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8.7

Das literarische Ich: Old Shatterhand/Kara Ben Nemsi


Die Ich-Figur seiner Reiseerzählungen wurde und wird Karl May von vielen Interpreten als verlogene oder krankhafte Selbstüberhöhung verübelt: "Was hat man über diesen Old Shatterhand gelästert, über seine Omnipotenz und Unverwundbarkeit, seine gottähnlichen Fähigkeiten, seine geistige und körperliche Überlegenheit!"1

   Wer ist Old Shatterhand/Kara Ben Nemsi? Für die Bewertung des Menschen Karl May, seines 'Lebens und Strebens', ist die Beantwortung dieser Frage von hoher Bedeutung. Jeder Mensch hat, bewußt oder unterbewußt, sein Ich-Ideal: seine Zukunftsvision. Menschliches Sein ist, als Werde-Sein, nicht statisch, sondern dynamisch. Die Frage 'Wer bin ich?' verweist auf die Frage 'Wer möchte ich sein, wer werde ich sein?'. Die empirische Realität meines Lebens und das 'Ich' meiner Tagträume sind zwar niemals identisch. Aber der Mensch, der ich bin, und der Mensch, der ich gerne wäre, sind dennoch untrennbar: Meine Wünsche, meine Sehnsüchte und Träume gehören zu mir; sie sagen viel aus - über mich.

   Die Merkmale seines Wunsch-Ichs Old Shatterhand/Kara Ben Nemsi lassen also sehr wichtige Rückschlüsse zu auf den Schriftsteller und seinen, noch werdenden, Charakter.


8.7.1

Das Wunsch-Ich des Autors


Welche Eigenschaften hat der Superheld der Reiseerzählungen?2 Wie agiert, wie denkt und empfindet er? Wie verhält er sich zu seiner Umgebung? Wie versteht er sich selbst? Eine Spezialuntersuchung - die durch dieses Buch-Kapitel nicht ersetzt werden kann - müßte, unter besonderer Beachtung der Zeit und der Umstände ihrer Entstehung, sämtliche Ich-Erzählungen Mays unter die Lupe nehmen.

   Was die Person des 'Ich' betrifft, gibt es interessante Schattierungen und in einigen Fällen erhebliche Differenzen innerhalb der Werke Karl Mays: Das Ich in Der Scout ist, wie schon früher erwähnt,3 im Vergleich zu Old Shatterhand (in der Winnetou-Trilogie) ziemlich hilflos und unerfahren. Der elegische, beinahe schwermütige Kara Ben Nemsi in Die Todes-Karavane4 ist sehr viel sensibler und verletzbarer als etwa Charley in den Südamerika-Bänden oder Shatterhand in manchen Passagen der Satan-Trilogie.5 Überhaupt wirkt Kara Ben Nemsi, vom Alter ego Hadschi Halef begleitet, "durchweg sympathischer als [...] 'der oft etwas präzeptorale Mr. Shatterhand'."6 Doch solche Nuancen können in der folgenden Darstellung nur sporadisch berücksichtigt werden.

   Welche Fähigkeiten zeichnen Old Shatterhand/Kara Ben Nemsi aus? Eher zierlich ist seine Gestalt; aber im Kampf ist er stärker als die stämmigsten Gegner. Im Schießen, im Reiten, im Hauen und Stechen, in allen Gefechtsarten übertrifft er die gewandtesten Feinde.7 Den Grauen Bären, das gefährlichste aller Raubtiere, erlegt er mit seinem Messer. Wilde Löwen bringt er spielend zur Strecke. Im Spurenlesen ist er genial. Gestandene Westmänner, die erfahrensten Trapper können dem 'Greenhorn' (in Winnetou I) das Wasser nicht reichen. Er sieht alles, er hört alles, er ahnt alles. Was seine Widersacher an Schurkereien immer auch aushecken, er belauscht es untrüglich, hinter türkischen Zimmerwänden und amerikanischen Baumstämmen. Er begeht (fast) nie einen Fehler.8 Er durchschaut, früher oder später, alle Verwicklungen. Jeder Intrige kommt er zuvor. Und


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gerät er doch in die Hand seiner Feinde - ein Motiv, das sich bekanntlich sehr oft und geradezu zwanghaft wiederholt -, so befreit er sich selbst oder wird er befreit: durch günstige Umstände, die er geschickt zu benützen weiß.

   Old Shatterhand/Kara Ben Nemsi ist verwundbar; aber sterben kann er niemals. "Wenn ich am Ende eines Romankapitels den Helden bewußtlos, aus schweren Wunden blutend, verlassen habe, so bin ich sicher, ihn zu Beginn des nächsten in sorgsamster Pflege und auf dem Wege der Herstellung zu finden."9 Den Werken Sigmund Freuds ist dieses Zitat entnommen. Freud hat von May wohl nie etwas gelesen; seine Deutung des Helden als "Bestandteil des Tagtraums"10 paßt aber gut zu Karl May und dem 'Ich' seiner Erzählungen.

   Mays Ich-Held ist nahezu vollkommen. Zur (im Spätwerk verblassenden) kämpferischen Überlegenheit kommt, imponierender noch, die universale Gelehrsamkeit. Die verschiedensten Indianer-Dialekte, afrikanische, ostasiatische, alle orientalischen und selbstverständlich die europäischen Sprachen versteht und spricht er perfekt, ohne fremden Akzent. Geheime Zeichen, babylonische Keilschrift zum Beispiel, entziffert er ohne Mühe. Und fabelhaft ist seine Erinnerung: "Einige kleine Gruppen von kommaähnlichen Strichen hielt ich für bedeutungslos, [...] doch blieben sie [...] meinem Gedächtnisse scharf und deutlich eingeprägt"11 - so deutlich, daß Kara Ben Nemsi sie später enträtseln kann.

   Die Bräuche der Völker, der Orientalen und Afrikaner, der nord- und südamerikanischen Indianer, der Chinesen, der Urbewohner von Ozeanien usw., kennt der Ich-Held genau. In allen Teilen der Welt ist er wie zuhause. In der Zoologie und Botanik, der Geologie und Geschichte weiß er Bescheid. Die Gesetze der Physik und überhaupt der Naturwissenschaften beherrscht er wie ein Professor. "Es ist als ob er in sich verkörpert alle Mitarbeiter eines Konversationslexikons trüge".12 In der ärztlichen Kunst ist er auch gut bewandert, und Neues lernt er im Handumdrehen. In der Architektur und der Jurisprudenz, der Literaturwissenschaft und der Philosophie ist er zwar kein Experte, aber Kenntnisse besitzt er auch auf diesen Gebieten. In der praktischen Psychologie und - insbesondere - den Religionen kennt er sich bestens aus. Auch musisch ist er begabt. Die Musik (besonders die Orgel, das Klavier und die Geige) ist seine heimliche Liebe. Komponist ist er nebenbei auch. Dichter ohnehin.

   Sein Äußeres wirkt bescheiden und unauffällig. 'Mehr sein als scheinen' ist seine Devise. Auch tritt er gerne inkognito auf - um sich zur richtigen Zeit zu offenbaren:


Wohl hundertmal hat May die Szene gestaltet, wie der scheinbare Nichtskönner oder gar Verdächtige sich plötzlich als der berühmte Old Shatterhand oder Kara Ben Nemsi zu erkennen gibt. Da fällt es den Menschen dann wie Schuppen von den Augen, und sie stehen in staunender Bewunderung.13


   Multiple Rollen spielt der Ich-Held, exzessiv in den Südamerika-Bänden,14 mit Bravour, mit Freude und Lust. Seine Hauptrolle ist die des Retters, des Beschützers aller Bedrängten. Despoten werden von Kara Ben Nemsi "entlarvt und oftmals abgesetzt oder handgreiflich zurechtgewiesen, während das erzählende Ich und seine Begleiter das aus Straftaten stammende Geld an die Armen verteilen und in einer verdorbenen Welt die Gerechtigkeit wiederherstellen."15

   Vor der Behörde zeigt Kara Ben Nemsi "den Respekt des edlen freien Mannes, der die Notwendigkeit regelnder Normen anerkennt."16 Tritt er allerdings vor Tyrannen, vor korrupte Polizeichefs und aufgeblasene Paschas, so sinken diese - allein schon durch den Eindruck seiner Persönlichkeit - in sich zusammen: wie Ballone, denen die Luft entweicht.


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   Ist "Seine Majestät das Ich"17 ein Großsprecher und Wichtigtuer? Mitnichten. Innere Größe, humane Gesinnung und feinste Kultur bestimmen sein Wesen. Zwar läßt Old Shatterhand, zumindest gelegentlich, seine Überlegenheit spüren; auch Kara Ben Nemsi kann in besonderen Fällen "sein Ich herausputzen [...] als alles Dunkle überstrahlende Siegesmacht".18 Doch in der Regel wirkt Kara Ben Nemsi eher zurückhaltend; die großen Worte, den verbalen Triumph überläßt er dem kleinen Hadschi, dem - freilich guten und liebenswürdigen - Alter ego 'nach unten'. Ist von seinen Taten die Rede, so winkt der Effendi ab und gibt andern die Ehre (was in den Augen des Lesers seinen Glanz natürlich vermehrt).

   'Karl der Deutsche' ist überlegen, aber in erstrebenswerter Weise und nicht so penetrant wie manchmal Old Shatterhand. Der Effendi "trifft immer den richtigen Ton und muß nicht den anderen ständig auf die Nase binden, daß er immer recht hat."19 Kara Ben Nemsi ist stark und, im Gegensatz zum Autor Karl May, auch psychisch völlig gesund. Er "hat trotz allen berechtigten Selbstbewußtseins ein gediegenes Verhältnis zu seiner Umwelt - und zu seinem eigenen Ich. Seine kraftvolle Frechheit, wenn er sie überhaupt hervorkehrt, ist keine Arroganz."20

   Und wie verhält sich das 'Ich' zu Kameraden und Freunden? Einen "Autoritarismus", dem die "Autoritätshörigkeit bei den Gefährten"21 entspreche, hat Gertrud Oel-Willenborg dem Schriftsteller bzw. dem Ich-Helden vorgehalten. Belegstellen scheint es zu geben: in der 'Einleitung' des Silberlöwen zum Beispiel. Hier gibt der große Old Shatterhand dem Westmann Jim Snuffle zu verstehen: Jetzt "aber bin ich da und wünsche sehr, daß Ihr Euch nach mir richtet."22 Jims Bruder stimmt denn auch zu: "Wenn Old Shatterhand bei uns ist, haben wir unsern Willen dem seinigen zu unterordnen."23

   Daß es dem literarischen 'Ich' Karl Mays um sich selbst, "um Dominanz und Herrschaft" gehe, daß es "mit dem Lächerlichmachen von Feind und Freund"24 sich durchsetzen und seine Vorzüge demonstrieren wolle, kann man dennoch nicht sagen. Die Autorität Old Shatterhands und Kara Ben Nemsis gründet auf Sachkompetenz; sie "kennt nicht Vorgesetzte und Untergebene, nicht Befehl und Gehorsam."25 Den Schutz ihres Anführers können die Kameraden auch jederzeit verlassen (zu ihrem eigenen Schaden allerdings: sie werden gefangen und müssen befreit werden) -, ohne daß sie Sanktionen oder auch nur besondere Vorwürfe von seiten des 'Ich' zu befürchten hätten.

   Der Ich-Held, die Projektion des Tagträumers Karl May, liebt die Freiheit, die Selbstbestimmung - für sich und seine Gefährten. Er gehorcht nur seinem Gewissen26 und wird nicht eingeengt durch Paragraphen und Vorschriften. Er bindet sich (in den Erzählungen bis 1896) an keine Frau,27 benötigt auf seinen Reisen kein Geld und hat "unendlich viel Zeit", einen "dauernden Aktivurlaub"28 sozusagen.

   Old Shatterhand/Kara Ben Nemsi steht außerhalb der Institution und außerhalb der sichtbaren Hierarchie. Auf die Frage nach seinem Titel gibt er die Antwort: "Ich bin nur ich [...], sonst weiter nichts."29 Als Kriegsminister des Padishah wäre Kara Ben Nemsi, laut Halef, aufgrund seiner Fähigkeiten zwar bestens geeignet; aber er will diesen Rang nicht besitzen. Denn der Oberbefehlshaber "ist bei all seiner Würde ein Diener des Großherrn";30 Kara Ben Nemsi aber beugt sich vor keinem Menschen.

   Autonom und souverän ist Old Shatterhand/Kara Ben Nemsi: ein Stratege ohne militärischen Rang, ein Gelehrter ohne akademischen Grad, ein Prediger und Missionar ohne Priesterweihe.31 An christlicher Tugend, an menschlicher Wärme (von manchen Entgleisungen des Old Shatterhand einmal abgesehen), an kühlem Verstand, an sicherem Urteil


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und siegreichem Handeln übertrifft er teilweise noch die Superhelden der Münchmeyerromane.32 Er kann und weiß und lenkt nahezu alles. Überlegen ist ihm - nur Gott.

   Die Ich-Figur gewinnt durch ihr Gottvertrauen, durch List und psychische Kraft, durch Güte und nicht zuletzt durch Humor. Ein 'Gewaltmensch' ist Shatterhand/Kara Ben Nemsi, trotz seiner 'Schmetterfaust', nicht. Er liebt alle Völker. Er ist ein Freund auch der Tiere und jeglicher Kreatur.33 Er denkt nicht an sich, nicht an den eigenen Vorteil. Er hilft jedem Menschen, verschmäht die Lüge, ist großmütig zum Gegner. Er bekämpft zwar das Böse, vermeidet aber das Blutvergießen.34 Er setzt sein Leben ein für die Schwachen und stiftet den Frieden. Er bewährt sich als Seelsorger (besonders für Sterbende) und spricht reuigen Sündern - da kein Priester zugegen ist - in Jesu Namen Vergebung zu.35

   Mr. Shatterhand und Kara Ben Nemsi in der Rolle des "Heilbringers"?36 Eine absurde Selbstüberhebung, eine blasphemische "Übersteigerung des Helden bis hin zur Präfiguration als Erlöser"?37 Man muß unterscheiden: Das Wunsch-Ich des Autors bekennt sich als Christ; die 'imitatio' Christi38 verpflichtet den Helden. Aber daß er selbst der 'Erlöser' sei, das meint er natürlich nicht.

 Nein, der Mensch ist - so heißt es im Schlußband des Orientzyklus - "ein zerbrechliches Gefäß, mit Schwächen, Fehlern und - Hochmut gefüllt!"39 Auch das Wunsch-Ich des Schriftstellers bedarf, als zerbrechlicher Mensch, der Ermutigung, der Vergebung durch Gott und - des Gebets seiner Freunde: "Also bete getrost für mich! Niemand bedarf es so sehr wie ich, daß für ihn gebetet wird."40


8.7.2

Täuschung und Wahrheit


Als göttlich oder quasi-göttlich versteht sich Old Shatterhand nicht. Er ist weder hybrid noch verrückt. Aber besondere Qualitäten besitzt er natürlich schon.

   Old Shatterhand "hatte nur immer die Fehler anderer gutzumachen":41 die Fehler seiner Gefährten und die Fehler - Karl Mays, des blinden und kränklichen Kindes, des verletzten und gedemütigten Seminaristen, des im Lehrberuf gescheiterten jungen Mannes, des Straftäters 'Dr. med. Heilig', des Gefangenen in Zwickau und Waldheim, des in seiner Ehe nicht glücklichen Autors. Im literarischen 'Ich', in der Fiktion 'Old Shatterhand/Kara Ben Nemsi', in der vollendeten Menschlichkeit des 'Erwählten', werden die realen Defizite des Menschen Karl May kompensiert: "May wünscht sich inständig, ein ANDERER zu sein, ein MÄCHTIGER [...], der überall ANERKANNT wird."42

   In der May-Forschung unumstritten ist die These Roxins: Im Helden schuf sich der Schriftsteller "eine neue Existenz, [...] die ihn für alles entschädigen mußte, was ihm das wirkliche Leben versagt hatte."43 Verdient, diese Frage liegt nahe, eine derartige Selbsttherapie das Interesse vernünftiger Menschen?

   Es gibt, so Roxin,


hunderttausende gedemütigte, in ihrem Selbstgefühl beschädigte Menschen, vor allem auch junge, die sich als Außenseiter in der Welt der Etablierten und Erwachsenen fühlen. Ihnen allen kann die Identifikation mit den Helden Karl Mays Glücks- und Erfolgserlebnisse und mit ihnen seelische Kraft geben. Ich möchte noch weitergehen und die Behauptung wagen, daß das Motiv der sieghaften Selbsterhöhung auch an uneingestandene Wünsche des psychisch stabilisierten Normalmenschen rührt. Welcher Professor möchte denn, wenn er ganz ehrlich ist, NICHT seine Feinde (sprich: wissenschaftlichen Gegner) niederschmettern und die Fährten zu den verborgensten Geheimnissen seines Faches entdecken, auf daß an allen Lagerfeuern (sprich: auf allen wissenschaftlichen Kongressen) sein Ruhm verkündet werde?44


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   Und welcher - in seiner Karriere gebremste - Dorfpfarrer träumt nicht, manchmal auch am Tage, von einer zweiten, höheren und wahreren Existenz: als großer Theologe, als Denker und Philosoph, dessen Einsicht die Welt schließlich retten wird? Wer sieht sich selbst, in seinen geheimsten Visionen, nicht als geistige und moralische Autorität, die so manchen Pascha (sprich: Bischof oder Staatsmann oder Gelehrten) erzittern läßt? Auf daß der Pascha - kleinlaut und beschämt und geknickt - seine Fehler gestehen und dem Rat des Weisesten aller Weisen gehorchen muß?

   Aber - sind solche Träume, in ihrer naiven Selbstbezogenheit, nicht kindisch und völlig verrückt? Dazu Roxin:


Natürlich kann man der Meinung sein, daß [...] Omnipotenzphantasien solcher Art [...] doch seriöserweise nicht erlaubt sind [...] Daran ist etwas Wahres, und sicher liegt hier ein Element des Trivialen, das mindestens den Abenteuererzählungen Mays immer anhaften wird. Aber in alledem liegt doch noch etwas mehr.45


   Worin besteht, über die fiktive Wunscherfüllung des Autors und die Glückserlebnisse seiner (unreifen) Leser hinaus, der 'Mehrwert' Old Shatterhands und Kara Ben Nemsis? Der Schriftsteller selbst gibt im Schlußband des Silberlöwen (1903) einen interessanten Hinweis: Die Welt habe "ihr 'Ich' verloren";46 Shatterhand/Kara Ben Nemsi sei "das von seinen psychologischen Fesseln befreite Menschheits-Ich"; es verweise auf eine neue Schöpfung, in welcher Leib, Geist und Seele "Hand in Hand nebeneinander stehen und miteinander wirken."47 Und in der Beichte (1908) wird erklärt: "Das 'Ich', in dem ich schreibe, das bin doch nicht ich selbst";48 das 'Ich' sei, wie es in der Selbstbiographie (1910) schließlich heißt,


keine Wirklichkeit, sondern dichterische Imagination. Doch, wenn dieses "Ich" auch nicht selbst existiert, so soll doch Alles, was von ihm erzählt wird, aus der Wirklichkeit geschöpft sein und zur Wirklichkeit werden [...] dieses imaginäre "Ich" hat nicht imaginär zu bleiben, sondern sich zu realisieren, [...] und zwar in meinem Leser.49


   Mays 'Ich' verkörpert - in den späteren Werken deutlicher als in den früheren Schriften - das menschliche Sein im Zustand der Gnade, der gebändigten Kraft, der befreiten Heiterkeit und der befreienden Liebe. Was seine Universalbegabung betrifft, ist Old Shatterhand/Kara Ben Nemsi, empirisch gesehen, freilich die pure Unmöglichkeit: eine 'Unperson'! Karl May bestätigt es selbst in Mein Leben und Streben:


Ich hatte dieses "Ich" [...] ja mit allen Vorzügen auszustatten, zu denen es die Menschheit im Verlaufe ihrer Entwickelung bis heut gebracht hat. Mein Held mußte die höchste Intelligenz, die tiefste Herzensbildung und die größte Geschicklichkeit in allen Leibesübungen besitzen. Daß sich das in der Wirklichkeit nicht in einem einzelnen Menschen vereinigen konnte, das verstand sich doch wohl ganz von selbst.50


   So zu lesen im Jahre 1910. Doch in den neunziger Jahren sprach May in ganz anderen Tönen! Erst später, da er die Behauptung 'Old Shatterhand ist Karl May' nicht mehr halten konnte, erklärte er das 'Ich' zum Symbol für die "Menschheitsfrage" ("Adam, d.i. Mensch, wo bist Du?")51 und die exotischen Handlungsräume zur 'Landschaft der Seele':


Indem ich meine Leser durch das Reich der Menschheitsseele führe, gebe ich den Provinzen dieses Reiches bekannte geographische Namen. Das erleichtert das Verständnis ungemein, gibt aber der Böswilligkeit die Handhabe, mich zu verleumden. Wenn ich z.B. das Reich der Kunst [...] nach Indien verlege [...], so verlangen diese innerlich blinden Menschen flugs von mir, auch wirklich in Indien [...] gewesen zu sein. Wo nicht, so bin ich ein literarischer Lügner und Schwindler. An diesem Maßstab gemessen, würde Dante der größte aller Schwindler sein, denn er behauptet, nicht nur im Fegefeuer und in der Hölle, sondern sogar auch im Himmel gewesen zu sein!52


   Gegen diese Erklärung ist, an sich, nichts zu sagen. Nur - für den damaligen Leser ERKENNBAR 'symbolisch' hat May erst im Alter geschrieben. Daß auch seine früheren 'Rei-


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seerzählungen', hinter der vordergründigen Fabel, Schlüsselromane des inneren Erlebens (des Autors und seiner Leser) sind, trifft zwar objektiv zu.53 Der Verfasser selbst aber hat diese Erkenntnis dem Leser verbaut: Das realistische, das wörtliche Verständnis seiner Geschichten hat er bis zur Jahrhundertwende dem Publikum aufgedrängt.

   Das 'Ich', das Ich-Ideal, soll später zur Wahrheit werden; der Dichter und seine Leser sollen, als Werdende, sich entfalten zu höherem Streben, zu tieferer Einsicht, zu größerer Liebe. Ein schöner Gedanke. Nur - früher hieß es eben ganz anders! Karl May IST Old Shatterhand/Kara Ben Nemsi, hatte der Schriftsteller bei öffentlichen Auftritten,54 aber auch im Satan- und im Weihnachtsroman verkündet. Die Selbstbiographie (1910) und die Beichte (1908) gehen darauf mit keinem Wort ein. Insofern ist die dortige Deutung des 'Ich' eine Kühnheit. Bedenkenswert und, im Grunde, doch wahr ist die Maysche Erklärung des Edel-Ich - als 'Realutopie', als Entwurf einer künftigen Existenz - aber dennoch: Karl May hat, in die Enge getrieben, im Alter erkannt, was er in der tieferen, wahreren Schicht seines Wesens immer schon wußte!

   Über Gott und die Welt, über sich selbst und die Menschheit hat May "im letzten Jahrzehnt seines Lebens umso schmerzlicher nachgedacht [...], je vernichtender die Keulenschläge wurden, die ihn von ringsumher trafen."55 Von der 'Shatterhand-Legende' - der Behauptung, mit dem literarischen 'Ich' identisch zu sein - hat sich May nur zögernd gelöst. Aber er HAT sich, wenn auch spät und mit Rückfällen, von der Renommiersucht - weitgehend - getrennt.

   Dr. Faust dient, wie es bei Goethe heißt, seinem Herrn "nur verworren"; zur "Klarheit"56 wird er von Gott erst später geführt. Ähnlich verhält es sich bei Karl May: Mag seine nachträgliche Deutung des 'Ich' die Flunkereien (in den neunziger Jahren) nur mühsam verdecken, sie ist, nach Heinz Stolte, "dennoch ein Zeugnis von jener 'Klarheit', in die er, wie Faust [...], aus der Verworrenheit geführt werden mußte."57

   Eine halb lustvolle und halb verzweifelte Suche nach der wahren Identität ist Mays Leben gewesen. Den 'Edelmenschen' hat er gesucht, der er (noch) nicht war und der er doch sein wollte. Im literarischen 'Ich' hat er, gleichsam spielerisch, antizipiert, was zu WERDEN ihm (und der Menschheit) noch nicht gelungen ist.

   "So laßt mich scheinen, bis ich werde; / Zieht mir das weiße Kleid nicht aus!",58 hat Goethes Mignon gesungen. Karl May mußte es ausziehen, das "weiße Kleid" seines Helden. Der 'Schein', das kreative 'Als ob', der imaginäre Old Shatterhand/Kara Ben Nemsi, wurde ihm erbarmungslos - und doch wieder verständlich - als Täuschung, als 'Betrug' angelastet.



Anmerkungen


1Gert Ueding: Die Rückkehr des Fremden. Spuren der anderen Welt in Karl Mays Werk. In: JbKMG 1982, S. 15-39 (S. 29).
2Die folgenden Ausführungen gelten, mehr oder weniger, auch für die heldischen Identifikationsfiguren in anderen (nicht in der Ich-Form geschriebenen) Werken Karl Mays.
3Vgl. oben, S. 219 u. 296.
4Vgl. oben, S. 176f.
5Vgl. Walther Ilmer: Einführung. In: Karl May: Die Felsenburg. 'Deutscher Hausschatz' 20, Jg. (1894). Reprint der KMG. Hamburg, Regensburg 1980, S. 3-8 (S. 5) - Ders.: Einführung. In: Karl May: Krüger Bei - Die Jagd auf den Millionendieb. 'Deutscher Hausschatz' 21./22. Jg. (1895/96). Reprint der KMG. Hamburg, Regensburg 1980, S. 2-10 (S. 4ff.).
6Walther Ilmer: Mit Kara Ben Nemsi 'im Schatten des Großherrn'. Beginn einer beispiellosen Retter-Karriere. in: JbKMG 1990, S. 287-312 (S. 307); Binnenzitat nach Claus Roxin: Vorläufige Bemerkungen über die Straftaten Karl Mays. in: JbKMG 1971, S. 74-109 (S. 94).


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7Zahlreiche Belegstellen bei Viktor Böhm: Karl May und das Geheimnis seines Erfolges. Gütersloh 21979, S. 64ff.
8Eine Zusammenstellung von Ausnahmen findet sich bei Böhm: Ebd., S. 92f. (Anm. 146 u. 147). - Zum folgenden vgl. auch Wolfgang Hammer: "Die Ohnmacht des Helden". Späte Anmerkungen zu einem Buch von Wolfgang Schmidbauer (Rowohlt 1981). In: MKMG 97 (1993), S. 37-41.
9Sigmund Freud: Der Dichter und das Phantasieren. In: Ders.: Ges. Werke, Bd. VII. London 1941, S. 213ff. (S. 219f.); zit. nach Roxin: Bemerkungen, wie Anm. 6, S. 86.
10Freud, wie Anm. 9.
11Karl May: Im Reiche des silbernen Löwen I. Gesammelte Reiseerzählungen, Bd. XXVI. Freiburg 1898, S. 486 - In der Hausschatz-Version (Am Turm zu Babel) fehlt dieser Passus noch.
12August Niemann: Das Rätsel Karl May. In: KMJB 1920. Radebeul 1919, S. 486-495 (S. 491).
13Claus Roxin: Ein 'geborener Verbrecher'. Karl May vor dem Königlichen Landgericht in Moabit. In: JbKMG 1989, S. 9-36 (S. 14).
14Vgl. Heinz Stolte: Mein Name sei Wadenbach. Zum Identitätsproblem bei Karl May. In: JbKMG 1978, S. 37-59.
15Roxin: Verbrecher, wie Anm. 13, S. 13f.
16Walther Ilmer: Einführung. In: Karl May: Im Reiche des silbernen Löwen. 'Deutscher Hausschatz' 23./24. Jg. (1896-98). Reprint der KMG. Hamburg, Regensburg 1981, S. 2-12 (S. 4).
17Freud, wie Anm. 9 - Vgl. Annette Decken: "Seine Majestät das Ich'. Zum Abenteuertourismus Karl Mays. Bonn 1983.
18Walther Ilmer: Durch die sächsische Wüste zum erzgebirgischen Balkan. Karl Mays erster großer Streifzug durch seine Verfehlungen. In: JbKMG 1982, S. 97-130 (S. 122).
19Ilmer: Einführung, wie Anm. 16, S. 5.
20Ebd., S. 4.
21Gertrud Oel-Willenborg: Von deutschen Helden. Eine Inhaltsanalyse der Karl-May-Romane. Weinheim, Basel 1973, S. 143.
22May: Im Reiche des silbernen Löwen I, wie Anm. 11, S. 68.
23Ebd., S. 175.
24Rolf Breuer: Karl May. Tagträumer der Nation. In: Psychologie heute. Nr. 5. 9. Jg. (1982), S. 39ff.
25Claus Roxin: "Dr. Karl May, genannt Old Shatterhand". Zum Bild Karl Mays in der Epoche seiner späten Reiseerzählungen. In: JbKMG 1974, S. 15-73 (S. 53) - Ähnlich Martin Lowsky: "Aus dem Phantasie-Brunnen". Die Flucht nach Amerika in Theodor Fontanes 'Quitt' und Karl Mays 'Scout'. In: JbKMG 1982, S. 77-96 (S. 9 1).
26Die grundsätzliche Anerkennung regelnder Normen schließt die freie Gewissensentscheidung nicht aus.
27Erst in Freuden und Leiden (1896) und im Silberlöwen (1897) erfährt der Leser, daß das 'Ich' verheiratet ist (vgl. oben, S. 249 u. 293); die Ehe hindert den Helden aber nicht am Verreisen in fernste Gegenden.
28Roxin: Verbrecher, wie Anm. 13, S. 17.
29Karl May: Im Reiche des silbernen Löwen IV. Gesammelte Reiseerzählungen, Bd. XXIX. Freiburg 1903, S. 276 - Dieses Spätwerk-Zitat paßt (obwohl es NACH der 'Renommierzeit' Mays und NACH der Aufdeckung des falschen Doktor-Titels des bürgerlichen May entstanden ist) auch zum 'Ich' der klassischen Reiseerzählungen.
30Karl May: Im Reiche des silbernen Löwen II. Gesammelte Reiseerzählungen, Bd. XXVII. Freiburg 1898, S. 113.
31Vgl. oben, S. 307f.
32Vgl. oben, S. 185ff.
33Vgl. oben, S. 278.
34Auf Ausnahmen und Inkonsequenzen verweist - mit Belegstellen - Böhm, wie Anm. 7, S. 92. - Die Feindesliebe des Ich-Helden wächst, vom Frühwerk (in dem das 'Ich' noch Indianer tötet) bis zu den späten Reiseerzählungen, zusehends.
35Vgl. oben, S. 309.
36Ulrich Schmid: Das Werk Karl Mays 1895-1905. Erzählstrukturen und editorischer Befund. Materialien zur Karl-May-Forschung, Bd. 12. Ubstadt 1989, S. 96.
37Ebd., S. 94.


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38Vgl. z.B. Mt. 10, 38 oder Joh 12, 26; vgl. unten, S. 449ff.
39Karl May: Der Schut. Gesammelte Reiseromane, Bd. Vl. Freiburg 1892, S. 526.
40May: Im Reiche des silbernen Löwen II, wie Anm. 30, S. 368 (Kara Ben Nemsi zu Amuhd Mahuli, einem islamischen Offizier).
41May: Im Reiche des silbernen Löwen I, wie Anm. 11, S. 219.
42Günter Scholdt: Vom armen alten May. Bemerkungen zu 'Winnetou IV' und der psychischen Verfassung seines Autors. In: JbKMG 1985, S. 102-151 (S. 125); vgl. die aufschlußreiche Tabelle ebd., S. 126f.
43Roxin: Verbrecher, wie Anm. 13, S. 13.
44Ebd., S. 14.
45Ebd., S. 15.
46May: Im Reiche des silbernen Löwen IV, wie Anm. 29, S. 68.
47Ebd., S. 67.
48Karl May: Meine Beichte. In: Ders.: Gesammelte Werke, Bd. 34 "Ich". Bamberg 361976, S. 15-20 (S. 18).
49Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg 1910. Hrsg. von Hainer Plaul. Hildesheim, New York 21982, S. 144f.
50Ebd., S. 146.
51Ebd., S. 144.
52May: Meine Beichte, wie Anm. 48, S. 19.
53Vgl. oben, S. 268ff.
54Vgl. unten, S. 325ff.
55Heinz Stolte: Hiob May. In: JbKMG 1985, S. 63-84 (S. 68).
56Johann Wolfgang v. Goethe: Faust. Eine Tragödie (Prolog im Himmel, Verse 308f.); zit. nach Stolte: Hiob May, wie Anm. 55, S. 68.
57Stolte: Ebd., S. 69.
58Johann Wolfgang v. Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre (8. Buch, Lied der Mignon).



8.8

Die Selbstdarstellung Mays in der 'Renommierzeit: Innerer Zwang und Verlockung von außen


Karl May hatte - so heißt es in "Weihnacht!" - "die eigentümliche Gewohnheit, eigentlich ein deutscher Schriftsteller, nebenbei aber auch Old Shatterhand zu sein."1 Die Identität von Ich-Held und Autor wurde von den Lesern überhaupt nicht bezweifelt. Selbst kluge und gebildete Leute verstanden Mays Geschichten im wörtlichen Sinne. Auch der Verleger Fehsenfeld hatte, nach Wollschläger, "jahrelang [...] die Reiseerzählungen seines Autors für bare Münze genommen".2

   Der begeisterte May-Leser vergißt die Realität und fühlt sich geborgen in der Fiktion. Auch der Erzähler entfloh seiner Wirklichkeit, um sich zu retten ins Imaginäre, in die Traumwelt der Phantasie: Er setzte sich gleich mit Old Shatterhand/Kara Ben Nemsi. Und dies mit einer Konsequenz, die die seltsamsten Blüten trieb! Harmlose Komik und heimliche Selbstironie verbündeten sich mit peinlicher Prahlerei und pathologischem Größenwahn. Virtuelle Wahrheit und manifeste Lüge kamen zusammen. Die dunklen "Stimmen"3 der Straftäterzeit gewannen erneut an Macht. Mays pseudologische Neigung setzte sich, freilich ohne kriminelle Eskalation, ein zweites Mal durch.


8.8.1

'Dr. Karl May, genannt Old Shatterhand'


In den neunziger Jahren hatte May die Distanz zum Ich-Helden seiner Abenteuerromane fast völlig verloren. Im Erzählwerk, aber auch - und verstärkt noch - außerliterarisch, in


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persönlichen Briefen und öffentlichen Vorträgen, gibt er es kund: Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi sind Pseudonyme für Karl May. Am 9. Dezember 1892 schrieb er an einen Leser:


Sie haben ganz richtig vermuthet; ich erzähle nur wirklich Geschehenes, und die Männer, von denen ich erzähle, haben existiert oder leben sogar noch heut. Old Shatterhand z.B. bin ich selbst. Sie verzeihen, daß ich so kurz antworte; es gehen jetzt täglich 40-50 ähnliche Briefe bei mir ein, die ich alle beantworten muß.4


   Den Stuttgarter Professor Dr. Gustav Jäger ließ Karl May, mit Datum vom 9. August 1894, wissen: "Ich habe jene Länder wirklich besucht und spreche die Sprachen der betreffenden Völker [...] Die Gestalten, welche ich bringe (Halef Omar, Winnetou, Old Firehand ... ) haben gelebt oder leben noch und waren meine Freunde."5 Lisbeth Felber in Hamburg teilte er am 16. Dezember 1894 mit: "Ja, ich habe das Alles und noch viel mehr erlebt. Ich trage noch heute die Narben von den Wunden, die ich erhalten habe."6 Auch seinem Prager Verleger Josef R. Vilimek (der tschechische Übersetzungen von mehreren May-Werken herausbrachte)7 gab 'Old Shatterhand', in einem Brief vom 8. Juli 1898, denselben Bescheid. Seine Bücher sind:


die Erfolge fast 30jähriger Reisen, Entbehrungen und Gefahren; sie sind, man kann das wörtlich nehmen, mit meinem Blute aus den Wunden geflossen, deren Narben ich noch heut an meinem Körper trage. Das haben bisher ALLE meine Verleger eingesehen.8


   Die "Wunden" und "Narben" könnte man, im metaphorischen Sinne, noch gelten lassen. Um "zu sehen, wie wahr er im Gewande scheinbarer Lüge sprach",9 müßten wir nur bedenken: Karl May erzählte tatsächlich nur 'Selbsterlebtes', d.h. sein eigenes Leben in kunstvoller Verkleidung: verteilt auf viele Romanfiguren, die insofern (als maskierte Ich-Derivate, als Teil-Ichs des Autors) wirklich gelebt haben bzw. noch leben.10 Aber - während sich in den Romanen, spätestens seit 1896, Mays schwindendes Interesse an der äußeren Fabel und die Erschütterung des alten Ich-Ideals, des männlichen Heldenkultes, schon abzeichnen,11 hält May - im Privatleben - am Shatterhand-Mythos, der kindlich-martialischen Imponiergebärde, um so verbissener fest. "Gerade in dem Zeitpunkt, da Mays Reiseerzählungen sich neuen Zielen zubewegten, begann er, in aller Öffentlichkeit auf der Realität äußerer Geschehnisse zu beharren, die ihm in seinen Büchern schon immer unwichtiger wurden."12

   Zaghaft zunächst, dann immer dreister schlüpft May in das Gewand seines literarischen Oberhelden. Ist unser Autor in diesem Verhalten eine Ausnahme unter den Schriftstellern? Daß sich ein Dichter, wie Thomas Mann sagt, "bis zu einem gewissen Grade mit seinen Geschöpfen identifiziert",13 ist verbürgt und durchaus verständlich. Auch die Tendenz, Erfundenes und Erträumtes als Wirklichkeit zu betrachten, gehört wohl zum Typus des Dichters und Künstlers. Heinrich von Kleist beispielsweise konnte "oft Wirkliches und in Schwermut Geträumtes nicht mehr unterscheiden".14 Es ist, nach Claus Roxin, "auch sonst eine geläufige Erscheinung, daß im Leben des Dichters pseudologische Züge nach außen treten oder mindestens den Autor zu selbstporträthafter Gestaltung nötigen."15 Als Beispiele wären u.a. Alexandre Dumas, aber auch Goethe und Schiller, Gottfried Keller oder Thomas Mann zu erwähnen.16 Doch Karl May hat's auf die Spitze getrieben: Daß ein Autor als seine eigene Romangestalt öffentlich auftritt, ist in der deutschen Literaturgeschichte wohl einmalig.17

   Der Ernstthaler Weberssohn setzte jedes nur denkbare Mittel ein, um die Fiktion 'Old Shatterhand ist Karl May' zu beglaubigen: Reliquienhungrigen Verehrern soll er Pferdehaare als Locken des ermordeten Winnetou offeriert haben!18 Massenweise traf Leserpost


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in der 'Villa Shatterhand' ein; May gab die aberwitzigsten Auskünfte: Aus zahlreichen Briefen erfahren die Fans - unter ihnen Prinzessin Wiltrud von Bayern - genaueste Einzelheiten über Shatterhands Waffen oder das Schicksal Sam Hawkens', Dick Hammerdulls und Old Firehands.19 Auf die Frage z.B. des Barons von Laßberg, warum Winnetou nicht von Karl May getauft wurde,20 gab der Schriftsteller - Anfang 1898 - die Antwort: "Ich habe ihn, da kein Wasser da war, mit seinem eigenen Blute getauft, ehe er starb, erzählte das aber nicht, da unter den geistlichen Herren die Meinung über diese Art von Nothtaufe eine verschiedene ist."21

   Zur Verifizierung der 'Shatterhand-Legende', zur Legitimation des Autors als Blutsbruder Winnetous und Freund Hadschi Halefs, gehörte das entsprechende Fluidum: die Innenausstattung der 'Villa Shatterhand' (seit 1896) in Radebeul. Da gab es, zur Freude des Besitzers und seiner zahllosen Besucher, gar manches zu sehen! 'Standesgemäß', d.h. sehr ähnlich wie die Abenteuer-Literaten Strubberg alias 'Armand' (1806-89), Friedrich Gerstäcker (1816-72) und Balduin Möllhausen (1825-1905),22 staffierte auch May sein Arbeitszimmer mit exotischen Requisiten und allerlei Siegestrophäen aus:23 Ein ausgestopfter Löwe war zu bewundern; eine bunte indianische Lederdecke hing über dem Schreibtisch; verschiedene Revolver, orientalische Waffen, diverse Raubtierfelle, eine aus den Zähnen des Grislybären verfertigte Halskette und eine Sammlung von Tschibuks und Friedenspfeifen schmückten den Raum.

   Auch Winnetous 'Silberbüchse' (die der Held, laut Surehand III, dem Grabe des ermordeten Häuptlings entnommen hatte: um einer Plünderung durch feindliche Sioux zuvorzukommen)24 und Shatterhands 'Bärentöter' durften nicht fehlen! Der Dresdner Büchsenmacher Oskar M. Fuchs hatte diese doppelläufigen Vorderlader - die den Schuljungen "vertrauter sind als das Schwert Balmung"25 - im Jahre 1896, nach den Wünschen Karl Mays, heimlich produziert. Erst 1902 (als die 'Renommier-Zeit' des Schriftstellers schon zu Ende war!) kaufte May den 'Henrystutzen' hinzu: ein achtzehn-schüssiges26 Winchester-Repetiergewehr, das ebenfalls von Oskar Fuchs geliefert wurde. "Besucher, die schon vorher den legendären Stutzen sehen wollen, müssen sich vertrösten lassen: Die Waffe sei 'gerade zur Reparatur'."27

   Zu Ostern 1896 erreichte Mays Spaß an der Maskerade einen weiteren, noch groteskeren Höhepunkt. Von dem österreichischen Jura-Studenten und Amateurphotographen Alois Schießer,28 der zu diesem Zweck von Linz nach Radebeul reiste, ließ May sich 101 Aufnahmen im 'Original-Kostüm' Old Shatterhands (mit Bärentöter, Silberbüchse usw.) und Kara Ben Nemsis (mit erhobenem Revolver, mit Krummsäbel usw.) erstellen. Auch Photos in Zivil, mit Smoking und Zwicker, wurden geknipst. Die Linzer Firmen Adolf Nunwarz und Fidelis Steurer besorgten die Herstellung bzw. den Vertrieb der Lichtbilder, die - mit Mayschen Autogrammen versehen - in alle Welt verkauft wurden. Auch im 'Deutschen Hausschatz' erschienen, zur Illustration der May-Skizze Freuden und Leiden eines Vielgelesenen (1896), mehrere Nunwarz-Photographien. Und in Old Surehand III konnten die Leser eine Aufnahme "Old Shatterhand (Dr. Karl May) mit Winnetous Silberbüchse" bestaunen.

   Im Frühjahr 1897 wurde der Student Max Welte - bis zum Tode des Dichters ein Freund des Ehepaars May29 - der "Haupt-, Ober- und Leibphotograph"30 Karl Mays. Nachdem der Schriftsteller mit Nunwarz gebrochen und im Herbst 1897 den Vertrag mit der Firma gekündigt hatte, übernahm Welte den Vertrieb der Photographien.31 Auch Fehsenfeld-Prospekte warben mit Bildern, die "Dr. Karl May als Old Shatterhand" zeigten


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bzw. "Dr. Karl May als Kara Ben Nemsi in den Original-Kostümen", die er "auf seinen gefahrvollen Weltreisen trug".32

   Ein Dichter im Trapper- und Beduinengewand! Auch zu dieser Art von 'Imagepflege' gibt es Parallelen: Der Wildwest-Schriftsteller Möllhausen zum Beispiel trat sogar öffentlich in der Kleidung eines Präriejägers auf!33 Doch Möllhausen hatte als junger Mann tatsächlich an Forschungs- und Vermessungsexpeditionen im Gebiet der Indianer, der Komantschen, Kiowas und Apatschen, teilgenommen.34 Karl May aber war - ein Federfuchser, ein Schreibtisch-Held, der den Orient und Amerika (damals) noch gar nicht gesehen hatte!

   Den Ich-Helden seiner Abenteuerromane, den bürgerlichen Schriftsteller (der sich, im Gegensatz zum 'echten', zum literarischen Shatterhand, den Normen der höchsten Gesellschaft, der High Society, anzupassen versucht) und den großen 'Gelehrten' wollte der Autor in seiner Person vereinigen. Dies führte zu jener abstrusen Konstruktion "Dr. Karl May, genannt Old Shatterhand / Radebeul-Dresden / Villa Shatterhand",35 die May - auf Visitenkarten - verbreitete.

   Da Titel in Deutschland sehr nützlich sind, unterschrieb er schon in den achtziger Jahren mit "Dr. Karl May".36 Im Herbst 1898 verlangte er eine diesbezügliche Korrektur des Radebeuler Adreßbuches.37 Dokumente konnte er freilich nicht vorweisen. So kam es zur amtlichen Vernehmung in Dresden: Von der französischen Universität Rouen habe er den Titel verliehen bekommen und auch in China habe er "eine dem Doktortitel gleiche oder noch höher stehende Würde erworben",38 gab May zu Protokoll. Doch die Behörde in Dresden schenkte solchen Behauptungen keinen Glauben. Am 10. November 1898 wurde May die Führung des akademischen Titels untersagt. Ein Strafverfahren nach § 360 Nr. 8 StGB - sechs Wochen Haft hätten maximal die Folge sein können39 - wurde aber nicht eingeleitet. Offenbar schien den Behörden der falsche Doktortitel nicht wichtig genug: Es handelte sich, nach damaligem Recht, "um ein Bagatelldelikt, dessen Strafbarkeit May vermutlich nicht bekannt war."40

   Gemessen an der Gelehrsamkeit des 'Old Shatterhand' wirkt der Doktorgrad noch äußerst bescheiden. Denn May beherrscht - wie er einem (namentlich nicht bekannten) Schüler oder Priesteramtskandidaten am 2. November 1894 brieflich versichert hat - ca. vierzig Sprachen:


Ich spreche und schreibe: Französisch, englisch, italienisch, spanisch, griechisch, lateinisch, hebräisch, rumänisch, arabisch 6 Dialekte, persisch, kurdisch 2 Dialekte, chinesisch 2 Dialekte, malayisch, Namaqua, einige Sunda-Idiome, Suaheli, Hindostanisch, türkisch und die Indianersprachen der Sioux, Apachen, Komantschen, Snakes, Utahs, Kiowas nebst dem Ketschumany 3 südamerikanische Dialekte. Lappländisch will ich nicht mitzählen. Wieviel Arbeitsnächte wird mich das wohl gekostet haben? Ich arbeite auch jetzt noch wöchentlich 3 Nächte hindurch.41


   Der Autor, der in Wirklichkeit keine Fremdsprache völlig beherrschte42 und seine Sprachbrocken (zum Teil recht geschickt, zum Teil aber auch fehlerhaft) dem Wörterbuch entnahm, schlüpfte nun selbst in die Rolle des "Turnersticking", des Weltenbummlers und spaßigen Schiffskapitäns in Mays Jugenderzählung Kong-Kheou, das Ehrenwort (1888/89). Es heißt dort:


Aufrichtig gestanden, war der gute Heimdall Turnerstick ein ganz klein wenig eitel [...] Seine Sprachkenntnisse reichten für seine Bedürfnisse vollständig aus. Mehr konnte nicht von ihm verlangt werden. Und dennoch gab es einen, welcher in ihm ein wahres Sprachgenie erblickte, und dieser eine war - - er selbst [...] Wehe demjenigen, der es wagte, darüber zu lächeln!43


   Als LITERAT hat May sich selbst, die 'dunklen Stimmen'44 in ihm, ja durchaus bekämpft; die Großsprecher, die Aufschneider hat er, mit Augenzwinkern, blamiert. Doch


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der PRIVATMANN, der bürgerliche May, benahm sich - in den neunziger Jahren - noch wesentlich komischer, noch bedeutend exzentrischer als sein Kapitän Turnerstick.


8.8.2

Old Shatterhand in Deutschland und Österreich


Am 10.5. 1897 trat das Ehepaar May eine große Rundreise durch Deutschland und Österreich an, die erst am 15. Juli, nach über zwei Monaten, glorreich beendet war.45 Diese Reise, eine "Mischung aus Bildungsfahrt, Publicity-Tour und Vortragsreise",46 diente in erster Linie dem Besuch von Verehrern und dem unmittelbaren Kontakt zur Lesergemeinde. Die Reise führte nach Leipzig, anschließend in den Harz, dann nach Hamburg (zum Caféhaus-Besitzer Carl Felber und dessen Frau Lisbeth, die eine begeisterte May-Leserin war), weiter nach Kassel und Wiesbaden, von dort - Anfang Juni - nach Köln und Bonn, weiter nach Mainz mit einem Abstecher nach Deidesheim (zur Weingutsbesitzer-Familie Seyler, die mit den Mays seit einigen Jahren befreundet war47), ferner nach Stuttgart (zum Verleger Spemann), von dort zum Bodensee, weiter nach Tirol (zuerst nach Innsbruck, dann zum Achensee, Hotel 'Zur Scholastika', mit täglichen Besuchen beim Grafen von Jankovics48), dann nach München, nach Regensburg (zum Verleger Pustet) und - über Komotau in Böhmen - zurück nach Radebeul.

   Im Rahmen dieser Reise, am 3. Juli, erfreute sich May einer Dampferfahrt auf dem Starnberger See; einen Tag später traf er mit Emma in München ein. Im Hotel Trefler in der Sonnenstraße nahm das Ehepaar Quartier. Im Brief vom 12. August 1897 an Emil Seyler (den er mit "herzlieber Winnetou" anspricht) berichtet Old Shatterhand von seinen Erlebnissen:

   Schon in Stuttgart und Innsbruck ließen ihm "die Leser keine Minute Ruhe. Am Schlimmsten aber war es in München": Bereits am zweiten Tag hatte der Ärmste im Hotel Trefler - wie er behauptet -


über 600 Briefe und Karten mit Besuchsanmeldungen. Von Nachm. 2 bis Abends 1 Uhr gegen 900 Besuche, am nächsten Tage über 600, am folgenden über 800; dann riß ich aus. Während ich hunderte von Lesern (hohe Offiziere, Grafen, Barone mit ihren Squaws bis herunter zum Arbeiter) im Saale hatte, mußte ich alle zehn Minuten auf den Balkon treten, um mich der unten stehenden Menge zu zeigen und sie zu grüßen [...] Die kleineren Gymnasiasten pp standen so dicht vor dem Hotel, daß die Tramway nicht durchkonnte und es keine andere Hülfe gab, als sie per Wasserschlauch auseinanderzuspritzen. Die Zeitungen sagten, selbst der Prinzregent habe in München nie so ein Aufsehen erregt wie May.49


   Der 'Bayrische Courir' und das 'Münchener Fremdenblatt' meldeten - am 10. Juli - gleichlautend über Old Shatterhand: "Schaarenweise drängten sich seine zahlreichen Freunde und Verehrer herbei, [...] um einen Händedruck oder wenigstens einen Blick von dem Freunde Winnetous zu erhaschen."50

   Im Hotel hielt der gefeierte 'Westmann' die begeisterndsten Ansprachen, gab die absurdesten Interviews und verblüffte das Auditorium mit den unsinnigsten Antworten auf die (zum Teil sicher ebenso unsinnigen) Fragen des Publikums:

   Erst kürzlich, so gibt er an, hat er Mekka besucht. Mehr als zwanzigmal ist er in Amerika gewesen51 und über 1200 Sprachen versteht er nun schon. Alle berühmten Westmänner, Old Firehand, Old Surehand, Sam Hawkens, Pitt Holbers, Dick Hammerdull, Emery Bothwell usw. sind 'ausgelöscht', eines gewaltsamen Todes gestorben. Er selbst ist der einzige Überlebende. Monatelang hat er im Felsengebirge nach den Spuren der Ermordeten gesucht. Die 'Liddy', Sam Hawkens' Büchse, hat er gefunden. Sie hängt jetzt in seinem Arbeitszimmer in Radebeul.52 Noch im Herbst dieses Jahres wird er zu den Apat-


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schen zurückkehren, wo er (als Nachfolger Winnetous) 35.000 Krieger befehligt.53 In den Rocky Mountains wird er sich - ein weiteres Mal - einen Bären, einen Grisly, holen. Und fürs nächste Jahr ist eine Reise nach Bagdad geplant. Ein Besuch Hadschi Halefs und seiner Hanneh steht auf dem Programm.54

   Unter den Zuhörern wird es, vereinzelt, auch Skeptiker gegeben haben. Aber auf zweiflerische Bemerkungen und argwöhnische Fragen hat Old Shatterhand "immer die passende Antwort bereit"!55

   Halefs "unbefangene und harmlose Ruhmredigkeit", die ja - wie es im Silberlöwen heißt - nicht überschlug in "verwerfliche Prahlsucht",56 scheint mit Karl May, im Münchner Hotel, schließlich durchzugehen: Nur "noch zwei große Lebenszwecke" hat er - nach einem Bericht Ernst Webers (den May, 1904, aber zurückwies!) - "zu erfüllen":


eine Mission bei den Apatschen, deren Häuptling ich bin, und eine Reise zu meinem Halef, dem obersten Scheik der Haddedihn-Araber. Dann aber werde ich vor den deutschen Kaiser treten: "Majestät, wir wollen einmal miteinander schießen." Ich werde ihm meinen Henrystutzen vorführen. Derselbe wird in der gesamten deutschen Armee eingeführt werden, und kein Volk der Erde wird dann je den Deutschen widerstehen können.57


   Doch ins Jägerlatein mischt Old Shatterhand auch ernstzunehmende Gesellschaftskritik:


In entrüsteten Worten äußerte sich [der] Redner über die Art und Weise, wie die europäischen Kulturvölker bei den sogenannten 'wilden' Völkern zuerst mit dem Kreuz, dann mit Kanonen, mit Blattern, Syphilis und Schnaps sich einführen, und schilderte ausführlich das Verhalten der Amerikaner gegen diejenigen Indianerstämme, in deren Reservation etwa eine Goldader oder ein Kohlenlager gefunden wird: sie drängen sie ohne Weiteres hinaus, Widerstandleistende schießen sie nieder!58


   Sehr bedenkenswert! Doch ansonsten gibt May, gelinde gesagt, nur Skurriles von sich - im Münchner Hotel.

   Die Ehefrau Emma hatte alles mit angehört. Sie kannte die wahre Vergangenheit ihres Mannes. Sie hätte, mit wenigen Worten, Karl May aufs peinlichste bloßstellen können. Dies hat sie nicht getan. Aber hat sie - wie Hanneh den kleinen Scheik59 - ihren Mann vor dessen eigener Torheit bewahrt? Dazu war sie wohl nicht in der Lage. Sie wird sich, naiv, im Glanze des Gatten gesonnt haben.

   Nach den Strapazen der Münchner Auftritte verließ das Ehepaar die bayerische Metropole. Aber auch in Regensburg ging es, laut Emmas Brief an Frau Seyler, "gleich wieder los [...] Darum sind wir nur zwei Tage geblieben".60 Der ruhigere - dreitägige - Aufenthalt in Böhmen, der in May wahrscheinlich Erinnerungen weckte,61 die im ersten Kapitel seines Weihnachtsromans (dessen Planung der Schriftsteller nach der Heimkehr in Angriff nahm) verarbeitet werden,62 schloß die Siegestour ab.

   Auch im folgenden Jahr ist das Ehepaar May wieder auf Reisen. Anfang 1898 besuchen die beiden für acht Tage Berlin. Am 17. Februar treffen sie in Prag ein. Auch dort, in der, 'goldenen Stadt' an der Moldau: enthusiastische Leser, die den Umschwärmten bedrängen.63 Drei Tage später geht es weiter nach Wien, wo die Mays über vier Wochen verweilen. Zwei Wochen lang, vom 27. Februar bis zum 11. März, muß der Autor freilich das Krankenbett hüten - wegen Überanstrengung, wie er an Fehsenfeld schrieb.64

   Mays Show-Spiele in Wien überboten noch den Münchner Triumph. Am 21. Februar, Rosenmontag, hielt May einen Vortrag bei der Leo-Gesellschaft. Zu Shatterhands Tischnachbarn gehörte, neben anderen Größen, Fürst Robert von Windischgrätz. Seine Ansprache - mit eingeschobenen Stories über noch unbekannte Szenen aus dem Leben Winnetous, dessen Todestag heute war65 - schloß Dr. May, laut Pressebericht, mit den Worten:


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"Meine Herrschaften! Thun Sie wie ich: Blicken Sie auf zu den Bergen, von denen Hilfe und Heil kommt! Amen!"66

   Frenetischer Beifall! Auch als Redner verstand es May, die Menge zu faszinieren! Seine bischöfliche Gnaden, der Hochwürdigste Herr Feldvicar Dr. Belopotoczky, dankte dem Redner bewegt und aufs tiefste gerührt.67

   Nach dem Vortrag "begab sich Herr Dr. May" - wie es in der Wiener 'Reichspost' hieß -


in Begleitung des Barons Vittinghoff-Schell zum Faschingsabend des katholischen Handelscasinos, wo er [...] alle Anwesenden durch seine witz- und geistsprühende Unterhaltung in gehobene Stimmung versetzte. Selbstverständlich ließen es die Versammelten nicht an Ovationen für den Helden des Wilden Westens fehlen".68


   Die Rolle Old Shatterhands spielte May wohl perfekt: Wie Augenzeugen berichteten, stemmte er, zum Erweis seiner Kraft, einen - angeblich - schweren Tisch in die Höhe. Auch die Narbe unter dem Kinn, die von einem Messerstich Winnetous herrühren sollte, zeigte er vor.69

   Am folgenden Faschingsdienstag wurde Old Shatterhand, der auch sonst in den besten Wiener Kreisen verkehrte, von Ihrer kaiserlichen Hoheit, der Erzherzogin Maria Therese (1855-1944), und weiteren Angehörigen des Kaiserhauses höchst ehrenvoll empfangen.70

   Am selben Tag, um 14.30 Uhr, hielt May - vor 500 Zöglingen des katholischen Internats in Kalksburg bei Wien - einen Vortrag zum Thema 'Winnetou, der Adelsmensch'. Als Star trat er auf und - als Prediger! Nach einer Schilderung der 'Kalksburger Korrespondenz' sagte Karl May unter anderem:


Wir seien in Gottes Garten gepflanzt und müßten uns zu edlen Bäumen entfalten, die gute Früchte bringen; was das heißen soll, zeigte er uns durch einige Züge aus dem Leben seines uns allen bekannten Winnetou [...] Dieser Winnetou wurde von Dr. Karl May zuvor in den Anfangsgründen der christlichen Religion unterwiesen. Bald sollte der Lehrer erfahren, wie tief der junge Indianer die christliche Religion erfaßt hatte. Er zeigte sich auch in der Religion und im religiösen Leben als echter Aristokrat, und wiederholt mußte Dr. May aus dem Munde seines Schülers Bemerkungen hören wie: "Mein weißer Bruder ist kein Aristokrat des Glaubens, sonst würde er das Heilige höher halten", oder "Er ist kein Aristokrat der christlichen Liebe, sonst würde er seinem Gegner nachgegeben haben". So sollen auch wir, fuhr Dr. May fort, nicht mit dem Gewöhnlichen uns begnügen, sondern Aristokraten der christlichen Religion werden. Hierauf erzählte er uns von seinem eigenen Ringen und von den Mühen, die es ihn gekostet, um sich emporzuarbeiten [...] Rauschender Beifall erscholl, als der beliebte Schriftsteller die Rednertribüne verließ.71


   Daß Karl May, auf dem Weg zu christlicher Demut und menschlicher Reife, sein hohes Ziel - im Unterschied zu Winnetou - noch nicht gänzlich erreicht hatte, bewies er auf folgende Weise: Gleich nach dem Vortrag lieferte Old Shatterhand, wie am Abend zuvor, eine Kraftprobe; er wirbelte, um der Jugend eine Freude zu machen und sich selbst eine Genugtuung zu bereiten, "einen Stuhl mit einer Hand wie einen Spazierstock durch die Luft".72

   Am nächsten Abend - Aschermittwoch - fand zu Ehren des Dichters im 'Regensburger Hof eine Zusammenkunft katholischer Männer statt. Das von May selbst verfaßte und komponierte 'Ave Maria' wurde vom Sängerchor 'Dreizehnlinden' vorgetragen, "was einen tiefen Eindruck auf die ganze Versammlung machte".73

   Frau Emma schrieb am 1. März aus Wien an Agnes Seyler: "Die ganze [...] Aristokratie ist begeistert und will Old Shatterhand sehen."74 May selbst sandte, am 15. April, Emil Seyler die Nachricht:


In Wien war ich der Liebling der hohen und höchsten Aristokratie; von früh bis Abends spät waren sie bei mir oder ich bei ihnen. Sogar an meinem Krankenbette saßen Fürsten, Fürstinnen und Prin-


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zessinnen stundenlang. Mark Twain [...] war ganz vergessen. Ich aber kam zu Hofe, ohne es gewünscht und den geringsten Schritt dazu gethan zu haben.75


   Und Fehsenfeld teilte der Schriftsteller, am 19. Mai, mit: "Wien. Wollte drei Tage da sein; es wurden fünf Wochen. Audienzen am Kaiserhof, Dejeuners, Diners, Soupers bei Prinzen, Fürsten, Grafen, Marschällen usw."76

   Am 21. März reiste das Ehepaar ab. Der weitere Weg führte, über Linz, wieder in die bayerische Hauptstadt, die Herr Shatterhand mit seiner Gemahlin am 24. März erreichte. Die dreizehnjährige Prinzessin Wiltrud arrangierte, am 26. März, eine Einladung ins Wittelsbacher Palais, wo die Familie des späteren Königs Ludwig III. residierte und "wo ich in einer langen, langen Audienz alle Glieder des Bayerischen Königshauses um mich versammelt sah und mit ihnen wie ein lieber, alter Bekannter verkehren durfte."77

   Mays Kontakte mit den Königskindern Wiltrud, Helmtrud und Gundelinde (geb. 1884, 1886 und 1891), den jüngsten Töchtern Ludwigs des Dritten, nahmen mit dieser Audienz ihren Anfang. Besonders Wiltrud traktierte Old Shatterhand noch jahrelang mit den seltsamsten Fragen bezüglich Winnetou und die andern Helden des Westens.78

   Karl May ist, in Wien und in München, der glücklichste Mensch. Fehsenfeld wird, ganz ähnlich wie Seyler, die frohe Botschaft zuteil: "München [...] Sämtliche Mitglieder des Königshauses da, alles liest May!"79

   Bei diesem Stand der Dinge ist es kein Wunder: In zahlreichen Städten Deutschlands erblühten in den neunziger Jahren respektable Vereine - die berühmten 'Karl-May-Clubs'. So auch in München. Im Sommer 1897, nach Shatterhands Darbietungen im Hotel Trefler, hatte der junge Arzt Dr. Josef Weigl die Initiative ergriffen und den Münchner May-Club ins Leben gerufen.80 Seriöse Herren - Damen erst später - schlossen sich an, darunter der Lehrer Franz Weigl (ein Bruder des Vorsitzenden Dr. J. Weigl), der zu den treuesten Freunden unseres Autors gehörte und später die Broschüre Karl Mays pädagogische Bedeutung (1909) verfaßte.

   An drei Abenden, vom 25. bis 27. März 1898, war Old Shatterhand höchstpersönlich der Gast des Fan-Clubs in München. Man traf sich im Café Luitpold im 'Silbersaal'. Der Freund des großen Apatschen spielte Billard mit den Herren Weigl und schwadronierte stundenlang über seine Erlebnisse in den fernsten Teilen des Erdenrunds.

   Nach den Aufzeichnungen des Bundesbruders Ernst Abe181 gab Mr. Shatterhand - unter anderem - folgendes bekannt: Stehen und laufen konnte er, aufgrund einer Krankheit, erst mit sechs Jahren; aber schon im Alter von sechzehn Jahren besuchte er die Universität; sämtliche religiösen Werke und die ältesten Lehren der Völker hat er im Urtext gelesen; 1860 lernte er, in den USA, Sam Hawkens kennen; Winnetou heißt 'brennendes Wasser'; mit 13 Jahren bekam er, infolge einer Heldentat (einer grotesken Geschichte, die Dr. May sehr ausführlich schilderte), diesen Namen; er selbst, Old Shatterhand, aß in der Wildnis 10 oder 14 Pfund Fleisch jeden Tag, im rohen Zustande meist; die wichtigste Nahrung des Indianers ist, nebst dem Büffel, der Hund; den fettesten bekommt der Gast, der ihn - im Idealfalle - gänzlich verschlingt; den Henrystutzen hat nicht Mr. Henry, sondern Dr. May selbst konstruiert; von seinen Gefährten leben nur noch Sir David Lindsay, Hadschi Halef und Hobble Frank - der letztere in Dresden (ganz richtig: denn der kleine Held ist, ebenso wie Halef, das Alter ego Karl Mays); die übrigen Westmänner wurden ermordet - von Buffalo Bill;82 ein Grislybär hat ihm, Dr. May, einst die halbe Brust heruntergerissen; die offene Wunde hat er, um das Fieber zu verhindern, mit Schießpulver eingerieben; mit einer Pfeilwunde im Rücken ist er von Brasilien heimgekehrt; eine Professorentochter hat ihn gepflegt; Nschotschi, der Schwester Winnetous, sah sie ähnlich; folglich


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wurde sie seine Frau; den letzterschienenen Band "Weihnacht!" hat er in einer einzigen Woche geschrieben, nur Wasser und Beefsteak genießend.

   Natürlich erzählte May auch vom Tode Winnetous, der am 2. September 1874 erschossen wurde.83 Erschüttert von seinen Erinnerungen und ergriffen vom Heimgang des Blutsbruders brach der Dichter, nach einem Trauerschweigen von fünf Minuten, in heftige Tränen aus.

   Ende März trat das Ehepaar May, nach einer Tournee von ca. sechs Wochen, die Rückreise an: über Regensburg nach Radebeul. "Es war ein wahrer Siegeszug, den ich gehalten habe, oder vielmehr nicht ich, denn gesiegt hat die Sache meines lieben Herrgotts, für den ich schreibe, um ihm recht, recht viele Menschenherzen zuzuführen ..."84

   Wenig später, von Mitte April bis zum 7. Mai 1898, weilte der Schriftsteller - diesmal ohne Emma - in Gartow im östlichen Niedersachsen. Zweck der Reise: Lokalstudien über das Leben des 'Alten Dessauers', des Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau.85 Während der Autor in München, im Hotel Trefler, den Winnetou-Roman zu dramatisieren und auf die Bühne zu bringen verheißen hatte,86 schwebte ihm jetzt ein Theaterstück über den 'Dessauer' vor.87

   Im Hotel 'Krug' und im 'Deutschen Haus' begeisterte Old Shatterhand, allabendlich, mit den gröbsten Flunkereien und den tollsten Berichten: von seinen Panther-, Löwen- und Bärenjagden zum Beispiel. Von seiner 'Wunderbüchse' erzählte May - nach einem Bericht des Forstmeisters Karl Junack -, daß sie ungeheuer schwer sei; außer ihm selbst könnten nur wenige mit ihr umgehen. Herr Shatterhand soll gesagt haben:


Wenn ihn jemand besuchte und es dann einen plötzlichen Krach gäbe, so wisse seine Frau schon, daß er wieder einmal - wie erst kürzlich dem König von Sachsen - seine Büchse [...] gereicht hätte und der Besucher die Büchse habe fallen lassen, weil sie ihm zu schwer war.88


   Jahrzehntelang blieb Mays Besuch für die Gartower eine Sensation, ein unvergessenes Ereignis. Für Old Shatterhand selbst freilich gab es ein skurriles Finale: Die Gartower Polizei hielt ihn für einen Hochstapler und nahm ihn kurzerhand fest. Zum Verhängnis geworden war ihm allerdings nicht das Jägerlatein, sondern - seine mildtätige Großzügigkeit: Er verteilte Goldstücke an die notleidende Bevölkerung!89 Und das war suspekt. Die Polizei verlangte Auskunft in Radebeul. Die telegraphische Antwort: "Karl May hier wohnhaft, übt sehr gern Wohltätigkeit."90

   Aus der Haft wurde der Verdächtige unverzüglich entlassen. Aber ein Schock wird der Zwischenfall doch gewesen sein. Für - den ehemaligen Zuchthäusler.


8.8.3

'Komplizierte Beweggründe


Gibt es für das Verhalten 'Old Shatterhands' in den Jahren 1896-98 einen vernünftigen Grund? Gibt es plausible Motive, die die Show-Spiele Mays in München und Gartow, in Wien und in anderen Städten erklären?

   War es Reklame? Geschäftspropaganda? Public-Relations?91 Diese Gesichtspunkte sollten weder bestritten noch überschätzt werden. Sie sind nicht falsch; aber sie greifen zu kurz. Was "Dr. Karl May, genannt Old Shatterhand" motiviert und getrieben hat, war ein ganzer Komplex von Beweggründen, die zu entflechten, zu analysieren und zu bewerten im folgenden versucht werden soll.

   War Karl May schizophren? War er paranoid, also geistesgestört? Glaubte er selbst, was er anderen vormachte? Hielt er sich im Ernst für Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi? Ausgeschlossen! Mays Fähigkeit (oder Bereitschaft), die Fiktion von der Realität


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zu trennen, war zwar geringer entwickelt, als dies beim Durchschnittsmenschen gewöhnlich der Fall ist. Aber verrückt war er nicht. Karl May war "kein Wahnsinniger, sondern ein kluger, kenntnisreicher Kopf";92 und seine literarischen Werke lassen einen Verfasser erkennen, der um seine Abgründe wußte, der sich selber in Schach hielt und sich selbst zu kurieren verstand.

   Erlaubte sich Karl May, schlicht und einfach, einen Scherz? Wollte er sein Publikum auf den Arm nehmen? Machte er sich "über seine Zuhörer lustig? Nahm er auf diese Weise eine späte, aber harmlose Rache an der so wohlgeordneten Gesellschaft, die ihn als jungen Lehrer kaltherzig verstoßen hatte und ihn jetzt als vermeintlichen welterfahrenen Abenteurer umjubelte, und die plötzlich seine Freundschaft suchte?"93 Dieser Hinweis des May-Kenners Siegfried Augustin ist zweifellos richtig. Mays Verhalten hatte in der Tat (wie schon früher in der Straftäterzeit) etwas Spaßiges, Clownhaftes an sich. "Ihn scheint bisweilen der Hafer so gestochen zu haben", daß seine Fabeleien "wie 'Belastungsproben' der Vertrauensseligkeit seiner 'Fans' anmuten."94

   So manches, was May - etwa im Café Luitpold - zum besten gab, läßt sich als Jux ohne weiteres verstehen. May hatte Freude am Witz, an der Posse. Manche - genüßlichen - Formulierungen in den Briefen an das Ehepaar Seyler und den Verleger Fehsenfeld sind als lustige Skizzen, als schlitzohrige Glossen durchaus akzeptabel. Einen Grund zur Entrüstung gibt es hier nicht.

   Mit dem Ulk-Motiv verwandt, aber von diesem zu unterscheiden ist ein weiterer Aspekt: May war, was ihm selbst nicht verborgen blieb, ein schauspielerisches Talent! Am 18. Dezember 1911, vor der Strafkammer in Berlin-Moabit,95 wurde der Privatkläger May - inzwischen ein Greis, eine gereifte, geläuterte Persönlichkeit, eine ehrwürdige Erscheinung - vom Rechtsanwalt des Beklagten (des Journalisten Rudolf Lebius) an die Nunwarz-Bilder, die Shatterhand/Kara Ben Nemsi-Photos, erinnert. Der alte May entgegnete prompt: "Jeder Schauspieler läßt sich photographieren, wie es ihm beliebt, warum soll sich nicht ein Schriftsteller, der über amerikanische Dinge schreibt, als Trapper abbilden lassen?"96

   Die Maskerade, die Rollenspiele liebte May sehr. Doch seine Auftritte in Deutschland und Österreich sind mit den genannten Motiven noch längst nicht hinreichend erklärt. Hinter Mays Benehmen - den kauzigen Briefen, der abstrusen Großsprecherei, dem 'Bad in der Menge', der anrührend-peinlichen Kontaktsuche zu Adelskreisen (die ihrerseits, zweifellos, wieder May suchten) sowie den "Freudensbekundungen über erfolgte Empfänge"97 - verbirgt sich eine tiefere und ernstere Problematik, über die nachzudenken sich lohnt.

   Claus Roxin nahm, im Anschluß an Wollschläger, eine 'narzißtische Neurose' als Folge frühkindlicher Liebesversagungen an:98 Die Zuneigung der Lesergemeinde zum literarischen Helden soll jetzt, in den 1890er Jahren, auch der Person des Autors zugute kommen!99 Bewundert und geliebt wollte May sein: als Kind von den Eltern, jetzt von den Lesern, von der bürgerlichen Gesellschaft, ja von der Menschheit schlechthin. Die übergroße Sehnsucht nach Anerkennung und Liebe führte zu abnormen Methoden, "aus der Isolation und inneren Verschlossenheit"100 herauszutreten und die Gunst des Publikums zu gewinnen.

   Roxin stellt, in einer umfassenden Analyse, zunächst einmal fest: Dichterische und kindliche, schauspielerische und hochstaplerische Züge treffen in Mays Psyche zusamrnen.101 Diese Persönlichkeitsstruktur und Mays zeitweiliges, aus den Merkmalen seiner psychischen Grundverfaßtheit resultierendes (in der kriminellen Vergangenheit schon her-


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vorgetretenes) Krankheitsbild, die 'Pseudologia phantastica',102 machen es bis zu einem gewissen Grade verständlich, "daß ein sonst so begabter und scharfsinniger Mensch wie May jede Kritikfähigkeit verlieren und sich den Truggebilden seiner Seele so hemmungslos hingeben konnte."103

   Andererseits ist zu fragen: Hatte May, um 1896-98, wirklich - wie Roxin es hier nahelegt - keine innere Distanz zu seinen Masken? Restlos erklären können psychiatrische Termini wie 'Narzißmus' oder 'Pseudologia phantastica' die Eskapaden unseres Schriftstellers nicht. Heinz Stolte bemerkt: 'Pseudologia phantastica' ist ein Bezeichnung, "die der Sache am nächsten kommt, aber auch dies ist letztlich nur ein Wort, das sich, wie Goethe sagt, einstellt, wo 'Begriffe fehlen', das heißt in diesem Falle: ein eigentliches 'Begreifen' außer unseren Möglichkeiten liegt".104

   Ist Mays Verhalten also, im Grunde, doch völlig unverständlich? Das nun auch wieder nicht! Zu den genannten Beweggründen kommt ein weiteres - von der May-Forschung längst erkanntes - sehr wichtiges Motiv hinzu: die Versuchung von außen, die Erwartungshaltung des Publikums. Daß Karl May und Old Shatterhand ein und derselbe seien, das wollten die Leute so haben! Das "Gift war zu süß, das man ihm hier bot, als daß er es hätte zurückweisen können."105 May selbst erkannte dies wohl: Zu den Nunwarz-Bildern etwa erklärte er schon am 4. Juni 1896: "Meine Leser drängen nach Photographien, ich ließ mir darum einen Verehrer [...] kommen, der 101 Aufnahmen von mir gemacht hat."106

   Mays Wunsch-Existenz hatte die Wirklichkeit schon längst überwuchert. Immer mehr wurde der Autor der Gefangene einer Lesererwartung, die er selbst produziert hatte:


Dem Suggestiven und Verführerischen, das er durch seine eigene literarische Fähigkeit erst hervorgebracht hatte, das aus ihm selbst kam, das Bestandteil seiner Individualität war, und das nun, über den Leser, auf ihn zurückwirkte, vermochte er unter dem Druck einer steigenden existentiellen Angst keine neutralisierende Kraft entgegenzusetzen.107


   Mit dem Stichwort 'Angst' - in Verbindung mit dranghafter Lust - ist ein (dem Dichter wohl unbewußtes) Hauptmotiv für das Verhalten Mays in den neunziger Jahren benannt. Zur Deutung des 'Phänomens Karl May' und speziell der Renommierzeit des Autors hat der Mediziner Kurt Langer einen interessanten, auf den Psychologen Michael Balint zurückgehenden Begriff ins Spiel gebracht - die "Angstlust":108 Die Freude am Possenspiel, das Gefallen an der exzentrischen Selbstdarstellung, die Lust am Applaus der 'Gemeinde' sind gesteuert von - der inneren Bedrängnis Karl Mays!109 Mit der Berühmtheit wuchs zugleich auch die Angst unseres Schriftstellers: vor dem Entdecktwerden seiner Vergangenheit. Die Großmannsgesten verdecken nur diese Furcht. Unter der Maske des Helden verbirgt Karl May die kritische Zeit: Er war nicht im Zuchthaus; er war, als Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi, in Amerika und im Orient.

   Das heißt nun freilich nicht, daß May nur deshalb als 'Shatterhand' aufgetreten sei, um auf diese Weise seine tatsächliche Biographie zu verschleiern. Nein: "Zum Verbergen der Vorstrafen war [...] das vorherige unauffällige Leben viel angemessener [...] Die irrationalen Behauptungen hingegen mußten das Interesse auf Mays Vergangenheit lenken und unweigerlich zu Enthüllungen führen."110

   Walther Ilmer hat also keineswegs unrecht, wenn er in Mays Imponiergehabe eine "unterbewußte Herausforderung an das Schicksal"111 erblickt!

   Mays Erfolg war dauernd gefährdet, weil seine 'offizielle' Lebensgeschichte - genau wie seine Romane - durch Erfindung entstanden war. Die Brüchigkeit seines Lebensentwurfs, das "Bewußtsein, sein Glück auf schwankendem Boden gebaut zu haben",112 stei-


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gerte die Angst Karl Mays und verlockte ihn zu den absurdesten ('kontraproduktiven') Anstrengungen, den Schein zu verteidigen. Die Vergangenheit mußte verschwiegen werden; man hätte sie May, wie er zu Recht befürchtete, niemals verziehen. "Aber wann immer es als tödlich empfunden wird, die Wahrheit zu sagen, bleibt kein anderer Weg, als das ganze Leben in eine Lüge zu verwandeln":113 in eine Lüge, die - wie der Psychotherapeut und Theologe Eugen Drewermann unterstreicht - nicht erlöst, sondern "den Teufelskreis von Angst und Schuld"114 bzw. (im Falle Mays) von Angst und Ich-Überhöhung verewigt.

   Und doch wollte May - die reuigen Sünder, die Identifikationsfiguren seines Erzählwerks zeigen es überdeutlich - diesen Teufelskreis durchbrechen. Auch und gerade die Auftritte unseres Schriftstellers in München, in Wien und in Gartow sind, so Walther Ilmer, in ihrer "tiefsten Bedeutung ein Reue-Moment" gewesen; der Autor hat "die Bloßstellung des Sünders Karl May" provoziert und förmlich herbeigeschrien; er schob sich, als Old Shatterhand in Deutschland und Österreich, "noch weiter in die Spaltung hinein. Er verfestigte die Lüge - und traf gleichzeitig Anstalten, ihr den Garaus zu machen."115

   Mays Verhalten stieß um die Jahrhundertwende auf Empörung und Spott. Was die Moralisten nicht sahen: Karl May stand unter innerem Zwang, von dem er sich später (und darin liegt seine Größe) weitgehend befreien konnte. Was Mays Gegner zudem nicht wußten: Die neunziger Jahre, diese halb lustvollen, halb selbstzerstörerischen Jahre waren, wie es Wollschläger formuliert, die einzigen "seines tragischen Lebens, in denen er 'glücklich' lebte, in denen ein weniges von der Freude, die durch ihn für andere in die Welt gekommen war, zu ihm zurückkehrte."116

   Die Grenzen von Traum und Realität hat Mays Phantasie schon immer verwischt. Doch den eigentlichen 'Defekt' in der Psyche Mays sieht Günter Scholdt - dem theoretischen Ansatz des Freud-Schülers Alfred Adler folgend - in der 'Ich-Ablehnung', im 'Minderwertigkeitskomplex', in der Verleugnung der eigenen Identität: Das Avancier-Gehabe, die "Sucht, mehr zu scheinen als zu sein", das Verlangen, "etwas Anderes, Besseres, Höheres"117 zu sein, dieses Bestreben sei die Quintessenz in der Fehlhaltung Mays.

   Es stimmt: Sich selbst zu bejahen und die eigene Grenze zu akzeptieren, ist ein Zeichen von menschlicher Reife. Wahr ist aber auch dies: Tagträume von Größe und Glück, die Recherche nach der vollkommenen Liebe, nach höchster Geltung und respektvoller Anerkennung, sind - wie schon früher erörtert118 - ein menschliches Urphänomen, das keineswegs nur negativ zu bewerten ist.

   Claus Roxin trifft den Kein des Problems, wenn er schreibt: Karl May, dieser seltsame und doch exemplarische Mensch,


stand nie 'mit beiden Beinen auf der Erde' [...] Die Ambivalenz seiner literarischen Erscheinung [...] hat hier vermutlich ihre Ursache. Denn einerseits kann das Nichtannehmen der Realität als ein Symptom der Unreife, der Unerwachsenheit und der kindlichen Phantasiegebundenheit gelten [...] Andererseits aber hat eine solche existentielle Verweigerung gegenüber der Realität nicht nur regressive Züge, wie man lange Zeit gemeint hat, sondern sie weist Wege ins Zukünftige, indem sie einer schlechten Realität den Dienst verweigert und fliegend (das heißt: mit sehnsüchtiger Phantasie) andere, bessere Formen des Lebens antizipiert.119


   Sehnsüchte und Träume können zur heilenden, zur not wendigen Energie werden, die die Realität zu verändern vermag. Der schöpferische Impuls, die selbstheilende Kraft der Mayschen Fiktion ist nicht zu verkennen: Die Larve, der positive Held, wuchs in den Träger der Maske hinein; Old Shatterhand/Kara Ben Nemsi, der 'Edelmensch', wurde ein Teil des Schriftstellers selbst!


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   Das 'Ich' Karl Mays ist nicht einfach nur 'Lüge'. Insofern trifft die, grundsätzlich richtige, Analyse Drewermanns (bezüglich des Teufelskreises von Angst und Lüge) im Falle Mays - wie des schöpferischen Menschen überhaupt - nicht unbedingt zu.

   Als ein "Fabulieren auf Freiheit hin"120 hat Gert Ueding das Werk unseres Autors bezeichnet. Die "schäbige, stets enttäuschende und öde Wirklichkeit"121 will May in seiner Dichtung nicht hinnehmen. Es glückt ihm, die - scheinbar - geheimnislose Welt in ihrer 'Tiefe' zu sehen, ihre Transparenz zu erkennen, "den Sprung über die Schwelle zu tun, mit einem zweiten Gesicht eine andere Wirklichkeit zu schauen, sie in Worte zu bannen, in ihr ein zweites Dasein zu führen."122

   Das gilt für die Poesie, fürs literarische Ich Karl Mays. Gilt es auch für die Renommierbriefe an die Verehrer, für die Vorträge in München und Wien, die Prahlereien in Gartow? Sie waren zum Teil kurios, zum Teil auch peinlich und krankhaft. Aber auch so noch, im neurotisch Absurden, bezeugt Karl May die Bestimmung des Menschen: sich nicht abzufinden mit der trostlosen Gegenwart, sich träumend und spielend hineinzuversetzen ins künftige Sein.

   Der Mensch ist von Natur aus das Wesen, das sich selbst übersteigt. Daß May zeitlebens etwas 'Besseres' sein wollte, als er war, ist also nicht zu bekriteln. Zu tadeln ist nur die Weise, WIE er als "Dr. Karl May, genannt Old Shatterhand" das 'Bessere' und das 'Höhere' darzustellen versuchte. Daß seine Rollenspiele grotesk und auch kindisch waren, ist gar keine Frage. Sein hektisches Reisen - auch nach der Rückkehr aus Gartow ging es gleich weiter: er besuchte, noch im Mai, ein zweites Mal Wien und war vom 12.-19. Oktober 1898 wieder in Prag123 - könnte ein Zeichen sein: Der Schriftsteller war auf der Flucht vor sich selbst, vor der Erkenntnis der eigenen Wirklichkeit. Für die Neubesinnung und die echte 'Verwandlung' fehlte ihm noch die Reife. Der zum Aufbruch nötige Leidensdruck - in den Angstbildern der späten Reiseerzählungen schon vorweggenommen - war noch zu schwach.

   Die Identifikationsfiguren seiner Romane waren dem bürgerlichen May in jeder Beziehung voraus. Die private Shatterhand-Manier des Autors stand weit unterhalb des Niveaus seiner literarischen Werke. Man muß seine Reiseerzählungen also - wie Roxin unterstreicht -


gegen die merkwürdige Figur, die ihr Schöpfer zu jener Zeit machte, in Schutz nehmen. Der Schluß von der Banalität der schauspielerischen Selbstpräsentation Mays zu jener Zeit auf die Flachheit und Nichtigkeit des Erzählwerkes, den viele zeitgenössische Kritiker gezogen haben, ist trügerisch.124


   Wie hat May selbst, in späteren Jahren, seine Lügenmärchen bewertet? In seiner Beichte (1908) scheint er die Prahlereien der Renommierzeit verdrängt und vergessen zu haben: "Diejenigen, die mich nicht begreifen wollen, [...] nennen mich einen Aufschneider [...] Du lieber Gott! Kein Mensch hat so wenig Grund und Lust aufzuschneiden wie gerade ich!"125 Im Jenseits-Band (1898/99) allerdings126 und im Silberlöwen IV (1903) hat May seine Imponiergebärden - indirekt - bekannt und scharf kritisiert. Der Ustad, in den Schlußbänden des Silberlöwen eindeutig das wahre Ich Karl Mays, gibt zu: Er strebte nach dem Ruhm "mit einer Gier, die ich fast Sünde nenne!"127

   In manchen Romanfiguren, besonders in Hadschi Halef, hat der Autor - auf heitere Weise - seine späteren Großmannsgesten schon in den achtziger Jahren antizipiert und getadelt. Die Selbstbiographie (1910) reflektiert: "Indem ich alle Fehler des Hadschi beschreibe, schildere ich meine eigenen und lege also eine Beichte ab, wie sie so umfassend und so aufrichtig wohl noch von keinem Schriftsteller abgelegt worden ist."128


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   Tatsache ist, daß May seine Fehler, im wesentlichen, erkannt und zumindest teilweise korrigiert hat. Die Überwindung der Shatterhand-Legende und damit den Aufbruch zu neuen Gestaden hat er, so paradox es auch scheint, in den Flunkereien der Renommierzeit schon vorbereitet. Gerhard Klußmeier fragt zu Recht: Hat May "nicht vielleicht auch dies bezweckt: durch eine bewußte Überzeichnung seiner Person die Verehrer zum Zweifel an der wörtlichen Richtigkeit der geschilderten 'Reiseerlebnisse' aufzufordern?" Zwischen "Aufrechterhaltung und vorsichtigem Abbau jener Fiktion" mag er in München und Wien, in Prag und in Gartow "unentschlossen hin- und hergeschwankt sein."129



Anmerkungen


1Karl May: "Weihnacht!". Karl Mays Werke IV. 21. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Nördlingen 1987, S. 186.
2Hans Wollschläger: Karl May. Grundriß eines gebrochenen Lebens. Zürich 1976, S. 78.
3Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg 1910. Hrsg. von Hainer Plaul. Hildesheim, New York 21982, S. 116 u. passim.
4Zit. nach Siegfried Augustin: Karl May in München. In: KMJB 1978. Bamberg, Braunschweig 1978, S. 45-110 (S. 47).
5Mitgeteilt bei Wollschläger: Karl May, wie Anm. 2, S. 84.
6Mitgeteilt bei Alfred Schneider: Karl May und seine Hamburger Freunde Carl und Lisbeth Felber. In: JbKMG 1970, S. 163-172 (S. 164).
7Vgl. Manfred Hecker - Hans-Dieter Steinmetz: Karl May in Böhmen. In: JbKMG 1977, S. 218-230.
8Karl May: Briefe an den Verleger Josef R. Vilimek, Prag. In: JbKMG 1977, S. 231-242 (S. 233).
9Claus Roxin: Ein 'geborener Verbrecher'. Karl May vor dem Königlichen Landgericht in Moabit. In: JbKMG 1989, 9-36 (S. 13).
10Vgl. oben, S. 268ff. - Vgl. Michael Städler: Ist Karl May Old Shatterhand? In: MKMG 64 (1985), S. 36f.
11Vgl. oben, S. 283ff.
12Claus Roxin: "Dr. Karl May, genannt Old Shatterhand". Zum Bild Karl Mays in der Epoche seiner späten Reiseerzählungen. In: JbKMG 1974, S. 15-73 (S. 63).
13Thomas Mann: Altes und Neues. Stockholmer Gesamtausgabe 1953, S. 24; zit. nach Roxin: "Dr. Karl May ", wie Anm. 12, S. 44.
14Christian Heermann: Der Mann, der Old Shatterhand war. Eine Karl-May-Biographie. Berlin 1988, S. 260.
15Claus Roxin: Vorläufige Bemerkungen über die Straftaten Karl Mays. In: JbKMG 1971, S. 74-109 (S. 87).
16Nach Roxin: Ebd.
17Vgl. Helmut Schmiedt: Karl May. Studien zu Leben, Werk und Wirkung eines Erfolgsschriftstellers. Frankfurt/M. 21987, S. 49.
18Nach Wollschläger: Karl May, wie Anm. 2, S. 86.
19Vgl. z.B. Karl May: Briefe an das bayerische Königshaus. In: JbKMG 1983, S. 76-122 (S. 76ff.).
20Dieselbe Frage wurde May auch von der Gräfin Jancovics gestellt. - Vgl. Anton Haider: Erinnerungen an den Achensee. In: MKMG 88 (1991), S. 32-41 (S. 37).
21May: Briefe, wie Anm. 19, S. 77.
22Vgl. Augustin, wie Anm. 4, S. 53ff. - Heermann, wie Anm. 14, S. 220ff.
23Vgl. Hans-Dieter Steinmetz: Die Villa "Shatterhand" in Radebeul. In: JbKMG 1981, S. 300-338 (S. 314). - Vgl. Gert Ueding: Der Traum des Gefangenen. Geschichte und Geschichten im Werk Karl Mays. In: JbKMG 1978, S. 60-86 (S. 78): zum allgemeinen Stil der 'Gründerzeit'.
24Nach Karl May: Old Surehand III. Gesammelte Reiseerzählungen, Bd. XIX. Freiburg 1896, S. 328f., wollten Ogellallah-Indianer das Grab Winnetous schänden und die Silberbüchse rauben; Old Shatterhand nahm die Büchse noch rechtzeitig aus dem Grabe heraus und "sorgte da-


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für, daß dies überall bekannt wurde [...] Jetzt hängt dieses herrliche Gewehr neben meinem Schreibtische".
25So hieß es im 'Berliner Blatt' vom 3.4.1912; zit. nach Gerhard Klußmeier - Hainer Plaul (Hrsg.): Karl May. Biographie in Dokumenten und Bildern. Hildesheim, New York 1978, S. 133.
26Vgl. Klaus Hoffmann: Silberbüchse - Bärentöter - Henrystutzen, "das sind die drei berühmtesten Gewehre der Welt". Herkunft, Wirkung und Legende. In: JbKMG 1974, S. 74-108 (S. 97). - Mit dem 'echten' Stutzen konnte Old Shatterhand fünfundzwanzigmal schießen, ohne zu laden.
27Heermann, wie Anm. 14, S. 243.
28Mehr bei Josef Mittermaier: Ein Schriftsteller und sein Fotograf. In: KMJB 1978. Bamberg, Braunschweig 1978, S. 111-133.
29Vgl. Andreas Barth: Max Weltes Beziehungen zu Karl May. In: Karl-May-Haus-Information Nr. 4. Hohenstein-Ernstthal 1990, S. 3-49. - Vgl. unten, S. 423.
30Karl May in einer scherzhaften Brief-Anrede an Max Welte; zit. nach Jürgen Natzmer: Handschriftliches und Bildliches von Karl und Klara May. In: MKMG 85 (1990), S. 51f. (S. 51).
31Vgl. Ekkehard Bartsch: "... indem ich die Preisliste beilege ... " In: MKMG 8 (1971), S. 11-13(S. 13).
32Zit. nach Heermann, wie Anm. 14, S. 243.
33Nach Augustin, wie Anm. 4, S. 57.
34Vgl. ebd.
35Zit. nach Wollschläger: Karl May, wie Anm. 2, S. 83.
36Vgl. oben, S. 134. - Nach Roxin: Bemerkungen, wie Anm. 15, S. 88, führte auch Friedrich Hebbel zu Unrecht den Doktortitel, den er später allerdings (anders als May) rechtmäßig erwarb.
37Nach Wollschläger: Karl May, wie Anm. 2, S. 91.
38Wiedergegeben bei Rudolf Lebius: Die Zeugen Karl May und Klara May. Ein Beitrag zur Kriminalgeschichte unserer Zeit. Berlin-Charlottenburg 1910, S. 18; zit. nach Wollschläger: Karl May, wie Anm. 2, S. 91.
39Nach Claus Roxin: Brief vom 22.9.1990 an den Verfasser.
40Claus Roxin: Mays Leben. In: Karl-May-Handbuch. Hrsg. von Gert Ueding in Zusammenarbeit mit Reinhard Tschapke. Stuttgart 1987, S. 62-123 (S. 106).
41Der Brief ist vollständig wiedergegeben in: MKMG 71 (1987), S. 25f.
42Mays Englisch-Sprachprobe in Ein Phi-Phob ('Der gute Kamerad'. Berlin, Stuttgart. 1. Jg. 1887, S. 310-313, hier S. 313) beispielsweise ist ziemlich mißglückt. - Im übrigen gibt es, was Mays tatsächliche Sprachkenntnisse betrifft, durchaus noch offene Fragen; vgl. Christian Heermann: Neue Aspekte und offene Fragen der Karl-May-Biographie. In: JbKMG 1990, S. 132-146 (S. 137ff.).
43Karl May: Kong - Kheou, das Ehrenwort. Karl Mays Werke III. 2. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Nördlingen 1988, S. 29f. - Vgl. Heinz Stolte: Narren, Clowns und Harlekine. Komik und Humor bei Karl May. In: JbKMG 1982, S. 40-59 (S. 50).
44Wie Anm. 3.
45Mehr bei Fritz Maschke: Karl May und Emma Pollmer. Die Geschichte einer Ehe. Beiträge zur Karl-May-Forschung 3. Bamberg 1973, S. 67-76.
46Ulrich Schmid: Das Werk Karl Mays 1895-1905. Erzählstrukturen und editorischer Befund. Materialien zur Karl-May-Forschung, Bd. 12. Ubstadt 1989, S. 80.
47Vgl. unten, S. 340.
48Vgl. Haider, wie Anm. 20, S. 32-41.
49Zit. nach Maschke, wie Anm. 45, S. 238 - Ganz ähnlich schrieb May auch an Fehsenfeld (am 27.7.1897).
50Zit. nach Augustin, wie Anm. 4, S. 67f. - Vgl. dagegen die völlig andersartige (was z.T. wohl auch durch den großen zeitlichen Abstand zwischen Ereignis und Niederschrift zu erklären ist) Erinnerung Joseph Bernharts (vgl. oben, S. 24f.); dazu Augustin, wie Anm. 4, S. 66.
51Nach einem Bericht des Regierungsrats Max Casella; zit. nach Augustin, wie Anm. 4, S. 66. - Zum 'Realitätsgehalt': May hatte gewiß über zwanzig Amerika-Romane bzw. -Novellen verfaßt; in Gedanken - und 'mit dem Finger auf der Landkarte' - war er also "mehr als zwanzigmal in Amerika" (Hinweis von Ernst Seybold im Brief vom 1.10.1991 an den Verfasser).


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Möglich ist auch folgende Erklärung: In der Nähe des Mayschen Geburtsortes Ernstthal gibt es ein Dorf namens 'Amerika'; dort kann May ja leicht "mehr als zwanzigmal" gewesen sein.
52Nach dem Bericht des 'Bayrischen Courir' vom 10.7.1897; zit. nach Augustin, wie Anm. 4, S. 68f.
53Wie Anm. 51. - Zum 'Realitätsgehalt': May hatte schon "Weihnacht!" (Herbst 1897) im Kopf, insofern wird er "zu den Apatschen zurückkehren" (Hinweis von Seybold: Brief, wie Anm.5l)!
54Wie Anm. 52. - Zum 'Realitätsgehalt': May dürfte schon an den Jenseits-Band (1898/99) gedacht haben; dort steht in der Tat "ein Besuch Hadschi Halefs und seiner Frau Hanneh auf dem Programm" (Hinweis von Seybold: Brief, wie Anm. 51)!
55Heermann, wie Anm. 14, S. 248.
56Karl May: Im Reiche des silbernen Löwen I. Gesammelte Reiseerzählungen, Bd. XXVI. Freiburg 1898, S. 281.
57Ernst Weber: Karl May. Eine kritische Plauderei. In: Zur Jugendschriftenfrage. Leipzig 1903, S. 42; zit. nach Roxin: "Dr. Karl May", wie Anm. 12, S. 24f. - May hat diese Darstellung Webers - insbesondere die "Anrempelung" des Kaisers - später (May: An den Dresdner Anzeiger, 12.11.1904; abgedruckt in JbKMG 1972/73, S. 131) bestritten; dazu Roxin: "Dr. Karl May", wie Anm. 12, S. 66 (Anm. 43).
58Aus dem Bericht des 'Bayrischen Courir' vom 7.7.1897; zit. nach Augustin, wie Anm. 4, S. 65.
59Vgl. oben, S. 293.
60Zit. nach Augustin, wie Anm. 4, S. 70.
61Vgl. oben, S. 113f.
62Vgl. Maschke, wie Anm. 45, S. 76.
63Vgl. Augustin, wie Anm. 4, S. 77.
64Nach Augustin: Ebd.
65Normalerweise gab May den 2. September als Todestag Winnetous an! - Vgl. z.B. May: Briefe, wie Anm. 19, S. 77.
66Aus dem Bericht der Wiener Zeitschrift 'Vaterland' vom 22.2.1898; zit. nach Roxin: "Dr. Karl May", wie Anm. 12, S. 27.
67Nach ebd.
68Bericht der Wiener 'Reichspost' vorn 26.2.1898; zit. nach Augustin, wie Anm. 4, S. 78 - Vgl. auch die (freilich mehr Dichtung als Wahrheit enthaltende und auf May nur beiläufig bezogene) Darstellung bei Richard von Kralik: Der abenteuerliche Tag. In: KMJB 1919. Breslau 1918, S. 252-269.
69Nach Franz Cornaro: Karl Mays Wiener Fasching 1898. In: MKMG 9 (1971), S. 21 f. (S. 22).
70Nach dem Bericht der Wiener 'Reichspost', wie Anm. 68.
71Bericht der 'Kalksburger Korrespondenz' Nr. 24 (Juni 1898), S. 23f.; zit. nach Roxin: "Dr. Karl May", wie Anm. 12, S. 28.
72Richard Kirsch in: Neues Wiener Abendblatt (24.2.1937); zit. nach Roxin: "Dr. Karl May", wie Anm. 12, S. 29.
73Nach dem Bericht der Wiener 'Reichspost', wie Anm. 68.
74Zit. nach Augustin, wie Anm. 4, S. 79.
75Zit. nach ebd., S. 95.
76Zit. nach Thomas Ostwald: Karl May - Leben und Werk. Braunschweig 41977, S. 177.
77Aus Mays Bericht vom 15.4.1898 an Emil Seyler; zit, nach Ulrich Schmid: "Mein höheres und eigentliches Vaterland ist Bayern". Zu den Briefen Karl Mays an das bayerische Königshaus. In: JbKMG 1983, S. 123-145 (S. 124).
78Vgl. May: Briefe, wie Anm. 19, S. 76-122.
79Aus Mays Brief vom 19.5.1898 an Fehsenfeld; zit. nach Ostwald, wie Anm. 76.
80Die Statuten dieses Clubs sind wiedergegeben bei Augustin, wie Anm. 4, S. 74ff.
81Abels Aufzeichnungen und Erinnerungen an Dr. Carl May sind mit dem 18.4.1898 datiert; der ganze Text ist abgedruckt bei Augustin, wie Anm. 4, S. 83-93.
82Diese Bemerkung Karl Mays ist besonders dreist: Der amerikanische Oberst William Cody alias Buffalo Bill (1846-1917) war erstmalig mit einer Wildwest-Schau durch Europa gezogen und hatte in Deutschland und Österreich (wie kurze Zeit später 'Old Shatterhand') große Begeisterung ausgelöst. - Vgl. Augustin, wie Anm. 4, S. 59. - Zum 'Realitätsgehalt' der 'Ermor-


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dung' Mayscher Romanhelden durch Buffalo Bill: Der Buffalo-Bill-Rummel ließ vielleicht die Freude an der May-Lektüre verblassen und machte insofern den Mayschen Helden den 'Garaus' (Hinweis von Seybold: Brief, wie Anm. 51).
83Wie Anm. 65.
84Aus Mays Brief vom 15.4.1898 an Emil Seyler; zit. nach Augustin, wie Anm. 4, S. 96.
85Dazu Erich Heinemann: Dr. Karl May in Gartow. In: JbKMG 1971, S. 259-268 (S. 259).
86Laut 'Bayrischer Courir' vorn 7.7.1897; vgl. Augustin, wie Anm. 4, S. 65.
87Ausgeführt wurden weder das Winnetou- noch das Dessauer-Drama.
88Zit. nach Heinemann, wie Anm. 85, S. 261.
89Vgl. unten, S. 340.
90Zit. nach Friedrich Hinnrichs: Eine Studienreise Karl Mays (1898), In: KMJB 1924. Radebeul 1924, S. 334-337 (S. 337).
91Dazu Viktor Böhm: Karl May und das Geheimnis seines Erfolges. Gütersloh 21979, S. 22f. - Vgl. Peter Krauskopf: Old Shatterhand am Elbestrand. In: ZEIT-Magazin Nr. 27 (28.6.1991), S. 10-20: Karl May wird hier als Vorläufer der modernen Pop-Stars gesehen!
92Heinz Stolte: Hiob May: In: JbKMG 1985, S. 63-84 (S. 68).
93Augustin, wie Anm. 4, S. 69.
94Ebd., S. 69f.
95Vgl. unten, S. 534ff.
96Zit. nach Roxin: 'Verbrecher', wie Anm. 9, S. 29.
97Heermann, wie Anm. 14, S. 254.
98Vgl. Roxin: "Dr. Karl May", wie Anm. 12, S. 38ff.
99Nach Roxin: Mays Leben, wie Anm. 40, S. 102.
100Heermann, wie Anm. 14, S. 254.
101Vgl. Roxin: Bemerkungen, wie Anm. 15, S. 86.
102Dieser Begriff wurde im Jahre 1891 durch Anton Delbrück in die psychiatrische Literatur eingeführt. - Vgl. Roxin: Bemerkungen, wie Anm. 15, S. 81ff. - Ders.: "Dr. Karl May", wie Anm. 12, S. 43 (mit Verweis auf Helene Deutsch: Über die pathologische Lüge. In: Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse 8. Jg. 1922, S. 153ff.).
103Roxin: "Dr. Karl May", wie Anm. 12, S. 43.
104Stolte: Hiob May, wie Anm. 92, S. 68.
105Heinz Stolte: Der Fiedler auf dem Dach. Gehalt und Gestalt des Romans '"Weihnacht!"'. In: JbKMG 1986, S. 9-32 (S. 23).
106Karl May in einem Brief vom 4.6.1896 an Fehsenfeld; zit. nach Hoffmann, wie Anm. 26, S. 82.
107Klußmeier - Plaul, wie Anm. 25, S. 121.
108Vgl. Kurt Langer: Die Bedeutung der Angstlust in Karl Mays Leben und Werk. In: JbKMG 1986, S. 268-276.
109Vgl. Roxin: "Dr. Karl May", wie Anm. 12, S. 59f. - Vgl. Jürgen Hahn: "Da klebte ich zwischen Himmel und Erde". Betrachtungen zu Karl Mays Alterswerk. In: JbKMG 1992, S. 299-317.
110Heermann, wie Anm. 14, S. 258.
111Walther Ilmer: Karl Mays Weihnachten in Karl Mays '"Weihnacht!"' II. Eine Spurenlese auf der Suche nach Fährten. In: JbKMG 1988, S. 209-247 (S. 240). - Vgl. ders.: Karl May - Mensch und Schriftsteller. Tragik und Triumph. Husum 1992, S. 137ff.
112Ueding: Der Traum des Gefangenen, wie Anm. 23, S. 76.
113Eugen Drewermann - Ingritt Neuhaus: Marienkind. Grimms Märchen tiefenpsychologisch gedeutet. Olten, Freiburg 21985, S. 39.
114Ebd.
115Walther Ilmer: Karl Mays Weihnachten in Karl Mays '"Weihnacht!"' In: JbKMG 1987, S. 101-137 (S. 112).
116Hans Wollschläger: "Die sogenannte Spaltung des menschlichen Innern, ein Bild der Menschheitsspaltung überhaupt". Materialien zu einer Charakteranalyse Karl Mays. In: JbKMG 1972/73, S. 11-92 (S. 53).
117Günter Scholdt: Vom armen alten May. Bemerkungen zu 'Winnetou IV' und der psychischen Verfassung seines Autors. In: JbKMG 1985, S. 102-151 (S. 129).
118Vgl. oben, S. 27ff.


//338//

119Claus Roxin: Karl Mays 'Freistatt'-Artikel. Eine literarische Fehde. In: JbKMG 1976, S. 215-229 (S. 225f.).
120Gert Ueding: Auf fremden Pfaden in die Heimat. Karl May. In: Ders.: Die anderen Klassiker. Literarische Porträts aus zwei Jahrhunderten. München 1986, S. 156-183 (S. 183).
121Hermann Hesse: Kurzgefaßter Lebenslauf. In: Ders.: Traumfährte (1945), S. 17; zit. nach Roxin: "Dr. Karl May ", wie Anm. 12, S. 45.
122Otto Forst-Battaglia: Karl May. Traum eines Lebens - Leben eines Träumers. Beiträge zur Karl-May-Forschung 1. Bamberg 1966, S. 145.
123Dort legte er einen Streit mit seinem Verleger Vilimek bei. - Vgl. Hecker - Steinmetz, wie Anm. 7, S. 222 - Roxin: Mays Leben, wie Anm. 40, S. 104.
124Roxin: "Dr. Karl May ", wie Anm. 12, S, 55 - Vgl. Wollschläger: Spaltung, wie Anm. 116, S. 54.
125Karl May: Meine Beichte. In: Ders.: Gesammelte Werke, Bd. 34 "Ich". Bamberg 361976, S. 15-20 (S. 18).
126Vgl. unten, S. 360f.
127Karl May: Im Reiche des silbernen Löwen IV. Gesammelte Reiseerzählungen, Bd. XXIX. Freiburg 1903, S. 72 - Vgl. unten, S. 447.
128May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 3, S. 211 - Stolte: Narren, wie Anm. 43, S. 47, nennt diesen Satz "eine bemerkenswerte, eine erstaunliche Stelle", die ein hohes Niveau der Selbstreflexion des Autors voraussetze.
129Klußmeier - Plaul, wie Anm. 25, S. 8.



8.9

Mays Privatleben in den neunziger Jahren: Labile Gemütsverfassung und Kontakt mit dem Spiritismus


Als befreienden Kontrast zu den "Grimassen seines öffentlichen Auftretens" rühmte Hans Wollschläger, im großen und ganzen zu Recht, die "hinreißend sympathischen Züge"1 im Privatleben des Autors. Dunkle Punkte gab es freilich auch hier. Das Rätselhafte, nur "schwer Durchschaubare"2 im Wesen des Schriftstellers ist nicht zu übersehen.


8.9.1

Eheliche Konflikte


Der Kinderfreund May hätte gerne ein eigenes Kind im Hause gehabt. Im November 1891 nahm er das Töchterchen seiner Schwester Karoline Selbmann zu sich: die neunjährige Clara (1882-1969), vom Ehepaar May mit dem Kosenamen Lottel gerufen.3 Es kam jedoch schon bald zu unerträglichen Reibereien zwischen Lottel und Tante Emma.4 So kehrte das Kind, das den Onkel vergötterte, nach neun Monaten - im August 1892 - zur Mutter zurück. Der Abschied war schwer. Nach der Auskunft Frau Selbmanns sagte Karl May am Bahnhof zu Kötzschenbroda mit Tränen in den Augen: "Weißt du Emma, wir haben ein Kindchen gehabt, die kommt nicht wieder."5

   Wie schon früher erwähnt und besprochen,6 hatte May sehr wahrscheinlich ein außereheliches Kind. Ein begeisterter May-Freund schrieb - 1979 - an den May-Biographen Fritz Maschke:


Ich würde es May nicht vorwerfen, wenn er wirklich ein außereheliches Kind gehabt hätte, aber es paßt so gar nicht zu ihm, daß er alsbald Mutter und Kind verlassen und vergessen hätte. Sind beide schon bald und früh gestorben? Das wäre die einzige Erklärung.7


   Vom frühen Tode der Mutter oder des Kindes kann aber wohl nicht die Rede sein.8 Der Darstellung Maschkes zufolge wollte der Schriftsteller, etwa ein Jahr nach dem Wegzug der kleinen Lottel,9 sein eigenes Töchterchen ins Haus nehmen, was aber am Widerstand


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der Ehefrau Emma (die jetzt erst von der Vaterschaft ihres Mannes erfuhr) gescheitert ist. Doch die Details der ganzen 'Affäre' entziehen sich unserer Kenntnis. Ein moralisches Urteil über das Verhalten Mays steht uns also nicht zu.

   Daß May wegen des Kindes zu leiden hatte, ist immerhin anzunehmen. Die Gemütsverfassung des Schriftstellers war, gerade auch in den neunziger Jahren, überhaupt sehr labil. Hochstimmungen und zeitweilige Tiefs störten das innere Gleichgewicht. May selbst beklagte, in einem Brief vom 17. September 1893 an Fehsenfeld, seine "hochgradig gesteigerte Nervosität" und mußte - im selben Brief - von Selbstmordgedanken berichten: "Ich bin in Folge häuslicher Zerwürfnisse jetzt immer so niedergeschlagen, daß ich wie oft nach der Wand über meinem Schreibtische sehe, wo der geladene Revolver hängt."10

   Ob der äußere Anlaß für Suizidphantasien in der Trennung vom eigenen Kind, im ehelichen Konflikt oder - wie Ulrich Schmid erwägt11 - primär im partiellen Mißlingen des literarischen Werkes, d. h. der Bände II/III der Winnetou-Trilogie,12 zu suchen ist, sei dahingestellt. Der Grund für depressive Reaktionen des Autors lag wohl ohnehin tiefer: in den traumatischen, mit schweren Schuldgefühlen verbundenen Verletzungen, die er in der Kindheit und Jugend erlitten hatte und die sein literarischer Erfolg nicht gänzlich zu heilen vermochte.

   May hatte Selbstmordgedanken im Spätsommer 1893, zur Entstehungszeit der Winnetou-Bände II und III. Doch die Vermutung, daß es solche Gedanken bei Karl May auch schon früher gegeben hat, wird gar nicht so abwegig sein. Biographische Dokumente, die die Richtigkeit dieser These eindeutig beweisen, gibt es zwar nicht.13 Aber manche Partien des Mayschen Erzählwerks sind doch verräterisch. In Winnetou I (im Frühjahr 1893 verfaßt) beispielsweise legt der Autor seiner Romanfigur Klekih-petra die folgenden Worte in den Mund: "Wie oft bin ich dem Selbstmorde nahe gewesen; immer hielt mich eine unsichtbare Hand zurück - Gottes Hand [...] Ich fand, freilich erst nach langen Zweifeln, Vergebung und Trost, festen Glauben und inneren Frieden."14

   Innerhalb der 'klassischen' Reiseerzählungen gehört Klekih-petra zu den interessantesten Ich-Derivaten unseres Schriftstellers.15 Wir dürfen wohl sagen: Karl May wurde, wie Klekih-petra, immer wieder die Kraft geschenkt, sich von trüben Stimmungen nicht endgültig besiegen zu lassen. Doch den "inneren Frieden" gefunden hat der Autor, im Gegensatz zu Klekih-petra, noch keineswegs.

   Karl May hatte, zeitlebens wahrscheinlich, zu kämpfen - gegen dunkle Gewalten. Gewiß nicht der einzige Grund, aber doch wohl ein wichtiger Faktor für die labile Gemütsverfassung des Dichters wird die, zumindest unterschwellige, Spannung mit Emma gewesen sein.

   Was die Beziehung zwischen Karl und Emma betrifft, gibt es einen recht aufschlußreichen Bericht Pauline Fehsenfelds:


Wir waren damals16 gerade im Begriff, mit unseren Kindern nach der Schweiz zu reisen, [...] und Karl May und Frau Emma schlossen sich uns an. So lange wir noch mit den Gästen in Freiburg waren, ging alles friedlich zu, doch schon auf der Reise war Karl May launisch und reizbar. Frau Emma, eine so gute sparsame Hausfrau sie auch war, verstand nicht, ihren Mann zu nehmen, so wie er war, und seine Psyche war ihr vollständig verschlossen. Sie wußte nicht zu schweigen am richtigen Platz, sie war kleinlich sparsam, er großzügig und verschwenderisch. In Bönigen, am Brienzer-See, wo wir zusammen Unterkunft hatten, kaufte May viele schöne Ansichtskarten. Darüber machte ihm Frau Emma eine Scene. Er stürmte im Zorn davon, rannte in der Gegend umher und kam erst spät nachts zurück [...] War er guter Laune, dann war er der liebenswürdigste, der unterhaltendste, witzige Gesellschafter [...] Der Wirt war auch ein eifriger Skatbruder, wie Karl May und mein Mann. Allabendlich saßen sie beisammen und klopften ihren Skat oder Lomber in größter Gemütlichkeit. Als May's abgereist waren, fühlten wir uns erleichtert, denn das Verhältnis der Eheleute paßte nicht in unsere friedliche Stimmung.17


//340//

   Während Emma vor allem wirtschaftlich dachte, hatte Karl May "ein mitfühlendes Herz für seine Nächsten [...]; wahre Herzensgüte war ein Grundzug seines Wesens."18 So verteilte er, zum Ärger seiner Frau,19 goldene Trinkgelder auf seinen Reisen. Für die geringsten Dienste konnte er Zehn- oder Zwanzigmarkstücke geben. Elisabeth Felber, die Schwester des Caféhausbesitzers Carl Felber, erinnerte sich an des Schriftstellers Aufenthalt in Hamburg im Mai 1897:20


In einer Kutsche fuhr man durch Hamburg. Karl May bewunderte die Stadt. Und vor allem die Kellner bewunderten - ihn. Wo er auch aufkreuzte, gab es tiefe Bücklinge. Geld hatte für Karl May keinen Wert - außer, damit anderen eine Freude bereiten zu können. Wir rissen die Augen groß auf, wenn Karl May eine Zeche von zwei oder drei Mark bezahlte und dann dem Kellner ein Geldstück als Trinkgeld in die Hand drückte.21


   Der Webersohn kannte die Not und er half mit offenen Händen. Ein hungriges Mädchen und dessen Vater z.B. bedachte er, in Gartow (1898), mit reichen Geschenken:22 wie der 'Fürst des Elends', der - in Mays Kolportageroman Der verlorene Sohn - die Ärmsten der Armen mit den schönsten Gaben erfreute. Auch in späteren Jahren war May sehr großzügig und gebefreudig, was - nach Maschke - "zu mancher Auseinandersetzung"23 auch mit seiner zweiten Frau, Klara May verw. Plöhn, geführt hat.


8.9.2

Familiäre Beziehungen


Nach dem Einzug in die 'Villa Shatterhand' (1896) gab es bei Mays sehr häufig gesellige Runden. Nebst vielen Bekannten hatte das Ehepaar May seit 1889/90 auch gute Freunde; Richard und Klara Plöhn gehörten zu ihnen.24 In den neunziger Jahren vergrößerte sich der Freundeskreis: durch die - schon mehrfach erwähnten - Familien Fehsenfeld (Freiburg), Seyler (Deidesheim) und Felber (Hamburg) zum Beispiel.

   Seinem Wesen nach war Karl May ein ziemlich "unbürgerlicher Mensch".25 In den Erfolgsjahren freilich zeigte er sich von einer anderen Seite. Als "bürgerliche Alibis"26 hat Wollschläger die Seylers wie die Plöhns bezeichnet: Kommerzienrat Emil Seyler (1845-1926) war ein begüterter Weinbergbesitzer, Richard Alexander Plöhn der Gründer und Besitzer einer Verbandstoff-Fabrik in Radebeul.

   Mit den Seylers und Felbers entwickelte sich ein überaus herzlicher Briefverkehr. Seylers fünf Töchter, die "Orgelpfeifen",27 waren für May eine Art Kinderersatz. Er mochte sie gern und schickte ihnen in bester Laune diverse Scherz-Gedichte oder, zu gegebenem Anlaß, auch fromme Zeilen. Magdalena Seyler, der 'vox angelica' unter den Orgelpfeifen, schenkte er (zur Erstkommunion im April 1898) ein Bild der Sixtinischen Madonna und - als persönliche Widmung - sein zweites 'Ave Maria': "Sei gegrüßt, Du Heil'ge, Reine!..."28

   Bedeutsamer noch war die Verbindung mit dem Ehepaar Plöhn. Richard Plöhn gehörte, bis zu seinem Tode im Jahre 1901, zu den besten und treuesten Freunden Karl Mays. Klara Plöhn (1864-1944), die Tochter des Dessauer Kastellans Heinrich Beibler, hielt der Schriftsteller - zunächst - "für ein Gänschen, nicht ganz so groß wie meine eigene Gans, doch geistig unbedeutend";29 aber später dachte er anders: In der "schwersten Zeit" seines Lebens wurde Klara, das 'Herzle', sein "wahrer Engel".30

   Klara und Emma waren sehr eng miteinander befreundet. Sie waren wie Schwestern, nannten sich "Mausel" und "Miez" und unterschrieben - 1899 - zusammen mit Agnes Seyler als "Harem"31 Karl Mays! "Andere Leute wußten es gar nicht anders, als daß die beiden Frauen wirkliche Schwestern seien."32


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Abb. 12: Villa "Shatterhand" in Radebeul, Karl May auf dem Balkon vor seinem Arbeitszimmer.


Abb. 13: Karl May in seiner Bibliothek, 1896.


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Abb. 14: Karl May als Kara Ben Nemsi, 1896.


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   Daß es zwischen Klara und Karl schon damals, in den neunziger Jahren, eine tiefere Beziehung gab, ist wohl nicht auszuschließen. "Und denke auch an Emmeh, welche die einzige Perle deines Harems ist",33 muß sich Kara Ben Nemsi - im Silberlöwen II - von Halef ermahnen lassen! So ganz ohne Grund? Wohl keine "sündige"34 Leidenschaft, aber doch einen Zwiespalt in Karls Seele können wir supponieren: Ein 'neuer Stern', eine verlockende Frau, ist in sein Leben getreten.

   Aber May war - wenn wir die ungetrübte Liebe des literarischen 'Ich' zur Ehefrau Emmeh als Appell des Autors an die eigene Adresse verstehen - entschlossen, sich Emma verstärkt wieder zuzuwenden. Um den Erhalt seiner Ehe wird er in diesen Jahren gekämpft haben.35


8.9.3

Séancen im Hause May


Durch Emma hatte der Schriftsteller schon in den achtziger Jahren den Spiritismus, damals eine verbreitete Modeerscheinung, kennengelernt. Noch in Hohenstein, vor dem Umzug nach Dresden, nahm das Ehepaar May im April 1883 an einer spiritistischen Sitzung teil.36 In Kötzschenbroda kam es zu weiteren Séancen im Hause Plöhn, dann auch bei Mays.

   In den neunziger Jahren trafen sich die Ehepaare May und Plöhn, gemeinsam mit Häußlers37 und anderen Freunden, wohl öfter zu solchen Zusammenkünften. Auch der Arzt Ferdinand Pfefferkorn, ein in Lawrence/Massachusetts lebender - aus Hohenstein-Ernstthal stammender - Schulfreund Karl Mays, der den Dichter 1895 in Oberlößnitz besuchte, hatte eine starke Neigung zum Okkultismus und wirkte an den Sitzungen mit. Nach der Aussage einer Freundin Emmas soll es zweimal in der Woche solche 'Konferenzen' gegeben haben.38 Auch Anna Rothe (1850-1907), das in jenen Jahren berühmte, von May aber - mit einiger Wahrscheinlichkeit - als Schwindlerin durchschaute 'sächsische Blumenmedium', war 1897 Gast in der 'Villa Shatterhand';39 sie nahm wiederholt an den Sitzungen teil.

   Emma May, aber auch Klara Plöhn, die ein gutes 'Medium' gewesen sein soll,40 waren begeistert. Doch Karl May und Richard Plöhn verhielten sich, der Pollmer-Studie (1907) des Schriftstellers zufolge, stets skeptisch. Sie lachten die Frauen nur aus.41

   Ironisch berichtet uns May: Die Toten "wackelten mit dem Tische, und das erschien [...] überzeugend. Das Wackeln wurde in Buchstaben, Laute und Worte verwandelt, und so entstand 'die Sprache mit den Geistern'."42 Die "Haupt- und Animirgans" war Emma; "die beiden andern Gänse" - gemeint sind Klara und deren Mutter - "schnatterten nur mit!"43

   Emmas Hauptrolle könnte eine polemische Überzeichnung des Schriftstellers sein; aber daß May selbst nur "probeweise" - als "Psycholog"44 - sich beteiligte, ist durchaus wahrscheinlich. Er wußte "sehr wohl", daß die Worte der abgeschiedenen Geister "nur die Gedanken des eigenen Innern", nur die Äußerungen der "eigenen Seele"45 der Séancen-Teilnehmer waren.

   Für die Annahme, daß May dies erst später (nach der Jahrhundertwende) erkannte, gibt es keinen triftigen Grund. Gewiß - des Schriftstellers Nein zum Spiritismus kann, expressis verbis, wohl erst mit späten Zeugnissen belegt werden; aber es gilt auch für die früheren Jahre! Denn Mays Erzählwerk - auch der achtziger und neunziger Jahre - ist dem Aberglauben abhold. Geisterspuk wird in diesen Geschichten, in Deutsche Herzen, in


//344//

Mahdi I oder in Winnetou I zum Beispiel,46 immer als Schwindel, als Selbsttäuschung oder als "Spiegelfechterei",47 angesehen.

   Ein Anhänger des primitiven Gespensterglaubens ist Karl May nie gewesen. Aber daß er sich in KEINER Weise betören ließ und daß er sämtliche Praktiken und sämtliche Spielarten des Spiritismus und Okkultismus von Anfang an gänzlich durchschaut habe, ist - trotz seiner grundsätzlichen Skepsis - nicht anzunehmen. Mit Bezug auf seine frühesten Begegnungen mit dem Spiritismus räumte May ein:


Das Ganze war eine außerordentlich plump angelegte [...] Burleske. Aber grad die Plumpheit machte mich irr; dies Pathologische reizte, [...] und das primitiv oder kindlich religiöse Gewand, in welches das Alles gekleidet wurde, gab der Albernheit eine Art von Weihe, der auch ein besserer Kenner, als ich damals war, nicht hätte widerstehen können [...] Es stieg in mir der sehr natürliche Wunsch empor, diese Sache näher kennen zu lernen [...] Ich kaufte mir also nach und nach die hervorragendsten spiritistischen Werke und studirte sie mit solchem Ernst und solchem Fleiß, daß ich von mir sehr wohl behaupten darf, ein Kenner, nicht aber auch Freund dieser höchst thörigten Seitenrichtung unseres Geisteslebens zu sein.48


8.9.4

Übersinnliche Mächte


In Mays Bibliothek (deren Titel-Verzeichnis leider nur unvollständig erstellt wurde) fanden sich 75 Bücher - darunter auch kritische - über den Spiritismus oder ähnliche 'Geheimlehren'.49 Ein Interesse war also vorhanden. Mehr aber nicht! Daß Karl May, wie Wollschläger behauptete, mit dem Spiritismus sein "religiöses Bedürfnis befriedigte",50 ist eine Unterstellung. May hat sich, wie Heinz Stolte zutreffend bemerkte,


gelegentlich in dem Sinne geäußert, daß er vielleicht ein 'Spiritualist' sei, insofern er sich von den Geistern seiner Lieben zu jeder Zeit umschwebt und umhegt fühle, daß er aber den 'Spiritismus' (mit seinen 'Medien' und 'Materialisationen') als Betrug ablehne.51


   Mit dem Okkultismus, der sich zur Zeit Karl Mays als Gegenbewegung zum Materialismus verstand, hatte der Schriftsteller nur dieses gemeinsam: Er bekämpfte in seinen Werken die nackte Diesseitigkeit eines materialistischen Daseinsverständnisses.52 So glaubte er z.B. an 'Schutzengel' als göttliche Boten. Von einem Leben nach dem Tode war er fest überzeugt; auch eine enge Verbindung zwischen Lebenden und Verstorbenen, vielleicht auch die Möglichkeit einer 'außersinnlichen Wahrnehmung' durch entsprechend begabte und begnadete Menschen,53 nahm er wohl an.

   Aufgrund dieser Einstellung war für May ein Hereinwirken von überirdischen - göttlichen - Kräften in die sichtbare Welt eine Selbstverständlichkeit. Nicht im Sinne spiritistischer Geisterbeschwörung, sondern im Sinne des alt- und neutestamentlichen Offenbarungsglaubens (zu dem auch Engel als göttliche Sendboten inmitten der Welt gehören54) ist die folgende Stelle in Old Surehand III zu interpretieren:


Mag man mich immerhin auslachen; ich habe den Mut, es ruhig hinzunehmen; aber indem ich hier an meinem Tische sitze und diese Zeilen niederschreibe, bin ich vollständig überzeugt, daß meine Unsichtbaren mich umschweben und mir, schriftstellerisch ausgedrückt, die Feder in die Tinte tauchen [...] Wie tröstlich und beruhigend, wie ermunternd und anspornend ist es doch, zu wissen, daß Gottes Boten stetig um uns sind! Und welch große sittliche Macht liegt in diesem Glauben! Wer überzeugt ist, daß unsichtbare Wesen ihn umgeben, welche jeden seiner Gedanken kennen, jedes seiner Worte hören und alle seine Werke sehen, der wird sich gewiß hüten, so viel er kann, das Mißfallen dieser Gesandten des Richters aller Welt auf sich zu ziehen. Ich gebe diesen sogenannten, in Mißkredit geratenen Kinder-, Ammen- und Märchenglauben nicht für alle Schätze dieser Erde hin!55


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   Mit dieser Überzeugung steht Karl May nicht allein. Auch in der heutigen Zeit gibt es - religiös und biblisch orientierte, zugleich aber modern und 'aufgeklärt' denkende - Literaten, die ähnlich empfinden. Bei Luise Rinser zum Beispiel können wir lesen:


Gibt es Engel? Es gibt sie. Wir erleben sie, ohne ihrer gewahr zu werden. Engel sind die Boten zwischen den beiden Bereichen der universalen Wirklichkeit, deren Doppelbürger wir sind: Himmel und Erde, Reich des Geistes und Reich der Materie. Engel sind die Überbringer von Ideen aus der Geistwelt. Sie erinnern uns an das hohe Wissen, das wir einst besaßen als Bürger des geistigen Reiches. Was wir Inspiration nennen und woraus unsre besten Werke entstehen, sind befruchtende Botschaften aus dem Geistbereich, [...] dem wir armseligen platten Materialisten keine Wirklichkeit zubilligen, während er doch die Urwirklichkeit ist, die Heimat aller Erscheinungen, die sich in der Erdenmaterie manifestieren.56


   Diese Sätze könnten, ganz wörtlich, auch bei May stehen. Mit der 'okkulten Welle', mit dem Versuch, das Numinose zwingen zu wollen, mit Praktiken wie Tischerücken usw. hat diese Auffassung Mays (oder Rinsers oder ähnlich denkender Leute) nichts zu tun!

   Auch der folgende Dialog zwischen Frau Hiller und Old Shatterhand in Mays Roman "Weihnacht!" ist nicht im spiritistischen Sinne eines durch bestimmte Techniken herbeigeführten Kontakts mit den Verstorbenen zu verstehen, sondern - ganz normal - im Sinne des christlichen Glaubens an die "Gemeinschaft der Heiligen" die "Auferstehung der Toten" und das "ewige Leben":57 "Reden Sie mir nicht darein", meint die Frau,


"sondern lassen Sie mir diesen wohlthuenden Glauben, daß mein Vater von Gott die Erlaubnis hat, unsichtbar bei mir zu weilen, um mich zu leiten und meinen Fuß vor Anstoß zu bewahren! Wenn Gott seine Engel sendet, die uns zu beschützen haben, können wohl auch unsere Abgeschiedenen, die uns durch ihre Liebe doch am nächsten stehen, solche Engel sein! [...] Ich möchte nicht um alles diese Ueberzeugung missen, die mir im Leiden Kraft gewährt, mich in der Einsamkeit tröstet und mir die frohe Hoffnung bietet, daß ich meinen Sohn mit meinem Tode nicht verlassen werde."58


   Kein erfahrener Seelsorger und kein vernünftiger Theologe würde der Frau des Pelzjägers widersprechen. Auch Old Shatterhand stimmt ihr zu; er bestätigt ihre Rede als Ausdruck, als "Konsequenz"59 des Vertrauens auf Gott, der die Liebe ist (vgl. 1 Joh 4, 8).

   Karl May glaubte an überirdische Mächte, an Gottes Ewigkeit und die Teilhabe des Menschen an dieser Ewigkeit. Aber "weder Gespenster- noch Dämonenseher"60 ist unser Autor gewesen. Im letzten Lebensjahrzehnt, im Verlauf der Gerichtsprozesse,61 bei denen May - aus taktischen Gründen - auch des Spiritismus bezichtigt wurde (seine Glaubwürdigkeit sollte erschüttert werden!), erklärte er wiederholt: "Ich bin weder jemals Spiritist gewesen, noch bin ich es heute."62

   Den Wahrheitsgehalt dieser Aussage in Frage zu stellen, gibt es, wie gesagt, keine Veranlassung: Ein echter, ein 'gläubiger' Spiritist würde - so Stolte63 - zu seiner Überzeugung unbedingt stehen; er würde sie bei jeder Gelegenheit bekennen; und er würde versuchen, auch andere für seine Idee zu gewinnen. Er würde niemals, wie Karl May, sagen: "Ich habe gefunden, daß der Spiritismus eine psychologische Verirrung ist."64

   Der Schriftsteller wußte sich, wie der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer (1906-1945), "von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar".65 Mit spiritistischen Umtrieben und schamanistischen Zaubereien hatte er aber nichts im Sinn. Er liebte - wie es in der Pollmer-Studie (1907) heißt -


das Licht und die Aufklärung, und Alles, was ich schreibe, ist gegen den Spiritismus und den Occultismus gerichtet. Ich bin Christ; ich bleibe Christ, und ich halte mich sogar in meiner Psychologie an die Lehre Christi, wie sie in den vier Evangelien niedergelegt worden ist.66


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Anmerkungen


1Hans Wollschläger: "Die sogenannte Spaltung des menschlichen Innern, ein Bild der Menschheitsspaltung überhaupt". Materialien zu einer Charakteranalyse Karl Mays. In: JbKMG 1972/73, S. 11-92 (S. 54).
2Horst Friedrich: Karl May und Ludwig II von Bayern. In: MKMG 87 (1991), S. 3-15 (S. 5).
3Nach Fritz Maschke: Karl May und Emma Pollmer. Die Geschichte einer Ehe. Beiträge zur Karl-May-Forschung 3. Bamberg 1973, S. 45ff.
4Vgl. ebd., S. 50ff.
5Karoline Selbmann am 27.2.1904 an Klara May; zit. nach Maschke: Karl May, wie Anm. 3, S.52.
6Vgl. oben, S. 155 u. 230.
7Zuschrift an Maschke; zit. nach Fritz Maschke: Martha Vogel - ein Pseudonym für Thekla Vogel? In: MKMG 41 (1979), S. 29-31 (S. 29).
8Nach Christian Heermann: Der Mann, der Old Shatterhand war. Eine Karl-May-Biographie. Berlin 1988, S. 287-292, handelt es sich bei dem außerehelichen Kinde möglicherweise auch um die Tochter Marie Thekla Vogels (vgl. oben, S. 155).
9Vgl. Fritz Maschke: Was Pauline Fehsenfeld nicht wissen konnte. In: MKMG 39 (1979), S. 11-14 (S. 12). - Nach der Darstellung bei Claus Roxin: Mays Leben. In: Karl-May-Handbuch. Hrsg. von Gert Ueding in Zusammenarbeit mit Reinhard Tschapke. Stuttgart 1987, S. 62-123 (S. 98f.), wollte May sein eigenes Kind wohl VOR der Aufnahme Lottels zu sich nehmen.
10Zit. nach Ulrich Schmid: Das Werk Karl Mays 1895-1905. Erzählstrukturen und editorischer Befund. Materialien zur Karl-May-Forschung, Bd. 12. Ubstadt 1989, S. 70.
11Ebd.
12Vgl. oben, S. 253.
13Vgl. auch die - auf spätere Jahre bezogenen - Tagebuch-Hinweise Klara Mays, wiedergegeben in: MKMG 30 (1976), S. 2f.
14Karl May: Winnetou I. Karl Mays Werke IV. 12. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Zürich 1990, S. 118.
15Vgl. Claus Roxin: "Winnetou" im Widerstreit von Ideologie und Ideologiekritik. In: Karl Mays 'Winnetou'. Studien zu einem Mythos. Hrsg. von Dieter Sudhoff und Hartmut Vollmer. Frankfurt/M. 1989, S. 283-305 (S. 287f.).
16Im Sommer 1893 - Vgl. oben, S. 238.
17Wiedergegeben bei Ekke W. Guenther: Karl May und sein Verleger Friedrich Ernst Fehsenfeld. In: JbKMG 1978, S. 154-167 (S. 160).
18Erich Heinemann: Dr. Karl May in Gartow. In: JbKMG 1971, S. 259-268 (S. 263).
19Nach Maschke: Karl May, wie Anm. 3, S. 69.
20Vgl. oben, S. 325.
21Zit. nach Maschke: Karl May, wie Anm. 3, S. 69.
22Vgl. Heinemann, wie Anm. 18, S. 263.
23Maschke: Karl May, wie Anm. 3, S. 69.
24Vgl. oben, S. 230.
25Heinz Stolte: Der Volksschriftsteller Karl May. Beitrag zur literarischen Volkskunde (Reprint der Erstausgabe von 1936). Bamberg 1979, S. 48.
26Hans Wollschläger: Karl May. Grundriß eines gebrochenen Lebens. Zürich 1976, S. 73.
27Zit. nach Wollschläger: Ebd., S. 74 - Vgl. auch Heermann, wie Anm. 8, S. 252ff.
28Mehr bei Amand von Ozoróczy: Das zweite Ave Maria. Beitrag zur "Spätlese in Deidesheim" II. In: MKMG 26 (1975), S. 3-9 (S. 6).
29Karl May: Frau Pollmer - eine psychologische Studie (1907). Prozeßschriften, Bd. 1. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1982, S. 868.
30Ebd.
31Vgl. Wollschläger: Karl May, wie Anm. 26, S. 74 - Gerhard Klußmeier - Hainer Plaul (Hrsg.): Karl May. Biographie in Dokumenten und Bildern. Hildesheim, New York 1978, S. 165.
32May: Frau Pollmer, wie Anm. 29, S. 881.
33Karl May: Im Reiche des silbernen Löwen II. Gesammelte Reiseerzählungen, Bd. XXVII. Freiburg 1898, S. 355 - Dazu Walther Ilmer: Nachwort. In: Karl May: Im Reiche des silber-


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nen Löwen. 'Deutscher Hausschatz' 23./24. Jg. (1896-98). Reprint der KMG. Hamburg, Regensburg 1981, S. 265-276 (S. 269).
34So heißt es bei Walther Ilmer: Karl Mays Weihnachten in Karl Mays "Weihnacht!" In: JbKMG 1987, S. 101-137 (S. 109). - Vgl. ders.: Karl May - Mensch und Schriftsteller. Tragik und Triumph. Husum 1992, S. 123f. u. passim.
35Vgl. unten, S. 419ff.
36Nach Maschke, Karl May, wie Anm. 3, S. 40.
37Vgl. oben, S. 230.
38Nach der Aussage Selma vom Scheidts vor dem Amtsgericht Weimar am 21.9.1909; wiedergegeben bei Rudolf Lebius: Die Zeugen Karl May und Klara May. Ein Beitrag zur Kriminalgeschichte unserer Zeit. Berlin-Charlottenburg 1910, S. 135.
39Vgl. Martin Lowsky: Karl May. Stuttgart 1987, S. 30.
40Vgl. May: Frau Pollmer, wie Anm. 29, S. 871.
41Vgl. ebd., S. 867ff. - Klußmeier - Plaul, wie Anm. 31, S. 129.
42May: Frau Pollmer, wie Anm. 29, S. 871.
43Ebd., S. 872.
44Ebd., S. 868.
45Ebd., S. 895f.
46Vgl. z.B. Karl May: Deutsche Herzen - Deutsche Helden. Bamberg 1976 (Reprint der Dresdner Erstausgabe von 1885-87), S. 1637ff. - Ders.: Im Lande des Mahdi I. Gesammelte Reiseromane, Bd. XVI. Freiburg 1895/96, S. 25ff. - Ders.: Winnetou I, wie Anm. 14, S. 405ff.
47May: Winnetou I, wie Anm. 14, S. 406.
48May: Frau Pollmer, wie Anm. 29, S. 827f.
49Vgl. Karl Mays Bücherei. Aufgezeichnet von Franz Kandolf und Adalbert Stütz. Nachgeprüft und ergänzt von Max Baumann. In: KMJB 1931. Radebeul 1931, S. 212-291 (S. 262-265); die dort genannten 75 Titel enthalten, nebst spiritistischer Literatur im engeren Sinne, auch seriöse Bücher (die sich mit dem Spiritismus kritisch auseinandersetzen).
50Wollschläger: Karl May, wie Anm. 26, S. 87.
51Heinz Stolte: Vorwort. In: Maschke: Karl May, wie Anm. 3, S. VII-XII (XI).
52Vgl. oben, S. 273ff.
53Vgl. unten, S. 601ff.
54Vgl. Bibel-Lexikon. Hrsg. von Herbert Haag. Einsiedeln, Zürich, Köln 21968, Sp. 389-393 (Art. 'Engel').
55Karl May: Old Surehand III. Gesammelte Reiseerzählungen, Bd. XIX. Freiburg 1896, S. 151f.
56Luise Rinser: Die Mächtigen stürzt er vom Thron. Ein politisches Gebet. In: Wer hat dich so geschlagen? Widerborstige Meditationen. Hrsg. vom Fernsehen DRS anläßlich der Sendereihe "Musikalische Meditationen". Zürich 1989, S. 53-72 (S. 57).
57Aus dem letzten Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses.
58Karl May: "Weihnacht!". Karl Mays Werke IV. 21. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Nördlingen 1987, S. 144f. - Zur autobiographischen Deutung vgl. oben, S. 203ff.
59May: "Weihnacht!", wie Anm. 58, S. 145.
60Karl May: Ardistan und Dschinnistan II. Gesammelte Reiseerzählungen, Bd. XXXII. Freiburg 1909, S. 312.
61Vgl. unten, S. 396ff., 472ff. u. 531ff.
62Karl May in einem Brief vom 30.11.1909 ans Weimarer Amtsgericht; zit. nach Stolte: Vorwort, wie Anm. 51, S. XI - Vgl. auch Ernst Seybold: Karl-May-Gratulationen. Geistliche und andere Texte zu und von Karl May III. Ergersheim 1990, S. 117 (mit Anm. 5 u. 6).
63Vgl. Stolte: Vorwort, wie Anm. 51, S. XII.
64May: Brief, wie Anm. 62 - Vgl. auch Karl May: An die 4. Strafkammer des Königl. Landgerichtes III in Berlin (1911). Prozeßschriften, Bd. 3. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1982, S.74.
65Dietrich Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. Hrsg. von Eberhard Bethge. München 131966, S. 275.
66May: Frau Pollmer, wie Anm. 29, S. 811.


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8.10

Der Bruch mit dem Pustet-Verlag: Mays literarische Neuorientierung


Karl May glaubte nicht an Gespenster. Aber auch reale Gefahren wollte er, vermutlich, zu lange nicht wahrhaben: Dem berühmten Schriftsteller drohte in diesen Jahren der 'Sturz'; doch er sonnte sich, gerade jetzt, im Glanz seiner Herrlichkeit.

   Kurze Zeit vor der Beendigung seiner (erst im Herbst 1907 wiederaufgenommenen) Zusammenarbeit mit dem Pustet-Verlag entwickelte May, in seinem Brief vom 19.5.1898 an Fehsenfeld, einen wunderlichen Plan: Sein Verleger in Freiburg solle - außer den (übrigens schönen und spirituell gehaltvollen) May-Kompositionen Ernste Klänge1 - auch "May-Postkarten"2 drucken lassen: "Hauptsache ist", so wird im Brief vom 8. Juli 1898 erläutert,


daß in den Serienbildern Old Shatterhands und Kara ben Nemsis Gesicht in jeder Stellung gut getroffen ist. Wenn Sie es wünschen, sende ich Ihnen Photographien zum Studium für die Künstler ein. Bitte Antwort! Ebenso möchte Winnetou ähnlich sein. Ich bin bereit, ihnen eine Zeichnung anzufertigen, welche ähnlich ist. Bitte Antwort!3


   Die Nunwarz-Photos genügten jetzt also nicht mehr. Kunstvolle Porträt-Zeichnungen sollten entstehen: Der Maler "darf es sich nicht dadurch leicht machen", erklärte May im Brief vom 2. Oktober 1898 an Fehsenfeld,


daß er mein Gesicht nicht mitbringt, denn grad das ist die Hauptsache, grad das will man sehen [...] Der Künstler [...] hat sich zu sagen, daß selbst der deutsche, der österreichische Kaiser sich im Privatgebrauche unserer Karten bedienen werden, wie ich ganz genau weiß.4


   Zur Renommierzeit des Schriftstellers, zum Shatterhand-Kult, passen diese Briefe nur allzu gut. Doch dieselben Briefe (und auch schon früher oder wenig später verfaßte Briefe) an Fehsenfeld bezeugen - wie wir sehen werden - zugleich noch etwas ganz anderes: den Willen des Autors zur literarischen Neuorientierung, deren endgültiger Vollzug mit der Trennung vom Pustet-Verlag im Herbst 1898 zeitlich zusammenfällt.


8.10.1

Die latente Bedrohung


Die 'Shatterhand-Legende' mußte, wie schon ausgeführt wurde,5 das Interesse der Öffentlichkeit an der tatsächlichen Biographie Karl Mays geradezu herausfordern. Daß sich die groteske Fiktion 'Karl May = Old Shatterhand' auf die Dauer nicht halten ließ, war von vornherein klar. Daß May dies in keiner Weise geahnt haben sollte, ist eher unwahrscheinlich. Er konnte zwar nicht voraussehen, daß seine Jugenddelikte - mit böswilligen Erfindungen (von dritter Seite) noch zusätzlich angereichert - publik gemacht würden;6 aber mit "zumindest vagen Gerüchten"7 über dunkle Punkte in seinem Vorleben mußte er, nach seinen provozierenden Auftritten, immerhin rechnen.

   Eine weitere Gefahr, die May freilich erst spät erkannte, waren die Kolportageromane von 1882-87. Laut Selbstbiographie8 hatte May schon 1891 mit Fehsenfeld vereinbart, auch die Münchmeyerschen Werke in Buchform herauszubringen. Ernsthafte Kritik an diesen Romanen hatte der Autor also nicht erwartet.

   Am 6. April 1892 war Heinrich Münchmeyer (in Davos in der Schweiz) gestorben. Seine Witwe Pauline führte das Geschäft weiter. Ende November 1894 bat sie May, einen weiteren Roman für ihren Verlag zu verfassen.9 Der Schriftsteller lehnte dies ab und for-


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derte Frau Münchmeyer zur Rückgabe der Manuskripte auf. "Sie sagte, die seien verbrannt; sie werde mir an ihrer Stelle die gedruckten Romane senden [...] Nach kurzer Zeit kamen die Bücher durch die Post; ich war wieder Herr meiner Werke - - - so glaubte ich!"10

   May legte die Druckwerke zurück, ohne ihren Inhalt genauer zu prüfen und ohne auf die Klarstellung seiner Rechte an diesen Werken zu dringen.11 Der wahrscheinliche Grund für diese Nachlässigkeit: Rücksicht auf Emma, die mit Pauline Münchmeyer ja eng befreundet war.12 Außerdem nahm May seine Arbeit für Fehsenfeld voll in Beschlag. An mögliche Textveränderungen in den Kolportageromanen (durch Münchmeyer oder dessen Mitarbeiter) dachte er kaum. Auch die Bearbeitung eines Waldröschen-Kapitels für die Übernahme in Old Surehand II brachte May wohl nicht auf diesen Gedanken.13

   Bereits im Januar 1894 hatte der 'Deutsche Hausschatz' eine Anfrage nach dem Verfasser von Deutsche Herzen, Waldröschen und Der Fürst des Elends gebracht.14 Daß Karl May diese Werke geschrieben hatte, war Pustet zu diesem Zeitpunkt vermutlich noch unbekannt. Aber später, möglicherweise noch im Verlauf des Jahres 1894, hatte Pustet - vielleicht durch die Münchmeyerschen Verlagsangaben im 'Gesammt-Verlags-Katalog des Deutschen Buchhandels'15 oder durch eine Intrige des (May feindlich gesonnenen) Schriftstellers Moritz Lilie16 - von der ehemaligen Kolportagetätigkeit seines Autors erfahren. Doch erst um den 10. Juli 1897 sprach er May - in Regensburg, bei der persönlichen Begegnung17 - auf diese Angelegenheit an.

   Bei diesem Gespräch war May, einer späteren Erklärung (29.4.1901) des Pustet-Verlags nach zu schließen, zum ersten Mal mit dem Vorwurf konfrontiert worden, 'unsittliche' Romane verfaßt zu haben. Der Schriftsteller reagierte empört: In einem Brief vom 16. Juli 1897 an Pustet (May war soeben von seiner Deutschland- und Österreich-Tournee nach Radebeul zurückgekehrt) kündigte er gerichtliche Schritte gegen den 'Schundverlag' Münchmeyer an.18

   "Sie werden mir den Vorrat, den Sie haben, ausliefern, damit ich ihn verbrennen lasse! [...] Heraus mit den Gedichten, die verbrannt werden müssen! Wenn du nicht sofort gehorchst, helfe ich nach!"19 Dieses dem Prayerman im Weihnachtsroman (1897) gestellte Ultimatum Old Shatterhands dürfte - in May-typischer Verschleierung - den Konflikt des Schriftstellers mit dem Dresdner 'Schundverlag' widerspiegeln.20 Doch zur Austragung dieses Konflikts, zur gerichtlichen Klage, kam es erst wesentlich später: Am 10. Dezember 1901 klagte May gegen Adalbert Fischer, den Nachfolger Münchmeyers als Verlagsbesitzer, und am 12. März 1902 gegen Pauline Münchmeyer, die Witwe des Verlegers.21

   Warum diese Verspätung? Der Grund könnte, wie Hartmut Vollmer vermutet,22 das folgende Dilemma gewesen sein: May hätte gerne schon 1897 den Rechtsweg beschritten; aber damals, auf dem Gipfel seiner Berühmtheit, wollte sich May einen Prozeß noch nicht leisten; das Aufsehen wäre zu groß gewesen; die, freilich ohnehin bevorstehende, Demaskierung 'Old Shatterhands' hätte die Folge sein können.

   Im Jahre 1897 genoß Karl May noch das größte Ansehen in der Öffentlichkeit. Doch sein Renommee war, um diese Zeit freilich noch unterschwellig, von der Vernichtung bedroht. Die Sonne stach heiß, und ferne Wolken standen am Horizont. Als erstes Wetterleuchten, als Vorzeichen von Blitz und Donner, von Hagel und Wirbelsturm, könnte die erwähnte Unterredung zwischen Pustet und May (im Juli 1897) gedeutet werden.

   Gewiß, die Pressekampagne gegen den Autor23 und, in der Folge, die gerichtlichen Auseinandersetzungen begannen erst später, in den Jahren 1899 bzw. 1901. Aber getuschelt wurde, in kirchlichen Kreisen, schon jetzt, im Jahre 1897: Auf dem Katholikentag


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in Landshut (Sommer 1897) kam es - "in vertrauter Zwiesprache"24 zwischen Heinrich Keiter, dem Redakteur des 'Deutschen Hausschatzes', und Armin Kausen, dem Herausgeber der katholischen 'Allgemeinen Rundschau' (München) - zum Gerede über Mays 'Schundromane' in den Münchmeyer-Heftchen.

   Beim Getuschel ist es nicht geblieben. Im folgenden Jahr, 1898, verschickte Pustet ominöse Waschzettel, "welche einen Verrath an der [...] Freundschaft enthielten."25

   Leider sind die Waschzettel heute verschollen, und ihr Inhalt ist nicht bekannt. Die eben zitierte Briefstelle macht jedoch klar: Karl May hat die Waschzettel des Regensburger Verlegers "als Preisgabe durch den Hausschatz verstanden".26 Friedrich Pustet wird dem Schriftsteller die weitere Mitarbeiterschaft im katholischen Hausschatz "mehr oder weniger deutlich aufgekündigt"27 haben; nur noch der Silberlöwe sollte zu Ende geführt werden; May aber erklärte, daß er "kein Wort mehr für den 'Deutschen Hausschatz' schreiben würde"!28

   Verletzt und gekränkt meinte Karl May noch im Jahre 1909:


Es wird nie weggeleugnet werden können, daß grad mein Lieblingsblatt, der "Deutsche Hausschatz", der Allererste war, der sich zum Richter über mich aufwarf und Rechenschaft von mir verlangte. Ich war beschuldigt, abgrundtief unsittliche Werke geschrieben zu haben. Ich antwortete, das sei nicht wahr, und versprach, die Sache dem Gericht zu übergeben.29


   Rechtliche Schritte gegen den Münchmeyer-Verlag unternahm May, wie gesagt, erst Ende 1901: als die Pressekampagne gegen den Schriftsteller einen ersten Höhepunkt erreicht hatte und May sich von mehreren - gefährlichen - Gegnern umstellt sah.

   Daß sich der Hausschatz, 1898 oder später, "an die Spitze der 'Karl May-Hetze'" gestellt und seinen Autor "dem Kölnischen Oberhenker"30 (gemeint ist Hermann Cardauns, seit 1899 einer der heftigsten May-Gegner31) 'hingeworfen' habe, dürfte freilich kaum zutreffen. Diese Auffassung wird wohl eher das Ergebnis einer - teilweise - verzerrten Sicht Karl Mays in späteren Jahren gewesen sein. Dr. Otto Denk, nach dem Tode Heinrich Keiters (am 30. August 1898) der neue Redakteur des Hausschatzes, sah in May - ganz im Sinne Cardauns' und anderer May-Gegner - zwar den "Verfasser höchst unsittlicher, ja geradezu niederträchtig gemeiner Kolportageromane";32 aber im 'Deutschen Hausschatz' enthielt sich der Redakteur "jeglicher ablehnender Äußerungen über May".33

   Ein gegen May gerichtetes Zusammenspiel des Hausschatzes mit Hermann Cardauns wird es wohl nicht gegeben haben. Es ist auch keineswegs sicher, daß Friedrich Pustet seinem Autor May die Kolportageromane tatsächlich verübelte. Da die Verlagsbriefe an Karl May nicht vollständig erhalten sind, "lassen sich viele Fragen heute nicht mehr beantworten."34 Wie Claus Roxin und Wilhelm Vinzenz annehmen,35 hatte der Bruch zwischen Pustet und May wohl tiefere Gründe - und zwar für beide Seiten: Pustet verurteilte Karl May, den Menschen wie den Schriftsteller, wohl kaum; aber er fürchtete die katholische Opposition gegen May, die sich jetzt (um 1897/98) allmählich herausbildete; und der Dichter wiederum fühlte sich zwar 'verraten' von Pustet; aber er wollte sich, unabhängig von den Vorwürfen bezüglich der Kolportageromane, ohnehin trennen vom 'Hausschatz' - weil der literarische Anspruch seiner künftigen Werke über das Niveau des Familienblattes hinausgehen sollte.


8.10.2

Die Kritik Carl Muths


Was in Mays Biographie, in der Vita dieses ungewöhnlichen Menschen, immer wieder so fasziniert: Es gab in diesem - an Schicksalsschlägen wahrhaftig sehr reichen - Leben keine


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Resignation. Auch jetzt wieder fand May, wie früher und später (in noch viel ernsterer Lage), die Kraft zum neuen Beginn: zur schriftstellerischen Neuorientierung.

   Mays literarische 'Wende' war die Folge eines Umdenkens, das sich in den späten Reiseerzählungen, seit 1896, schon angekündigt hatte. Ein weiterer, zwar nicht gerade entscheidender, für Mays literarische 'Gewissenserforschung' aber doch relevanter Anstoß kam von außen: Anfang August 1898 fand May zum ersten Mal einen bekannten und gewichtigen Kritiker - in Carl Muth (1867-1944), dem Initiator der 'fortschrittlichen Literaturbewegung', deren Anliegen ein höheres Niveau, eine bessere Qualität der katholischen Belletristik war.36

   Sowohl mit dem 'Deutschen Hausschatz' als auch mit Karl May ging Muth, in seiner Broschüre Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit?,37 ins Gericht: Pustets Journal habe "das zweifelhafte Verdienst" literarisch bedeutungslose Unterhaltungs- und Abenteuerromane "unter der Firma Karl May in weiten Kreisen eingebürgert zu haben." May selbst warf der Kritiker "literarische Geschmacksverderbnis" vor; seine "religiösen Phrasen" seien nicht echt; sie erhaschten "als captationes benevolentiae" die Gunst frommer Seelen; auch vom erzieherischen Standpunkt her seien die Werke Mays "nicht ganz einwandfrei".38

   Carl Muth (auf den wir später zurückkommen werden39) war ein engagierter, dabei sehr weltoffener und - in literarischen Fragen - progressiv denkender Katholik. Seine Wertvorstellungen entsprachen, zumindest teilweise, auch den schriftstellerischen Zielen und den geistigen Idealen Karl Mays.40 Als Mensch verdiente Muth nur Respekt und als Literaturkritiker war er zweifellos kompetent. Aber Mays Erzählungen wird er nur selektiv und wahrscheinlich zu oberflächlich gelesen haben. Seine pauschale Kritik, sein undifferenziertes Urteil über Mays Werk, wäre sonst wohl nur schwer zu erklären.

   Dem Schriftsteller May, der bisher (vom, damals noch ziemlich vagen, Gerede über die Kolportageromane abgesehen) ja immer nur Lob zu hören bekam, konnte ein kritisches Wort nun freilich nicht schaden. Es konnte ihn, im Gegenteil, motivieren und provozieren: zu noch größerer Anstrengung, zu einer neuen und anspruchsvolleren Schreibweise.

   Muths Broschüre hat sich May zugelegt. Er hat sie gelesen und mit Randbemerkungen versehen. Gegen ihn selbst gerichtete Stellen hat May - obwohl sie überzogen und, alles in allem, doch ungerecht waren - nicht kommentiert. Zu anderem schrieb er: "sehr gut! Merken!"41

   Die Streitschrift Carl Muths fand große Beachtung in kirchlichen Kreisen. Auch auf dem Katholikentag in Krefeld, am 21. August 1898, wurde sie diskutiert; auch Mays Erzählungen, seine Reiseromane und Kolportagewerke, boten, möglicherweise, Gesprächsstoff in Krefeld.42

   Etwa gleichzeitig (die genaue Datierung scheitert an den fehlenden Dokumenten) mit dem Katholikentreffen in Krefeld trennte sich Karl May vom Hausschatz. Er unterbrach die Arbeit am Silberlöwen, um sie vier Jahre später - in völlig neuartiger Weise - für die Fehsenfeld-Reihe wieder aufzugreifen. 'Der Löwe von Farsistan' (späterer Titel: 'In Basra'), ein Manuskript von hundert Seiten, das nach der ursprünglichen Planung die Hausschatz-Fassung des Silberlöwen fortsetzen sollte, ließ sich May - im Juni 1901 - von der Redaktion zurückschicken:43 Die Fortsetzung des Silberlöwen sei für den Hausschatz ungeeignet",44 erklärte der Schriftsteller dem Pustet-Verlag.


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8.10.3

Die endgültige Abkehr von der Unterhaltungs- und Abenteuerliteratur


Im Herbst 1898, nach der Trennung vom Hausschatz, begann der Dichter - "sichtlich um Qualität bemüht"45 - mit der Arbeit an jenem Roman, der den Aufstieg Karl Mays zur 'Hochliteratur' schon deutlich markiert: Er verfaßte Am Jenseits, den Jubiläums-Band XXV in der Fehsenfeld-Reihe. Vielleicht gehört auch dies zu den Verdiensten Carl Muths: den Entwicklungsprozeß des Schriftstellers May, dessen Hinwendung zur religiösen Symbolliteratur, zur visionären (und zunehmend kunstvoller werdenden) theologischen Dichtung, indirekt gefordert zu haben.

   Mit manchen Partien seines, ansonsten ja hervorragend gelungenen, Weihnachtsromans (1897), besonders aber mit seinen Old Shatterhand-Auftritten in den Jahren 1897/98 hatte sich May "in eine Gefährdung emporgewagt, die am Ende nichts anderes provozieren konnte als den Absturz, den Zusammenbruch seiner vor aller Öffentlichkeit zur Schau gestellten hybriden Camouflage."46 Es konnte für May nur EINEN Weg zur Rettung geben: die grundsätzliche Neuorientierung seines Schaffens und seines Lebens. Nach der Orientreise (1899/1900),47 die dem Dichter neue Welten erschloß, aber - diese Reise gleichsam vorwegnehmend - auch schon im Jenseits-Roman (1898/99) hat May die 'Wende' vollzogen oder zumindest doch vorbereitet.

   Was die erzählerische Entwicklung des Autors betrifft, reichen die Anfänge dieses Prozesses - der Überwindung der (nahezu) reinen Abenteuerliteratur - freilich sehr weit zurück. Während etwa in Old Firehand (1875) die abenteuerliche Fabel noch klar dominiert, hat May in seinen, nur wenig später entstandenen, erzgebirgischen Dorfgeschichten bereits mehrschichtige und künstlerisch (zum Teil) beachtenswerte Erzählungen geschaffen.48 Auch in den Hausschatz-Romanen, in "Giölgeda padishanün" (1881) zum Beispiel, war die äußere Fabel, das spannende Abenteuer, nur EINE Schicht der komplexen Erzählung: Die autobiographische Spiegelung, die mythische Dimension, die archetypischen Traumbilder, der erzieherische Impuls, der ethische Gehalt, die religiöse Botschaft kamen, als mindestens ebenso wichtige Elemente, hinzu. In den späteren Reiseerzählungen verstärkte sich die religiöse Tendenz; und der Handlungsschwerpunkt verlagerte sich noch weiter nach innen. Der Jenseits-Roman schließlich führt "über jene Stelle, jenseits welcher nur noch innere Ereignisse Geltung haben [...]"49

   Den zunehmenden Bedeutungsverlust des Abenteuergeschehens in seinen Erzählungen hat May erkannt - und gewollt. Die (schon 1893, nach Beendigung der Winnetou-Trilogie, einsetzende) Kritik Karl Mays an den Titelbildern der Fehsenfeld-Bände50 zeigt dies sehr deutlich. Denn die Frage der Bilderqualität verknüpfte May, zu Recht, mit der literarischen Einordnung und der Rezeption seiner Werke.51

   Die Titelbilder der Fehsenfeld-Reihe, aber auch die - schon erwähnten - Entwürfe der (von ihm selbst, 1898, gewünschten) Postkarten-Serie hat May, in zum Teil sehr heftigen Reaktionen, abgelehnt. Seine brieflichen Kommentare zu den Postkarten-Entwürfen belegen zum einen die, in diesen Jahren gesteigerte, persönliche Eitelkeit unseres Autors - der Kaiser wird sich "unserer Karten bedienen"52 - und zum andern das höher und höher zielende literarische Wollen Karl Mays.

   Im Brief vom 17. November 1898 an Fehsenfeld erinnerte May, unter anderem, an die kritische Muth-Broschüre: Das negative Urteil Muths über das Maysche Gesamtwerk würde, angesichts der Postkarten-Entwürfe, seine Bestätigung finden; denn "wenigstens 90 Prozent" dieser Probebilder legen - so May -


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klar und bündig dar, daß meine Erzählungen in die Klasse der Schund-, Schauer-, Blut- und Hintertreppengeschichten gehören. Würgen, schlagen, hauen, schießen, fesseln, stechen, auf alle mögliche Weise einander abmurxen - das ist da mit erkennbarer Vorliebe ausgesucht worden!53


   Hau- und Schieß-, Blut- und Prügelszenen gibt es in Mays - bisherigen - Werken gar nicht so selten. Insofern könnte seine Kritik an den Bild-Entwürfen verwundern. Andrerseits ist es richtig und wahr: Ein tieferer, die abenteuerliche Handlung übersteigender Gehalt liegt seinen Büchern fast immer zugrunde. Insofern hatte May mit seiner empörten Kritik an den Bildern völlig recht.

   Seinen literarischen Rang bestimmte der Dichter, im Brief vom 7. November 1898 an Fehsenfeld, mit dem Zitat:


Ein Recensent sagt: "Wenn die Ibsen, Hauptmann, Sudermann etc. längst vergessen sind, wird May in jeder neuen Generation auch neu erstehen!" [...] Ist das nicht schön? Und von diesem Ruhm gehört Ihnen auch Ihr Theil! Wollen wir ihm entsagen, ihn durch Schauerbilder beschmutzen? Nein, nie!54


   Für Mays Bescheidenheit spricht dieser Brief-Passus wohl nicht so besonders. Hermann Sudermann (1857-1928) ist heute, im Gegensatz zu Karl May, zwar "vergessen"; unser Autor, bzw. sein "Recensent", hat das richtig vorausgesehen. Die Werke Ibsens wie Hauptmanns aber gehören zur Weltliteratur. Einem formalen, nach streng ästhetischen Gesichtspunkten angestellten Vergleich mit Werken solcher Autoren halten die (bis zum Herbst 1898 entstandenen) Erzählungen Mays natürlich nicht stand.

   Mit Am Jenseits und, mehr noch, den folgenden Büchern wird May sich allerdings steigern. Im literarischen Rang, in der artifiziellen Erzählstruktur, in der formalen Gestaltungskraft, in der einzigartigen Bildsymbolik sind die Alterswerke Karl Mays den früheren Werken überlegen. Auch - und nicht zuletzt - an psychologischer Tiefe, an spirituellem Gehalt und theologischem Weitblick überbieten die mystischen Altersromane die früheren Reiseerzählungen beträchtlich.

   Der 'Jugendschriftsteller', der 'Abenteuerromancier' Karl May entpuppt sich im Alter, nach einem langen und komplizierten Entwicklungsprozeß, als theologischer Dichter, als prophetischer Seher. Und der Mensch Karl May? Zur größeren Selbsterkenntnis wird er, unter Schmerzen, befreit. Seine Schwäche - seine Eitelkeit, seine Ruhmsucht, seine Neigung zur Selbstüberhebung - wird ihm klarer bewußt. Sein Kampf mit sich selbst, mit 'Dr. Karl May, genannt Old Shatterhand', tritt in eine neue, entscheidende Phase. Beendet wird dieser Kampf dann - im 'Jenseits'.



Anmerkungen


1Das Mitte Dezember 1898 bei Fehsenfeld erschienene Heft Ernste Klänge enthält die Texte und Partituren von 'Ave Maria' (vorher schon mehrfach publiziert) und 'Vergiß mich nicht!'.
2Vgl. Gerhard Klußmeier - Hainer Plaul (Hrsg.): Karl May. Biographie in Dokumenten und Bildern. Hildesheim, New York 1978, S. 153 (mit Abbildungen) - Ekke W. Guenther: Karl May und sein Verleger Friedrich Ernst Fehsenfeld. In: JbKMG 1978, S. 154-167 (S. 166 sowie die Abbildungen ebd., bei S. 161 u. 176).
3Zit. nach Ulrich Schmid: Das Werk Karl Mays 1895-1905. Erzählstrukturen und editorischer Befund. Materialien zur Karl-May-Forschung, Bd. 12. Ubstadt 1989, S. 84.
4Zit. nach Schmid: Ebd., S. 85.
5Vgl. oben, S. 331f.
6Vgl. unten, S. 469f. u. 529f.
7Walther Ilmer: Karl Mays Weihnachten in Karl Mays '"Weihnacht!"' In: JbKMG 1987, S. 101-137 (S. 122).
8Vgl. Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg 1910. Hrsg. von Hainer Plaul. Hildesheim, New York 21982, S. 239f.


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9Vgl. May: Ebd., S. 240f. - Ders.: Ein Schundverlag. Ein Schundverlag und seine Helfershelfer (1905 bzw. 1909). Prozeßschriften, Bd. 2. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1982, S. 361-366.
10May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 8, S. 241.
11Nach ebd., S. 201, hatte es mit Heinrich Münchmeyer eine Vereinbarung gegeben, daß nach dem Erreichen einer Auflage von je 20.000 Exemplaren die Romane "mit allen Rechten" an den Autor zurückfallen sollten. - Vgl. Claus Roxin: Mays Leben. In: Karl-May-Handbuch. Hrsg. von Gert Ueding in Zusammenarbeit mit Reinhard Tschapke. Stuttgart 1987, S. 62-123 (S. 105).
12Vgl. Walther Ilmer: Karl May - Mensch und Schriftsteller. Tragik und Triumph. Husum 1992, S. 122.
13Bei May: Schundverlag, wie Anm. 9, S. 376, heißt es allerdings: "Damals, als ich einige Abschnitte aus dem 'Waldröschen' nahm, um sie für 'Old Surehand' in Druck zu geben, fiel es mir auf, dass ich so viel herauszustreichen oder zu ändern hatte." - Daß May schon damals, 1895, einen konkreten Verdacht hegte, beweist diese Stelle freilich nicht; denn ältere Texte, die May neu verwendete, hat er ja immer (mehr oder weniger) verändert.
14Faksimile-Wiedergabe bei Gerhard Klußmeier: Karl May und Deutscher Hausschatz IV. In: MKMG 19 (1974), S. 17-20 (S. 17).
15Im Jahre 1894 lag dieser Katalog (der May als Verfasser von Kolportageromanen nannte) zur Weltausstellung in Chikago vor. - Vgl. Plaul (Hrsg.): Karl May, wie Anm. 8, S. 427 (Anm. 236) u. 437f. (Anm. 253).
16Dazu Walther Ilmer: Karl Mays Weihnachten in Karl Mays '"Weihnacht!"' III. Eine Spurenlese auf der Suche nach Fährten. In: JbKMG 1989, S. 51-83 (S. 72ff.). - Zu Lilie vgl. Hans-Dieter Steinmetz: Karl May und Moritz Lilie. In: MKMG 94 (1992), S. 20-22.
17Vgl. oben, S. 325.
18Näheres - auch zur Erklärung des Pustet-Verlags vom 29.4.1901 - bei Plaul (Hrsg.): Karl May, wie Anm. 8, S. 427 (Anm. 236).
19Karl May: "Weihnacht!". Karl Mays Werke IV. 21. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Nördlingen 1987, S. 130f.
20Vgl. Heinz Stolte: Der Fiedler auf dem Dach. Gehalt und Gestalt des Romans '"Weihnacht!"'. In: JbKMG 1986, S. 9-32 (S. 28) - Ilmer: Weihnachten, wie Anm. 7, S. 122. - Daß die 'Gedichte' - im Roman die Weihnachts-Verse Sapphos - "verbrannt werden müssen" (was in der oberschichtigen Fabel sehr merkwürdig erscheint: Was ist denn schlecht an den "Gedichten"?), könnte ein versteckter Hinweis sein, daß May mit dem Inhalt seiner bei Münchmeyer gedruckten Romane schon damals, 1897, teilweise nicht mehr einverstanden war.
21Vgl. unten, S. 396ff.
22Vgl. Hartmut Vollmer: "Weihnacht!" - ein "Erlösungswerk" Karl Mays. In: MKMG 46 (1980), S. 3-13 (S. 6f.).
23Vgl. unten, S. 391ff.
24Armin Kausen in der 'Allgemeinen Rundschau' (München. 7. Jg., Nr. 21) vom 28.5.1910; zit. nach Hainer Plaul: Literatur und Politik. Karl May im Urteil der zeitgenössischen Publizistik. In: JbKMG 1978, S. 174-255 (S. 188).
25Karl May in der Wiener 'Reichspost' vom 18.5.1901; zit. nach Wilhelm Vinzenz: Karl Mays Reichspost-Briefe. Zur Beziehung Karl Mays zum 'Deutschen Hausschatz'. In: JbKMG 1982, S. 211-233 (S. 217).
26Claus Roxin in einem Brief vom 2.7.1987 an den Verfasser.
27Ebd. - In diese Richtung weist auch die Erklärung des 'Hausschatzes' vom 29.4.1901 in der Wiener 'Reichspost'; vgl. Vinzenz: Reichspost-Briefe, wie Anm. 25, S. 215f.
28May in der 'Reichspost' vom 18.5.190 1, wie Anm. 25.
29Karl May: Briefe an Karl Pustet und Otto Denk. Mit einer Einführung von Hans Wollschläger. In: JbKMG 1985, S. 15-62 (S. 35 - Brief Karl Mays vom 11.1.1909 an Karl Pustet).
30Ebd., S. 36.
31Vgl. unten, S. 393f.
32Zit. nach Ekkehard Bartsch: Ardistan und Dschinnistan. Entstehung und Geschichte. In: JbKMG 1977, S. 81-102 (S. 86).
33Wilhelm Vinzenz: Randbemerkungen zu Therese Keiter, Otto Denk und zum 'Mir von Dschinnistan. In: MKMG 78 (1988), S. 24-31 (S. 28).
34Vinzenz: Reichspost-Briefe, wie Anm. 25, S. 224.


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35Vgl. Claus Roxin: Das zwölfte Jahrbuch. In: JbKMG 1982, S. 7-14 (S. 13f.) - Vinzenz: Reichspost-Briefe, wie Anm. 25, S. 225f.
36Dazu Plaul: Literatur und Politik, wie Anm. 24, S. 184ff. - A.W. Hüffer: Literaturstreit. In: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. Vl. Hrsg. von Josef Höfer und Karl Rahner. Freiburg 21961, Sp. 1082.
37Veremundus (pseud. für Carl Muth): Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit? Eine literarische Gewissensfrage. Mainz 1898 - Der Text ist auszugsweise (soweit er Karl May betrifft) wiedergegeben bei Bernhard Kosciuszko: Im Zentrum der May-Hetze - Die Kölnische Volkszeitung. Materialien zur Karl-May-Forschung, Bd. 10. Ubstadt 1985, S. 76.
38Veremundus, wie Anm. 37, S. 71.
39Vgl. unten, S. 394ff.
40Vgl. Hermann Wohlgschaft: Mays Friede-Roman und die Lehre der Kirche. In: MKMG 83 (1990), S. 18-24 (S. 19) - Ulrich Schmid: Ein Vortrag zwischen den Fronten. Karl May im Augsburger Schießgrabensaal, 8. Dezember 1909. In: JbKMG 1990, S. 71-98 (S. 86ff.).
41Zit. nach Franz Cornaro: Karl Muth, Karl May und dessen Schlüsselpolemik. In: JbKMG 1975, S. 200-219 (S. 213).
42Nach Vinzenz: Reichspost-Briefe, wie Anm. 25, S. 225.
43Vgl. May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 8, S. 235f. - 'In Basra' verwendete May, 1902, für die Eröffnung des Fehsenfeld-Bandes XXVIII Im Reiche des silbernen Löwen III. - Vgl. unten, S. 435f.
44Nach einer Auskunft des Pustet-Verlags vom 29.4.1901; zit. nach Vinzenz: Reichspost-Briefe, wie Anm. 25, S. 216.
45Vinzenz: Ebd., S. 212.
46Stolte, wie Anm. 20, S. 9.
47Vgl. unten, S. 375ff.
48Vgl. oben, S. 150f.
49Karl May: Nachwort zu 'Winnetou III'. Freiburg, ab 41. Tsd. (1904); dieses von May neu verfaßte Nachwort ist in der Fehsenfeld-Ausgabe nicht paginiert.
50Belegt bei Schmid: Das Werk Karl Mays, wie Anm. 3, S. 258 (Anm. 4).
51Vgl. ebd., S. 85ff.
52Wie Anm. 4.
53Zit. nach Schmid: Das Werk Karl Mays, wie Anm. 3, S. 86.
54Ebd.




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Sekundärliteratur


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