Der Weg zum Glück - Teil 50

Lieferung 50

Karl May

9. Juli 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Freilich nicht.«

»Und uns geht die Sache gar nichts an. Oder vielleicht doch Ihnen?«

»Beileibe nicht! Was denkens von mir!«

Dem Müller war es außerordentlich unlieb, daß sich der alte Wurzelhändler hatte hinsetzen dürfen. Er konnte nun den Fremden nicht nach dem Silberbauer ausfragen. Und wie nun, wenn der Sepp anfing zu plaudern, z. B. von dem Zigeunergrabe? Dann war es ja gleich verrathen, wo der andere Müller wohne, welcher vergebens gesucht worden war. Dieser Gedanke versetzte den Thalmüller in förmliche Angst.

Der schlaue Sepp zog, indem er sich setzte, ganz unbemerkt den Brief aus der Tasche, ließ seinen Hut wie aus Versehen fallen, bückte sich, um ihn aufzuheben, und legte dabei dem Assessor den Brief auf die Kniee, ohne daß der Müller es sehen konnte. Dann begann er sofort ein Gespräch, um die Aufmerksamkeit des Müllers auf sich zu lenken.

Der Assessor bemerkte die Absicht, zog sein Messer hervor, schnitt das Couvert auf, nahm den Brief hervor, las ihn und steckte ihn wieder in den Umschlag; das geschah Alles unter dem Tische und ohne daß der Müller eine Ahnung davon hatte, daß sein Brief sich jetzt noch so sehr in seiner Nähe befand.

»Ja,« meinte der Sepp im Laufe des Gespräches, als er bemerkte, daß der Assessor fertig sei, »hier in dera Thalmühlen kehr ich halt allemalen sehr gern ein. Jetzund fehlt mir freilich dera Fex ein Wenig. Ich hab immer gar zu gern ein klein Wengerl mit ihm plaudert. Weißts nicht, wie es ihm geht?«

»Wie solls ihm gehen? Ferien hat er und lauft in der Welt herum, immer hinter denen Dirndeln her,« antwortete der Müller zornig.

»Hinter den Dirndeln? Das glaub ich nicht. Dera Fex ist ein gar solidera Kerl!«

»Ja, das hab ich heut wieder sehen! Hier im Wald ist er gewest, und dera Paula ist er nachlaufen. Wann ich ihn derwisch, so kann er sich gefaßt machen!«

»Was! Hier ist er? Das ist schön! Das kann mich gefreuen! Da muß ich ihn nachhero aufsuchen!«

»Kannst auch gleich jetzunder gehen! Ich brauch Dich hier nicht.«

Das war ein Wink mit dem Zaunspfahl; der Sepp aber that, als habe er ihn gar nicht verstanden. Er antwortete:

»Nein, erst muß ich was ausruhen. Weißt, Müllern, ich hab heut bereits einen sehr guten Weg macht. Da bin ich müde. Im Alter wollen halt die Knochen nimmer so gehorchen wie in dera Jugend, wo man gleich am Liebsten alle Tagen durchs ganze Vaterland Bayern einen Walzer oder Galoppen tanzen thät.«

»Ja, so geht mirs auch. Wo aberst kommst denn heut schon her, weilst gar so müd bist?«

»Droben von Hohenwald her.«


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Das war dem Müller sehr recht. Da konnte er sich doch erkundigen. Das geschah auch sofort, indem er fragte:

»Bist blos durch den Ort gangen oder einen Tag da blieben?«

Der Assessor warf dem Sepp einen warnenden Blick zu, damit derselbe keinen Fehler machen solle. Der Alte bemerkte diesen Blick, lächelte in seiner eigenartigen Weise, drehte lustig die Spitzen seines Schnauzbartes empor und antwortete:

»Einen Tag nur? Nein, mehrere Tagen bin ich da gewest.«

»So! Giebts nix Neues droben?«

»Gar viel.«

»Nun, was denn? Verzähl einmal!«

»Du verinteressirst Dich wohl für das alte Dorf, Thalmüllern?«

»Ein Wenig.«

»So! Nun, das Neueste ist dera neue Schullehrern, der da ist.«

»Wird auch was Rechtes sein! Was für eine Sorten dahin kommt, das weiß man.«

»Ja, aberst grad dieser ist ein gewaltig tüchtiger Kerlen.«

»Meinst? Nun, was wird er anderst werden als dera Schreibknecht von dem Silberbauern!«

»Da hast Dich schon geirrt. Er hat gleich am ersten Tag dem Silberbauern und dem Silberfritzen den Meister zeigt. Er hat sie alle Beiden zu Boden rauft.«

»Das ist nicht wahr!«

»Pah! Alle Welt weiß es, denn das halbe Dorf ist dabei gewest.«

»So muß es ein Riesen Goliath sein.«

»Nein; er ist nicht groß, aberst ein tüchtiger Kerlen. Er hat dem Silberbauern gleich ins Gesicht sagt, daß dieser ihm nix zu befehlen hat und daß er ihm zeigen werde, was ein Lehrern zu bedeuten hat. Er hat Wort gehalten, und wanns so fort geht, so bringt er denen Silberbauern aus dem Silberhof hinaus und - - -«

»Unsinn!« rief der Müller.

»Und dafür ins Zuchthausen hinein!« fuhr der Sepp ruhig fort.

»Bist wohl nicht gescheidt im Kopf!«

»Gescheidter als Du!«

»Dera Silberbauern ins Zuchthaus!«

»Freilich! Sein Sohn, dera Silberfritzen befindet sich schon bereits im Gefängniß.«

Jetzt wurde der Müller blaß wie eine Wand.

»Ists wahr?« fragte er.

»Ja. Ich selbst habs sehen, als er fortschafft worden ist.«

»Warum denn?«

»Weil er seinen Vatern holfen hat, auszureißen.«

»Auszureißen? Ich versteh Dich halt nicht!«


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»Kennst denn das Wort nicht mehr? Es heißt halt so viel wie entfliehen. Dera Silberbauer hat die Flucht dergriffen.«

Der Müller hielt sich an den Seitenlehnen seines Stuhles an.

»Die Flucht dergriffen!« stieß er hervor. »Warum denn? Wer die Flucht dergreift, muß doch gefangen gewest sein.«

»Das ist er ja auch.«

»Sepp, was fallt Dir ein! Was machst da für einen dummen Scherzen!«

»Ich verzähl nur die Wahrheiten, denn ich bin ja mit dabei gewest und hab Alles mit macht und mit sehen.«

»Warum habens ihn denn fangt?«

»Weil er dem Feuerbalzern sein Haus anbrannt hat und den Balzer selbst hat derschlagen wollen. Das ist nun an den Tag kommen. Und sodann soll er auch in dera Türkeien mehrere Verbrechen verübt haben.«

»Mein Himmel! So ist er nicht daheim? So ist er auf dera Flucht?«

Ihm war es darum zu thun, daß nun der Fingerlfranz den Brief nicht abgeben konnte.

»Ja, auf dera Flucht befindet er sich.«

»Und Niemand weiß, wohin?«

»Wissen thut mans nicht, aberst denken kann man es sich.«

»So! Was meinst?«

»Deshalb eigentlich komm ich zu Dir. Ich will Dich warnen, weil ich ein guter Freund von Dir bin. Man hat nämlich dacht, daß er zu Dir gehen werd.«

In diesem Augenblicke dachte der Müller, daß dies vom Silberbauern sehr klug gehandelt sein würde, laut aber sagte er:

»Wer das denkt, der ist ein großer Dummkopf!«

»Warum?«

»Was wollt dera Silberbauer bei mir?«

»Nun, Ihr seid doch immer die besten Freunde mit nander gewest.«

»Das denkst nur, weil wir einige Malen einen kleinen Handel mit nander habt haben.«

»Aberst wohl lange nicht mehr?«

»Viele Jahren nicht. Ich hab denen Silberbauern wohl an die fünf Jahren nicht mehr sehen.«

»Hm! Jetzund bist Du es, der einen Spaßen macht!«

»Ich? Wieso?«

»Weilst sagst, daß er Dir in so vielen Jahren nicht mehr vor die Augen kommen ist.«

»Das ist auch wahr.«

»So! Denk mal nach! Vielleicht besinnst Du Dich doch noch anderst.«

»Das ist nicht möglich.«

»Er ist doch vor nur einigen Tagen bei Dir wesen.«

»Nein.«


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»O doch. Er hat bei Dir einen Kasten holt. Er war mit dem Fuhrwerk da.«

Jetzt war es dem Müller, als ob jemand ihm mit dem Stocke einen Hieb über den Kopf herüber gegeben hätte. Sollte er leugnen oder nicht? Er hatte einmal Nein gesagt und mußte nun auch dabei bleiben. Er antwortete also:

»Da hat man Dich wohl falsch berichtet.«

»Nein. Man hat mir die Wahrheiten sagt.«

»Oho! Wer denn?«

»Dera Silberbauern selberst.«

»So hat er einen Scherz macht.«

»Ich möcht halt wissen, aus welchem Grund er sagen sollt, er sei bei Dir gewest, wann es nicht wahr sein thät.«

»Er muß doch einen solchen Grund haben.«

»Ich bin aberst doch selberst mit ihm fahren. Ich bin da draußen auf dera Waldschänk aufstiegen. Ja, ich weiß sogar, was er bei Dir holt hat.«

»So! Was denn, he?«

Diese Frage kam vollständig klanglos hervor. Der Müller sah aus, als ob er im nächsten Augenblick in die Ohnmacht fallen werde.

»Was denn? Das fragst auch noch! Geld hat er holt, viel Geld!«

»Das ist nicht wahr!«

»Oho! Ich habs sehen. Lauter Goldstückerln aus dera Türkeien sinds gewest.«

»Oh, oh - - - ah!« stöhnte der Müller.

»Was ists? Was hast?« fragte der Alte im Tone der Besorgniß.

»Nix ists, gar nix! Meine Füßen thaten mir ganz plötzlich weh! Weißt, wann die Gicht so mal plötzlich kommt, da ists gar nimmer auszuhalten.«

»Ja, diese Gichten kennt man sehr genau. Man glaubt gar nimmer wie schnell sie kommen kann. Sie ist allemalen da, wenn mans gar nicht denkt hat. Und dann macht sie gar große Schmerzen. Wie viel hat Dir dera Silberbauern denn für das viele Gold geben?«

»Ich weiß ja gar nix davon!«

»Sei still! Er hats mir doch sagt!«

»Laß mich aus! Es ist nicht wahr!«

»O doch! Dreißigtausend Markln hat er Dir geben, und sechstausend hat er verdient.«

»Wa - wa - wa - was!« stotterte der Müller. »Ich begreif - - Dich gar nimmer.«

»Thu nur nicht so! Wirst mich halt schon ganz gut begreifen. Du weißt ja, daß ich Recht hab.«

Da nahm der Müller seine ganze Kraft zusammen, um zu leugnen. Er rief im zornigsten Tone:

»Jetzund willst mich wohl gar mit dem Silberbauern seinem Thun und Treiben zusammenbringen? Das ist eine Schlechtigkeiten von Dir, eine große


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Schlechtigkeiten, die Dir gar niemals vergeben werden kann. Ich hab denkt, daßt ein so großer Freunden von mir bist, und nun seh ich, daß ich Dich zu meinen allergrößten Feinden rechnen muß!«

»Reg Dich nicht aufi, Thalmüllern!« warnte der alte Sepp. »Ich bin noch heut ein gutern Freund von Dir, und darum ists von Dir nicht recht, daßt mir so eine Lügen vormachen willst. Ich weiß doch ganz genau, daß das wahr ist, was ich von Dir sage.«

»Eine Lügen ists, weiter nix! Du hast sie Dir aussonnen, um mir Schaden zu machen!« fuhr er grimmig auf.

»Ich hab mir nix aussonnen. Was ich weiß, das weiß ich von dem Silberbauern.«

»So hat der Dich belogen.«

»Das glaub ich nicht. Ich hab doch die vielen Goldstuckerln mit meinen eigenen Augen sehen.«

»Das mag meinswegen wahr sein; aberst von mir sind sie nicht gewest!«

»So! Und geschrieben hast ihm wohl auch nicht, daß er sie holen soll?«

»Nein, nein, nein!«

»Er sagts aber doch!«

»Das ist eine teuflische Lügen!«

»So! Nun, den Briefen hab ich ja auch lesen. Verstehst mich gut?«

»Was, Du hättst einen Brief lesen von mir!«

»Ja. Du hast ihm schrieben, daß Du nimmer sicher bist, weil die Papieren und die Photographieen weg ist aus Deinem Stuhl. Er soll kommen und das Geldl holen; Du willst ihm einen Profiten davon geben.«

Der Müller bot einen gradezu unbeschreiblichen Anblick. Das Blut trat ihm in das Gesicht, so daß dieses dunkelroth wurde.

»Diesen - Brief - hab ich - nicht schrieben!« stammelte er. »Ich weiß - - nix davon - gar nix - kein Wort!«

»Und wohl auch davon weißt nix, daß er Dir eine telegraphische Depeschen schickt hat, in welcher stand, daß er morgen kommen will, um 11 Uhr Vormittags?«

Das war denn doch zu viel! Der Müller wollte antworten, konnte aber nicht. Die Sprache versagte ihm. Er schluckte und schluckte, brachte aber nichts hervor als einige unarticulirte Laute.

»Nun, so gieb doch eine Antworten!« sagte der Sepp.

»Ich - ich - - kann nicht!«

»Ja, das glaub ich gar wohl. Wenn man hört, daß solche Beweisen gegen Einen vorliegen, so kann es Einem schon die Sprachen nehmen. Aberst Du hast ja Zeit. Versammle Dich nur. Ich kann ja warten!«

Der Müller zitterte am ganzen Körper. Seine Lippen bebten. Man hörte seine Zähne gegen einander schlagen. Er blickte mit blutunterlaufenen Augen bald rechts und bald nach links, als ob er von daher Hilfe erwartete.


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Er sah ein, daß er doch Etwas sagen müsse; darum stammelte er mit heiserer Stimme:

»Warum thust mir das an! Warum verzählst da solche Sachen!«

»Weil Du selberst von ihnen anfangt hast.«

»Das ist nicht wahr!«

»Oho! Hast mich nicht nach Hohenwald fragt und nach dem Silberbauern?«

»Weil ich nicht denkt hab, daßt nun von solchen Dingen reden wirst. Schau doch mal diesen Herrn da an! Wie der mich anblickt! Grad als ob ich ein großer Verbrechern wär!«

»O, daran sind meine Worten nimmer schuld. Dieser Herr weiß allbereits auch ohne mich, was er von Dir zu halten hat.«

Der Assessor hatte bisher diesem Gespräche ruhig zugehört, denn er bemerkte, daß der alte, kluge Sepp ganz logisch vorging. Jetzt nun, bei den letzten Worten desselben, mußte er befürchten, daß der Wurzelhändler verrathen werde, daß er, nämlich der Assessor, ein Gerichtsbeamter sei, und das durfte noch nicht geschehen. Darum fiel der Letztere ein:

»Ich habe allerdings bereits Einiges über Sie gehört, Thalmüller. Aber was jetzt der Sepp sagt, das erfüllt mich doch mit größter Entrüstung.«

»Nicht wahr!« stimmte der Müller bei. »Ja, man muß ganz entrüstet sein bei denen Schlechtigkeiten, die er sagt.«

»So habe ich es freilich nicht gemeint, sondern ich wollte sagen, daß ich entrüstet bin gegen Sie.«

»Gegen mich? Das kann mich groß verwundern!«

»So! Auch noch!«

»Ja. Ich hab ihm doch gar nix than!«

»Dem Sepp mögen Sie allerdings nichts gethan haben; aber das, was er von Ihnen erzählt, das ist jedenfalls wahr.«

»Nein. Es ist die größte Lügen!«

»Pah! Man sieht es Ihnen doch an! Uebrigens mache ich Sie aufmerksam auf die Bemerkung, welche ich Ihnen beim Beginne unseres Gespräches gemacht habe. Wir spielen Versteckens, und ich sagte Ihnen, daß Sie das mit mir nicht aushalten würden. Jetzt sehen Sie ein, daß ich Recht hatte. Wir sprachen von dem zweiten Slatinaer Müller, und Sie thaten, als ob Sie den Mann gar nicht kannten. Nun aber sind Sie es selber!«

»Nein, nein! Der bin ich nicht.«

»Ach so! Sie sind also wirklich niemals in jene Gegend gekommen?«

»Nein.«

»Sind wohl niemals aus Bayern fortgewesen?«

»Nein.«

»Hören Sie, das ist eine offenbare Lüge. Es wird sehr leicht nachzuweisen sein, wo Sie sich früher befunden haben!«

Jetzt meinte der Müller, daß er doch anders auftreten müsse. Er sagte also:


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»Und wann ich fortgereist wäre, was geht es Ihnen an!«

»Jetzt freilich nichts. Aber wenn ich nun die Gerichte benachrichte, daß jener Müller, welcher gesucht wird, gefunden worden sei?«

»So ist das eine Sach, mit welcher Sie gar nix zu thun haben. Man wird Sie abweisen.«

»Das glaube ich schwerlich. Man wird Sie arretiren, und dann ists um Sie geschehen. Man wird Ihnen nachweisen können, daß Sie in Slatina gewesen sind.«

»Das kann Keiner.«

Jetzt gab der Assessor dem Sepp einen Wink. Dieser stand auf, trat bei Seite, so daß der Müller es nicht bemerken konnte, und gab dem Fex das besprochene Zeichen.

»Wie kommt es dann, daß Sie mit Personen verkehren, welche aus jener Gegend stammten?« fragte der Assessor.

»Das hab ich nicht than. Ich weiß keine.«

»Besinnen Sie sich!«

»Ich brauch gar nicht nachzudenken; ich weiß keine. Das ist sichern und gewiß.«

»So! Also ist die Amme Mylla nicht hier bei Ihnen gewesen?«

»Nein.«

»Und es giebt wohl auch kein Zigeunergrab hier in der Nähe?«

»Da giebts wohl eins. Aberst Diejenige, welche darinnen liegt, die hab ich nicht kannt.«

»So, so! Aber ihren Sohn haben Sie gekannt?«

»Ja, den hab ich zu mir nommen und ihn bei mir erzogen.«

»Diese Erziehung soll eine sehr eigenartige gewesen sein. Sie wissen also ganz genau, daß er der Sohn jener Todten ist, welche da oben vergraben liegt?«

»Ja.«

»Er hatte keine andern Eltern? Vielleicht war sie nur seine Amme.«

»Nein, sie ist seine Mutter gewest. Sappermenten! Da kommt er ja gleich selberst. Fast kennt man ihn nicht!«

Er hatte zwar den Fex kommen sehen, ihn aber für einen ganz Andern gehalten. Er war ja gewohnt gewesen, seinen Fährmann nur barfuß und in zerlumpten Kleidern zu erblicken. Nun aber, als der Fex ganz herangetreten war, erkannte er ihn. Der Letztere verbeugte sich gegen den Assessor und setzte sich sodann auf den vierten Stuhl, welcher an dem Tische stand.

»Also Sie kennen diesen jungen Herrn?« fragte der Assessor den Müller.

»Natürlich! Das ist ja dera Fexen, von welchem wir reden.«

»Und dem Sie so zornig sind, weil er mit Ihrer Tochter gesprochen hat!«

»Ja, das muß ich mir verbitten! So Etwas kann ich nicht dulden. Von München herbei kommen, um der Paula den Kopf zu verdrehen, dazu geb ich


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mein Dirndl nicht her! Hörst, Fex! Wannst Dich nochmals derblicken läßt, so - - -«

»Schweigen Sie!«

Es waren nur diese beiden Worte, welche ihm der Fex zurief. Aber es lag in dem Tone, in welchem sie gesprochen wurden, und in dem Blicke, welchen der junge Mann ihm dabei zuwarf, eine Gewalt, welche dem Müller sofort den Mund schloß. Er fuhr zurück, betrachtete den Fex mit einem Blicke, in welchem Zorn, Haß und doch auch Furcht mit einander stritten, und sagte dann:

»Na, na! Man wird doch mit Dir reden dürfen!«

»Aber in einem andern Tone! Ich habe aufgehört, Ihr Sclave und Sündenbock zu sein!«

»Was? Sclave und Sündenbock! Hab ich Dich nicht erzogen, Dir Nahrung geben und Dich kleidet und stets gut behandelt?«

»Ich danke! Darüber wollen wir gar nicht sprechen. Sie haben wohl über die Angelegenheit bereits mit ihm verhandelt, Herr Assessor?«

Der Gefragte nickte. Er hatte eigentlich eine hörbare Antwort geben wollen, aber das Wort war ihm zwischen den Lippen stecken geblieben, als er die Wirkung sah, welche der Titel, welchen der Fex ausgesprochen hatte, auf den Müller machte.

Dieser war erst erbleicht, daß sein Gesicht ausgesehen hatte wie dasjenige eines Todten; dann aber schoß ihm das Blut gegen den Kopf, so daß sein Gesicht glühend roth wurde.

»Assessor!« stammelte er. »Ist das wahr? Ein Assessor sinds?«

»Ja,« nickte ihm der Beamte zu.

»Also kein Getraidehändler! Warum habens das nicht vorher sagt!«

»Eben weil wir mit einander Versteckens spielen wollten. Jetzt werden Sie nun wohl einsehen, daß Sie verloren haben.«

Da bäumte sich der Müller förmlich auf. Er schlug mit beiden Fäusten auf den Tisch und schrie:

»Jetzunder ists aus! Nun ists alle! Es muß ein End haben! Ich duld das nicht. Was wollens von mir? Was habens hier zu suchen! Machens sogleich, daß Sie fortkommen, Sie und auch hier diese beiden andern Lumpen!«

»Bitte, Müller, sprechen Sie in einem andern Ton zu uns!« warnte der Assessor. »Ich erkläre Ihnen hiermit, daß ich kraft meines Amtes bei Ihnen bin, um mich über gewisse frühere Geschichten zu informiren. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich ein ehrerbietiges Verhalten und wahrheitstreue Antworten von Ihnen verlange, widrigenfalls ich diejenigen Maßregeln ergreifen werde, welche ich für geeignet halte, Sie in die Schranken zurückzuweisen, die Ihnen nach den vorliegenden Verhältnissen gezogen werden müssen.«

Diese im ernstesten Amtstone vorgebrachten Worte versäumten nicht, ihre Wirkung zu thun, aber nur einen Augenblick. Zunächst ließ der Müller seinen Kopf hintenüber sinken. Er schnappte


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nach Luft. Es ging dann aber sofort ein eigenthümliches Leuchten über sein Gesicht, und er sagte in ruhigem aber höhnischem Tone:

»So! Also ein Herr Assessorn sinds also, und ein Verhör wollens anstellen mit mir?«

»Ja.«

»Hier, am Biertisch?«

»Es beliebt mir, diesen Ort zu wählen.«

»Vor denen beiden Menschen hier?«

»Ja, denn ich brauche ihre Aussagen.«

»Aberst ich brauch sie nicht. Und zu einer solchen Puppenkomödie giebt sich dera Thalmüllern doch nimmer her!«

»Sie werden sich wohl fügen müssen!«

»So? Wer will mich zwingen?«

»Ich!«

»Oho! Sind Sie denn auch dera richtige Kerlen dazu?«

»Ich denke es. Uebrigens kann ich Ihnen ja meine Legitimation und Vollmacht vorzeigen.«

»Diesen Wisch lassens mir gern in dera Taschen stecken! Mit ihm erreichens bei mir gar nix! Da könnt ein jeder Lump kommen, einen Wisch vorzeigen, den er funden oder stohlen hat, und sagen, ich bin dera Herr Assessoren, und Du mußt Dich von mir verhören lassen! Nein, da kennens denen Thalmüllern schlecht, mein guter, fremder Mann. Der macht da nicht mit!«

»So!« lächelte der Beamte. »Welche Legitimation verlangen Sie denn von mir?«

»Gar keine! Mit Ihnen hab ich nix zu thun, gar nix. Wir sind mit nander fertig. Sie sind gleich mit Lügen zu mir kommen, und mit solchen Leuten hab ich keinen Verkehr. Wann ein Herr von unserm Gericht hier oder einer von dera Polizeien kommt, den ich kennen thu, so weiß ich, daß ich zu gehorchen hab. Sie aberst machen mir keine Wippchen vor. Ich werd mich in meine Stuben fahren lassen. Sie können dann Ihre Suppen mit nander weiter kochen.«

Er griff zu der bekannten Klarinette, welche an seinem Rollstuhle hing, und blies hinein. Sofort trat eine Magd aus der Thür und blickte fragend zu ihm her.

»Fahr mich hinein!« gebot er ihr.

Sie kam her. Der Assessor zog ein kleines Pfeifchen aus der Tasche und gab damit ein kurzes, schrilles Zeichen. Dann wendete er sich an die Magd:

»Sie können wieder gehen. Der Müller wird sich von einer andern Person bedienen lassen!«

Die Magd wollte sich entfernen.

»Bleibst gleich, alberne Dirn!« schrie der Müller sie an. »Wer ist dera Herr hier in dera Mühlen? Wem hast zu gehorchen!«

Sie wollte wirklich den Stuhl ergreifen, um den Befehl ihres Dienstherrn


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auszuführen; aber da deutete der Assessor auf den eiligst herbeikommenden Gensdarm, welchem das Signal gegolten hatte und sagte ihr:

»Hier kommt die Bedienung des Müllers. Treten Sie also ab!«

Als sie den Gensdarm erblickte, erschrak sie und machte sich schleunigst aus dem Staube.

»Jetzt sehen Sie einen Polizeibeamten, den Sie kennen,« sagte der Assessor zum Müller. »Ich habe Ihnen Ihren Willen gethan und bin überzeugt, daß Sie nun gehorchen werden. Thun Sie das nicht, so verschlimmern Sie Ihre Lage.«

»Alle tausend Teufeln! Soll ich etwan gar verarretirt werden!«

»Das wird ganz auf Ihr Verhalten und auf das Ergebniß der kurzen Unterredung ankommen, welche ich nun noch mit Ihnen zu führen beabsichtige.«

»Wollens mich etwan weitern ausfragen?«

»Ja.«

»So erhaltens freilich keine Antwort, keine einzige!«

»Schön! Sie zwingen mich also, Sie sofort nach einem Orte bringen zu lassen, an welchem man Sie zwingen kann, Antwort zu geben.«

Er gab dem Gensdarm einen Wink. Dieser ergriff den Rollstuhl, drehte denselben vom Tische ab und that, als ob er nun den Müller fortfahren wolle, der Stadt entgegen.

»Halt, halt!« schrie dieser. »Was soll hier vorgehen! Wohin soll ich bracht werden?«

»Ins Gefängniß,« antwortete der Assessor. »Als Verarretirter? Als Verbrecher?«

»Natürlich!«

»Gleich so? Hier auf meinem Stuhl? Ohne daß ich vorher erst noch mal hinein in die Mühlen gehen kann?«

»So wie Sie da sitzen, werden Sie fortgebracht. Vorwärts also! Fort mit ihm!«

Der Gensdarm setzte sich mit dem Rollstuhle in Bewegung.

»Halt!« schrie da der Müller. »Das geht nicht! Ich hab vorher erst noch die Mühlen und das Geschäft in Ordnung zu bringen.«

»Schweigen Sie!« warnte ihn der Gensdarm. »Sonst lege ich Ihnen Fesseln und auch einen Knebel an!«

»Dableiben, dableiben! Ich will ja antworten!«

Er sah also doch ein, daß der Widerstand ihm nur schädlich sei.

»Gut! Bringen Sie ihn noch einmal her,« gebot der Assessor. »Ich will versuchen, ob sich mit ihm sprechen läßt. Wenn nicht, so wird er fortgeschafft, und dann helfen aber alle weiteren Bitten nichts mehr.«

Es war ein wirklich widriger Anblick, welchen der Müller bot, als er nun wieder an dem Tische saß. Blutroth im Gesicht, schnaufte er vor Aufregung wie ein Thier. Es war zum ersten Male in seinem Leben, daß sein gewaltthätiger Character bezwungen wurde, sich den heiligen Normen des Gesetzes zu beugen.


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»Also, machen wir es kurz,« begann der Assessor. »Waren Sie früher einmal in Slatina?«

»Nein.«

»Haben Sie mit dem sogenannten Silberbauer in Geschäftsverkehr gestanden?«

»Ja.«

»Ihm türkisches Gold verkauft?«

»Nein.«

»Ihm auch keinen darauf bezüglichen Brief geschrieben?«

»Das ist mir nicht einfallen.«

»Auch keine Depesche von ihm erhalten, welche sich auf dieses Geschäft bezog?«

»Nein. Ich hab ein solches Geschäft gar nicht machen konnt, weil ich niemalen ein türkisches Geld sehen oder gar in meiner Hand habt habe.«

»So! Nun sehen Sie sich doch einmal dieses Telegramm an, welches für Sie aufgegeben worden ist!«

Er zog seine Brieftasche hervor und nahm zwei Papiere aus derselben. Das eine zeigte er ihm hin. Es enthielt den Zettel, welchen damals der Knecht des Silberbauers auf das Telegraphenamt getragen und vorher dem Lehrer Walther gezeigt hatte.

Der Assessor hatte sich denselben von dem Telegraphenamte zum Zwecke des Beweises ausgebeten.

Der Müller las die Worte, schüttelte den Kopf und sagte:

»Das kenn ich nicht. So eine Depeschen hab ich niemals erhalten.«

»Und diesen Brief? Kennen Sie ihn?«

Er zeigte ihm das zweite Papier hin. Es war der Brief, welchen der Müller an den Silberbauer gesandt hatte und der von dem Sepp und dem Lehrer an dem Wasser in der Brieftasche des Letzteren gefunden worden war. Bei der Nachforschung in der Schlafstube des Silberbauers war die Brieftasche sammt ihrem Inhalte gefunden worden.

Der Müller erschrak, als er seine eigenen Zeilen erblickte. Er griff schnell mit beiden Händen darnach; aber der Assessor war noch schneller als er und zog den Brief wieder zurück.

»Nun, wer hat das geschrieben?« fragte er.

»Das weiß ich nicht.«

»Ist es nicht Ihre Hand?«

»Es ist ähnlich, aberst von mir ists nicht.«

»Und der Silberbauer ist auch nicht bei Ihnen gewesen?«

»Nein.«

»Machen Sie sich doch nicht so lächerlich. So ein Leugnen ist nicht nur frech sondern auch gradezu kindisch. Ich brauche nur den ersten besten Ihrer Dienstboten zu rufen und zu fragen, so werde ich sofort eine bejahende Antwort erhalten.«

»So ists eine Lügen!«


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»Gut! Ist Ihnen eine Baronin von Gulijan bekannt gewesen?«

»Nein.«

»Zwei Zigeuner, Namens Jeschko und Barko?«

»Auch nicht.«

»So haben Sie also nicht das Schloß bei Slatina in Brand gesetzt?«

»Ist mir nicht einfallen. Ich weiß halt gar nicht, warums mir solche dummen Fragen vorlegen.«

»Nun, wer dumm ist, das wird sich später finden. Ich muß Sie aber ersuchen, sich solcher beleidigender Ausdrücke zu enthalten, sonst bin ich gezwungen, meine Maßregeln darnach zu ergreifen. Von einer Entführung des kleinen Barons von Gulijan wissen Sie auch nichts?«

»Nein.«

»Und doch haben Sie eingestanden, daß Sie sowohl das Schloß angebrannt haben als auch bei dem Kindesraube betheiligt gewesen sind!«

»Ich? Das ist mir nicht im Schlaf in den Sinn kommen!«

»Sogar schriftlich haben Sie es eingestanden.«

»So! Na, da weiß ich nicht, was ich halt denken oder sagen soll! Wann soll ich es denn einstanden haben?«

»Heut!«

»Das ist lächerlich! Zeigens mir doch mal die Schrift, worinnen das steht!«

»Hier ist sie.«

Er hielt ihm den Brief hin, welcher dem Fingerlfranz abgenommen worden war. Als die Augen des Müllers auf diese Zeilen fielen, vergrößerten sie sich geradezu zum Erschrecken. Dann schloß er sie und lag unbeweglich in seinem Stuhle.

»Nun, was sagen Sie dazu?«

Er antwortete nicht.

»Sprechen Sie!«

Als er auch jetzt weder antwortete noch sich bewegte, erhielt er von dem hinter ihm stehenden Gensdarmen einen kräftigen Stoß. Jetzt schlug er die Augen auf. Ihr Ausdruck war nicht, wie man hätte meinen sollen, derjenige des Schreckens, des Entsetzens, sondern der Wuth, des maßlosen Grimmes. Man hörte deutlich seine Zähne auf einander knirschen.

»Werden Sie nun antworten?« forderte der Assessor ihn auf. »Kennen Sie diesen Brief?«

»Nein.«

»Aber der Fingerlfranz behauptet, daß Sie ihn geschrieben haben!«

»Der Lump! Der Lügnern!«

»Er hat ja dabei gestanden, als Sie schrieben!«

»Das soll er mir beweisen!«

»Er wird es sogar beschwören müssen.«

»Wenn er es thut, so leistet er einen Meineid.«

»Es ist doch sonderbar, daß grad Sie der Unschuldige sind, während alle


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Andern, in deren Händen Beweise gegen Sie sich vorgefunden haben, die Verbrecher sein müssen. Diese Art und Weise, Thatsachen, welche klar und unwiderstreitbar vorliegen, zu Ihrem Nutzen umzudrehen, wird Sie zu dem beabsichtigten Ziele nicht führen.«

»Ich kann nix sagen, was nicht wahr ist!«

»Pah! Ein offenes Geständniß würde Ihnen nur nützlich sein, während dieses heimtückische Leugnen uns veranlassen wird, die ganze Strenge des Gesetzes gegen Sie in Anwendung zu bringen. Also Sie widerrufen keine Ihrer jetzigen Aussagen?«

»Nein. Was ich sagt hab, dabei bleibt es.«

»Gut, so werde ich Sie jetzt nach Ihrer Stube bringen lassen. Sie bleiben dort unter der Aufsicht dieses Herrn Gensdarmen und dürfen mit keinem Menschen verkehren.«

»Oho! Ich hab meinen Leuten ganz nothwendige Befehle zu ertheilen!«

»Sorgen Sie sich nicht! Ihre Mühle wird nicht einstürzen, wenn Sie auch einstweilen isolirt werden. Jetzt fort mit ihm!«

Der Gensdarm fuhr ihn in die Stube. Als die Bewohner der Mühle das sahen und sodann auch noch erfuhren, daß keiner von ihnen mit ihm reden dürfe, erregte das natürlich einen ganz gewaltigen Schreck. Der Thalmüller arretirt! Das war ja entsetzlich! Im Stillen aber gönnten Alle es ihm, und nur die Eine, gegen welche er in letzter Zeit am Härtesten gewesen war, saß weinend in ihrem Stübchen - Paula. Er war ja trotz alledem und alledem ihr Vater.

Nun saßen die Drei draußen am Tisch bei einander, der Assessor, Sepp und der Fex. Der Erstere betrachtete den Letzteren mit unverhohlener, freundschaftlicher Theilnahme.

»Der Sepp hatte Ihnen wohl bereits Alles erzählt?« fragte er ihn.

»Das, was er selbst wußte, hat er mir gesagt, ja.«

»Ihre Schicksale sind so hoch interessante, besonders auch für mich in meiner gegenwärtigen Eigenschaft, daß sie mein höchstes Interesse erwecken müssen. Leider habe ich in meiner Depesche eine große Unterlassungssünde begangen. Ich hätte Sie ersuchen sollen, die Photographie und die Papiere, welche Sie sich damals aus dem Stuhle des Müllers angeeignet haben, mitzubringen.«

»Werden sie gebraucht?«

»Es wäre für mich von Vortheil, sie zu sehen.«

»Ich habe sie mit.«

»Wirklich? Ach, das ist sehr gut!«

»Ich konnte mir, als ich das Telegramm erhielt, natürlich nichts anders denken, als daß der Zweck meiner jetzigen Anwesenheit hier in Beziehung zu dem Müller stehe, und darum steckte ich diese Sachen zu mir.«

»Wollen Sie mir erlauben, sie zu sehen?«

»Gern natürlich.«


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Er gab sie dem Assessor hin. Dieser betrachtete zunächst die Photographie.

»Eine sehr schöne Frau!« sagte er. »Und die Aehnlichkeit mit Ihnen ist eine so frappante, daß man sofort auf die Vermuthung kommt, daß Sie mit dieser Dame in nächster Verwandtschaft stehen müssen. Und nun auch die Papiere!«

Er nahm eins nach dem andern vor. An der Art und Weise, wie er aufmerksam die Zeilen der Reihe nach überblickte, ersah der Fex, daß er den Inhalt wirklich las.

»Wie, Sie verstehen diese Sprache, Herr Assessor?« fragte er erstaunt.

»Zufälliger Weise,« lächelte der Beamte. »Das hat seinen Grund darin, daß ich nicht Gerichtsbeamter bleiben, sondern mich der diplomatischen Laufbahn widmen will. Da ich mein Augenmerk dabei ganz besonders auf den Osten richte, so habe ich mich sehr eingehend mit den dortigen Sprachen beschäftigt. Das hier ist rumänisch oder, wie man es auch nennt, walachisch.«

Er las die Papiere durch und bezeichnete sie dann einzeln:

»Geburtsschein des Baron Samo von Gulijan. Geburtsschein der Baronesse Etelka von Töregg. Der Taufschein dieser Beiden. Und nun noch der Geburtsschein ihres Sohnes Curty von Gulian. Der wären also Sie.«

»Wer kann das behaupten oder wohl gar beweisen?«

»Ich hoffe, diesen Beweis führen zu können. Der Thalmüller wird nicht ewig leugnen können, und den Silberbauer werden wir wohl wieder ergreifen. Dann wird es nicht unmöglich sein, die Beweise Ihrer Abstammung zu erhalten.«

»Wenn ich nur wüßte, was die fünf fremden Worte bedeuten, welche da auf dem Rücken des Geburtsscheines, welchen Sie für den meinigen halten, stehen.«

Der Assessor hatte diese Worte noch gar nicht gesehen. Er drehte das Document um. Da stand in lateinischen Buchstaben geschrieben:

»de man ke rar es.«

Er betrachtete längere Zeit kopfschüttelnd diese Worte, schüttelte dann den Kopf und sagte:

»Das begreife ich nicht. Sie haben natürlich bereits Sprachkenner gefragt?«

»Ja, aber keiner hat es entziffern können. Nicht einmal, zu welcher Sprache die Worte gehören, konnte errathen werden.«

»Hm! Das könnte ich auch nicht sagen. Diese Worte - oder sind es nur Sylben?«

»Wohl auch möglich.«

Der Assessor studirte weiter, gelangte aber zu keinem Ergebnisse.

»Ich kann die Sylben zusammensetzen nach allen Weisen, so ergiebt es kein mir bekanntes Wort. Und doch möchte ich behaupten, daß sie sehr wichtig sind, daß sie sich auf Sie und auf diese Legitimationspapiere beziehen, mit


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einem Worte, daß sie die Lösung irgend eines wichtigen Geheimnisses enthalten.«

»Ein Geheimnissen ists, um das es sich handelt,« meinte der Sepp, indem er sich seine Pfeife stopfte. »Wollen mal darüber nachdenken. Vielleichten finden wirs.«

»Du, Sepp?« lachte der Fex.

»Warum nicht?«

»Dazu gehört ein größerer Schriftgelehrter, als Du bist.«

»Pst! Mach mir meine Pferden nicht scheu! Hast noch nicht den Spruch hört?

Was kein Verstand der Verständigen sieht,
Das merket in Einfalt ein kindlich Gemüth.

Man braucht eine Sach nicht grad aus dem Fundamenten zu verstehen, um über sie nachdenken zu können. Sind etwan die Herren Astronomen schon mal auf dem Monden oder auf dera Sonnen herumispaziert?«

»Freilich nicht.«

»Und doch schreibens ganz große Büchern über die Beiden. Also ists auch mit mir. Wann ich so ins Nachdenken komm, so sag ich mir Folgendes: Wann es ein Geheimnissen ist, darf es da Jeder lesen, Herr Assessorn?«

»Nein.«

»Schön! Wanns nicht Jeder lesen soll, wird mans da so herschreiben, daß es gleich zu lesen ist?«

»Schwerlich.«

»Also muß es wohl anderst gelesen werden, als wie mans gewöhnlich liest. Jetzunder buchstabierens mal los! Vielleichten muß es in die falsche Quere gelesen werden. Versuchens das Ding doch mal von hinten nach vorn!«

»Der Gedanke ist nicht übel, Sepp. Es ist überhaupt verwunderlich, daß ich nicht auch schon darauf gekommen bin. Also von hinten nach vorn würden die fünf Sylben heißen:

»Es rar ke man de.«

und da könnte bei der richtigen Zusammenstellung sich - - -«

Er hielt inne. Seine Züge nahmen den Ausdruck größerer Spannung an; dann lachte er befriedigt auf und rief:

»Der Sepp hat Recht! Ja, er ist der Klügste von uns gewesen.«

»Nicht wahr!« schmunzelte der Alte. »Ja, das ist mein Lebtage stets so gewest: Ich war immerst dera Gescheidteste von allen Andern. Also troffen hab ichs?«

»Ja. Es ist türkisch. Aus den fünf Sylben werden zwei Worte, welche

»Esrar kemande«

gelesen werden müssen.«

»Gott sei Dank!« rief der Fex. »Jetzt endlich ist Hoffnung hinter die Sache zu kommen. Aber bitte, können Sie diese beiden Worte übersetzen?«


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»Das ist sehr leicht. Esrar heißt nämlich Geheimniß. Sie sehen, daß wir ganz richtig vermutheten, als wir glaubten, daß es sich um ein Geheimniß handeln werde.«

»Und Kemande?«

»Eigentlich heißt dieses Wort nur keman, das ist Geige. Das de ist Suffix und bezeichnet das Umstandswort des Ortes »in«. Kemande heißt also wörtlich: »in der Geige«. Die Uebersetzung würde also vollständig lauten: Das Geheimniß ist in der Geige zu finden oder in der Geige zu lösen.«

»Fex, Fex, hasts hört? Hasts verstanden?« jubelte der Sepp. »In dera Geigen steckt der ganze Pudel! Da hinein müssen wir schauen!«

»Aber was für eine Geige mag gemeint sein?« fragte der Assessor.

»Darüber giebt es wohl keinen Zweifel,« antwortete der Fex. »Die Zigeunerin hat mir eine alte Violine hinterlassen. Sie ist es wohl gewesen, welche die Worte hierher geschrieben hat oder hat herschreiben lassen.«

»Aber, besitzen Sie diese Violine noch?«

»Ja. Ich brauche sie selten, da ich jetzt eine weit bessere habe; doch würde jene ich um keinen Preis verkaufen. Sie ist ein theueres Andenken an dunkle, trübe Zeit.«

»Und wo haben Sie die Geige?«

»In München, in meiner Wohnung.«

»Ach, wenn wir sie hier hätten!«

»Meinen Sie, daß uns das von Vortheil sein könne?«

»Ja, ich meine es nicht nur, sondern ich bin sogar überzeugt davon.«

»Schön! Sehr schön!« sagte der Sepp. »Weißt, was ich thu, Fex?«

»Was?«

»Ich fahr mit dem nächsten Zuge nach München und hol die Violinen herbei.«

»Hm!«

»Soll ich, Herr Assessor?«

»Ich hätte das Instrument allerdings sehr gern hier. Wer weiß, welchen Nutzen es uns machen würde. Aber Sie würden erst spät am Abende zurückkommen.«

»So weiß ich einen bessern Rath,« sagte der Fex. »Wenn ich nur wüßte, wann der nächste Zug aus München abgeht.«

Sofort zog der Assessor seinen Fahrplan hervor, um nachzusehen.

»In anderthalb Stunden,« antwortete er.

»So telegraphiere ich.«

»Richtig, sehr richtig! Das ist das Allerbeste. Sie bemerken dazu die Buchstaben D. H. P., das heißt, dringendes Telegramm, und Eilboten bezahlt. Dann wird es sofort expedirt, und der Bote, welcher die Violine bringen soll, kann mit dem nächsten Zuge zurechtkommen. Wollen Sie?«

»Ja. Ich werde sofort schreiben. Sepp, Du läufst schnell nach der Stadt und giebst die Depesche auf.«

»Ja, ich renn, daß ich die Schuhen verlier!«


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»Und,« fragte der Assessor, »wissen Sie, Sepp, wohin der Gensdarm den Fingerlfranz gebracht hat? Ich hatte noch keine Zeit, darnach zu fragen.«

»Das weiß ich allbereits, nämlich zum Matthes in denen Gasthofen.«

»So gehen Sie auf dem Rückweg mit da hinein und geben dem Gensdarmen einen Zettel, den ich Ihnen schreiben werde. Er mag den Franz nun frei lassen. Seine Sistirung kann uns ja nichts mehr nützen.«

Im Verlaufe einer Minute war der Alte unterwegs. Er rannte wirklich so rasch, wie er vielleicht in seinem Leben noch nicht gelaufen war.

»Was werden wir indessen beginnen?« fragte der Fex.

»Ich habe beim Müller auszusuchen, kann aber nicht eher damit anfangen, als bis der zweite Gensdarm da ist. Sie müssen es sich schon gefallen lassen, sich die Zeit mit mir zu vertreiben.«

»Gern. Natürlich wird der Müller eingezogen?«

»Das versteht sich ganz von selbst.«

»Ins hiesige Gefängniß?«

»Nein. Ich nehme ihn mit mir. Es wird dadurch die Untersuchung vereinfacht. Dieser Mensch ist ein so hartgesottener Sünder, wie ich noch keinen kennen gelernt habe. Ich meine, daß es sehr schwer sein wird, ihn zum Geständniß zu bringen.«

»Ich wüßte ein Mittel.«

»So? Welches?«

»Der Schreck, das Entsetzen.«

»Das ist freilich ein Mittel, welches bereits so manchem Untersuchungsrichter und Polizisten zu Hilfe gekommen ist. Aber woher es nehmen?«

»Aus dem Zigeunergrab.«

»Wieso?«

»Er muß meine Amme sehen.«

»Brrr! Das Gerippe? Sie meinen, es auszugraben? Es würde nicht anders wirken als wie jedes andere Gerippe auch. Er weiß doch nicht, daß es das ihrige ist. Und selbst wenn er das wußte, zweifle ich an dem Erfolge, ganz abgesehen davon, daß die Exhumirung einer Leiche eine Sache ist, welche nur unter gewissen Umständen und bedeutenden Formalitäten gestattet wird.«

»Hm! Von einem Gerippe ist keine Rede.«

»Wovon sonst?«

»Ich werde es Ihnen zeigen. Erlauben Sie mir einige Augenblicke!«

Er ging nach der Mühle und kam bald darauf mit zwei grauen Leinwandhosen und eben solchen Jacken zurück. Diese Kleidungsstücke hatte er sich von den Knappen geliehen.

»Bitte, wollen Sie mich begleiten, Herr Assessor!«

»Sie haben sich ja ausgerüstet wie zu irgend einer geheimnißvollen Partie!«

»Das wird es auch. Wir steigen in die Unterwelt.«

»Sie scherzen!«

»Nein. Ich will Ihnen jetzt noch nicht sagen, was ich Ihnen zeigen


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will. Ich möchte sehen, welchen Eindruck es auf Einen macht, der dabei ganz unbetheiligt ist.«

Er führte ihn nach dem Zigeunergrabe. Sie kamen an Ort und Stelle. Er deutete auf einen Busch und sagte:

»Dieser Strauch war damals nicht so groß wie jetzt, aber auch ich war klein genug, mich dennoch hinter ihm zu verstecken. Da sah ich zu, als der Müller die Amme ermordete.«

»Herrgott! Ists wahr?«

»Ja. Hier auf der Stelle, an welcher sie in die Erde gescharrt wurde, erwürgte er sie.«

»Ach! Nun wird mir einiges Dunkle klar! Er hatte freilich Veranlassung, sie unschädlich zu machen. Aber ist die Leiche nicht untersucht worden?«

»Nur ganz oberflächlich. Sie war ja eine Zigeunerin, eine Heidin.«

»Und Sie sagten nichts.«

»Ich war kaum einige Wochen über neun Jahre alt. Ich fürchtete mich entsetzlich vor dem Mörder und hütete mich wohl, ein Wort zu sagen.«

»Und so hat er keine Ahnung davon, daß Sie Zeuge dieser schaudervollen That gewesen sind?«

»Jetzt doch. Ich habe es ihm gesagt. Er wollte seine Tochter zwingen, den Fingerlfranz zu heirathen, und ich wußte kein anderes Mittel, mich ihrer mit Erfolg anzunehmen, als daß ich ihm drohte, den Mord zur Anzeige zu bringen, falls er auf diese Heirath bestehe.«

»Und was that er?«

»Die Verlobung unterblieb. Mich aber wollte er dann ermorden lassen.«

»Sind Sie des Teufels! Auch Sie ermorden! Und zwar ermorden lassen? Also durch einen Andern! Durch wen?

»Durch den Fingerlfranz. Es ist ihm aber nicht gut bekommen.«

Und lachend erzählte er das Ereigniß jenes Abends, an welchem der Fingerlfranz so fürchterliche Prügel bekommen hatte. Der Assessor aber blieb sehr ernst dabei.

»Anstiftung zum Mord seitens des Müllers und Mordversuch seitens des Fingerlfranz!« sagte er. »Ich werde den Franz auch festnehmen lassen.«

»Das liegt nicht in meiner Absicht, Herr Assessor.«

»Aber in der meinigen. Dieser Mensch ist ein gefährliches Subject; das hat er hier bewiesen. Sie haben seine Rache stets zu befürchten, und da muß es ihm gezeigt und bewiesen werden, daß der Rachsüchtige seine schlimme Leidenschaft zu zügeln habe, wenn er nicht mit den Gesetzen in Conflict gerathen will. Aber wollen wir nicht unsern Gang antreten? Die Oberwelt nehmen wir später in Augenschein.«

»Ja, kommen Sie!«

Er führte ihn hinab, räumte die Steine weg und fand unter denselben die Holzthür. Es war Alles noch ganz genau so, wie er es verlassen hatte.


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Kein fremdes Auge hatte in das Geheimniß dringen können. Er öffnete die Thür und sagte:

»Hier hinunter müssen wir. Wir ziehen diese Hosen über, legen die Röcke ab und fahren dafür in die Jacken.«

»Ich bin begierig, was Sie mir zu zeigen haben,« sagte der Assessor, indem er die genannten Kleidungsstücke anlegte.

»Ahnen Sie es nicht?«

»Ich würde vermuthen, daß Sie mir die Ueberreste der Amme zeigen wollen; aber das ist doch nicht möglich.«

»Warum?«

»Weil dieser Stollen senkrecht hinabgeht und das Grab also viel höher liegt. Es liegt bereits höher, als wir uns jetzt befinden; zu ihm kann also dieser verborgene Gang nicht führen. Ueberhaupt, wer gräbt einen Stollen in einen Sarg hinein?«

»Nun, Sie werden ja sehen, wohin wir kommen.«

Sie ließen ihre Röcke und Hüte hier außen liegen. Es war kaum zu befürchten, daß ein Dieb herbeikommen und grad diese versteckte Stelle aufsuchen werde. Nun stiegen sie hinab, der Fex voran und der Assessor hinter ihm.

Unten angekommen, stieß der Erstere die Kiste bei Seite und zog den Letzteren mit sich hinein.

Die Hölzer, deren er sich früher bedient hatte und die noch in der Mauernische lagen, waren jedenfalls feucht. Der Fex aber hatte frische mit herab genommen. Er machte die Lattenthür auf und brannte die Lampe an.

Jetzt schaute der Assessor sich um.

»Ein unterirdisches Versteck mit zwei Abtheilungen,« sagte er erstaunt. »Hier dringt sogar das Wasser des Flusses herein. Wie haben Sie diesen Ort entdeckt?«

»Das werde ich Ihnen später erzählen. Jetzt muß ich Ihnen vorher das zeigen, was Sie sehen sollen. Kommen Sie wieder in die andere Abtheilung zurück, in welche wir zuerst eingestiegen sind!«

Er nahm die Lampe in die Hand und trat mit dem Beamten hinaus.

»Erschrecken Sie leicht?« fragte er.

»Nein.«

»So brauche ich Sie nicht zu warnen.«

»Ists etwas so Entsetzliches, was ich sehen werde?«

»Nein; aber es gehören dennoch andere als Damennerven dazu. Also jetzt!«

Er nahm das Tuch hinweg, welches die Leiche verhüllte und hielt die Lampe so, daß das Licht derselben voll und hell auf die Erstere fiel. Der Assessor stieß doch einen Ruf, wenn auch nicht des Schreckens, so doch des Erstaunens aus.

»Ach! Also doch eine Leiche! Aber nicht diejenige Ihrer Amme?«

»Und doch ist sie es.«

»Die muß ja viel höher liegen! Wie kommt sie hier herab?«


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Der Fex erklärte es ihm. Er erzählte es ihm, wie er dazu gekommen war, diese unterirdische Felsenspalte zu entdecken. Daß selbst der König bereits hier gewesen sei, verschwieg er ihm jetzt noch.

Ganz als ob sie schlafe, lag die Südana in dem Kasten. Es war, als ob die langen Wimpern nur halb geschlossen seien und im Erwachen leise zuckten. In den gebräunten Wangen schienen noch Ströme warmen Blutes zu pulsiren. Wer nicht wußte, daß er vor einer Leiche stehe, konnte leicht denken, daß die Schläferin im nächsten Augenblicke sich bewegen werde. Diese Täuschung wurde noch vervollständigt durch die seltene Fülle dunkler Haare, welche wie ein Schleier den Leib der Todten umflossen und die Gestalt bis herunter zu den Füßen einhüllten.

Dem Assessor war es ganz eigenartig zu Muthe. Er konnte für das Gefühl, welches, ohne eine Furcht zu sein, ihm dennoch kalt prickelnd durch die Nerven lief, keine passende Bezeichnung finden.

»Wunderbar!« sagte er. »So etwas konnte ich freilich nicht erwarten. Also ermordet ist sie worden, die treue Dienerin ihres Herrn! Ach, wenn man das noch jetzt nachweisen könnte! Wenn die Zeichen der Erdrosselung noch jetzt zu entdecken wären!«

»Wohl schwerlich!«

»Auch ich glaube es nicht.«

»Nun aber die Hauptsache. Was glauben Sie, wie der Müller sich benehmen würde, wenn er ganz plötzlich vor diese Leiche gestellt würde?«

»Gewisses läßt sich da nicht sagen, doch glaube ich, daß sich ein fürchterliches Entsetzen seiner bemächtigen würde. Sie haben ganz recht gethan, mich hier herab zu führen. Der Müller muß vor sein Opfer gestellt werden, und zwar noch heut!«

»Ist das möglich?«

»Unter diesen Umständen, ja. Ich eile sofort in die Stadt, um mich mit den Herren der betreffenden Behörde zu besprechen.«

»So soll der Müller hier herab? Das wird schwer gehen, weil er gelähmt ist.«

»Nein, die Leiche muß hinauf.«

»Durch den engen Gang?«

»Den erweitern wir. Es müssen Arbeiter her. Uebrigens wird das keine großen und langen Schwierigkeiten machen. Drei, vier Männer können in zwei Stunden fertig sein.«

»Und was geschieht nachher mit der Leiche?«

»Darüber kann ich jetzt nicht entscheiden. Jedenfalls erhält sie in geweihter Erde einen Ruheplatz. Bitte, kommen Sie! Ich möchte keinen Augenblick versäumen.«

Oben angekommen, vertauschten sie die leinenen Sachen mit den ihrigen und schlossen den Gang. Dann begaben sie sich nach der Mühle. Der Wurzelsepp war indessen bereits wieder zurück und hatte auch den Gensdarm mitgebracht.


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Dieser erhielt ebenso seine Instruction wie sein beim Müller in dessen Stube befindlicher College, dann begab der Assessor sich nach der Stadt.

Der Sepp hatte sich wieder vor die Mühle an den Tisch gesetzt, rauchte seine alte Pfeife und trank ein Bier dazu. Der Fex aber hatte nun eine schwere Pflicht zu erfüllen: Er mußte zu Paula gehen, um sie möglichst zu beruhigen.

Sie hatte sich eingeschlossen und wollte Niemand zu sich lassen; als er aber seinen Namen nannte, öffnete sie ihm die Thür. Sie schien vollständig in Schmerz und Thränen aufgelöst zu sein und machte, als er eintrat, eine Bewegung, als ob sie sich in seine Arme werfen wolle, blieb aber auf halbem Wege stehen und ließ die Arme sinken. Dann hob sie dieselben wieder, verbarg ihr Gesicht in den Händen, legte den Kopf an die Wand und brach in ein herzbrechendes Schluchzen aus.

Er zog die Thür hinter sich zu, trat zu ihr, legte ihr die Hand leise auf die Schulter und sagte in bittendem Tone:

»Paula, willst mich wohl nimmer anschauen?«

Es war, als ob sie eine Antwort geben wolle, aber das Schluchzen erstickte ihre Worte.

»Magst nun wohl gar nix mehr von mir wissen?«

Er wartete auf eine Antwort von ihr - vergebens. Ihr ganzer Körper erbebte unter der Gewalt des Schmerzes, der heut über sie gekommen war. Da legte er den Arm um sie und zog sie an sich. Sie ließ es willenlos geschehen. Sie duldete es auch, daß er ihren Kopf an sein Herz bettete; aber sie weinte fort und brachte kein Wort hervor.

Da überkam auch ihn eine bittere, große Traurigkeit. Er war es ja, um dessen willen das Unglück heute über Diejenige, welche er über Alles liebte, gekommen war; er gab sich die Schuld, obgleich er daran unschuldig war. Hätte er dieses gewaltige Herzeleid nicht von ihr wenden können, fragte er sich. Nein, lautete die Antwort. Ihr Vater war dem Arme der göttlichen Gerechtigkeit verfallen, und wann er von demjenigen der menschlichen ergriffen wurde, das war bis heut nur eine Frage der Zeit gewesen.

Mit diesem Gedanken beruhigte sich der Fex. Freilich machte ihm der gewaltige, wortlose Schmerz der Geliebten schwere Sorge. Wenn er sie nur erst wieder zum Sprechen hätte!

Er zog sie zu sich auf einen Stuhl, nahm sie auf den Schooß, schlang beide Arme um sie und flüsterte ihr in innigstem und theilnahmsvollstem Tone zu:

»Meine liebe, liebe Paula, Du darfst es Dir nicht zu sehr zu Herzen nehmen! Alle, alle wissen ja, daß Du unschuldig bist und mit den Thaten Deines Vaters nichts zu thun hast.«

»Aber er ist ja mein Vater!« stieß sie unter herzbrechendem Schluchzen hervor. »Seine Schuld fällt also auch auf mich.«

»Nein. Kein Mensch kann so unbillig denken, einem Kinde die Handlungen des Vaters entgelten zu lassen. Bedenke, daß ich es bin, der hier am


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Meisten in Betracht kommt. Und grad ich weiß es am Allerbesten, wie rein und schuldlos Du bist. Ich möchte denjenigen sehen, der es wagen wollte, Dir eine Kränkung oder gar Beleidigung zuzufügen.«

Da blickte sie ihm mit einem trostlos zwischen Thränen hervorbrechenden Ausdruck an und antwortete:

»Du, ja, Du hast den guten Willen. Dein gutes Herz rechnet mir die Sünden meines Vaters nicht an. Aber Andere denken nicht so edel und gerecht wie Du. Der Schatten von dem, was mein Vater that, fällt auf mich. Mein Leben wird von jetzt an so dunkel und traurig sein, daß ich mir lieber den Tod als ein längeres Dasein wünschen möchte.«

»Um Gotteswillen, was sind das für Gedanken?« rief er erschrocken.

»Gedanken, welche sich auf den Willen Gottes gründen,« antwortete sie.

»Nein, nein, und tausendmal nein! Gott will nicht, daß der Gerechte mit dem Ungerechten leide!«

»Hast Du nicht gehört, daß er die Sünden der Väter heimsuchen will, bis in das dritte und vierte Glied der Nachkommen?«

»Und hast Du nicht gehört, daß es einen Erlöser giebt, der alle Sünde tragen will, der die Mühevollen und Schwerbelasteten einladet, zu ihm zu kommen? Kennst Du nicht den guten Hirten, welcher selbst das verlorene Schaf auf seine Schultern nimmt, um es zur Heerde zurück zu tragen? Und Du bist es ja gar nicht, die verloren ist. Der Schmerz, der gewaltige Schreck über das, was Du erfahren mußtest, haben Dir das Vertrauen genommen und den Lebensmuth geraubt. Wenn einige Tage vergangen sind, wirst Du Trost und neuen Muth finden.«

»Nie, niemals wieder!«

»Das darfst Du nicht sagen. Diese Kleingläubigkeit ist eine Sünde, deren Du Dich nicht schuldig machen darfst.«

»Das sagst Du, weil Du mich lieb hast. Wie aber werden die Andern sprechen?«

»Es wird nur sehr Wenige geben, welche Dich mit dem belasten wollen, was Dein Vater auf seinem Gewissen liegen hat. Und die das thun, sind nicht werth, daß Du sie beachtest. Jeder brav denkende Mensch wird Dir sein volles Mitgefühl widmen.«

»Das ist ja grad das Schreckliche! Vor diesem Mitgefühle fürchte ich mich, vor den Blicken, welche in stolzer Barmherzigkeit schwelgen, indem sie auf mir ruhen. Und noch weiß ich nicht einmal genau, welcher Thaten sich mein Vater schuldig gemacht hat.«

»Er leugnet Alles.«

»Vielleicht ist er doch unschuldig.«

»Nein, er ist schuldig. Indem ich Dir dies sage, scheine ich grausam zu sein; aber das ist nicht der Fall, denn ich bin Dir diese Aufrichtigkeit schuldig. Es würde doppelt und zehnfach grausamer von mir sein, wenn ich Dich jetzt


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täuschte, indem ich Dir Hoffnungen machte, welche doch nicht in Erfüllung gehen können.«

»Mein Gott, wie traurig! Nicht einmal eine armselige Hoffnung darf ich hegen!«

»Ich muß sie Dir leider nehmen, und darüber wirst Du mir sehr bös sein.«

Sie sah lange Zeit vor sich nieder. Dann hob sie den thränenverschleierten Blick zu ihm empor, reichte ihm die Hand und antwortete:

»Nein, lieber Freund, bös kann ich Dir nicht sein. Der Patient muß vielmehr dem Arzte für die Medizin danken, selbst wenn dieselbe noch so bitter sein sollte. Du hast Recht. Du darfst mir keine Unwahrheit sagen. Der Trost, welchen ich dadurch bekäme, würde sich später in eine desto schwerere Traurigkeit verwandeln. Ich will die bittere Arzenei schnell und bis auf den letzten Tropfen trinken. Sage mir also Alles! Was hat mein Vater gethan?«

Er zögerte eine ganze Weile. Erst als sie ihre Aufforderung wiederholte, antwortete er:

»Das ist mir jetzt noch unmöglich, meine liebe Paula. Ich weiß ja selbst noch nicht Alles, was man ihm zur Last legen wird.«

»O, Du weißt es. Ich sehe es Dir deutlich an! Du bist ja gar nicht im Stande, mich zu belügen. Und wenn Dein Mund es versucht, mich zu täuschen, so spricht doch Dein Auge die Wahrheit. Fex, mein lieber, guter Fex, sage mir Alles, was Du weißt, Alles! Ich bitte Dich darum.«

Sie ergriff seine beiden Hände und blickte ihm flehend in das Gesicht. Er konnte diesem Blicke nicht widerstehen, und doch widerstrebte es ihm, ihr einen solchen Schmerz zu bereiten. Er rang mit sich selbst. Er sah ein, daß es besser sei, aufrichtig mit ihr zu sprechen, als sie im Unklaren zu lassen. In diesem letzteren Falle mußte sie später doch Alles hören, und dann war der Eindruck, den die Kunde auf sie machen mußte, jedenfalls ein viel unglücklicherer als jetzt, wo er ihr mit der nöthigen Schonung die Mittheilung machen konnte. Sie bemerkte natürlich seine Unschlüssigkeit und bat dringend:

»Bitte, sprich! Verschweige mir ja nichts.«

»Paula, ich kann es kaum! Es fällt mir ja gar zu schwer.«

»So bedenke, daß das, was ich aus Deinem Munde erfahre, vielleicht leichter für mich zu tragen ist, als was Fremde mir sagen!«

»Du hast Recht; das sehe ich ein. Und doch wollen mir die Worte nicht über die Lippen.«

»Ist's denn gar, gar so schlimm?«

»Leider, mein armes Kind.«

»Wessen klagt man ihn an?«

»Der schwersten Verbrechen, welche es giebt.«

»Herrgott! Das schlimmste Verbrechen ist ja der Mord. Schon vorhin bei dem Zigeunergrabe fielen Reden, welche mich dieses Schlimmste erwarten lassen. Ist mein Vater wirklich ein - - ein - - ein Mörder?«


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Sie brachte dieses Wort kaum über die Lippen und blickte nun den jungen Mann mit einem angstvollen Ausdrucke an, als ob Leben und Tod von seiner Antwort abhängig sei.

»Sprich! Rede doch um Gottes Willen!« drängte sie, als er immer noch zögerte.

Er zog sie an sich, drückte ihr Köpfchen an seine Brust und sagte leise, als ob er sich fürchte, die Worte laut auszusprechen:

»Du armes Mädchen, Deine Vermuthung ist leider nicht falsch.«

Da fuhr sie von seinem Schooße empor, stieß einen lauten Wehschrei aus und schlug die Hände vor das Gesicht.

»O Gott, o Gott! Also doch! Ein Mörder, ein Mörder! Der Himmel erbarme sich über ihn und über mich! Ists wahr? Ists wirklich wahr?«

»Leider, leider!«

»Wen soll er getödtet haben, wen?«

»Zwei Personen, welche mir sehr nahe standen, nämlich meine Mutter und - - -«

»Deine - - Deine Mut - - Mutter!« unterbrach sie ihn in einem Tone, in welchem die größte Seelenpein erklang.

»Ja, meine Mutter und auch meine Amme.«

»Unmöglich! Unmöglich!«

»Nein, es ist wirklich; es ist wahr.«

»Fex, Fex, Du mußt Dich irren! Es kann ja gar nicht wahr sein!«

Sie hatte die Hände vom Gesicht genommen, aus welchem alles Blut gewichen war, und starrte ihn mit großen, großen Augen an. Er wollte schweigen. Bei ihrem Anblicke bereute er, offen gewesen zu sein. Aber sie erfaßte ihn bei den beiden Schultern, schüttelte ihn und rief:

»Ich verlange die Wahrheit, die volle, reine Wahrheit! Täusche mich nicht! Denke, Du ständest vor einem Priester, vor einem Richter, vor Gott selbst, der Dir in das Herz blickt und Alles ebenso gut weiß wie Du selbst. Du sollst und darfst mir nichts verschweigen. Ich schwöre Dir, daß ich nie wieder ein Wort mit Dir spreche, wenn Du mir jetzt nicht die ganze Wahrheit sagst. Also rede! Hat er wirklich Deine Mutter gemordet?«

»Ja, er und der Silberbauer.«

»Ah, ah! Also er nicht allein!«

»Bedenke, daß das keine Entschuldigung für ihn ist!«

»Ja, ja. Das Wort entfuhr mir nur so in meiner Herzensangst. O Gott, o Gott! Also ist es doch wahr! Und er gesteht es nicht ein?«

»Er leugnet es.«

»Sind Zeugen da?«

»Es scheint, daß der Assessor es ihm beweisen kann.«

»Ist es lange her?«

»Fast so lange, als ich alt bin.«

»So ists vielleicht verjährt!«

»Der Mord verjährt niemals.«


Ende der fünfzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

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