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Jahrbuch
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Verantwortliche Herausgeber:
Prof. Dr. Dr. h. c.
mult. Claus Roxin, Prof. Dr. Helmut Schmiedt, Prof. Dr. Hartmut
Vollmer und Dr. Johannes Zeilinger.
Geschäftsführender Herausgeber
2011:
Prof. Dr. Dr. h. c.
mult. Claus Roxin
Redaktion:
Klaus Eggers, Dr. Martin Lowsky, Ulrike
Müller-Haarmann und Heike Pütz
May-Zitate und -Texte werden durch Kursivdruck
gekennzeichnet; zitiert wird aus Gründen der Authentizität
stets nach den originalen (also unbearbeiteten) Texten Mays, wie sie
in der Klein-Oktav-Ausgabe des Verlages Fehsenfeld, Freiburg 1892-1910
(Reprint dieser Ausgabe Bamberg 1982ff.), in der seit 2008 im Karl-May-Verlag erscheinenden (1987 im Verlag Greno begonnenen, 1990 im Haffmans Verlag und 1993 im Bücherhaus Bargfeld vorübergehend weitergeführten) historisch-kritischen Ausgabe sowie in Zeitschriften- und anderen Reprints
vorliegen.
Frontispiz: Karl May bei der Familie des Tuscarora-Indianers Samuel Thompson (Nähe der Niagara-Fälle, Ende September / Anfang Oktober 1908); Aufnahme Klara (Ausschnitt, Gesamtbild siehe die Dokumentation von Volker Griese in diesem Jahrbuch S.31. Archiv des Karl-May-Museums Radebeul)
Zu Mays Einstellung gegenüber den Indianern und ihrer Geschichte siehe den Beitrag von Klaus Eggers.
ISSN 0300-1989 ISBN
978-3-941629-03-5
Hansa Verlag Ingwert Paulsen jr., Postfach 1480,
25804 Husum
© 2011 by Karl-May-Gesellschaft e. V.,
Radebeul.
Alle Rechte, auch die der photomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.
Nicht in Deutschland, sondern im Großherzogtum Luxemburg wurde die erste größere Abhandlung über Karl May geschrieben: Verfasser war der 22jährige Jurastudent Karl Lessel. Unter dem Titel „Karl May–Litterarische Studie“ erschien die Arbeit vom 6. bis zum 29. November 1899 in 18 Fortsetzungen im Luxemburger Wort, damals – mit etwa 2000 Abonnenten – eine der meistgelesenen Zeitungen des Landes. Als „Separat-Abdruck aus dem Luxemburger Wort“ wurde der Text noch im selben Jahr in einer im Klein-Oktav-Format hergestellten, 78 Seiten umfassenden Broschur veröffentlicht. Zwei Exemplare des Werkes sind noch verfügbar: das eine befindet sich in der Nationalbibliothek in Luxemburg, das andere in der Bibliothek des Priesterseminars.
In einem Brief aus dem Jahre 1896 an seinen Verleger Fehsenfeld kündigte Karl May an, sein nächstes Buch werde seine gesamte »Lebens- und Sterbensphilosophie« enthalten. Tatsächlich lassen Mays Spätwerke – partienweise auch seine früheren Romane – eine Art »Lebens- und Sterbensphilosophie« erkennen. Was aber hat es mit Mays Aussagen über Leben und Sterben auf sich? Welche Inhalte werden vermittelt? Wie sind Mays Gedanken im Kontext der europäischen Geistesgeschichte zu verorten? Und wie sind sie aus moderner theologischer Sicht zu bewerten? Diese Fragen sucht Hermann Wohlgschaft in seinem Beitrag (»Dort werden wir uns wiedersehen …« Die ›Lebens- und Sterbensphilosophie‹ Karl Mays im Kontext der Geistesgeschichte) zu beantworten.
Der Autor behandelt die Wahrnehmung Mays als eines Vertreters imperialer Interessen sowohl des Deutschen Reiches als auch der Vereinigten Staaten, selbst in Publikationen der Karl-May-Gesellschaft, und dessen dem entgegenstehendes Selbstverständnis als Anwalt von Menschenrecht, Völkerfrieden und christlicher Liebe. Es wird ein Blick auf die Grundlagen verschiedener Interpretationen geworfen, Defizite werden benannt. Die Gestalt Winnetous kommt in den Blick, Mays Umgang mit ihr und Aspekte seines literarischen Schaffensprozesses werden dargelegt. Am Ende plädiert der Autor dafür, May als Mahner zu Frieden und Gerechtigkeit zu verstehen.
Wilhelm Matthießen (1891-1965) war eifriger und produktiver Karl-May-Rezipient. Von seinem Märchen “Karl Mays wunderbare Himmelfahrt” über die Tetralogie um den “Herrn mit den hundert Augen” und die ebenfalls vierbändige Reihe um den deutschen Büchsenschmied auf dem Balkan Nemsi Bey bis hin zu dem Beitrag “Eine Totenfeier” für das Karl-May-Jahrbuch 1932 erstreckt sich seine ebenso eigenwillige wie geistesgeschichtlich interessante Karl-May-Anverwandlung. Mays Name ist für Matthießen Chiffre für einen gegenbürgerlichen Raum; im Stil und Habitus des Reiseschriftstellers erschließt er diskursiv den Balkan neu als Expansionsraum für deutsche Kultur und wertet dabei die Türkei zum wesensverwandten Bündnispartner für Deutschland auf. Weiterhin entwirft er Utopien autark-organischer Gesellschaftsorganisation unter einer Kara Ben Nemsihaften Führerpersönlichkeit, beschwört sein Vorbild als Kronzeugen für die Empfänglichkeit des Menschen dem Numinosen gegenüber und vermengt dieses Thema mit einer Glorifizierung des Kampfes des Deutschen und des Osmanischen Reiches gegen die “Hegemonialmächte” England und Frankreich. In allen diesen Aspekten verfolgt Matthießen im Namen Karl Mays eine Agenda der geistig-kulturellen Erneuerung, die ihn in die Nähe von konservativer Revolution und völkischem Nationalismus rücken.