Lieferung 107

Karl May

9. August 1884

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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Hauptergebniß war, daß die Gefangenen noch während der Nacht die Waffen abzuliefern und dann den Morgen zu erwarten hatten, um nach dem Lager vor Queretaro transportirt zu werden.

Natürlich war von Schlaf keine Rede. Die Offiziere der Guerillas hatten ihr Ehrenwort gegeben, nicht zu fliehen, und durften sich daher frei bewegen. Dieses Vorrecht hätte auch ein Anderer sehr gern genossen, nämlich - der Pater.

Er meinte, in Curt ein mitleidiges, nachsichtiges Gemüth kennen gelernt zu haben, und ließ ihn um eine Unterredung bitten. Der Lieutenant verfügte sich zu ihm, da er glaubte, daß es sich vielleicht um eine wichtige Mittheilung handeln könne.

»Was wünschen Sie?« fragte er ihn.

»Ich wollte mir eine Erkundigung gestatten. Nicht wahr, unsere Offiziere sind frei auf Ehrenwort? Könnte ich das nicht auch für mich erlangen?«

Curt brachte vor Erstaunen zunächst kein Wort hervor, dann aber fragte er in einem keineswegs Hoffnung erweckenden Tone:

»Für Sie - -«

»Ja.«

»Aber, Mann, sind Sie klug? Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß man einen Menschen, der das unternimmt, was Sie ausgeführt haben, in die Classe oder Ordnung der Spione rechnet. Sie haben mir bereits das Leben zu verdanken.«

»Mein Leben gehört dafür Ihnen!«

»Ich verzichte auf diesen Besitz. Wissen Sie auch, daß man Spione zu denjenigen Menschen zählt, welche keine Ehre besitzen? Ich schließe mich der allgemeinen und landläufigen Ansicht an. Nun sagen Sie, wenn Sie ehrlos sind, wie wollen Sie da auf Ehrenwort freiere Bewegung erlangen? Wer keine Ehre hat, kann auch kein Ehrenwort geben.«

Das war dem Pater denn doch etwas zu deutlich. Er sagte:

»Sennor, Sie wissen noch nicht, wer ich bin, Sie halten mich für einen Spion, allein ich bin Arzt, und zwar Arzt und Priester, man nennt mich Pater Lorenzo und ich lebe im Kloster de la Cruz in Queretaro.«

»Also ein Klostergeistlicher. Kennen Sie das Bibelwort von der Lieblichkeit der Boten, die da Frieden predigen und das Heil verkündigen?«

»Warum sollte ich es nicht kennen?«

»Ein solcher Bote des Friedens sollen Sie sein. Und was sind Sie? Ein Bote, der auf dem Wege der Spione wandelt, um Kampfbefehle auszutragen. Man wird Ihnen keine freie Bewegung erlauben.«

Der Tag wollte anbrechen, aber es war noch dunkel. Trotzdem sah Curt die Augen des Paters mit glühendem Blicke auf sich ruhen. Es waren die Augen der Wildkatze, welche zum Sprunge bereit ist. Dieser Mann erweckte in ihm ein höchst negatives Gefühl.

Aber der Pater hatte gelernt, sich zu beherrschen. Er sagte nach einer kurzen Pause in demüthigem Tone:

»Sie beurtheilen mich falsch. Ich mußte meinen Oberen gehorchen und glaubte, meinem Kaiser zu dienen.«


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»Für meine Person will ich diese Gesinnungen und Gefühle gelten lassen, aber von anderer Seite wird man keine Lust haben, sie anzuerkennen. Also, Sie sind ein treuer Anhänger des Kaisers?«

»Ja! Und indem ich Ihnen, dem Republikaner, dies offen gestehe, gebe ich Ihnen den Beweis, daß ich kein feiger Spion bin.«

Da brach ein eigenthümliches, gefährliches Feuer aus den Augen des Paters hervor. Er verstand es, dasselbe sogleich zu dämpfen, doch Curt hatte es bereits bemerkt.

»Welche Blicke!« dachte er. »Dieser Pater ist ein böser, ein gefährlicher Mensch. Ich werde mich vor ihm hüten.«

Endlich brach der Morgen an, und der Zug konnte sich in Bewegung setzen. Die Gefangenen in der Mitte, ging es auf Queretaro zu. Natürlich hatten die Sieger die Pferde der Besiegten in Anspruch genommen.

Der Weg wurde in größter Ordnung zurückgelegt, bis man an eine Schlucht kam, welche nach links hin in eine Höhe schnitt und mit dichtem Buschwerk bestanden war.

Der Pater hatte sich gewaltig geärgert, daß es ihm nicht erlaubt gewesen war, sich den gefangenen Offizieren anzuschließen, denen man ihre Pferde gelassen hatte. Er sah seine Zukunft, jetzt beim Lichte des Tages, welches jede Imagination zu zertheilen pflegt, in nicht einem so günstigen Lichte wie am Ende der Nacht.

Er wurde nach Queretaro transportirt. Wie nun, wenn man ihn dort erkannte? Wenn man hörte, daß er nicht Pater Lorenzo aus dem Kloster de la Cruz sei? In diesem Falle war er verloren. Flucht war das einzige Rettungsmittel für ihn.

Er sah sich nach einer Gelegenheit zu derselben um, vergebens. Aber als man die erwähnte Schlucht erreichte, welche man umreiten und umschreiten mußte, war eine Möglichkeit des Entkommens geboten.

Der Weg war hier sehr schmal. Fußgänger und Reiter waren gezwungen, sich einzeln zu folgen. Der Pater ließ seine Augen umher schweifen. Niemand schien auf ihn besonders zu achten. Gelang es ihm, die Büsche zu erreichen, so war er unter denselben versteckt und keine Kugel konnte ihn erreichen.

Grad an der Mündung der Schlucht warf er den letzten Blick um sich. Dann - husch - sprang er zur Linken ab.

»Haltet auf!« schrie sein Hintermann.

Jetzt erst sah man den Fliehenden in weiten Sprüngen den Büschen entgegeneilen. Zehn, zwanzig Gewehre wurden erhoben. Die Schüsse krachten. Zu spät. Die Zweige hatten sich bereits hinter dem Flüchtlinge geschlossen.

Dieser drang in das Dickicht ein. Er hatte die Schüsse gehört. Er war von keiner Kugel getroffen worden. Die Freude seines Herzens war so groß, daß er einen lauten Jubelruf ausstieß.

Dieser Ruf war verfrüht. Ein Einziger hatte, mehr aus Instinct, als aus Berechnung, ihn vorzugsweise im Auge behalten - Curt Helmers. Er ritt seitwärts hinter ihm, und als das fragliche Terrain kam, drängte er sein Pferd noch näher, ohne daß der Pater es merkte.

Sobald nun der Letztere mit möglichster Schnelligkeit in die Schlucht ein-


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drang und die Deckung der Büsche zu erreichen suchte, riß Curt sein Pferd nach links, gab ihm die Sporen und galoppirte eine Strecke oben am Rande der Schlucht dahin, bis er annehmen konnte, daß er den unten durch das Gesträuch sich drängenden Pater überholt habe.

Dort stieg er ab, band sein Pferd an und arbeitete sich durch die Büsche bis an den Rand der Schlucht, an welchem er vorsichtig hinabrutschte. Dort kauerte er sich nieder und lauschte.

Er brauchte nicht lange zu warten, so hörte er nahende Schritte, immer lauter werdendes Rascheln und ein tiefes, arbeitendes Athmen.

»Da kommt mein Mann,« flüsterte er. »Wie wird er gucken, wenn er mich bemerkt.«

Einige Secunden später theilte sich das Buschwerk, und der Pater erschien, eiligst bemüht, weiter zu kommen. Nur noch wenige Schritte war es bis zum Beginn des eigentlichen Waldes. Hätte er diesen erreicht, so wäre er geborgen gewesen.

Curt richtete sich grad vor ihm auf.

»Guten Morgen, frommer Vater!« grüßte er lachend. »Wohin so früh und so eilig?«

Der Pater blieb einen Augenblick wie starr und mit weit aufgerissenen Augen stehen. Den Lieutenant hier vor sich, wo er Alle hinter sich wähnte, das dünkte ihm, Zauberei zu sein.

»Verdammt!«

Diesen Ausruf stieß er endlich hervor, und zugleich schoß er seitwärts, um die Lehne der Schlucht empor zu klimmen.

»Halt!« rief Curt. »Stehe, oder ich schieße!«

Zugleich zog er den Revolver hervor.

»Schieß, Du Hund!« rief der Pater.

Zugleich keuchte er mit aller Anstrengung nach oben, in der Hoffnung, daß ihn die vielleicht unsichere Revolverkugel nicht treffen werde. In einer Minute mußte er den Rand erreichen.

Curt besann sich anders. Vielleicht war es besser, diesen Menschen lebendig zu fangen.

»Schießen? Nein!« antwortete er. »Aber mein wirst Du doch!«

Im Nu hatte er das Lasso los, im Nu war dasselbe in Schlingen gelegt. Er hob den Arm empor. Ein kurzes Drehen - ein pfeifendes Sausen, und die Schlinge zuckte nieder.

»Alle Teufel!« rief der Pater.

Er hatte grad in diesem Augenblicke den Rand der Schlucht erreicht und sich als gerettet betrachtet. Da wurden ihm die Arme plötzlich mit aller Gewalt zusammengezogen, und ein kräftiger Ruck riß ihn kopfüber von oben in die Schlucht wieder hinab. Es war ihm zu Muthe, als sei er vom Himmel in die Hölle hinabgestürzt. Er schloß die Augen.

Als er dieselben wieder öffnete, lag er oben neben Curts Pferde, an Händen und Füßen gebunden. Das volle, von der Sonne gebräunte Gesicht des Lieutenants lachte ihm entgegen.


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»Nun, Pater Lorenzo, wie ist der Rutsch bekommen?« fragte Helmers.

»Hole Sie der Teufel!« lautete die grimmige Antwort.

»Ich denke, der hat mehr Inclination für Sie als für mich.«

»Warum lassen Sie mich nicht entkommen?«

»Weil ein Spion das nicht werth ist!«

»Und warum fesseln Sie mich?«

»Weil ein Spion das werth ist.«

»Wo sind die Anderen?«

»Vorwärts. Man wollte Sie in Masse verfolgen, aber ich habe sie zurückgewiesen. Um einen Pater zu fangen, ist ein einziger Mann mehr als genug.«

Der Pater drängte seinen Aerger zurück und sagte:

»Wenn man nicht wüßte, daß Sie mich wieder ergriffen haben, würde ich Ihnen einen sehr acceptablen Vorschlag machen.«

»Kann ich denselben nicht auch unter den gegenwärtigen Verhältnissen hören?«

»Es würde nichts nützen.«

»Das weiß man nicht.«

»Gut! Sie sollen ihn hören. Aber machen Sie mir vorher erst die Fesseln weg!«

»Nein, Schatz! Sonst müßte ich Sie vielleicht wieder einfangen, und es ist mit einem Male genug. Es geht dabei nicht eben sehr rücksichtsvoll zu, und es schmerzt mich stets, einen Angehörigen Ihres Standes unzart zu behandeln.«

»Sie spotten? Wenn Sie wüßten, was ich Ihnen sein könnte, würden Sie das nicht thun!«

»Nicht? Nun, was könnten Sie mir denn sein?«

»Ihr - Ihr Wohlthäter.«

»Ah! In wiefern denn?«

»Nicht wahr, Sie sind nicht reich?«

»Hm! Nicht sehr.«

»Sondern arm?«

»So ziemlich!«

»Nun, ich könnte Sie reich machen, nach Ihren Begriffen sogar sehr reich.«

»So? Sind Ihnen denn meine Begriffe so sehr bekannt?«

»Ich denke es.«

»Nun, wodurch wollen Sie mich denn reich machen?«

»Indem ich Ihnen meine Freiheit bezahle.«

»Pah! Ihre Freiheit ist ganz und gar nichts werth. Ich gebe keinen Pfifferling dafür.«

»Aber ich.«

»Wirklich? Wie viel?«

»Ich biete Ihnen fünftausend Dollars.«

»Ah! Sie haben also Geld?«

»Ich bin reich.«

»So, so. Dann können Sie auch noch mehr bezahlen.«

»Gut. Ich biete Ihnen zehntausend.«

»Alle Wetter! Sie müssen sehr nothwendig haben, wieder frei zu sein.«


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»Das ist auch wirklich wahr. Ich habe nämlich einige schwere Patienten liegen, welche ohne mich sterben müssen.«

»Da thun mir die Patienten leid, der Arzt aber keineswegs. Ich denke, aus unserem Handel wird nichts werden. Kommen Sie!«

Er hob ihn empor, um ihn auf das Pferd zu nehmen.

»Fünfzehntausend!« rief der Pater.

»Unsinn!«

»Ich gebe zwanzigtausend!«

»Schweigen Sie, ich brauche Ihr Geld nicht.«

Bei diesen Worten stieg Curt auf und nahm den Pater zu sich empor.

»So haben Sie doch nur Erbarmen,« bat dieser in höchster Verzweiflung. »Ich biete Ihnen ja dreißigtausend Dollars!«

Curt setzte sein Pferd in Bewegung und antwortete:

»Jetzt ersuche ich Sie, still zu sein, sonst stecke ich Ihnen einen Knebel in den Mund. Daß Sie für Ihre Freiheit so sehr viel bieten, macht Sie mir im höchsten Grade verdächtig; ich werde mich informiren, welche Gründe es sind, welche Sie veranlassen, für Ihr Entkommen solche Opfer zu bieten. Ihr Gewissen scheint noch viel schlimmer bestellt zu sein, als ich bisher dachte.«

Er setzte sein Pferd in Galopp und flog den Anderen nach, welche er kurz vor dem Lager erreichte.

Der Pater hatte den Mund nicht wieder geöffnet. Er schien sich einstweilen in sein Schicksal ergeben zu haben. Jetzt wurde er vom Pferde genommen, um seinen Einzug mit den Anderen zu Fuß zu halten, wobei es ohne einige Püffe und Stöße nicht abging.

Er hatte mit seinem Fluchtversuche so viel erreicht, daß er in ein Gefängniß gesteckt wurde, während die Anderen nach dem Gefangenendepot gebracht wurden, wo ihnen ihr Loos möglichst wenig hart gemacht wurde.

General Hernano war natürlich sehr erfreut über den so überaus günstigen Erfolg der Expedition. Ganz entgegen der Art und Weise, wie er Curt am Abende vorher empfangen hatte, spendete er demselben jetzt das höchste Lob und versprach, seiner gegen Juarez und den Obergeneral in bester Weise zu erwähnen.

Bei Erwähnung des Paters und dessen Flucht gab er den Entschluß kund, über die Person dieses Mannes die genaueste Erkundigung einzuziehen. Curt wurde in größter Freundlichkeit entlassen.

Er stand eben im Begriff, sein Pferd zu besteigen, als ein Reiter in kurzem Galopp daher geritten kam. Curt erkannte ihn bereits von Weitem, es war - Sternau.

»Ah, Herr Doctor, Sie hier?« rief er ihm entgegen. »Das ist eine Ueberraschung!«

»Dich zu finden, für mich auch, mein Junge,« antwortete der Arzt. »Ich suchte Dich.«

»Wo?«

»Bei Dir. Es hat seit einiger Zeit keinen Kampf, kein Gefecht gegeben; so habe ich einige freie Zeit und beschloß gestern, Dich zu besuchen.«

»Ich war leider nicht anwesend.«


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»Allerdings. Ich erfuhr, daß Du zu Eskobedo seist, aber am Abende zurückkehren werdest. Ich wartete den Abend, ich wartete die ganze Nacht - vergebens. Da brach ich auf. Um mir die Schanzarbeiten zu besehen, schlug ich die gegenwärtige Richtung ein und - treffe Dich.«

»Was mir natürlich die größte Freude bereitet.«

»Mir ebenso. Aber sage, wo Du gesteckt hast?«

»Ich hatte ein Abenteuer und zwar ein sehr glückliches. Lassen Sie uns absteigen und einige Augenblicke da eintreten. Es wird sich in Hernano's Hauptquartier schon ein Ort zum Plaudern finden und auch ein Tropfen, um das Plaudern zu erleichtern.«

»Wollen es versuchen.«

Sie fanden, was sie suchten, und als sie beisammen saßen, begann Curt zu erzählen. Sternau hörte sehr aufmerksam zu, ohne ihn ein einziges Mal zu unterbrechen. Erst als Curt geendet hatte, nickte er leise vor sich hin und sagte:

»Eigenthümlich. Bist Du über die gegenwärtigen Verhältnisse des Klosters de la Cruz in Queretaro unterrichtet?«

»Nein.«

»Nun, im Hauptquartiere hat man sich besser orientirt. Die früheren Insassen haben das Kloster räumen müssen.«

»Das ist auffällig.«

»Auch hat es, so weit ich es weiß, dort jetzt keinen Mönch gegeben, welcher ein solcher Arzt genannt werden könnte. Willst Du mir diesen Pater nicht einmal beschreiben?«

»Gewiß.«

Er folgte der Aufforderung. Sternaus Gesicht nahm eine immer größere Spannung an und als Curt geendet hatte, sprang er sogar auf.

»Wie?« fragte er. »Du hast diesen Pater gefangen genommen?«

»Ja.«

»Und er befindet sich hier im Gefängnisse?«

»Natürlich,« antwortete Curt, ganz befremdet von der Aufregung, welche sich Sternau's bemächtigt hatte.

»Hast Du Zutritt zu ihm, ohne große Weitläufigkeiten bestehen zu müssen?«

»Ich kann zu ihm, so bald und so oft es mir beliebt.«

»Gehen wir zu ihm.«

»Sofort.«

»Aber ich trete zunächst nicht mit ein.«

»Warum?«

»Weil ich ihn überraschen möchte. Du sprichst zuerst allein mit ihm.«

»Gut. Brechen wir sofort auf. Wehe ihm, wenn er es ist! Ich eile sofort zum General, um ihm Mittheilung zu machen.«

Sie ließen den Wein auf dem Tische und ihre Pferde vor dem Hause stehen und begaben sich nach dem Gefängnisse.

Als solches diente das Erdgeschoß eines einzeln stehenden Hauses, welches aus früherer Zeit stammte und daher äußerst solid gebaut war. Die Mauern waren mehr als mannesdick und alle Fenster zeigten ein starkes Gitterwerk von


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Eisen. Hierher ließ Hernano Alle bringen, welche sich eines größeren Delictes schuldig waren, was ja im Kriege öfterer als in Friedenszeiten vorkommt.

Der Soldat, welchem die Schlüssel anvertraut waren, erkannte Curt sogleich wieder und öffnete ihm ohne Weigerung die Thür, hinter welcher der Pater steckte. Sie wurde nicht verschlossen und blieb angelehnt. Draußen aber stand Sternau, um dem innen geführten Gespräche zu lauschen.

Der Pater wunderte sich, als er den Lieutenant eintreten sah.

»Sie wieder hier?« fragte er.

Er war jetzt nicht gefesselt und saß auf der nackten Diele, von welcher er sich erhob.

»Wie Sie sehen,« antwortete Curt.

Es war jetzt ein ganz anderer Blick als früher, welchen er auf den Gefangenen warf. Diesem fiel das auf.

»Was führt Sie her?« fragte er.

»Eine Erkundigung. Ich habe Ihnen gesagt, daß der hohe Preis, welchen Sie mir für Ihre Befreiung boten, meinen Verdacht erregt habe und daß ich Erkundigungen einziehen wolle. Wird es nun nicht besser sein, wenn Sie mich dieser Mühe entheben, indem Sie offen sind und mir sagen, was der Grund Ihrer Furcht sei, erkannt zu werden?«

»Erkannt werden? Von wem? Ich habe keine Begegnung zu befürchten. Wer den Pater Lorenzo erkennt, der kann und wird mir nur von Nutzen sein.«

»Und sodann verlangten Sie so sehnlich nach Ihrer Freiheit, nicht weil Kranke auf Sie warten, sondern weil Gefangene von Ihnen zu versorgen sind. So zunächst ein gewisser Gasparino Cortejo und ein Anderer, welcher Henrico Landola heißt.«

Es war dem Pater, als ob er mit einer Keule auf den Kopf getroffen sei. Dennoch gelang es ihm, sich schnell zu fassen, denn die beiden Genannten waren doch nicht Freunde, sondern Feinde von Curt Helmers.

»Ich kenne diese Namen nicht,« antwortete er mit gut gespieltem Gleichmuthe.

»Andere werden Sie besser kennen. Ich nenne da Pablo Cortejo und dessen Tochter Josefa.«

»Diese Beiden sind mir allerdings bekannt, aber nur wie jedem anderen Mexikaner auch, welcher weiß, welch jämmerliche öffentliche Rolle sie gespielt haben.«

»Hm. Jetzt spielen sie eine noch viel jämmerlichere Rolle - in dem unterirdischen Keller von della Barbara - angeschmiedet an den nackten vier Wänden.«

Curt gab diese Tropfen langsam, einen nach dem anderen. Der Pater wurde kreideweiß im Gesichte. Seine Stimme zitterte merklich, als er fragte:

»Wie meinen Sie das? Ich verstehe Sie nicht. Ich weiß nicht, was Sie wollen.«

»Wirklich? Nun, so muß ich Ihnen noch einige andere Gefangenen nennen, zum Beispiel den Grafen Ferdinando de Rodriganda. Kennen Sie den?«

Es war dem Pater, als ob er in die Erde versinken müsse. Seine Kniee zitterten.

»Ich kenne ihn nicht.«


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»Mariano, die Helmers, den kleinen André, Büffelstirn und Bärenherz auch nicht?«

»Nein. Sie sind mir völlig fremd und unbekannt.«

»Aber Sternau doch nicht?«

Jetzt lehnte sich der Pater in die Ecke. Er dachte, daß er sonst umfallen werde. Doch stammelte er:

»Ich habe diesen Namen - noch - nie gehört.«

»Alle diese Männer steckten angebunden in einem anderen Gewölbe, bewacht von Manfredo, Ihrem Neffen.«

Für einen Anderen wäre das zu viel gewesen, aber grad das Fürchterliche der Entdeckung, daß dies Alles verrathen sei, gab dem Pater seine Beherrschung zurück. Er richtete sich wieder empor und sagte:

»Was Sie da reden, scheint einem Märchen entnommen zu sein oder aus einem alten Ritter- und Schauderroman zu stammen.«

»Ja, ein Schauderroman ist es, und der Ritter desselben sind Sie. Ich selbst bin es gewesen, der die Gefangenen befreit hat.«

»Wa- wa- waaas?!« rief der Pater.

»Und dafür habe ich Ihren Neffen eingesperrt. Er wartet seiner Strafe entgegen, die Sie mit ihm theilen werden!«

Der Pater starrte ihn an, ohne zu antworten. Wann war das geschehen? Befanden sich nicht Soldaten jetzt im Kloster? Es sollte ihm sofort Auskunft werden, denn Curt sagte:

»Auch Ihre anderen Machinationen liegen offenbar. Ihr Verbündeter, welcher Sie nach Queretaro schickte, ist von General Velez mit eigener Hand niedergesäbelt worden; Sennorita Emilia aber wurde von mir und dem kleinen André gerettet. Ich selbst bin es gewesen, welcher die in das Kloster della Barbara eingedrungenen Kaiserlichen gefangen nahm. Und die Hauptsache, der Massenmord, welchen Sie auf der Hazienda del Erina beabsichtigten, ist vereitelt worden. Kein Mensch hat von dem Safte des Todesblattes getrunken, den Sie in den Kessel schütteten.«

Das war mehr, als selbst der Pater auszuhalten vermochte. Seine Augen nahmen einen starren Ausdruck an. Er hörte Namen und vernahm Thatsachen, welche er im tiefsten Geheimnisse gewähnt hatte, und nun war Alles offenbar. Er fühlte sich verloren, versuchte aber doch mit fast überschnappender Stimme die Rechtfertigung:

»Ich verstehe - ich begreife nichts.«

»Wirklich nicht, Schurke?« tönte es da vom Eingange her.

Die hohe, ernste Gestalt Sternaus erschien im Rahmen der Thür, welche er jetzt geöffnet hatte. Der Pater erblickte ihn. Seine Augen wurden gläsern, seine Lippen färbten sich. Er griff mit den Händen haltlos in die Luft.

» Ster- Ster- ter- er-«

Er wollte den Namen des Eintretenden ausrufen, er vermochte aber nicht einmal, die erste Silbe desselben zu wiederholen. Er stammelte die verschwindenden Laute, welche in ein unarticulirtes Gurgeln verliefen. Die Hände emporgehoben, taumelte er hin und her und stürzte dann wie ein Sack zu Boden, wo er bewegungslos liegen blieb, dicken Schaum vor dem Munde.


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Curt wendete sich ab. Sternau aber kniete nieder, um ihn zu untersuchen. Als er damit zu Ende war und sich wieder erhob, erklärte er:

»Den richten wir nicht. Gott hat ihn gerichtet.«

»Ah! Ist er todt?«

»Nein. Noch schlimmer. Der Schlag hat ihn getroffen.«

»Ist er zu heilen?«

»Nein. Er wird noch tagelang leben und Todesqualen erdulden müssen, denn wie ich an seinem Blicke sehe, ist der Geist nicht mit betroffen.«

»Fürchterlich!«

»Ich werde ihn überwachen, obgleich keine Hoffnung vorhanden ist, ihn noch zum Sprechen zu bringen.«

»Hört er, was wir reden?«

»Jedenfalls. Siehst Du nicht seine Augen angstvoll auf uns gerichtet?«

»Ja. Gott straft gerecht. Aber wenn er stirbt, so geht manches Geheimniß mit ihm für uns verloren.«

»Das befürchte ich nicht.«

»Wenn er nicht wieder zum Sprechen kommt?«

»Er wird keinen einzigen verständigen Laut mehr zu stammeln vermögen; aber sein Neffe wird gezwungen sein, zu reden.

Dieser Pater wird langsam zur Hölle fahren. Die Zunge wird wie Blei so dick und schwer in seinem Munde liegen. Seine Eingeweide werden nach und nach den Dienst versagen und er wird, zur Strafe für das, was wir bei ihm erlitten haben, seine letzten Athemzüge zählen können und seinen letzten Pulsschlag fühlen. Komm. Laß uns gehen!«

Sie verließen das Gefängniß und schlossen den Pater ein, über dessen einstweilige Behandlung Sternau dem Schließer Verhaltungsmaßregeln gab. Der Doctor begab sich sodann zu General Hernano, um diesem das Nöthige mitzutheilen, während Curt sich auf den Ritt machte, da er seit gestern nicht auf seinem Posten gewesen war, wo seine Gegenwart leicht nothwendig sein konnte.

Unterwegs sah er zu seiner Ueberraschung eine verschleierte Dame vor sich reiten. Sie saß auf einem Maulthiere, hatte einen Diener hinter sich und wurde von einer Cavalleriebedeckung geleitet. Da er schneller ritt als diese kleine Cavalcade, so kam er schnell an sie heran. Als höflicher Mann griff er im Vorüberreiten grüßend an den Hut und war nicht wenig überrascht, als er hinter dem Schleier hervor in deutscher Sprache die Worte hörte:

»Ist es möglich? Sehe ich recht? Sie hier, Herr Lieutenant!«

Die Sprecherin hielt ihr Maulthier an und er in Folge dessen sein Pferd natürlich auch. Da er in deutscher Sprache angeredet worden war, so antwortete er in derselben auch:

»Höre ich recht? Eine deutsche Dame?«

»Ja. Sie sind der Lieutenant Curt Helmers?«

»Allerdings. Wie komme ich zu der Ehre, von Ihnen gekannt zu sein?«

»Wir sahen uns in Wien und auch in Darmstadt, am Hofe des Großherzogs. Ich denke, Sie werden mich noch kennen.«

Dabei schob sie den dichten Schleier zurück und Curt erblickte ein Gesicht, welches ihm allerdings sehr bekannt war.


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"Gnädige  Frau, Sie hier?"

»Wie, gnädige Frau, Sie hier? Sie wagen sich aus der Stadt heraus?« rief er.

»Sie wußten, daß ich in Queretaro bin?«

»Ich wußte, daß Sie treu zu Ihrem Herrn Gemahl halten, wie dieser treu zu dem Kaiser hält. Ich habe Ihr Schicksal mit dem allerregsten Interesse verfolgt.«

»Ich danke Ihnen. Hier meine Hand zum Gruße, lieber Lieutenant. Aber was thun Sie hier in Mexiko?«

Er nahm ihre Hand und drückte dieselbe an seine Lippen. Die Escorte hatte sich ehrfurchtsvoll zurückgezogen, so daß sie nicht verstanden werden konnten, selbst wenn sie sich der spanischen anstatt der deutschen Sprache bedient hätten.

Diese Dame war die Prinzessin Salm, die Gemahlin jenes braven Prinzen Salm, welcher als treuer Adjutant des Kaisers die letzte, unglücklichste Phase des mexikanischen Kaiserreiches mit durchlebte und durchlitt. Beide, er und seine Frau, hingen mit größter Hingebung an Max, aber alle ihre Bemühungen, eine Aenderung seines Schicksales herbeizuführen, erwiesen sich leider als vergeblich.

»Sprachen wir nicht in Darmstadt einmal von den eigenthümlichen Verhältnissen der Familie Rodriganda, gnädige Frau?« fragte Curt.

»Gewiß. Ich entsinne mich dessen ganz genau.«

»Nun, das ist die Angelegenheit, welche mich über die See führte.«

»So wünsche ich Ihnen die besten Erfolge.«

»Ergebenen Dank. Die Erfolge haben auf sich warten lassen, stellen sich jedoch endlich ein.«

»Das freut mich. Aber was thun Sie hier im feindlichen Lager? Man scheint Sie zu kennen und zu respectiren.«

»Was ich thue?« lächelte Curt. »Nun, ich belagere Queretaro.«

»Sie auch?« antwortete die Prinzessin in scherzendem Tone, da sie annahm, daß auch Curt nur scherze.

»Ja, auch ich. Ich bin bei den Belagerungsarbeiten beschäftigt.«

»Im Ernste?«

»Im Ernste,« nickte Curt.

Da nahm das Gesicht der Dame einen fast bestürzten Ausdruck an. Sie sagte:

»Das kann ich doch nicht für möglich halten!«

»Halten Sie es sogar für wirklich. Ich habe mich Juarez und Eskobedo zur Verfügung gestellt.«

»Sie als Deutscher? Abtrünniger! Verräther!«

Diese letzten Worte waren zwar nicht ganz schlimm gemeint, wurden aber doch in einem sehr ernsten Tone ausgesprochen.

»Ich bin überzeugt, daß Sie mich pardonniren werden, meine Gnädige,« meinte Curt. »Darf ich Ihnen ein Geheimniß anvertrauen?«

»Ich werde es nicht verrathen.«

»O, Sie dürfen und sollen es verrathen, aber nur an zwei Personen, sonst an keinen Menschen.«

»Wer sind diese beiden Personen?«


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»Der Kaiser und Ihr Herr Gemahl.«

»Und wie lautet Ihr Geheimniß?«

»Ich belagere den Kaiser nur aus dem Grunde, um ihn zu retten.«

»Das klingt widersinnig.«

»Ist aber leicht verständlich und erklärlich. Leider aber sind meine bisherigen Bemühungen ohne Erfolg gewesen.«

»Wie leider auch die unserigen. Rathen Sie, von wem ich komme, lieber Helmers.«

»Ich habe keine Ahnung.«

»Vom Präsidenten.«

»Von Juarez? Das ist mir im höchsten Grade interessant.«

»Ich wurde vorgelassen und habe mit ihm gesprochen.«

»Im Auftrage?«

Die Prinzessin sah sich vorsichtig um und antwortete:

»Eigentlich war es mein Herz, welches mich zu dem Zapoteken trieb, aber ich kenne Sie und kann Ihnen im Vertrauen mittheilen, daß mir auch von gewisser Seite, welche ich nur anzudeuten brauche, ein Auftrag wurde. Ich suchte bei Eskobedo um freies Geleit an und erhielt es.«

»Aber wohl vergeblich.«

»Leider. Ich kehre hoffnungslos zurück.«

Im Auge der Prinzessin standen Thränen. Curt konnte seine Rührung über diese Treue kaum verbergen. Die Dame fuhr fort:

»O, mein Gott, ist dieser Juarez hart und gefühllos!«

Curt schüttelte den Kopf.

»Sie irren,« sagte er. »Ich kenne ihn. Aeußerlich scheint er von Eisen zu sein, unnahbar, wie er auch unbestechlich ist. Aber sein Herz schlägt warm und fühlt mit anderen Menschen.«

»Das kann nicht sein, nein, das kann nicht sein! Er hat mich kalt und theilnahmlos angehört und dann fortgeschickt.«

»Kalt und theilnahmlos? Das hat nur so geschienen. Er ist ein Indianer und läßt als solcher seine Gefühle nur selten einem Manne, niemals aber einer Dame merken.«

»Wenn er wirklich fühlt, so mußte er mein Flehen erhören.«

»Um was baten Sie?«

»Um das Leben des Kaisers.«

»Und was antwortete er?«

»Seine Antwort war härter als hart, sie war sogar unhöflich, ja ungezogen.«

»Das sollte mich wundern.«

»Sie werden mir recht geben. Er sagte, der Kaiser habe bereits selbst über sein Leben verfügt, ihm, dem Präsidenten, sei es also unmöglich, etwas zu thun; übrigens sei es eine Unvorsichtigkeit von mir, ihm eine solche Bitte vorzutragen und er wünsche sehr, daß dies von keiner Seite mehr geschehe. Ist das nicht ungezogen und beleidigend sogar?«

»Ich finde das nicht.«

»Was? Wie? Haben auch Sie kein Herz, kein Gefühl?«


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»Von mir ist jetzt nicht die Rede, sondern von dem Zapoteken, und ich finde, daß er nichts als die Wahrheit gesagt hat.«

»Dann ist es mir bei Gott unmöglich, den Kaiser zu begreifen!«

»Hören Sie. Juarez hat ganz recht, wenn er sagt, daß der Kaiser selbst endgiltig über sein Leben entschieden habe. Juarez hat das Leben des Kaisers retten wollen, ja er hat sogar Personen in die Nähe des Kaisers gebracht, welche den bestimmten Auftrag hatten, für das Leben Maximilians zu wirken, ich selbst war in dieser Angelegenheit beim Kaiser. Ja, der Präsident vertraute mir ein Passepartout durch alle Truppen und Stellungen an, welches auf den Vorzeiger und alle seine Begleiter lautete. Er bedrohte Jeden, der diesen Paß nicht achte, sogar mit dem Tode.«

»Gott! Wenn Sie es nicht sagten, könnte ich es unmöglich glauben!«

»Ich gebe Ihnen, allerdings sehr überflüssiger Weise, sogar mein Ehrenwort darauf.«

»Das ist nicht nöthig, Lieutenant. Sie sind mit diesem Passepartout beim Kaiser gewesen?«

»Ja, vor einigen Tagen, allein leider ohne Erfolg; der Kaiser las es durch, gab es mir zurück und ich konnte wieder gehen.«

»Das ist mir abermals unbegreiflich.«

»Ich gestehe von mir das Gegentheil. Ich war sogar sehr froh, daß ich nicht als heimlich eingeschlichener Republikaner ergriffen und strangulirt oder erschossen wurde.«

»Ist das nicht etwas übertrieben?«

»Nein, gewiß nicht. Eine andere Person befand sich bereits längere Zeit in der Nähe des Kaisers, um auf Befehl des Präsidenten auf den Kaiser zur Rettung desselben einzuwirken -«

»Wer war diese Person?«

»Verzeihung, gnädige Frau. Ich bin nicht genau überzeugt, ob ich Namen nennen darf. Es gelang dieser Person, das Vertrauen des Generals Mejia zu erlangen -«

»Mejia ist treu und brav.«

»Beide gaben sich alle Mühe, den Wünschen des Präsidenten gerecht zu werden - vergeblich. Zuletzt errieth man von gewisser Seite den Zweck, welchen jene Person verfolgte. Rathen Sie, was nun geschah. Man lockte sie auf die Straße, des Nachts, und nahm sie gefangen. Man entführte sie gefesselt nach Tula, wo sie hingerichtet werden sollte. Es war das an dem Abende des Tages, an welchem ich bei dem Kaiser gewesen war. Ich überraschte zwar die Menschen, kam aber zu spät, um eingreifen zu können. Ich kehrte in meine Venta zurück, stieg auf das Pferd, gelangte glücklich aus der Stadt und verfolgte diese Kerls. Ich erreichte sie in einem Wirthshause und es gelang mir, die Person zu befreien.«

»Sie sehen mich erstaunt, ja vollständig bestürzt. Wer war Der, welcher die betreffende Person gefangen nahm und entführte?«

»Oberst Lopez.«

»Ah! Ahnen oder wissen Sie vielleicht, auf wessen Befehl derselbe handelte?«

»Das ist leicht zu errathen.«


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»Meinen Sie etwa Miramon?«

»Ja.«

»Wie soll ich das glauben!«

»Miramon war es auch, welcher durch sein Einschreiten den Kaiser bestimmte, mich fortzuschicken.«

»Welchen Grund kann er haben?«

»Er hofft, durch den Tod des Kaisers sich selbst zu retten. Uebrigens giebt es eine geheime Verschwörung, welche den Zweck hat, den Kaiser zu bestimmen, im Lande auszuharren, bis keine Rettung mehr möglich ist. Sein Tod soll Juarez aufgeladen und dieser dadurch als Kaisermörder discreditirt und gestürzt werden.«

»In welchen Abgrund blicke ich da! Sind Ihnen etwa Theilnehmer dieser Verschwörung bekannt?«

»Sie hüllen sich in Dunkel, doch vermuthe ich, daß Miramon das Haupt derselben sei. Einen Anderen, den Sie aber nicht kennen, ergriff ich, und General Velez spaltete ihm den Kopf. Sie sehen, daß selbst republikanische Offiziere im Interesse des Kaisers handeln.«

»Ich werde denselben benachrichtigen und warnen.«

»Wenn Sie das thun, so erwähnen Sie dabei einer Person, welche er gesehen hat, als ich bei ihm war, und welche ganz sicher zu den Verschwörern gehört. Es ist das ein gewisser Pater Hilario aus Santa Jaga.«

»Ah, ich glaube, diesen Namen vom Beichtvater gehört zu haben!«

»Warnen Sie den Kaiser auch vor dem Letzteren, denn er war es, welcher jene Person, welche heimlich entführt wurde und in Tula den Tod finden sollte, hinterlistiger Weise auf die Straße und in den Hinterhalt lockte.«

»Könnten Sie das beweisen?«

»Zur Genüge. Ich kam dazu, um das Vorhaben zu vereiteln, und ergriff den Einen. Er entfloh und ließ seine Kutte in meinen Händen zurück. Es war diejenige des Beichtvaters.«

»Kutten sind einander ähnlich!«

»Der Beichtvater war soeben bei einer Familie gewesen, die er täglich besucht, und diese Leute erkannten die Kutte. Das ist genug, um jeden Zweifel zu beseitigen.«

»Heiliger Himmel! Was soll man da denken. Untreue und Verrath auf allen Seiten! Aber jener Pater Hilario, was wollten Sie von ihm sagen?«

»Er war der Beauftragte, der Bote der erwähnten geheimen Verbindung, und kam nach Queretaro, um dem Kaiser vorzulügen, daß hinter dem Rücken der Republikaner zahlreiche Demonstrationen zu seinen Gunsten stattgefunden hätten. Einzig und allein in Santa Jaga bestand eine Verbindung, welche allerdings eine Demonstration vorbereitete, um den Kaiser zu täuschen, aber die Republikaner vereitelten dieses Vorhaben und nahmen die Demonstranten gefangen. Diese Letzteren sitzen noch heute im Kloster hinter Schloß und Riegel.«

»Darf ich das dem Kaiser erzählen?«

»Ich bitte Sie sogar darum.«

»Und Sie verbürgen diese Thatsache mit Ihrem Ehrenworte?«


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»Ja. Ich war ja Zeuge des ganzen Vorganges. Sie kennen die Gräfin Rosa de Rodriganda, welche jetzt Frau Sternau ist?«

»Ja. Ich sah sie beim Großherzoge und unterhielt mich gern mit ihr.«

»Nun, ihr Gemahl, Doctor Sternau, war auch Zeuge jener mißlungenen Demonstration in Santa Jaga. Und in vergangener Nacht hatte Miramon nicht weit von hier eine ebensolche angeordnet. Er sendete jenen Pater Hilario mit dem Befehle an einen Bandenführer, derselbe solle die Republikaner angreifen, sich aber zurückziehen. Auch dies mißlang. Wir haben sie ergriffen bis auf den letzten Mann. Sogar der Pater, die Hauptperson, ist in meine Hand gerathen. Wir hatten noch von früher her mit ihm abzurechnen, und als wir ihn als einen Verbrecher ersten Ranges entlarvten, wirkte die Fürchterlichkeit dieser Enthüllungen so massig auf ihn ein, daß er, vom Schlage getroffen, niederstürzte. Gott hat ihn gerichtet, obgleich der Kaiser ihm glaubte und vertraute.«

»Der Kaiser ist nicht allwissend. Wie wird mein Mann staunen, wenn er Alles hören wird. Er muß sofort um Audienz nachsuchen.«

Curt zuckte die Achsel.

»Ich zweifle am Erfolge!« sagte er. »Sie sehen also ein, daß Juarez das Wohl des Kaisers gewollt hat. Indem der Letztere das bekannte Decret fertigte und unterzeichnete, hat er das jus talionis herausgefordert und über sein Leben verfügt. Indem er alle Bemühungen des Präsidenten zurückwies, hat er über sein Leben verfügt. Indem er der Bitte des französischen Marschalls, mit ihm Mexiko zu verlassen, das Gehör versagte, hat er über sein Leben verfügt. Hat Juarez nicht recht?«

»Was soll ich Ihnen antworten, lieber Lieutenant. Ich möchte fast verzweifeln!«

»Juarez hat die rettende Hand wiederholt geboten, sie wurde zurückgewiesen, Juarez war nicht die Person, mit welcher man unterhandeln konnte, von der man sich retten lassen sollte. Verträgt es sich mit der Würde des Präsidenten, die Hand abermals zu bieten, wo jetzt übrigens an eine Rettung kaum noch gedacht werden kann?«

»Mit seiner Würde allerdings nicht. Aber als Mensch muß er vor dem Vergießen dieses Blutes zurückschrecken, und dennoch wies er mich ab.«

»Ah, da komme ich auf seine vermeintliche Unhöflichkeit.«

»Vermeintlich? Ich bin neugierig, wie es Ihnen gelingen soll, ihn zu entschuldigen.«

»Eine bloße Entschuldigung liegt ganz und gar nicht in meiner Absicht. Ich will ihn so vertheidigen, daß Sie ihn freisprechen, ja, daß Sie sogar sein Verhalten gut heißen.«

»So versuchen Sie das Unmögliche!«

»Bitte sagen Sie mir, daß Juarez das, was er für den Kaiser that, öffentlich thun durfte.«

»Keineswegs.«

»Warum nicht?«

»Er hätte sich bei seinen Anhängern unmöglich gemacht. Es wäre um sein Ansehen, um seine Präsidentschaft geschehen gewesen. Sie staunen, und dennoch


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ist es richtig. Ich versichere Ihnen, daß ich überzeugt bin, der Präsident sei auch jetzt noch nicht abgeneigt, dahin zu wirken, daß wenigstens das Leben des Kaisers nicht angegriffen werde - -«

»Wirklich?« unterbrach sie ihn.

»Ich wiederhole Ihnen, daß ich wirklich überzeugt bin.«

»Sie geben mir die bereits verschwundene Hoffnung zurück.«

»Mußte er vorher geheim handeln, so jetzt erst recht. Jetzt, wo die Republikaner den Kaiser sicher zu haben glauben, werden sie ihn mit Aufbietung aller Gewalt festhalten. Er kann ihnen nur durch List entrissen werden.«

»Das sehe ich ja ein.«

»Die Schritte also, welche Juarez in dieser Richtung thut, müssen sehr geheim gehalten werden. Niemand darf ahnen, daß er sich auch nur mit der Spur eines Gedankens beschäftigen könne, welcher dem Kaiser günstig ist.«

»Ich gebe das zu. Aber was bezwecken Sie denn eigentlich mit dieser so eifrigen Auseinandersetzung?«

Curt wehrte mit der Hand ab und fuhr, ohne ihr eine directe Antwort zu geben, fort:

»Und nun gehen Sie öffentlich zu ihm, um ihn um das Leben des Kaisers zu bitten, offen und frei; vor den Augen und Ohren aller Welt, die nur sehen und hören und dann - beobachten und verurtheilen will!«

»Gott, jetzt begreife ich, was Sie meinen.«

»Das wollte ich. Hat Juarez nicht das Recht, Sie unvorsichtig zu nennen?«

»O, mehr als das.«

»Und selbst, daß er Ihnen dies Wort gesagt hat, ist ein sehr großes Wagniß von ihm. Indem er von Unvorsichtigkeit spricht, giebt er indirect zu, daß er Vorsicht wünsche, also, daß er sich mit dem Gedanken beschäftige, den Sie in ihm anregen wollen.«

»Lieutenant,« meinte die Prinzeß, seine Hand ergreifend, »Sie stellen diese Angelegenheit in ein Licht, für welches ich Ihnen gar nicht genug dankbar sein kann!«

»Ich will Ihnen nur logisch beweisen, daß Juarez nicht unhöflich, nicht ungezogen gegen Sie gewesen ist, sondern Ihnen auf eine allerdings indirecte aber sehr correcte und diplomatisch feine Weise die Versicherung gegeben hat, daß er thun werde, was in seinen Kräften steht, um Ihre Bitte zu erfüllen.«

Bei diesen Worten veränderte sich die trübe Stimmung der Prinzessin plötzlich. Ihr Gesicht glänzte vor Freude, und im lebhaften Tone sagte sie:

»Sie geben mir da eine Lection, wie ich sie aus dem Munde eines jungen Lieutenant nicht erwartet, ja geradezu für eine Unmöglichkeit gehalten hätte. Man hat ganz recht, Sie als einen guten Offizier zu bezeichnen, und ich bin überzeugt, daß Sie so nebenbei auch noch das Zeug zu einem ganz leidlichen Diplomaten haben.«

»Zu viel auf einmal, meine Gnädigste,« lachte Curt. »Aber bleiben wir beim Gegenstande unserer Unterhaltung. Ich bin sogar im Stande, Ihnen den Beweis zu liefern, daß ich die Antwort, welche Sie von Juarez erhalten haben, ganz richtig deute. Ich habe Ihnen doch vorhin gesagt, daß ich den Kaiser be-


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lagere, nur um ihn zu retten. Juarez weiß nun ganz genau, daß Mexiko mich nichts angeht, daß es mir sehr gleichgiltig ist, ob dieses Land von einem Monarchen oder einem Präsidenten regiert wird. Er weiß genau, daß ich nicht aus Begeisterung für die Republik hier vor Queretaro liege und daran arbeite, eine Bresche in die Mauern zu legen.«

»Sie meinen also, er kenne Ihre Absicht?«

»Ja.«

»Und billige dieselbe?«

»Natürlich. Im Gegenfalle würde er mich nicht dulden, mir nicht sogar allen Vorschub leisten.«

»Das thut er?«

»Ja, ich kann es zu meiner Freude sagen.«

»Haben Sie sich vielleicht ihm gegenüber aussprechen können?«

»Was man aussprechen nennt, nein; aber es sind gewisse Worte und Winke gefallen, welche mir zur Richtschnur dienen.«

»Sie halten also den Kaiser nicht für rettungslos verloren?«

»Nein, obgleich seine Rettung schwierig ist.«

»Worin liegt denn eigentlich diese Schwierigkeit?«

»Darin, daß er nur dann zu retten ist, wenn er gerettet werden will. Bisher aber hat er es nicht gewollt.«

»Man muß ihn umzustimmen suchen.«

»Ja, aber man muß vor allen Dingen den Einfluß derjenigen Personen brechen, welche es nicht ehrlich mit ihm meinen, und dazu ist leider die Zeit fast zu kurz. Es kann dies fast nur mit Gewalt geschehen, und die Mittel dazu habe ich Ihnen heute ja hinreichend in die Hand gegeben.«

»Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar dafür und werde Sorge tragen, sie sofort und mit Nachdruck in Anwendung zu bringen. Also ich darf Ihrer bei ihm erwähnen?«

»Ja. Versichern Sie ihn meiner Ergebenheit, und bitten Sie ihn inständigst, daß er auf mich hören möge, wenn er mich wiedersieht!«

»Sie werden ihn sehen?«

»Ich hoffe und wünsche es mit Sehnsucht.«

»Wann?«

»Bei - der Erstürmung von Queretaro.«

»Schrecklich! Wird die Stadt fallen?«

»In einigen Tagen. Begegne ich dem Kaiser, so würde ich ganz glücklich sein, ihn in Civilkleidung und waffenlos zu sehen. Folgt er dann genau dem Winke, welchen ich ihm gebe, so hoffe ich, daß er gerettet wird.«

»Diese Worte wiegen schwerer als Gold. Möge Gott Sie und Ihre Pläne segnen.«

»Das ist auch mein Gebet. Nun aber lassen Sie uns scheiden.«

»Belieben Sie nicht, mich zu begleiten?«

»Nein. Ich muß bitten, mich zu entschuldigen. Man weiß, welche Absicht Sie aus der Stadt geführt hat. Sieht man mich bei Ihnen, so könnte man mich mit dieser Absicht in Verbindung bringen, und das wünsche ich nicht. Hier


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war zufälliger Weise ein einsamer Ort. Wir haben uns unterhalten, ohne von Vielen beobachtet zu werden, was aber anders würde, wenn ich Sie begleiten wollte. Ich werde sogar einen kleinen Umweg einschlagen.«

Sie nahmen mit herzlichem Händedrucke Abschied von einander, und die Prinzessin nahm Hoffnungen mit in die Stadt, welche sie kurz vorher vollständig aufgegeben hatte. -

Von da an vergingen einige Tage. Der Morgen des vierzehnten Mai brach an. Da wurde Curt zu General Velez beordert, mit welchem er eine lange Unterredung hatte. Nach Beendigung derselben kehrte er mit einem ungewöhnlich ernsten Gesichte in sein Zelt zurück.

Der kleine André war bei ihm. Dieser hielt sich vorzugsweise gern im Hauptquartiere auf, weil er da Sennorita Emilia öfters treffen und sprechen konnte.

»Was ist das für ein Gesicht, was Sie da machen, Herr Lieutenant?« fragte er.

Curt antwortete nicht, sondern schritt eine Weile lang grübelnd in dem engen Raume auf und ab. Dann plötzlich blieb er vor dem Jäger stehen und fragte:

»Wo ist Sternau heute?«

»Im Lager Eskobedo's.«

»Wissen Sie das genau?«

»Ja, sehr genau.«

»Satteln Sie! Wir müssen hin!«

»Warum?«

»Fragen Sie nicht.«

In Zeit von zehn Minuten saßen sie auf und sprengten im Galopp dem Quartiere des Obergenerales zu. André hatte die Wahrheit gesagt; Sternau ließ sich nicht nur im Lager überhaupt, sondern sogar in seiner Wohnung treffen. Er war einigermaßen erstaunt, als er die Beiden ganz erhitzt von dem schnellen Ritte bei sich eintreten sah. Er begrüßte sie und fragte dann:

»So angegriffen? Es muß etwas nicht Unwichtiges sein, dem Ihr heut nachgeritten seid.«

»Allerdings,« antwortete Curt. »Sind wir hier ungehört?«

»Vollständig. Warum diese Frage?«

»Weil ich Ihnen höchst Wichtiges mitzutheilen habe.«

»Gut. Setzen wir uns.«

Er verriegelte die Thür, schob den Beiden ein Kistchen Caballeros zu, steckte sich selbst eine an und erwartete dann in seiner ruhigen, überlegenen Weise den Beginn der wichtigen Mittheilung.

»Was ich zu sagen habe, bedarf der tiefsten Verschwiegenheit,« bemerkte Curt.

»Der unserigen bist Du sicher,« meinte Sternau.

»Ich weiß es; darum will ich es Ihnen sagen, daß in nächster Nacht Queretaro in unsere Hände fallen wird.«

André sprang auf.

»Wirklich? Endlich! Ah, das freut mich!« rief er.

Sternau aber fragte in seiner selbstbewußten Weise:


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»Will man einen Hauptsturm unternehmen? Eskobedo hat mir ja nichts davon gesagt!«

»Es handelt sich nicht um einen Sturm,« antwortete Curt. »Die Stadt wird durch Verrath fallen.«

»Durch Verrath? Wieso?« fragte Sternau befremdet.

»Lopez wird dem General Velez die Ausfallspforte öffnen. Ich theile Ihnen das mit, weil ich Ihrer zur Ausführung eines schwierigen Vorhabens bedarf. Ich will den Kaiser retten.«

Sternau bewegte unter einem leisen Lächeln den Kopf langsam hin und her und antwortete:

»Du weißt doch, daß ich Dich lieb habe. Darum kann mir nichts verborgen bleiben, obgleich Du es mir zu verheimlichen strebst. Wie aber willst Du in den Besitz des Kaisers kommen?«

»Unter Umständen sehr leicht. Von Mitternacht an steht die Pforte offen. Velez schleicht sich mit zweihundert Mann ein - -«

»Ah!« unterbrach ihn Sternau. »Der Schlaukopf. Er will sich erst überzeugen, ob man ihm nicht eine Falle legt.«

»So ist es. Er hat Zutrauen zu mir gefaßt und mir eine Abtheilung dieser Zweihundert übergeben. Er wird zwar sofort den Kaiser aufsuchen, um ihn gefangen zu nehmen; aber ich hoffe, ihm zuvorzukommen. Der Kaiser ist von mir bereits benachrichtigt, nur Civil anzulegen - -«

»Wohl durch die Prinzessin Salm?«

»Was wissen Sie von dieser?«

»Daß Du mit ihr gesprochen hast, als sie von Juarez kam. Du siehst, daß ich mich mehr mit Dir beschäftige, als Du ahnst.«

»Sie haben das Richtige errathen. An der Pforte bleibt nur ein einziger Posten zurück. Gelingt ein Ueberfall, so sendet Velez nach Verstärkung. Vom Augenblicke an, an welchem wir in das Fort de la Cruz dringen, bis zur Ankunft der Verstärkung wird mir Zeit genug bleiben, den Kaiser unerkannt durch die Pforte in das Freie zu bringen.«

»Und der Posten?«

»Verursacht keine Schwierigkeiten.«

»Wenn man bemerkt, daß der Kaiser entkommen sei, und daß Du mit einem Zweiten die Pforte passirt hast, wird der Verdacht auf Dich fallen.«

»Es giebt Vorwände genug, den Posten auf einige Augenblicke zu beschäftigen, so daß er nichts bemerkt.«

»Gut also! Aber wohin mit dem Kaiser?«

»Zunächst in mein Zelt, wo André hier auf ihn wartet.«

»Ich?« fragte der Kleine ganz begeistert. »Ich soll den Kaiser retten, den Sennorita Emilia nicht zu retten vermochte?«

»Ja,« antwortete Curt. »Ich muß natürlich in das Fort zurück, nachdem ich Ihnen den Kaiser gebracht habe. Dann aber bringen Sie ihn außerhalb des Lagers einstweilen in Sicherheit.«

»Wohin?«

»Hm! Der Ort ist noch nicht bestimmt. Es kam zu schnell über mich.


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Ich bin noch nicht ganz vorbereitet. Wir werden uns jetzt über den Ort besprechen müssen.«

»Es ist schon längst bestimmt,« lächelte Sternau.

»Bestimmt? Schon längst?« fragte Curt überrascht.

»Ja,« antwortete der Doctor. »Ich bin älter wie Du, und daher wirst Du mir wohl erlauben, überlegt und umsichtig zu verfahren, nachdem ich einmal Deine Absicht durchschaut hatte.«

»Sie beschämen mich!« bekannte Curt.

»Das ist nicht meine Absicht. Deine Verschwiegenheit war mir im Gegentheile ganz recht und willkommen.«

»Welchen Ort meinen Sie denn?«

»Diesen hier.«

»Ihre Wohnung?«

»Ja.«

»Das ist ja außerordentlich gefährlich. Ich soll den flüchtigen Kaiser nach dem Hauptquartiere Eskobedo's schicken?«

»Ja. Unter Umständen ist man in der Höhle des Löwen sicherer als anderswo. Du sorgst für eine gute Verkleidung, und André bringt ihn zu Pferde zu mir.«

»Aber hier kann er doch unmöglich bleiben.«

»Allerdings nicht. Er wird sich nur fünf Minuten verweilen. Die Relais sind längst gelegt und harren nur der Benutzung.«

»Was! Sie haben Relais gelegt?«

»Ja, natürlich!«

»Wohin?«

»Kannst Du das nicht wohl errathen?«

»Wie wäre mir das möglich!«

»Es muß ein abgelegener Ort sein, wo Niemand den Kaiser sucht und wo er in Sicherheit und Verborgenheit leben kann, bis ihm der Weg nach der See geöffnet ist.«

»Wo liegt ein solcher Ort?«

»Ich werde Dir es doch sagen müssen: Ich meine nämlich die Hazienda del Erina.«

Dieses Wort electrisirte die beiden Anderen.

»Ja, ja, die Hazienda,« stimmte André bei.

»Ich war noch nicht dort,« meinte Curt, »aber ich glaube selbst auch, daß eine bessere Wahl gar nicht getroffen werden könnte. Wer aber bringt ihn hin?«

»Ich selbst,« antwortete Sternau.

»Sie selbst? So müssen Sie Urlaub nehmen.«

»Dessen bedarf es gar nicht. Ich bin mein eigner Herr und kann kommen und gehen, wenn es mir beliebt.«

»Aber Juarez wird Sie vermissen.«

»Er wird kein Wort darüber verlieren und im Stillen sich freuen, daß ich ihm nicht gesagt habe, wohin ich reise.«

»Wie? Sie meinen, daß er ahnen wird, daß - -«

»Juarez ist doch noch klüger und menschlicher, als Du denkst.«


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»Aber wenn nun die Anderen, Velez, Eskobedo, etwas ahnen, oder gar eine Spur entdecken sollten?«

»So steht dem Kaiser die Höhle des Königsschatzes offen. Dort wird ihn Niemand finden.«

»Dazu bedarf es der Genehmigung Büffelstirns.«

»Die habe ich. Er und Bärenherz werden mich und den Kaiser begleiten.«

»Wie? Haben nicht Beide gegen den Kaiser gekämpft?«

»So lange er Kaiser war. Sobald er Mensch und Hilfe Suchender ist, gilt meine Empfehlung. Sie werden ihn mit ihrem Leben beschützen und vertheidigen.«

»Welch eine Vor- und Umsicht!« staunte Curt.

»Wenn Du mein Alter erreicht hast, wirst Du mich darin vielleicht noch übertreffen. Die Hauptsache ist, daß es Dir gelingt, allen Verdacht von Dir abzulenken.«

»Was aber geschieht, wenn Sie abreisen, mit unsern Gefangenen in Santa Jaga?«

»Ich komme ja wieder, und übrigens kannst Du Dich in dieser Angelegenheit fest auf Juarez verlassen.«

Damit war der Plan in seinen Hauptzügen entworfen. Es galt nun, die Details zu besprechen, womit man auch sehr bald zu Stande kam. Dann trennten sich Curt und André von Sternau, um nach ihrem Lager zurückzukehren.

Der Abend dieses für Mexiko und auch andere Kreise so mächtigen Tages brach an. Er war warm und mild, so daß in Queretaro die Soldaten auf den Straßen campirten. Die Gewehre standen in symmetrischen Pyramiden beisammen, rund um dieselben saßen die Krieger, leise mit einander flüsternd.

Der Kaiser hatte nämlich für die Zeit gegen Morgen einen allgemeinen Ausfall angeordnet, von welchem er sich vielleicht mehr Erfolg versprach, als von den früheren, welche abgeschlagen worden waren.

Da es galt, angestrengt und tapfer zu kämpfen, so sank ein Kriegerhaupt nach dem anderen nieder, um die Ruhe zu suchen, bis der Befehl zum Aufbruch gegeben werde. Endlich schlief die ganze Stadt, und nur einzelne Posten wachten, müde, über die ihnen auferlegten Pflichten schimpfend.

Der Kaiser hatte in seinen Gemächern keine Ruhe gefunden; daher begab er sich mit dem Prinzen Salm, seinem Adjutanten, hinab in den Garten, ohne daß dies Jemand bemerkt hätte. Er hoffte, dort besser schlafen zu können, als in dem schwülen Klostergemache.

Es war Mitternacht. Da schlich eine Gestalt sich aus dem Kloster nach der Ausfallspforte. Ein Schlüssel knirschte leise, leise, und die Pforte öffnete sich. Hart neben derselben lag ein wohl gefülltes Portefeuille, welches der Mann - es war Oberst Lopez, an sich nahm. Er trat in das Thürgewölbe zurück, wo er sich sicher fühlen konnte, zog eine Laterne aus der Tasche, brannte das Licht derselben an und untersuchte den Inhalt der Brieftasche genau. Als er sie dann einsteckte und das Licht wieder ausblies, murmelte er befriedigt:

»Alles richtig. Der General hat sein Wort gehalten, und so soll er auch mit mir zufrieden sein!«


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Unterdessen war auch draußen bei den Belagerern Alles still geworden. Niemand ahnte, was bevorstand. Rückwärts lag zwar ein Regiment in Waffen, aber das fiel nicht auf, da es täglich geschah, weil man stets auf einen etwaigen Ausfall vorbereitet sein mußte.

Aber seitwärts sammelte sich kurz vor Mitternacht eine Schaar von zweihundert Männern, welche Alle bis an die Zähne wohlbewaffnet waren. Leise Schritte näherten sich dem Zelte Curt's; der Vorhang desselben wurde zur Seite geschoben, und eine gedämpfte Stimme fragte:

»Sind Sie bereit, Sennor?«

»Ja, General.«

»So kommen Sie!«

Die Beiden nahmen die Richtung auf die Zweihundert zu und stellten sich an die Spitze derselben. Der General gab leise seine Befehle, und dann setzte sich die Truppe langsam und vorsichtig in Bewegung.

Die Sterne leuchteten am Himmel. Sie hätten sich in Anbetracht dessen, was geschehen sollte, hinter dichte Wolken verhüllen mögen, um nicht zu sehen, daß Verrath und Untreue auf Erden oft den Sieg davonträgt über Treue und Zuverlässigkeit.

Als man die Pforte erreichte, war dieselbe nur angelehnt. Velez öffnete ein wenig und schob langsam und vorsichtig den Kopf in die Wölbung.

»Sennor!« rief er mit gedämpfter Stimme.

»General!« antwortete es ebenso.

»Seid Ihr der Rechte?«

»Ja.«

»Wie steht es drin?«

»Gut. Es schläft Alles, ohne zu ahnen, wie man erwachen werde.«

»Wo befindet sich der Kaiser?«

»Er liegt in seinem Schlafzimmer.«

»Wissen Sie das genau?«

»Ich habe Achtung gegeben. Uebrigens ist es sehr gut, daß wir die gegenwärtige Zeit bestimmt haben. Kurz vor Anbruch des Tages sollte ein allgemeiner Ausfall stattfinden.«

»Das hätte uns höchst fatal werden können. Also Sie führen uns?«

»Ja.«

»Hundert Mann für das Innere des Klosters.«

»Wie die Anderen?«

»Ich werde sie oben vertheilen.«

»Dann vorwärts!«

Die Klingen wurden entblößt und die Pistolen in die linke Faust genommen; dann schlich sich die Schaar, Lopez mit dem Generale voran, vorwärts.

Die Vertheilung begann und es glückte Curt, an die Spitze derjenigen Schaar zu kommen, welche den Garten zu besetzen hatte, während Lopez den General in das Innere führte. Andere Abtheilungen erhielten wieder andere Bestimmungen.

Curt hatte nur fünfzehn Mann bei sich. Dies war ihm außerordentlich


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lieb. Als er den Garten erreichte, theilte er sie und befahl ihnen, den Umfang desselben zu beschleichen, damit von keiner Seite ein Entrinnen möglich sei. Als sie dieser Weisung gefolgt waren, schritt er auf das Zelt zu, welches er im Sternenschimmer liegen sah.

Bereits erscholl lautes Waffengeklirr aus dem Inneren des Klosters. Max wurde dadurch geweckt und trat aus dem Zelte. Er sah eine Gestalt, welche schnell auf ihn zukam.

»Was -«

»Pst! Um Gottes Willen still!« unterbrach ihn der Nahende. »Majestät?«

Er hatte mit gedämpfter Stimme gesprochen.

»Ja,« antwortete der Kaiser ebenso. »Was wollen Sie?«

»Sie retten. Folgen Sie mir!«

»Retten? Wer sind Sie? Was ist geschehen?«

»Ich bin Lieutenant Helmers und -«

»Sie? Sie sind es? Wie kommen Sie in das Innere der Stadt?«

»Velez ist mit den Seinigen durch Verrath eingedrungen. Ich flehe Sie an, mir schleunigst zu folgen.«

»Mein Gott! Wohin?«

»Durch die Ausfallspforte in's Freie. Der Weg steht noch offen. In einer Minute kann das vorüber sein.«

»Und was dann da draußen?«

»Es sind Relais gelegt. Sobald Sie die Pforte hinter sich haben, sind Sie in Sicherheit.«

Max antwortete nicht. Das Gehörte schien ihn zu überwältigen. Da faßte Curt ihn bei der Hand und bat dringend:

»Ich bitte Sie um des Himmels willen, keinen Augenblick zu verlieren, sonst ist es zu spät!«

Jetzt hatte der Kaiser sich gefaßt. Er antwortete:

»Ich danke Ihnen. Ist eine Rettung möglich, so will ich mich nicht sträuben, aber ich gehe nicht ohne Diesen und den treuen Mejia.«

Dabei deutete er nach dem Zelte, aus welchem der Adjutant trat.

»Wer ist Dieser?« fragte Curt, dessen Athem flog.

»Mein Adjutant Prinz Salm.«

»Nun wohlan! Und wo ist Mejia?«

»Auf dem Cerro de las Campanas.«

»So ist er nicht zu retten.«

»So bleibe auch ich.«

Das Waffengeklirr hatte überhand genommen. Curt hörte, daß einige Leute nach der Ausfallspforte eilten, um Verstärkerung herbeizurufen.

»Um Gottes willen, kommen Sie ohne Verzug!« drang Curt in den Kaiser. »In wenigen Augenblicken ist man im Garten und die Republikaner dringen in Masse in die Stadt.«

»Nicht ohne Mejia!« lautete die unerschütterliche Antwort.

»Ich bitte Sie um Ihrer Anhänger, um Alles, was Ihnen lieb ist, um


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des Vaterlandes, um Oesterreichs willen, mir zu folgen, Majestät! Ich werde - ah! Da haben wir es! Zu spät, zu spät! Kommen Sie, kommen Sie!«

Er faßte den Kaiser beim Arme und riß ihn mit sich fort in einen Laubgang hinein; der Adjutant folgte eilig. General Velez war mit einer Schaar in den Garten gedrungen und rief wüthend:

»Er ist nicht drin, er ist nicht im Kloster. Sucht hier, hier, hier!«

Zugleich hörte man draußen im Felde den Laufschritt heraneilender Militärmassen. Velez war in den Garten eingedrungen, der Eingang stand auf einige Augenblicke frei. Dahin riß jetzt Curt den Kaiser.

»Gott, zur Flucht ist's nun zu spät!« stöhnte er. »Schnell, schnell, hier hinaus und nach dem Cerro de las Campanas, Majestät!«

Er zog den nur halb willig folgenden Max, welcher von hinten von dem Adjutanten gedrängt wurde, aus dem Garten hinaus. Aber da kam ihnen eine neue Schaar Republikaner entgegen.

»Halt! Wer ist das? Wohin?« rief der Führer derselben, indem er den Fliehenden den Degen vorhielt.

»Was wollen Sie, Orbejo?« antwortete Curt. »Sehen Sie denn nicht, daß diese Sennores friedliche Bürger sind?«

»Bürger? Der Teufel mag das glauben!«

»Ich kenne sie. Wollen Sie das etwa bezweifeln?«

»Ah, wer sind denn Sie selbst?«

Er trat nahe an Curt heran, um ihm in das Gesicht zu blicken, und erkannte ihn.

»Sie sind es, Sennor Helmers?« sagte er. »Das ist etwas Anderes. Aber was haben diese beiden Hidalgos denn hier zu suchen?«

»Sie sind vom Wein nach Hause gegangen und neugierig herbeigeeilt, als sie hier ein Geräusch vernahmen.«

»Das glaube ich, das richtige Geräusch. Aber sie mögen ein anderes Mal ihre Nasen unter das Bett stecken und nicht in eine solche Art von Geräusch. Lassen wir sie laufen.«

Er entfernte sich nach dem Garten zu. Die Verstärkerung war angekommen und drang in Masse vor.

»Fort, fort! Geschwind jetzt!« bat Curt, indem er den Kaiser eine Strecke weiterzog.

Dort aber blieb Max stehen.

»Lassen Sie,« sagte er in wunderbarer Ruhe. »Ich sehe jetzt ein, daß ich Ihnen hätte Gehör schenken sollen. Prinzeß Salm hat mir von Ihnen erzählt und auch da hatte ich keinen Glauben. Sie wollten mich retten und vermochten es nicht, denn Sie waren nicht so stark, wie das Schicksal, dem ich zu gehorchen habe. Nehmen Sie den innigsten Dank und leben Sie wohl!«

Er drückte Curt die Hand.

»Majestät, Gott schütze Sie besser, als ich es vermochte!« schluchzte der junge Mann.

Die beiden Anderen verschwanden im Dunkel der Nacht. Curt aber stand


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da und lauschte auf ihre Schritte, die er längst nicht mehr hören konnte. Da schlug ihm Jemand mit der Faust auf die Schulter.

»Heda, Faullenzer! Was stehst Du da und träumst? Auf zum Siege! Hurrah, die Republik! Hurrah, Juarez! Hurrah, Eskobedo und Hurrah unser Velez!«

Da ergrimmte Curt. Er hob den Arm und schmetterte den Mann nieder, als ob seine Faust ein Schmiedehammer sei.

»Da, Schreihals!« knirschte er. »Ich wollte, ich hätte in Dir die ganze Menschheit zu Boden geschlagen. Fort, fort! Hier habe ich nichts mehr zu thun. Hier ist meines Bleibens keinen Augenblick länger.«

Er wendete sich um und stürmte der Ausfallspforte zu. Er traf grad einen Augenblick, an welchem Niemand passirte, und gelangte in das Freie. Schweigend schritt er seinem Zelte zu.

Dort trat ihm der kleine André entgegen.

»Endlich,« sagte dieser. »Wo ist der Kaiser?«

»Da drin,« antwortete Curt, nach der Stadt deutend.

»Ist's nicht gelungen?«

»Pah! Es wäre gelungen, aber er wollte nicht.«

»Er wollte nicht? Gott, welche Thorheit! Was wird Sennorita Emilia dazu sagen. Nun kann ich ihn nicht retten. Aber, Herr Oberlieutenant, warum wollte er denn eigentlich nicht?«

»Lassen Sie mich in Ruhe, sonst schlage ich auch Sie nieder!«

Er warf sich, unbekümmert um das, was draußen vorging, auf sein Lager und vergrub das Gesicht tief in die Decke. So lag er noch, als der Morgen anbrach, und so lag er noch am Mittag, als Sternau eintrat, um sich nach dem Grunde des Fehlschlagens ihres Planes zu erkundigen. Auch er hatte vergebens gewartet und vergebens seine Relais gelegt.

Das Fort de la Cruz und die Stadt Queretaro befanden sich bereits beim Morgengrauen in Eskobedo's Besitz, welcher überrascht herbeigeeilt war, als er hörte, daß die Seinigen ohne Schwertstreich eingedrungen seien.

Der von den Belagerern eng umschlossene und schon früher von ihnen fast zerstörte Cerro de las Campanas, welchen der Kaiser glücklich erreicht hatte, konnte sich nur wenige Stunden halten.

Um sieben Uhr sandte Max einen Parlamentär, um die Uebergabe anzubieten, sie konnte nur auf Gnade und Ungnade sein, und bereits um acht Uhr überlieferte er seinen Degen an den General Eskobedo.

So fiel Queretaro mit seiner ganzen Besatzung in die Hände der Sieger.

Kurz sei hier erwähnt, daß sich am neunzehnten Juni auch die Hauptstadt Mexiko an General Porfirio Diaz auf Gnade und Ungnade ergab, nachdem sich der schändliche Commandant, General Marquez, heimlicher Weise aus der Stadt geschlichen hatte. Und am siebenundzwanzigsten desselben Monats zogen die Sehaaren des Präsidenten siegreich auch in Vera Cruz ein.

So kam es, daß Juarez die von den Franzosen verhöhnte und besudelte Fahne Mexikos, welche er bis nach Paso del Norte, dem äußersten Punkte des


Ende der einhundertsiebenten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

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