Der Weg zum Glück - Teil 35

Lieferung 35

Karl May

26. März 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Ich hab nicht denken und fühlen können. Ich bin bei lebendigem Leibe todt gewesen, bis mich das Schreien meines Kindes zu mir gebracht hat.«

»Und was habens nachhero macht?«

»Wenn ich Dir das ausführlich und wahrheitstreu erzählen sollte, würde ich sehr in Verlegenheit kommen, denn ich kann mich nicht besinnen, weil ich überhaupt ganz ohne Besinnung gewesen bin.«

»Ja, nach so kurzer Zeit, daß die Entbindung vorüberwest ist. Das ist ja grad ganz gefährlich gewest für die Gesundheiten und das Leben!«

»An mich hab ich zunächst gar nicht gedacht, sondern an das Kind, welches nun keinen Vater mehr hatte, und an die Schwester, welche nun todt sein sollte. Diesen letzteren Gedanken hielt ich fest. Ich mußte fort, fort, fort, und zwar heimlich, daß mich Niemand zurückhalten konnte. Ich zog mein schlechtestes Kleid an, schrieb ein paar Zeilen an die Hebamme, daß sie sich mit meinen Sachen bezahlt machen möge, wickelte mein Kind in ein Tuch, steckte das wenige Geld zu mir, welches ich noch besaß, und schlich mich leise von dannen.«

»Herrgott! Wohin wolltens da?«

»Nach Hause.«

»Mit dem Kind?«

»Daran dachte ich nicht. Ich handelte ja ohne alle Ueberlegung. Ich befand mich wie im Traume und wußte nicht, was ich that. Ich lief nach dem Bahnhofe und lößte ein Billet. Aber ich kann heut noch nicht sagen, wo ich ausgestiegen bin. Ich konnte nicht weiter fahren, weil mein Geld nicht reichte. Das hätte ich mir doch ausrechnen können.«

»Sie armes, armes Wurm!«

»Dann bin ich zu Fuße gewandert, weiter und immer weiter. Das Geld wurde weniger und weniger. Ich empfand weder Hunger noch Durst; aber ich fühlte doch, daß ich essen müsse, um meinem Kinde zu trinken geben zu können. Dann wurde es nach und nach heller in meinem Kopfe, wenigstens zeitweilig, während es auch Stunden gab, in denen ich gradezu fieberte. In solchen offenen Augenblicken fragte ich mich, ob ich mit dem Kinde vor den alten, schwachen Vater treten dürfe. Nein! Es konnte sein Tod sein! Aber was anfangen?«

»Ja, was? Wann man keinen Verstand hat und keine Erfahrung und kein Geld! Mein Herrgott!«

»Da kam mir der Gedanke, das Kind einstweilen irgendwo hinzulegen, wo es gefunden werden mußte. Später konnte ich mir es ja wieder holen. Dieser Gedanke wühlte sich in meine Seele fest, und ich wurde ihn nicht wieder los. Ich wollte kein Verbrechen begehen, o nein! Nur einstweilen wollte ich mich des Kindes entäußern. Ich schrieb auf einen Zettel, den ich mir nebst Bleistift in einem Wirthshause, in welchem ich für einige Augenblicke einkehrte, geben ließ, den Namen des Kindes auf und daß es getauft sei.«

»Hm, ja! Das stimmt!«


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»Womit stimmt es?«

»Nachher! Verzählens jetzund nur weitern!«

»Dann ging ich noch stundenlang fort, bis ich an ein kleines, allein stehendes Häuschen kam. Vor der Thür stand eine Bank, auf welche ich mich niedersetzte. Der Mann kam heraus und begann ein Gespräch mit mir. Was wir gesprochen haben, hatte ich bereits nach kurzer Zeit vergessen. Aber Einiges habe ich mir bis heut gemerkt. Der Mann war Tagearbeiter in einem nahe liegenden Einödhofe und hieß Beyer. Er hatte an jenem Tage frei, weil es ein Sonntag war.«

»Beyer?« fragte der Sepp. »Habens sich den Namen auch wirklich genau merkt?«

»Ganz genau. Ein guter Bekannter meines Vaters hieß ebenso. Das erleichterte es mir, den Namen zu merken.«

»Hm! Oh!«

Er machte wiederum ein sehr nachdenkliches Gesicht.

»Was meinst Du?« fragte sie.

»Nix, gar nix. Ich sinn nur eben nach, ob ich nicht vielleichten einen Beyer kennen thu, der Tagarbeiter an einem Einödhof wesen ist.«

»Nun, fällt Dir vielleicht einer ein?«

»Vielleicht, wann ich noch länger nachdenk. Es ist mir, als ob ich diesen Namen schon mal hört hätt.«

»Das sollte mich außerordentlich freuen, denn all mein Forschen ist vergeblich gewesen. Der Mann hatte ein so gutes Auge, ein so ehrliches Gesicht. Ich beschloß, ihm den Knaben da zu lassen. Ich fragte ihn, ob ich nicht ein Glas Milch erhalten könne, und er ging, es zu holen. Die Zeit, in welcher er mich allein ließ, benutzte ich, den Knaben auf die Bank zu legen und mich zu entfernen. Aber ehe ich es that, kam mir der Gedanke, ob ich dem Kinde nicht ein Andenken zurücklassen möchte. Ich hatte von meiner Mutter ein kleines Kreuz von Rosenholz, dieses hier, welches Du mir gebracht hast. Ich nahm es vom Halse, um es dem Knaben umzuhängen. Er schlief so schön, und seine Mutter wollte ihn verlassen. Das griff mir tief in das kranke Herz hinein. Ich hatte das Kreuz an die Lippen gelegt, um es noch einmal zu küssen. In meinem Schmerze nahm ich es zwischen die Zähne und biß darauf. Die Zähne gruben sich tief in das Holz ein. Ich sah es und brach das halb abgebissene Stückchen vollends ab. Es konnte mir ja als Erkennungszeichen dienen; dieser Gedanke kam mir.«

»So also ists gewest. Ich hab nicht begreifen konnt, warum das kleine Stückle ist abbrochen worden.«

»Ich hing dem Kind das Kreuz um, steckte den Zettel in das Tuch und eilte von dannen. In der Nähe gab es ein Gebüsch, an welches sich der Wald anschloß. Dort konnte man mich im Falle der Verfolgung nicht leicht finden; also suchte ich den Wald zu gewinnen, und das gelang mir auch.«

»Und habens sich die Gegend merkt?«


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»Ja. Es war in der Nähe von Regensburg, wie ich Dir früher ja gesagt habe, daß Deine Nachforschungen dort von Erfolg sein könnten.«

»Sinds aberst doch nicht gewest.«

»Die meinigen auch nicht. Freilich bin ich nicht so bald wieder hin gekommen, wie ich mir vorgenommen hatte. Ich lief damals im Walde immer nach Osten hin und ließ mich an diesem und dem folgenden Tage von keinem Menschen erblicken. So kam ich über die kaiserliche Grenze und nach Hause.«

»Und wie stands da?«

»Als ich kam, wars am Abend, und sie hatten meine Schwester grad in den Sarg gelegt.«

»Du lieber Herrgott im Himmel droben!«

Die Bürgermeisterin senkte den Kopf und weinte. Es dauerte lange, ehe sie wieder fortfahren konnte.

»Das war schrecklich, schrecklicher wohl noch als Alles, was vorher geschehen war. Der Vater hatte meiner Herrin geschrieben und die Nachricht erhalten, daß ich längst fort sei. Ich fand keine andere und bessere Ausrede, als daß ich unterwegs erkrankt sei. Das glaubte man mir sofort, denn ich hatte ja das Aussehen einer Leiche. Weiter konnte ich nichts sagen. Ich sah die todte Schwester und den alten, gramgebeugten Vater. Ich fand keine Worte und auch keine Thränen. Am andern Morgen wankte ich neben dem Vater hinter dem Sarge her, und dann legte ich mich krank nieder - ein Wundfieber hatte mich ergriffen.«

»Sapperloten! Da habens wohl phantasirt und auch Alles verzählt, was geschehen war?«

»Nein. Phantasirt habe ich nicht, sondern ganz still und stumm gelegen. Das Fieber hatte jene heimtückische, schleichende Gestalt angenommen, welche dem Leben am gefährlichsten ist. Ich rang Monate lang zwischen Tod und Leben, bis endlich die Jugend siegte. Und selbst dann war ich noch lange Zeit so schwach, daß ich nicht stehen konnte. Es war ein Gefühl stumpfer Gleichgiltigkeit, ein Zustand dumpfen Vergessens über mich gekommen. Ich sah die Gesichter der Leute, welche in meine Nähe kamen, aber ich merkte sie mir nicht. Ich wußte später nicht, was um mich her geschehen war. Nach und nach, langsam, äußerst langsam erwachte der Puls neuen Lebens in mir. Ich zwang mich, meiner Umgebung wieder Aufmerksamkeit zu schenken. Was ich erblickte, war traurig genug. Der Vater wankte wie ein Schatten umher, abgemagert, mit müden, glanzlosen, todten Augen. Der Tod meiner Schwester, meine Krankheit, sein eigenes, unverdientes Schicksal; das trieb nun auch ihn an den Rand des Grabes. Er hatte mich in meiner Krankheit nicht verlassen können und in Folge dessen seine Stelle verloren. Er war zu schwach, eine andere zu begleiten und hätte jetzt auch keine andere erhalten.«

»Aberst wovon habens dann gelebt?«

»Das wußte ich auch nicht. Ich fragte ihn, und er antwortete mir nur mit dem Namen Holberg. Mein Jugendfreund hatte kurz vorher sein Assessoren-


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examen bestanden und sich dann in unserer Stadt als Rechtsanwalt niedergelassen. Bereits vor meiner Ankunft hatte er den Vater unterstützt und während meiner Krankheit seiner Güte in Form einer Geldanweisung Ausdruck gegeben. Auch diese Summe war bald zur Neige gegangen, und nun lebten wir Beide, Vater und ich, ohne daß ich es erfuhr, nur von der edlen Unterstützung des braven Holberg. Er war keineswegs sehr vermögend; aber er besaß trotz seiner Jugend bedeutende juridische Kenntnisse und hatte bald eine so zahlreiche Clientel um sich versammelt, daß er nicht unbedeutende Einnahmen machte.«

»Ein sehr braver Kerlen!«

»Ja, das war er,« gab sie mit einem tiefen Seufzer zu. »Und daß er so brav war, das hat mir später so manche, manche böse Stunde bereitet.«

»Warum das? Wann einer brav ist, kann man doch nicht bös drübern werden!«

»O nicht über ihn, sondern über mich mußte ich zürnen. Ich war nicht brav gegen ihn. Ich erfuhr erst nach und nach vom Vater, welchen Dank wir ihm schuldeten. Das lockte die Aufmerksamkeit meiner dankenden Seele auf ihn. Ich begann, ihn zu beobachten. Ich lernte seine Charaktereigenschaften, seine Vorzüge kennen, lernte ihn schätzen. Ich hatte ihn täglich vor Augen, sein bescheidenes Wesen, sein stilles Werben um meine Liebe. Ich betrachtete auch sein Aeußeres zum ersten Male mit anderen Augen. Ich sah, daß er zwar nicht schön war, aber doch auch körperliche Vorzüge besaß, welche mir bisher entgangen waren. Kurz und gut, er war ein edler Mann, und ich lernte ihn lieben. Das war freilich eine ganz andere Liebe als meine erste. Sie hatte nicht die Gluth, die unbedenkliche Hingabe der Ersteren; aber sie war rein, innig und wahr.«

»So habens ihn dann heirathet?«

»Ja. Aber das ging nicht so schnell. Ich fühlte und wußte, daß ich sein nicht werth sei. Ich war ohne den Segen des Priesters das Weib eines Andern gewesen. Durfte ich einem so edlen Manne gehören, ohne mich der größten Sünde, des Betruges schuldig zu machen? Aber konnte ich ihm Alles sagen? Nein und tausendmal nein. Ich wär vor Scham gestorben. Da belauschte ich eine Unterredung zwischen ihm und meinem Vater. Dieser sagte ihm, daß er mich kenne und daß er glaube, ich liebe ihn, den Rechtsanwalt. Er gab ihm den Rath, zu mir von seiner Liebe zu sprechen. Aus der Antwort, welche darauf erfolgte, erkannte ich den Edelmuth Holbergs. Er sagte, daß er nur mich lieben könne und sein Glück nur an meiner Seite finden würde, aber er glaube, daß ich ihn nicht liebe, sondern nur Dankbarkeit empfinde für das Wenige, was er für uns gethan habe. Vater zerstreute sein Bedenken, und dann - ja dann kam eine Stunde, in welcher der edle Mann meine Hand in die seinige nahm und mich fragte, ob ich sie ihm lassen wolle fürs ganze Leben. Sepp, was hättest Du ihm geantwortet? Sage es mir aufrichtig!«


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»Hm! Das weiß ich selberst nicht. Unrecht wärs gewest, ihm nix zu sagen; aberst es ihm zu sagen, das wär wohl auch eine Sünd an ihm gewest, weils ihn unglücklich macht hätt.«

»Das sagte ich mir auch. Meine Liebe flüsterte mir hundert Entschuldigungsgründe zu, und ich - - wurde seine Frau.«

»Hat ers spätern derfahren?«

»Nein. Das hätte ihn elend gemacht. War ich vorher nicht aufrichtig, so durfte ich es später vollends gar nicht sein. Ich habe mir bittere Vorwürfe gemacht und oft, oft mit meinem Gewissen gekämpft. Grad dann, wenn er die ganze Fülle seiner Liebe über mich ergehen ließ, habe ich mich am elendsten gefühlt; aber ich habe einen großen, großen Trost: ich habe ihn glücklich gemacht, so glücklich, wie ein Weib ihren Mann nur machen kann.«

»So wirds der liebe Gott verzeihen, daß Sie nicht aufrichtig sein konnten.«

»Das hoffe ich von ganzem Herzen. Wir haben fünfzehn Jahre ununterbrochenen Glückes mit einander verlebt; dann starb er mir an einer Epidemie. Seitdem bin ich Wittwe. Während der letzten sechs Jahre war er Bürgermeister des hiesigen Ortes und hat mir dann ein Vermögen hinterlassen, von dessen Zinsen ich sorglos leben kann.«

Aberst der Bub, der kleine Max Walthern. Was ist aus dem worden?«

»Das ists ja, was ich wissen will!«

»Habens denn nicht nach ihm forscht?«

»Gleich im ersten Jahre meiner Ehe. Ich hatte Gelegenheit, mit einer Freundin nach Regensburg zu reisen, und benutzte dies, nach dem Einödhof zu suchen. Ich fand ihn nicht. Ich habe die Nachforschungen fortgesetzt und sie niemals unterlassen. Erst nach dem Tode meines Mannes hatte ich Freiheit genug, in eigener Person zu suchen. Die Gegend hatte sich verändert. Einst kam ich an ein kleines Häuschen, welches ganz genau aussah, wie dasjenige, an dessen Thür ich meinen kleinen Max auf die Bank gelegt hatte. Ich fragte den Besitzer nach seinem Namen; es war nicht der richtige; aber nach vielen Fragen erfuhr ich, daß vor ungefähr fünfzehn Jahren ein gewisser Beyer, ein Tagearbeiter, hier gewohnt habe, aber bald darauf fortgezogen sei. Fernere Erkundigungen, selbst bei der Behörde, waren vergeblich. Er ist fortgezogen und hat den Knaben mit sich genommen, falls derselbe nicht vorher gestorben ist. Welche Vorwürfe ich mir darüber mache, das könnte nur eine Mutter fühlen, welche so wie ich ihr eignes Kind verstoßen hat. Und nun kommst heut Du und bringst mir das Kreuz, dasselbe Kreuz, mein Kreuz. Es ist mir, als sollte ich aus meiner Pein erlöst werden. Ich habe eine schwere Buße gethan, indem ich Dir Alles erzählt habe. Nun sage aber auch Du mir endlich, wie Du zu dem Kreuz gekommen bist!«

»Das ist ganz eigenthümlich. Das hat ein nackter Kerlen am Hals hangen habt.«

Sie blickte ihn verständnißlos an.


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»Was? Sprich deutlicher!«

»Ich saß am Wassern und drinnen in demselbigen da badete Einer. Der hatte das Kreuzle anhangen.«

»Wer war es, wer? Sags schnell!«

»Na, ich hab ihn auch nicht kannt.«

»War er alt?«

»Nein, so ungefähr zwanzig.«

»Mein Gott! Das stimmt ja! Du hast ihn aber doch gefragt, wer und was er ist?«

»Na freilich werd ich das, wenn er das Kreuz am Hals hangen hat.«

»So sags doch, sags! Spanne mich nicht auf die Folter!«

»Ja Wissens, ein Schullehrern ists gewest, und Max Walthern hat er heißen.«

Da fuhr sie blitzschnell von ihrem Stuhle auf.

»Max Walther! Ists möglich!«

»Natürlich! Er wird doch den seinigen Namen richtig nennen können!«

»Da stimmt ja auch der Name sehr genau.«

»Ja, der stimmt. Und Anderes stimmt halt auch noch.«

»Was?«

»Daß er bei Regensburgen an einem Häusle, in dem dera Tagearbeiter Beyer wohnt hat, auf die Bank legt worden ist von einem Mädchen, welches ein Glas Milchen verlangt hat und nicht gar sehr nobeln aussehen hat.«

»Ich habe Dir ja gesagt, daß ich mein schlechtestes Kleid angezogen hatte. Und unterwegs, in meinem fieberhaften Zustande, habe ich wohl auf mein Aeußeres so wenig Rücksicht genommen gehabt, daß mein Aussehen nicht das allerbeste gewesen ist. Er ists, er ists, er ists! Aber wohin hat ihn der Tagearbeiter mitgenommen?«

»Gar nicht. Der Mann ist so arm gewest, daß er sich des Buben gar nicht hat annehmen konnt. Er hat ihn also in das Waisenhaus geben mußt.«

»In das Waisenhaus!« Sie schlug die Hände zusammen. »Mein Kind, mein armes Kind!«

»Na, da könnens schon ruhig sein. Er hat sagt, daß er da viele Liebe funden hat. Dann hat er einen Gönnern kennen lernt, der hat ihn auf die Schulen than, daß er hat Lehrern werden konnt.«

»Welch eine Fügung! So hat Gott mehr Mitleid mit ihm gehabt, als seine Mutter! Mein Heiland! Was wird er von dieser Mutter denken!«

»Das will Ihnen wohl Sorgen machen?«

»Wie schwere, wie große!«

»Nun, so Werfens diese Sorg nur immerst zum Fenstern hinaus! Dera Maxerl ist halt ein gar braver Kerlen und denkt von seiner Muttern gar nix Böses. Er hat eine gar große Sehnsuchten nach derselben und wird ganz glücklich sein, wann er sie nur sehen kann.«

»Wirklich, wirklich?«


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»Ja, er hat sagt, daß sie arm sein kann, wie eine Bettelfrauen. Dann will er für sie arbeiten und so gut zu ihr sein, daß sie alles Herzeleiden vergißt, was sie im Leben derfahren hat.«

»Das, das hat er gesagt?«

»O, noch viel, viel mehr!«

»Herr mein Gott, ich danke Dir! So einen Sohn bin ich nicht werth! Ich habe mich so schwer an ihm versündigt, daß ich ihm gar nicht unter die Augen treten darf!«

»Na, wo denkens da eigentlich hin! Den Max seine größte Aengsten ist, daß dera Vatern und die Muttern schon storben sind. Welch eine Freuden, wann ich ihm die Muttern bring.«

»Die ihm nicht einmal sagen kann, wer sein Vater ist!«

»Was das betrifft, so lassens nur den Wurzelsepp sorgen. Der wird den Luftikussen schon so ausfindig machen, daß er ihn beim Schopf derfassen und an den Haaren herbeischleppen kann. Es munkelt so eine geheime Stimm in meiner Seel, daß ich ihn schon recht bald derwischen werd. Wissens, da fallt mir was ein. Habens schon mal einen Steckbriefen gelesen?«

»Ja.«

»So ein Steckbriefen kommt in die Zeitungen, wann ein schlechter Kerlen, ein Verbrechern sucht und funden werden soll. Der Curt von Walthern aberst ist ein Verbrechern. Er hat Ihnen was vorschwindelt; er ist also ein Betrügern.«

»Willst Du etwa haben, daß wir ihn steckbrieflich durch die Polizei suchen lassen?« fragte sie unter einem leisen Lächeln.

»Durch die Polizeien nicht, sondern durch den Wurzelseppen. Bei so einem Steckbriefen steht alleweilen auch ein Signalementen. Jetzt wollen wir auch eins machen, damit ich ihn gleich kenne, wann ich ihn seh. Könnens sich vielleichten noch derinnern, wie er damals ausschaut hat?«

»Als ob es noch heut wär. So eine Person prägt sich dem Gedächtnisse unauslöschlich ein. Aber was soll es Dir nützen, wenn ich ihn Dir beschreibe?«

»Gar sehr viel.«

»Er ist damals jung gewesen und muß also jetzt ein ganz anderes Aussehen haben.«

»Meinst? Ja, ältern wird er nun wohl ausschaun, als dazumalen; aberst es giebt doch Dingen, welche auch beim Alter nicht anderst werden. Wann er zum Beispiel schwarze Augen habt hat, so werden die nicht indessen roth worden sein und die blonden Haaren blau. Verstanden? Also sagens doch mal, wie alt er damals war!«

»Grad dreißig Jahre.«

»So ist er jetzund fünfzig. War er lang und stark?«

»Nein, sondern mittler Statur.«

»Die Haaren?«

»Blond.«


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»Augen?«

»Blau.«

»Zähnen?«

»Vollständig und gut:«

»Hatte er Bart?«

»Ein Schnurrbärtchen. Aber ich kann mir nicht denken, daß dies zu Etwas führen soll!«

»Warum nicht? Lassens nur den alten Wurzelsepp gehn. Der weiß schon, warum er so fragen thut. Sagens lieber, ob er vielleichten so ein besonderes Kennzeichen habt hat, woran man ihn verkennen kann.«

»Das hatte er allerdings. Er hatte sich als Student einmal auf der Mensur befunden - - -«

»Was ist das für ein Ding?«

»Zweikampf. Zwei stehen auf der Mensur, das bedeutet so viel wie, sie stehen vor einander, um zu kämpfen.«

»Welch eine Dummheiten! Mensur! Kann man da nicht lieber gleich sagen: Sie fangen eine Rauferei oder Keilereien an? Nun weiter!«

»Dabei hat er einen Säbelhieb über den Kopf erhalten. Die rothe Narbe davon geht über die linke Stirn fast bis in das Auge hinein.«

»Wanns lieber was tiefer in den Kopf eindrungen wär, so wärs aus gewest mit ihm und er hätt kein braves Dirndl betrügen konnt! Also eine Narben hat er! Das muß man sich merken. Das kann leicht dazu führen, daß ich ihn entdecken thu.«

»Sei nicht zu sanguinisch mit Deinen Hoffnungen!«

»Warum soll ich nicht hoffen? Ich komm halt gar weit im Land herum, und da ists leicht möglich, daß ich mal Einen treff, der eine rothe Narben auf dera Stirn hat. Den werd ich dann gleich beim Schopf nehmen. Und nun sagens mal auch, wie Ihr Namen vorher gewest ist, bevor Sie den Mann geheirathet haben!«

»Mein Vater hieß Hiller, ich also Bertha Hiller. Aber ich bin überzeugt, daß Du diese Erkundigungen ganz umsonst einziehst. Ich werde mir, wie bisher, auch fernerhin Mühe geben, den Vater zu vergessen, und lieber meine ganze Aufmerksamkeit dem Sohne zuwenden. Noch habe ich Dich ja nicht nach einer der Hauptsachen gefragt. Wo hast Du Max getroffen?«

»Das hab ich bereits sagt, nämlich im Wasser, wo er baden that.«

»Bitte, scherze jetzt nicht!«

»Na, so will ich mal ernst sein und Ihnen den Ort nennen. Freuen werdens sich aberst wohl nicht sehr darüber, denn er ist weit von hier, sehr weit!«

»Das schadet nichts! Mag es noch so weit sein, ich reise hin. Und wenns in Amerika und noch weiter sein würde, so suchte ich meinen Sohn auf. Ich muß ihn sehen; ich muß ihn haben. Ich muß ihn um seine Verzeihung bitten und möglichst wieder gut machen, was ich an ihm verbrochen habe. Da kann mir kein Weg zu lang und kein Meer zu breit sein!«


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»Na, schlimm ists freilich nicht. Uebers Wassern brauchens nicht, und auf dera Eisenbahn brauchens sich auch nicht zu setzen, denn sie könnens schon recht gut mit denen Füßen derlaufen. Sie brauchen halt nur da über den Berg zu steigen, so sinds halt gleich schon dort.«

»Da hinüber, also in Bayern?«

»Ja, freilich.«

»Geht es durch viele Orte?«

»Nein, sondern es ist gleich dera erste.«

»Das wäre ja wohl Hohenwald?«

»Das ists. Dort ist er.«

»In Hohenwald! Das ist ja ein wahrer Spaziergang von wenig über einer Stunde! Also dort ist er, so nahe, und ich habe nicht die mindeste Ahnung davon gehabt!«

»Er ist erst seit ganz kurzer Zeit dort.«

»So! Und - - aber, da fällt mir ein: Hohenwald ist so verrufen. Ich glaube, gehört zu haben, daß die dortige Schulstelle eine sogenannte Strafstelle ist?«

»Das ist freilich wahr.«

»Mein Gott! Das erschreckt mich! Hat er einen Fehler begangen? Hat er sich das Mißfallen seiner Vorgesetzten zugezogen?«

»Der? Na, dem fallt das gar nimmer ein! Der ist ein Kerlen, der Haaren auf denen Zähnen und Federn am Buckel hat! Wann der noch eine kleine Weilen in dem Hohenwald ist, nachhero wird die Schulstellen bald keine Strafstellen mehr sein.«

»So! Also ist er brav?«

»Und was für ein Braver! Da könnt ich gar viel bereits erzählen, wann ich nur wollt.«

»Natürlich mußt Du das! Ich will Alles hören, was Du von ihm weißt.«

»Na, meinswegen. Aberst es ist heut schon so spät worden und, ich muß nun nach denen Gasthofen, sonst find ich keinen Platz zum Schlafen.«

»In den Gasthof lasse ich Dich nicht. Du mußt bei mir bleiben. Du mußt Alles berichten. Ich werde noch eine Flasche Wein holen.«

»Ja, Frau Bürgermeisterin, das ist freilich der allerbesten Gedank, dens heut gehabt haben. Wanns mir noch ein Weinerl vorsetzen, nachhero bin ich nicht fortzubringen.«

»Gut, also Du bleibst! Sage mir aber noch schnell, wie er aussieht!«

»Na, wie soll er halt ausschaun? Die Beinen hat er unten und den Kopf oben, wie alle Menschen, und Schulmeistern.«

»Bitte, bleib ernsthaft.«

»Na, das bin ich schon! Ich seh bereits, daß ich ihn beschreiben muß fast auch wie in einem Steckbriefen.«

»Das ist nicht nöthig. Ich muß nur wissen, ob er gut aussieht und wohl und gesund.«


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»Na freilich! Er ist nicht gar zu groß und stark, aberst auch nicht klein und schwach, wissens, so eine brave Mittelsorten. Haaren und Augen schwarz, das hat er von seiner Muttern. Und dabei hat er eine Körperkräften, die zum Verstaunen ist. Und er sieht auch gar nicht so aus, wie ein Dorfschulmeistern; er hat ein ganz ander Aussehen, viel gelehrter und vornehmer. Wann man ihm zum ersten Male begegnet, muß man bereits einen großen Respecten vor ihm haben. Auch mehr lernt hat er, als ein Schulmeistern, viel mehr. Er ist sogar ein Dichtern worden wie der Schillern und Göthen. Er hat dem Elephantenhanns ein Gedichten macht mit viel Wassern und großen Bäumen und Elephanten und auch einen Geist dazu. Das bringt gar nicht ein Jedern fertig. Und nachhero hat er auch ein Stuck aufs Papieren bracht, was im Theatern spielt werden muß; das wird halt ein Krama nannt.«

»Drama, meinst Du!«

»Ja, so mags sein. Ich weiß das Worten noch nicht so genau, weil ich noch selbst kein solches Lama schrieben hab. Sie werden eine große Freuden über ihn haben, wanns ihn sehen.«

»Ich bin ganz entzückt, lieber Sepp. Natürlich muß ich ihn gleich morgen sehen.«

»So! Da habens das Ding freilich sehr eilig!«

»Ich darf keine Stunde länger zögern, als unbedingt nöthig ist. Ich habe ihn und er hat seine Mutter so lange entbehrt, daß ich keine Minute verlieren darf, mich mit ihm zu vereinigen.«

»Recht habens da gar sehr. Und passen thuts morgen doch auch, denn da giebts keine Schulen, weil ein Feiertag ist. Aberst im Amt ist er da auch, weil er in dera Kirchen die Orgeln schlagen muß.«

»Desto besser. So kann ich sein Spiel hören und ihn sehen, ohne daß er mich bemerkt. Wir müssen also bei Zeiten aufbrechen, Sepp. Hörst Du?«

»Ja, das hör ich schon. Aberst wann wir so gar früh fort wollen, so müssens den Wein recht bald bringen, Frau Bürgermeisterin, sonst ist morgen die Kirchen anfangen und ich hab noch immer keinen.«

»Du hast recht,« lächelte sie. »Ich denke nur an mich und nicht an Dich.«

»Freilich! Und doch ist mir von dem vielen Sprechen und Derklären die Kehlen so trocken wie eine alte Feueressen. Den Ruß muß ich schnell hinabspülen.«

Sie war jetzt eine ganz Andere als vorher. Die Gewißheit, den Sohn zu sehen, verlieh ihr eine ganz jugendliche Spannkraft. Ihre Wangen hatten sich geröthet und ihre Augen leuchteten. Es war nach langer Leidenszeit neue Lebenskraft und neuer Lebensmuth über sie gekommen.

Sie holte den versprochenen Wein und während sich der Sepp denselben schmecken ließ, mußte er von Max Walther erzählen, so viel er von demselben wußte. Nur das Abenteuer am Mühlenwehr verschwieg er. Als er erzählte, wie Walther gleich bei seiner Ankunft so mannhaft aufgetreten sei, war die


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Bürgermeisterin wirklich stolz auf den Sohn und fühlte sich so glücklich, wie noch niemals in ihrem ganzen Leben.

Sie trennten sich sehr spät, waren aber dennoch bereits sehr bei Zeiten wach. Die Bürgermeisterin zog sich nur sehr einfach an und dann begaben sie sich auf den Weg. Es fiel der braven Frau gar nicht ein, sich darüber zu schämen, daß sie an der Seite des armen Wurzelhändlers durch das kleine Städtchen ging. Der Sepp war auch hier bekannt und von allen Leuten geachtet.

Der Weg nach Hohenwald führte den Berg hinauf, an dem Schlosse vorüber und dann durch den Park, welcher zu dem Letzteren gehörte. Dann senkte er sich wieder abwärts, bis er in der Nähe der Mühle aus dem Walde trat und man Hohenwald vor sich liegen hatte.

Als Beide am Schlosse vorübergingen, blieb der Sepp einen Augenblick stehen und fragte:

»Ich hab hört, daß Schloß Steinegg verkauft ist. Wie heißt der jetzige Besitzern?«

»Es ist ein Baron von Alberg.«

»Aus dera hiesigen Gegend?«

»Nein. Er ist noch niemals hier gewesen. Er bekleidet eine hohe Anstellung in Wien, wo er von seinen Pflichten so festgehalten wird, daß er nicht selbst kommen konnte, sondern seine Tochter geschickt hat, um die Einrichtung des Schlosses zu beaufsichtigen.«

»Was für ein Dirndl ist sie, diese Tochtern?«

»Eine liebe, gute, junge Dame. Ich bin sehr oft mit ihr zusammen und habe sie wirklich herzlich lieb gewonnen. Natürlich ist auch sie noch niemals hier gewesen.«

»So kenn ich sie halt nicht.«

»Nein. Aber Du wirst sie gleich kennen lernen, denn dort kommt sie.«

Sie waren am Gebäude des Schlosses vorübergekommen und hatten den Park erreicht. In einiger Entfernung vor ihnen trat Milda mit Asta aus einem Seitenpfade auf den Hauptweg heraus. Sie hatten einen Morgenspaziergang gemacht und kamen den Beiden langsam entgegen.

»Welche ists?« fragte der Sepp. »Die Schlanke.«

»Und wer ist die Andre?«

»Ein Fräulein von Zelba, welche den astronomischen Namen Asta führt.«

»Solche Namen können mir niemals gefallen. Wenn Einer sich immer bei so einem vornehmen Namen nennen hört, so wird er endlich gar selberst vornehm und stolz. Das ist wohl auch bei dera der Fall, denn sie schreitet so ganz besonderbar einher, grad als wanns in jeder Taschen eine Millionen stecken hätt.«

»Ja, stolz ist sie. Sie hat mich gestern, als ich ihr vorgestellt wurde, fast gar nicht angesehen.«


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»So, dann mag sie nur höflich danken, wenn ich sie jetzt grüß, sonst sag ich ihr meine Meinung.«

»Das wirst Du nicht thun. Solche Leute läßt man in ihrem Hochmuthe gehen.«

»Ich werd sie auch gehen lassen. Ich halt sie nicht fest, aber Etwas thät ich ihr doch mitgeben.«

Die beiden Paare begegneten sich. Asta blickte verächtlich zur Seite. Milda machte zwar auch ein einigermaßen befremdetes Gesicht, als sie den ihr unbekannten Sepp an der Seite ihrer Freundin erblickte, nickte derselben aber doch bereits von Weitem freundlich zu.

Die Bürgermeisterin verbeugte sich vor den beiden adeligen Damen und der Sepp zog sehr höflich den Hut. Asta sah es gar nicht. Sie ging vorüber. Milda aber blieb stehen.

»Schon so früh munter, liebe Frau Bürgermeisterin,« sagte sie, ihr die Hand gebend. »Wollen Sie einen Spaziergang machen?«

»Ja, gnädige Baronesse. Und mit dem Angenehmen habe ich etwas Nützliches zu verbinden. Ich bin nach Hohenwald gerufen worden.«

»Dann darf ich Sie ja nicht aufhalten.«

Sie gab ihr die Hand zum Abschiede und ging der Freundin nach.

Sepp hatte bewegungslos dagestanden und kein Auge von ihr verwendet. Es zuckte über sein Gesicht wie eine große Ueberraschung.

»Komm!« sagte die Bürgermeisterin, als er auch jetzt noch stehen blieb und Milda nachblickte.

Sie hatte Sorge, daß er seinem Vorsatze folgen und gegen Asta grob sein werde.

»Donnerwettern!« stieß er hervor.

»Was hast Du?«

»Nix für Sie. Laufens langsam fort. Ich hab das Fräulein um was zu fragen.«

Er wendete sich rückwärts und eilte den beiden Damen nach. Sie hörten ihn kommen und blieben stehen, da sein Nahen nur ihnen gelten konnte. Er zog den Hut sehr respectvoll, blieb vor ihnen stehen und sagte:

»Bitt gar schön, Fräulein Baronessen! Nehmens halt nicht übeln, daß ich Sie vermolestir! Ich hab zwar kein vornehm Gewandel an, aberst ein braver Kerlen bin ich dennoch. Ich möcht halt sehr gern was fragen.«

»Thun Sie es,« antwortete Milda.

»Nicht wahr, Ihr Namen ist von Alberg?«

»Ja.«

»Lebt dera Herrn Baron Vatern noch?«

»Allerdings.«

»Ist er von nicht gar zu großer Figuren?«

»Ja.«

»Und er hat blonde Haaren?«

»Gewiß. Aber bitte, welche Ursachen haben Sie zu diesen eigenthümlichen Fragen?«


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Statt die Antwort Sepp's abzuwarten, fiel Asta sogleich ein:

»Keine Ursache hat er. Der Mensch muß nicht recht im Kopfe sein.«

»Warum?« meinte Sepp.

»Sonst würden Sie nicht in dieser Weise nach dem gnädigen Herrn Baron von Alberg fragen.«

Er blickte sie vom Kopfe bis zu den Füßen herab an, drehte sich dann von ihr ab, Milda zu und fuhr zu dieser fort:

»Gnädiges Fräulein, Sie kennen mich nicht. Man nennt mich den Wurzelsepp, weil ich mit Wurzeln handle. Aber ich bin kein Irrer und auch kein Landstreichern. Sogar unser König redet gern mit mir, wann ich mal zu ihm kommen thu, und ich hab bereits mit manchen vornehmen Leutln so sprochen, wie ein Anderer nicht mit ihnen sprechen darf. Darum dürfen auch Sie mich anhören. Und Sie werdens thun, denn Sie haben ein liebs Gesichterl und zwei seelensgute Augen.«

Sie erröthete ein Wenig und nickte ihm dann gewährend zu:

»Sprechen Sie weiter!«

»Ich hab mirs denkt, daß ich darf. Ich habs Ihnen halt gleich angeschaut. Und das will ich Ihnen sagen, daß ich nicht unnütz frag, sondern daß ich eine sehr große Ursachen dazu hab, die ich Ihnen wohl einmal sagen werd. Nicht wahr, Ihr Herrn Vatern hat auch blaue Augen?«

»Ja.«

»Und eine Narben auf dera linken Stirn, von einer Pfensuren, auf der er standen hat.«

»Auch das ist richtig.«

»Haben Sie noch Geschwistern?«

»Nein.«

»So dank ich Ihnen gar schön! Heut kann ich Ihnen noch nicht sagen, warum ich diese Verkundigungen einizogen hab, aberst nächster Tagen werd ich mal um die Erlaubnissen bitten, mit Ihnen sprechen zu dürfen. Nachhero werdens wohl derfahren, daß ich meinen guten Grund habt hab.«

Und sich nun wieder zu Asta wendend, fuhr er fort:

»Und Sie, wissens, wanns wiedern mal gegrüßt werden, so dankens fein hübsch. Wann man vornehm ist, so muß man erst recht höflich sein, sonst ist man halt noch unverbildeter als gewöhnlichen Leut. Verstanden, Fräulein!«

Sie stand ganz starr.

»Frecher Mensch!« stieß sie hervor.

»Oho! Frech sagst zu mir? Da kommst gar schön an. Frech bist nur Du, daßt einer Damen nicht dankst, wie die Frau Bürgermeisterin ist! Denkst wohl, Du bist was Bessres? Denkst wohl, Deine Haut ist von Saffianen und Dein Gesicht von Marzipanen? Weißt, wannst zu viel trinkst, wirst auch besoffen, und wannst zu viel issest, bekommst auch das Schneiden im Leib, grad wie andere Menschen. Du bist aus demselbigen Stoff auch wie andere Leut, und wannst stirbst, so fangst auch an zu riechen, so daß man Dich fortschaffen muß. So eine Eiernudeln wie Du wird auch nur gefressen.


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Und nun schau, daßt fortkommst! Du machst ja ein Gesichten, als ob die Gans den Schneemuff verschlungen hätt!«

Er drehte sich um und eilte der Bürgermeisterin nach, welche von dieser Unterhaltung nichts gehört hatte. Es fiel ihm gar nicht ein, zurück zu schauen, um zu sehen, welchen Eindruck seine Strafrede gemacht habe.

Dieser war allerdings ein gewaltiger, denn Asta fühlte sich einer Ohnmacht nahe.

»Das - das - das - - ah, hast Du es gehört?« stammelte sie.

Milda nickte nur. Der Alte war ihr sympathisch gewesen und der Freundin gönnte sie diese Zurechtweisung. Freilich hätte dieselbe nicht gar so grob kommen sollen.

»Also Wurzelsepp, Wurzelsepp!« rief Asta. »Er kommt aus der Stadt, er muß also dort wohnen. Ich werde sofort zur Polizei gehen, um ihn bestrafen zu lassen.«

Sie eilte fort und ließ Milda stehen.

Mittlerweile war der Sepp mit seiner Begleiterin weiter gegangen. Sie versuchte zu erfahren, was er mit der Baronesse zu sprechen gehabt habe, doch verschwieg er es.

Der Weg führte durch den Wald. Bald ging ein Seitenpfad rechts ab. Sepp bog in denselben ein.

»Das ist doch nicht der richtige Weg,« sagte sie. »Wir müssen gradaus gehen.«

»Kommens nur immer mit,« antwortete er. »Oder fürchtens sich, mit dem Sepp allein im Wald zu sein?«

»Nein. Dazu habe ich keine Veranlassung.«

»Dann gehens nur mit. Ich muß Ihnen was zeigen.«

»Was?«

»Einen Mann, der da drinnen wohnt.«

»Warum?«

»Das werdens bald derfahren. Gestern am Abend habens von dem Beyer sprochen, der Tagarbeitern gewest ist. Deshalben geh ich jetzunder hier in den Wald hinein.«

Er schritt rasch aus, um weiteren Fragen vorzubeugen und sie mußte folgen.

Nach mehreren Windungen des Weges kamen sie an eine von Bäumen befreite Stelle, an welcher eine alte sehr baufällige Hütte stand. Diese hatte nur zwei sehr kleine Fenster. Sepp klopfte an die Thür.

»Wer da?« fragte drinnen eine mürrische Stimme. »Dera Wurzelsepp.«

»Gleich!«

Es dauerte eine Minute, bevor die Thür geöffnet wurde, dann kam ein langer, hagerer, kahler Kopf zum Vorschein.

»Bist auch wieder mal da?« erklang es unter der spitzigen Nase heraus.

»Das siehst ja, wannt mich anschaust!«


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»So komm herein.«

»Heut bleib ich heraußen. Ich werd gar nicht lang bleiben; ich hab nur den Waldheger was fragen wollt.«

»So frag!«

Der Waldheger trat aus der Hütte.

Der Mann trat jetzt heraus. Er hatte trotz seiner schmalen, scharfen Gesichtszüge doch das Aussehen eines sehr gutmüthigen Menschen. Die Bürgermeisterin stand seitwärts, sodaß die offene Thür sich zwischen ihm und ihr befand, darum sah er sie nicht.

»Kennst vielleicht den neuen Herrn Lehrern?« fragte der Wurzelsepp.

»Da ist immer ein Neuer da, aberst keiner taugt was. Jetzt wohl wieder?«

»Ja.«

»Den hab ich noch gar nicht sehen. Was kümmert mich dera Lehrern? Ich geh nicht mehr in die Schulen.«

»Vielleicht thät er Dich doch was verinteressirn. Nicht wahr, Du bist früher Tagarbeitern gewest?«

»Freilich. In dera Gegend von Regensburg ists gewest.«

»Wo da?«

»Am Wasser aufwärts, beim Einödbauern, der damals Günther heißen hat.«

»So, also so! Und da kümmerst Dich nicht um den neuen Herrn Lehrern? Das ist wunderbar.«

»Warum wunderbar?«

»So hast auch wohl noch nicht hört, wie er heißt?«

»Ich hab schon sagt, daß er mich nix angeht. Er mag heißen, wie er will.«

»Na, wirst gleich anderst denken, wann ich Dir den Namen sag. Er heißt nämlich Max Walthern.«

Die lange Gestalt des Waldhegers fuhr kerzengrad empor. »Max Walthern?« sagte er. »Alle Teufeln! Sollt das etwan dera Bub sein, welcher -«

»Nun, welcher? Was stehst nun da und sperrsts Maul sperrangelweit auf?«

»Weil dera Namen mir freilich bekannt ist.«

»Habs auch denkt.«

»Wieso kannst Du's dacht haben?«

»Weil ich weiß, daßt mal einen Buben gefunden hast, der grad so geheißen hat.«

»So! Da möcht ich auch fragen, wie Du das derfahren hast. Uebrigens hab ich den Buben nicht funden, sondern er ist mir grad nur so vor die Thür legt worden. Auf einem Zettel hat dera Namen standen, und am Hals hat er ein Kreuzerl habt. Ich bin ein armes Wurm west, fast noch ärmern als jetzund und hab den Buben ins Waisenhaus schafft. Was mit ihm worden ist, das weiß ich nicht, denn ich bin nachhero fortzogen, bald hierhin, bald dahin, wo ich grad eine Arbeiten funden hab.«


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»Und bist doch so sucht worden.«

»Von wem?«

»Von dem Mädchen.«

»Das sollt mich verwundern. Wer sein Kind in dieser Weise verläßt, der sucht nicht wiedern darnach.«

»Und doch hat sie sucht. Sie ist ein braves Dirndl west und krank. Sie hat das Fiebern habt im Kopf und in denen Nerven und da weiß man nicht, was man thut.«

»Ja, wanns so ist, so will ich ihr abbitten, was ich von ihr denkt hab. Also dera Bub ist nun groß und jetzt hier Schullehrern worden?«

»Ja. Kannst ihn Dir mal anschaun.«

»Freilich werd ich ihn mal aufsuchen. Vielleicht schenkt er mir da eine Cigarren odern gar ein Maß Bier. Dazu bring ichs von mir selber halt nicht so oft.«

Da trat die Bürgermeisterin hervor und fragte:

»So sind Sie wohl sehr arm?«

»O Jerum, ein Frauenzimmern!« rief er aus. »Sepp, was machst mit einem Weibsenbild im Walde?«

»Ich such den gestrigen Tag und kann ihn nicht finden. Jetzt aberst antwort doch, wannt fragt wirst!«

»Na, meinetwegen! Ob ich arm bin? Na freilich bin ich arm. Wann ich mir mal eine Extra-Güten thun will, kann ich Tannenzapfen essen.«

»Das sollen Sie nicht,« sagte die Dame. »Würden Sie jenes Mädchen, welches vergaß, das Kind mitzunehmen, heut wieder erkennen?«

»Das wird schwer sein. Es sind seitdem doch nun zwanzig Jahren verflossen.«

»So will ich Ihnen sagen, daß ich es bin.«

»Sie!« Er schlug überrascht die Hände zusammen. »Sie sinds gewest, Sie? Na, damals habens mir halt eine schöne Arbeiten macht. Ich hab doch gar nicht wußt, was ich mit dem Kind anfangen sollt!«

»Sie haben gethan, was Sie thun konnten, und Sie sollen es nicht umsonst gethan haben. Würden Sie bereit sein, mich zu unterstützen, wenn Ihre Gegenwart nöthig wäre, falls der Lehrer legitimirt werden soll?«

»Allemalen! Das ist ja meine Schuldigkeiten.«

»Gut! So sagen Sie mir, was ich für Sie thun kann!«

»Sie für mich? Nix.«

»Was, gar nichts?«

»Nein. Was solltens für mich thun können? Etwan im Wald herum laufen und meine Arbeit machen? Die muß ich halt selberst thun.«

»So meine ich es nicht. Ich wollte gern wissen, ob Sie nicht irgend einen Wunsch haben. Ich möcht Ihnen gern Etwas schenken.«

Da erheiterte sich sein altes Gesicht. Er kratzte sich mit beiden Händen den Kahlkopf, trotzdem derselbe keine Haare mehr hatte und meinte schmunzelnd:

»Ja, das ist freilich eine sehr böse Geschichten!«


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»Wieso?«

»Sie wolln mir was schenken, und das thät ich mir auch gar wohl gefallen lassen, aberst jetzt weiß ich nun nicht, was ich thu. Verlang ich zu viel, so geben Sie mirs nicht, und verlang ich zu wenig, so komm halt ich schlecht dabei weg.«

»Verlangen Sie nur getrost!«

»So! Na, so gebens mir vielleicht einen Groschen für ein Bier?«

»Gern!« lächelte sie über diese Bescheidenheit.

»Vielleicht gar auch fünfzehn Pfennige noch für ein Packeterl deutschen Kaisertabaken?

»Auch das noch!«

»Aberst nun natürlich weiter nix?«

»O, wünschen Sie nur zu!«

»So gebens halt noch dreißig Pfennige für meine Schuhen hier. Sie haben einen Rissen, und ich muß mir einen Seitenflecken draufsetzen lassen.«

»Schön! Weiter!«

Er blickte sie ganz erstaunt an.

»Immer noch weitern?« fragte er.

»Ja.«

»Na, wanns gar so gut sein wollen, so gebens mir noch zwanzig Pfennige für einen Topf, worinnen ich mir meine Suppen kochen kann. Der vorige ist in diesem Winter zerfroren, und da muß ich nun kalt Wassern trinken.«

»Auch das sollen Sie haben. Und wünschen Sie vielleicht noch Etwas?«

»Wie? Gar noch immer was?«

»Jawohl.«

»Da hat doch Ihre Güten und Mildthätigkeiten gar kein End! Wann das so ist, so werd ich mich mal sehr feini versteigen. Da kommt hier nun gar die Uhren daran. Darf ich?«

Er zog eine riesige Taschenuhr hervor, welche an einer starken Eichhörnchenkette hing.

»Immer wünschen Sie! Hat das Werk einen Fehler?«

»Nein, das hat keinen Fehlern. Wanns mal an einem Tag eine halbe Stunden vorauslaufen ist, so bleibts am nächsten Tag drei Viertelnstunden zuruck und dann läufts übermorgen wiedern eine Viertelstunden vor, und hernach hab ich ja gleich wiederum die richtige Zeiten. Also einen Fehlern hat die Uhr nicht. Es ist ein gar altes Erbstuck von meinem Großvater mütterlicher Seits, aus dem besten Tombak gemacht und mit vier Gehäusern gar - eine schwere und gar gewichtige Uhren! Aber vor anderthalb Jahren habe ich denen Schlüsseln verloren. Da borg ich mir zuweilen einen, wann ich Jemand treff, dessen Schlüsseln grad in die meinige paßt. Das ist aberst äußerst selten, weil sie gar so ein großes Schlüsselloch hat. Ich habs auch wohl versucht, mit dera Drahtzangen hinein zu langen und sie aufi zu ziehen, aberst da kann


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ich mir leicht das kostbare Werk zu schanden machen. Also muß ich mir doch bald wiederum einen eigenen Schlüsseln kaufen.«

»Und den soll ich bezahlen?«

»Wanns wollen, bitt ich gar schön!«

»Wieviel kostet er?«

»Den macht mir dera Schlosser. Da ist er am Stärksten und hält am Längsten. Ich glaub, er wird halt nicht mehr verlangen als fünfzehn Pfennige vielleicht.«

»Die sollen Sie auch haben.«

»Na, so eine Güten ist mir seit langer Zeit nicht anthan worden! Jetzt nun kann ich nix mehr verlangen, und da wollen wir mal zusammenrechnen. Einen Topf, einen Uhrschlüsseln, einen Seitenflecken auf denen Stiefeln, ein Tabakspaketen und auch noch ein Bier. Das macht zusammen -«

Er hielt inne und kratzte sich sehr verlegen auf der Platte. Dann meinte er:

»Ja, verteuxeli, jetzt weiß ich nimmerst mehr, wie viel ich für das Einzelne anrechnet hab. Nun können wir nur gleich wiedern von vorn anfangen!«

»Nein, nein,« lachte die Bürgermeisterin. »Ich will Ihnen gleich lieber Etwas in Pausch und Bogen geben.«

»Meinswegen auch so! Aberst ob auch dieser Pausch und Bogen nachhero ausreichen wird?«

»Ich hoffe es. Hier haben Sie!«

Sie gab ihm zwei Stücke aus ihrer Börse. Er betrachtete dieselben, dann die Dame, ging mit den Augen noch einige Male herüber und hinüber und sagte dann:

»Jetzunder weiß ich gar nimmer, ob meine Augen auch noch richtig sehen können.«

»Nun, was sehen Sie denn?«

»Das sieht ja grad wie Gold aus, kanns aberst doch gar nicht sein!«

»Es ist Gold.«

»Dann ists ja ein Zwanzigmark- und nachhero noch ein Zehnmarkstuckerl!«

»Gewiß.«

»Aberst das kann doch nicht mir gehören sollen!«

»Warum nicht? Ich schenke es Ihnen.«

Er machte den Mund weit auf, schluckte und schluckte, als ob er Etwas drinnen habe, und sagte:

»Madame, wann ich mich nicht verrechnen thu, so sind das dreißig Markerln oder zehn Thalern!«

»Das ist richtig!«

»Und mein, mein solls sein! Sepp, Sepp, glaubst das etwan auch?«

»Freilich glaub ichs. Die Dame ist gut. Sie schenkt Dirs gern.«

»So will ich nur machen, daß ich schnell fortkomme, sonst könnts sich vielleichten gar schnell wieder anderst besinnen. Ich lauf zu meiner Frauen


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und zu meinen Kindern. Herrgott, wird das ein Jubel sein! Adjeh, Sepp, Adjeh, Madame! Behüts Gott alle Beid! Lebens recht wohl, und dank auch schön!«

Er nahm sich gar nicht Zeit, die Waldhütte zuzuschließen. Er rannte davon, so schnell seine alten Beine es ihm erlaubten.

»Da habens freilich eine Freuden angerichtet!« lachte der Sepp. »Der kanns halt brauchen!«

»Er soll noch mehr bekommen. Ist das nicht wieder eine Schickung Gottes, daß er diesen Mann und meinen Sohn so ganz in meine Nähe führt? Komm, Sepp, komm! Laß uns weiter gehen!«

Sie kehrten auf einem zweiten Waldpfade wieder nach dem Hauptwege zurück und folgten diesem bis zu der Brücke, welche über den Bach führte. Dort sahen sie Hohenwald vor sich liegen. Sie blieb stehen.

»Dort also, dort wohnt und lebt mein Sohn!« sagte sie, wie in Andacht die Hände faltend. »Dort ist die kleine, ärmliche Kirche, in welcher er nachher die Orgel spielen wird! Mein Gott, wie ist mir zu Muthe! So froh, so selig und doch so bang!«

Sie schritten über die Brücke. Da kam hinter den Büschen des anderen Ufers der König daher. Die Drei trafen auf einander. Sepp zog den Hut. Die Bürgermeisterin grüßte auch, blieb aber mitten im Gruße starr halten. Sepp beeilte sich, ihr zu sagen:

»Das ist der Herr Ludwig, der hier für ein paar Tage wohnt.«

»Ludwig!« stotterte sie. Dann machte sie eine tiefe Verneigung. »Majestät!«

»Bitte!« antwortete der Monarch. »Nicht Majestät! Ich will hier nicht erkannt werden. Wenn Sie mich kennen, so ersuche ich Sie um Discretion.«

Sie beugte sich abermals. Sepp meinte einfach:

»Das ist nämlich die Frau Bürgermeisterin von Steinegg da drüben. Sie will zu ihrem Sohn, dem Herrn Lehrern.«

»Wie? Ich denke, dieser ist ein Findelkind.«

»Ja, er ist schon ein Findelkind, aberst sie gehören dennerst zusammen, denn sie ist eine Findelmutter, weil ich sie funden hab.«

»Ich verstehe das nicht.«

»Frau Bürgermeisterin, soll ichs verzählen?«

Die Frau erröthete und erbleichte. Ihre Verlegenheit war eine ungeheure.

»Es handelt sich hier jedenfalls um eine discrete Angelegenheit,« sagte der König. »So sehr ich mich für den Lehrer interessire, kann ich doch nicht zugeben, daß der Sepp über Ihre privaten Angelegenheiten spricht.«

»Ach was!« rief der Sepp. »Wanns Eisen warm ist, so muß mans schmieden, sonst wirds wiederum kalt. Frau Bürgermeisterin, bedenkens, daß dera Max im Bayrischen geboren und auch da erzogen worden ist. Unsera königliche Majestäten haben also ein Wort mit drein zu sprechen, und es wird


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vielleicht niemalen wiedern vorkommen, daß Sie den guten, gnädigen Herrn so treffen wie grad jetzt in diesem Augenblick. Nehmens sich ein Herz, und redens von dera Leber weg. Er wird Sie nicht fressen. Dazu ist er doch gar zu gut und freundlich. Ich werd mich dabei zuruckhalten und fein hinterherkraxeln.«

Der König machte eine Wendung zum Weitergehen, und die Bürgermeisterin hielt dies für eine Aufforderung, sich an seiner Seite zu halten. Sie folgte derselben. Der Sepp ging in gehöriger Entfernung hinter ihnen her. Er schmunzelte höchst vergnügt vor sich hin und brummte:

»Sepp, bist doch ein Teufelskerlen! Alles bringst zu Stande, Alles! Jetzt hast sogar Die da auf den König hetzt. Nun wird das Ding mit dera Legitimationen gleich gehen wie geschmiert!«

In der Nähe des Dorfes blieben die beiden Voranschreitenden noch eine ganze Weile in ernstem Gespräch stehen. Der Sepp sah dann, daß die Bürgermeisterin weinend des Königs Hand ergriff und ihre Lippen darauf drückte. Der Monarch schien tief gerührt zu sein. Es lag jener tiefsinnig-wohlwollende Zug über sein Gesicht ausgebreitet, welchen man stets an dem hohen Herrn bemerkte, wenn sein Herz in Mitleidenschaft gezogen wurde. Er nickte ihr zu, schenkte auch dem Sepp einen Blick und schritt dann langsam weiter.

Er ging hinter dem Dorfe hinweg, an Das denkend, was ihm die Bürgermeisterin in tiefster Reue und unter strömenden Thränen erzählt hatte. Seine Stirn legte sich in Falten. War sie nicht zu rechtfertigen, so war sie doch zu entschuldigen, denn sie hatte nur unter dem Einflusse ihres krankhaften Zustandes sich des Kindes entledigt. Wer aber war jener Schurke, welcher ein vertrauensvolles Mädchenherz in solcher Weise hintergangen hatte? Jedenfalls ein Angehöriger der feinen Aristokratie, welche dem Volke doch als leuchtendes Beispiel gelten sollte. Er verdiente die strengste Strafe, und diese Strafe sollte ihm werden, falls es gelang, ihn zu entdecken.

So dachte der König. Es war ein wunderbar schöner Feiertagsmorgen. Die Sonne leuchtete in all ihrer Pracht. Die Lerchen trillerten. Vom Busch her ertönte lauter Finkenschlag. Der König hörte es nicht. Sein Herz war so tief traurig. Welch eine Fülle von Schmerz vermag eine einzige Menschenseele in sich zu fassen! Hier, dieses kleine Hohenwald, dieses weltvergessene, einsame Gebirgsnest, wie viel Sorge und Noth, wie viel Jammer und Elend, wie viel Schlechtigkeit und Verbrechen trug es versteckt in seinen Häusern! Und nun die weite, weite Erde - welche undenkbare Masse von Herzeleid hat sie zu tragen, während sie stolz und leuchtend in furchtbarer Eile um die Sonne rollt! Ist das Leben denn überhaupt werth, daß man es lebt? Ist das Hohe, das Edle, nach welchem der Erdensohn strebt, denn wirklich so erhaben? Verdient es die Wissenschaft, die Kunst denn wirklich, daß man ihr die Leiden, Entbehrungen und Anstrengungen seines ganzen Daseins opfert? Ist nicht der Augenblick, an welchem ein müdes Auge bricht, um das Aufleuchten einer besseren Welt zu erblicken, nicht der schönste, der beneidenswertheste im ganzen Leben? Ist der Tod nicht Erlösung von allem Uebel, und bedeutet


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nicht der Klang der Sterbeglocken einen Bewillkommungsruf aus höheren Sphären, wo die Seele Alles abgestreift hat, was - -

Er fuhr aus seinem Sinnen auf. Der Pfad hatte geendet und er stand vor der einstigen Flachsdörre. Die alte Feuerbalzern saß vor der Thüre auf einem Stein und flickte ein altes Tuch, welches kaum noch zu flicken war.

»Guten Morgen,« grüßte er.

»Guten Morgen,« dankte sie. »Der Herr hat sich gewiß verlaufen. Wo wollens denn halt hin, zu wem?«

»Ich geh nur spazieren.«

»So, dann sinds ein gar glücklicher Mensch. Unsereins kann nimmer spazieren gehn. Dazu giebts halt keine Zeit. Man muß schaffen, schaffen und immer schaffen, wann man nicht verhungern will.«

»Sind Sie so arm?«

»Arm? Du liebes Herrgottl! Wann wir nur blos arm wären, so wollt ich noch froh sein! Elend sind wir, die elendesten Leutln weit und breit.«

»Das wäre ja unaussprechlich traurig! Worin besteht denn Ihr Elend?«

»Das wissens nicht? Habens noch nimmer von der verrückten Feuerbalzern hört?

»Es ist mir, als ob man mir diesen Namen einmal genannt hätte. Aber Genaues weiß ich nicht.«

»Sie können es sogleich derfahren.«

Und er erfuhr es. Die einstige Balzerbäuerin war stets bereit, Jedermann ihre Noth zu klagen. Sie that es auch jetzt. Sie erzählte Alles. Sie erzählte am Schlusse auch, daß der neue Lehrer der Einzige sei, der sie nicht verachtet, sondern ihr die Hand gereicht habe und sogar mit ihr gegangen sei.

Während der Erzählung war der Balzer aus dem Hause getreten. Er starrte dem Könige in das Gesicht. Das Auge des hohen Herrn ruhte forschend auf ihm.

»Ihr Sohn hat nicht das Aussehen eines Verrückten,« sagte er. »Es ist, als ob die Intelligenz sich vergeblich anstrenge, hervorzubrechen. Wo hat ihn denn damals der Balken getroffen?«

»Auf den Kopf freilich.«

»Das haben Sie mir bereits gesagt. Aber an welche Stelle?«

»Das kann ich halt nicht wissen. Das hat doch nur dera Doctoren merken konnt.«

So schmutzig der Balzer aussah, der König legte ihm doch die Hand prüfend auf das wirre Haar.

»Freund, guter Freund!« stammelte der Kranke, indem er dankbar nach der anderen Hand des Königs haschte.

Der Letztere betastete mit den Fingerspitzen den Kopf. Balzer duldete es, ohne eine Miene zu verziehen. Plötzlich aber schrie er laut auf. Der König hatte eine Stelle getroffen, welche schmerzte.

»Das habe ich mir gleich gedacht, als ich Ihrem Sohne in das Auge


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blickte. Er leidet nicht an einem Wahngedanken; sein Geist schläft auch nicht, sondern ist von einem physischen Drucke mit aller Gewalt niedergehalten.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Ich meine, die verletzte Stelle seines Kopfes ist noch gar nicht geheilt; darum wird sein Geist verhindert, normal thätig zu sein. Wenn diese Stelle zur Heilung gebracht wird, so wird Ihr Sohn auch geistig gesunden. Er wird nicht mehr irr im Kopfe sein.«

Da blitzten ihre Augen auf. Sie warf das Tuch von sich, stand von dem Steine auf und fragte:

»Nicht mehr irr wird er sein? Er wird dann denken können und auch sprechen?«

»Ich bin kein Arzt und kann also nichts behaupten, aber ich vermuthe, daß ich Recht habe.«

»Und könnt er sich dann auch auf Alles besinnen, was damals in jener Nacht geschehen ist?«

»Ich glaube es.«

»Und er könnt es uns verzählen?«

»Gewiß.«

»Herrgott! Wärs möglich? Das ist das erste Licht, was ich leuchten seh. Wann doch die Stelle heilen thät! Dann käms heraus, wo unser Geld ist, und wer das Haus anbrennt hat. Warum sinds doch kein Arzt! Warum!«

Der König hatte jetzt die Stelle abermals berührt. Balzer stieß einen Weheruf aus und bat:

»Nimms hin, nimms hin! Ich sag ja nix. Gnade, Gnade!«

Dann, als der König die Hand von ihm nahm, rannte der Jammernde eiligst davon, um den Schmerz nicht etwa nochmals leiden zu müssen.

Der König blickte ihm sinnend nach und erkundigte sich dann:

»Ist denn nie ein Arzt auf denselben Gedanken gekommen, den ich soeben ausgesprochen habe?«

»Nein. Unsere Aerzten haben nie nix taugt. Und von fremd her einen klugen kommen lassen, das können wir nicht. Wir haben ja keinen einzigen Pfennig dazu.«

»Es soll ein kluger herkommen. Ich werde ihn rufen lassen.«

»Sie? Sie? Für uns? Sie wollen zahlen?«

»Ja, und zwar bald. Morgen bereits soll er hier sein.«

Da stürzte sie sich auf seine Hände, ergriff beide und bedeckte sie abwechselnd mit Küssen.

»Ists wahr? Ists wahr?« rief sie dabei. »O, ich weiß halt nicht, wers sind, aberst für uns sinds ein Engel, ein guter Engel vom Himmeln herab. Thun Sie's, ja thun Sie's! Wir können Ihnen freilich nix dafür geben, aberst dera Herrgott wirds Ihnen vergelten im Himmeln und in dera Seligkeiten!«

Er wehrte sie von sich ab.


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»Wer wohnt noch in diesem Hause?«

»Dera Finkenheiner mit den Seinigen.«

»Ist er daheim?«

»Ja. Da droben steht er ja bereits am Fenstern und schaut herab auf uns.«

»So will ich ihn einmal aufsuchen.«

Er stieg die Treppe empor. Droben öffnete der Heiner bereits die Thüre.

»Der Herr Ludewigen,« sagte er. »Das ist gar schön, daß Sie mal zu uns kommen. Ich bin mit dem Sohn allein. Die Liesbeth ist mit -« er wollte sagen »mit ihrer Mutter«, schluckte aber die Worte wieder zurück - »nach dera Mühlen gegangen. Hier ist mein Bub, dens den Elephantenhannes nennen, weil er so gern so große Thieren malt.«

Der Jüngling saß bleich und matt wie gewöhnlich in seinem Stuhle. Er hatte ein von dem Lehrer geliehenes Buch vor sich. Seine großen, intelligenten Augen richteten sich mit demüthig forschendem Blick auf die gewaltige Persönlichkeit des Königs. Dieser winkte ihm freundlich zu und fragte:

»Könnte ich nicht vielleicht Etwas sehen, was Sie gezeichnet haben, junger Freund?«

»O, sehr Viel!« antwortete Heiner an Stelle seines Sohnes. »Das steht auf vielen hundert Blättern.«

Das Gesicht des Sohnes war leicht geröthet. Er machte eine abwehrende Handbewegung gegen den Vater und sagte:

»Nein, das zeig ich nicht mehr her. Das taugt ja Alles nix, gar nix. Das hab ich einsehen, seit der Herr Lehrern mich unterrichtet und seit ich in seinen Büchern les. Das neue, das Pastellenbild, wird wohl besser; aberst ich kanns auch noch nicht herzeigen, denn es ist noch nicht fertig.«

»Ich will Sie keineswegs dazu zwingen,« sagte der König. »Aber ich darf vielleicht erfahren, welchen Gegenstand es behandelt.«

»Ja, das kann ich schon sagen. Ich hab ein Bild zu zeichnen über ein Gedichten, welches dera Herr Lehrern macht hat.«

»Erlauben Sie mir, es zu lesen?«

»Er wird wohl nix dagegen haben, wann ichs Ihnen mal zeig.«

»Geben Sie es mir getrost! Ich werde es bei ihm verantworten. Wir sind gute Freunde.«

»So sollen Sie es gern haben. Hier ists.«

Der König erhielt das Blatt. Er las:

»Es treibt die Fanna heimathlos
   Auf der bewegten Fluth,
Wenn auf dem See gigantisch groß
   Der Talha Schatten ruht.

Er breitete die Netze aus
   Im klaren Mondenschein,
Sang in die stille Nacht hinaus
   Und träumte sich allein.


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Da rauscht' es aus den Fluthen auf
   So geistergleich und schön;
Er hielt den Kahn in seinem Lauf
   Und ward nicht mehr gesehn.

Nun treibt die Fanna heimathlos
   Auf der bewegten Fluth,
Wenn auf dem See gigantisch groß
   Der Talha Schatten ruht.«

Der König ließ die Hand, in welcher er das Blatt hielt, langsam niedersinken und blickte still durch das niedere Fenster hinaus. Die Anwesenden sagten kein Wort. Der Ausdruck seines Gesichts sagte ihnen deutlich, daß er jetzt im Geiste mit dem Inhalte der soeben gelesenen Strophen beschäftigt sei. Sein Auge hatte einen sinnenden und doch beinahe begeistert glänzenden Blick. Er nickte dann leise und wie zustimmend mit dem Kopfe und sagte:

»Wer es nicht versteht, der kann dieses Gedicht nicht würdigen. Es ist ein geistreiches Gemälde einer südlichen, fremdartigen Landschaft, in kurzen, kräftigen und doch so tief durchdachten Worten - ein Meisterstück, welches eben nur von Meistern beurtheilt werden kann.«

Das hatte er wie zu sich selber gesagt. Dann wendete er sich wieder zu dem Elephantenhanns:

»Und nach diesen Worten wollen Sie ein Gemälde anfertigen, mein junger Freund?«

»Ja,« nickte der Gefragte. »Eine Pastellzeichnung.«

»Und haben weder eine Akademie besucht noch irgend einen namhaften Künstler zum Lehrer gehabt! Wissen Sie, daß Sie sehr kühn sind?«

»Ja, das weiß ich halt gar wohl, und darum zeig ich das Bild auch keinem Menschen. Nur dera Herr Lehrern darf es sehen.«

»So! Das ist bei aller Kühnheit doch bescheiden und vorsichtig.«

»Freilich, vorsichtig muß man halt bei einer solchen Sachen sein, wenn man nicht auslacht werden will.«

»Nun, ob Sie ausgelacht werden würden, das bezweifle ich doch. Ich glaube nicht, daß es hier irgend Einen giebt, der das Zeug hätte, über einen Versuch lachen zu dürfen. Daß Sie sich an ein so schwieriges Sujet wagen, beweist, daß Sie entweder ein großer Dummkopf sind oder Genie besitzen. Wenn ich Sie so ansehe, möchte ich glauben, daß das Letztere der Fall sei.«

Hanns erröthete.

»Das sagens halt gar schön,« meinte er. »Aberst ein Genie bin ich wohl nimmer. Es liegt mir im Blut, daß ich zeichnen muß. Ich kann nicht anders. Es ist wie beim Rothkätherl oder beim Zeißig; die müssen singen, weils in dera Naturen bei ihnen liegt. Sie sind ganz traurig, wenns nicht singen dürfen, und auch ich fühl mich ganz elend, wenn ich kein Papieren mehr hab und keinen Bleistiften. Ich möcht ohne das Bildermachen halt gar nimmer leben.«


Ende der fünfunddreißigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

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