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VOLKER KLOTZ

Erzählte und bebilderte Abenteuer
Bündnisse zwischen Illustration und Text in mehrerlei Karl-May-Ausgaben*



Der Vortrag führt vom Allgemeinen zum Besonderen. Zunächst wird zu bedenken sein, was Erzählen denn überhaupt sei und wie es vonstatten gehe. Dann: was diese Tätigkeit gemein habe mit der Tätigkeit des Reisens; namentlich wenn sie sich poetisch potenziert im abenteuerlichen Reiseroman. Danach: worin Erzählen in bewegter Sprache, das solchermaßen vom Durchmessen beträchtlicher Räume handelt, sich unterscheide von Erzählen in bewegungslosen, zweidimensionalen Bildern; und wie dennoch das eine sich immer wieder mit dem andern verbünden kann. Soweit der erste, der allgemeine Teil des Vortrags. Der zweite, der besondere Teil gilt dann Karl Mays abenteuerlichen Reiseerzählungen und darin dem Bündnis von gedrucktem Text mit verschiedenerlei Illustrationen.

Die Zielrichtung des Vortrags wie auch die Auswahl der Beispiele ist bedingt durchs verfügbare Material in Form von Dias. So erklärt sich auch, daß hier nur Titelblätter und Deckelbilder ins Visier kommen, nicht jedoch Illustrationen im fortlaufenden Text.(1) Dementsprechend ist der Untertitel des Vortrags aufzufassen: Bündnisse von Illustration und Text. Text meint also weniger die je einzige und einzigartige Erzählung >Old Surehand< oder >Sklavenkarawane< als vielmehr die charakteristische Spielart Karl Mayscher Abenteuererzählungen überhaupt. Die notgedrungene Beschränkung auf Deckelbild und Titelblatt läßt sich allerdings auch sachlich rechtfertigen. Denn derlei boten und bieten den Lesern fast alle Karl-May-Ausgaben, jene Illustrationen im Text dagegen nicht. Mithin dürften meine Schlüsse, wie denn wohl eben diese bebildernden Buchportale sich aufs Lesen auswirken, den Erfahrungen einer lesenden Mehrheit entgegenkommen.(2)

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* Vortrag, gehalten am 30.10.1992 auf dem Symposium der Karl-May-Gesellschaft und des Germanistischen Seminars der Universität Bonn.


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E r z ä h l e n ,  R e i s e n ,  E r z ä h l e n

Grundfigur jeglichen Erzählens ist das epische Dreigespann. Jemand, der erzählt; jemand, dem erzählt wird; etwas, das erzählt wird. Das epische Dreigespann hebt deutlich hervor: was jetzt eben hier erzählt wird, hat woanders stattgefunden (oder etwa im Futur II eines Science-fiction-Romans, es wird woanders stattgefunden haben). Unabdingbar also gehört zum Was des Erzählens der Umstand der Ferne. Seis zeitlich entfernt vom gegenwärtigen Zeitpunkt des Erzählens, in Vergangenheit oder Zukunft. Seis räumlich entfernt vom gegenwärtigen Ort des Erzählens. Ferne ist nötig in jedem Fall, ob nun, wovon da die Rede ist, als tatsächlich geschehen gilt, wie in Reportage und historischem Roman, oder als schiere Erfindung. Nur ein solches zunächst Abwesendes, das allmählich herbeigeredet wird, in einem merklichen Akt, ist überhaupt erzählbar und erzählenswert.

Diesen grundsätzlichen Sachverhalt umspielt heiter das Gedicht von Matthias Claudius >Urians Reise durch die Welt< (1786). Seine erste Strophe - wie auch alle weiteren ein Responsorium zwischen erzählendem Solisten und zuhörendem Resonanzchor - lautet:

Wenn jemand eine Reise tut,
So kann er was verzählen;
Drum nahm ich meinen Stock und Hut
Und tät das Reisen wählen.

            Tutti:

Da hat er gar nicht übel dran getan;
Verzähl' Er doch weiter, Herr Urian!

Das Gedicht formuliert die beiden fundamentalen Gegebenheiten: einerseits das epische Dreigespann von Erzähler, aufmerksamen Hörern und Erzähltem; andrerseits die Entfernung von zu Hause samt Rückkehr dorthin als Voraussetzung dafür, etwas zu >erzählen<. Mithin, wer immer erzählt - im Epos wie im Roman, in der Novelle wie am Stammtisch - gibt vor, er sei woanders gewesen. Auch wenn ers nicht immer ausspricht, behauptet ers dadurch, daß er überhaupt erzählt. Das gehört zu seinem Geschäft der Fiktion. Wenn nicht leibhaftig, so doch geistig gibt er sich als Reisender.

Ist dem so, dann betreibt die besondere Form des Reiseromans sozusagen potenziertes Erzählen. Dadurch, daß der Reiseroman überhaupt erzählt, und dadurch, daß er von einer Tätigkeit erzählt, vom Reisen eben, die ihrerseits dem Erzählen entspricht. Denn was in Reiseromanen der Erzähler seine Hauptpersonen tun läßt, entspricht dem, was er


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selber tut. Er schickt sie fort von zu Haus, um fremde, nicht hiesige Welt durchstreifen zu lassen. Seine Hauptpersonen sollen Erfahrungen machen, die sie bisher daheim nicht haben machen können. Sie schlagen sich durch fremde oder doch unerhörte und unvertraute Gegenden; sie lassen sich davon überraschen; sie machen Entdeckungen.

W ö r t e r - S c h a u  u n d  B i l d e r - L e k t ü r e .
S i e h e :  H o f f m a n n s  > B a s t i a n ,  d e r  F a u l p e l z <

Wie aber verhält sich nun sprachliches Erzählen in Bildern? Ebenso ergötzlich wie lehrreich antwortet darauf ein hintersinniges Bilderbuch für Kinder. Geschrieben hat es Heinrich Hoffmann, der Verfasser des weltberühmten >Struwwelpeter<, knapp 10 Jahre danach, 1854. Das Büchlein, das über zwanzig Auflagen erreichte, heißt >Bastian, der Faulpelz<. Es wirbt fürs Lernen und warnt vor den schlimmen Folgen der Faulheit. »Lerne schön das ABC, / daß es später gut dir geh«: eine komisch traurige Geschichte vermittelt diese Losung in Bild und Text. Allerdings bleibt es nicht bei der simplen Propaganda fürs Lesen- und Schreibenlernen. Hoffmann stößt zudem, in gespielter Naivität, seine Adressaten auf grundsätzliche Probleme von Bild und Text-, von gemalter und gedichteter Kunst; von Fiktion und handfester Wirklichkeit. Hören wir, was er beschreibt. Betrachten wir, was er malt. Gleich mit

den ersten Verszeilen stellt sich der Erzähler als Veranstalter. Unverhohlen benennt er dem angesprochenen Publikum sein Handwerk als Bilder- und Verseverfertiger. Von vornherein spielt er dabei mit der epischen Fiktion, wenn er augenzwinkernd versichert, es handle sich um einen tatsächlich geschehenen Fall:


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Ihr kleinen Leute, gebet Acht!
Ich hab' euch Bilder hier gemacht,
ich hab's gezeichnet auf ein Haar
genau, wie's einst geschehen war,
und Alles hab' ich dann darunter
erklärt in Versen, ernst und munter.

Die folgenden Zeilen verstärken noch den reißerisch demonstrativen Stil. Es ist der Zeigegestus des Bänkelsängers auf dem Jahrmarkt, der ebenfalls beides benötigt für seine Geschichte, Bildertafeln und Erzählstrophen, gesprochen oder gesungen, die sich wechselseitig ergänzen:

Es war ein Städtchen. - Seht nur hier:
es steht gemalt auf dem Papier.

Doch gleich drauf inszeniert der Erzähler listig eine Panne. Die herbeigerufene Wirklichkeit des Städtchens ist zu bockig, um sich in den gezeigten Bildern so vollständig darzustellen, wie der assoziierte Bänkelsänger es gemeinhin vorzugeben pflegt. Scheinbar ungewollt drängt sich in den Vordergrund, was bei herkömmlichen ästhetischen Illusionsakten geziemend zu verschwinden hätte: die materiellen Voraussetzungen einer bemalten Buchseite mit vorn und hinten; die methodischen Verfahren, den auf Fläche gemalten Gegenständen eine dritte Dimension hinzuzugaukeln:

Doch weh! Was hab' ich da getrieben!
Wo ist mein Städtchen denn geblieben?
Man sieht ja nichts, nichts auf der Welt
als Bäume, Wiesen, Kraut und Feld,
nur aus dem Busch steigt schlank hinan
der Kirchenthurm mit seinem Hahn.
O, das war dumm! - Doch, liebe Kinder,
glaubt mir, das Städtchen steckt dahinter;
könnt' man das Bild herum nur dreh'n,
gleich würdet ihr das Städtchen seh'n.
Da liegt es sicher schmuck und rein,
mit Häusern groß und Hütten klein.
Es leben Leute dort, gar viel,
die Kinder treiben dort ihr Spiel.
Es bellt der Hund, es fängt der Hahn
früh morgens schon zu krähen an ( ... )

Das scheinbar verunglückte Bild verweigert somit, all das vorzuweisen, was die Rede ihm nachsagt. Hoffmann treibt hier weit mehr als bloß ein anbiederndes Spielchen mit den kindlichen Adressaten. So wie er jene Panne erst beklagt und erläutert, dann aber repariert, schärft er jeg-


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lichen Lesern allerlei ästhetische Grundbegriffe ein. Grundbegriffe der Ikonographie und der Poetik. Er deutet an, was Bild- und was Wortkunst jeweils vermag, wofür sie jeweils zuständig sind. Sinnfällig wird, wieso da, wo das Bild versagt, die Epik das Sagen hat. Die nämlich -»glaubt mir, das Städtchen steckt dahinter« - bezieht Kredit aus der Verläßlichkeit des Erzählers und aus der Vergegenwärtigungskraft seines Redens. Was wir nicht sehen, kann sie mit Worten herbeirufen, auf daß wir es sehen. Sie holt es vors innere Auge, aber auch vors innere Ohr: vom bellenden Hund bis zum krähenden Hahn.

Jenes Kleinstadtmilieu also wird fragmentarisch gemalt, um es episch zu vervollständigen. Ein optisches Stenogrammkürzel - die Kirchturmspitze, die aus den Bäumen ragt - reicht hin, die Phantasie der Hörer und Leser in Gang zu setzen. Eine allgemeine Vorstellung von Kleinstadtleben ruft es herauf, die der Erzähler dann durch poetische Sprache auf besondre Weise im Buch zum Sprechen bringt. Dahinein lokalisiert Hoffmann seinen Helden, den Faulpelz Bastian. Ihn, der, statt zur Schule zu gehen, seine Tage im stillen Wald verschläft, stören eben dort eines Tages seltsame Gestalten auf, die mahnend auf ihn einreden. Es sind verkörperte Buchstaben des Alphabets, dem er sich so hartnäckig entzieht: vom fuchtelnden Hellebardenträger F über den langgestreckten Baron L zum kuttenschwenkenden Kapuzinermönch Z.

Für unsre Frage nach dem Zusammenspiel von Bild und Text gibt sich hier eine besondere Spielart zu erkennen. Seit Ende des 18. Jahrhunderts ist sie den Kindern und ihren Erziehern geläufig. Es findet da

Frühe Deckelbilder zu Mays Werken (vgl. S. 107-109)


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ein geradezu elementarer Übergang statt vom einen zum andern Medium. Elementar insofern, als kleinste Elemente der Sprache, die Buchstaben, zur Keimzelle von Bildern werden. Zahllos sind jene Bilderfibeln, die das Buchstabieren anschaulich beibringen sollen, indem sie die einzelnen Laute an einschlägigen Dingen demonstrieren, deren Wort eben damit beginnt: am Apfel das A, am Ochsen das O und so fort. Wilhelm Busch hat später dieses Verfahren von Wissensvermittlung ad absurdum geführt im närrischen Bilder-Alphabet: »Im Ameisenhaufen wimmelt es. / Der Aff frißt nichts Verschimmeltes.«

Heinrich Hoffmann dagegen, zwei Jahrzehnte früher, nimmt diese pädagogische Praxis noch halbwegs ernst. Sie dient ihm indes als Sprungbrett für eigenwillige Kapriolen mit Bild und Text. Er verfeinert, bereichert und erweitert sie. So entsteht daraus ein naiv verschmitztes Kunststück, das auch den ästhetischen Sinn sozusagen alphabetisieren soll. Deshalb verwirft Hoffmann die überkommene mechanische Weise, jeder Initiale jeweils ein passendes Bild zuzuordnen - dem A den Apfel, dem O den Ochsen. Stattdessen entwickelt er, erzählerisch, die Figur des Hellebardenträgers F, des Barons L, des Kapuziners Z aus dem optischen Erscheinungsbild dieser Buchstaben. Die graphische Form der jeweiligen Lettern setzt sich fort und um in charakteristischer Körperhaltung, Kleidung und Gerätschaft (die Pfeife des Barons). Nicht genug damit. Hoffmann wertet auch, ebenfalls mit epischer Erfindungslust, den hörbaren Eindruck der Buchstaben aus, indem er dem Klang jener daherkommenden Laute-Leute sein


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einprägsames Echo verschafft im Reim: »Ich bin das F, das große F. / Das wisse mir zu sagen; / denn wenn ich dich noch einmal treff',/ dann geht dir's an den Kragen.« »Der ist ein alberner Gesell, / ein Schwachkopf ist er schon, / der mich nicht kennt, den Herrn von L, / den langen Herrn Baron.« (Unterstr. V.K.)

Somit werden beide Künste, die graphisch typographische wie die klanglich poetische, dazu aufgeboten, um die Elemente der einen, die Buchstaben, im Bilderbuch episch zu verlebendigen. Denn Hoffmann erzählt ja, im Unterschied zu früheren Bilderfibeln, eine zusammenhängende Geschichte. Deshalb bleibt er nicht dabei stehen, die Sprache in einzelne Buchstaben zu zerlegen, die isoliert nur jeder für sich eine eigene Illustration erhalten. Hoffmann läßt vielmehr, genau umgekehrt, die einzelnen Buchstaben sich zusammenschließen zur höheren Einheit eines ganzes Worts. Als Gruppe vereinigt, ergeben sie miteinander jenen Schimpfnamen, der den Helden des Buchs bezeichnet. Sie formieren sich - Bild als Text und Text als Bild - zum Stichwort >Faulpelz<. Ihr Zusammenschluß zum ganzen Wort und just zu diesem Wort versinnlicht zugleich, pars pro toto, auch die Kohärenz der erzählten Geschichte als einer ganzen. Holt doch das Schlußtableau, wenn das >Faulpelz<-Ensemble den Sarg des verfaulten Helden auf den Schultern davonträgt, rondoartig die allervorderste Äußerung der Erzählung wieder ein, den Titel >Bastian, der Faulpelz<.


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Wenn solchermaßen die Lettern, bildlich und poetisch verlebendigt, zunächst einzeln auftreten, um hernach gemeinsam einen ersichtlichen Gruppen-Sinn zu bilden, der den Helden und seine Geschichte prägt, dann geht den Lesern drastisch auf, was sie gemeinhin eher achtlos hinnehmen. Hier jedoch, dank Hoffmanns heiter bedenklicher Vergrößerung und Zeitlupe, prägt sich zweierlei ein. Einerseits der sukzessive Verlauf: wie im epischen Nach und Nach der Bilder und der Worte eine dahererzählte Welt sich allmählich entfaltet. Und andrerseits der dazugehörige Verlauf: wie den Lesern oder Hörern sich aus den bildlichen und sprachlichen Einzelheiten peu à peu ein durchgängiger Sinn erschließt.

Stotterndes Zusammenbuchstabieren - so zeigt sich - ist nicht allein eine Anstrengung der Kleinen, die gerade Lesen lernen. Es ist auch eine Anstrengung der Großen, die längst lesen können. Und zwar immer dann, wenn sie ins unwegsame Gelände eines außergewöhnlichen Romans oder eines außergewöhnlichen Gemäldes vordringen. Vollends dort, wo beide Künste im nämlichen Werk zusammenkommen.

S i m u l t a n b i l d n e r e i  a u f  d e m  T i t e l b l a t t :
V o n  V e r n e  b i s  M a y

Gewonnen wurden bisher allgemeine Befunde über die Tätigkeiten des Erzählens und des Reisens, und wie sie sich zueinander schicken; allgemeine Befunde auch über das Erzählen in Worten und in Bildern, und wie sie sich zueinander schicken für jene, die korrelierend daraus eine Welt erlesen. Die Befunde reichen vorerst aus, um den folgenden Beobachtungen an besonderen Einzelfällen brauchbare Fluchtlinien zu weisen.

Den bebilderten Reiseerzählungen Karl Mays nähere ich mich zunächst über jene des französischen Großmeisters Jules Verne. Denn deren visuelle Herrichtung machte, über Frankreichs Grenzen hinaus, allenthalben Schule im Genre der europäischen Abenteuerliteratur; nicht zuletzt auf die Karl-May-Ausgaben bei Münchmeyer und Union. Alle Bücher von Vernes vielbändiger Erfolgsserie unterm Sammeltitel >Les Voyages extraordinaires< sind ursprünglich mit Illustrationen erschienen. Ihre Bilder sollten den zeitgenössischen Lesern zu Hause die erzählte Ferne auch vor Augen führen; die nie gesehenen exotischen, submarinen und extraterrestrischen Schauplätze und Ereignisse.

Im Unterschied zu Hoffmanns Bilderbuch handelt es sich um Illustrationen von fremder Hand. Wie auch bei den meisten Abenteuer-


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romanen andrer Autoren, einschließlich Karl Mays, wirkt hier also nicht Dichter und Graphiker in Personalunion. Es sind vielmehr zünftige Kupferstecher, Holzschneider, Lithographen im Auftrag des Verlags am Werk. Von der eigenen Lektüre lassen sie sich anregen und greifen besonders bezeichnende, optisch ergiebige Situationen des erzählten Geschehens heraus, um den Lesern die Bilder nahezulegen, die sie selber sich davon gemacht haben. Dies ist die gängige Praxis, zumal bei den populären Romanen des neunzehnten Jahrhunderts -von Hugo bis Dickens, von Dumas über Hackländer bis zu Karl May.


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Suggestiv lädt sie dazu ein, den Hauptstationen der Romanhandlung mit den Augen nachzugehen als einer mehr oder minder dichten Stationenfolge einprägsamer Szenen, meistens in Schwarz-Weiß. Eine solche Sequenz von Illustrationen, die den Lesetext wieder und wieder unterbricht, vollzieht noch einmal - auf andern ästhetischen Wegen und in anderm Rhythmus - dessen episches Prinzip des >Dann und Dann und Dann<. Noch merkwürdiger, weil vertrackter, erscheint freilich das, was dem Text vorausgeht, bevor der erste Absatz die erzählte Welt sprachlich heraufruft: das Titelbild. Werfen wir einen Blick auf jenes zum Roman >Nord contre Sud< (1887), illustriert von Leon Benett.

Abgesehen vom Namen des Autors und vom Titel des Romans vereinigt es fragmentarische Bildchen von mehrerlei Situationen. Es sind visuelle Ereignissplitter dessen, was das Buch hernach bescheren wird. Anders jedoch als bei den Illustrationen innerhalb der fortlaufenden Erzählung ist hier kein ganzes, einheitliches Bild zu sehen, das eine bestimmte, einmalige Situation fixiert - genau so und oft auch genau an der Stelle, wie und wo sie sich abspielt im abenteuerlichen Geschehen. Es ist vielmehr ein Simultanbild. Ins Hier und Jetzt rafft es zusammen, was an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeitpunkten geschieht; teils mit weichen Übergängen, teils mit hartem Schnitt, erkennbar an den teils runden, teils ovalen Einrahmungen. So stoßen Figuren und Schauplätze aufeinander, die sämtlich im Roman zwar vorkommen werden, nirgends aber in derart enger Nachbarschaft.

Dabei entstehen traumähnliche, vorsurrealistische Karambolagen. Der rüde Anführer im mittleren Oval scheint seine bewaffnete Bande auf die arglose vornehme Exkursionsgruppe zu hetzen, der er im Romangeschehen so nirgends begegnen wird. Und der Chef dieser Exkursionsgruppe ahnt nicht, daß er mit dem nächsten Schritt abstürzen muß auf den Kopf des Bootsmanns in der Barkasse darunter. Der Offizier in der Mitte interessiert sich stärker für das kleine Mädchen auf dem Schoß der Inderin als für die zwei Kerle vor dem Baum, die ihn eigentlich angehen. Und der Schilfbusch hinter dem dolchbewehrten Negerhäuptling ragt gar hinein in eine Seeschlacht auf dem hohen Meer.

Was ein solches Titelblatt vollführt - künstlerisch etwas unbeholfen, aber reizvoll - ist der Versuch einer synästhetischen Quadratur des Kreises. Synästhetisch bezogen auf beide beteiligten Künste, auf Bild und Sprachtext. Das Bild soll leisten, was es aus eigenen Stücken nie vermag, sondern allenfalls über den Umweg einer zusätzlichen Gedankenbrücke des Betrachters. Es soll an ein und dem gleichen Ort ver-


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schiedene Orte zusammenzwingen. Das nämliche soll es für den Erzähltext leisten: sein unweigerliches Nacheinander von Ereignissen in ein Nebeneinander nötigen.

Bei diesem Unterfangen, das weder der bildenden noch der poetischen Kunst von Haus aus ungezwungen möglich ist, orientiert sich das Titelblatt an einer dritten Kunst, an der Musik. Seine Technik und Funktion ähneln, cum grano salis, denen einer Opernouvertüre. Hier wie dort werden Themen vorweggenommen, die hernach im Lauf des Geschehens einen bestimmten Situationsgehalt kennzeichnen, ohne daß das Publikum den Zusammenhang schon kennt. Der wird verkürzt auf allgemeine Stimmungssignale. Hier wie dort aber auch geht es darum, mehrere Themen, die hernach notwendigerweise in zeitlicher Folge erscheinen werden, jetzt schon gleichzeitig erscheinen zu lassen. Mehrstimmige Musik ist dazu zwanglos imstand, ebenso zwanglos im Einvernehmen mit ihren Hörern. Im Titelbild hingegen, das einen Erzähltext präludiert, läßt sich derlei Simultaneität nur ergaukeln, nicht aber regelrecht bewerkstelligen.

Daß dieses Gaukelspiel namentlich in Abenteuerromanen damals um sich griff, liegt nah. Mag es auch - buchstäblich auf den ersten Blick der Leser - die schlüssige Consecutio der erzählten Reiseroute durcheinander und zum Verschwinden bringen, so führt es dafür Wichtigeres vor Augen: die Unabsehbarkeit von Abenteuern, die geheimnisträchtigen Vorkommnisse, die zerrissenen Familienbande, die zunächst rätselhaft verborgenen Zusammenhänge des Geschehens. Also lauter gattungseigene Kreuz- und Querschläge, um derentwillen überhaupt die Abenteurer ihre lineare Reiseroute einschlagen. Den Kolportageromanen Karl Mays ist solches Simultanprinzip sogar noch angemessener als den >Voyages imaginaires< des Jules Verne. Denn hier wird keine einlinige oder kontinuierliche Wegstrecke mehr verfolgt. Hier kommt es immer wieder zu Rösselsprüngen zwischen mehreren Handlungssträngen und Personengruppen; oft auch zeitlich vor und zurück in ganzen Generationsintervallen. Erst recht also wäre in diesen Romanen die vorsurreale Karambolage unverträglicher Ereignissplitter am Platz. Doch der Geschmack des Hauses Münchmeyer und die verfügbaren Graphiker waren davon merklich überfordert. So kam es zu eher faden, aber durchaus aufschlußreichen Titelblättern.

Wir werden sogleich sehen, wie wenig sie dem brisanten Spannungspotential abgewinnen, das in jeglicher Simultanbildnerei steckt. Sie entfesseln es gerade nicht als aufrührenden Ausblick auf heftige Kollisionen im kommenden Abenteuergeschehen. Sie drosseln es zum glimpflichen Potpourri von Einzelbildchen. Titelblätter wie diese ver-


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lagern und verändern im vorhinein den Hauptnenner jener Ereignisfülle, die dann auf etlichen tausend Seiten dahererzählt werden wird. Dem gespannten Augenmaß der Leser verpassen sie somit einen andern Maßstab als den von atemberaubenden Turbulenzen. Was sie stattdessen verheißen und auf welche Weise, ist bezeichnend dafür, wie deutsche Popular-Verlage ihr Publikum eingeschätzt und eingestimmt haben. Durchaus nicht abwegig, gemessen am Erfolg. Hier können zwei Beispiele genügen, eins zum >Waldröschen< und eins zu >Deutsche Herzen - Deutsche Helden<.

Daran verblüfft, wie wenig die Graphiker dem ureigenen Impuls ihres Metiers zutrauen, dem der sprachlos sprechenden Veranschaulichung. Ihrerseits ins Bild zu bringen, was Karl May bildhaft erzählt, prima vista auf der ersten Seite, das wäre ihr zünftiges Geschäft. Sie aber halten sich wortgläubig, als sei Sprache auch ihre Sprache, an die Abstraktion von Redewendungen. Ganz anders also als der Titelbildner von Jules Vernes >Nord contre Sud< verfährt der von >Waldröschen<. Nicht die sinnliche Ereignisfülle des Romangeschehens illustriert er, sondern die unsinnlichen Pointen des geschriebenen Titels und Untertitels. Und die sind - ob nun vom Autor stammend oder vom Verlag - selber schon nichts weiter als uneigentliche Metaphern; schiere Sprachformeln jenseits stichhaltiger Anschauung. Denn im Roman ist das angekündigte »Waldröschen« keine Blume, sondern ein Mädchen; und die »Verfolgung rund um die Erde« ist keine Umrundung des ganzen Globus, sondern nur ein begrenzter geographischer Zickzackweg.

Besagter Untertitel liefert jedoch mit »rund« das nichts als formale Stichwort für die Komposition. Leitmotivisch spielt sie die Kreisfigur durch. Meist flächig, mitunter auch dreidimensional, um die Erdkugel nicht aus dem unsinnlichen Sinn zu verlieren. Als zentralen Blickfang holt eine kreisförmige Fernrohrlinse die gar nicht zentrale achtjährige Titelträgerin heran: ein rundgesichtiges Mädchen mit drallen Ärmchen und Wädchen, am Zaun lehnend, unterm fürsorglichen Blick einer Alten im Hintergrund. Um diese Linse herum, hinter der gerundeten Signatur des Obertitels, sieht man in vier unumgrenzten Feldern: oben links kämpfende Indianer, oben rechts galoppierende Beduinen; unten links abgesessene Reiter vor einem mutmaßlichen Pyramidensockel, unten rechts aufgetürmte (seltsam mittelalterliche) Waffen, dominiert von einem rundgewölbten Schild. Den breiten linken Rand, nahe dem Falz des Buchrückens, beherrscht eine senkrechte Galerie von Gesichtern. Sie sind jeweils scharf umrahmt wie runde Medaillons. Daß es sich um vereinzelte Hauptfiguren des Romans handelt, bescheinigen


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Namensschilder wie >Dr. Sternau<, >Cortejo<, >Karja<. Nicht mal hier vertraut der Graphiker auf die Schlagkraft des Bilds ohne Beglaubigung des Worts. Seine - ungewollte - eigene visuelle Botschaft aber besagt, daß die so deutlich isolierten und entleibten Heldenhäupter nichts miteinander zu tun haben, und daß sie schon gar nicht streitbar übergriffig werden über ihren Medaillenrand hinaus. Ferner, daß jene Porträtierten, verewigt wie in der Ahnengalerie, längst zu abgehange-


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nen Würdenträgern geworden sind. Dieser Status entrückt sie den Lesern ebenso wie den Ereignisstürzen der kampflustigen Indianer und Beduinen dort auf der andern Seite des Titelblatts. Fazit: zur absichtlichen Allegorie vom Rundlauf ums Erdenrund gesellt sich eine unabsichtliche Allegorie vom stillgelegten Vitalismus der prominenten Abenteurer. So gesehen, begegnet das Bild den Blicken der Leser ähnlich schonsam wie der Verkündigungsengel den Hirten in der Weihnacht: Fürchtet euch nicht!

Simpler in der Komposition, dafür etwas munterer den kommenden Abenteuern zugetan, gibt sich das Titelblatt zu >Deutsche Herzen - Deutsche Helden<. Auch hier bestimmen zwei, immerhin unbeschriftete, Porträts die linke Vertikale. Oben das rechteckig gerahmte Ganzbild einer Haremsdame, die mit dem Antlitz und vollends mit ihren üppigen Gliedmaßen den Lesern ein reizvolles en face bietet; noch dazu, indem sie bedeutsam einen bergenden Vorhang seis öffnet, seis schließt. Drunter, ihre Füße überdeckend, das rundgerahmte Brustbild eines gleichfalls schönen Mannes im Halbprofil, vielleicht der deutsche Held Steinbach in orientalischem Habit. Andrer Maßstab und andre Blickrichtung deuten an, daß die beiden jeweils in gesonderten Innenräumen zu denken sind. Und erst recht gesondert von den umfangreichen, folkloristisch geprägten Außenräumen, welche die rechte Seite des Titelblatts und seine Basis einnehmen. Droben: ein berittener Westmann in mexikanischer Fels-und-Kaktus-Landschaft, der voller Spannkraft auf den Hinterläufen seines Pferds das Gewehr abfeuert - schräg aufwärts durchs Loch der Letter »e« von »Werke«. Aus diesem »Werke« wiederum wachsen nochmals Köpfe im Profil, leicht versetzt: ein bemützter Trapper (Sam Barth) und ein Indianerhäuptling, die naseweis und naserot den Genitivzeichen des Autorennamens entgegenschnüffeln, »May's«. Drunten: ein orientalischer Hafenquai mit festgemachtem europäischem Dreimaster, im Hintergrund eine Moschee, im Vordergrund lagernde Beduinen mit Kamel und Warenballen.

Lediglich additiv kommen diese Einzelbildchen zusammen, was ein übergreifendes Ornament, fast wie ein fragender Violinschlüssel, mehr betont als vertuscht. Dennoch - und trotz mancher ungewollten Komik - wirkt dieses Titelblatt triftiger als das ambitioniertere zum >Waldröschen<. Hier nämlich hat der Graphiker begriffen und ins Bild gesetzt, worum es geht. Er zeigt vorweg, daß dieser Roman von gewaltigen Spannweiten lebt. Von Spannweiten zwischen heterogenen Landschaften und Kulturen, zwischen intimen Interieurs und unwirtlichen Wüsteneien, zwischen hervorragenden Einzelfiguren und namenlosen


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Gruppen. All dies zu Wasser und zu Land. So begegnet den Lesern, noch eh sie zu lesen beginnen, zumindest ansatzweise eine sinnfällig einleuchtende - keineswegs abstrakt behauptete - Quintessenz der Art und Vielfalt von Ereignissen, die der Roman dann ausbreitet. Ein anschauliches Bild entsteht von dem, was da kommen wird. Kein abgeleitetes Sinnbild von dem, was es womöglich zu bedeuten hätte, so wie im Titelblatt des >Waldröschen<.

Beide Richtungen, so zeigt sich im historischen Rückblick, waren wegweisend für künftige Karl-May-Ausgaben. Jedenfalls tendenziell. Meistens auf höherem stilistischem Niveau haben Union, Fehsenfeld und dessen Nachfolger in Radebeul und Bamberg mal den einen, mal den andern Weg eingeschlagen: mal jenen des augenscheinlichen Extrakts, das den Lesern handfeste Abenteuer verspricht; mal jenen der allegorischen Sinnbildnerei, die ihnen tiefere Bedeutung ankündigt.(3) Damit sind wir bei jenem flächigen Schau-Platz, auf dem Karl Mays erzählte Abenteuer sich am nachdrücklichsten visuell zur Geltung bringen, auf dem sogenannten Deckelbild. Sein Ort am Buch, seine Form und Funktion, sie ähneln, doch sie gleichen nicht, denen des Titelblatts.

I k o n o g r a p h i e  d e s  D e c k e l b i l d s
I .  B e i  M ü n c h m e y e r  u n d  U n i o n

Beide weisen optisch den Zugang zum Romangeschehen. Die Leser nehmen sie wahr, noch bevor sie auf den ersten Satz des Autors treffen. Übers Auge, den allemal sichersten Sinn, lassen sie vom Bild sich einnehmen fürs unübersichtliche Textvolumen. Sie glauben daran und hoffen darauf, der Ablauf des Erzählens wie des Erzählten werde voll und ganz erfüllen, was das Bild als Kürzel avisiert. Wieso Deckelbilder sich dennoch grundsätzlich von illustrierten Titelblättern unterscheiden; wieso sie jeweils anders verfahren und anders auch den Lesern widerfahren, das soll später noch erläutert werden.

Zuvor scheint mir eine Revue von bezeichnenden Beispielen fällig. Bezeichnend sind sie für den ästhetischen Wandel dessen, was - im Lauf von Jahrzehnten - die Verlage veranschlagt haben als visuellen Sog hin zu Karl Mays Abenteuerwelt. Zuerst, als partielle Wiedergutmachung, erläutere ich zwei Deckelbilder des Verlages Münchmeyer. Offensichtlich sind sie sachgerechter ausgefallen als die schon betrachteten Titelblätter. Dabei geht es just um Teilbände der nämlichen Großromane >Das Waldröschen< und >Deutsche Herzen - Deutsche Helden<.


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Beide Deckelbilder zeigen die gleiche Tendenz, wenn sie zweierlei auf einmal ausmalen: die Metaphorik des Titels und einen prägnanten Schauplatz kommender Abenteuer. Monumental, mit eroberndem Fuß und weitem Blick, beherrscht hoch oben der >Herr des Felsens< eben diesen. (Bild I/1)(4). Doch gleichzeitig spricht aus dem Halbprofil, der gespannten Körperhaltung, dem Schatten, den er wirft, und erst recht aus dem strömenden Fluß im Abgrund gefährliche Dynamik, die den hohen Sockel des Helden bedroht. Noch drastischer wirkt der szenisch-abenteuerliche Aspekt beim >Engel der Verbannten< mit. (Bild I/2) Denn die schöne Beschützerin zu Pferd ist mittendrin, ihren Ehrentitel erzengelhaft kämpferisch zu beweisen. Mit Pistolenschüssen rettet sie den halb vom Schnee überwehten Verbannten vorm Angriff der Wölfe. Sie widerstrebt sogar der gängigen monumentalen Formel von Reiterdenkmälern, da sie das Pferd zurückreißt und abwärts blickt.

Nun zum Union-Verlag, der einzig für Jugendliche publizierte. Karl May trug dem Rechnung, indem er seinen überragenden Heldenmeistern frühreife Heldenlehrbuben zugesellte. Merkwürdigerweise gehen die Deckelbilder auf solche halbwüchsigen Leitfiguren nirgends ein. Statt dessen locken sie mit szenischer Brisanz und personenreicher Vielfalt. Auch hier gilt wie bei Münchmeyer das Motto >Zwei auf einen Streich<. Wörtlich wird der literarische Titel ins Bild übertragen, das zugleich einen abenteuerlichen Schauplatz entwirft, als pars pro toto gefährlicher Ferne.

Die titelgebende >Sklavenkarawane< (Bild I/3) erscheint als vielköpfige Schar, die sich durch die Wüste schleppt, vorwärtsgetrieben von reitenden und schwerbewaffnet daherschreitenden Sklavenjägern. Im Vordergrund, auf den Betrachter zu, ein Skelett am Boden. Das Bild vom Überdruck auf eine zusammengepreßte Menschenmasse steigert sich noch, da sie herausquillt aus dem markanten Bildrahmen - einem maurischen Hufeisenbogen, der, samt dem gebogenen Schriftzug des Titels, muselmanisches Afrika beruft. Bemerkenswert ist der Wechsel des Deckelbilds zum gleichen Roman im Jahr 1905 (Bild I/4). Er entspricht dem Umschwung von überladener Belle époque zum entrümpelnden Jugendstil. Wohlgemerkt zu jener Spielart des Jugendstils - in der Nähe des Wiener Sezessionismus von Otto Wagner und Josef Maria Olbrich -, der sich rankenreicher Ornamentik weithin entschlägt zugunsten scharfer Umrißlinien auf großen, freien Farbflächen. Allegorisierend setzt das neue Bild alles auf eine scharf umrissene Einzelfigur in leerem landschaftlichem Nirgendwo, das nur grüne Bodenwellen linear abgrenzt von blauem Horizont. Der wuchtige peitschenschwingende Araber in weißem Burnus und Turban wird zur Personifikation


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erbarmungsloser Brutalität, ortlos und geschichtslos. Zweifellos, das neue Bild ist dem alten ästhetisch überlegen. Es schwächt jedoch, um die ideelle Bedeutsamkeit zu stärken, die abenteuerliche Fülle und Unabsehbarkeit des erzählten Geschehens.

Den gleichen stilistisch-semantischen Schwenk hat der Verlag in jenen Jahren auch bei den andern Karl-May-Büchern vollzogen: vom >Inka< bis zum >Silbersee<. Ein besonders interessanter Fall ist >Der blau-rote Methusalem< (Bild I/5). Sein altes Deckelbild setzt nämlich, um vollauf zu wirken, die Kenntnis des Romans voraus. Wie jenes der alten >Sklavenkarawane< entwirft es eine bewegte Gruppenszene. Darin jedoch wird jede Einzelfigur unverwechselbar porträtiert in Physiognomie, Gewand und Requisit. Eine burleske Prozession des Abenteurer-Ensembles durch die chinesische Stadt: vorneweg der Hund mit aufgeschnalltem Bierkrug; dann sein imposanter Herr mit Wasserpfeife im Mund, die der dürre Diener im einen, das Fagott im andern Arm präsentiert; hoch oben auf dem Sänftendach, mit dem Perückenzopf huldvoll winkend, der mandarinisierte Kapitän Turnerstick. Abermals wird die Szene wie durch einen Bühnenrahmen gleichermaßen ab- und hervorgehoben. Freilich dergestalt, daß ausgeklügelte Perspektivik, Diagonalbewegung und Staffagefiguren das Lesepublikum sozusagen verwandeln in weitere Straßengaffer, die wohl im nächsten Augenblick von der Prozession erreicht werden. Ingeniös hat der Graphiker die Titelei untergebracht. Autorenname und Romantitel erscheinen auf einem riesigen Fächer - noch außerhalb des chinesisch ausgeschmückten Bühnenrahmens. Er bewegt sich in einem imaginären Zwischenraum, der die Betrachter mit dem suggerierten Guckkasten verbindet. So wie Autor und Buchtitel uns die erzählte Welt vermitteln, indem sie jene und uns fächerfächelnd beleben.

Das neue Deckelbild (Bild I/6) zum >Methusalem< beschert den Lesern dann - wie das neue zur >Sklavenkarawane< - jugendstilige Reduktion: auf eine monumentale Einzelfigur, den chorstudentischen Titelhelden, mit Knotenstock und Hund vor einem chinesischen Palast. Der freie Raum wirkt so luftleer wie das Gebäude menschenleer. Eine aparte Lineatur mit reizvollen Farbkontrasten, zumal vorm chinesisch gelben Hintergrund - doch auf Anhieb erscheint es schlechthin unverständlich. Da schon Anno 1908 kaum wer die Titel-Metaphorik unerläutert begreifen konnte, muß die noch so originelle Graphik danebentreffen. Herr und Hund und Haus können sich bildlich nicht erklären: das >blau-rot< so wenig wie den alttestamentlichen Namen; schon gar nicht das, was fürs Romangeschehen aus ihnen zu folgern wäre. Dadurch entsteht das Trugbild einer Allegorie, die nichts zu besagen hat.


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I k o n o g r a p h i e  d e s  D e c k e l b i l d s
I I .  B e i  F e h s e n f e l d  u n d  s e i n e n  N a c h f o l g e r n

Wer, wie ich, dazu neigt, die Aufmachung dieser Ausgaben allen andern vorzuziehen, tut es gewiß auch deshalb: Die olivgrünen Bände mit dem ovalen goldenen Rückenschild und dem vielfarbigen Deckelbild sind für viele Generationen zum optischen, auch zum haptischen Inbegriff geworden. Ebenso einzigartig wie die Erzählwelt dieses Autors. Uns, die wir damit aufgewachsen sind, will es so scheinen, als sei ein echter >Karl May< nur dann einer, wenn er just so aussieht und in der Hand liegt. Aber nicht nur diese eingespielte äußerlich-innerliche Einheit der Bände aus Freiburg und Radebeul spricht für sie. Erst recht spricht dafür - was eben dazu wesentlich beigetragen hat - das Zusammenspiel von ausgewählter Situation und Motivik, von Ausschnitt und Draufsicht, von graphischem Stil und Farbskala der meisten Deckelbilder. Es bewirkt einen Gesamteindruck, der die jeweils erzählten Abenteuer auf einen prägnanten visuellen Nenner bringt. Durchaus pointiert und dennoch offen für unabsehbare Vorkommnisse, die sich da noch ereignen könnten. Nichts erstarrt und verengt sich nach Art der schon erörterten allegorischen Darstellungen.

Werfen wir einen Blick aufs Deckelbild (Bild II/1) von >Im Reiche des silbernen Löwen<. Geschickt hat der Graphiker Bildkomposition und Schriftzug des Titels in gemeinsamem Schwung vereinigt. Einen transitorischen Augenblick stellt er dar zwischen Reiten und Innehalten der beiden arabisch Gekleideten. Und damit zugleich eine Grundsituation bei Karl May: plötzliches und folgenreiches Zusammentreffen. Die Pferde bilden einen rechten Winkel zueinander. Wir folgen der Blickbahn des dahinreitenden langflintigen Beduinen - frontal ins Gesicht von Kara Ben Nemsi, dem Mann mit den beiden Gewehren. Dessen Überlegenheit wird allenthalben spürbar. Er bremst die Bewegung des andern Reiters auf dem bleichen Falben, der den Schweif hängen läßt, während der Rappe des Helden die Stirnlocke aufrichtet. Umraum und Hintergrund allerdings bleiben leer und fad. Nicht so im >Winnetou<-Bild (Bild II/2), das die Landschaft mitspielen läßt. Seitlich vom Waldrand, im Vordergrund, erstreckt sich die Savanne weithin bis zum Horizont. Davon hebt sich, noch fern, der Kopf eines Herantrabenden ab, dem wir wohl ähnlich gespannt und zugleich entspannt entgegenschauen wie der Titelheld, der sich so ruhig an den Baum lehnt. Daß es kein Feind ist, dafür spricht das abgestellte Pferd und die lässig hingestützte Büchse. Auch hier also bahnt sich ein vermutlich folgenreiches Treffen an.


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Die beiden nächsten Deckelbilder, abermals mit einläßlich ausgemaltem Landschaftsraum, drücken ungleich heftigere Bewegung aus. Ein Ereignis, das sich alsbald so oder so entladen wird, steht hier nicht bevor. Hier herrscht pralle Gegenwart, die sich jetzt eben in Aktion entlädt. Und diese Aktion hat der Zeichner dem Betrachter zudem noch sehr viel näher gerückt: durch Maßstab und Draufsicht. Im ersten Fall (Bild II/3) rast die Reiterin schier aus dem Bild auf uns zu. Ihr rot wehender Mantel kontert das Dunkelblau der Gewitternacht, deren Blitze auch noch im Zickzack der Titellettern niederfahren. In diesem Augenblick ist, metaphorisch zumindest, der eine Titelpartner los, der Teufel. Ziemlich unbedacht allerdings hat der Verlag den ganzen Zyklus von >Satan und Ischariot< mit gleichem Deckelbild versehen. So präsentieren alle drei Bände eine einzigartige Extremsituation, die nur in einem vorkommt. Noch expressiver geht es zu >Am Stillen Ozean< (Bild II/4). Der Absturz des Malaien, mit rücklings gefesselten Händen, kopfüber von hoher Felsenklippe, ballt ein atemberaubendes Jetzt. Vollends ungestüm wirkt das Ereignis durch den Gegensatz von glatter Meeresoberfläche und gezacktem Felsgewirr samt der kreisförmigen Titelschrift, in der sich die korallenroten Schuhe des Stürzenden verfangen.

Das spätere Bild (Bild II/5) zum gleichen Werk gibt ein Prinzip zu erkennen, das sich von da an bei vielen Fehsenfeld-Bänden durchsetzt: Fernblick auf eine vorherrschende Landschaft, in der die handelnden Menschen eine zunächst kaum sichtbare Rolle spielen. Aus den nächsten Beispielen läßt sich ersehen, wieso gerade diese Lösung den erzählten Abenteuern Karl Mays bestens gerecht wird. Zunächst die beiden Bücher des Südamerika-Romans, dann der Mahdi-Zyklus, letzterer mit gleichem Deckelbild für alle drei Bände.

>Am Rio de la Plata< (Bild II/6): Zuallererst sticht ins Auge - als beinah surrealistisches Gebilde - das isolierte, abgehackte, fast bodenlose Baumgewächs. Dann leitet es weiter zum gebogenen Lauf des Titel-Stroms und hinauf zum dumpf leuchtenden Himmel. Erst der zweite oder dritte Blick nimmt den Rücken des Mannes wahr, der links unten sich am Ufergebüsch aus dem Wasser zieht, heimlich lugend nach mutmaßlichen Verfolgern, die indes nirgends zu sehen sind. Ähnlich verfährt >In den Cordilleren< (Bild III/1) mit der Lichtung eines Tropenwaldes aus Baumriesen, von denen schlangenartig Lianen herunterbaumeln. Auch hier dauert es eine Weile, bis wir im Gebüsch zwei versteckte Männer mit Sombreros entdecken, die nach hinten spähen. Und, fahndend nach dem Objekt ihrer verstohlenen Aufmerksamkeit, entdecken wir weiter entfernt eine Schar kaum sichtbarer Indios. Beide


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Bilder entfesseln einen Sog in die Tiefe des Raums: durch die Komposition wie durch Standort und Körperhaltung der gemalten Personen, die uns auf ihre Blickbahn locken. Auch im Deckelbild zum >Lande des Mahdi< (Bild III/2) dominiert die Landschaft: ein breiter, träg fließender Strom wie beim Rio de la Plata, nur eben durch Palmen und Kakteen am Ufer als Nil gekennzeichnet. Auffälliger behaupten sich hier die spärlichen menschlichen Regsamkeiten im sonst so einsamen weiten Raum: verdichtet auf ein kleines Hausboot mit zwei Ruderern, doch nicht nah genug, um individuelle Gesichtszüge auszumachen.

P r i n z i p  > V o r r a n g  d e r  L a n d s c h a f t  v o r  F i g u r e n <

Wirksam schärfen alle vier Bilder den Lesern ein, daß sie in jedem Fall ein exotischer Raum erwartet, den die Romanhelden eben dieser Exotik wegen durchqueren. Nur unter den Bedingungen solcher Ferne - ihrer Landschaften, Gewächse, Lebewesen - gedeihen die erzählten Abenteuer. In und an dieser Umgebung müssen sich die Helden abkämpfen. Dorthin stoßen sie von außen, sie kommen hinzu: in die primären Gegebenheiten eines sichtlich fremdartigen Geländes.

Ob nun sorgsam berechnet oder auch nur intuitiv treffsicher, der Sog dieser Deckelbilder folgt einer scharfsinnigen Strategie. Die besonderen Impulse, die sie unsern Blicken vermittelt, tragen beiden Seiten gleichermaßen Rechnung: einerseits dem Start und dem Fortgang des Lesens, andrerseits der unverwechselbaren Erzählwelt, welche augenblicklich drauf und dran ist, sich von uns erlesen zu lassen. Just diesen inchoativen Hergang, raus aus der Ruhelage in Bewegung, beschwören die Deckelbilder herauf. Und eben diesem angestrebten Umschwung zwischen Noch-Nicht und Jetzt-Sofort verschreibt sich ihre eigenartige Ikonographie.

Wenn sie der Landschaft den Vorrang einräumt vor den menschlichen Akteuren, dann erzeugt sie diesen Eindruck als ein nur vorläufiges Verhältnis. Genau so, wie es der förmlichen Prima-Vista-Veranstaltung eines Deckelbildes zukommt. Indem es aber dergestalt nur den Auftakt bildet, der dem eigentlichen Lesen vorausgeht, erzeugt das gleiche Bild zugleich noch einen ganz andern Eindruck, der den allerersten revidiert. Die riesige Landschaft nämlich, die jene zunächst zweitrangigen Akteure zu überwältigen scheint, vermindert sie damit keineswegs zu unerheblichen Zwergen. Im Gegenteil. Sie provoziert sie -und mit ihnen unsre Vorstellung von ihnen - dazu, an der riesigen Landschaft zu wachsen, sich mit ihr zu messen und sie schließlich gar

Deckelbilder des Verlages Fehsenfeld zu Mays Werken (vgl. S. 110 u. 111)


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ihrerseits zu meistern. Eben davon wird sodann, angeregt vom Bild und über es hinaus, im Buch zu lesen sein.

Noch einen weiteren Eindruck ruft diese Ikonographie hervor: den von potentieller Grenzenlosigkeit. Er ist nicht minder triftig als der erste und der zweite, wie der Verlauf jedes Mayschen Abenteuerromans zuverlässig bestätigt. Das heraufbeschworene exotische Gelände erstreckt sich schier grenzenlos - im Gegensatz zur Stube der Leser. Nach vorn und nach hinten öffnet es sich. Es hört so schnell nicht auf, schon gar nicht auf einen Blick. Solchermaßen wird der gemalte Raum des Romans zum buchstäblichen Vorbild auch für die kommende unmalbare Handlung des Romans. Führt sie doch ebenfalls fort und fort, weit hinaus über die Horizontlinie des Raums, den sie durchmißt.

Vorherrschaft der exotischen Landschaft. Dieses Prinzip gilt für die meisten Deckelbilder der Fehsenfeld-Ausgabe. Auch dort, wo sie minder extrem ein - allemal sinnvoll labiles - Gleichgewicht anstreben zwischen Landschaft und denen, die sich auf sie einlassen. Meist zu Pferd wie im unübertroffenen Meisterwerk, dem großen Orientzyklus. Wie kommt er ins Bild? Rasch vergessen war ein erster, unzulänglicher Versuch, den Skipetaren schlechthin zu verkörpern, der prompt zur Hanswurstfigur geriet (Bild III/3). Die folgenden Deckelbilder wurden ebenfalls mehreren Bänden des Zyklus zugedacht (Bild III/4). Vorerst noch etwas harmlos mit Kara und Halef im zügigen Trab zwischen Fels und Sumpf, Kaktus und bleichem Pferdeschädel - pfleglich überdacht durch einen Torbogen mit getrennter Fläche für die ordentliche Titelschrift. Danach dann setzte sich jener geniale Wurf durch (Bild III/5), faszinierend in seinem Widerspiel zwischen Beklemmung und Ausblick ins Freie: die Draufsicht von hinten auf die beiden Reiter in steiler, wild getürmter Felsschlucht, deren Spalt am Ende ermuntert zum Aufatmen im hellen Licht. Expressiv, wie in vielen andern Deckelbildern, fangen die gezackten Lettern des Titels die Ecken und Kanten der zerklüfteten Felswände auf.

Leider bleibt hier nur eine kurze Anmerkung zur Radebeul-Ausgabe, obwohl allein schon deren exzellentes Deckelbild des >Schut<-Bandes (Bild III/6) eine gründliche Betrachtung herausfordert. Gut beraten war der Verlag immer dann, wenn er die Fehsenfeldsche Bebilderung entweder sacht und einfühlsam abwandelte oder nach ihrem Prinzip neue Entwürfe hervorbrachte. So ist es oft zu treffsicheren Ergebnissen gekommen. Zumal dort, wo exotische Landschaften in exotischen Architekturen gipfeln. Nur nennen, nicht zeigen kann ich die -freilich wohlvertrauten - suggestiven Szenerien auf dem Einband von:


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>Orangen und Datteln<, >Schloß Rodriganda<, >Vom Rhein zur Mapimi<, >Die Juweleninsel<, >Im Tal des Todes<. Auch sie konfrontieren die Leser entweder mit menschenleeren, nicht geheuren Räumen; oder sie fügen, weit weg, namenlose menschliche Gestalten ein ins Hell-Dunkel der aufragenden Bauten und Felsformationen. Hierbei haben sich die Graphiker gewinnreich anregen lassen durch die autonome Farbskala der expressionistischen und fauvistischen Malerei; bisweilen sogar - wo skurrile Absonderlichkeiten anstehen - von deren Groteskstil. Man denke an >Professor Vitzliputzli<.

Minder angemessen wirkt auch hier die Gegenrichtung, via Großporträt das Augenmerk zu beeindrucken durch monumentale individuelle oder sinnbildliche Einzelgestalten - auch wenn sie oft mit großem Kunstgeschick ausgeführt sind. Ich erinnere an den drohenden Kurden (Band II) oder an den krückenkreuzenden Mübarek alias Busra (Band V) oder an die Alptraumfiguren aus dem Umkreis des >Silbernen Löwen<. Einen schlimmen Tiefpunkt erreichte diese Tendenz dann bei einigen Bänden der Bamberger Ausgabe, namentlich bei >Silberbauer<, >Wurzelsepp<, >Peitschenmüller<. Hier möchte man meinen, die Einfalls- und Einfallskräfte des Graphikers seien gleichermaßen dem Inhalt und dem Flaschenetikett älplerischer Kräuterliköre zu verdanken.

D u r c h s  B i l d  z u m  T e x t :  O u v e r t ü r e  u n d  P o r t a l

Der Revue von Beispielen war mehrerlei zu entnehmen. Einmal das reiche Spektrum der Möglichkeiten, jeweils den springenden Punkt des folgenden Sprachwerks im Bild zu pointieren. Dann die stilgeschichtliche Fortentwicklung dieses Spektrums. Spürbar verschiebt sie die Ansichten, Sehweisen und Gesichtspunkte im Umgang mit Karl Mays abenteuerlicher Welt. Schließlich hat die Beispiel-Revue, grundsätzlich, nicht nur Gemeinsamkeiten, sie hat auch Unterschiede verdeutlicht zwischen Deckelbildern und illustrierten Titelbildern.

Letztere, soweit sie Simultanbildnerei betreiben, entsprechen funktionell den Ouvertüren von Opern. Raffend und vergleichzeitigend künden sie an, was breit und nacheinander dann im eigentlichen Werk entfaltet wird. Seis gesungen und gespielt auf der Bühne, seis episodenreich erzählt im Buch. Deckelbilder dagegen - bei Karl May nie simultan, sondern immer verdichtet aufs bezeichnend einmalige Ereignis oder Sinnbild - entsprechen den Portalen von geräumigen Gebäuden. Auch sie signalisieren, was alle, die sie durchschreiten, im Innern zu gewärtigen haben. Anders jedoch als die Ouvertüre, die ohne unser


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Zutun das Werk eröffnet, müssen wir aktiv das Portal öffnen und passieren, um hineinzugelangen ins Gebäude. Dieser Akt reicht weiter als schieres Beäugen. Das Buch - und in ihm die erzählte Welt - schließt sich ein und uns aus, solang wir nicht zugreifen, um den bebilderten Deckel zu öffnen, der sich in den Angeln des Buchgelenks dreht. Dann erst erscheint dahinter, sofern vorhanden, das andersartig bebilderte Titelblatt. Es gehört bereits zum Innern des Buchs: im gleichen Schwarz-Weiß und auf gleichem Papier wie all die weiteren vielen hundert Seiten. Wogegen das Deckelbild, vielfarbig und auf festem, rauh gerastertem Ganzleinen, draußen bleibt, solang wir drinnen lesen.

Vielleicht haben viele heranwachsende Karl-May-Leser den gleichen Zauber empfunden, der über die Augen auch die Finger in Bann schlug und sogar noch das innere Ohr erreichte. Ich meine den geheimnisträchtigen, farbleuchtenden Imperativ der Deckelbilder, der Ali Babas >Sesam, öffne dich!< verwandelt in ein >Sesam, öffne mich!< Und die Antwort war oft zunächst ein banges Zögern. Etwa so wie am Ende von Platens erstem Venedig-Sonett - beim Anblick des bislang nur erträumten Markusplatzes, vom Lido aus gesehen: »Soll ich ihn wirklich zu betreten wagen?«



1 Am ergiebigen Beispiel der blauen Fehsenfeld-Ausgabe hoffe ich, gelegentlich in einem andern Aufsatz darauf eingehen zu können.

2 Herzlich danke ich für Bildmaterial den Herren Gerhard Klußmeier, Hartmut Kühne, Hainer Plaul und für Auskünfte den ebenso hilfsbereiten Herren Ekkehard Bartsch und Lothar Schmid. Die in diesem Band wiedergegebenen Bildvorlagen besorgte dankenswerterweise Herr Ruprecht Gammler; die Diavorlagen erstellte Foto Blau, Bonn.

3 Letzterer hat sich, wie ich finde, mindestens dort als verstiegener Abweg erwiesen: wo Sascha Schneider in mystischer Bläue seine schreitenden Engel, schwebenden Genien und rangelnden Nacktathleten bodenlose Kämpfe austragen läßt zwischen den Mächten des Lichts und der Finsternis. Sein Beitrag ist keiner zur Bebilderung von Abenteuern, sondern ein kunsthistorisches Zeugnis für krampfhaftes Max-Klinger-Epigonentum.

4 Die römischen Zahlen bei den Bildangaben beziehen sich auf die Farbtafeln I (bei S. 96), II (bei S. 112) und III (bei S. 128). Der Karl-May-Verlag (Bamberg) hat uns freundlicherweise die Wiedergabe der Bilder gestattet.

[Weitere Deckelbilder auf S.128 des Jahrbuches.]


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