als Du; ja, ich bin hundertmal und tausendmal mehr Moslemer als Ihr alle drei, als Euer Stamm, als Euer ganzes Volk! Du scheinst wundergroß von Dir zu denken, bist aber in Wahrheit nichts als ein beispiellos dummer, unerfahrener Bursche, dem ich zeigen werde, wie solche Leute, wie Ihr seid, zu behandeln sind."

Halef sprang auf, zog seine geliebte Kurbatsch aus dem Gürtel, schwippte sie hin und her und fuhr fort:

"Seht Euch zunächst Eure armen Pferde an! Die Sporenlöcher zu beiden Seiten! Voller Blut und Eiter! Seid Ihr Menschen? Auch das Pferd ist Allahs Geschöpf, tausendmal schöner, vornehmer und edler als Ihr! Bildet Euch ja nicht ein, daß wir Euch gefühlvoll, zart und sanft behandeln werden? Das beste Wort für Euch ist nur die Peitsche!"

"Hund!" schrie der junge Fremdling. "Du wagst es, mir mit der Peitsche zu drohen? Dafür verlange ich Dein Blut und Leben! Ich werde - - -"

Er sprach nicht weiter. Er hatte versucht, aufzuspringen, sank aber mit einem Schmerzensruf wieder zurück.

"Mein Blut und Leben?" lachte Halef. "Kamelmilchknabe, der Du bist! Betrachtet Euch doch, wie jammervoll wir Euch hier vor uns haben! Noch nie in meinem ganzen Leben habe ich die dreifache Dummheit so nahe bei mir gesehen wie jetzt! Wie dumm kamt Ihr zur Stelle geritten, an der wir Euch überraschten! Wie dumm war Eure Flucht! Wie unendlich dumm war es von Euch, beisammen zu bleiben! Wie beispiellos dumm fingt Ihr es an, diesem einen von Euch zur Flucht zu verhelfen! Wie entsetzlich dumm seid Ihr uns in die Hände gelaufen! Und wie ganz unsagbar dumm ist es von Euch, Euch trotz alledem stolz aufzublasen und uns, die wir doch Herren Eures Schicksals sind, zu beleidigen! Wir werden Euch - - -!"

"Nichts werdet Ihr!" unterbrach ihn der Ilkewlad mit brüllender Stimme. "Schweig!"

"Ja, schweig!" forderte auch ich jetzt Halef auf. "Diese Männer kehren jetzt mit uns zurück."

"Wohin?" fragte der Erstgeborene, indem er mich mit blitzenden Augen maß.

"Wohin es uns beliebt," antwortete ich ruhig.

Ich war bis jetzt still gewesen und hatte zwischen ihnen und ihren Waffen gestanden, damit es den beiden, die gehen konnten, nicht einfallen möge, unvermutet aufzuspringen und sich zu bewaffnen. Dem Dritten war dies unmöglich, weil er sich verletzt hatte. Ich trat jetzt zu ihm und fragte:

(Seite 49A) "Wo hast Du Schmerzen? Ich will nachschauen, ob etwas gebrochen ist. Wir müssen es verbinden."

Da herrschte er mich wütend an:

"Fort von hier, Schakal, räudiger! Weißt Du, wer wir sind?"

"Nein," antwortete ich, ganz ohne Zorn.

"Bei uns ist es das größte Verbrechen, sich an dem Scheik oder seinen Söhnen zu vergreifen. Das habt Ihr getan, Ihr seid dem Tode verfallen. Ließe ich mich von Euch berühren, so brächte Euch das nach unsern Gesetzen das Recht, begnadigt zu werden."

"Ich danke Dir für diese Warnung, denn nach Gnade trachte ich allerdings nicht. Aber ich sage Dir eins: Wenn Du Dich so vor der Berührung durch unsere Hände scheust, so scheue Dich auch vor der Berührung durch unsere Peitsche!"

Er sah mich an, ich ihn auch. Es kochte in ihm. Er wollte losbrechen, doch gab mein Blick dies nicht zu. Er bezwang sich und fragte:

"Auch Du wagst es, von der Peitsche zu sprechen?"

"Wagen? Pah! Wenn ich Dich peitschen will, so peitsche ich Dich; gewagt ist nichts dabei. Und nun paß auf, was Du hörst! Ihr werdet jetzt unbedingt tun, was ich befehle, augenblicklich, ohne Weigerung. Zögert Ihr, zu gehorchen, so bekommt Ihr allerdings die Peitsche, und zwar alle drei. Und wer von Euch es jetzt noch wagt, zu sprechen, ohne daß ich ihn dazu auffordere, der bekommt für jedes Wort einen Hieb. Merkt Euch das! Ich scherze nicht!"

"Allah verfluche Euch!" rief einer der beiden andern, indem er Miene machte, sich zu erheben. Da aber sauste schon die Peitsche Halefs auf ihn nieder. Ich zog meine beiden Revolver, hielt sie ihnen hin, ließ, um ihnen die Ladung zu zeigen, die Walzen spielen und sagte:

"Seht diese Pistolen! Wie Ihr Euch überzeugen könnt, ist jede sechsmal geladen. Ich kann Euch also zwölf Kugeln geben, ohne daß ich zu laden brauche. Nehmt Euch in acht! Erst die Peitsche und, wenn diese nicht hilft, dann die Kugel!"

Das wirkte. Sie verstanden die Mechanik der Revolver nicht, aber sie sahen die Kugellöcher und fühlten sich von dem Geheimnisse, welches dabei waltete, gebannt. Keiner sagte mehr ein Wort, doch in ihren Gesichtern stand mit größter Deutlichkeit zu lesen, was wir zu erwarten hätten, falls sie einmal das Glück haben würden, uns in ihre Hände zu bekommen. Ich blieb mit gespannten Pistolen bei ihnen stehen, während Halef ihre Pferde zusammenbinden mußte, und zwar eines hinter das andere. Dann mußten die beiden Älteren ihren jüngeren Gefährten, der nicht von uns berührt werden durfte, nach dem vorderen Gaul schaffen, in dessen Sattel sie ihm emporhalfen. Hierauf wurden ihnen selbst die Hände nach hinten gebunden und wir halfen ihnen auf ihre Pferde. Und nun setzten wir uns in Bewegung, Halef voran und ich hinterdrein. Ihre Waffen wurden selbstverständlich mitgenommen.

Es war ein ganz eigentümliches Erlebnis. Ich hatte das Gefühl, als ob durch die Gefangennahme dieser drei Männer dem Stamme der Ussul ein großer Dienst erwiesen sei, wir aber für uns beide damit auch den Grund zu späteren Verdrießlichkeiten oder gar Gefahren gelegt hätten. Mochte dies nun sein, wie es wollte - wir trugen an der Entwicklung der Dinge keine Schuld. Hätten sich die drei Fremden anders verhalten, wären sie nicht so ohne allen sichtbaren Grund geflohen, ja, wären sie wenigstens später nicht so schroff und feindselig gewesen, so hätte sich diese Begegnung gewiß ganz anders gestaltet. Und selbst im schlimmsten Falle, daß sie nämlich zu den Todfeinden der Ussul, zu den Tschoban, gehörten, hätte sich gewiß ein Weg finden lassen, um wenigsten Feindseligkeiten zu vermeiden. Ich war gespannt darauf, ob man bei den Ussul einen von ihnen oder vielleicht gar alle drei kennen werde.

Auf demselben Wege, auf dem wir gekommen waren, kehrten wir zurück. Wir kamen da ein sehr gutes Stück über die Stelle hinaus, wo Halef mit Ben Rih gestürzt war. Noch aber hatten wir das Gefängnis Amihns nicht erreicht, so sahen wir ein halbes Dutzend Reiter uns entgegenkommen, lauter hohe, breitschulterige Gestalten auf massigen, urpferdartigen Rossen. Als sie sich genügend genähert hatten, erkannten wir sie. Es (Seite 49B) war Amihn, Taldscha und der Sahahr mit noch drei anderen Ussul. Sie wunderten sich, daß sie nicht zwei, sondern fünf Reiter sahen, und zwar im Gänsemarsche hintereinander. Sie erkannten Halef, den Vordersten von uns, sogleich und hielten an, um uns herankommen zu lassen. Natürlich war Halef es, der das erste Wort haben mußte. Er rief ihnen, noch lange bevor wir sie erreichten, zu:

"Heil, Heil und Heil! Den Mutigen ist es gelungen! Die Tapferen haben gesiegt! Der Kampf ist zu Ende! Triumph, Triumph, Heil, Heil!"

"Gekämpft habt Ihr?" fragte Amihn von weitem.

"Ja, gekämpft." antwortete Halef.

"Mit wem?"

"Mit drei Fremden. Wir kennen sie nicht. Sie sind unserer Macht erlegen und vor unserer Faust in den Staub gefallen. Hier sind sie! Schaut sie an!"

Er wich mit seinem Pferde etwas zur Seite, so daß die Ussul nun den Vordersten unserer Gefangenen sahen.

"Allahi, wallahi!" rief Amihn aus "Das ist Palang, der älteste Sohn des Scheiks der Tschoban!"

"Palang, der Ilkewlad!" fügte der Zauberpriester hinzu.

"Der Blutgierige! Der Mörder der Ussul!" beteiligte sich auch Taldscha an den Ausrufungen.

"Wo habt Ihr ihn gefunden?" erkundigte sich der Scheik.

Halef öffnete schon den Mund, um eine seiner berühmten Lobreden loszulassen, ich ließ es aber nicht dazu kommen, sondern fiel ein:

"Wir sahen sie eine Strecke weit da hinten. Als sie uns erblickten, rißen sie aus. Wir eilten ihnen nach, sie zu ergreifen und zu Dir zu bringen. Du siehst, daß es uns gelungen ist."

"Heil Euch! Ihr habt ein schweres und gefährliches Werk vollbracht. Kein Zweifel, es ist der Panther der Tschoban. Ich habe ihn wiederholt gesehen. Die beiden andern, die bei ihm sind, kenne ich nicht. Als wessen Gefangene sind sie zu betrachten?"

"Als die meinigen."

"Wie lange sollen sie es bleiben?"

"So lange es mir beliebt."

"Herr, wenn Du sie an uns abtreten wolltest!"

Die andern Ussul stimmten diesem Wunsche sofort und lebhaft zu. Ich hatte die Gefangenen hierher gebracht, um sie ihnen auszuliefern, hielt es aber für besser, hiermit noch zurückzuhalten. Darum antwortete ich:

"Es ist nicht unmöglich, daß ich sie Euch überlasse, doch würde ich meine Bedingungen stellen."

"Welche?" fragte die Frau. "Sag es schnell!"

"Ihr dürftet sie nicht ohne meine Erlaubnis wieder freigeben."

"Einverstanden! Völlig einverstanden! Dürfen wir sie uns nehmen?"

Ihre Begleiter schickten sich schon an, sich an die Gefangenen heranzudrängen. Diese hatten sich bis jetzt ganz schweigsam verhalten, aus Angst vor Halefs Peitsche. Jetzt aber fragte mich Palang, der Panther:

"Darf ich jetzt wieder reden?"

"Ja," nickte ich.

Da wendete er sich an den Scheik und dessen Frau und sagte:

"Wenn dieser Fremdling uns Euch auslieferte, würdet Ihr gezwungen sein, uns freizugeben."

"Warum?" fragte Taldscha, der die Männer das Wort sehr gern zu überlassen schienen.

"Weil man nur Feinde gefangen nimmt, nicht aber Freunde."

"Du bist doch Feind!"

"Nein! Jetzt nicht, heut nicht! Ich kam als Freund hierher. Mein Vater sendet mich mit einer Friedensbotschaft zu Euch. Der Überbringer solcher Botschaften ist heilig, so weit die Erde reicht. Ihr wißt, was folgen würde, wenn es Euch einfiele, mich als Feind zu behandeln. Er würde Euer Land mit Krieg überziehen und jeden Ussul töten, der in seine Hände fällt."

"Ja, das würde er," bestätigte die Frau. "Wir dürfen Dich nur dann als Feind betrachten, wenn Du in feindlicher Absicht kommst. Das ist aber sicher der Fall!"

(Seite 50A) "Wie willst Du das beweisen?"

"Kein Tschoban kommt als Freund zu uns!"

"Diesmal doch! Ich bin sogar gesandt, ein Bündnis mit Euch abzuschließen, ein Bündnis für lange Zeit, wenn möglich für immer."

"So rufe nun ich Dir zu: Wie willst Du das beweisen?"

"Indem ich es abschließe. Das kann ich aber doch wohl nicht hier und auch nicht heut und morgen. Dazu gehören lange Tage und lange Verhandlungen. Und selbst wenn diese Verhandlungen nicht zum Ziele führten, dürftet Ihr Euch nicht an mir vergreifen und müßtet mich ruhig wieder ziehen lassen, denn ich komme als Friedensbote und Freund!"

"Und hast als Friedensbote auf uns geschossen!" fiel ich ein.

"Auf Euch?" fragte er wegwerfend. "Seid Ihr Ussul?"

"Nein!"

"So schweig! Zu Dir wurde ich nicht gesandt!"

"Das ist richtig. Darum aber habe ich auch nicht nötig, Dich als Freund zu behandeln. Du bist mein Gefangener."

"Das wird mich aber nicht hindern, mit den Ussul zu verhandeln, und ich sage Dir: Sie werden mich von Dir fordern. Wehe Dir, wenn Du mich ihnen verweigerst.!"

In diesem ernsten Augenblick geschah etwas unendlich Drolliges. Der Scheik ritt natürlich seinen dicken Smihk oder Nazik. Dieser hatte sich, so lange die andern sprachen, sehr ruhig verhalten; als aber ich das Wort ergriff, hielt er nicht mehr still. Er strampelte von einem Beine auf das andere, schlug sich mit den Ohren um den Kopf, er wirbelte den Schwanz: kurz, er tat alles, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Und als ich mich gleichwohl nicht um ihn bekümmerte, kam er trotz aller Gegenwehr seines Reiters herbei, stellte sich grad vor mich hin, riß das Maul auf und ließ eine so jammervolle Klage über meine Hartherzigkeit los, daß alle Anwesenden, (Seite 50B) die Gefangenen ausgenommen, in ein lautes Gelächter ausbrachen. Dann begann er, mir die Stiefel abzulecken, eine Liebkosung, die eigentlich meiner Hand gewidmet war. Ich mußte Syrr beruhigen, der den Urgaul nicht leiden zu können schien, was auch gar kein Wunder war, wenn man sich erinnert, daß dieser sich erst kurz vorher im tiefen Schlamm gewälzt hatte, um seine geliebte Kruste zu erneuern.

Ich war durch den Urgaul verhindert, dem Panther die ihm gebührende Antwort zu erteilen. Darum wurde ich von Taldscha gefragt:

"Wie entscheidest Du Dich, Herr? Überlässest Du ihn uns oder nicht?"

"ich behalte ihn einstweilen noch für mich. Doch ist das nur für kurze Zeit. Denn sobald ich Euch bewiesen habe, daß er sich als Euer Feind in dieser Gegend befindet, trete ich ihn Euch ab."

"Diesen Bewies erbringst Du nicht," herrschte er mich an.

"Diesen Beweis erbringe ich, noch ehe der heutige Tag vorüber ist!" antwortete ich ihm. "Und nun macht vorwärts, daß wir in das Lager kommen!"

Diese letztere Aufforderung war an die Ussul gerichtet, von denen drei sich zu den Gefangenen gesellten, ohne ein Wort mit ihnen zu sprechen, während der Scheik, seine Frau und der Priester mit mir hintendrein ritten. Es war für sie ein unendlich wichtiges Ereignis, den >Erstgeborenen< ihrer Todfeinde in ihrer Gewalt zu haben. Sie befanden sich dadurch im Besitz einer Geisel, die mit keiner noch so großen Summe Geldes zu bezahlen war. Freilich konnte sich diese Waffe auch als zweischneidig erweisen, doch nur für den Fall, daß er wirklich als Friedenshändler gekommen war. In jedem andern Falle aber stand das Recht aller Völker und Stämme von Ardistan auf der Seite der Ussul, denen ihr Gefangener mit Leib und Leben gehörte.

(Seite 51A) Vorerst mußten sie sich an den einfachen Gedanken gewöhnen, daß sie ihn überhaupt besaßen. Ein solches Glück war ihnen während aller bisherigen Kämpfe mit den Tschoban noch nie widerfahren. Sie hielten diesen jungen Mann für einen Ausbund von Grausamkeit, List und Tapferkeit, während ich wenigstens von den beiden letzteren Eigenschaften nicht den geringsten Beweis erhalten hatte. Im Gegenteile war mir sein Verhalten gradezu als dumm und feig erschienen.

"Es ist ein großes, großes Wunder, daß Ihr noch lebt!" sagte Amihn, während wir nebeneinander hinritten. "Sie sind zwar nicht so groß und stark wie wir, Ihr aber seid noch kleiner als sie. Auch seid Ihr nur zwei, sie aber sind drei!"

"So hast Du Dir eben zu merken, daß es weder auf die Länge und Breite des Körpers noch auf die Zahl der Personen ankommt," antwortete ich. "Das ganze Menschenleben beweist, daß es nicht auf diesen Körper, sondern auf die Seele, auf den Geist ankommt. Du selbst sagst, daß die Tschoban kleiner sind als Ihr, und trotzdem seid Ihr ihnen meist unterlegen. Ich sage Dir, daß der Kleinste unter uns allen, nämlich mein wackerer Hadschi Halef Omar, es mit einer ganzen Menge dieser Leute aufnimmt, ohne sich zu fürchten. Hingegen können Eure Körper noch so stark und riesig sein, wenn Euch aber der Geist fehlt, den großen Vorteil, den Euch der Besitz des >Erstgeborenen< bietet, auszunützen, so wird Euer Leib Euch nur von Schaden sein. Glaubt Ihr, daß er in friedlicher Absicht gekommen ist?"

"Nein," antwortete Taldscha. "Das ist er auf keinen Fall. Dennoch müssen wir, sobald Du ihn uns schenkst, auf Verhandlungen mit ihm eingehen, bis seine feindlichen Absichten offen erwiesen sind. Glaubst Du wirklich, dies noch heut tun zu können?"

"Ich bin überzeugt davon."

"Wer soll uns Auskunft geben?"

"Er selbst oder seine Begleiter, je nachdem."

"Die werden sich hüten!"

"Die werden sich nicht hüten, sondern es sogar als eine Wohltat empfinden, ihre Geheimnisse ausplaudern zu können. Man muß sie scheinbar zum Schweigen zwingen und ihnen dann heimlich Gelegenheit geben, sich auszusprechen. Laßt mich nur machen! Wenn Ihr mir helft, wird alles wohlgelingen. Wo kann ich meinen Gefangenen während der Nacht unterbringen, so daß er leicht zu bewachen ist?"

"Auf der Insel, oder auch im Lager. Wir binden die drei Männer einfach an drei Bäume, wie Du es mit mir getan hast. Ein einziger Mann genügt, sie zu bewachen. Die andern können schlafen."

"Wie einfach und wie leicht das klingt! Wenn Ihr in dieser Weise zu verfahren pflegt, so ist es kein Wunder, daß die Tschoban Euch stets überlistet haben. Im Lager wird während der Nacht kein Mensch bleiben."

"Warum?"

"Glaubt Ihr vielleicht, daß der Scheik der Tschoban den unverzeihlichen Fehler macht, seinen Erstgeborenen und Nachfolger mitten in Euer Gebiet zu schicken, nur von zwei Männern begleitet?"

"Dieser Gedanke ist richtig, sehr richtig!" stimmte der Scheik schnell bei. "Ich würde es auch nicht tun."

"Trägt man bei den Tschoban Säbel?" fragte ich.

"Fast jedermann!"

"Diese drei haben keine. Warum? Weil sie ihnen im Wege sein würden. Sie wollen schleichen, forschen, spüren, suchen, leise, ungehört und ungesehen. Da ist der Säbel hinderlich. Und wenn Euer Gebiet durchsucht werden soll, und wenn man erfahren will, was Ihr tut, wo Ihr Euch befindet, genügen hierzu armselige drei Männer?"

"Nein! Herr, Du machst mir angst!"

"Das will ich nicht. Aber selbst wenn es Dir wirklich bange würde, so ist das jedenfalls besser als ein Überfall, dem Ihr unterliegt, weil er Euch völlig unvorbereitet trifft. Also, ich glaube nicht, daß diese drei Tschoban die einzigen sind, die sich jetzt bei Euch herumschleichen. Darum werde ich mich hüten, unsere Gefangenen so wohlfeil hinzustellen, daß sie leicht befreit werden können. Und darum rate ich auch ab, heut im Lager zu übernachten, das vielleicht schon längst ausgekundschaftet (Seite 51B) worden ist. Die Art und Weise, wie der Ilkewlad sich näherte, läßt vermuten, daß er die Richtung kennt, in der es liegt. Vorher dachte ich anders, jetzt aber nicht mehr."

"Es hat schon seit undenklichen Zeiten dagelegen!"

"Um so schlimmer! Und um so gefährlicher ist es, es zu einer Zeit zu beziehen, wo Feinde in der Nähe sind."

"Welche andere Stelle schlägst Du vor?"

"Jetzt noch keine. Ich kenne die Gegend nicht, werde mich aber, bevor es dunkelt, umsehen. Mag aber kommen, was da will, so könnt Ihr überzeugt sein, daß Euch heut ein großes Glück widerfahren ist. Der >Erstgeborene< ist ein Schatz, den Euch die Vorsehung sendet, damit Ihr - - -"

"Die Vorsehung?" unterbrach mich der Zauberer. "Da hört man, daß Ihr Christen Heiden seid! Gott hat ihn gesandt, nur Gott! Das Wort Vorsehung gilt nur für Leute, welche zweierlei falsche Scham besitzen. Sie schämen sich, nicht an Gott zu glauben, und sie schämen sich doch, ihn offen und ehrlich zu bekennen. Da sprachen sie von Vorsehung, Fügung und ähnlichen Dingen, die wie voll klingen und doch keinen Inhalt haben. Wir Ussul besitzen nur Gott allein. Weiter brauchen wir nichts!"

Diese Worte wurden schon in der Nähe des Lagers gesprochen. Als wir dort ankamen, erneuerte sich das Erstaunen über die drei Tschoban. Die hier zurückgebliebenen Ussul brachen in lauten Jubel aus. Mit den Begleitern des >Panthers< wurde wenig Federlesens gemacht. Wir banden sie einfach an zwei Bäume, doch so, daß sie nicht miteinander sprechen konnten. Ihn selbst aber mußten wir legen, denn er konnte nicht stehen. Der gutmütige Zauberpriester untersuchte ihn und fand, daß sein Fuß gebrochen war und schneller Hilfe bedurfte, wenn er nicht vollständig lahm bleiben sollte. Da bekam der Tschoban Angst. Er bat, sogleich verbunden zu werden, und der Sahahr, der zugleich der Arzt seines Volkes war, machte sich, unterstützt von zwei Ussul daran, zum Rechten zu sehen. Wie dies geschah, das kümmerte mich nicht. Ich hatte Wichtigeres zu tun. Die Hauptsache für mich war, einen andern, bequemeren Lagerort zu suchen und dann nach der Insel zu rudern, um zu forschen, ob sie für meine Zwecke geeignet sei. Es galt nämlich, die Gefangenen unter sich zu einer Unterredung zu bringen, die wir zu belauschen hatten und also scheinbar verhüten mußten. Der Scheik begleitete mich. Halef wollte auch mit, mußte aber zurückbleiben, um die Gefangenen zu beaufsichtigen und dafür zu sorgen, daß sie weder unter sich noch mit andern sprechen konnten. Es sollte dadurch in ihnen die Sehnsucht, sich mitteilen zu können, gesteigert werden.

Ein Platz, der sich zum Lagern während der Nacht gut eignete, war bald gefunden. Dann ging es hinüber nach der Insel. Ich hatte angenommen, daß nur das große, schwere Boot, das ich kennen gelernt hatte, vorhanden sei; es gab aber, sorgfältig im Gebüsch des Ufers versteckt, noch ein kleines, leichtes Kanoe aus Holzstützen und Lederbezug und zum Zerlegen eingerichtet, um überall mitgenommen werden zu können. In diesem ruderten wir hinüber. Vorher hatte der Scheik einen seiner Leute nach der >Residenz< geschickt, um den Bewohnern derselben die Freudenbotschaft zu überbringen, daß der >Erstgeborene< ihres Hauptfeindes gefangen worden sei, weshalb man sich für morgen auf einen feierlichen Empfang einzurichten habe. Er sprach da, jedenfalls in bedeutend beschönigender Weise, von seiner >Hauptstadt< und seinem >Schlosse<, seiner >Burg<. Auch gab es einen >Tempel< zur Abhaltung des Gottesdienstes. Dies trug dazu bei, die Spannung auf den morgenden Tag in mir zu erhöhen.

(Seite 52A) Die Insel war nicht groß, ungefähr fünfzig Schritte lang und halb so breit, rundum am Wasser von dichtem Gebüsch umsäumt. Es standen mehrere Bäume da, die für meinen Zweck vorzüglich paßten. Der eine ganz nahe an einer kleinen, schmalen Einbuchtung des Wassers, die nur ganz wenig breiter war als unser Kanoe.

"An diesen Baum wird der Panther gefesselt," erklärte ich dem Scheik.

"Wann?" fragte er.

"Während der Nacht."

"Er soll also herüber auf die Insel?"

"Ja. Doch nicht nur er, sondern auch die beiden anderen Tschoban. Mein Hadschi Halef Omar, der ein außerordentlich pfiffiger Gesell ist, wird sie mit Hilfe zweier Ruderer herüberschaffen. Vorher aber haben wir uns, Du und ich, hier eingestellt. Wir kommen mit unserm Lederboot in diese Einbuchtung. Der Baum, an den der Panther gebunden werden soll, steht so nahe daran, daß wir ihn fast mit der Hand erreichen können. Aber sehen wird man uns trotzdem nicht, weil die Wasserpflanzen und Schlinggewächse des Ufers uns verbergen, die wir außerdem jetzt derart ordnen und zurichten werden, wie wir es uns für unsere Zwecke nur wünschen können. Es kann uns kein Wort, welches an diesem Baum gesprochen wird, entgehen. Die beiden andern werden da drüben am jenseitigen Ufer angebunden, aber nicht so fest wie er, sondern leichter und lockerer, so daß es ihnen mit einiger Mühe möglich ist, sich loszumachen. Sie werden dies ganz sicher tun und dann herüber zu ihrem Vorgesetzten kommen, um sich mit ihm zu beraten."

"Schlau! Außerordentlich schlau!" lobte der Scheik. "Der Plan ist gut; aber ob er in Erfüllung gehen wird, das ist die Frage. Werden sie wirklich so unvorsichtig sein, miteinander zu sprechen? Werden sie nicht Verdacht schöpfen? Werden sie gar nicht auf den Gedanken kommen, daß man sie belauschen will?"

"Sicher nicht! Ich bin überzeugt, daß uns alles gelingen wird," antwortete ich. "Wenn sie vom Lager fortgeschafft werden, sehen sie doch, daß wir alle dort beisammen sind - -"

"Wir alle? Wir beide sind doch fort, Du und ich! Und grad das ist es, was ihnen aufzufallen hat."

"O nein! Wir gehen doch nicht vor ihnen fort, sondern nach ihnen, wenn sie es nicht mehr sehen können. Hierzu kommt, daß sie mit dem langen, schweren Boot transportiert werden, möglichst langsam, wobei anstatt der geraden Linie ein Bogen geschlagen wird. Wir aber nehmen das leichte, schnelle Kanoe und sind also viel eher hier als sie. Sie befinden sich ganz gewiß in der festen Überzeugung, daß nur Halef und die Ruderer vom Lager abwesend sind. Und wenn man sie hier angebunden hat, kann nur der Panther nichts gewahren, weil er auf der entgegengesetzten Seite ist; seine beiden Gefährten (Seite 52B) aber sehen und hören ganz bestimmt, daß die drei Männer im großen Kahn sich wirklich entfernen und nicht auf der Insel bleiben. Sie werden sich also für unbelauscht halten und in entsprechender Weise miteinander verkehren. Vorbedingung ist, daß wir uns nicht etwa selbst verraten. Bist Du geübt, das Husten und Niesen zu unterdrücken?"

"Sorge Dich nicht! Das übt man schon von früher Jugend an. Selbst wenn wir die ganze Nacht im Wasser stecken müßten, würdest Du nicht das geringste Geräusch von mir zu hören bekommen."

"So sind wir für jetzt hier fertig und wollen wieder an das Ufer zurück. Ich habe noch meinen Halef heimlich hierherzubringen, um ihn in unsern Plan einzuweihen und zu unterweisen. Es kommt sehr darauf an, daß er, während er die Tschoban nach der Insel bringt, ja nichts tut, was geeignet wäre, ihren Verdacht zu erregen."

Wir verließen also die Insel und ruderten uns zurück. Dort legten wir so an, daß uns niemand sah. Das geschah natürlich nicht etwa aus Mißtrauen gegen die Ussul, sondern weil ich wünschte, daß überhaupt niemand daraufkam, von dem kleinen Lederkanoe zu sprechen. Die Tschoban brauchten nicht zu erfahren, daß es eines gab. Ebenso sorgte ich dafür, daß Halefs Entfernung aus dem Lager ganz unauffällig vor sich ging. Unterwegs nach der Insel erzählte ich ihm, um was es sich handelte. Er war ganz Feuer und Flamme.

"Sihdi," versicherte er, "ich werde meine Sache so machen, daß Du gezwungen bist, mich zu loben. Ich gäbe viel darum, wenn ich dann mitlauschen könnte, aber ich sehe ein, daß dies unmöglich ist. Du wirst mir die Bäume zeigen, an welche ich die Gefangenen zu fesseln habe. Ich werde das mit größter Sorgfalt und aber doch so besorgen, daß die beiden Halunken, wenn es ihnen gelungen ist, sich loszubinden, über mich lachen und spotten. Das werde ich sehr ruhig tragen, denn meine Rache kommt dann nach!"

Es handelte sich jetzt nur darum, ihm die Örtlichkeit zu zeigen, damit er dann im Dunkel des Abends genau wußte, woran er war. Ich zeigte ihm, als wir an der Insel ausgestiegen waren, die betreffenden drei Bäume, und er weihte mich in alle die kleinen und großen Finten ein, deren er sich bedienen wolle, die Tschoban so gründlich wie möglich zu täuschen. Wir verdichteten auch das Ufergesträuch in der kleinen Bucht, wo wir zu landen und uns zu verbergen hatten, derart, daß unser Kanoe dann am Abend darunter verschwand und gar nicht bemerkt werden konnte. Dann kehrten wir nicht nach dem alten, sondern gleich nach dem neuen Lagerplatze zurück, den die Ussul inzwischen aufgesucht und eingenommen hatten, und wo man dürres Holz zusammensuchte, weil der Tag sich zu neigen begann und es also nötig wurde, Feuer anzuzünden. Taldscha begann mit den Frauen, das Abendessen (Seite 53A) zu bereiten. Wir Männer setzten uns um das größte der Feuer, an dem sich sehr bald eine ganz eigenartige und sehr angeregte Unterhaltung entwickelte, in welche die drei Gefangenen absichtlich mit keinem Worte verflochten wurden. Sie waren auch hier angebunden, doch derart voneinander getrennt und abgewendet, daß ihre Augen und Blicke sich nicht treffen konnten. Aber hören mußten sie alles, jedes Wort, und so waren die Ussul alle beflissen, das Gespräch so hin und her zu leiten, daß die Tschoban nur solche Dinge zu hören bekamen, die ihnen imponierten und Angst vor dem, was sie erwartete, einflößten. Daher kam es ganz von selbst, daß die Ussul taten, als ob ich und Halef halbe Götter und außerdem auch ihre besten Freunde seien. Das Verhältnis zwischen uns und ihnen wurde in die beste und innigste Beleuchtung gestellt, und es versteht sich ganz von selbst, daß in dieser Beziehung mein kleiner Halef das Allermeiste und das Menschenmöglichste leistete. Er behandelte die Ussul genau so ungeniert und vertraut, wie vielerprobte, gute Freunde, und sie gingen in einer Weise hierauf ein, daß es ihnen ganz unmöglich wurde, uns später dann etwa als Feinde zu behandeln. Was mich betrifft, so verhielt ich mich möglichst still. Was von unserer Seite gesprochen werden mußte, das sprach der Hadschi in mehr als reichlicher Weise, und mir lag doch alles daran, die Ussul nicht nur im allgemeinen und insgesamt, sondern auch einzeln so genau wie möglich kennen zu lernen.

Das Essen bestand aus erjagtem und am Feuer gebratenem Fleisch mit einer Pflanzenzugabe, die aus wilden, aus dem Gras herausgestochenen Zwiebeln und einer gerösteten Art der Canna indica zusammengesetzt war. Es schmeckte vortrefflich. Daß auch unsere Pferde reichlich mit gutem Futter und Wasser versehen wurden, versteht sich ganz von selbst. Sie standen in unserer Näher. Die Gäule der Ussul aber befanden sich weiter fort von uns. Sie hatten während des ganzen Tages gefaullenzt und gefressen und sich nun niedergelegt, um auszuruhen. Nur einer nicht, nämlich Smihk, der Dicke. Der kam durch die Finsternis der Waldesnacht zum Lager herbeigeschlichen und suchte so lange rund um dasselbe herum, bis er mich sitzen sah. Er nahte mir, wie meist alles, was man nicht gern kommen sieht, von hinten. Das tat er so leise, wie es der pfiffigste Apache oder Komanche nicht leiser fertig gebracht hätte, und strich mir, als sein Kopf den meinen erreichte, mit der Zunge so zärtlich quer über das Gesicht, daß es schien, als ob sie daran kleben bleiben wolle. Ich langte natürlich sofort zu ihm hinauf und gab ihm eine Ohrfeige, die jedes andere Tier in den höchsten Zorn versetzt hätte; er aber nahm sie für einen überzeugenden Beweis meiner Gegenliebe und ließ ein Freudengewieher und Jubelgeheul erschallen, welches die andern dicken Ur-, Jagd- und Streitrösser so sehr entzückte, daß sie aus Leibeskräften mit einfielen und den ganzen Wald, so weit ihre Stimmen reichten, mit Wonnetönen erfüllten.

"Er hat Dich in sein Herz geschlossen," sagte der Scheik. "Nimm es ihm nicht übel!"

Dabei schlug er ihm den Spieß an den Kopf, daß beide krachten, nämlich der Spieß und auch der Kopf; aber Smihk, der Dicke, ließ sich dadurch nicht stören, sondern orgelte weiter, bis er glaubte, seine Gefühle genügend ausgesprochen zu haben, so daß nichts mehr zu sagen war. Dann legte er sich hinter mir nieder und schloß die Augen, um in dem beseligenden Gedanken zu entschlafen, daß ich nun wisse, wie teuer ich ihm sei.

Als endlich auch für die Menschen die Zeit kam, sich schlafen zu legen, wurden auf meine Veranlassung hin Wachen ausgestellt, die während der Nacht dreimal abzulösen waren. Dann wurde, natürlich nur zum Scheine, eine kurze Beratung abgehalten, wie wir uns während des Schlafes unserer Gefangenen am besten versichern konnten. Der Scheik machte den Vorschlag, sie nach der Insel zu schaffen und dort festzubinden, weil da kein besonderer Wächter für sie nötig sei. Wir andern stimmten bei, und Halef bot sich an, sie hinüberzuschaffen, falls man ihm zwei Ruderer mitgebe, ihm zu helfen. Das wurde in völlig unbefangener und unauffälliger Weise gesagt und vorgeschlagen. Keiner der drei Tschoban kam auf den Gedanken, daß es abgekartete Sache sei. Man band sie von den Bäumen los und führte sie fort, dem Wasser zu, wo hinter einem Ufergebüsch, (Seite 53B) durch welches sie nicht zurückschauen konnten, der große Einbaum zu ihrer Aufnahme bereit lag. Dann eilte ich mit dem Scheik nach der andern Stelle, an der das Kanoe auf uns wartete. Das leichte, kleine Fahrzeug brachte uns im Uferschatten sehr schnell so weit, daß die Insel zwischen uns und dem Einbaum lag und wir, von diesem aus ungesehen, nun gerade und direkt auf sie lossteuern konnten. Das taten wir und erreichten die kleine, schmale Bucht noch rechtzeitig genug, um es uns unter den dichten Zweigen, die eine Decke über uns bildeten, bequem zu machen. Der Baumstamm, an den der Panther festgebunden werden sollte, stand uns so nahe, daß auf dieser Seite seine Wurzeln unmittelbar aus dem Wasser tranken.

Nun nahte das große Boot. Wir vernahmen die Ruderschläge, noch viel eher aber die Stimme des Hadschi, der absichtlich laut sprach, damit wir sein Kommen hören sollten. Er landete drüben an der andern Seite, dennoch unterschieden wir jedes Wort, welches er sagte, denn er sprach sehr langsam und deutlich, und die Breite der Insel war nicht beträchtlich genug, seine Worte zu verschlingen. Er hatte nicht erst jetzt begonnen, mit den Gefangenen zu sprechen, sondern dies schon während der ganzen Fahrt getan. Er besaß so eine pfiffige Art, die Leute auszufragen, und fing es nicht weniger pfiffig an, mich jetzt schon von weitem hören zu lassen, was er von ihnen erfahren hatte.

"Also Ihr beide seid die Erzieher des Prinzen der Tschoban, den man Palang, den Panther, nennt. Von dem einen lernt er das Regieren und von dem andern das Kriegführen. Der eine ist die Kalam el Berinz und der andere das Sef el Berinz. Beide werden angebunden, und dann er selber auch. Zuerst die Kalam el Berinz! Komm! Steig aus!"

Er führte die >Feder des Prinzen< aus dem Boote nach dem betreffenden Baume und band ihn dort mit Riemen fest, die er zu diesem Zwecke mitgebracht hatte. Diese Festigkeit war aber nur eine scheinbare. Dabei sagte er:

"Nun ich von Euch gehört habe, was für ein vornehmer Herr Du bist, tut es meiner Seele vom Kopf bis herunter zu den Füßen weh, daß ich gezwungen bin, Dich hier an diesen Stamm zu fesseln, der nichts von Deinem hohen Stande weiß. Doch wenn ich mich nachher entferne, lasse ich Dir den süßen Trost zurück, daß ich morgen früh wieder kommen werde, um mich zu erkundigen, ob Du gut geschlafen hast."

Hierauf holte er das >Schwert des Prinzen<, um ihn nach dem andern Baum zu führen und dort anzubinden. Auch dieser bekam einige ironische Bemerkungen zu hören. Dann mußten die beiden Ruderer den >Panther< nach dem dritten Baum tragen, eben dem, in dessen unmittelbarer Nähe ich mit dem Scheik verborgen war. Die beiden andern waren aufrecht stehend angekoppelt worden; dieser aber durfte sich seines verletzten Fußes wegen niedersetzen und wurde nur mit dem Rücken an den Stamm gebunden. Indem Halef dies tat, sprach er:

"Ich liebe Dich, o Prinz. Du hast mein Herz gewonnen. Zwar hast Du es nur heimlich gewonnen, als Du vorhin leise zu mir sagtest, daß Du mir eine ganze Satteltasche voll Goldstücke geben würdest, wenn ich bereit sei, Euch zu Euern Pferden zu bringen und mit Euch zu fliehen; dafür aber sage ich es nun laut, um Deine Güte zu rühmen. Deine Goldstücke gehören nicht mir, sondern meinen Freunden, den Ussul. Wenn ich jetzt hinüberkomme, werde ich ihnen und ihrem Scheik sagen, wie gern Du zahlen wirst. Schlaf wohl! Ich gehe! Allah sende Dir ein ganzes Dutzend glücklicher Träume aus dem Vorrat seines siebenten Paradieses!"

Er entfernte sich und stieg mit seinen beiden Ussul in den Einbaum. Man hörte die Ruder in das Wasser schlagen, und man hörte die Stimme Halefs, der sich absichtlich laut mit seinen Begleitern unterhielt, noch lange, bis sie wegen des zu großen Abstandes verscholl. Das ging alles so ungesucht und selbstverständlich, daß die drei Tschoban gar nicht auf den Gedanken gerieten, sie seien nicht allein hier, oder Halef werde heimlich zurückkehren, um sie zu belauschen. Selbst falls er diese Absicht gehabt hätte, wäre es ihm wegen der Größe des Bootes wohl schwerlich gelungen, die Insel unbemerkt wieder zu erreichen.

(Seite 54A) Nun warteten wir. Der Scheik war in hohem Grade gespannt, ob die Richtigkeit meiner Voraussetzung sich bestätigen werde; bei mir aber gab es nicht den geringsten Zweifel daran, daß die Gefangenen die Gelegenheit schleunigst benutzen würden, miteinander zu sprechen. Und richtig! Kaum hörte man Halefs Stimme nicht mehr, so rief die >Feder des Prinzen< den beiden andern zu:

"Gebt Achtung! Hört Ihr mich?"

"Ja, ja!" lautete die Antwort von hüben und von drüben.

"Wir sind allein!"

"Weißt Du das genau?" fragte der Prinz.

"Ja. Ich konnte dem Boote von hier aus nachschauen, bis es nicht mehr zu sehen war. Sie sind fort, und kein Mensch ist hier, der uns hört. Wie dumm diese Leute sind!"

"Bist Du fest angebunden?"

"Es scheint so; aber ich will doch einmal versuchen."

"Ich auch!" stimmte das >Schwert des Prinzen< bei. "Mir scheint, ich kann vielleicht los."

Es wurde für kurze Zeit still; dann hörten wir gleich hintereinander zwei Freudenrufe. Beiden war es gelungen, sich von den Riemen zu befreien, doch lag es ihnen völlig fern, hier eine Hinterlist zu vermuten. Sie jubelten laut auf und eilten herbei, um auch den >Panther< loszumachen und mit ihm zu besprechen, wie sie sich nun wohl befreien könnten. Hier zeigte es sich, welchen Einfluß Geburt und Erziehung auf Menschen haben, die sonst ziemlich gleichgestellt sind. Er war edler geboren als sie, und er zeigte sich trotz ihres höheren Alters und ihrer größeren Erfahrung als der Bedachtsamste und Vorsichtigste von ihnen.

"Halt! Mich nicht losbinden!" befahl er. "Wir wissen nicht, ob wir uns vielleicht nicht wieder anbinden müssen. Wäre dies der Fall, so könnten wir die Schleifen und Knoten nicht genau so wiederherstellen, wie sie waren, und das würde uns verraten, daß wir frei gewesen sind."

"Uns wieder anbinden müssen? Das fällt uns doch wohl nicht ein!"

"So? Könnt Ihr schwimmen?"

"Nein. Wir sind keine Fische oder Frösche! Hätte Allah uns Flossen oder Schwimmhäute gegeben, so läge es in seinem Ratschlusse, daß wir schwimmen sollen. Du hast es trotzdem gelernt, aber Dein Fuß ist verletzt - - -"

"Ja, dieser Fuß, dieser Fuß!" klagte der >Panther<. "Daß dieser fremde Hund mich vom Pferd gerissen und lahm gemacht hat, das werde ich ihm nicht vergessen, selbst wenn Allah mit Mohammed vom Himmel käme, um für ihn zu bitten! Ich hoffe, daß die Zeit erscheint, in der ich mit ihm abrechnen kann. Dann wird es keine Gnade geben, keine!"

Er knirschte das grimmig zwischen den Zähnen heraus und fuhr dann fort:

"Also, an das Ufer schwimmen, ist unmöglich; folglich müssen wir hier bleiben. Ich bleibe also angebunden, so wie ich bin, damit man früh nicht spürt, daß Ihr schlecht angebunden gewesen seid. Auf mich paßt man besser auf, als auf Euch."

"So sollen wir also auf jeden Versuch, die Flucht zu ergreifen, verzichten?" fragte das >Schwert<.

Der >Panther< sann einige Augenblicke lang nach und antwortete dann:

"Ich muß mich fügen! Wegen meines Fußes! Aber nicht Ihr. Ihr könntet fliehen, sobald sich Euch eine Gelegenheit dazu bietet. Aber klüger ist es, hierauf zu verzichten, um meinetwillen. Denn Eure Flucht würde mir wohl sehr übel angerechnet werden. Sie würde meiner Behauptung widersprechen, daß wir in Frieden kommen und Abgesandte meines Vaters sind."

"Aber wir können doch nicht so lange bleiben, bis sie merken, daß dies eine Lüge ist! Die beiden Fremden glauben schon jetzt nicht daran! Bedenke, daß unser Heer heut über eine Woche den Engpaß Cathar überschreiten wird! Und nur vier Tage später wird es auf der altbekannten Marahka erscheinen, dem Schlachtfelde, auf dem man uns heut gefangen hat! Wenn wir da noch Gefangene der Ussul sind, so ist es um uns geschehen! Die Stunde, in der sie erfahren, daß wir keinen Frieden wollen, sondern ganz im Gegenteile wieder mit einem (Seite 54B) großen Heer hier im Lande eingefallen sind, wird unsere Todesstunde sein!"

"Das stünde allerdings mit größter Sicherheit zu erwarten," stimmte der >Panther< bei."Aber noch ist keine Gefahr. Wenn wir unsere Rolle gut spielen, so werden wir sehr bald entlassen. Wir schließen mit ihnen einen angeblichen Vertrag, den mein Vater durchzuprüfen hat, ehe er ihm sein Siegel gibt. Diesen Vertrag haben wir ihm zu bringen; also müssen wir fort von hier."

"Aber wenn sie diesen Vertrag abweisen und gar nicht auf ihn eingehen?"

"Das ist unmöglich! Wir wissen ja, daß wir diesen Vertrag überhaupt nicht halten werden, also können wir die Sache so appetitlich für sie machen, daß sie unbedingt anbeißen werden. Diese Ussul sind Dummköpfe. Es gibt keinen einzigen Menschen unter ihnen, den man als klug bezeichnen könnte. Der Dümmste von allen aber ist der Scheik. Hätte er nicht die Frau, die sich bemüht, das bißchen Verstand, das er beinahe besitzt, zusammenzuhalten, so gäbe es auf der ganzen Erde keinen größeren Narren und Einfaltspinsel als ihn! Den nehme ich bei unserem nächsten Sieg gefangen und zeige ihn in unserm ganzen Land herum, damit man endlich einmal erfahre, wie ein Mensch aussieht, der - - -"

"So sieht er aus!" erscholl hinter ihm eine donnernde Stimme, die ihn mitten in der Rede unterbrach, und zugleich erhielt er eine Ohrfeige, welche allerdings noch ganz anders klatschte als die, mit der ich meinem guten, dicken Smihk zu antworten pflegte, wenn er sich eingehender mit mir beschäftigte, als ich wünschte. Nämlich von dem Augenblicke an, der uns die Gewißheit gab, daß die friedliche Sendung dieser drei Männer eine Lüge sei, hatte sich der Scheik nicht mehr zu beherrschen vermocht. Sein Atem begann hörbar zu werden. Ich faßte ihn am Arme, um ihn zur Vorsicht zu mahnen. Dies hätte vielleicht auch gefruchtet, wenn nicht die persönliche Beleidigung gefolgt wäre, die ihn in laute Wut versetzte. Er richtete sich, die Zweige, die uns verbargen, auseinanderstoßend, im Kanoe auf, so lang er war, gab dem Prinzen den Schlag ins Gesicht und sprang sodann an das Ufer. Ich folgte ihm auf der Stelle.

"Allah 'l Allah!" rief das >Schwert< erschrocken.

"Und auch der Fremde!" fügte die >Feder< hinzu.

Der >Panther< sagte kein Wort. Wahrscheinlich nahm die Ohrfeige seinen Kopf so ganz und gar in Anspruch, daß ihm die Sprache versagte.

"Ja, der Scheik und der Fremde!" donnerte der Ussul weiter. "Der Scheik, den Ihr in Eurem ganzen Lande sehen lassen wollt! Der Scheik, welcher der dümmste von allen Dummköpfen ist! Ihr aber habt die Klugheit schon von Kindesbeinen an Euch in den Kopf geschaufelt und es mit ihrer Hilfe so himmelweit gebracht, daß man Euch nur an den ersten besten Baum zu binden braucht, um alle Eure Geheimnisse zu erfahren. Fort mit Euch von hier! Ihr gehört an Eure Bäume!"

Diese Aufforderung war an die >Feder< und an das >Schwert< gerichtet. Der Scheik nahm den einen hüben und den andern drüben beim Genick und schaffte sie von ihrem Prinzen fort. Sie wagten nicht, eine Hand zum Widerstand zu regen, was ihnen auch wohl schlecht bekommen wäre. Ich folgte. Wir banden sie wieder fest, und zwar so, daß es ihnen nicht wieder gelingen konnte, sich zu befreien. Dann begaben wir uns nochmals zum Panther hin, weil sich dort unser Kanoe befand. Ich untersuchte seine Fesseln. Sie waren ihm so gut angelegt, daß ich nichts daran zu ändern hatte.

"Schurke!" giftete er mich an.

"ich kam nur hierher, um mein Wort zu halten," antwortete ich.

"Welches Wort?"

"Du fordertest mich auf, Dir zu beweisen, daß Du ein Feind der Ussul bist, und ich gab Dir mein Wort, daß ich diesen Beweis erbringen werde, noch ehe der heutige Abend vorbei sei. Ich habe es getan, und es ist noch lange nicht Mitternacht. Leb wohl! Wir sehen uns am Morgen wieder."

Wir stiegen in das Boot und verließen die Insel. Als wir uns so weit vor ihr entfernt hatten, daß wir nicht gehört werden konnten, sagte der Scheik:

(Seite 55A) "Wie recht hast Du gehabt, und wie gut war es, daß wir sie belauschten!"

"Und wie falsch war es, daß Du so vorzeitig dazwischen fuhrst!" tadelte ich ihn. "Es ist gar nicht zu ahnen, was wir alles noch erfahren hätten, wenn Du ruhig geblieben wärst!"

"Verzeih! Ich hielt es nicht länger aus. Es ist kein Spaß, sich als einen Dummkopf bezeichnen zu lassen, wenn man keiner ist! Übrigens glaube ich, daß wir genug erfahren haben. Nun wissen wir, woran wir sind. Mehr brauchen wir nicht. Wir kennen sogar die beiden Tage, an denen das Heer der Tschoban durch den Paß von Chatar reitet und an der Marahka erscheint!"

"Die Marahka ist mir bekannt, wenigstens der Teil von ihr, den ich heut gesehen habe. Mir ahnt, daß ich sie noch näher kennen lernen werde. Aber wo liegt der Paß von Chatar und wie ist er beschaffen?"

"Er liegt an der Grenze der Wüste, welche die Steppen der Tschoban von meinem außerordentlich fruchtbaren Lande trennt. Er besteht nur aus Stein. Er ist so lang, daß man einen halben Tag braucht, um zu Pferde von seinem Anfang an sein Ende zu kommen. Seine Breite ist gering, sie beträgt an ihrer beträchtlichsten Stelle den Ritt von nur einer Viertelstunde. Es gibt aber Punkte, wo sie so schmal ist, daß ich auf der einen Seite die Worte genau verstehe, die mir jemand von der andern herüberruft."

"Was gibt es rechts und links? Etwa Gebirge?"

"O nein! Sondern Wasser."

"Was für Wasser?"

"Das Meer."

"Das Meer?" fragte ich verwundert. "So ist Dein Land eine angeschwemmte Erde? So ähnlich wie das Delta des Niles? Eine Halbinsel, die mit dem Festlande derart in Verbindung steht, wie zum Beispiel der griechische Peloponnes durch die Landenge von Korinth mit Hellas zusammenhängt?"

Da kratzte er sich verlegen den Bart und antwortete:

"Was Delta ist und Korinth und Hellas und Peloponnes, das weiß ich nicht; aber gelehrte Leute sollen behauptet haben, daß das Land der Tschoban früher ein ungeheuer großer See gewesen sei, während im Süden davon, also da, wo wir uns jetzt befinden, das Meer gelegen habe. Beide, der See und das Meer, seien durch einen starken Felsenkamm getrennt gewesen. Ein großer Fluß habe den See gespeist und die Wasser desselben so schwer gemacht, daß der Felsenkamm endlich nicht länger widerstehen konnte. Der Druck der Wassermenge zwang ihn, sich zu öffnen. Sie rauschte in das Meer hinaus und riß die Felsenbrocken mit sich fort, um sie hüben und drüben weit in das Meer hinein aufzutürmen. So soll der jetzige Engpaß Chatar entstanden sein. Als der See hierdurch leer geworden war, zeigte es sich, daß der Boden seines südlichen Teiles nur aus unfruchtbarem Steingeröll bestand. Das ist die Wüste der Tschoban, die ich schon erwähnte. Der nördliche Teil erwies sich als nützlicher; er brachte nach und nach Gräser und Stauden hervor, wenn auch keine Bäume. Das ist die Steppe der Tschoban. Der Fluß ging durch beide hindurch, durch die Steppe und durch die Wüste. An seinen Ufern wuchsen nach und nach Büsche und Bäume; aber eben auch nur da, am Ufer, weiter nicht. Denn das fruchtbare Land, welches der Fluß aus den höher liegenden Gegenden brachte, wurde von ihm bis hinaus in das Meer getragen und dort von ihm niedergesenkt und aufgebaut. Es wuchs immer größer und größer, immer breiter und breiter. Der Fluß teilte sich in viele, in unzählige Arme und Zweige, die alle an der Entstehung des neuen Landes zu arbeiten hatten. Wahrscheinlich ist es dasselbe, was Du vorhin Korinth oder Hellas oder Delta nanntest. Die Wasser und die Winde brachten Körner und Samen, die guten Boden fanden. Es entstanden Wälder, deren Größe ebenso wuchs wie die Größe des Landes selbst. Das ist das Land der Ussul, in dem Du Dich befindest."

"Und der Fluß?" fragte ich. "Wo finde ich den?"

"Der ist verschwunden, fort, weg, für alle Zeit."

"Wohin?"

"Hm! Wohin! Hierüber gibt es eine alte Sage, die zu lang ist, als daß ich sie Dir jetzt erzählen könnte, weil wir (Seite 55B) sogleich das Ufer erreichen werden. In der Steppe und in der Wüste der Tschoban gibt es seitdem keinen einzigen Tropfen fließendes Wasser mehr , und so sind die Bäume und Sträucher gänzlich verschwunden, die damals am Ufer des Flusses standen. Das Land der Ussul aber ist wie ein Schwamm, welcher die Wasser des Meeres an sich saugt, um sie zu reinigen und trinkbar zu machen. Schau dieses Wasser hier, welches aus dem Meere stammt und doch keinen Tropfen Salz mehr hat! Und morgen, wenn wir in die Hauptstadt kommen, wirst Du sehen, daß wir an Durst niemals zu leiden brauchen und grad an dem, was die Tschoban sich vergeblich wünschen, reicher sind als reich."

Das Gespräch mußte abgebrochen werden, denn wir landeten. Was ich da gehört hatte, war höchst interessant. Und nicht bloß das allein, denn er hatte es auch in einer Weise gesagt, die nicht seine gewöhnliche war. Wahrscheinlich brauchte man zu der angeborenen Intelligenz der Ussul nur liebevoll hinunterzusteigen, um sie zu wecken und emporheben zu können. Ich freute mich schon jetzt darauf, die Sage von dem verschwundenen Flusse zu hören.

Als wir im neuen Lager ankamen, war es unser Erstes, zwei Ussul nach der Insel zu schicken, um die Gefangenen zu bewachen. Ich hielt das zwar nicht für unumgänglich notwendig, aber nach dem, was wir erfahren hatten, waren die drei Tschoban so wichtig für uns geworden, daß keine Handlung der Vorsicht als unnütz bezeichnet werden konnte. Dann wurde erzählt. Es versteht sich ganz von selbst, daß die Kunde, die wir brachten, aufregend wirkte. Die Ussul hatten zwar gehört, daß die Tschoban zu einem neuen Einfalle rüsteten; aber so gewiß wie jetzt, hatten sie es doch nicht gewußt. Und ebensowenig hatten sie geahnt, daß es so bald geschehen werde. Der jetzige Jagdzug war nur zum Zwecke der Verproviantierung unternommen worden, und ich erfuhr nun, daß auch noch andere Jagdgesellschaften in die Wälder geschickt worden waren, um das zu tun, was der Indianer als >Fleischmachen< bezeichnet. Man sah sich gezwungen, diesmal mehr als früher das Wild heranzuziehen, weil die zahmen Herden sich von dem Verlust, den ihnen der letzte Einfall der Tschoban bereitete, noch nicht wieder erholt hatten. Der Scheik und auch Taldscha versicherten mir, daß ihr ganzer Stamm der Hungersnot verfallen müsse, wenn es nicht gelinge, die ihnen bevorstehenden neuen Verluste abzuwehren.


Inhaltsverzeichnis

Übersicht der verfügbaren May-Texte.

Titelseite KMG

Impressum Datenschutz