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10.11

Die Reise nach Amerika (1908):Fernab vom Lande der Apatschen


Die Arbeit am 'Mir von Dschinnistan zwang den Schriftsteller, andere literarische Pläne fallenzulassen oder zurückzustellen. Die Reiseerzählung Abu Kital wurde nie geschrieben; mit der (spätestens seit Anfang 1907 geplanten1) Niederschrift des IV. Bandes Winnetou hingegen begann der Dichter im Spätsommer 1909, nachdem er Ardistan und Dschinnistan, die Buchfassung des Mir, zum Abschluß gebracht hatte.

   Schon im Februar 1907 hatte May dem Verleger Fehsenfeld mitgeteilt, daß er "wegen Bd. IV Winnetou"2 eine Reise ins Land der Indianer unternehmen müsse. Doch die Prozeßtermine hinderten ihn an der Durchführung dieser, seit mehreren Jahren ins Auge gefaßten,3 Amerikafahrt. Im Herbst 1908 jedoch - als mit einer Anklage in Sachen Meineidsbeschuldigung4 kaum mehr zu rechnen war - konnte er die Reise verwirklichen und, zum ersten und einzigen Mal in seinem Leben, amerikanischen Boden betreten.

   Noch während der Arbeit am 'Mir von Dschinnistan trat der sechsundsechzigjährige May, kurzerhand und ohne größere Vorbereitungen, seine 'Studienreise' an, die ihn - für insgesamt drei Monate - den heimatlichen Querelen entrückte.

   Zusammen mit der Ehefrau Klara schiffte sich May am 5. September 1908 in Bremen ein. Auf dem Passagierdampfer 'Großer Kurfürst' erreichten die beiden, nach einer Fahrt von elf Tagen, New York, wo May - laut Klaras Bericht - die Freiheitsstatue "mit Freuden begrüßte".5 In New York blieben die Mays für knapp eine Woche. Sie besuchten Museen und bestaunten die Brooklynbrücke, den Broadway und andere Sehenswürdigkeiten der City. Am 20. September erlebten sie einen Gottesdienst im Marmortempel der 'Christian Scientists'; vor allem die Glaskuppel, die - so Klara - eine leuchtende Sonne darstellte, "in der das Eine Wort 'Love' glüht",6 dürfte den Schriftsteller beeindruckt haben.

   Den Hudson aufwärts ging es, in neunstündiger Fahrt mit dem Dampfer 'New York', dann weiter nach Albany - für einen Aufenthalt von zwei Tagen. Im Washington-Park von Albany sah May das gewaltige Moses-Denkmal: eines der Modelle für das Monumentalstandbild in Winnetou IV.7

   Eine Stippvisite führte die Mays nach Pittsfield, dem einstigen Wohnsitz des Dichters H.W. Longfellow (1807-1882), den Karl May offenbar schätzte und dessen Poesie - nach Wollschläger - "keinen geringen Einfluß"8 auf Winnetou IV hatte. Ein weiterer Ausflug hatte den Mount Lebanon in New Hampshire zum Ziel. Dort wurde, nach einer Wagenfahrt durch einsame Wälder, eine Siedlung der Shaker-Sekte (eines kleinen, heute nahezu ausgestorbenen Nebenzweiges der Quäker)9 besucht. Mit den Shakersleuten Otto und Rosalia Thümmel blieb May auch später, nach der Rückkehr aus Amerika, im Briefkontakt.10

   Die weitere Fahrt ging nach Buffalo, wo die Mays in 'Statlers Hotel' logierten. Sie besuchten u.a. das Grab und die Statue des großen Seneca-Häuptlings Sa-go-ye-wat-ha ("Er hält sie wach"). Für diesen Indianer empfand der Dichter - laut Winnetou IV - "eine ganz besondere Zuneigung und Hochachtung":11 Sa-go-ye-wat-ha (1752-1830) war ein bedeutender Redner, ein entschiedener Pazifist und - so Wollschläger - "ein kluger Diplomat, der sehr früh die endliche Überlegenheit der Weißen erkannte und mit zähen Friedensverhandlungen das Überleben seines Volkes zu sichern suchte".12


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   Auf dem Sockel des Denkmals las May die Schlußworte der letzten Rede des Häuptlings: "When I am gone and my warnings are no longer heeded, the craft and the avarice of the white man will prevail. My heart fails me when I think of my people, so soon to be scattered and forgotten [...] "13 Kein Zweifel: Für das Indianer-Bild in Winnetou IV und das längst schon vorbereitete und im Alterswerk vollendete Winnetou-Bild fand Karl May in Sa-go-ye-wat-ha ein wichtiges Modell.

   Von Buffalo, am Nordostende des Erie-Sees, aus führte die Reise zu den Niagarafällen. Ende September und Anfang Oktober - was exakte Daten und manche Einzelheiten des Reiseverlaufs betrifft, gibt es widersprüchliche Angaben14 - wohnte das Ehepaar May im Clifton-House, einem vornehmen Hotel auf der kanadischen Seite der Niagarafälle. Das Hotel bot, wie es in Winnetou IV heißt, "einen geradezu unvergleichlichen Blick auf das grandiose Schauspiel der stürzenden Wassermassen."15

   Dem Bericht Klara Mays (1931) zufolge soll ihr Mann sie im Clifton-House zurückgelassen haben, um "für einige Wochen allein weiterzureisen. Wohin? Zu den Apatschen!"16 Außerdem hatte Klara "das bestimmte Gefühl", Karl May sei wahrscheinlich im Yellowstone-Park herumgeklettert.17 Doch solche und ähnliche Legenden aus der Feder Klara Mays sind freie Erfindungen. Weder die verfügbare Zeit noch der Gesundheitszustand des Dichters hätten solche Touren erlaubt.18

   Tatsächlich besuchte May die, in der Nähe der Wasserfälle gelegene, Reservation der Tuscarora-Indianer: eines früher sehr stolzen und mächtigen Irokesenstammes, dessen kläglicher Rest - knapp 400 Personen - jetzt armselige Rindenzelte bewohnte. Weitere Abstecher gab es zum Erie- und zum Ontario-See, nach Toronto und vielleicht nach Detroit und Montreal.19

   Mit dem Tuscarora-Häuptling, einem vollbärtigen Mann in zerschlissener Kleidung, hatte May sich fotografieren lassen. Auch viele andere Bilder wurden geknipst. Ganze Berge von Postkarten, in der Regel von Klara stammende Aufnahmen, gingen Ende September nach Deutschland - mit den Anmerkungen Klaras "Karl May auf dem Friedhof von Buffalo", "Karl May an den Niagarafällen", "Karl May bei den Tuscarora-Indianern" usw.20 Mit der früheren Renommisterei hatte der Schriftsteller zwar nichts mehr im Sinn; aber "des Reklamegewichts seiner Reise"21 war er sich doch wohl bewußt und die Beweis-Fotos ließ er sich gerne gefallen.

   Im Oktober fuhren die Mays nach Lawrence in Massachusetts, wo sie im Hause des Arztes Ferdinand Pfefferkorn, des aus Hohenstein-Ernstthal stammenden Schulfreundes Karl Mays,22 erholsame Wochen verbrachten. In Amerika war Pfefferkorn ein reicher Mann geworden. Er lebte "wie ein kleiner Fürst"23 und besaß ein Automobil, mit dem die Ehepaare May und Pfefferkorn gemeinsame Ausflüge unternahmen: beispielsweise zum Canoubi Lake, zum Den Rock (einer Goldfund-Höhle der Indianer in New Hampshire) und - von Manchester aus - zu einer der 'Teufelskanzeln', die in Winnetou IV geschildert werden.

   Vor den Deutsch-Amerikanern hielt May am 18. Oktober in der überfüllten Turnhalle von Lawrence einen Vortrag zum - an die drei "Grundfragen" des Malers Paul Gauguin (1848-1903) erinnernden24 - Thema Drei Menschheitsfragen: Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Dem, von Pfefferkorn arrangierten, Vortrag ging das - unisono von mehreren Chören gesungene - Lied "Das ist der Tag des Herrn" voraus.25

   May erklärte unter anderem: Der Mensch sei gehalten in der Hand seines Schöpfers. Er komme von Gott und werde zurückkehren zu Gott. Die Schöpfung sei - eine bekannte These, die May schon in den Geographischen Predigten (1875/76) vertrat26 - noch kei-


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neswegs vollendet. Vor allem der Mensch sei kein fertiges Geschöpf, sondern ein "werdender Geist, der um so menschlicher denkt und handelt, je mehr er sich der göttlichen Liebe wieder nähert".27

   Auch seine 'neue Psychologie' erläuterte May: Der Mensch sei zusammengesetzt aus Stoff, aus Kraft, aus Seele und Geist. Um seine Theorie zu veranschaulichen, wählte der Dichter das Bild einer Droschke: Dem Wagen entspreche der stoffliche Leib, dem Pferd die animalische Triebkraft, dem Kutscher die Seele, dem richtungweisenden Fahrgast schließlich der Geist. "Die Fahrgäste, welche einsteigen, bilden aus der Seele den Geist, aus dem dienstbaren Kutscher den freien Selbstbesitzer des Wagens."28

   Mays, neuplatonisch anmutende, Rede von der künftigen Verwandlung der Seele in Geist (und zuvor schon des Stoffes in Kraft und der Kraft in Seele) mag nebulös erscheinen. Viel mehr als der allgemeine Entwicklungsgedanke - der Aufstieg von niederen Seinsstufen zu höheren, in Freiheit und Liebe kulminierenden Daseinsformen - dürfte dem Droschkengleichnis und den vorausgeschickten Theorien freilich kaum zu entnehmen sein. Daß die 'Vergeistigung' des Menschen, wie May sie postuliert, auf eine Verachtung der Materie oder des Trieblebens hinauslaufe,29 wird man nicht sagen können. Denn das Bild von der Droschke suggeriert ja keineswegs den Gegensatz von 'böser' Triebkraft und ‚guter' Geistseele (May hob ausdrücklich hervor, daß sowohl der Wagen wie das Pferd und sowohl der Kutscher wie der Fahrgast gut oder schlecht sein können30), sondern die - zu erstrebende - Harmonie des ganzen Menschen.

   Gegen Ende seines Vortrags äußerte sich May speziell auch zur Rolle des deutschen Volkes. Dessen Herrschsucht habe "Unsummen von Geld und Blut"31 verschwendet! Doch die künftige Bestimmung der Deutschen sei es, "ehrliche Makler und friedfertige Vermittler von Volk zu Volk" zu werden. "Der Deutsche hat die Aufgabe, ein Missionar des Friedens, der Völkerliebe, der echten, wahren Humanität zu sein." In Amerika stehe die deutsche Nation, so verkündete May, "an der Spitze der Bestrebung, den Staat der Gewalt in den Staat der Humanität zu verwandeln, und wenn sie diese ihre Aufgabe begreift [...], wird uns hier aus der neuen Welt der Völkerfriede kommen, den wir von der alten vergeblich erwartet haben."

   Mit Applaus, mit rauschendem Beifall wurde der Vortrag belohnt. Und der Councilman, der Stadtrat Hermann Grunwald überreichte dem Redner "im Namen des Turnvereins und des Deutschtums von Lawrence" ein goldenes Bundesabzeichen.32

   Als Deutscher und viel mehr noch als Kosmopolit, als "Abgeordneter der ganzen Menschheit" wie der Schriftsteller Amand von Ozoróczy (halb scherz- und halb ernsthaft) ihn nannte,33 war May nach Lawrence gekommen - und, Frau Klaras Bericht zufolge, auch nach Andover. Dort soll er das Grab von Harriet Beecher-Stowe, der Verfasserin von Onkel Toms Hütte (des berühmten, gegen die Sklaverei gerichteten Jugendromans), besucht haben.

   Nach Klara betrachtete May Frau Beecher-Stowe (1811-1896) als eine "Gottgesandte".34 Er soll ihr, von Seele zu Seele, einen Brief geschrieben und das Blatt in den Efeu am Hügel des Grabmals gelegt haben.

   Daß der Dichter diese, sehr christlich und sehr menschenfreundlich gesinnte, Autorin verehrte, ist durchaus wahrscheinlich. Aber der Grabbesuch in Andover? Entsprechende Fotos existieren nicht - während Frau Klara ansonsten doch alles fotografierte. Möglich war ein Grabbesuch aber doch: Frau Beecher-Stowe wohnte zeitweilig in Andover/ Massachusetts. Gestorben ist sie zwar in Hartford/Connecticut, wo sie ihre frühe Jugend


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verbracht hatte und wo auch ihre Kinder und Enkel lebten;35 bestattet aber wurde sie in Andover (im Grab ihres Sohnes Henry).36 Klaras Bericht könnte im Kern also zutreffen.

   Mit dem Aufenthalt in Lawrence und den Autofahrten durch Massachusetts endete die Amerikareise des Ehepaars May. Über Boston fuhren die beiden im November nach New York und von dort, auf der 'Kronprinzessin Cecilie', nach Europa zurück. Daß es, wie in der Sekundärliteratur überliefert wird,37 ein längeres (vierzehntägiges) Verweilen in England - vorwiegend in London - gegeben habe, ist jedoch zweifelhaft. Postkartengrüße an Freunde in Deutschland (den Psychiater Dr. Paul Näcke z.B.38) und auch an Freunde in Österreich hatte May zwar aus England verschickt.39 Fotos von dieser letzten Station sind aber nicht bekannt. Und an Otto Denk hatte May ja geschrieben: "Ich wollte ursprünglich von New-York nach London [...] Schließlich bin ich doch direct nach Hause".40

   Wie paßt das alles zusammen? Vielleicht war May nur sehr kurz in England, um - so Claus Roxin - "auf ein anderes Schiff zu warten, und hat in dieser kurzen Zeit seine Karten abgesandt? Eine schnelle Heimreise könnte auch mit der Krankheit zusammenhängen, derentwegen er sich dann operieren lassen mußte."41

   Anfang Dezember 1908 waren die Mays wieder in Radebeul. Das Ergebnis der Reise: Impressionen, die der Dichter dann umsetzte in Literatur. Mays zweite überseeische Fahrt hatte zwar - nach Roxin - bei weitem nicht die Bedeutung der Orient-Reise; er hat nur kleine Teile des amerikanischen Kontinents kennengelernt und vor allem den 'wilden Westen' nie gesehen. Gleichwohl haben ihre Eindrücke auf Winnetou IV stark eingewirkt.42


Anmerkungen


1Vgl. Roland Schmid: Nachwort (zu Winnetou IV). In: Karl May: Freiburger Erstausgaben, Bd. XXXI. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1984, N 17-22 (17).
2Zit. nach ebd.
3Vgl. Hans Wollschläger- Karl May. Grundriß eines gebrochenen Lebens. Zürich 1976, S. 151.
4Vgl. oben, S. 473f.
5Klara May: Mit Karl May durch Amerika. Radebeul 1931; zit. nach Wollschläger, wie Anm. 3,S. 153.
6Zit. nach ebd., S. 155.
7Vgl. unten, S. 554ff.
8Wollschläger, wie Anm. 3, S. 155.
9Vgl. W. Bartz: Shakers. In: Lexikon für Theologie und Kirche IX. Hrsg. von Josef Höfer und Karl Rahner. Freiburg 21964, Sp. 713f.: "Die Shakers glauben an einen Vater-Mutter-Gott. Er hat sich in Jesus als dem 'männlichen' und in 'Mutter' Anne als dem 'weiblichen Prinzip in Christus' inkarniert [...] Bei voller Gleichberechtigung der Geschlechter führten die Shakers in ihren gepflegten Dörfern ein einfaches, sittenstrenges und fleißiges Gemeinschaftsleben, Eid und Waffendienst verweigernd." - Zum Gedanken einer 'weiblichen Inkarnation' Gottes vgl. unten, S. 661 f -
10Vgl. Wollschläger, wie Anm. 3, S. 156 - Gerhard Klußmeier - Hainer Plaul (Hrsg.): Karl May. Biographie in Dokumenten und Bildern. Hildesheim, New York 1978, S. 247. - Mit den Shakersleuten Thümmel dürfte May schon vor der Amerikareise in Kontakt gestanden haben. Wie es dazu kam und welcher Art der Briefwechsel war, ist noch nicht erforscht.
11Karl May: Winnetou IV. Gesammelte Reiseerzählungen, Bd. XXXIII. Freiburg 1910, S. 57.
12Wollschläger, wie Anm. 3, S. 156.
13Zit. nach ebd., S. 157.
14Nach Wollschläger: Ebd. (gestützt wohl auf Angaben Klaras oder auf Postkartenstempel) wohnten die Mays Ende September im Clifton-House; nach Karl May: Briefe an das bayerische Königshaus. In: JbKMG 1983, S. 76-122 (S. 112, Brief vom 4.10.1908 an Prinzessin Wiltrud), aber war May am 3.10. noch in Buffalo (am 4.10. jedoch im Clifton-Hotel in Nia-


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gara Falls) und wollte am 5. 10. nach Toronto fahren. - Da es keine stichhaltigen Gründe gibt, an der Richtigkeit der von May genannten Daten zu zweifeln, liegt die Vermutung nahe: Von Niagara Falls aus hat May einen weiteren Abstecher nach Buffalo unternommen.
15May: Winnetou IV, wie Anm. 11, S. 45.
16Klara May: Amerika, wie Anm. 5; zit. nach Christian Heermann: Der Mann, der Old Shatterhand war. Eine Karl-May-Biographie. Berlin 1988, S. 335.
17Zit. nach ebd.
18Grundsätzlich wäre - in einem Zeitraum von ca. vier Wochen (die May aber nicht zur Verfügung standen) - eine Bahnreise ins Land der Apatschen möglich gewesen. - Vgl. Wilhelm Manig: Auf Fährtensuche: Old Shatterhands Weg zu "Winnetous Erben". In: MKMG 91 (1992), S. 26-30.
19Die Fahrt nach Detroit und Montreal rechnet Wollschläger, wie Anm. 3, S. 157, zu Klaras Fabeleien; doch Dieter Sudhoff: Karl Mays "Winnetou IV". Studien zur Thematik und Struktur. Materialien zur Karl-May-Forschung, Bd. 6. Ubstadt 1981, S. 13, hält die Fahrt - mit plausiblen Argumenten - für durchaus möglich.
20Vgl. Wollschläger, wie Anm. 3, S. 158 - Klußmeier - Plaul, wie Anm. 10, S. 245ff. - Heermann, wie Anm. 16, S. 334ff.
21Wollschläger, wie Anm. 3, S. 158.
22Vgl. oben, S. 343.
23Zit. nach Wollschläger, wie Anm. 3, S. 158.
24Nach Miloslav Stingl: Indianer vor Kolumbus. Von den Prärie-Indianern zu den Inkas. München, Zürich o.J., S. 15, hat Gauguin "unter eines seiner Bilder drei Grundfragen geschrieben: Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?" - Daß May diese Gauguin-Formulierung kannte, ist immerhin möglich. Allerdings ist anzunehmen, "daß auch Gauguin die 'drei Menschheitsfragen' nicht erfunden hat, sondern daß es sich dabei um eine der Zeitgenossenschaft allgemein vertraute Fragestellung handelte." (Claus Roxin in einem Brief vom 30.3.1992 an den Verfasser).
25Berichte gab es in den beiden deutschen Zeitungen in Lawrence ('Anzeiger und Post' und 'Der deutsche Herold' vom 19.10.1908); der Bericht des 'Herold' ist im Faksimile wiedergegeben bei Klußmeier - Plaul, wie Anm. 10, S. 254f.
26Vgl. oben, S. 140f.
27Zit. nach Wollschläger, wie Anm. 3, S. 160f.
28Zit. nach Klußmeier - Plaul, wie Anm. 10, S. 254 (Bericht des 'Deutschen Herold') - Mays Droschken-Gleichnis findet sich schon bei Heinrich Wagner: Karl May und seine Werke. Eine kritische Studie. Passau 1907, S. 38f.; May hat dieses Gleichnis also nicht erst in Lawrence konzipiert.
29Diese Auffassung wird in der Sekundärliteratur über May manchmal nahegelegt; vgl. unten, S. 634f. u. 690f. - Vgl. auch Sibylle Becker: Karl Mays Philosophie im Spätwerk. Materialien zur Karl-May-Forschung, Bd. 3. Ubstadt 1977, bes. S. 8-35.
30Vgl. Wagner, wie Anm. 28.
31Zit. nach Klußmeier - Plaul, wie Anm. 10, S. 255 (Bericht des 'Deutschen Herold'); dort auch die folgenden Zitate.
32Nach Wollschläger, wie Anm. 3, S. 161.
33Zit. nach ebd., S. 151.
34Klara May: Am Grabe Beecher Stowes. In: KMJB 1924. Radebeul 1924, S. 162-165 (S. 163) - Insgesamt wirkt dieser Bericht eher legendenhaft; zumindest das Todesjahr und der Sterbeort Beecher-Stowes werden von Klara May falsch (1894 in Andover statt 1896 in Hartford) angegeben.
35Nach Charles Edward Stowe: Onkel Toms Mutter. Harriet Beecher-Stowe - ihr Leben in Briefen und Tagebüchern. Berlin 21988, S. 225, zu schließen.
36Diese Mitteilung ist den Recherchen Ernst Seybolds zu verdanken.
37Vgl. z.B. Wollschläger, wie Anm. 3, S. 161 - Klußmeier - Plaul, wie Anm. 10, S. 257.
38Vgl. Udo Kittler: "Ein Fall allerersten Ranges" II. In: MKMG 90 (1991), S. 16-23 (S. 21). -Zu Dr. Näcke vgl. unten, S. 582.
39Vgl. Klußmeier - Plaul, wie Anm. 10, S. 257.
40Karl May: Briefe an Karl Pustet und Otto Denk. Mit einer Einführung von Hans Wollschläger. In: JbKMG 1985, S. 15-62 (S. 32, nicht datierter Brief an Denk, wohl Ende 1908).
41Claus Roxin in einem Brief vom 26.1.1992 an den Verfasser.


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42Claus Roxin: Mays Leben. In: Karl-May-Handbuch. Hrsg. von Gert Ueding in Zusammenarbeit mit Reinhard Tschapke. Stuttgart 1987, S. 62-123 (S. 118).



10.12

Der Höhepunkt des öffentlichen Streits: Die 'Karl-May-Hetze' seit Ende 1908


In Amerika hatte sich May eine Krankheit oder "Verletzung"1 zugezogen, über der - so Roxin - "noch ein merkwürdiges Dunkel liegt. Was hatte er denn eigentlich?"2 Belegt ist jedenfalls dies: Vor dem Weihnachtsfest des Jahres 1908 wurde May in einer Dresdner Klinik operiert.3 Man schnitt ihm, wie er Pustet und anderen Bekannten mitteilte, "ein großes Stück Fleisch aus der Brust. Nun sitze ich hier, in Bandagen bis an den Hals gewickelt. Das Schreiben verursacht mir Schmerzen."4

   Dennoch hat er, nach der Entlassung aus dem Krankenhaus, den 'Mir von Dschinnistan mit Bravour zu Ende geschrieben, um anschließend, 1909/10, Winnetou IV zu verfassen - während gleichzeitig die Pressekampagne ihrem Höhepunkt zustrebte und das Prozeßgeschehen neue Auswüchse zeitigte und immer weitere Verfahren nach sich zog.

   Mays Widersacher Nr. 1 blieb Rudolf Lebius, der zu den schamlosesten Methoden griff, um den "Genossen Karl May" (wie der Journalist den Dichter jetzt etikettierte)5 zu verleumden und zu 'vernichten'. Welche Motive ihn im letzten getrieben haben, ist - so Roxin - "bis heute unklar".6

   Persönliche Rachsucht war sicher ein wichtiger, aber wohl nicht der einzige Grund. Am 18. Dezember 1911, vor der Strafkammer in Moabit, hat sich Lebius so geäußert: "Die sozialdemokratische Presse berief sich bei [...] Angriffen gegen mich immer auf Karl May, der als angesehener Jugendschriftsteller bezeichnet wurde. Es lag mir deshalb daran zu beweisen, daß May unglaubwürdig ist. "7

   Heermann nimmt, wohl gar nicht so abwegig, für Lebius' Intrigen - neben privaten - auch politische Beweggründe an, die mit der literarischen Tätigkeit unseres Autors zusammenhängen. Ein Sozialdemokrat war May zwar nicht, aber pazifistischen Kreisen stand er doch nahe.8 Auch sonst hat May, sehr direkt und massiv im Friede-Roman und dann wieder (verschlüsselt) in Ardistan und Dschinnistan, Positionen vertreten, die der politischen Rechten gewiß nicht genehm waren: Immerhin - im April 1910 freilich erst - hat die Politische Polizei, unter der Nummer 17717, eine "Akte betr. Schriftsteller Karl May" angelegt; das Dossier enthielt 74 Zeitungsberichte.9


10.12.1

Theologische Kritik und kirchenpolitische Hintergründe


Lebius stand, so Heermann, mit "jenen reaktionären Kreisen" im Bund,


denen May durch seine Absage an Militarismus, Rassismus und Kolonialismus lästig geworden ist. May wird ernst genommen, weil hier nicht irgendein Schriftsteller seine Stimme erhoben hat, sondem einer der meistgelesenen Erzähler jener Zeit [...] Lebius hat die Existenz von Auftraggebern selbst [...] belegt, als er am 18. Dezember 1911 [...]einen Vergleichsvorschlag des Gerichtsvorsitzenden zurückweist. 'Seine Organisation verlange, daß er KEINEN Vergleich schließe', heißt es im Bericht des 'Vorwärts'.10


Nicht nur die extreme Rechte, auch Teile der gemäßigten politischen Kräfte waren - so könnte man denken - gegen den Schriftsteller eingenommen: So beteiligte sich an der Pressekampagne gegen May - erstmals im August 1907 - auch die 'Germania', das Berliner Blatt der katholischen Zentrums-Partei. Die Vorwürfe des May-Gegners Hermann


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Cardauns (bezüglich der 'Schundromane') wurden in dieser Zeitung, wie in anderen Journalen, wieder aufgewärmt.11

   Vor allem aber griff in der 'Germania' - am 5., 6. und 8. Dezember 1908, etwa gleichzeitig mit der Rückkehr des Schriftstellers aus Amerika - Dr. Paul Rentschka (1870-1956), damals Kaplan an der katholischen Hofkirche zu Dresden, den Dichter scharf an: im dreiteiligen Artikel Karl Mays Selbstenthüllung.

   Doch Rentschkas Polemik - in der 'Germania' und, laut May, auch von der Kanzel der Dresdner Hofkirche herab12 - zielte nicht auf die Kolportageromane, sondern aufs Spätwerk Und Friede auf Erden! Heermann will, auch in diesem Falle, parteipolitische Motive erkennen.13 Der Text des Rentschka-Artikels läßt diese Deutung aber kaum zu. Das eigentliche Interesse des Hofkaplans war, wohl ausschließlich, theologischer und dogmatischer Art.

   Daß er die politische Reaktion, aber auch die kirchliche Orthodoxie provozieren würde, hatte der Autor des Friede-Bands wohl geahnt - schon früh, zur Entstehungszeit der Urfassung Et in terra pax (1901). In seiner 'Zauberteppich'-Parabel läßt Karl May den Händler Yussuf el Kürkdschü (Joseph Kürschner ist gemeint!)14 das Meisterwerk - d.h. den Pax-Roman - tadeln: "Maschallah! Was sehen meine Augen! Du füllst trotz meines Wunsches den Untergrund noch immerfort mit unwillkommenen Worten, und die Gestalten, die auf ihm entstanden sind, werden das Mißfallen jedes wahren Gläubigen erregen!"15

   Der Bannfluch des "wahren Gläubigen", des Kaplans Rentschka, traf nun den Dichter in der 'Germania'. Rentschka stritt gegen Mays 'synkretistische', die Religionsunterschiede relativierende Tendenz in Friede auf Erden! "Liebe nur allein"16 war dem Hofkaplan entschieden zu wenig; auf die "dogmatischen Wahrheiten",17 die 'reine Lehre', kam es ihm an!

   Mays Roman verstand er als Anschlag auf das "gesamte kirchliche Christentum, insbesondere die katholische Kirche";18 auch die göttliche Offenbarung und damit die "absolute Wahrheit in religiösen Dingen"19 werde von May geleugnet; "in verschwommenen (unrichtigen) Begriffen"20 rede der Autor über Gott und die Welt; der ganze Roman stecke "voll der Irrtümer, ganz besonders auch voll der Irrtümer des Modernismus".21 Der Entwicklungslehre habe May sich verschrieben, und so zählt ihn Paul Rentschka unter die Neuheiden! "Darüber werden uns auch die schönsten Worte Mays über das Kreuz nicht täuschen. Wir lassen uns unsern Glauben nicht unvermerkt in einen andern verwandeln, [...] wir bleiben beim alten Glauben."22

   Rentschkas Attacken auf May sind im Kontext des katholischen 'Modernismusstreits' zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu verstehen.23 Was 'Modernismus' ist, legte Papst Pius X. fest: im Dekret Lamentabili sane Exitu (3.7.1907)24 und in der Enzyklika Pascendi dominici gregis (8.9.1907). Es ging um die Abwehr verschiedenster 'Irrtümer', um die Auswahl der theologischen Lehrer und die Kontrolle des schulischen Religionsunterrichts. Der Papst wollte die Kirche in Schutz nehmen vor den 'Gefahren' der neuen Zeit und ihrer Ideen. Zugleich aber begünstigte er die Isolation, die ängstliche Defensivhaltung gegen sämtliche - als böse empfundenen - Einflüsse der Moderne, also den Rückzug der Kirche ins Ghetto einer Sonderkultur.

   Es begann eine "regelrechte systematische Jagd"25 gerade auf Leute, die der Kirche besonders verbunden waren und, eben deshalb, den Dialog des christlichen Glaubens mit der modernen Gesellschaft zu führen versuchten. Auch der 'Katholische Literaturstreit', die Kontroverse zwischen der 'fortschrittlichen Literaturbewegung' um Carl Muth und


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dem konservativen 'Gralbund' um Richard v. Kralik (der, paradoxerweise, May unterstützte)26 ist in diesem Zusammenhang zu betrachten: Dogmatische Enge und kirchliche Linientreue des religiösen Schrifttums wurden, von Rom aus, gefördert - zu Lasten der literarischen Qualität. Muth indessen, der in dieser Hinsicht von May ja durchaus gelobt wurde,27 setzte sich ein für geistige Offenheit, weil nur so die katholische Literatur vor der Bedeutungslosigkeit bewahrt werden konnte.

   Der Modernismusstreit war ein Vorgang, den es in den christlichen Kirchen, mutatis mutandis, immer gegeben hat und wohl immer geben wird: Die Hüter des 'reinen Glaubens' stehen - unter Berufung auf 'absolute Wahrheiten' und die, sehr eng interpretierte, 'Lehre der Kirche' - den 'Neuerern' gegenüber. Was nun speziell Mays Friede-Band und die Angriffe Rentschkas betrifft, so ist die Auseinandersetzung, mit Hilfe von neueren (vor allem an Karl Rahner orientierten) theologischen Einsichten, an anderer Stelle28 bereits erfolgt. Das Ergebnis: Die Verwerfungen Rentschkas werden May und seinem Friede-Roman in keiner Weise gerecht.29

   Die doktrinäre Enge des Hofkaplans war May gewiß nicht sympathisch. Dennoch suchte er, in sechs Briefen (9.12.1908 bis 14.1.1909), den Dogmatiker zu beschwichtigen: Dessen Vorwürfe habe er nicht verdient; er sei "strenggläubig"30 und "mit Leib und Seele katholisch" gesinnt.31 Er wolle nicht, daß sein Werk einen "wenn auch noch so kleinen Verstoß gegen die katholische Kirche enthalte".32 Den Modernismus und "das haltlose Evolutionistenthum"33 lehne er ab. Auch schließe er Irrtümer in seinem Werke nicht aus; er könne auch Fehler machen und sei im Grunde nur froh, darauf hingewiesen zu werden. "Sie ersehen hieraus, daß mir die Offenbarung und ihre wahren Priester über Alles stehen [...]"34

   Auf die eigentlichen Sachpunkte ließ May sich, um neuen Streit zu vermeiden, kaum ein. Seine Taktik war - in solchen Fällen wohl immer das klügste - die Ruhigstellung des Gegners.

   Ende Dezember 1908, nachdem er sich von der Operation erholt hatte (aber noch "in Bandagen bis an den Hals"?35), suchte May - wie er es auch in anderen Fällen getan hatte36 - seinen Widersacher persönlich auf. Hans Wollschläger zufolge war dieses Entgegenkommen nur windige Schwäche: "kein Kritiker ist ihm jetzt gering genug, um ihn zu übersehen; und ächzend tritt er den Bittgang zu dem Römer an"!37 Auch Ekkehard Bartsch sah im Verhalten Karl Mays eine "Altersmüdigkeit",38 die sich mit einer so mächtigen Institution wie der katholischen Kirche nicht anlegen wollte.

   Diese Sichtweise verkennt nun aber das kirchliche Fühlen, das May - trotz aller (einem verwundeten Herzen entspringenden) Kritik am "Unverstand", an der "Intoleranz", an der "Prüderie" und "Poesielosigkeit"39 vieler Kirchenmänner - doch zu eigen war. Daß er in früheren Jahren als 'katholisch' gelten wollte und jetzt noch, in Briefen an Karl Pustet und Otto Denk beispielsweise,40 'katholische Gesinnung' beteuerte, war mehr als nur schnöde Berechnung, war mehr als nur Schläue und Opportunismus. Zwar schrieb dieser Dichter - wie er 1910 formulierte - "als Mensch zum Menschen, nicht aber als Katholik oder Protestant zu Katholiken oder Protestanten";41 doch im weiteren (konfessionell nicht verengten) Sinne des Wortes dachte May tatsächlich, in kritischer Solidarität mit den christlichen Kirchen, katholisch.42 Seine Alterswerke belegen dies noch deutlicher als die Reiseerzählungen bis 1898.

   May verteidigte, wie Muth und andere 'Modernisten', zu Recht seine Kirchlichkeit. Daß er auch Rentschka nicht verachtete, daß er ihm schrieb und ihn besuchte, spricht für den Dichter und seine wahrhaft 'katholische Gesinnung'. Den rechten Glauben, das



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Christsein ließ er sich eben nicht absprechen. Ein Sektierer wollte er nicht sein und ist er, wie seine Werke43 zeigen, auch nicht gewesen.

   Daß der Karl-May-Verlag in Radebeul, nach dem Tode des Schriftstellers, ausgerechnet Paul Rentschka - im Jahre 1919 - mit der Bearbeitung des Friede-Romans beauftragte (um den Band auch für Pfarrbibliotheken44 empfehlbar zu machen), steht auf einem anderen Blatt. Denn der "Pfaffe kürzte", so Klaus Farin in einem bissigen Kommentar,45 den Originaltext um ca. 100 Seiten und flickte eigene Passagen hinein. Andrerseits: Der Quantität nach entsprachen solche Kürzungen und Einschübe auch sonst der Praxis des Karl-May-Verlags; ob und in welchem Ausmaß Rentschkas Bearbeitung46 auch die TENDENZ des Friede-Bandes tangierte, bedarf noch der gründlichen Untersuchung.47


10.12.2

Die Pressefehden in den Jahren 1909/10


Nach der persönlichen Begegnung mit dem Autor in Dresden trat Rentschka nie wieder als May-Kritiker auf. Im Gegenteil, wir dürfen vermuten: Dem Dichter war es gelungen, den Theologen für sich zu gewinnen. Doch andere Gegner aus dem kirchlichen Lager ließen sich nicht versöhnen: Hermann Cardauns z.B., Mays Erzfeind seit vielen Jahren, aber auch der Franziskanermönch Expeditus Schmidt und - besonders - der Beuroner Benediktinerpater Ansgar Pöllmann.

   Als Priester und Kunstverständiger, als Autor und Literaturspezialist - Pöllmann (1871-1933) gab von 1903-07 und 1911-13 die 'Gottesminne', eine angesehene Monatsschrift für religiöse Dichtkunst, heraus - hatte der Benediktiner seine Verdienste. Auch als Mensch hatte er durchaus manche Vorzüge.48 Allerdings verfaßte er, 1914/15, Kriegsgedichte, von denen "einige nicht gerade priesterlichem Geiste entsprachen" (wie in der Sterbechronik über Pöllmann, die der Benediktinerorden herausbrachte, zu lesen ist).49 Auch zeigte er sich, speziell in seinen Ausfälligkeiten gegen May, als engstirniger Eiferer, dessen kämpferische Einstellung - laut Sterbechronik - "jene weise Maßhaltung und Objektivität vermissen ließ, die man von ihm als Priester und Benediktinermönch erwarten durfte."50

   Schon im Jahre 1901 hatte sich Pöllmann - ganz im Sinne Cardauns' - gegen Mays Kolportageromane gewandt.51 Und später, im Januar und im Frühjahr 1910, als die Pressekampagne ihren Höhepunkt erreichte, war es - nebst Lebius und Avenarius - in erster Linie Pöllmann, der den Schriftsteller aufs übelste attackierte: in mehreren Zuschriften an die katholische (zentrumsorientierte) 'Freie Stimme' aus Radolfzell52 und in der Artikel-Serie Ein Abenteurer und sein Werk.

   Die letztgenannten Artikel fanden sich in der Zeitschrift 'Über den Wassern'.53 Herausgeber dieses Journals war der Franziskanerpater Expeditus Schmidt (1868-1939), ein seinerzeit bekannter Literaturkritiker und "prominenter Vertreter der katholischen 'fortschrittlichen Literaturbewegung'"54 um Carl Muth. Analog zu Muth verlangte auch Schmidt ein anspruchsvolleres Niveau der katholischen Belletristik. Und ähnlich wie Muth hatte Schmidt, im März 1903, das - seiner Ansicht nach - zu oberflächliche und literarisch bedeutungslose Werk des sächsischen Schriftstellers kritisiert.55

   Und jetzt, nach Abschluß der Artikelserie Pöllmanns im Mai 1910, erinnerte Schmidt - in einer Zuschrift an die 'Augsburger Postzeitung' - an die bekannte Behauptung, daß May "zu gleicher Zeit unsaubere Kolportage-Romane und frömmelnde Muttergottesgeschichten"56 fabriziert habe. Worauf der Dichter den Mönch vor den Kadi zitierte!57


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   Immer und immer wieder dasselbe Lamento: Karl May ist ein 'Schundliterat'! Cardauns hat's ermittelt, und alle anderen plappern es nach. Im Vergleich zu den Grobheiten Pöllmanns war die Schmidtsche Polemik aber noch durchaus gemäßigt. Ansgar Pöllmann, der Beuroner Pater, hingegen bewarf den Dichter mit Schmutz. Er frischte, zunächst, süffisant die alten Geschichten wieder auf - den falschen Doktor, die "perverse Phantasie"58 der Münchmeyerromane, das "katholische Mäntelchen"59 des Verfassers der Reiseerzählungen, auch die Scheidung von Emma und die Heirat mit Klara.60 Auf die Haftjahre Mays, die "Zeit seiner größten Seßhaftigkeit",61 spielte er ebenfalls an!

   Gewiß, nicht alles, was Pöllmann gegen May vorbrachte, war völlig verkehrt. "Karl May wurde durch die maßlose Verhimmelung seines Leserkreises um sich selbst gebracht [...] So, wie wir jetzt 'unsern' May haben, so hat ihn seine Gemeinde haben wollen; wehe dem, der mit der Masse paktiert, sie reißt ihn fort."62 Auf den "früheren Karl",63 den 'Dr. Karl May, genannt Old Shatterhand', trifft diese - bedenkenswerte - Äußerung Pöllmanns ja weitgehend zu.

   Ansonsten aber sind die Anwürfe des Paters als ungerecht und böswillig zu bezeichnen. Pöllmanns Formulierungen verraten eine beispiellose Aggressivität: " [...] uns jammert des deutschen Volkes, das dieser literarische Freibeuter verdirbt, und darum drehen wir den Strick, um diesen Händler aus dem Tempel der deutschen Kunst hinauszupeitschen."64 Sieht man dieses Verdikt im Zusammenhang mit den anderen (nicht weniger diffamierenden) Sprüchen des Benediktiners, insbesondere mit der Anspielung auf die Delikte Mays in den 1860er Jahren, dann wird - so der Strafrechtsprofessor Roxin - sehr "deutlich, worum es eigentlich ging: um die erbarmungslose Ächtung dessen, der einmal straffällig geworden war [...] So, wie Pöllmann es tat, hätte man auch zu einem 'Kriminellen' nicht sprechen dürfen."65

   Was Pöllmann gegen May schrieb, waren persönliche Verunglimpfungen. Literarisch aber hatte er gegen May nichts Ernsthaftes vorzubringen. Auch die Beschuldigung, Karl May sei "für ewige Zeiten das Musterbeispiel eines literarischen Diebes",66 konnte dieser überzeugend widerlegen. Mays Stellungnahme67 ist richtig: Daß er, gekonnt, ethnographische Werke benutzt hat, spreche für ihn! "Denn natürlich ist es nicht tadelnswert, sondern notwendig und löblich, daß ein Reiseschriftsteller sich an möglichst gute Quellen hält."68 Zweifellos hatte Pöllmann das Verdienst, Mays völkerkundliche Quellen69 teilweise entdeckt zu haben. Was der Benediktiner aber nicht sah oder nicht sehen wollte: Es handelt "sich in keinem Falle um Plagiate, weil noch die kleinste Erzählung Mays solcher Entlehnungen ungeachtet ein eigenschöpferisches Werk bleibt."70

   Mays literarische Werke hat der Pater genauso verkannt wie seine religiöse Option: "Gegen alles seiner Meinung nach Unechte und Scheinkatholische zog er leidenschaftlich zu Felde."71 Die ökumenischen Anstöße der Mayschen Altersromane72 mußten Pöllmann, aufgrund seines anderen, zur Auffassung Mays konträren theologischen Ansatzes, mißfallen. Der Toleranzgedanke war dem Ordensmann fremd und der - religiös-politische - Pazifismus (den Karl May seit 1901 engagiert vertrat) war Pöllmann suspekt. Mays Spätwerk bezichtigte er des "Indifferentismus"73 und des "verschwommenen Interkonfessionalismus":74 Die von May gewünschte "allgemeine christliche Kirche ist nichts anderes als eine tolerante Weltverbrüderung, ein aus dem Absud aller Religionen aufsteigender Liebesdusel".75

   Ein schlimmes Vokabular! Das sind die Schlagworte, die Kampfparolen eines ökumenefeindlichen Denkens, das die Wahrheit nicht sucht, sondern von vorneherein zu besitzen vermeint. Als 'infallibler' Großwahrheitsbesitzer, als "Abgeschlossener" dem - so May -


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"die Konturen, über die hinaus er sich nicht entwickeln darf, streng vorgeschrieben"76 sind, zeigte sich Pöllmann in seiner Polemik gegen den Dichter, der "als Werdender irren"77 konnte, dessen Spätwerke aber Impulse und Innovationen enthalten, für die der Horizont des Paters eben zu eng war.

   Zur Zeit dieser Kontroversen, im Frühjahr 1910, war May schon beinahe ruiniert; der körperliche Zusammenbruch stand ihm nahe bevor. Dennoch gelang ihm, mit seinen Artikeln in der Wiener 'Freistatt' (Auch "Über den Wassern": April bis Juni 1910),78 ein "Bravourstück, das ihm [...] argumentatorisch eindeutig die Oberhand gibt."79 Pöllmann, dem hochwürdigsten Herausgeber der 'Gottesminne', parierte May in präziser Rhetorik, mit literarischem Schliff und witziger Ironie. Er maß den Pater geschickt am geistlichen Stand und führte ihn vor: als Verbündeten der "Sensations- und Revolverpresse".80

   Tatsächlich spielten sich der Benediktinermönch Pöllmann und der Journalist Rudolf Lebius - "der aus der christlichen Kirche ausgetretene Sozialdemokrat a.D."81 - gegenseitig die Bälle zu. Obwohl sich der Pater von Lebius öffentlich distanzierte, arbeitete er - ebenso wie Cardauns und Avenarius, wie Schumann und andere May-Gegner - mit dem Verleumder und Intriganten sehr wirksam zusammen.82 Daß er "ein gewisses Interesse an dem von Lebius veröffentlichten Material"83 hatte, mußte Pöllmann am 28. April 1911, vor dem Sigmaringer Amtsgericht, zugeben.

   "Mit Erschütterung" hat der Schriftsteller Amand v. Ozoróczy aus dem Nachlaß des Benediktiners ersehen, "in welchem Umfang Pater Pöllmann mit einem Lebius kollaborierte, der weit über das hinausging, was er selber 'einräumte' und Karl May ihm vorwarf."84 Nach dem Abschluß (oder richtiger: Abbruch) seiner Artikelserie Ein Abenteurer und sein Werk schrieb Pöllmann allerdings keine einzige Zeile mehr gegen May - aber nicht aufgrund von besserer Einsicht, sondern aufgrund einer Intervention des Beuroner Erzabtes Ildephons Schober (1849-1918), der - schon als Abt von Seckau (bis 1908) - unserem Autor sehr wohlwollend gegenüberstand.85 Von den 'Freistatt'-Artikeln Karl Mays besonders beeindruckt, verbot Schober dem Pater jedes "Weiterspinnen der May-Hetze".86

   Doch Pöllmanns Verbündeter, Rudolf Lebius, hatte sein Ziel - den Rufmord an May - inzwischen weiterverfolgt. Er hatte, 1909, zum entscheidenden Schlag gegen den Schriftsteller ausgeholt. Er wühlte im Schmutz und suchte nach Bett- und nach Ehescheidungsgeschichten. Mit Bienenfleiß sammelte er Belastungsmaterial über das Vorleben Mays: in Gesprächen mit Emma, der geschiedenen (und deshalb verbitterten) Ehefrau Karl Mays, die der "Pressebandit"87 in Weimar besuchte und - durch geheuchelte Teilnahme an ihrem Schicksal - als Werkzeug gegen den früheren Gatten benutzte. Auch nach Hohenstein-Ernstthal fuhr Lebius, wo er die Leute über Mays, schon mehr als vierzig Jahre zurückliegende, Straftaten aushorchte. Das Ergebnis dieser Recherchen, darunter auch Falschaussagen des Gartenarbeiters Richard Krügel, 'verwertete' der Zeitungsmann in perfiden Artikeln (wie Hinter die Kulissen: am 19.12.1909 im Wochenjournal 'Der Bund'88) und Flugblättern von der schändlichsten Sorte: Jahrelang sei Karl May als Räuberhauptmann durch die erzgebirgischen Wälder gezogen; fast täglich habe er, mit seinem Schulfreund Louis Krügel, Einbrüche begangen; Uhrenläden habe er geplündert und Marktweiber habe er überfallen; zudem wurde der Schriftsteller verdächtigt, seine neunjährige Nichte sexuell mißbraucht und seinen Schwiegergroßvater - den alten Pollmer - erwürgt zu haben. "Die Unwahrheit dieser unglaublichen Beschuldigungen steht heute fest und ist zum größten Teil auch schon zu Lebzeiten Mays gerichtlich erwiesen worden."89

   Avenarius griff, im 'Kunstwart' (Februar 1910), diese Lebius-Stories genüßlich auf.90 Lebius selbst trug seine 'Ermittlungen' in einer dicken Broschüre zusammen: unter dem


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Titel Die Zeugen Karl May und Klara May. Ein Beitrag zur Kriminalgeschichte unserer Zeit (Berlin-Charlottenburg 1910).91 Aktenauszüge und Dokumente gaben dem ganzen - 335 Seiten umfassenden - Pamphlet, sehr raffiniert, den Anstrich von Objektivität und Wissenschaftlichkeit. Die von May, am 3.12.1910, erwirkte einstweilige Verfügung gegen den Verkauf dieser Schmähschrift kam zu spät: Tausende von Exemplaren waren bereits im Umlauf.

   Der Kriminalpsychologe Erich Wulffen, der ebenfalls, freilich ohne besondere Übertreibung und ohne gewissenlose Falschaussage, Mays Straftaten öffentlich (1908) erörtert hatte,92 bedauerte später sein eigenes - Mays wirkliche, aber längst schon gesühnte Delikte ja immerhin bloßstellendes - Verhalten und meinte im Blick auf Lebius:


Es handelte sich [...] um eine [...] Menschenhetze schlimmster Art, auf die Vernichtung von Karl Mays Menschentum gerichtet [...] Niemals ist gegen einen deutschen Schriftsteller, niemals gegen einen Schriftsteller der Weltliteratur überhaupt so grausam verfahren worden wie gegen Karl May.93


Nach dem Charlottenburger Gerichtsurteil vom April 1910 - wir kommen darauf noch zurück - gingen fast sämtliche deutsche Zeitungen davon aus, daß die Gerüchte über May nun erwiesen seien. Die Blätter brachten Schlagzeilen wie diese: Karl May - ein abgestrafter Räuber, Ein literarischer Schinderhannes, Autor frommer Bücher - ein Bandit usw.94

   In Wirklichkeit hatte das Charlottenburger Gericht die Behauptungen des Lebius - so Roxin -


weder geprüft noch bestätigt, sondern [...] durch den Rückgriff auf § 193 StGB ein Eingehen auf die Sache selbst gerade vermieden. Wenn trotzdem fast die gesamte deutsche Presse die Räuberhauptmannslegende übernahm, anstatt eine seriöse Berichterstattung oder gar eine Urteilsanalyse zu liefern, dann war das reiner Sensationsjournalismus.95


Die phantastischen Lebius-Stories machten, aufgrund solcher Zeitungsartikel, die Runde und gingen, noch fünfzig Jahre später, auch in biographische May-Darstellungen ein!96

   Um seine Verleumdungskampagne abzurunden, tat Lebius noch ein übriges: John Ojijatekha Brant-Sero, einen jungen, in Schulden geratenen Manege-Indianer, den der Journalist in der Schaubude eines Rummelplatzes entdeckt hatte und dessen Notlage er ausnützte, veranlaßte er zum 'Protest gegen die blutrünstige Indianerliteratur'. Der Protest war eindeutig gegen May gezielt und nahm ausgerechnet DEN (soeben erst erschienenen) Indianerroman aufs Korn, der allein der Völkerverständigung gewidmet war: Winnetou IV. Im von Schumann redigierten Feuilleton des 'Dresdner Anzeigers' vom 28. Juni 1910 wurde der 'Protest' des Mohawk-Indianers veröffentlicht. In dem Artikel, der von Brant-Sero unterzeichnet, von Lebius aber initiiert und wahrscheinlich auch verfaßt wurde, hieß es unter anderem: "Niemals in meinem ganzen Leben kam mir - ich bitte um Verzeihung - so eine dämliche Karikatur meines Volkes vor Augen".97

   Das Indianerbild in Winnetou IV war gemeint! In seinem Flugblatt Herr Rudolf Lebius, sein Syphilisblatt und sein Indianer (Ende Juni 1910)98 wies May die Attacke zurück und deckte - gerade auch im Blick auf Winnetou IV, sein wohl bestes und zweifellos wichtigstes Indianerbuch - die gröbsten Entstellungen Brant-Seros bzw. des Lebius auf.


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10.12.3

Das Prozeßgeschehen (ab 1909)


Die May-Hetze war zum Teil nur die Kehrseite all der Gerichtsprozesse, die der Schriftsteller seit 1901 geführt hatte bzw. zu führen gezwungen war. Sein gefährlichster Gegner, bis Ende 1911, war nach wie vor Lebius - während der Streit mit Pauline Münchmeyer nur noch die Höhe der Entschädigung99 zum Gegenstand hatte: Ende 1909 wurde das Schadensersatzverfahren gegen Frau Münchmeyer wieder aufgenommen; doch den Abschluß dieses Prozesses erlebte May nicht mehr.

   Die Anzeige Dr. Gerlachs "wegen Meineids bzw. Verleitung zum Meineid" (15.4.1907)100 hatte sich, erwartungsgemäß, inzwischen erledigt - in einer Weise allerdings, die für May nicht vollends befriedigend war: Am 26. Januar 1909 wurde die Voruntersuchung, nach eineinhalbjähriger Dauer, "mangels Beweises" eingestellt und der Schriftsteller "außer Verfolgung gesetzt".101 Heinz Stolte bemerkt dazu: "Es ist genugsam bekannt, was eine solche Formel bedeutet. Sie ist, da sie nicht auf 'erwiesener Unschuld' gründet, [...] immer noch keine volle Rehabilitierung, eher eine moralische Verunglimpfung."102

   Ähnlich verhielt es sich mit der Anzeige Louise Häußlers wegen "betrügerischer Handlungen zur Ermöglichung der Ehescheidung" (9.10.1903). Da es gegen Klara und Karl May keine Beweise gab und Emma die Aussage verweigert hatte, war dieses Verfahren schon am 30.12.1903 eingestellt worden.103 Auf Betreiben der nunmehrigen Frau Louise Achilles verw. Häußler wurde die Anzeige im Mai 1909 erneut untersucht. Erich Wulffen, der zuständige Dresdner Staatsanwalt und bekannte Kriminalpsychologe, stellte dieses Verfahren am 24. September 1909 dann endgültig ein, da die Gemütsverfassung der mittlerweile kränklichen Emma Pollmer (die "als alleinige Zeugin" in Frage kam) "keine ganz normale" sei.104

   Wirklich geklärt war mit dieser Entscheidung aber natürlich nichts; zum Jubel hatte May keinen Grund. Und auch im Rechtsstreit mit Lebius hatte der Dichter nur teilweise Erfolg. Gegen den Pressemann, aber auch gegen Emma Pollmer und den Ernstthaler Gartenarbeiter Richard Krügel hatte May diverse Klagen erhoben: wegen Beleidigung und haltloser Verdächtigung. Mit Lebius kam es, im Mai 1909, vor dem Schöffengericht Berlin-Schöneberg zu einem Vergleich: gegen das Versprechen beider Parteien, "in Zukunft Frieden zu halten".105 Da Lebius den Schriftsteller aber weiterhin diffamierte, stellte May - am 10. Januar 1910 - erneut einen Strafantrag: beim Amtsgericht Dresden. Den Ausgang dieses Verfahrens hat er nicht mehr erlebt.

   Allerdings war es May, Ende 1909 und Anfang 1910, gelungen, von seiner früheren Ehefrau Emma - der er im März 1909 die Rente entzogen hatte - gegen Wiedergewährung der Rente (in verringerter Höhe) interessante Erklärungen zu bekommen: Daß ihr Vertrauen durch Lebius mißbraucht worden sei, versicherte nun Frau Pollmer; Lebius sei "ein Schuft, der über Leichen geht",106 erklärte Frau Emma sogar.

   Außerdem, und dies war bedeutsamer, konnte May am 9. August 1910 - vor dem Schöffengericht in Hohenstein-Ernstthal - öffentlich klären lassen, daß Richard Krügel von Lebius getäuscht worden war: Der Journalist hatte behauptet, nur Stoff für humoristische Kalendergeschichten zu sammeln;107 auf diese Weise hatte er den Krügel zum Reden gebracht! Die Räuberhauptmann-Stories waren, wie sich herausstellte, Erfindungen des Louis Napoleon Krügel, des verstorbenen Bruders von Richard.108 Dieser hatte, 1909 in Ernstthal, die Fabeleien seines Bruders dem Zeitungsmann weitererzählt. Da Richard Krügel die Räubergeschichten vor dem Schöffengericht widerrief (worauf die Presse, mit


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Ausnahme des sozialdemokratischen 'Vorwärts', kaum reagierte!109), zog May seine Klage zurück.

   Was das Hauptverfahren gegen Lebius betraf, war die prozessuale Situation Karl Mays, nach diesem Erfolg, keineswegs ungünstig. Doch zuvor, im Frühjahr 1910, hatte der Dichter, auf einem Nebenschauplatz des Kampfes, aufgrund einer gerichtlichen Fehlentscheidung eine böse Niederlage erlitten. Vorausgegangen war ein Drohbrief des Lebius (vom 12.11.1909) an die Weimarer Kammersängerin Selma vom Scheidt, einer Freundin Emma Pollmers.

   In diesem, allerdings privaten und vergleichsweise unbedeutenden, Brief bezeichnete Lebius den Schriftsteller als "geborenen Verbrecher"!110 Mit dieser Formulierung griff der Journalist eine Theorie des Kriminologen Cesare Lombroso auf, dessen Thesen er schon 1906 - in seinem Artikel Atavistische und Jugendliteratur - gegen May verwendet hatte.111 Schon damals hätte das Verhalten des Lebius "als schwere öffentliche Beleidigung [...] bestraft werden müssen."112

   Selma vom Scheidt (1874-1959), die zwischen Emma und Karl May zu vermitteln versuchte, übergab den Brief an den Schriftsteller, der umgehend - am 17. Dezember 1909 - eine weitere Privatklage gegen Lebius erhob: beim Schöffengericht Berlin-Charlottenburg. Am 12. April 1910, dem "schwärzesten Tag in Mays Alter",113 reiste der Kläger zur Verhandlung nach Charlottenburg. Einen Rechtsanwalt zu bemühen (mit Bernstein hatte er im Dezember 1908, aus geschäftlichen Gründen, gebrochen114), hielt May für überflüssig: "Die Beleidigung erschien mir so klar erwiesen, [...] daß es gewiß keines Advokaten bedurfte, die Notwendigkeit einer Bestrafung einzusehen."115

   Es kam jedoch völlig anders. Dem Lebius stand, neben zwei weiteren Anwälten, Paul Bredereck zur Seite (der 1912, wegen Veruntreuung von Mündelgeldern, selbst gerichtlich verfolgt wurde, nach Brasilien floh und 1920, als kurzzeitiger Justizminister und Pressechef, zu den Mitverantwortlichen des Kapp-Putsches zählte116). Bredereck, der sämtliche Verleumdungen des Lebius gegen May aufs neue servierte, gelang es, vom Gericht einen Freispruch zu erwirken - obwohl der Vorsitzende, der betagte Amtsrichter Wessel, bereits eine Verurteilung des Lebius zu 15 Mark Geldstrafe verkündet hatte. Den ältlichen Richter, der dem Prozeß nicht gewachsen war,117 unterbrach der Rechtsanwalt mit der Bemerkung, er habe nicht ausreichend plädieren können. Der Vorsitzende ließ den Verteidiger reden und revidierte das Urteil: Freispruch für Lebius wegen "Wahrnehmung berechtigter Interessen" (§ 193 StGB)!

   In der Urteilsbegründung hieß es, die Bezeichnung 'geborener Verbrecher' sei "erst neuerdings auf Grund der von Lombroso gemachten Untersuchungen in die gerichtlichmedizinische Wissenschaft eingeführt"118 worden. Ob diese Bezeichnung im Falle Mays wirklich zutreffe, sei nicht Gegenstand der Gerichtsverhandlung gewesen. Wegen "der Anwendung des fachmännischen Ausdrucks"119 sei dem Lebius-Brief, so meinte das Gericht, keine Beleidigungsabsicht zu entnehmen - zumal der Journalist ja seine "eigenen Interessen wie auch diejenigen der geschiedenen Frau Mays wahrgenommen habe."120

   Wie Claus Roxin überzeugend erörterte, war die - in den Folgen für May so verheerende (weil von der Presse mißdeutete und in schamloser Weise gegen den Dichter verwendete) - Charlottenburger Entscheidung ein glattes Fehlurteil:


Richtigerweise kam von vornherein nur eine Formalbeleidigung in Betracht, denn Lombrosos schon damals sehr umstrittene und inzwischen längst widerlegte Theorie von der Existenz geborener Verbrecher konnte als diskriminierender Ausdruck im privaten Briefverkehr eines kriminologisch völlig ungebildeten Menschen nicht als Behauptung beweisbarer Fakten gelten. Wenn das Gericht aber einmal annahm, hier sei ein Faktum angesprochen, das durch Sachverständige hätte


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geklärt werden können, dann hätte der Wahrheitsbeweis erhoben werden müssen, bevor auf § 193 StGB zurückgegriffen wurde [...] Bei einer Beweisaufnahme hätte sich dann ohne weiteres ergeben, daß ein Mensch, dessen letzte Straftat mehr als 40 Jahre zurücklag, der sich inzwischen zu Ansehen und Wohlstand emporgearbeitet hatte und außerdem nicht ein einziges der von Lombroso angenommenen Merkmale aufwies, keineswegs ein geborener Verbrecher sein konnte.121


Auch der Zweifel des Gerichts an der Beleidigungsabsicht des Angeklagten konnte den Freispruch in keiner Weise begründen. "Denn erstens kann natürlich eine Beleidigung nicht dadurch gerechtfertigt werden, daß man sie in fachmännische Ausdrücke kleidet [...] Und zweitens ist [...] eine Beleidigungsabsicht für eine Formalbeleidigung überhaupt nicht erforderlich [...]"122

   Die Folgen des Charlottenburger Urteils - die Presseberichte - waren für May, wie gesagt, katastrophal. Seine Kraft schien, nach diesem Fiasko, nun endgültig erschöpft: "Zehn Jahre lang täglich viermal ganze Stöße von Briefen und Zeitungen erhalten, die von Gift und Hohn und Schadenfreude überfließen, das hält kein Simson und kein Herkules aus."123 Seine physische Energie war gebrochen. Nur sein "Gottvertrauen" und seine "Menschenliebe" sind, wie er beteuert, "nicht ins Wanken gekommen"124


10.12.4

Mein Leben und Streben (1910) - Eine Prozeßschrift?


Der achtundsechzigjährige Karl May war körperlich ein gebrechlicher Greis. Er konnte nicht schlafen und kaum mehr essen:


Dafür aber Schmerzen, unaufhörliche, fürchterliche Nervenschmerzen, die des Nachts mich emporzerren und am Tage mir die Feder hundertmal aus der Hand reißen! Mir ist, als müsse ich ohne Unterlaß brüllen, um Hilfe schreien. Ich kann nicht liegen, nicht sitzen, nicht gehen und nicht stehen, und doch muß ich das alles. Ich möchte am liebsten sterben, sterben, sterben, und doch will ich das nicht und darf ich das nicht, weil meine Zeit noch nicht zu Ende ist. Ich muß meine Aufgabe lösen.125


In Mays Selbstbiographie finden sich diese Sätze. Mein Leben und Streben (An Marterpfahl und Pranger sollte der Titel ursprünglich heißen!) wurde - zugleich mit den 'Freistatt'-Artikeln126 gegen Pöllmann - im Anschluß ans Charlottenburger Urteil verfaßt und steht, im Schlußteil, mit den gerichtlichen Auseinandersetzungen des Autors im unmittelbaren Zusammenhang. Mit dem Zusatz Band I - die Fortsetzung war geplant, wurde aber nicht mehr geschrieben - erschien dieses Buch in Freiburg, bei Fehsenfeld, im Spätherbst 1910. Auf Antrag des Prozeßgegners Lebius (den May in seinem Buch attackierte) wurde das Werk schon am 16. Dezember 1910 durch die Einstweilige Verfügung des Amtsgerichts Freiburg blockiert; und Ende Januar 1911 wurde es, vom Berliner Landgericht I, schließlich verboten: nach dem Verkauf von erst 500 Exemplaren. Erst nach dem Tode des Autors konnte dessen Witwe eine, um knapp 20% gekürzte, Neufassung herausbringen (2. Auflage 1912).127

   Wenn May, im Brief vom 14.11.1910 an Fehsenfeld, meinte, Mein Leben und Streben sei "so geschrieben, daß es mir die Prozesse gewinnen hilft. Es hat nur diesen einen Zweck, weiter keinen, trotz des hohen biographischen und psychologischen Werthes, den es besitzt"128 so trifft diese Zielbestimmung nur teilweise (in den Schlußpartien) zu: Natürlich wollte May seine Prozesse gewinnen und natürlich wollte er die Leser seiner Autobiographie für sich - für die Wahrheit, wie ER sie sah - einnehmen; aber ein Werk, das menschliche Bedeutung, religiöse Tiefe und poetischen Rang besitzt, dessen Zweck erschöpft sich nicht im Gewinnen von Rechtsstreitigkeiten und nicht im Erhaschen von Mitleid mit dem Verfasser.


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Die - in der Sekundärliteratur nicht selten vertretene - Auffassung, die psychische Energie und die literarische Schaffenskraft Karl Mays seien nach dem Charlottenburger Fiasko zusammengebrochen, wird durch Mein Leben und Streben sehr eindrucksvoll widerlegt. Nach dem Abschluß von Winnetou IV im Frühjahr 1910 konnte May zwar keine Romane mehr schreiben (Winnetous Testament und weitere Fortsetzungsbände waren geplant129); doch die Selbstbiographie - ein Erzählwerk, im weiteren Sinne, auch sie - gehört, vom Prozeß-Kapitel abgesehen, zu den schönsten und literarisch wertvollsten Büchern des Dichters:130 insofern mit den besten poetischen Werken Karl Mays wohl vergleichbar.

   Zudem ist die Selbstbiographie, auf weite Strecken hin, wie Winnetou IV ein Zeugnis der Versöhnung, der Liebe zu Gott und den Menschen. Nicht nur seine Widersacher, sondern vor allem sich selbst, seinen Hang zur Selbstüberhebung hat May in der Autobiographie (wie im späten Erzählwerk) bekämpft. Und an die Prozeßgegner gewandt, schrieb der Dichter: "Ich zürne Euch nicht, denn ich weiß, es mußte so sein Ich bin nicht verbittert, denn ich kenne meine Schuld."131


10.12.5

"Und ich halte Herrn May für einen Dichter" (1911)


Wie jeder Mensch ist auch May, im Lauf seines Lebens, schuldig geworden. "Hast du die Liebe", die "wirkliche" die "richtige Liebe?" Dieser Frage hat sich im Jenseits-Buch (1899) der Ich-Erzähler zu stellen.132 Vor dieser Frage, der Frage aller Fragen, mußte auch May zuletzt wohl verstummen. Paulinisch gesehen gab es für ihn, wie für jeden, nur EINE Rettung: Vergebung durch Gott aufgrund von Gnade allein (vgl. Röm 3, 23ff.). Daß May, als Christ, sich dieser Gnade nicht widersetzt hat, dies dürfen wir hoffen.

   Auf einer ganz anderen Ebene liegt die Schuldfrage im juristischen Sinne. Daß May in der Auseinandersetzung mit Lebius im Recht war, steht fest. Eine gerichtliche Genugtuung - und damit eine letzte Wende in seinem Leben - war dem Schriftsteller, kurz vor seinem Tode, doch noch vergönnt: Das Landgericht III in Berlin-Moabit revidierte die Entscheidung des Charlottenburger Schöffengerichts.

   Gegen den Freispruch des Journalisten hatte May natürlich Berufung eingelegt. Im Juni 1910 ließ er die, 48 Textseiten enthaltende, Erstfassung seiner Verteidigungsschrift zur Berufungssache May-Lebius im Privatdruck vervielfältigen. Die auf den dreifachen Umfang erweiterte Zweitfassung An die 4. Strafkammer des Königl. Landgerichtes III in Berlin (3.12.1911)133 ergänzte - als Replik auf die Lebius-Streitschrift Die Zeugen Karl May und Klara May - den ursprünglichen Text um notwendige Klarstellungen (zu Lebius' Pamphlet) und um wichtige biographische Mitteilungen. Diese Neufassung, die auch zahlreiche Erzählpassagen enthält, wurde die letzte (erst 1982 veröffentlichte) Schriftsteller-Arbeit unseres Autors.134

   Aufgrund der vielen Erkrankungen Mays135 hatte sich das Berufungsverfahren bis zum 18. Dezember 1911 verzögert. Aus der Feder des May-Kenners Rudolf Beissel (1894-1986), der der Verhandlung beigewohnt und detaillierte Notizen gemacht hatte, besitzen wir einen ausführlichen Bericht,136 auf den sich die folgende Darstellung stützt.

   Zur Gerichtsverhandlung in Berlin-Moabit erschien Karl May in Begleitung von renommierten Verteidigern: Rechtsanwalt Franz Rudolf Netcke (Dresden) und Justiztat Dr. Erich Sello (Berlin), dessen Buch Die Irrtümer der Strafjustiz und ihre Folgen (1911) in Fachkreisen noch heute bekannt ist und dessen Verbindung mit May der Publizist Maximilian Harden vermittelt hatte.137 Geleitet wurde das Verfahren von Landgerichtsdirektor


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Ehrecke, einem verständigen, sehr menschlich denkenden Richter, der sich mit dem 'Fall May' offenbar gründlich beschäftigt hatte.

   Die Sitzung eröffnete Theodor Ehrecke mit einem Gebet. Vor Beginn der Verhandlung riet er zu einem ehrenvollen Vergleich: "Es handle sich in diesem Prozeß doch nur um eine Bagatelle, gewissermaßen um einen Nadelstich gegenüber den Keulenschlägen, die in den anderen schwebenden Prozessen geführt würden."138 Dem Kläger May gab Ehrecke zu bedenken: Es werde kaum zu vermeiden sein, den einmal vorhandenen dunklen Punkt in seinem Vorleben zu berühren. Dieser dunkle Fleck sei durch die Verdienste des Autors ja durchaus verblaßt und könne seinen Ruhm nicht verkleinern; doch möge May daran denken, daß durch das Waschen im Gerichtssaal der dunkle Punkt nicht beseitigt, sondern nur gelbe Ränder bekommen würde.

   May erklärte, wegen des Fleckens auf seiner weißen Weste sei ihm nicht bange; aber zum Vergleich sei er dennoch bereit, da der Gegenstand des Verfahrens - der Lebius-Brief vom November 1909 an Fräulein vom Scheidt - tatsächlich eine relativ unbedeutende Sache sei. Lebius aber und dessen Verteidiger Bredereck lehnten einen Vergleich ab.

   Lebius' gesamte Erscheinung hatte, nach den Eindrücken des Beobachters Rudolf Beissel, etwas Böses, Mephistohaftes an sich. Der Vorsitzende Richter aber nahm ein Buch in die Hand und sagte: "Herr May hat mir dieses Buch überreicht, in dem er sich als gläubigen Christen bezeichnet [...] und alles auf sich nehmen will, um seinen Lebensabend in Ruhe zu verbringen." Der Richter verwies auf ein Gedicht in Karl Mays Buch und stellte die Frage: "Ein christliches Gebot lautet: 'Liebet eure Feinde, tut wohl denen, die euch verfolgen!' Wie reimt sich nun mit dieser Gottergebenheit die Privatklage zusammen?"139

   May, der die Bergpredigt Jesu als verpflichtende Norm betrachtete,140 gab dem Richter die Antwort: Ja, er sei ein gläubiger Christ; damit solle aber "nicht gesagt werden, daß nun alle Welt nach Belieben auf mich losschlagen darf. Es handelt sich um meine Ehre. Wenn ich mich nicht verteidigte, wäre ich kein Christ, sondern ein Lump! "141

   Die Verhandlung begann. Vernommen wurden, bis zum Abend, außer dem Kläger und dem Beklagten auch mehrere Zeugen: darunter Fräulein vom Scheidt, Frau Achilles verw. Häußler und Emma Pollmer.

   Lebius stellte heraus, seine politischen Gegner - die Sozialdemokraten - hätten sich auf Karl May berufen;142 aus reiner Notwehr habe er die Glaubwürdigkeit dieses Autors erschüttern müssen. Er wiederholte dann, wie zuvor schon Bredereck, die gesamte Litanei von Mays "pathologischer Lügenhaftigkeit". Das meiste, was er vorbrachte, waren haltlose Behauptungen und gerichtlich schon widerlegte Verleumdungen. Einiges aber stimmte. Denn Lebius wußte mittlerweile ziemlich genau über Mays Vergangenheit Bescheid. Das ganze Leben des Schriftstellers mit all den dunklen Punkten (wie Vorstrafen, falscher Doktortitel, Old Shatterhand-Legende, undurchsichtige Begleitumstände bei der Ehescheidung) kam erneut auf den Tisch.

   Doch May wirkte ruhig und gefaßt. Sympathisch und würdevoll trat er auf. Im Schlußwort beteuerte er: Daß der gegnerische Anwalt ihn für einen Verbrecher halte, nehme er diesem nicht übel; denn er, Karl May, habe als Mensch ja wirklich gefehlt. Was seine Jugenddelikte betraf, bekannte er sich als schuldig. Er verwahrte sich aber energisch gegen die altbekannten Unterstellungen des Journalisten und seines Anwalts: Die 'Meineide', die 'Räuberhauptmann'-Geschichten, die 'unsittlichen Romane' usw. seien erfunden - um den Dichter in den Schmutz zu ziehen.

   Das Gericht teilte die Überzeugung der Anwälte Mays: In seiner Polemik gegen den Kläger, aber auch im Verhalten gegen Frau Pollmer habe Lebius nur selbstsüchtig und


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mit größter Bedenkenlosigkeit gehandelt. Auch der Brief an Selma vom Scheidt sei eine grobe Beleidigung Karl Mays. Mit Rücksicht auf die Schwere der Diffamierung verurteilte das Gericht den Journalisten zu 100 Mark Geldstrafe, ersatzweise 20 Tagen Gefängnis; auch die Kosten des Verfahrens mußte Lebius tragen.

   Nach Wollschläger brachte der Moabiter Prozeß "Mays endgültigen Sieg über den Bösesten der Feinde; obwohl damit nur eins der ausstehenden Urteile, und formell fast ein nebensächliches, gefallen ist, entscheidet es doch sämtliche noch nebelhaft schwebenden Fälle mit."143 May selbst hat es ähnlich gesehen: "Diesem kleinen Siege folgen nun die größeren."144 Die größeren Siege, "die zu einer Verurteilung des Lebius auch wegen seiner zahlreichen sachlichen Falschbeschuldigungen geführt hätten, wären wohl tatsächlich gefolgt"145 - wenn May nur länger gelebt hätte.

   Es steht - nach Roxin -


außer Zweifel [...], daß Lebius verurteilt worden wäre[...] Unsicher ist lediglich, ob man Lebius ein Handeln 'wider besseres Wissen' und damit eine Verleumdung nach § 187 StGB hätte nachweisen können, denn die Einlassung des Lebius, er habe an die Wahrheit der ihm von Krügel erzählten Geschichten geglaubt, hätte sich möglicherweise nicht widerlegen lassen. Umso sicherer aber wäre eine Verurteilung wegen übler Nachrede nach § 186 StGB gewesen. Denn danach wird, wer eine ehrenrührige Tatsache über einen anderen behauptet oder verbreitet, schon dann bestraft, wenn diese Tatsache 'nicht erweislich wahr ist'; und diesen Wahrheitsbeweis hätte Lebius [...] niemals führen können.146


Die üble Nachrede des Pressemannes lief auf die moralische Existenzvernichtung eines Menschen hinaus. "Da es sich hier um [...] einen sehr schweren Fall handelte, hätte Lebius mit einer Gefängnisstrafe rechnen müssen": mit einer Freiheitsstrafe "bis zu zwei Jahren".147

   Doch zur Eröffnung des eigentlichen Hauptverfahrens gegen Lebius konnte es, wie gesagt, aufgrund des Ablebens Karl Mays nicht mehr kommen. Immerhin: noch vor dem Tode des Dichters ließ die May-Hetze nach und begann, "an sich selbst zu ersticken".148 Das Verfahren in Moabit hatte dazu entscheidend beigetragen.

   Die wesentliche Bedeutung dieses Prozesses sieht Roxin in der Wirkung auf die literarische Öffentlichkeit.149 Mit Bezug auf die Shatterhand-Legende hatte der Richter Ehrecke im Verlauf der Verhandlung gemeint: "Aber ein Verbrechen wären doch solche phantastischen Dinge bei einem Dichter nicht. Und ich halte Herrn May für einen Dichter."150 Dieser denkwürdige Ausspruch des Juristen wurde, wie wir sehen werden, noch zu Lebzeiten Mays von maßgebenden Literaten bestätigt.



Anmerkungen


1Karl May: Briefe an Karl Pustet und Otto Denk. Mit einer Einführung von Hans Wollschläger. In. JbKMG 1985, S. 15-62 (S. 31, Mays Brief vom 31.12.1908 an Karl Pustet).
2Claus Roxin in einem Brief vom 26.1.1992 an den Verfasser. - Wie Prinzessin Wiltrud in ihrem (bisher nicht veröffentlichten, von Ulrich Schmid dem Verfasser in Abschrift zugesandten) Tagebuch vom 11.12.1909 bemerkt, hat May ihr "brieflich und mündlich" mitgeteilt, daß er 1908 "von einem Siux [...] mit Lanze verwundet worden" sei! - Sollte May tatsächlich, noch 1909 in München (vgl. unten, S. 586), solche Geschichten erzählt haben? Oder hat Wiltrud - die auch damals noch fest an die 'Old Shatterhand-Legende' glaubte - eine scherzhafte Bemerkung Mays für bare Münze genommen? In den brieflichen Äußerungen Mays, soweit sie bekannt sind, findet sich jedenfalls nirgendwo die Sioux-Lanzen-Geschichte.
3Vgl. Udo Kittler: "Ein Fall allerersten Ranges" II. In: MKMG 90 (1991), S. 16-23 (S. 21, Brief des Psychiaters Dr. Näcke vom 1,1.1909 an Klara May): Geheimrat Hänel, ein Vetter Frau Näckes, hat May operiert.
4May: Briefe, wie Anm. 1, S. 31 - Vgl. Karl May: Briefe an Paul Rentschka. Mit Einleitung und Anmerkungen von Ernst Seybold. In: JbKMG 1987, S. 160-171 (S. 163, Mays Brief vom


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22.12.1908 an Rentschka) - Ders.: Briefe an das bayerische Königshaus. In: JbKMG 1983, S. 76-122 (S. 113, Mays Brief vom 18.4.1909 an Prinzessin Wiltrud).
5Vgl. Christian Heermann: Der Mann, der Old Shatterhand war. Eine Karl-May-Biographie. Berlin 1988, S. 328.
6Claus Roxin: Ein 'geborener Verbrecher'. Karl May vor dem Königlichen Landgericht in Moabit. In: JbKMG 1989, S. 9-36 (S. 24).
7Zit. nach ebd. - Vgl. unten, S. 535.
8Gerhard Henniger: (Rezension zu) Heermann, wie Anm. 5, in: Weimarer Beiträge. 36. Jg. (1990), Heft 6, S. 1051-1054 (S. 1053), macht gegen Heermann geltend, daß May kein der Sozialdemokratie politisch nahestehender Mensch gewesen sei. Heermann ist aber doch darin zuzustimmen, daß in Mays Spätwerk eher 'linke', pazifistische Positionen bezogen werden. - Im September 1907 fand in München der 16. Internationale Friedenskongreß statt, zu dessen Vorbereitung die pazifistische Zeitschrift 'La paix par le droit' eine Umfrage startete, in die auch May einbezogen wurde. In seiner Antwort (in französischer Sprache) nahm er positiv zur damaligen Friedensbewegung Stellung. Mays Text ist wiedergegeben im JbKMG 1970, S. 156-159. - Vgl. Walther Ilmer: Sur le rapprochement Franco-Allemand. In: Karl-May-Handbuch. Hrsg. von Gert Ueding in Zusammenarbeit mit Reinhard Tschapke. Stuttgart 1987, S. 551. - Vgl. unten, S. 547f.
9Nach Heermann, wie Anm. 5, S. 328.
10Ebd., S. 318f.
11Vgl. - in der 'Germania' vom 24.8.1907 - Carl Küchler: Ist Karl May rehabilitiert? Wiedergegeben bei Bernhard Kosciuszko: Im Zentrum der May-Hetze. Die Kölnische Volkszeitung. Materialien zur Karl-May-Forschung, Bd. 10. Ubstadt 1985, S. 180ff. - Auf diese Polemik antwortete May umgehend mit seinem Flugblatt Ist Cardauns rehabilitiert?; dazu Walther Ilmer - Reinhard Tschapke: 'An die deutsche Presse' und andere Flugblätter. In: Karl-May-Handbuch, wie Anm. 8, S. 547ff. (S. 548).
12May: Briefe an Rentschka, wie Anm. 4, S. 163.
13Vgl. Heermann, wie Anm. 5, S. 323.
14Vgl. oben, S. 404.
15Karl May: Der Zauberteppich. In: KMJB 1923. Radebeul 1922, S. 12-16 (S. 14) - Dazu Max Finke: Aus Karl Mays literarischem Nachlaß. In: KMJB 1923, S. 17-35 (S. 17ff.) - Ekkehard Bartsch: 'Und Friede auf Erden!'. Entstehung und Geschichte. In: JbKMG 1972/73, S. 93-123 (S. 105f.) - Hermann Zieger - Joseph Kürschner: Briefe über Karl Mays Roman 'Et in lerra pax'. In: JbKMG 1983, S. 146-196 (S. 165f.).
16Karl May: Und Friede auf Erden! Gesammelte Reiseerzählungen, Bd. XXX. Freiburg 1904, S. 219 - Vgl. unten, S. 619f.
17Paul Rentschka: Karl Mays Selbstenthüllung. Mit Einleitung und Anmerkungen von Ernst Seybold. In: JbKMG 1987, S. 138-159 (S. 140).
18Ebd., S. 148.
19Ebd., S. 140.
20Ebd., S. 147.
21Ebd., S. 146.
22Ebd., S. 149.
23Vgl. Hainer Plaul: Literatur und Politik. Karl May im Urteil der zeitgenössischen Publizistik. In: JbKMG 1978, S. 174-255 (S. 206ff.).
24Dieses Dekret wird auch der Neue Syllabus genannt, weil es den Syllabus errorum (eine Sammlung von 80 durch Papst Pius IX. verurteilten 'Zeitirrtümern') ablöste.
25R. Scherer: Modernismus. In: Lexikon für Theologie und Kirche VII. Hrsg. von Josef Höfer und Karl Rahner. Freiburg 21962, Sp. 513.
26Vgl. Plaul: Literatur und Politik, wie Anm. 23, S. 208ff. - Vgl. unten, S. 542f.
27Vgl. oben, S. 394.
28Vgl. Hermann Wohlgschaft: Mays Friede-Roman und die Lehre der Kirche. In: MKMG 83 (1990), S. 18-24; vgl. auch die Ausführungen Ernst Seybolds im JbKMG 1987, S. 138f., 150-160, 166-171.
29Zur theologischen Interpretation des Friede-Romans vgl. unten, S. 612ff.
30May: Briefe an Rentschka, wie Anm. 4, S. 166.
31Ebd., S. 162.
32Ebd., S. 165.


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33"Evolutionistenthum" (ebd.) ist ein vager Begriff, der auch atheistische und materialistische Vorstellungen implizieren könnte; wenn man dies berücksichtigt, wird Mays Aussage verständlich und glaubhaft.
34May: Briefe an Rentschka, wie Anm. 4, S. 165f.
35Wie Anm. 4.
36Vgl. Seybold: Anmerkungen, wie Anm. 4, S. 166 (Anm. 2); vgl. oben, S. 394.
37Hans Wollschläger: Karl May. Grundriß eines gebrochenen Lebens. Zürich 1976, S. 152.
38Bartsch: Und Friede auf Erden!, wie Anm. 15, S. 111 f.
39Karl May in einem undatierten Brief (1906) an Sascha Schneider; zit. nach Hansotto Hatzig: Karl May und Sascha Schneider. Dokumente einer Freundschaft. Beiträge zur Karl-May-Forschung 2. Bamberg 1967, S. 111.
40May. Briefe an Pustet und Denk, wie Anm. 1, S. 15-62; vgl. oben, S. 505.
41Karl May: Auch "über den Wassern". Mit Anmerkungen von Hansotto Hatzig und Ekkehard Bartsch. In: JbKMG 1976, S. 230-272 (S. 237) - Dazu Claus Roxin: Karl Mays 'Freistatt'-Artikel. Eine literarische Fehde. In: JbKMG 1976, S. 215-229 (S. 222).
42Vgl. oben, S. 227.
43Gerade auch der Friede-Band!- Vgl. unten, S. 612ff.
44Nach Arno Schmidt: Abu Kital. Vom neuen Großmystiker (1958). In: Karl May. Hrsg. Von Helmut Schmiedt. Frankfurt/M. 1983, S. 45-74 (S. 54), kam Mays Friede-Band auf den Index des Borromäusvereins, des damals größten katholischen Volksbildungswerks!
45Klaus Farin: Karl May. Ein Popstar aus Sachsen. München 1992, S. 107 (Anm. 13).
46Die Rentschka-Bearbeitung kam 1922 auf den Markt. 1938 gab es eine weitere Neufassung: von Otto Eicke bearbeitet. - Vgl. Bartsch: Und Friede auf Erden!, wie Anm. 15, S. 113f.
47Pfarrer Wolfgang Hammer bereitet eine solche Untersuchung vor. Nach der mündlichen Auskunft Hammers (1991 bei der Tagung der KMG in Wiesbaden) sind Rentschkas Textveränderungen weniger schwerwiegend, als in der May-Forschung bisher angenommen wurde.
48Nach der Sterbechronik über Pöllmann zu schließen. Der Text findet sich auszugsweise bei Hansotto Hatzig: Streiflichter zur Kontroverse May - Pöllmann. Eine Materialiensammlung. in: JbKMG 1976, S. 273-286 (S. 280ff.).
49Ebd., S. 282.
50Ebd.
51Ansgar Pöllmann: Neuestes von Karl May - Kreuz- und Querzüge durch die neuere katholische Poesie XII. In: Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland. Bd. 127. München 1901, S. 823ff.; wiedergegeben bei Kosciuszko, wie Anm. 11, S. 83ff.
52Wiedergegeben bei Gerhard Klußmeier: "Darum drehen wir den Strick ... ". Die Pressefehde Karl Mays mit Pater Ansgar Pöllmann in der Radolfzeller 'Freien Stimme'. In: JbKMG 1979, S.322-337.
53Über den Wassern. Halbmonatsschrift für schöne Literatur. Hrsg. von Expeditus Schmidt. 3. Jg. 1910 - Pöllmanns Artikelserie erschien von Januar bis Mai 1910.
54Plaul: Literatur und Politik, wie Anm. 23, S. 198.
55Belegt ebd., S. 200.
56Zit. nach ebd.
57Näheres bei Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg 1910. Hrsg. von Hainer Plaul. Hildesheim, New York 21982, S. 489 (Anm. 363).
58Ansgar Pöllmann-. Ein Abenteurer und sein Werk. In: Über den Wassern, wie Anm. 53, S. 272.
59Ebd., S. 271-280.
60Vgl. Klußmeier: "Darum drehen wir den Strick... ", wie Anm. 52, S. 332.
61Pöllmann: Ein Abenteurer, wie Anm. 58, S. 236.
62Ebd., S. 61 ff.
63Vgl. oben, S. 378.
64Pöllmann in der 'Freien Stimme' (6.2.1910); zit. nach Klußmeier: "Darum drehen wir den Strick... ", wie Anm. 52, S. 332.
65Roxin: 'Freistatt'-Artikei, wie Anm. 41, S. 217f.
66Pöllmann: Ein Abenteurer, wie Anm. 58, S. 132.
67May: Auch "über den Wassern", wie Anm. 41, S. 243ff. - Ders.: Mein Leben und Streben, wie Anm. 57, S. 221ff.


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68Roxin: Freistatt-Artikel, wie Anm. 41, S. 221.
69Vgl. Pöllmanns Zusammenstellung, wiedergegeben bei Hatzig: Streiflichter, wie Anm. 48, S. 276f.
70Roxin: Freistatt-Artikel, wie Anm. 41, S. 221.
71Gerhard Klußmeier - Hainer Plaul (Hrsg.): Karl May. Biographie in Dokumenten und Bildern. Hildesheim, New York 1978, S. 236.
72Vgl. unten, S. 612ff.
73Pöllmann: Ein Abenteurer, wie Anm. 58, S. 97.
74Ebd., S. 274.
75Ebd., S. 278.
76May: Auch "über den Wassern", wie Anm. 41, S. 261.
77Ebd.
78Wie Anm. 41.
79Roxin: 'Freistatt'-Artikel, wie Anm. 41, S. 219.
80May: Auch "über den Wassern", wie Anm. 41, S. 232.
81May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 57, S. 259 u.ö.
82Vgl. Klußmeier: "Darum drehen wir den Strick ...", wie Anm. 52, S. 323 - Heermann, wie Anm. 5, S. 322f.
83Zit. nach Plaul: Karl May, wie Anm. 57, S. 486 (Anm. 360).
84Amand v. Ozoróczy: Pöllmann im Jahrbuch der KMG 1976. In: MKMG 30 (1976), S. 10f. (S. 11).
85Vgl. Klußmeier - Plaul, wie Anm. 71, S. 217: Schober hat "vermutlich viel dazu beigetragen [...], daß in der Beleidigungssache May gegen Pater Beßler eine für beide Seiten annehmbare Lösung gefunden wurde." - Vgl. oben, S. 396.
86Ozoróczy, wie Anm. 84, S. 10.
87Wollschläger: Karl May, wie Anm. 37, S. 201 (Anm. 243).
88Der Artikel ist wiedergegeben im JbKMG 1980, S. 143-147.
89Roxin: Verbrecher, wie Anm. 6, S. 24.
90Vgl. Kosciuszko, wie Anm. 11, S. 222f.
91Im November 1910 erschienen. - Im Jahre 1991 wurde das Buch als Reprint (mit einer Einführung von Jürgen Wehnert) erneut publiziert: Lütjenburg 1991.
92Näheres bei Plaul: Karl May, wie Anm. 57, S. 374f. (Anm. 119) - May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 57, S. 309, bezeichnete Wulffens Verhalten als "Vivisektion"!
93Erich Wulffen: Der Läuterungsgedanke bei Karl May. In: KMJB 1923. Radebeul 1922, S. 109-122 (S. 109f.) - Dazu Claus Roxin: Vorläufige Bemerkungen aber die Straftaten Karl Mays. In: JbKMG 1971, S. 74-109 (S. 74ff.).
94Zusammengestellt bei Lebius, wie Anm. 91, S. 298.
95Roxin: Verbrecher, wie Anm. 6, S. 28.
96Beispiele nennt Roxin: Bemerkungen, wie Anm. 93, S. 104 (Anm. 22).
97Zit. nach Klußmeier - Plaul, wie Anm. 71, S. 266.
98Wiedergegeben in: Karl May: 'An die deutsche Presse' und andere Flugblätter. Mit Einleitung und Anmerkungen von Ekkehard Bartsch. In: JbKMG 1979, S. 276-321 (S. 314-320) - Mehr bei Siegfried Augustin: Old Shatterhands Kampf mit der "Brennenden Blume" - Dokumente eines Zweikampfs. In: Vom Old Shatterhand zum Sherlock Holmes. Hrsg. von Siegfried Augustin und Walter Henle. München 1986, S. 47-69.
99Vgl. oben, S. 472.
100Vgl. oben, S. 473.
101Zit. nach Plaul: Karl May, wie Anm. 57, S. 493 (Anm. 375).
102Heinz Stolte: Zur Einführung. In: Karl May: Frau Pollmer - eine psychologische Studie. Prozeßschriften, Bd. 1. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1982, S. XI-XVI (S. XIII).
103Vgl. Plaul: Karl May, wie Anm. 57, S. 493 (Anm. 377). - Vgl. oben, S. 427.
104Zit. nach Claus Roxin: Mays Leben. In: Karl-May-Handbuch, wie Anm. 8, S. 62-123 (S. 112).
105Zit. nach ebd., S. 119.


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106Zit. nach Rudolf Beissel: 'Und ich halte Herrn May für einen Dichter ... ". Erinnerungen an Karl Mays letzten Prozeß in Berlin. In: JbKMG 1970, S. 1146 (S. 23). - Vgl. Walther Ilmer: Karl May - Mensch und Schriftsteller. Tragik und Triumph. Husum 1992, S. 22 1.
107Vgl. Gerhard Klußmeier: Die Gerichtsakten zu Prozessen Karl Mays im Staatsarchiv Dresden. Mit einer juristischen Nachbemerkung von Claus Roxin (II). In: JbKMG 1981, S. 262-299 (S. 290).
108Vgl. ebd., S. 295ff.
109Vgl. Heermann, wie Anm. 5, S. 343.
110Der vollständige Wortlaut des Briefes findet sich bei Plaul: Karl May, wie Anm. 57, S. 479f. (Anm. 339).
111Vgl. oben, S. 470.
112Roxin: Bemerkungen, wie Anm. 93, S. 78f.
113Wollschläger: Karl May, wie Anm. 37, S. 170.
114Vgl. Klara May: Tagebuch (Ende 1908).
115Karl May: An die 4. Strafkammer des Königl. Landgerichtes III in Berlin (1911). Prozeßschriften, Bd. 3. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1982, S. 114.
116Nach Klußmeier - Plaul, wie Anm. 71, S. 270 - Vgl. Beissel, wie Anm. 106, S. 42.
117Vgl. Wollschläger: Karl May, wie Anm. 37, S. 170 - Roxin. Verbrecher, wie Anm. 6, S. 28.
118Zit. nach Roxin: Ebd., S. 25.
119Zit. nach ebd.
120Ebd.
121Roxin: Ebd., S. 26.
122Ebd., S. 27.
123May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 57, S. 299.
124Ebd.
125Ebd., S. 299f.
126Vgl. oben, S. 529.
127Näheres bei Hans Wollschläger: (Werkartikel zu) Mein Leben und Streben. In: Karl-May-Handbuch, wie Anm. 8, S. 565-570 (S. 565f.).
128Zit. nach ebd., S. 566.
129Vgl. Martin Lowsky: Karl May. Stuttgart 1987, S. 119.
130Vgl. oben, S. 33ff. - Vgl. aber auch die kritischen Bemerkungen bei Ilmer: Karl May, wie Anm. 106, S. 233ff.
131May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 57, S. 319.
132Karl May: Am Jenseits. Gesammelte Reiseerzählungen, Bd. XXV. Freiburg 1899, S. 175.
133May: An die 4. Strafkammer, wie Anm. 115 - Vgl. Walther Ilmer: (Werkartikel zu) An die 4. Strafkammer. In: Karl-May-Handbuch, wie Anm. 8, S. 561-563.
134Dazu kritisch: Ilmer: Karl May, wie Anm. 106, S. 240ff. - Vgl. aber unten, S. 588.
135Vgl. unten, S. 586ff.
136Beissel, wie Anm. 106, S. 11-46 - Vgl. Gerhard Klußmeier: Die Gerichtsakten zu Prozessen Karl Mays im Staalsarchiv Dresden. Mit einer juristischen Nachbemerkung von Claus Roxin (I). In: JbKMG 1980, S. 137-174 (S. 161ff.) - Roxin: Verbrecher, wie Anm. 6, S. 28ff.
137Näheres bei Gerhard Klußmeier: "Ein Wind niedriger Gesinnung weht durch Deutschland". Karl May und Maximilian Harden. In: JbKMG 1977, S. 103-113. - Zu Harden vgl. unten, S. 546.
138Zit. nach Beissel, wie Anm. 106, S. 14.
139Zit. nach ebd., S. 16.
140Vgl. oben, S. 445ff.
141Zit. nach Beissel, wie Anm. 106, S. 16.
142Vgl. oben, S. 471.
143Wollschläger: Karl May, wie Anm. 37, S. 179.
144Karl May in einer Postkarte vom Abend des 18.12.1911; zit. nach Roxin: Verbrecher, wie Anm. 6, S. 30.
145Roxin: Ebd.
146Roxin: Juristische Nachbemerkung (I). In: Klußmeier: Gerichtsakten, wie Anm. 136, S. 170-172 (S. 171).


//541//

147Ebd., S. 172.
148Heinz Stolte: Der Volkschriftsteller Karl May. Beitrag zur literarischen Volkskunde (Reprint der Erstausgabe von 1936). Bamberg 1979, S. 50.
149Vgl. Roxin: Verbrecher, wie Anm. 6, S. 30.
150Zit. nach Beissel, wie Anm. 106, S. 29.



10.13

Die andere Seite: Literarische Befürworter Mays


Soweit ihre Gegnerschaft literarische und nicht nur persönliche (oder politische) Hintergründe hatte, war Mays Widersachern EINES gemeinsam: Sie bewerteten Karl May mit den Augen des, ihrer Meinung nach, 'reinen' Kunstgeschmacks.1 Seine Bücher entsprachen weder ihrem klassischen Bildungsideal noch ihrem - dem bürgerlichen Realismus des 19. Jahrhunderts verpflichteten - Wahrheitsbegriff.2 Auch fehlten die Bereitschaft oder die Fähigkeit, unseren Autor von seiner menschlichen und literarischen Entwicklung her zu verstehen. Man sah, mit Häme und Spott, den ertappten Münchhausen, den sächsischen 'Lügenbold'. Den echten Karl May, den hochkomplizierten, mit souveränem (auch selbstironischern) Humor begabten, dabei noch tief religiösen, nach Läuterung strebenden Menschen sah man nicht. Seine Werke, die - mehrschichtigen und künstlerisch durchaus bemerkenswerten - Reiseerzählungen, erst recht aber die Kolportageromane, wurden 'verrissen', ohne Differenzierung. Und seine symbolistischen Alterswerke wurden belächelt oder gar nicht zur Kenntnis genommen.

   Selbst der - vermutlich von Roseggers Sohn stammende3 - Nachruf in Peter Roseggers 'Heimgarten' (Mai 1912) sah primär nur den 'Jugendschriftsteller', wenn er May so verteidigte:


Jahrelang tobte der Streit für und wider [Karl May] in der Presse. Eine ekelhafte Parteihetze [...] Wie die keineswegs durchsichtige menschliche Persönlichkeit Mays auch sein mochte - mir war sie jedenfalls sympathischer als das gemeine Pharisäertum seiner Feinde -, die Bücher, die er verfaßte, sind eine ausgezeichnete Jugendlektüre, an der nur trockene, weltfremde Pädagogen und solche, die Knabenseelen nicht kennen, herummäkeln können. Jugend will und braucht Abenteuergeschichten, Kraft, Romantik, und das gab Karl May in reichstem Maße und dazu einen tieferen ethischen, humanen Gehalt, der vielleicht nicht jedermann paßt, aber gewiß niemandem schadet und vielen genützt hat.4


Der einzige Fürsprecher Mays war Rosegger - bzw. der 'Heimgarten' - allerdings nicht. Zwar hob der Schriftsteller, in Mein Leben und Streben, seine innere Einsamkeit hervor;5 aber völlig isoliert und gänzlich verlassen war er doch nicht. Er hatte eine große Lesergemeinde und darüber hinaus auch persönliche Freunde und literarische Befürworter.

   Zu Mays engeren Freunden zählte seit 1902 der Dresdner Schriftsteller und Journalist Max Dittrich (1844-1917), der die - teilweise von May selbst inspirierte - Abhandlung Karl May und seine Schriften (1904)6 publizierte. Auch der Schulrat Dr. Franz Weigl (1878-1952), Gründungsmitglied des 'Karl-May-Clubs' in München,7 verfaßte eine Verteidigungsschrift über unseren Autor. Er stellte, aus christlicher Sicht, in einer Broschüre Karl Mays pädagogische Bedeutung (1909) heraus.8 Und der Schriftsteller Adolf Droop (1882-1938) veröffentlichte, erstmalig, eine fundierte literaturkritische Untersuchung: Karl May. Eine Analyse seiner Reiseerzählungen (Cöln-Weiden 1909).

   Während Dittrichs, von Professor Paul Schumann sofort attackierte,9 Apologetik über gefühlsmäßige Begeisterung kaum hinausgeht (von einzelnen, durchaus weitsichtigen Äußerungen, die sich später bewahrheiten sollten, abgesehen),10 hat sich Droop - der damals


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in der Schweiz lebte und im Juli 1910 mit Karl May persönlich bekannt wurde - "in objektiver Weise und durchaus nicht unkritisch"11 für May engagiert.


10.13.1

Katholische Publizisten


Speziell von katholischen Publizisten wurde May, erneut und verstärkt seit 1907, unterstützt. So hatte zum Beispiel der - im Zusammenhang mit Carl Muth und dem 'Modernismusstreit' schon genannte - österreichische Schriftsteller Richard v. Kralik (zu dem Karl May seit 1898 private Kontakte unterhielt12) eine besondere Vorliebe für die Werke des Erzählers aus Radebeul. Kralik (1852-1934) war, wie erwähnt, der Gründer und geistige Führer des 'Gralbundes', dessen Ziel die Erneuerung des katholischen Kulturlebens aus dem Geist der Romantik war. In Konfrontation mit der 'fortschrittlichen Literaturbewegung', die sich dem moderneren 'Zeitgeist' geöffnet hatte, verfocht Kralik ein eher konservatives, betont konfessionelles Literaturprogramm.13 Im 'katholischen Literaturstreit', der 1909 seinen Höhepunkt erreichte,14 stand der 'Gralbund' auf seiten der Antimodernismus-Kampagne des Papstes und scheute sich nicht, gegen Muth und dessen Anhänger - auf kirchlich-diplomatischern Wege - zu intrigieren.15

   Eine merkwürdig verquere Konstellation: Obwohl Karl May, vor allem in seinen Spätwerken, eine (in mancher Hinsicht) sehr 'modernistische' und keineswegs 'römische' Weltsicht vertrat, bekam er ausgerechnet vom 'Gralbund' Schützenhilfe!

   Erklärlich ist dies, zum einen, durch die persönliche Beziehung May - Kralik und, zum andern, durch geheimnisvolle, 'mystische' Tendenzen in Mays Alterswerk, die manchen Vorstellungen der Gralbündler vermutlich entsprachen. Insgesamt aber hat das Werk Karl Mays mit den theologischen und kirchenpolitischen Positionen des Gralbundes wenig oder gar nichts zu tun. Nicht ohne Grund zeigte May für die literarischen Intentionen Muths bzw. des 'Hochlands' Interesse und Sympathie.16 Was seine gesamte Weltanschauung betraf, stand er "selbstverständlich in den geistigen Regionen des 'Hochlands', dessen Titel nicht zufällig in vielerlei Variationen seine Denk- und Schreibmodelle in diesen Spätjahren durchzieht."17

   Nicht nur 'Der Gral', die - seit 1906 - von dem österreichischen Dichter Franz Eichert (1857-1926) herausgegebene Literaturzeitschrift, sondern auch andere katholische Blätter nahmen Partei für den sächsischen Autor. Leopold Gheri (1866-1952), der Redakteur der in Innsbruck erschienenen Zeitschrift 'Der Kunstfreund', wechselte mit May sehr herzliche Briefe;18 er publizierte Mays Briefe über Kunst (1906/07)19 und setzte sich eifrig (wenn auch nicht immer sehr klug und nicht immer sehr hilfreich) für den Schriftsteller ein.

   Den kirchenpolitischen Intentionen der Gral-Bewegung - mehr oder weniger - nahestehende Blätter wie die Passauer 'Donauzeitung', der 'Bayrische Kurier' und die 'Augsburger Postzeitung' unterstützten ebenfalls May. Mit einflußreichen Redakteuren dieser Journale war May persönlich bekannt: zum Beispiel mit Heinrich Wagner (1868-1922), dem Schriftleiter der 'Donauzeitung', der die Verteidigungsbroschüre Karl May und seine Werke. Eine kritische Studie (1907)20 verfaßte und Mays Glaubensbekenntnis (1906)21 in der 'Donauzeitung' abdrucken ließ.

   Wagners treuherzige und ziemlich naive Apologetik erreichte - für Leopold Gheris Bemühungen gilt wohl dasselbe22 - im Grunde nur dies, daß die andere Partei, Hermann Cardauns vor allem, "zu neuerlichem Gegenschlag"23 ausholte und Karl May in weitere Bedrängnisse brachte. Andrerseits verfügte Wagner über weitreichende Verbindungen zu


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wichtigen katholischen Publikationsmitteln. Daß der 'Deutsche Hausschatz', im Herbst 1907, die seit Jahren unterbrochene Verbindung zu May wieder aufnahm,24 war das Verdienst Heinrich Wagners. Und May verstand es, die Chance zu nutzen: Mit dem 'Mir von Dschinnistan, im Hausschatz gedruckt, schuf der Dichter sein - in der Buchfassung Ardistan und Dschinnistan noch verbessertes - Meisterwerk.

   Auch der persönliche Kontakt mit Dr. Hans Rost (1877-1970), einem damals bekannten Schriftsteller und Journalisten, war für May besonders erfolgreich. Die näheren Umstände, die zu dieser Verbindung führten, sind interessant und verdienen Beachtung.

   Dr. Rost, ein passionierter May-Leser und - in späteren Jahren - "einer der von den Nationalsozialisten meistgehaßten Männer"25 (u.a. verfaßte er die Artikelserie Christus - nicht Hitler!), war seit 1906 als Feuilletonredakteur verantwortlich für die 'Literarische Beilage' der 'Augsburger Postzeitung'. Dieses Blatt war eines der ältesten deutschen Journale und, neben der 'Kölnischen Volkszeitung' und der Berliner 'Germania', die führende katholische Tageszeitung. Der kirchenpolitische Standort dieses Journals lag wohl 'zwischen den Fronten': Sowohl von 'modernistischer' als auch von konservativer Seite gab es Kritik an der 'Augsburger Postzeitung'.26

   Was Karl May betrifft, ist zu bemerken: In Artikeln vom 17.6.1902 und vom 18.11.1904 griff die 'Postzeitung' unseren Schriftsteller an - im Blick auf 'unsittliche' und 'antiklerikale' Passagen der Kolportageromane bzw. die "Freimaurerei" in Band XXX Und Friede auf Erden! (1904).27 Doch später, nach dem Eintritt Hans Rosts in die Redaktion, korrigierte das Blatt seine Einstellung zu May.

   Am 27. November 1906 erschien in der 'Postzeitung', aus der Feder des - dem Gralbund nahestehenden - Juristen und Schriftstellers Lorenz Krapp (1882-1947), der erste Teil des Artikels Das Problem Karl May. In diesem Beitrag nahm Krapp den bedrängten Dichter vor persönlichen Angriffen in Schutz. Und im zweiten Teil des Artikels (7.12.1906)28 äußerte sich Krapp in differenzierter - halb lobender, halb tadelnder - Weise über Mays Werk.

   "Der Artikel zeitigte eine für Rost wohl überraschende Wirkung: ein promptes Dankschreiben Mays [...] ging nach Augsburg."29 Maßvolle, vor allem sachliche, Kritik konnte May also durchaus ertragen! Sein Brief vom 8. Dezember 1906 eröffnete einen guten Kontakt zu Dr. Hans Rost. Die persönliche Beziehung zwischen May und dem Redakteur (im Oktober 1907 kam es, in Augsburg, zur ersten Begegnung) führte zum Vorabdruck des letzten May-Romans Winnetou IV in der 'Augsburger Postzeitung' (1909/10) und zum Vortrag des Dichters - über Sitara, das Land der Menschheitsseele - am 8. Dezember 1909 in der Fuggerstadt.30

   Außerdem wurden, nunmehr gehäuft, positive Artikel zum 'Problem Karl May' in der 'Augsburger Postzeitung' wiedergegeben. Neben Lorenz Krapp traten Euchar Albrecht Schmid (1884-1951), der künftige Karl-May-Verleger, und - mit vorzüglichen Beiträgen - der Wiener Schriftsteller und spätere Burgschauspieler Amand v. Ozoróczy (1885-1977) als May-Rezensenten in der 'Postzeitung' hervor.


10.13.2

Die sozialdemokratische Presse und die intellektuelle Avantgarde


Wie vielschichtig, wie vertrackt und kompliziert 'Das Problem Karl May' tatsächlich war und immer noch ist, zeigt allein schon die Namensliste der literarischen Gegner und Fürsprecher Karl Mays. Die Kontrahenten, aber auch die Freunde des Radebeuler Poeten kamen - und kommen noch heute - sowohl aus dem religiösen (konservativen wie 'moder-


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nistischen') als auch dem 'säkularistischen', der Religion und dem Christentum gegenüber gleichgültigen oder den Gottesglauben ablehnenden Lager. Allein nur mit Mißverständnissen, die sicher auch möglich sind, wird dies nicht zu erklären sein. Denn mehrdeutig und hintersinnig, wie die Werke Mays zweifellos sind, können sie Menschen von unterschiedlichster Prägung faszinieren oder verschrecken.

   Zu den Verteidigern und Befürwortern Mays zählten (und zählen noch immer) auch Leute von sozialistischer, von anti- oder linksbürgerlicher Denk- und Empfindungsweise. Vor diesem Hintergrund ist es sicher kein Zufall: Die sozialdemokratische Presse, der 'Vorwärts', stellte sich - wie schon oben erwähnt - vor May.31

   Der vermeintliche Gegensatz zwischen christlichem Glauben und politischer 'Utopie' scheint im Alterswerk Karl Mays, ansatzweise aber auch in der Poesie der Reiseerzählungen, relativiert und aufgehoben. So wird es verständlich: Einer der hervorragendsten literarischen Fürsprecher Mays war der Schriftsteller Egon Erwin Kisch (1885-1948), der 'rasende Reporter' aus Prag, der 1933 - als Kommunist - emigrierte und 1937/38 im Spanischen Bürgerkrieg kämpfte.

   Schon als Dreizehnjähriger hatte Kisch mit Begeisterung Karl May gelesen. Im Oktober 1898, als 'Old Shatterhand' im Prager 'Hotel de Saxe' wohnte, war es dem Realschüler Kisch gelungen, zu seinem Idol persönlich vorzudringen und May (der ihm den III. Band Old Surehand bei dieser Gelegenheit schenkte) die Hand zu drücken.

   Anfang Mai 1910, wenige Wochen nach dem - für den Dichter so verheerenden - Charlottenburger Urteil, besuchte Kisch unseren Autor zu einem Interview in Radebeul. Kurze Zeit später erschien dieses - sehr offene, von May mit großem Vertrauen gegebene - Interview in der deutschsprachigen Zeitung 'Bohemia' in Prag. Mehrere Zeitungen im sächsischen Raum druckten den Text dann ganz oder teilweise ab. Mit seiner Veröffentlichung lieferte Kisch "den damals umfangreichsten wie sachkundigsten Bericht zur Unterstützung Karl Mays."32 Auch später setzte er sich für May ein, in seinem Buch Hetzjagd durch die Zeit (1926) zum Beispiel.

   Zu den bedeutendsten Verteidigern Mays - noch zu dessen Lebzeiten bzw. unmittelbar nach dessen Tode - gehörten, neben Kisch, auch namhafte Vertreter des literarischen Frühexpressionismus in Deutschland und Österreich. Ihr (wie auch Kischs) Motiv war zwar weniger der Respekt vor den - relativ unbekannten und damals noch kaum erforschten - Mayschen Altersromanen, sondern viel eher die Reminiszenz ans jugendliche Lesevergnügen, verbunden mit Empörung über die öffentliche Hetze gegen den Schöpfer Old Shatterhands und Kara Ben Nemsis.33 Bedauert (und zum Teil auch bewundert) wurde der Mensch Karl May; und bestaunt wurde die bunte Exotik seiner Geschichten, aber kaum die, gedanklich tiefere und ästhetisch wertvollere, Symbolik seiner späten Romane. Dennoch sollte es "unserer Literaturgeschichte [...] zu denken geben, daß [...] die Avantgarde jener Zeit May liebte, daß Männer wie der große Ehrenstein, wie Berthold Viertel und eine Zeitschrift vom überragenden Range des 'Brenner' sich für May einsetzten."34

   'Der Brenner', nach Karl Kraus (1874-1936) "die einzige ehrliche Revue Österreichs",35 wurde 1910 gegründet. Schon damals, auf dem Höhepunkt der Kampagne gegen May, stand diese - in Innsbruck erschienene - Literaturzeitschrift auf der Seite des Radebeulers.

   Die Vorgeschichte des 'Brenner'-Engagements für Karl May ist mit dem Namen des Schriftstellers und Essayisten Rudolf Kurtz (1884-1960) verbunden. Dieser wollte, in seinem Offenen Brief an Karl May, "nicht schweigen, wenn eine Kohorte grinsender Kulturträger [...] ein mühevoll erjagtes Opfer mit seiner Vergangenheit stückweise abschlach-


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tet".36 Kurtz bewunderte May, den "so viele schwere Jahre [...] nicht zu dem gemacht haben, was aus jedem Anderen [...] einen verbitterten, haßerfüllten, von Rachebedürfnis zerwühlten Menschen gemacht hätte! "37

   Dieser Offene Brief erschien zunächst, am 12. Mai 1910, in der Berliner Wochenschrift 'Der Sturm'. Herwarth Walden, der Herausgeber dieses Avantgardeblatts, genehmigte die Wiedergabe des Artikels im 'Brenner' (am 15. Juli 1910).

   Etwa gleichzeitig, im Zusammenhang mit der Charlottenburger Gerichtsverhandlung vom April 1910, nahm der Dichter Berthold Viertel (1885-1953) Stellung für May: in der Zeitschrift 'März', herausgegeben von Ludwig Thoma und Hermann Hesse.38 Für Karl May schrieb Viertel auch später, in der Wiener Monatsschrift 'Der Strom' (Juni 1912): "Die Bücher Karl Mays sind relativ ganz ausgezeichnet geschrieben [...] Auf seine Leser wirkt May zweifellos als Dichter, der er irgendwie auch ist. Ein Nichtdichter konnte nie [...] die Person des Winnetou erfinden".39

   Auch Georg Heym (1887-1912), einer der sensibelsten und bedeutendsten Lyriker des Frühexpressionismus, verfolgte die Pressefehde um May mit größter Betroffenheit. Er ertrank, kurz vor dem Tode Mays, beim Schlittschuhlaufen in der Havel (Berlin) - am 16. Januar 1912. Im Nachlaß des Lyrikers fanden sich Notizen zu einer Rezension, die zur Veröffentlichung in der Presse höchstwahrscheinlich gedacht waren. Heym schrieb mit beißender Ironie: "Ein Mann, namens Avenarius, [...] nimmt es sich heraus, in seinem Käseblatt [...] den Dichter Karl May anzugreifen [...] Karl May, dessen großartige Phantasie natürlich von diesem wöchentlichen Mist-Fabrikanten niemals begriffen werden kann. "40

   Doch weiter zum 'Brenner': Im Januar 1912, anderthalb Jahre nach dem Erscheinen des Offenen Briefes von Kurtz, übermittelte der Wiener Schriftsteller Robert Müller (1887-1924) dem Herausgeber des 'Brenner' - Ludwig v. Ficker - sein Essay Das Drama Karl Mays.41 In diesem Text feierte Müller, nach dem Erfolg Karl Mays vor der Strafkammer in Moabit (am 18. Dezember 1911),42 den "wahren Dichter" der Buße getan habe und dem die "Kontinente parieren [...], solange er nur auf seinem Bußmotive dahintreibt."43 Einen weiteren, nicht weniger emphatischen, Pro-May-Artikel - ebenfalls aus der Feder Robert Müllers44 - brachte 'Der Brenner' am 15. Mai 1912.

   Müller, dessen brillante - von Dichtern wie Kafka, Hesse und Musil gepriesenen - Romane "der Wiederentdeckung wert"45 sind, war der literarische Leiter des 'Akademischen Verbandes für Literatur und Musik' in der österreichischen Metropole. Dieser, sehr renommierte, Verband trat "für neue, außerhalb des etablierten Kunstbetriebs liegende Strömungen ein [...] unter anderem durch Popularisieren der Werke von Frank Wedekind, Arnold Schönberg und Alban Berg. "46

   Um den verfemten Karl May vor aller Öffentlichkeit zu rehabilitieren, lud Robert Müller ihn ein, vor dem Wiener Verband (dem im März 1912, durch Müllers Vermittlung, der berühmte Lyriker und künftige 'Brenner'-Autor Georg Trakl beitrat: auch dieser ein faszinierter May-Leser!47) einen Vortrag zu halten. Die Einladung war - so Heermann - "ein Politikum"; die freundliche Geste für May sollte "zu einem moralischen Schutzwall gegen weitere Verfolgungen" von ungeliebten Autoren "durch 'die bürgerliche Gesellschaft' [...] beitragen."48

   May nahm die Einladung an. Und am 22. März 1912, wenige Tage vor seinem Tode, führte er, im Wiener Sophiensaal, an die dreitausend Zuhörer Empor ins Reich des Edelmenschen!49


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   Eine Woche zuvor hatte Maximilian Harden (1861-1927), ein damals sehr einflußreicher - bürgerlich-demokratischer - Publizist, der den Pressefeldzug gegen May besonders scharf verurteilte ("Ein Wind niedriger Gesinnung weht durch Deutschland"50), den Mut des Wiener Literatur-Verbandes - im Blick auf die Einladung Mays - sehr gelobt.51

   Robert Müller (dessen Begeisterung für May freilich, in einem Privatbrief an Ludwig v. Ficker, kritische Untertöne mit aufwies52) hatte Mays Auftritt in Wien publizistisch aufs beste vorbereitet, u.a. durch eine Umfrage bei namhaften Schriftstellern: Deren Meinung zur Einladung Mays sollte eruiert werden.

   Heinrich Mann (1871-1950) z. B. reagierte, im 'Neuen Wiener Tagblatt' vom 2.4.1912, mit der Antwort:


Ich höre, daß Karl May der Oeffentlichkeit so lange als guter Jugendschriftsteller galt, bis irgendwelche Missetaten aus seiner Jugend bekannt wurden. Angenommen aber, er hat sie begangen, so beweist mir das nichts gegen ihn - vielleicht sogar manches für ihn. Jetzt vermute ich in ihm erst recht einen Dichter!53


Albert Ehrenstein, der 1886 in Wien geborene und 1950 in New York verstorbene Expressionist und Kulturkritiker, äußerte sich - in einem Brief an die Wiener Akademie - ebenfalls sehr positiv über May.54 Er wünschte sich einen Cervantes, "der diesen ehrwürdigen Don Quixote der Indianerromantik der Literaturgeschichte einverleibt. "55

   Und Erich Mühsam (1878-1934), der revolutionäre Lyriker und Dramatiker aus Berlin, der kämpferische Intellektuelle, der von den Nationalsozialisten ermordet wurde, erkannte im April 1912 - im 2. Jahrgang seines Monatsblattes 'Kain. Zeitschrift für Menschlichkeit' - Karl May "das Prädikat eines Dichters" ohne Einschränkung zu: "Es tut mir leid, dass Karl May diese Zeilen nicht mehr lesen wird. Ich hätte sie auch geschrieben, wenn er nicht in diesen Tagen gestorben wäre [...] Was alles seine Angreifer gegen May vorbringen, spricht für ihn"!56


10.13.3

Lu Fritsch und Bertha von Suttner


Allein nur von Männern war bisher in diesem Kapitel die Rede. In den Spätwerken Mays aber kommt den weiblichen Protagonisten eine überragende Bedeutung zu. Auch biographisch spielten Frauen eine bedeutsame Rolle für May. Und im Kontext dieses Kapitels -publizistische Unterstützung des Dichters - verdienen zwei Frauen eine besondere Würdigung: Lu Fritsch und Bertha von Suttner.

   Marie-Luise ('Lu') Fritsch wurde im Januar 1890 in Stettin geboren. Schon als dreizehnjähriges Mädchen schrieb sie, im "Rausch der Freude",57 Gedichte für Karl May (Phantasie am Grabe Winnetous z.B.), die sie diesem dann zuschickte. Ein herzlicher Briefwechsel entstand in der Folgezeit.58 1907 suchte Lu Fritsch, eine muntere, ebenso schöne wie kluge junge Dame inzwischen geworden, den Schriftsteller in der 'Villa Shatterhand' auf. Dem Ehepaar May blieb sie fortan verbunden. Vehement und gekonnt nahm sie 1910, in einer Artikelserie der 'Stettiner Gerichts-Zeitung',59 Stellung für May und gegen Lebius/Pöllmann.

   Im Jahre 1912 heiratete "Mays schöne Spionin",60 wie sie in der Presse genannt wurde, den May-Freund Adolf Droop. Sie wurde Schriftstellerin und an zahlreichen Filmprojekten maßgeblich beteiligte Schauspielerin.61 Im August 1959 erlag sie, versehen mit den Sterbesakramenten der Kirche, einem Krebsleiden. Karl May, dem sie ihr Leben lang die Treue hielt, hatte ihr in der Gestalt Merhamehs - im 'Mir von Dschinnistan und in der Novelle Merhameh - ein bezauberndes literarisches Denkmal gesetzt.62


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   Lu Fritsch bzw. Marie-Luise Droop war gewiß eine bedeutende Frau. Doch ihr Name ist heute, außerhalb der May-Forschung, nicht mehr bekannt. Mays berühmteste Verehrerin und prominenteste Fürsprecherin, Bertha von Suttner, freilich ist unvergessen.

   Die spätere Baronin von Suttner wurde als Tochter des Feldmarschall-Leutnants Graf Kinsky 1843 in Prag geboren. Der Roman Die Waffen nieder!(1889) gehört zu ihren bekanntesten Werken. In 'realpolitischen' und chauvinistischen Kreisen als "Friedensfurie" und "Judenbertha" beschimpft,63 wurde 'die Suttner' durch ihre Schriften und Vortragsreisen (zuletzt in die USA) zur Begründerin der modernen Friedensbewegung. Die 'Deutsche Friedensgesellschaft' - die mit Persönlichkeiten wie Kurt Tucholsky und Carl v. Ossietzky im Bunde stand und Ende 1907 auch an May herantrat (zum Thema 'Und Friede auf Erden' sollte dieser im Mai 1908 einen Vortrag halten, den er aus Termingründen freilich absagen mußte64) - hatte die Baronin schon 1892 mit begründet. Sie wurde Vizepräsidentin des internationalen Friedensbüros in Bern und erhielt 1905 den Friedensnobelpreis. Am 21. Juni 1914 starb sie in Wien.

   Um Kontakte zu Gleichgesinnten im Bereich der Kunst und Literatur zu knüpfen, korrespondierte diese Frau mit Autoren wie Heyse und Rosegger, Tolstoi und Zola. Die Verbindung mit May kam auf dessen Initiative hin im Oktober 1905 zustande: im Anschluß an den Vortrag Frau Suttners in Dresden, den das Ehepaar May besucht hatte.

   Der Dichter war überwältigt. Er schrieb an die Baronin:


[...] wir hatten Sie noch nie gesehen, obgleich wir Ihr großes, segensreiches Wirken und auch alle Ihre Bücher kennen. Wir freuten uns unendlich über die Gelegenheit, Ihre [...] Stimme [...] zu hören. Und wir hörten sie, bis zur tiefsten Erschütterung. Meine Frau, die Gute, weinte, und auch ich wehrte mich der Thränen nicht [...] Gott segne Sie!65


Zusammen mit diesem Brief übermittelte May seinen Roman Und Friede auf Erden! an die Baronin, wenig später auch sein Drama Babel und Bibel. Mehrere - heute zum Teil im Genfer UNO-Archiv liegende - Briefe wurden gewechselt, im Tone der Freundschaft. Und im März 1912, als der Tag seines Wiener Vortrags herankam, erhielt Karl May die folgenden Zeilen aus der Feder Frau Suttners:


Ich freue mich lebhaft, Sie [...] in Wien sprechen zu hören. Daß Sie mein Gesinnungsgenosse in Friedenssachen und anderen Fragen sind, das weiß ich ja: 'empor!' ist unser beider Devise. Gleichzeitig schicke ich Ihnen mein letztes Buch 'Der Menschheit Hochgedanken', worin Sie Anklinge an dieses 'Empor' finden werden [...] Nicht wahr, wir Geistesarbeiter [...] müssen einander behilflich sein.66


Auf die Umfrage der Wiener 'Akademie für Literatur und Musik' - im März 1912 - antwortete Frau Suttner mit einem Brief an das 'Neue Wiener Tagblatt'. In diesem Brief verwarf sie, wie Heinrich Mann und die andern genannten Autoren, die Pressekampagne gegen May und lobte die Person und das Werk unseres Dichters in herzlicher Weise. Nach dem Eintreffen Mays in Wien, am 20. März, besuchte Frau Suttner ihn dort im Hotel. Und am 22. März saß sie zu Füßen Karl Mays, vor dessen Rednerpult im Sophiensaal.

   Acht Tage später war der Schriftsteller tot. "Niemand hat für Karl May einen schöneren Nachruf geschrieben als Bertha von Suttner in dem Wiener Blatt 'Die Zeit' vom 5.4.1912".67

   Auch nach dem Tode des Dichters blieb die Baronin mit diesem verbunden: Im Jahre 1913 schrieb sie ihm einen "Herzensgruß nach dem Jenseits"68

   Was Karl May und Bertha von Suttner verband, war der Kampf für den Frieden und gegen die Intoleranz in ihren verschiedensten Formen. Der Einfluß der Suttnerschen Ideen auf die Spätwerke Mays ist unverkennbar. Den Begriff des 'Edelmenschen' z.B. dürfte er von Frau Suttner unmittelbar übernommen haben.69


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Zu Recht schrieb das 'Radebeuler Tageblatt' - nach der persönlichen Begegnung Bertha von Suttners mit Klara May im Februar 1913 -, daß Karl May sich "bekanntlich die Förderung der Ziele der Baronin von Suttner angelegen sein"70 ließ. Aus den Dokumenten (den Briefen und Tagebuch-Notizen der Baronin) geht hervor, "daß die Suttner die Bestrebungen Mays nicht weniger anerkannte, als er die ihren bewunderte. "71 So wird es plausibel: Bedeutende Frauengestalten im Alterswerk Mays - z.B. die ältere Aschta in Winnetou IV- "eine groß angelegte Frau [...] im Kampfe gegen den Unverstand"72 - dürften, partiell, auch die Züge Bertha von Suttners tragen.

Anmerkungen


1Vgl. Heinz Stolte: Der Volksschriftsteller Karl May. Beitrag zur literarischen Volkskunde (Reprint der Erstausgabe von 1936). Bamberg 1979, S. Xl.
2Vgl. Claus Roxin: Vorläufige Bemerkungen über die Straftaten Karl Mays. In: JbKMG 1971, S. 74-109 (S. 107, Anm. 79).
3Vgl. Alfred Schneider: "... unsere Seelen haben viel Gemeinsames!" Zum Verhältnis Peter Rosegger - Karl May. In: JbKMG 1975, S. 227-242 (S. 240).
4Vgl. Gerhard Klußmeier - Hainer Plaul (Hrsg.): Karl May. Biographie in Dokumenten und Bildern. Hildesheim, New York 1978, S. 237.
5Vgl. Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg 1910. Hrsg. von Hainer Plaul. Hildesheim, New York 21982, S. 244 u.ö.
6Wiedergegeben in: Schriften zu Karl May. Materialien zur Karl-May-Forschung, Bd. 2. Ubstadt 1975, S. 1-127.
7Vgl. oben, S. 328.
8Wiedergegeben in: Schriften zu Karl May, wie Anm. 6, S. 181-236.
9Vgl. oben, S. 467ff.
10Vgl. Stolte: Volksschriftsteller, wie Anm. 1, S. 11 - Hansotto Hatzig: Nachwort. In: Schriften zu Karl May, wie Anm. 6, S. 237-250 (S. 240).
11Klußmeier - Plaul, wie Anm. 3, S. 267.
12Vgl. Hainer Plaul: Literatur und Politik. Karl May im Urteil der zeitgenössischen Publizistik. In: JbKMG 1978, S. 174-255 (S. 209).
13Nach ebd., S. 206-210.
14Vgl. A.W. Höffer: Literaturstreit. In: Lexikon für Theologie und Kirche IV. Hg. von Josef Höfer und Karl Rahner. Freiburg 21961, Sp. 1082.
15Vgl. Ulrich Schmid: Ein Vortrag zwischen den Fronten. Karl May im Augsburger Schießgrabensaal, 8. Dezember 1909. In: JbKMG 1990, S. 71-98 (S. 87).
16Vgl. Franz Comaro: Karl Muth, Karl May und dessen Schlüsselpolemik. In: JbKMG 1975, S. 200-219 (S. 214).
17Schmid: Ein Vortrag, wie Anm. 15, S. 90.
18Vgl. Karl Serden: May-Briefe an Leopold Gheri. In: MKMG 85 (1990), S. 19-25; Fortsetzung: Anton Haider: May-Briefe an Leopold Gheri. In: MKMG 87 (1991), S. 16-23.
19Vgl. oben, S. 480f.
20Wiedergegeben in: Schriften zu Karl May, wie Anm. 6, S. 129-179.
21Vgl. unten, S. 674ff.
22Vgl. Schmid: Ein Vortrag, wie Anm. 15, S. 86.
23Hans Wollschläger: Karl May. Grundriß eines gebrochenen Lebens. Zürich 1976, S. 143 -Vgl. oben, S. 470ff.
24Vgl. oben, S. 503f.
25Schmid: Ein Vortrag, wie Anm. 15, S. 84.
26Näheres ebd., S. 90 u. 97 (Anm. 66).
27Zum letzteren Artikel (18. 11. 1904) vgl. Ekkehard Bartsch: 'Und Friede auf Erden!' Entstehung und Geschichte. In: JbKMG 1972/73, S. 93-123 (S. 108).
28Der gesamte Artikel ist wiedergegeben in: Karl May und Augsburg. SKMG Nr. 82 (1989), S.14-22.


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29Schmid: Ein Vortrag, wie Anm. 15, S. 85 - Vgl. die ausführliche Darstellung bei Uhich Schmid: Karl May, Augsburg und die Augsburger Postzeitung. In: Karl May und Augsburg, wie Anm. 28, S. 4-7.
30Vgl. unten, S. 585.
31Im August 1910 und Ende Dezember 1911 beispielsweise - Vgl. Christian Heermann: Der Mann, der Old Shatterhand war. Eine Karl-May-Biographie. Berlin 1988, S. 325-328 u. 347.
32Ebd., S, 344.
33Vgl. Ulrich Schmid: Das Werk Karl Mays 1895-1905. Erzählstrukturen und editorischer Befund. Materialien zur Karl-May-Forschung, Bd. 12. Ubstadt 1989, S. 195.
34Claus Roxin: Das zweite Jahrbuch. In: JbKMG 1971, S. 7-10 (S. 8).
35Zit. nach Franz Comaro: "Bedenker des Wortes ". Das Eintreten des 'Brenner' für Karl May. In: JbKMG 1971, S. 216-220 (S. 216).
36Rudolf Kurtz: Offener Brief an Karl May. In: JbKMG 1971, S. 230-233 (S. 230).
37Ebd., S. 230f.
38Der Artikel ist wiedergegeben in: MKMG 33 (1977), S. 21.
39Berthold Viertel: Für Karl May. In: JbKMG 197 1, S. 226-229 (S. 228).
40Georg Heym: Dichtungen und Schriften. Band 2. Hamburg, München 1962, S. 181; zit. nach Dieter Sudhoff: Umbra Vitae. Georg Heym und Karl May. In: MKMG 35 (1978), S. 5-8 (S. 6).
41Robert Müller: Das Drama Karl Mays. In: JbKMG 1970, S. 98-105 - Vgl. Ders.: Nachruf auf Karl May. In: JbKMG 1970, S. 106-109 (ursprünglich im Wiener Fremden-Blatt' vom 3.4.1912).
42Vgl. oben, S. 534ff.
43Müller: Das Drama Karl Mays, wie Anm. 41, S. 105.
44Robert Müller: Totenstarre der Fantasie. In: JbKMG 1971, S. 221-225.
45Hans Wollschläger: Sieg - Großer Sieg - - Karl May und der Akademische Verband für Literatur und Musik. In: JbKMG 1970, S. 92-97 (S. 96) - Der IGEL-Verlag Literatur (Paderborn) hat diverse Müller-Werke inzwischen neu publiziert.
46Heermann, wie Anm. 31, S. 347.
47Vgl. Otto Basil: Georg Trakl in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek 1965, S. 37 u. 160.
48Heermann, wie Anm. 31, S. 347f.
49Vgl. unten, S. 588f.
50Harden in einem Brief vom 1.4.1912 an Klara May; zit. nach Gerhard Klußmeier: "Ein Wind niedriger Gesinnung weht durch Deutschland ". Karl May und Maximilian Harden. In: JbKMG 1977, S. 103-113 (S. 111).
51Im Brief vom 17.3.1912 an den Wiener Verband; wiedergegeben bei Klußmeier: Ebd., S.110.
52Vgl. Franz Comaro: Robert Müllers Stellung zu Karl May. In: JbKMG 1971, S. 236-245 (S. 238). - "Der wahre Grund" für Müllers May-kritischen Brief (4.3.1912) "dürfte darin liegen, daß Müller fürchtete, sich gegenüber dem berühmten Ludwig v. Ficker mit seiner Begeisterung für May lächerlich zu machen. " (Claus Roxin in einem Brief vom 15.2.1993 an den Verfasser)
53Zit. nach Ekkehard Bartsch: Karl Mays Wiener Rede. Eine Dokumentation. In: JbKMG 1970, S. 47-80 (S. 79).
54Vgl. Müller: Totenstarre, wie Anm. 44, S. 224.
55Albert Ehrenstein: Ein "Fall" Karl May? In: JbKMG 1971, S. 234f. (S. 235).
56Zit. nach Plaul: Literatur und Politik, wie Anm. 12, S. 245f. (dort der vollständige Text).
57Rudolf W. Kipp: Die Lu-Droop-Story. In: MKMG 37 (1978), S. 3-19 (S. 4); Fortsetzung in: MKMG 38 (1978), S. 3-19.
58Vgl. Lu Fritsch: Briefe aus der Villa 'Shatterhand'. In: MKMG 35 (1978), S. 3f.
59Wiedergegeben in: MKMG 33 (1977), S. 22f.; MKMG 34 (1977), S. 21-23; MKMG 35 (1978), S. 19-21; MKMG 36 (1978), S. 22-24; MKMG 37 (1978), S. 20-22.
60Vgl. Aus vergilbten Blättern. In: MKMG 33 (1977), S. 20-22 (S. 20).
61Vgl. die Bibliographie und Filmographie in: MKMG 37 (1978), S. 17ff., und MKMG 38 (1978), S. 19.
62Vgl. oben, S. 513.


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63Vgl. Hansotto Hatzig: Bertha von Suttner und Karl May. In: JbKMG 1971, S. 246-258 (S. 247).
64Vgl. Heermann, wie Anm. 31, S. 309.
65Aus Mays Brief vom 17.10.1905; zit. nach Hatzig: Bertha von Suttner, wie Anm. 63, S. 249.
66Aus Suttners Brief an May vom 13.3.1912; zit. nach Hatzig: Ebd., S. 252.
67Hatzig: Ebd., S. 253 - Zu Frau Suttners Nachruf für May vgl. unten, S. 589.
68Zit. nach Claus Roxin: Mays Leben. In: Karl-May-Handbuch. Hrsg. von Gert Ueding in Zusammenarbeit mit Reinhard Tschapke. Stuttgart 1987, S. 62-123 (S. 109).
69Vgl. oben, S. 491 (Anm. 58).
70Zit. nach Hatzig: Bertha von Suttner, wie Anm. 63, S. 256.
71Hatzig: Ebd.
72Karl May: Winnetou. IV. Band. Gesammelte Reiseerzählungen, Bd. XXXIII. Freiburg 1910, S. 320 u. 315; zit. auch bei Hatzig: Bertha von Suttner, wie Anm. 63, S. 252.



10.14

Winnetou IV (1909/10): Mays Abschiedsroman


"Es war in der Frühe eines schönen, warmen, hoffnungsreichen Frühlingstages. Ein lieber, lieber Sonnenstrahl schaute mir zum Fenster herein und sagte 'Grüß dich Gott!'"

   So beginnt die letzte Erzählung Karl Mays, der symbolistische, in Nordamerika spielende Roman Winnetou. 4. Band. Und so hoffnungsfroh wie die ersten Zeilen bleibt - angesichts der konkreten Lebensumstände des Verfassers schon mehr als erstaunlich - der Grundtenor des gesamten Bandes, den Arno Schmidt als "allzu zittrig geratenen Swan-Song eines in jeder Hinsicht Verbrauchten",1 Heinz Stolte aber als "das schönste aller Bücher Karl Mays"2 bezeichnet hatte.


10.14.1

Entstehung und literarische Qualität


Im Spätsommer 1909, als in die gerichtlichen Auseinandersetzungen des Autors mit seinen Gegnern eine gewisse Beruhigung, eine Art Ruhe vor dem letzten Sturm eingetreten war,3 begann Karl May mit der Niederschrift des Romans. Pläne für dieses Werk hatte der Dichter schon im 1904 entstandenen neuen Nachwort für Winnetou III angedeutet: mit der Erwähnung des "Mount Winnetou".4 In einem Schreiben vom 15. Januar 1907 an Felix Krais war vom IV. Band Winnetou ausdrücklich die Rede.5 Und seine Amerikareise im Herbst 1908 begründete May, gegenüber Fehsenfeld, mit "Vorstudien" zum IV. Band Winnetou.

   Nach der Rückkehr aus den USA schrieb er, am 11.12.1908, an Fehsenfeld: "Gleich nach Weihnacht" werde er mit der neuen Erzählung beginnen; der Band werde des großen Apatschen "wirkliches Testament" enthalten; Winnetous Nachlaß bestehe - so May im genannten Brief -


in seinen indianischen Erzählungen, die ich nun herauszugeben habe, ganz ebenso, wie ich auch Hadschi Kara Ben Halefs arabische Erzählungen herausgeben werde [...] Es erwarten Sie noch größere Ueberraschungen [...] Aber es gehört ein energischer [...] Verleger dazu, für den nur meine Intentionen maßgebend sind, nicht aber die von andern Leuten.


Weder die Kara-Ben-Halef-Bücher noch die 6-10 Winnetou-Bände, die May im Brief vom 10.12.1908 an Krais angekündigt hatte, wurden realisiert. Lediglich Winnetou IV konnte May noch in Angriff nehmen - aber nicht schon "nach Weihnacht" 1908, sondern erst im September 1909, nach Beendigung des 'Mir von Dschinnistan bzw. dessen Buchfassung für Fehsenfeld. Und zum "Clou des Weihnachtsmarktes"6 1909 wurde der Band


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keineswegs; denn erst Anfang April 1910 hat May das Manuskript zum Abschluß gebracht.

   Vom 6. Oktober 1909 bis 27. April 1910 erschien die Erzählung, als Vorabdruck, in der Unterhaltungsbeilage 'Lueginsland' der 'Augsburger Postzeitung';7 parallel dazu wurde der Satz für die Buchausgabe - Band XXXIII der Freiburger Reihe - fertiggestellt.

   Bis zum 3.10.1909 hatte der Autor 200 Manuskriptseiten geschrieben. Nach einer kleineren, krankheitsbedingten Arbeitspause meinte der Dichter im Brief vom 25.10.1909 an Krais wieder überschwenglich: "Man lauerte in Augsburg mit Schmerzen [...] Winnetou IV findet riesigen Anklang. Man bestellt die Postzeitung durch ganz Deutschland. Das ist die beste Reklame für uns."

   Doch die "gerichtlichen Strafanträge und Schriftsätze wegen der jetzigen, unmenschlichen May-Hetze absorbirten", wie der Autor (im Brief vom 28.2.1910 an Krais) beklagte, seine "ganze Kraft und Zeit". Aus diesem Grund benötigte er insgesamt etwa sieben Monate für die Niederschrift des letzten Romans, der unmittelbar vor dem - für May so verhängnisvollen - Charlottenburger Urteil8 beendet wurde.

   Die Journal- und die Buchfassung sind so gut wie identisch.9 Anders als im Falle des Pax-Romans oder des 'Mir von Dschinnistan fehlte dem Schriftsteller die Zeit für eine Überarbeitung oder gar für eine durchgängige Textrevision. Auch in der - 1012 Seiten umfassenden - Handschrift finden sich, im Gegensatz zum Silberlöwen III/IV und anderen Spätwerks-Manuskripten, quantitativ und qualitativ nur äußerst geringfügige Korrekturen. Insofern läßt Mays Schreibprozedur in Winnetou IV tatsächlich einen "regressiven Charakter"10 erkennen. Der Dichter fiel, aufgrund des Zeitdrucks und einer gewissen Erschöpfung, zurück in die frühere Schreibweise des berühmten "ich verändere nie, und ich feile nie".11 Die sprachliche Höhe nicht weniger Glanzpartien in anderen Alterswerken Karl Mays wird im letzten Roman folglich nicht ganz erreicht.

   Nicht nur für stilistische Verbesserungen fehlte die Muße. Auch zu ausgedehnteren Quellenstudien fand May wohl kaum die nötige Zeit. Sein 'Studium' dürfte sich beschränkt haben auf diverse Zeitungsberichte und einige, aus New York mitgebrachte, ethnographische Fachliteratur.12

   Daß Winnetou IV so "riesigen Anklang" fand, ist zu bezweifeln. Denn die meisten zeitgenössischen Leser konnten mit den Spätwerken Mays (deren wesentliche Merkmale auch dem Schlußband des Winnetou zukommen) im Grunde nichts anfangen.13

   Was den literarischen Rang des IV. Buches Winnetou betrifft, überwiegt heute nun freilich die positive Bewertung. Allerdings wurden, von Kennern, auch Einwände formuliert. Einige Beispiele für kritische, eher abschätzige Zensuren seien hier angeführt:

   Arno Schmidt, dessen negatives Fazit schon oben erwähnt wurde, rügte u.a. die "total verschrumpelte Bildkraft"14 des Amerika-Romans im Vergleich zu den Schlußbänden des Silberlöwen oder zu Ardistan und Dschinnistan. Ulrich Schmid bemängelte einige "Schwächen und Unklarheiten der Handlungsführung sowie der sprachlichen Gestaltung" aber auch die verhältnismäßig "unscharfe und allzusehr rekapitulierende Symbolstruktur"15 in Winnetou IV. Auch nach der Auffassung Dieter Sudhoffs fällt Mays letzte Erzählung im Blick auf das schlichtere Sprachniveau und "die relativ häufige Eindimensionalität gegenüber den durchgängiger mehrdimensional komponierten Spätromanen qualitativ ab". Vor allem kranke der IV. Band Winnetou - partiell - an "Phantasiearmut", die sich in "zahlreichen Parallelismen zu früheren Altersromanen" erweise: Für neue Bildschöpfungen habe dem Dichter "offensichtlich die Imagination" gefehlt.16


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   Andrerseits fügten die genannten Autoren ihrer Kritik doch (mehr oder weniger großes) Lob hinzu. Arno Schmidt räumte ein: "daß Liebe und Friede wertvoller sind als die interessanteste Prügelei",17 sei in Winnetou IV eine wichtige Einsicht. Ulrich Schmid erkannte die "faszinierenden Komponenten dieser späten 'summa indianica'"18 durchaus an. Und Sudhoff, der zu Winnetou IV eine umfangreiche Monographie verfaßte, kam zu einem insgesamt ja positiven Ergebnis: In seinem Abschiedsroman habe May "bei weitem alles hinter sich" gelassen, was er - mit Ausnahme des Silberlöwen III/IV und des 'Mir von Dschinnistan - zuvor geschrieben hat:


ein durchaus würdiger Schlußstein eines Lebenswerkes, das von den literarischen Niederungen Ardistans [...] bis zu den literarischen lichten Höhen des Dschebel Marah Durimeh und des Mount Winnetou führt [...] Karl May hat mit 'Winnetou IV' sein Lebensziel [...] erreicht.19


Daß der IV. Band Winnetou, bis auf den Mir und den Silberlöwen III/IV, alle früheren Bücher des Dichters übertrifft und "die These, daß May nur Jugendschriftsteller sei, widerlegt",20 betonte auch Ekkehard Koch in seiner Werkanalyse. Und Christoph F. Lorenz meinte, daß die Hauptvorwürfe Arno Schmidts "so schwer nicht wiegen können, daß man deshalb berechtigt wäre, Winnetou IV zum Werk des Verfalls berunterzustilisieren."21

   In dieselbe Richtung weist das Urteil Hans Wollschlägers: Unbeschadet vieler Mißlichkeiten, "die das Werk gestört haben", ist der letzte Roman Karl Mays - so Wollschläger in einer gerafften Zusammenfassung -

noch einmal bedeutend geraten und enthält partienweise eine reiche Fülle der Gesichte: die Fabel des Unternehmens, seine gesamte frühere Indianer-Literatur mit einem Schlußstein zu festigen, ist durchaus glänzend erdacht; geschickter als bei 'Friede' wird die Realität hineinverwoben (der eigenen Reise von 1908 und des großen Indianer-Kongresses von 190922); und wenn auch die aufgetürmten Symbol-Bilder im Schatten des 'Mir' bleiben und die Durchführung hinter dem Plan zurück, so ist doch das Ergebnis, das gegen soviel verruchte Umstände zu Stande kam, ansehnlich genug.23


   Ohne die, in der Sekundärliteratur angesprochenen, Form-Schwächen des Romans generell bestreiten zu wollen, ist dennoch zu sagen: Bei aller Ähnlichkeit (der Sujets, des Personals, der Symbolik) mit früheren Alterswerken ist Winnetou IV doch eine eigenständige Schöpfung - mit unverwechselbarem Profil,24 mit spezieller Thematik und besonderer Aussagekraft.

   Die "hochpoetische Qualität der Landschaftsbilder"25 ist nicht zu übersehen. Auch erzählerisch ist der Roman ohne Zweifel geglückt. Er enthält sehr schöne, teils amüsante, teils ernste und mitunter auch höchst dramatische Szenen. Die Grundstimmung ist, wie schon eingangs vermerkt, von unendlicher Hoffnung, von prophetischer Sehnsucht getragen. Das christliche Lebensgefühl, das Werte-Bewußtsein, das Gottvertrauen und nicht zuletzt der Humor des Verfassers sind ungekünstelt und echt.

   Der Aufbau des Werkes ist, wie Joseph Höck, ein katholischer Theologe, schon 1929 gezeigt hat,26 überzeugend und konsequent: In steiler werdenden Stufen geht es hinauf zum Mount Winnetou; "ein unverkennbar gutes",27 hoch aufstrebendes Gedankengefüge hat der Dichter seinem Werk zugrundegelegt.

   Künstlerisch gelungen ist - kaum weniger als in anderen Spätromanen Mays - die Verknüpfung der äußeren Fabel mit autobiographischem Material und weltanschaulicher Botschaft. Die verschiedenen Leseebenen (Handlung; Selbstdarstellung des Autors; Reflexion übers eigene Werk; gesellschaftspolitische Anliegen; philosophisch-theologische Assage) sind gut miteinander verwoben. Sie durchdringen sich gegenseitig und werden in manchen Partien zur vollen Deckung gebracht. "Komm, o komm, und rette Deinen Win-


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netou. Man will ihn Dir erwürgen und erschlagen!" (S. 16)28 Dieser Appell ist auf allen Bedeutungsebenen relevant.

   Für die inhaltliche Bewertung von Winnetou IV ist - darin hat Günter Scholdt, ein kritischer Rezensent des Romans, natürlich recht - "die Grundeinstellung des Lesers mitentscheidend".29 Von der eigenen Position des Betrachters wird es auch abhängen, ob die theologische Botschaft (deren Perspektivenreichtum hinter anderen Spätwerken Mays in keiner Weise zurücksteht) im ganzen bejaht oder verneint oder partiell in Frage gestellt wird. Weiter unten, im Abschnitt 'Spuren der anderen Welt', soll die theologische Auseinandersetzung mit Winnetou IV, im Blick auf heutige Problemstellungen, versucht werden.

   In den folgenden Kapiteln beschränkt sich die Analyse auf die Darstellung der Fabel, der handlungstragenden Leitgedanken und der autobiographischen Spiegeleffekte in Winnetou IV. Der zugrundeliegende Text ist die Buchausgabe bei Fehsenfeld.30


10.14.2

Die Fabel und die handlungstragenden Leitgedanken


Seit "Weihnacht!" (1897) hatte Karl May den Wilden Westen als Schauplatz seiner Erzählungen gemieden. Kein einziges seiner späteren Werke - bis 1909 - spielt im Land der Indianer. Der Grund dürfte sein:31 Das Terrain der 'dark and bloody grounds' war, noch mehr als der Orient, in der Vorstellung fast sämtlicher May-Leser untrennbar verknüpft mit 'Hauen und Stechen', mit Pulverdampf und Kriegsgeschrei, einer Welt also, von der sich May - spätestens seit der Jahrhundertwende - gelöst hatte. Der Symboldichter May, der sich vehement dagegen verwahrte, als 'Unterhaltungskarnickel' für pubertierende Buben zu gelten, wollte mit der Abenteuerliteratur und speziell der Indianerromantik jetzt nichts mehr zu tun haben.

   Andrerseits war er, mit Recht, doch geneigt, sein Gesamtwerk als Einheit, d.h. sein Alterswerk als Ergebnis einer fortschreitenden, im Anfang schon grundgelegten Entwicklung zu sehen. Von den frühesten Abenteuergeschichten bis hin zu Ardistan und Dschinnistan gibt es, wie er richtig erkannte, durchaus einen Weg, der Anfang und Ende miteinander verbindet.32 So wird es plausibel, daß May auch die Indianerromane der früheren Schaffensperioden in die jetzige literarische Arbeit - die religiöse Symboldichtung - zu integrieren versuchte. Das Resultat dieses Bemühens ist Winnetou IV.

   Mit diesem Werk wollte May die Winnetou-Bände I-III (1893),33 aber auch seine andern Wildwest-Romane zum krönenden Abschluß bringen. Die Spuren der Transzendenz, die diesen früheren Büchern tatsächlich schon eingestiftet waren, wollte der Dichter - im Sinne der Spätwerksideen - nun weiterverfolgen. Und zugleich wollte er, keineswegs ungeschickt, eine innere Verbindung zwischen den beiden Hauptgruppen seines Erzählwerks, den Orient- und den Amerikaromanen, herausstellen: indem er Marah Durimeh, die orientalische 'Menschheitsseele', auch zur Königin der indianischen Urvölker erhob. Mays - wie ja feststeht, korrekter34 - Verweis auf die asiatische Herkunft der 'roten Nationen' bildete, geographisch und gedanklich, die "Brücke" (S. 276), mit der dem Dichter eine 'höhere', poetisch reflektierte Kontinentsüberschreitung gelang."35

   Gegenüber den Erfolgsbänden Winnetou I-III muß der, viel weniger populäre, Fortsetzungsband - sowohl der Form wie dem Inhalt nach - als bedeutende Steigerung anerkannt werden. 'Das Testament des Apachen', also das Schlußkapitel von Winnetou III, wird wieder aufgegriffen und - so Roxin - "beträchtlich vertieft".36 Worin besteht diese Vertie-


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fung? Betrachten wir, im Kontext des Handlungsverlaufs, die Grundgedanken des Romans.


10.14.2.1

Vorzeichen


Der "fast siebzig" Jahre alte Ich-Erzähler Old Shatterhand alias Karl May - auf diese Problematik kommen wir später zurück - liest zu Hause, in Radebeul, höchst merkwürdige Briefe aus Amerika: Er wird eingeladen, zum Mount Winnetou, einem mysteriösen, ihm unbekannten Berg im Land der Apatschen zu kommen. Die Absender der Briefe sind zum Teil Personen, die der May-Leser von früheren Bänden her kennt: Freunde Old Shatterhands wie die Brüder Surehand und Apanatschka.

   Auch Feinde melden sich brieflich zu Wort. Tangua, der älteste Häuptling der Kiowas, z.B. fordert May heraus: "Hast Du Mut, so komme herüber nach dem Mount Winnetou! Meine einzige Kugel, die ich noch habe, sehnt sich nach Dir!" (S. 6)

   Am Mount Winnetou soll es zum "großen, letzten Kampfe" kommen. Ein Bund der Häuptlinge will über die Bleichgesichter zu Gericht sitzen und über die Zukunft der roten Männer entscheiden. Auch Frauen-Meetings sind vorgesehen. Das letzte Wort will ein 'Komitee' behalten, dessen Vorsitzender ein Professor der Philosophie ist. Das Komitee scheint überhaupt die maßgebliche Rolle zu spielen: plant es doch, zum Ruhme des Apatschen, eine gigantische Statue, ein kolossales Denkmal zu errichten.

   Einen letzten, noch rätselhafteren Brief erhält Shatterhand von dem uralten Tatellah-Satah, dem 'Bewahrer der großen Medizin': "Mein weißer [...] Bruder! Ich fragte Gott nach Dir [...] Eile herbei [...] und rette Deinen Winnetou! Man will ihn falsch verstehen" (S. 15).

   Shatterhand soll, so will es Tatellah-Satah, auf dem Weg zum Mount Winnetou den Nugget-Tsil aufsuchen: wo Santer (in Winnetou IV fast immer Sander geschrieben37) den Vater und die Schwester Winnetous ermordet und dieser sein Testament vergraben hatte - das von Sander schließlich zerfetzt und vernichtet wurde.38

   May beschließt, die Reise - zusammen mit seiner Ehefrau Klara, dem 'Herzle' - in Angriff zu nehmen. "Da man zwar noch von einem 'Westen', aber schon längst nicht mehr von einem 'wilden Westen- (S. 23) sprechen kann, hält er das Unternehmen für ungefährlich.

   Noch kurz vor dem Aufbruch wünscht ein Mr. Hariman F. Enters, der sich als Buchhändler vorstellt, eine Unterredung mit May. Dieser soll ihm den Winnetou "mit allen Rechten" (S. 35) verkaufen. Hariman, ein depressiver, suizidgefährdeter Mensch mit unendlich traurigen Augen und gequältem Lächeln, ist aber kein Buchhändler und heißt auch nicht Enters. Sein echter Name ist - Sander. Er ist, wie May - aufgrund von Indizien - durchschaut, der Sohn des Mörders von Intschu-tschuna und Nscho-tschi. Seine wahre Absicht ist es, den Winnetou "verschwinden" zu lassen: damit die Verbrecher-Karriere seines Vaters in den USA nicht bekannt werde.

   Den Winnetou zu verkaufen, ist May nicht bereit. Aber ein Wiedersehen mit Hariman stellt er in Aussicht: In Niagara Falls sollen Hariman und dessen Bruder Sebulon mit Old Shatterhand zusammentreffen.


10.14.2.2

Stufen zum Mount Winnetou


Über New York, Albany und Buffalo kommt das Ehepaar May, unter dem Pseudonym 'Mr. Burton und Frau', in Niagara Falls an und wohnt im Clifton-Hotel. Dort findet eine


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Begegnung mit zwei vornehmen Indianerhäuptlingen statt, die zugleich bedeutende Sprachforscher sind: Mr. Athabaska und Mr. Algongka,39 deren Blick "jene tiefe Schwermut, jene seelische Trauer bekundet, welche verschwindenden Jahren, zu Ende gehenden Tagen und sterbenden Völkern eigen ist." (S. 54)

   In Buffalo, beim Besuch des Grabmals von Sa-go-ye-wat-ha, des friedliebenden Häuptlings der Senekas (1752-1830),40 trifft May erneut auf Algongka und Athabaska. Wenig später, beim Anblick der Niagara-Fälle, entwickelt sich zwischen 'Mr. Burton'41 und den beiden Edelindianern ein wichtiges Gespräch. Burton meint über das Schicksal der roten Völker: Wie das Auge des Menschen nur die stürzenden Fluten des Niagara zu sehen vermag, nicht aber die Wasser, aus denen sie kommen und in die sie sich ergießen, so sieht die Gegenwart nur den "Fall", den Untergang der roten Nationen. "Wo haben wir das große, [...] das herrliche Volk zu suchen, dessen Kinder diese Zerschmetterten sind? [...] Und wo ist das noch größere, [...] noch herrlichere Volk zu finden" (S. 66), dem eine neue, bessere Entwicklung zukommt?

   Mit dieser Frage ist ein zentraler Gedanke des Romans anvisiert: Der großen Vergangenheit der Urbewohner Amerikas könnte eine noch größere Zukunft entsprechen - falls die Indianer vom Schlaf erwachen, ihre verlorene Seele wiederentdecken und den einzigen Weg zur Rettung beschreiten.

   Der Niedergang der Indianer war, wie May - historisch zumindest teilweise richtig42 - betont, zum einen durch die Gewalt der weißen Eroberer, zum andern durch die Indianer selbst: durch tyrannische Herrschaftsformen43 und selbstzerstörerisches Verhalten der vor- und der nachkolumbischen Indianer verschuldet. Sein Vorwort zu Winnetou I hat May in Winnetou IV (S. 2f.) nun freilich revidiert,44 sofern er den 'Roten' nicht mehr den Tod prophezeit, sondern das Leben: Wenn sie 'erwachsen' werden und "über das Alter, in dem man sich nur immer schlägt und prügelt" (S. 60), hinauswachsen, dann wird Gott, der "allgütige Lenker der Welt", die roten Stämme zu einem großen, geeinten Volke machen.

   Aber das Thema in Winnetou IV ist nicht nur das Schicksal der Indianer. Um die Zukunft der Menschheit geht es in diesem Roman! Denn "kein Mensch, kein Volk und keine Rasse" darf "Kind [...] bleiben" (S. 60). Der Weg zur Reife und damit zum Leben wird als Weg vom Haß zur Versöhnung, von der Angst zur Liebe verstanden. Beispielhaft wird dieser Weg im Entwicklungsprozeß der Sander-Söhne geschildert.

   In Niagara Falls trifft May, wie vereinbart, die Enters-Brüder. Während Hariman zwar gefährdet, im Grund aber ein "guter Mensch" (S. 27) ist, scheinen Geldgier und der "Sandersche Zwang" (S. 44) zum Mord oder Selbstmord den Sebulon zu beherrschen. Hariman warnt seinen Bruder: Der Vater hat sich selbst zugrundegerichtet; und "er holt uns nach, uns alle, uns alle!" (S. 71) Sebulon schweigt und meint dann, "mehr klagend als erregt: 'Es ist fürchterlich, [...] wie das innerlich schreit und lockt, wie es treibt und schiebt, wie es drängt und drängt [...] Ich wollte, ich wäre schon tot!- Doch Hariman hofft "noch immer auf Rettung! Die aber ist nur dann möglich, wenn das Geschehene Verzeihung findet." (Ebd.)

   Shatterhand, der das Zwiegespräch der Brüder belauscht hat, will sie nun prüfen: Bestehen sie diese Prüfung, so wird er sie, ihrer Bitte gemäß, zum Nugget-Tsil führen. Daß sie in Wirklichkeit Sander heißen, haben die Brüder nun zugegeben. Doch anders als Hariman wird Sebulon noch immer getrieben vom Haß, speziell auf Old Shatterhand.

   Mit der Bahn legt das Ehepaar May die lange Strecke bis Trinidad/Colorado zurück. Dort kommt es zum Wiedersehen mit einem alten Gefährten: Max Pappermann, einem


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treuen, aber - wie er meint - vom Unglück verfolgten Menschen, der die 'Burtons' begleiten wird, bis hin zum Mount Winnetou.

   Durch einen Husarenstreich à la Shatterhand gewinnt 'Mr. Burton' eine Wette mit einer Gruppe von Rowdies. Kostbare Pferde gelangen auf diese Weise in seinen Besitz. Und den 'jungen Adler', der bei den Weißen die Kunst des Fliegens studiert hat und - als Lieblingsschüler Tatellah-Satahs - die Zukunft der roten Nationen verkörpert, lernt er in Trinidad kennen.

   Bestens beritten, verlassen Mr. Burton und Frau zusammen mit Pappermann und dem 'jungen Adler' nun Trinidad. Am Kanubi-See45 begegnen sie der jungen Aschta, einem wunderschönen Mädchen, dessen Name die 'Güte' bedeutet. Sie gleicht ihrer Mutter, der älteren Aschta, die ebenso "rein" und "fromm" (S. 144) ist wie sie. Ihr Vater ist Wakon - ein wahrhaft bedeutender und absolut friedlich gesinnter Medizinmann der Sioux-Indianer.

   Auf ihrer Brust trägt Aschta, genau wie der 'junge Adler', einen zwölfstrahligen Stern: das Zeichen des 'Clan Winnetou'. Inwieweit die von May beschriebenen, von der üblichen Wortbedeutung (Clan = Sippe oder Sippenverband) stark abweichenden Clan-Verhältnisse der vorkolumbischen Indianer historisch verifizierbar sind.,46 sei dahingestellt. Wichtig jedenfalls sind die Ausführungen über den neuen, das ursprüngliche Clan-Wesen wiederaufgreifenden 'Winnetou-Clan'.

   Das urzeitliche, von den Indianern (bzw. der Menschheit) nicht mehr befolgte 'Gesetz von Dschinnistan' - "Ein jeder Mensch soll der Engel eines andern Menschen sein!" (S. 281) - wird im 'Clan Winnetou' wieder ernstgenommen: Wer den Stern trägt, ist bereit, "die Vergangenheit zu sühnen", d.h. nicht länger zu hassen, sondern zu lieben, und so "des verlorenen Paradieses würdig zu werden." (S. 288)

   Frauen und Männer aus sämtlichen indianischen Stämmen, und seien sie noch so verfeindet, können diesem Clan beitreten. Tatellah-Satah, der "Priester" ist und "nicht Krieger" (S. 431), hat ihn - im Geiste Winnetous - gegründet. Seine Ziele sind "kein Geheimnis; alle Welt" (S. 275) soll sie kennen: Jeder 'Winnetou' und jede 'Winnetah' - so nennen sich die Mitglieder des Clans - soll zum "Schutzengel" werden- "der Engel eines Verhassten oder gar Verachteten zu sein" gilt als Weg zu "wahren Menschlichkeit" (S. 292).

   Und um die Gefahr des Stolzes, der Selbstgefälligkeit zu vermeiden, gilt die Bestimmung: Erst nach dem Tod des Beschützers wird der Name des Beschützten bekannt - wenn der Stern, unter dem der Name zu lesen ist, vom Kleid des Beschützers getrennt wird.

   Für den Dichter hat der Winnetou-Stern "eine große Bedeutung: Ich hatte von hier aus in die Zukunft, in die Ferne [...] zu schließen." (S. 163) Geographisch liegt diese Ferne am Mount Winnetou, dem sich - in weiteren Stufen - Old Shatterhand und seine Begleitung jetzt nähern.

   Vom Kanubi-See führt der Weg ins Tal des "Purgatorio", ins Tal der 'Läuterung', zur sogenannten "Teufelskanzel", die die Indianer aber ganz anders bezeichnen: "Ohr Gottes" (S. 178) nennen sie diesen Ort. Ein "tiefer Sinn", eine "Wahrheit" deren Kern aber nicht mehr verstanden wird (S. 179),47 steckt hinter diesen Bezeichnungen. Nur wissenschaftlich gesehen, handelt es sich - wie Shatterhand erkennt - um ein schlichtes, von der Baukunst der früheren Indianer genutztes Gesetz der Akustik: Auf einem bestimmten Punkt (innerhalb einer bestimmten geometrischen Figur) kann man hören, was an einem anderen, entfernteren Punkt gesprochen wird.

   Diese Erkenntnis wendet Shatterhand an. Er belauscht aus sicherer Entfernung die alten, an der kriegerischen Vergangenheit noch immer orientierten Häuptlinge der Sioux


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und Komantschen, der Utahs und Kiowas. Sie planen in kindischer Dummheit nur Böses: Die Apatschen wollen sie überfallen; und Shatterhand soll getötet werden; die Enters-Brüder, mit denen die Häuptlinge im Bunde stehen, sollen Shatterhand verraten.

   Mit Hilfe eines Tricks gelingt es dem Lauscher, die Indianer - die, wie sie glauben, vom Zorn des 'Großen Geistes' überrascht wurden - in die Flucht zu jagen. Einer der Häuptlinge verliert, in der Panik, die Hälfte seiner 'Medizin'. Shatterhand nimmt sie als Pfand zu sich.

   Unterwegs zum Nugget-Tsil stoßen die Sander-Brüder auf Shatterhand. Daß sie dem Nugget-Tsil nahe sind, ahnen sie nicht. Shatterhand klärt sie nun auf. Hariman weint, "laut und bitterlich" (S. 245); Sebulon aber ist - vom "Dämon" besessen. Den Nugget-Tsil bringt er, in seinem Wahn, mit Goldschätzen in Verbindung. Das "Fieber", die Gier übermannt ihn.

   Im Grab Intschu-Tschunas liegt tatsächlich ein Schatz, aber nicht Gold, sondern Winnetous Testament, sein wirkliches Testament. Das 'Herzle' ahnt: Die Goldanweisung, die ihr Mann - laut Winnetou III - gefunden hatte, "lag nur zum Schutze des eigentlichen, wirklichen Schatzes oben darauf!" (S. 239) Ein zweites Mal nachzugraben, aber "besser, sorgfältiger und tiefer als damals", nimmt Shatterhand sich nun vor.

   In seinem Schreiben nach Radebeul hatte Tatellah-Satah eine Blaufichte genannt, die am Nugget-Tsil sprechen werde: "wie die Stimme Manitous, des großen [...] Geistes! " (S. 16) Shatterhand findet, versteckt in der Fichte, einen Brief des 'Bewahrers der Medizin': "Warum suchtest du nur nach [...] goldenem Staub? Glaubtest du wirklich, Winnetou [... ] könne der Menschheit nichts Besseres hinterlassen?" (S. 243)

   In "größerer Tiefe zu suchen", ist die Devise in Winnetou IV. Shatterhand läßt es zu, daß Sebulon - in einer Leidenschaft, die "Wahnsinn" (S. 250) ist - zu graben beginnt. Fünf große Pakete legt er frei. Sie enthalten - Papier, beschriebene Blätter, Winnetous Testament. Enttäuscht und in maßloser Wut schleudert er die Pakete weit fort.

   Noch während der Arbeit hat er gedroht, Old Shatterhand zu ermorden. Aber jetzt, nach dem Scheitern seiner Pläne und dem Zusammenbruch seines Innern, beginnt die Verwandlung des Sebulon. Die Augen des 'Herzle', die Liebe, die Güte bedrängen ihn. Er kämpft mit sich selbst. Zuletzt siegt - das 'Herzle'. Wie zuvor schon Hariman, bittet auch Sebulon um den Stern des 'Clan Winnetou'! Die Brüder werden, als erste Weiße, in den Clan aufgenommen. Hariman wird, wie sich am Ende herausstellt, zum Beschützer Old Shatterhands und Sebulon zum Beschützer des 'Herzle'.

   Die Mays und ihre Gefährten, zu denen nun auch die Sanders gehören, verlassen den Nugget-Tsil. Nach einer, sehr unerfreulichen, Begegnung mit dem 'Komitee zur Errichtung des Winnetou-Denkmals' treffen sie auf eine, als Mann verkleidete, Kiowa-Indianerin: Kakho-Oto, deren Liebe zu Shatterhand - laut Winnetou I - nicht erwidert wurde. In einer verzichtvollen und um so tieferen Freundschaft war sie Shatterhand treu geblieben. "Die Ideale [...] der Friedfertigkeit und der Nächstenliebe" (S. 339) hatte sie heilig gehalten. Und dem 'Clan Winnetou' gehört sie jetzt an.

   Kakho-Oto, die geistige "Schwester" (S. 349) Old Shatterhands, führt die Reisenden zum 'Haus des Todes'. Auf dem Weg entwickelt sich eine Herzensverbindung der Indianerin mit Frau Klara. Pappermann, der zu 'Herzle' - wie auch zu den Aschtas - eine innige Beziehung hat, wird eifersüchtig.48 Denn Kakho-Oto ist, wie er meint, ja ein Mann. Shatterhand genießt dieses Mißverständnis und läßt sich Zeit mit der Aufklärung.

   Im 'Haus des Todes', einem antiken Beratungstempel, gefüllt mit Häuptlings-Skeletten aus uralter Zeit, beobachtet Shatterhand die feindlichen Indianer:


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"Sie denken nur an die Vergangenheit und sind unfähig, die Gegenwart zu begreifen [...] Indem ich sie hier an uns vorbeireiten sehe, ist es mir, als ob sie nicht Körper seien, sondern verschmachtete Seelen, die nach dem Jenseits ziehen, um dort in ihren leeren, ewigen Jagdgründen vollends zu verhungern!" (S. 358f.)


   Eine mitternächtliche Szene antizipiert die späteren Ereignisse und erhellt sie in ihrer sakralen Bedeutung: Die Häuptlinge versammeln sich im Haus des Todes "zur letzten, bösen Tat, in deren Schoß" aber "die Befreiung aus der Finsternis zu suchen und zu erfassen war" (S. 367f.)!

   Im Zentrum der Mayschen Altersromane stehen Verheißungen und Prophetien (im Gewand des Märchens und des Mythos), die im Handlungsverlauf dann verifiziert werden. So auch in Winnetou IV. Shatterhand belauscht die Häuptlinge und ihre Medizinmänner. Er hört diese Worte:


"Im Tempel unseres [...] Bruders Tatellah-Satah hängt die Riesenhaut des [...] Silberlöwen, auf welcher folgendes geschrieben steht: 'Bewahret eure Medizinen! Das Bleichgesicht kommt über das große Wasser [...], um euch eure Medizinen zu rauben. Ist er ein guter Mensch, so wird es euch Segen bringen. Ist er ein böser Mensch, so wird es ein Wehklagen geben [...]'"(S. 368)


   Und weiter hört Shatterhand:


"Aber neben diesem Felle des Silberlöwen hängt die Haut des großen Kriegsadlers; auf der steht geschrieben: 'Dann wird ein Held erscheinen, den man den 'jungen Adler' nennt. Der wird dreimal um den Berg der Medizinen fliegen und sich dann zu euch niederlassen, um euch alles wiederzubringen, was das Bleichgesicht euch raubte.'"(S. 368f.)


   Den Sinn der Verheißungen können die Häuptlinge nicht begreifen. Sie denken nur an Gewalt. Zur symbolischen, quasi sakramentalen Bekräftigung ihrer Kriegsbeschlüsse legen sie ihre Medizinen ab: um sie aufzubewahren unter der Platte des Tempelaltars. Nach dem Abzug der Indianer raubt Shatterhand, der weiße Mann, die Medizinen - damit die Schrift, der erste Teil dieser Prophetie, in Erfüllung gehe.

   Um die Tragweite dieser Szene zu erfassen, müssen die Hinweise Mays zur Bedeutung der 'Medizin' und der 'Medizinmänner' beachtet werden:

   Die "Theologie und Wissenschaft" der vorkolumbischen Indianer stand zwar - so heißt es in Winnetou IV - noch in den "Anfängen"; aber Pfuscher waren die Träger dieser Theologie und Wissenschaft keineswegs.49 Wie hoch sie standen,


ehe sie Gelegenheit hatten, die "Zivilisation" der Weißen kennen zu lernen, ersehen wir heutigen Tages erst nach und nach, indem wir unsere Forschung tiefer und tiefer in die Vergangenheit der amerikanischen Rasse hinuntersteigen lassen [...] Alles, was bei jenen Völkern [...] Gutes, Großes und Edles geschah, entsprang jenen geistigen Quellen und den Köpfen jener Männer,50 welche von ihren Nachkommen später als "Medizinen" und "Medizinmänner" bezeichnet wurden. Hiermit sind Theologen, Politiker, [...] Maler, Bildhauer, [...] Aerzte, kurz, alle diejenigen Personen und Stände zusammengefaßt, durch welche die intellektuellen und ethischen Potenzen jener Zeiten sich betätigten. (S. 19f.)


   Als die Weißen kamen, sahen die Indianer so manches,


was ihnen gewaltig imponierte [...] Sie hörten das Wort Medizin zum ersten Male, und sie verbanden mit ihm den Begriff des Wunders, des Segens, der göttlichen Liebe [...] Kurz, der Ausdruck "Medizin" wurde für sie gleichbedeutend mit dem Worte Mysterium [...] Alles, was mit ihrer Religion, ihrem Glauben und ihrem Forschen nach ewigen Dingen in Beziehung stand, wurde als "Medizin" bezeichnet. (S. 18)


   Mit der 'Medizin' hat Shatterhand also das 'Heil', die 'Seligkeit', das tiefste "Mysterium" der Indianer in seine Hand gebracht. Aber er will, der Verheißung gemäß, nur Segen vermitteln: Wenn sie umkehren zur Liebe, werden die Indianer ihre Medizinen zurückbekommen.


//559//

10.14.2.3

Die Sehnsucht der roten Völker


Nach glorreicher Überwindung von mehreren Hindernissen erreichen Shatterhand und seine Begleitung das Reiseziel, den Mount Winnetou. "Die bisherigen Ereignisse, die mehr nur Andeutungen und stimmungsvolle Erwartung darstellten, gewinnen nun bald einen festeren [...] Inhalt. "51

   Den Mount Winnetou vergleicht der Erzähler mit einem gotischen "Riesendom" (S. 387). Der Hauptturm bildet den eigentlichen Berg; der Nebenturm aber ist identisch mit dem 'Berg der Medizinen', den der 'junge Adler', der Verheißung nach, umfliegen soll. "Hier oben war der rechte Platz für neue, gute und glückliche Menschheitsgedanken!" (S. 391)

   Auf halber Höhe des Mount Winnetou sind verschiedenartige, in allen Baustilen errichtete Häuser zu sehen, deren Alter "gewiß noch über die Tolteken- und Aztekenzeit zurückreicht" (S. 389). Für diese Vergangenheit und ihre Baukunst findet May aber kritische Worte: Trotz ihrer Riesenhaftigkeit erscheinen diese Gebäude "so niedrig und so geistesabwesend [...] Es war nichts an ihnen, was zum Himmel strebte." (S. 416) Auch der 'Wachtturm' weist "nach unten [...] Er war zur Beherrschung der Tiefe da, nicht aber als Fingerzeig für ein geistiges Aufwärtsstreben." (S. 417)52

   Doch jetzt ist die neue Zeit, die Zeit der Entscheidung gekommen. Auf dem 'Felsenschloß' des Mount Winnetou residiert der 'Bewahrer der großen Medizin', Tatellah-Satah, dessen Name "'Tausend Jahre' bedeutet" (S. 17). Er "grollt [...] und läßt sich vor niemand sehen" (S. 398). Nur die Mitglieder des 'Clan Winnetou' dürfen zu ihm hinauf. Auch Shatterhand war, bis vor kurzem, für ihn "nicht vorhanden" (S. 21). Er ignorierte ihn: weil Shatterhand, nach dem Tode Winnetous, nur Gold gesucht und das wirkliche Testament nicht gefunden hatte. Und weil er auch sonst ein Versager war. Denn Shatterhand trug, nach der Meinung Tatellah-Satahs, die eigentliche Schuld am Tode von Nscho-tschi: die ja, um Shatterhands willen, ihre Heimat verlassen hatte, um das Leben der Weißen kennenzulernen.

   Der jetzige Zorn des 'Bewahrers' aber richtet sich gegen das protzige, vom 'Komitee' geplante Winnetou-Denkmal. Um Shatterhand zum Verbündeten zu gewinnen, hatte Tatellah-Satah ihn eingeladen, an den Beratungen "hier in meinen Bergen, deren heilige Stille und Ruhe für immer vernichtet werden soll, teilzunehmen." (S. 15) Da Shatterhand der Einladung folgte, das Testament des Apatschen fand und - wie der 'Bewahrer' erfuhr - das Denkmal ebenfalls ablehnt, ist Tatellah-Satah nun gänzlich versöhnt.

   'Thousand Years' verläßt das Felsenschloß und reitet Old Shatterhand entgegen. In seinen "unerforschlichen, selbst aber alles erforschenden Augen" liegt der "Ausdruck einer unerbittlichen Strenge und doch auch wieder einer heiligen Güte [...], die alles verstehen und alles verzeihen konnte." (S. 402f.) Seine Stimme, seine Gesichtszüge und sein silberglänzendes Haar, das in langen Zöpfen herunterhängt, erinnern an - Marah Durimeh, die Menschheitsseele, die uralte Königin von Sitara.

   Der geheimnisvollste der Indianer stellt sich selbst und Old Shatterhand der staunenden Menge nun vor: "Ich bin die Sehnsucht der roten Völker, welche, nach Osten schauend, auf Erlösung warten. Und er ist der anbrechende Tag, der über Länder und Meere wandert, um uns die Zukunft zu bringen." (S. 404)

   Shatterhand und das 'Herzle', die 'wiedergeborene' "Nscho-tschi" (S. 424),53 sind Tatellah-Satah aufs höchste willkommen. Er zeigt ihnen das, noch unvollendete, Standbild Winnetous:54 eine "fatale Figur" (S. 493), die für den Apatschen eine "Kränkung" (S.


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285) bedeutet. Man ahnt es schon jetzt und später wird es dann klar: Der "drohende", ja "gierige Ausdruck des Gesichtes" (S. 446) harmoniert "mit der aggressiven Bewegung, welche der Figur [...] erteilt worden war." Messer, Pistole und weitere Waffen verstärken die kriegerische Erscheinung. "Den rechten Fuß wie zum Sprunge vorgesetzt, stützte sich die Figur auf die [...] Silberbüchse, während die rechte Hand einen geladenen zweiten Revolver drohend vorstreckte." (S. 445f.)

   Die Künstler, die dieses Machwerk verbrochen haben, sind - die Söhne von Surehand und Apanatschka: begabte, im Grunde sympathische junge Leute, deren Kunst aber "in echt amerikanischer Weise auf den Abweg der Busineß hinübergeleitet" (S. 12) war.

   Shatterhand ist entsetzt: Dieses Werk muß "verschwinden" (S. 413)! Eine "Sünde" ist dieses Projekt, weil es - im Zusammenhang mit 'Winnetou City', einer neu zu gründenden Stadt - die "Zerstörung" der Landschaft, des 'Schleierfalles'55 vor allem, bewirkt und "Beschlag auf die herrliche Gotteswelt" (S. 397f.) nimmt. Und eine Beleidigung für Winnetou ist diese Figur, weil sie zum Neid provoziert, die roten Völker entzweit und den Charakter des - nur Frieden, nur Liebe schenkenden - Apatschen verfälscht.

   Bekanntlich hatte May sein Winnetou-Bild, von Erzählung zu Erzählung, immer mehr korrigiert.56 Aus dem Skalpjäger wurde der Edelindianer, der den Haß überwindet und auf Rache verzichtet. Jetzt aber, im letzten Roman Karl Mays, erreicht die Weiterentwicklung des Winnetou-Bildes den Gipfel:

   Der Apatsche war ein Mensch, der immer nur "diente". Seine Freude war es, die Last andrer Leute zu tragen. Er wollte helfen, er wollte "beglücken" (S. 444). In seinem Arbeitszimmer - auf dem Mount Winnetou - steht noch immer der "Schreibtisch" (S. 429).57 In diesem Raum, den Shatterhand nun erstmals betritt, hat der Apatsche sein Testament, seine Liebesbotschaft geschrieben. Nicht erst im Sterben wurde er Christ; er war es schon lange zuvor! Wenn ihn "Leid" oder "Sehnsucht" bewegten (S. 430), hat er gebetet: zum großen guten Manitou, den er zugleich als den Gott des Kreuzes verehrte. In der unterirdischen "Blumenkapelle, in welcher Tatellah-Satah zu beten pflegt", hat Winnetou das Kreuz eingepflanzt. Die "Passiflora" hat er beschnitten: so daß sie später ein "Kreuz bildete, ein ganz auffälliges Zeichen des Christentums" an diesem - für Shatterhand, den Betrachter - so "fremden, geheimnisvollen Orte" (S. 476f.).

   Tatellah-Satah erklärt: Winnetou "sagte, das sei das Zeichen seines Bruders Old Shatterhand. Er verstehe es noch nicht, aber er werde es verstehen lernen, je höher es hier wachse." (S. 477)

   Jetzt also wird deutlich, warum die 'Sehnsucht der roten Völker' nach "Osten" schaut: Die Erlösung kommt vom Orient, dem Ursprung des christlichen Glaubens! Die Erlösung kommt vom Kreuz, das "grünt" und "blüht" (S. 476) und also nicht Zeichen des Todes, sondern des Lebens ist. Und weil dieses Kreuz das 'Zeichen Old Shatterhands' ist, des weißen Mannes, der nichts als nur Liebe bringt, kann Shatterhand den roten Völkern die "Zukunft" vermitteln und kann der 'Raub' der Medizinen zum "Segen" werden.

   Der 'Bewahrer der Medizin' bestätigt es selbst: "Schaut hin auf das Kreuz! Es blüht, um uns zu erlösen [...] Old Shatterhand war es, der uns dieses Wissen brachte. Wir aber nahmen es nicht an." (S. 481)

   Während die Machenschaften zur Errichtung der Winnetou-Statue weiterlaufen, gewinnt Shatterhand die - aus Surehand III bekannte58 - Indianerin Kolma Putschi (deren Enkel die beiden Künstler Young Surehand und Young Apanatschka sind) für ein gänzlich anderes Bild: den, von Sascha Schneider gemalten,59 "zum Himmel strebenden Win-


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netou: 'Ueber ihm das Kreuz! [...] Seinem Haar entfällt die Häuptlingsfeder! Das letzte Irdische, was noch an ihm haftete!'" (S. 500)

   In Kolma Putschis Gesicht "glänzte der Schein einer höheren Freude." Auch Tatellah-Satah - sah das Bild [...] mit immer größer werdenden Augen [...] Es kam ein frohes Erkennen über ihn." (S. 499) Dieses Bild, das Winnetou "als Seele" zeigt. Soll an die Stelle des Denkmals aus Stein treten.

   "Ich wußte bisher nicht", meint Kolma Putschi, "daß es Bilder gibt, die mächtiger und eindringlicher predigen, als Worte predigen können!" (S. 501) Überflüssig ist das gesprochene WORT aber nicht: Um dem "echten", dem "wahren" Winnetou die Herzen zu bereiten, wird im Passiflorenraum ein 'Lesezirkel' gebildet. Shatterhand liest in einer Reihe von Sitzungen aus Winnetous Testament, das geschrieben ist "für alle, die da Menschen sind auf Erden." (S. 522) Berühmte Häuptlinge hören zu; auch Wakon, der Medizinmannder Sioux-Ogallallah,60 und dessen Frau, die ältere Aschta; auch Kolma Putschi mit ihren Söhnen und Enkeln, den Schöpfern des Denkmals aus Stein.

   Die Vorlesung "bewirkte Wunder" (S. 525):


Ihre größte Wirkung war die, daß Young Surehand und Young Apanatschka stets die ersten waren, die sich einstellten [...] Es war, als ob ein Wettstreit zwischen uns und ihnen herrsche, welche Figur am ersten fertig sein werde, ihre steinerne oder unsere rein geistige" (Ebd.).



10.14.2.4

Die Rückkehr der Medizin


Die Ereignisse überstürzen sich nun. Die feindlichen Häuptlinge treffen ein am Mount Winnetou. Sie fordern Shatterhand zum Zweikampf heraus: mit der Schußwaffe "auf Leben und Tod" (S. 527). Aber Shatterhand ist, wie er 'Herzle' bekennt, ein Gegner des Duells: da "jeder Kampf zwischen den Menschenkindern nichts weiter als eine Torheit ist" (S. 546).

   Nur zum Schein nimmt er die Forderung an. Er tritt den Häuptlingen entgegen; aber ihre, im 'Haus des Todes' geraubten, Medizinen trägt er über dem Herzen. Die Gegner können also nicht schießen: ohne ihre Medizin, ihre Seligkeit zu vernichten. Sie flüchten - auf eine weitere 'Teufelskanzel',61 die die Indianer als 'Ohr des Teufels' (S. 408) bezeichnen.

   Da die Häuptlinge eine List des Old Shatterhand von vorneherein mit einkalkulierten, hatten sie - für den Fall ihrer Niederlage im Zweikampf - die Sander-Brüder beauftragt, Shatterhand zu ermorden. Doch diese waren längst zu 'Winnetous' geworden. Für Böses sind sie nicht mehr zu haben.

   Aber andre Leute, die Arbeiter des Komitees, hassen Old Shatterhand.62 Ihr Anführer (der ‚Nigger'), der im Bund steht mit Tangua und den übrigen Feinden, will Shatterhand und 'Herzle' erschießen. Doch die Sanders stellen sich in den Weg und werden getroffen. Ihren Tod verstehen sie als Sühne für die eigene Schuld und die Verbrechen des Vaters. Daß alle Schuld nun vergeben und auch der Vater erlöst sei, in dieser Überzeugung sterben sie "froh" (S. 586)!

   Der 'große gute Manitou' - und keineswegs Shatterhand - lenkt das ganze Geschehen in Winnetou IV. Auch was das Denkmal betrifft, hat Old Shatterhand die Sache nicht merh in seiner Hand. Eine andre Gewalt setzt sich durch: Die Kolossalfigur ist zu schwer; sie neigt sich und stürzt! Der Boden öffnet sich und die Statue verschwindet mit einem Schlag "in der Tiefe" (S. 593).


//562//

   Die Krieger der feindlichen Häuptlinge - viertausend Indianer, die sich in der Höhle unter dem Denkmal versteckt hielten - werden verschüttet. Eine Rettungsaktion wird sofort in die Wege geleitet. Denn die Feinde sollen verwandelt werden in "Freunde" (S.599).

   Das 'Komitee' hat seine Rolle nun ausgespielt. Die beiden Vorsitzenden werden entlassen. William Evening, der 'Agent für alles', und Antonius Paper, der verräterische 'Kassier', werden "fortgejagt" (S. 612).

   Über Tangua und seine Genossen hält Shatterhand, zum Schein aber nur, ein strenges Gericht. Am 'Ohr des Teufels' hören die Häuptlinge alles, was Shatterhand spricht. Dies ist ja, der Sage nach, das Geheimnis der beiden 'Teufelskanzeln': An der einen - im Tal des Purgatorio - "hört Gott, was der Teufel spricht, und verurteilt ihn zur Verdammnis. Und an der andern" - hier am Mount Winnetou - "hört der Teufel, was Gott spricht, und wird dadurch von der Verdammnis erlöst." (S. 178)

   Manitou spricht, in diesem Falle, durch Shatterhand und die Gewalt der Ereignisse. Der 'Höllensturz' des Riesendenkmals, die ausgestandene Angst, die Rettung aller Verschütteten, ihr liebevoller Empfang durch die Freunde Old Shatterhands, das Bild des zum Himmel strebenden Winnetou (das - flankiert von den Bildern Marah Durimehs und Abu Kitals63 - auf den 'Schleierfall' projiziert wird), dies alles wirkt zusammen, den Vermittlungsversuch des Häuptlings Pida, des Sohnes von Tangua, zu unterstützen.

   Der Erfolg ist ein Wunder zu nennen: Der alte Häuptling der Kiowas, der bisher ein 'Teufel' war, läßt sich versöhnen mit Gott; er besiegt sich selbst, verzichtet auf seine Rachegedanken und wird - wie alle anderen Indianer - ein 'Winnetou', ein Mitglied des 'Schutzengel-Clans' (dem die Squaws, die jungen Frauen zumal, ja längst schon angehören).

   Tangua bekennt seine Schuld und bittet Shatterhand um Vergebung. Doch dieser unterbricht die Rede des Häuptlings:


Ich sagte, wenn hier um Verzeihung gebeten werden solle, so sei gewiß nicht der Indianer, sondern das Bleichgesicht zuerst und zumeist hierzu verpflichtet [...] Ich sprach von den Fehlern der roten Rasse, von ihren Tugenden, von ihren Leiden, vor allen Dingen von ihrer bisherigen Zukunftslosigkeit. Das alles habe man vornehmlich dem Bleichgesicht zu verdanken. Aber dieses Bleichgesicht sei zur besseren Erkenntnis gekommen. Es [...] sei bereit, alle seine Irrtümer einzugestehen und wieder gut zu machen. (S. 619f.)


   Dem Häuptling Tangua, dessen Sohn Pida mit Frau und Kakho-Oto (der Schwägerin Pidas) reicht Shatterhand - stellvertretend für alle Weißen - seine Hände zur "Abbitte". Auch ihm werden "alle Hände entgegengereicht, und alle Stämme versicherten mir, daß sie ebenso gesündigt und ebenso um Verzeihung zu bitten hätten, wie ich, das Bleichgesicht." (S. 620)

   Ihr Heiligtum sollen die Häuptlinge nun zurückbekommen. Den dreimaligen Flug um den 'Berg der Medizinen' hatte der 'junge Adler' - zusammen mit der jüngeren Aschta, seiner künftigen Frau - schon geprobt: mit einem Flugapparat,64 den er selbst konstruiert hatte. Damit die Verheißung erfüllt werde, wiederholt er diese Aktion und gibt den Indianern ihre Medizinen zurück.

   Die Rehabilitierung, die endgültige Rettung der Indianer setzt die Kunst des 'Fliegens' voraus! In der Vision des Romans hat die rote Rasse - bzw. die Menschheit - begonnen, das Fliegen zu lernen: "So weit die Erde reicht, ist jetzt eine große Zeit. Doch ist diese Zeit nicht vollendet; sie [...] hat sich zu entwickeln, und wir mit ihr. Die Menschheit steigt zu ihren Idealen auf. Steigen auch wir!" (S. 426)


//563//

   Die Wirklichkeit wollte May 'überfliegen'! Er war "Aviatiker"65 und Dieter Sudhoff meinte dazu: "Aus der Nichtakzeptanz eigener und menschheitlicher Begrenztheit und beflügelt durch die endliche Verwirklichung des uralten Traums vom Fliegen, schuf May [...] seine Utopie einer besseren Welt".66

   Diese Bemerkung bedarf freilich einer Erläuterung und einer Ergänzung. Es stimmt: Mit der eigenen Begrenztheit hatte May stets Probleme; und zur 'Realität' hatte er ein besonderes Verhältnis.67 Doch die Treue zur Erde, die die (vorläufige) Realität dieses Lebens bejaht, postuliert - grundsätzlich - auch May: "Wenn wir wünschen, daß die Seele der roten Rasse erwache, genügt es nicht, nur allein für ihre geistige Zukunft zu sorgen, sondern wir müssen ihr auch eine äußere Stätte bereiten, aus welcher sie die nötige Erdenkraft zu ziehen vermag." (S. 601) Diese Erdenkraft verspricht sich Shatterhand von der neuen 'Stadt Winnetou', deren Gründung er - trotz kritischer Vorbehalte (S. 397f.) - prinzipiell doch befürwortet.

   Nur - die Erde, die jetzige Erde ALLEIN hat May nie genügt und sie genügt ihm im Alter noch weniger. Den "Zukunftsglauben", daß die Seele des Menschen vom "tausendjährigen Schlafe" erwache (S. 581) und in Gott die Erfüllung finde, gibt der Dichter nicht preis.

   In Winnetou IV verbindet er diese Hoffnungsvision mit dem Mythos - oder Märchen - vom 'Berg der Königsgräber': Auf diesem Berg (hinter dem Mount Winnetou) sind "nicht nur alle die großen Herrscher der roten Rasse begraben,68 sondern ihre ganze Geschichte und sämtliche Berichte und Dokumente ihrer [...] Vergangenheit. Aber man kann nicht zu ihnen gelangen. Man kann nicht hinauf." (S. 579) Der "Schlüssel" der den Weg zu öffnen vermag, ist nicht erreichbar; er liegt hoch oben auf dem 'Berg der Medizinen', unter einem Stein, der die Gestalt einer Halbkugel69 hat.

   Der 'junge Adler' aber verheißt: "Wir werden die Grüfte der toten Kaiser und Könige öffnen. Wir werden die Bücher finden [...] und niemand wird uns mehr hindern, die Höhen zu gewinnen, die uns von Manitou zur Wohnung angewiesen sind!" (S. 581)

   Beim Flug um den Berg der Medizinen findet der 'junge Adler' den 'Schlüssel': die verborgene "Karte", die den Weg zur Plattform des 'Berges der Königsgräber' - zu den Geheimnissen der Vergangenheit, zum Ursprung der roten Völker und der Menschheit überhaupt - zu weisen vermag.

   Für "übermorgen" (S. 621) ist der Ritt zu den Königsgräbern vorgesehen. Doch dies ist alles, was der Leser erfährt. Der Roman bricht ab. Das letzte Geheimnis - Anfang und Ende, Ursprung und Ziel des Menschen - wird nicht erschlossen.

   Die Erzählung MUSSTE hier enden. Denn in Winnetou IV wird, ähnlich wie in Ardistan und Dschinnistan, eine Grenze erreicht, die wir - in diesem Leben - nicht überschreiten und nicht 'überfliegen' können.


10.14.3

Die autobiographische Relevanz


Die Symbolik und die Mythen in Winnetou IV sind zum guten Teil inspiriert von biblischen Bildem.70 Die Botschaft des Romans steht der Bibel, dem Neuen Testament vor allem, sehr nahe. Als theologische Dichtung, aber auch als politische Utopie71 ist diese Erzählung - wie alle Spätwerke Mays - zu verstehen. Zugleich muß der Text, wie immer bei May, auch autobiographisch gelesen werden. Dieser Aspekt ist im folgenden zu erörtern.


//564//

   Wie gesagt, Realien der Amerikareise (1908) fließen in den Roman ein.72 Zweifellos hat May in Amerika wichtige Eindrücke empfangen, die er literarisch verwerten konnte. Doch in der Handlung ist Winnetou IV, abgesehen von wenigen Einzelheiten, ein reines Phantasieprodukt. Orte wie Buffalo oder Niagara-Falls hat May zwar besucht; auch mag z.B. der Passiflorenraum - was das Blumenmotiv betrifft - ein Vorbild im Tempel der Christian Scientists in New York besitzen;73 in der Amerikareise hat die selbstbiographische Relevanz des Romans aber nur zum geringsten Teil ihren Grund. Bedeutsamer ist die verschlüsselte Wiedergabe des Mayschen Gesamtbiogramm im fiktiven Romanpersonal und in zahlreichen Handlungsdetails.


10.14.3.1

Das literarische 'Ich' im letzten Roman


Auffällig und - nach dem Zusammenbruch der 'Shatterhand-Legende' - verwunderlich scheint die, in Winnetou IV noch besonders betonte, Gleichsetzung des Ich-Helden mit dem bürgerlichen Karl May. Die absurde, die krankhafte Selbstdarstellung, die öffentlichen Auftritte des Schriftstellers als Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi waren doch längst schon Vergangenheit! Und May hatte, in der Beichte (1908), ja deutlich gesagt: "Das 'Ich', in dem ich schreibe, das bin doch nicht ich selbst"!74 Auch Prinzessin Wiltrud von Bayern hatte er, etwa gleichzeitig, mitgeteilt: Sein 'Ich' sei "nicht Karl May, sondern die Menschheitsfrage";75 mit Shatterhand wolle er "den zukünftigen Europäer" beschreiben, die "Personification unserer abendländischen Kultursumme."76

   Diesem Shatterhand auch jetzt noch sein "eigenes Ich zu leihen", war in der Tat sehr "kühn"77 von May konzipiert. Gewiß - sein 'Ich' ist "im Alterswerk symbolisch überhöht und dadurch vor einer Verwechslung mit dem realen Karl May geschützt."78 Aber warum hat der Dichter mit der 'Shatterhand-Legende' überhaupt noch gespielt?79 Warum diese "Leser-Illusionierung" auch noch im Spätwerk, wo May "doch im Eigentlichen weit mehr und weit höheres beabsichtigte"?80 Wollte er - sich selbst und der Lesergemeinde - den Rückschluß suggerieren: So allegorisch wie die Figur des Shatterhand in Winnetou IV war das 'Ich' schon immer gemeint? Aber hätte, um diesen Zweck zu erreichen, die Ich-Form als solche (in Verbindung mit deutlichen Hinweisen auf die symbolische Bedeutung) nicht schon genügt? War es sinnvoll, die Gleichsetzung 'Shatterhand = May' erneut zu unterstreichen?

   Der alt gewordene May war ein bedeutender Mensch und, partiell, eine gereifte Persönlichkeit, ein Weiser sogar. Und doch müssen wir vermuten: Was der Dichter - rational - längst erkannt hatte, das hatte er - emotional - noch immer nicht 'aufgearbeitet'. Der pseudologische Trieb, die Renommiersucht waren im Unterbewußtsein noch immer lebendig. May spielte privat zwar nicht mehr Old Shatterhand81 und lehnte das Imponiergehabe strikt ab; heimlich jedoch, in manchen Partien von Winnetou IV, ist er doch wieder 'Karl May, genannt Old Shatterhand': die hypertrophe Persönlichkeit,82 die "Schmetterhand", die ihre Gegner niederwirft (S. 436).

   Dennoch hält Roxin - und dies mit Recht -


die Ich-Figur in 'Winnetou IV' für den sympathischsten Old Shatterhand, den es je gab. Die Gestalt korrigiert die frühere Heldenfigur in entscheidenden Punkten, hält aber - was künstlerisch sehr gut gemacht ist - an der Kontinuität der Heldengestalt fest, so daß der frühere 'Shatterhand' auch in der Altersgestalt erkennbar bleibt.83


   Wie stellt sich Shatterhand bzw. der Ich-Erzähler im letzten Roman unseres Autors dar? Manche Widersprüche oder Ungereimtheiten sind nicht zu übersehen. May tadelt z.B.


//565//

Surehand und Apanatschka, "die ihre Söhne gern berühmt wissen wollen" (S. 397). Aber er selbst kostet, zugedeckt mit schützenden Klauseln, die eigene Größe doch aus.

   Athabaska und Algongka, die berühmten Häuptlinge, reiten Shatterhand entgegen, "weil er der Höhere ist." Bescheiden wehrt er dies ab: "Kann es unter Brüdern einen geben, der höher steht als die andern? [...] Wir gehören einem einzigen Vater, und der heißt Manitou. Wir stehen einander gleich." (S. 438f.) Ein schönes Wort! Aber seltsam wirken Szenen wie diese: Aller Augen warten auf Shatterhand. "Man wußte, wer es war, den der 'Bewahrer der großen Medizin' in eigener Person abgeholt hatte. Man nannte meinen Namen; man rief ihn mir jubelnd zu" (S. 418).

   An andrer Stelle gar heißt es: "Nun sind wir erlöst; nun sind wir erlöst! Und zwar durch Euch, Mr. Burton!" (S. 401) Natürlich, im streng theologischen Sinn ist dieses "erlöst" nicht gemeint. Mr. Burton ist nicht im selben Sinn der 'Erlöser' wie Jesus Christus.84 Aber bemerkenswert ist die Wortwahl hier doch. Zumal ja die These des Autors, daß Mr. Burton/Old Shatterhand "nicht Karl May* sei, auf der Symbolebene des Romans zwar plausibel, auf der vordergründigen Handlungsebene - besonders in den Anfangspartien - aber nicht einsichtig wirkt.

   Von Spannungen nicht frei ist auch die 'Heldenrolle' Old Shatterhands in Winnetou IV. Das "Krieger- und Indianerspielen" hält er für "kindisch" (S. 61). Er spielt aber doch, mit größtem Genuß, den Indianerhäuptling: Dem Reisekoffer entnimmt Mr. Burton - in der Trinidad-Episode - einen 'Beratungsrock',85 dessen Nähte sogar mit "Skalplocken" verziert sind (S. 116); und als Kopfschmuck trägt er über fünfzig Federn des Kriegsadlers! In diesem Kostüm verblüfft er die Zuschauer - nachdem er sich zuvor als 'dummer August' verstellt hat - mit beachtlichen Reitkünsten. 'Seht her, wer ich eigentlich bin!' Diese Art von Selbstbestätigung86 hat May wohl noch immer nötig. Die Zurechtweisung von Menschen, die ihn als minderwertig und albern betrachten, macht ihm die größte Freude.

   Daß der Autor von Winnetou IV nach wie vor eine 'gespaltene' Persönlichkeit ist, belegen die widersprüchlichen Züge im Verhalten Old Shatterhands. Er haßt das "Anschleichen und immerwährende Horchen und Lauschen nach allen Seiten, welches anstrengender ist, als man glaubt." (S. 233) Aber gerade dem Lausch-Motiv kommt, wie so oft bei May, auch in Winnetou IV eine tragende Rolle zu:87 "Alles hörst du; alles siehst du; alles findest du!" (S. 487) Auch diese Bestätigung scheint May - der 'nach allen Seiten', auf die Gegner der verschiedensten Lager, zu lauschen hat - wohl zu brauchen.

   Shatterhand bringt sich in der Regel nicht unnötig in Gefahr. Und er kann, wenn es sein muß, auch nachgeben: Er räumt den Platz (S. 312), um Gehässigkeiten und Streit mit dem 'Komitee' zu vermeiden. Andrerseits gönnt er Pappermann, aber auch sich selbst "die billige Genugtuung, ein wenig zu bramarbasieren" (S. 467): den großen Mann zu spielen - etwa wenn er, um dem Gegner zu imponieren, dünne Lanzen mit dem Revolver durchlöchert.

   Ambivalent ist auch Shatterhands Einstellung zur Gewalt den Kampf lehnt er ab und Waffen hält er für anachronistisch: "Wer da glaubt, in der alten Weise verfahren zu können, der ist verloren. Mein Bärentöter hängt daheim. Mein Henrystutzen und meine Revolver stecken im Koffer. Sie haben sich überlebt." (S. 358) Denn Shatterhand siegt, laut Pida, "nicht mit den Waffen, sondern in Liebe und Versöhnung." (S. 329) Dies trifft, im großen und ganzen, auch zu. Bisweilen aber greift er auf Drohgebärden zurück. Er schießt zwar niemals auf Menschen, lädt aber doch die Revolver (S. 98 u.ö.), schlägt zu mit der Faust (S. 122), gibt Mr. Paper eine Ohrfeige (S. 309) und schleudert ihn - stark und gewandt - in das Wasser (S. 382).


//566//

   Die Überbetonung des Männlichen, das 'väterliche' Ich-Ideal, der "frühere Karl"88 sind in Winnetou IV also - rudimentär - noch anzutreffen.

   "Man sagt", Old Shatterhand sei "alt und grau geworden." (S. 161) Aber er tritt auf wie ein jung gebliebener Mann. Zum "Greis geworden" ist er, wie er gerne hört, noch keineswegs (S. 403). Er hat "nur erst das Alter erreicht, in dem man weise und doppelt vorsichtig [...] wird, nicht aber das, in dem gewöhnliche Menschen kindisch zu werden pflegen." (S. 208) Rundherum falsch wird dieses Urteil (der feindlichen Häuptlinge) nicht sein. Aber souverän und über die Gegner erhaben ist der alte May noch nicht ganz.

   Er ist, das spricht wieder für ihn, sehr "beschämt" (S. 243). Und er sieht ein: Winnetou war "abgeklärter und größer" (S. 239) als er. Auf der Handlungsebene des Romans bezieht sich dies auf den früheren Shatterhand. Autobiographisch gelesen, dürfte aber auch der jetzige May, der Verfasser von Winnetou IV, gemeint sein. Denn Wiltrud von Bayern teilte er - 1909 - mit: er sei "so gern bereit" seine Fehler "abzulegen".89 Daß er noch immer ein Werdender war, der vieles zu lernen hatte, das wußte er also.

   Mit Winnetou, "dem in jeder Beziehung Bescheidenen" (S. 434), kann sich der 'Blutsbruder' noch lange nicht messen. Und doch ist der jetzige Shatterhand ein andrer als in den früheren Büchern. Seine Frau steht ihm zur Seite und mildert seine Allüren: Sich "noch als Westmann geberden, wenn man schon längst verheiratet ist, und seine Frau bei sich hat, das wird einem jeden vernünftigen Mann so fern wie möglich liegen!" (S. 361)


10.14.3.2

Ein glücklicher Ehemann


Wir können, mit Vorsicht, aus Winnetou IV auch Rückschlüsse ziehen auf Mays Ehe mit Klara. Daß diese Frau alle Vorzüge besaß, die der Dichter dem 'Herzle' zuschrieb, dies zu folgern wäre zwar unzulässig. Aber daß May seine zweite Frau liebte und in ihr, sehr weitgehend, jene Hilfe fand, die er brauchte,90 legt die Schilderung in Winnetou IV doch nahe.

   Mit 'Herzle' ist Shatterhand "sehr glücklich verheiratet" (S. 319). Sie ergänzt ihn, seiner Überzeugung nach, ideal. Sie empfindet z.B. "viel zarter, viel feiner" (S. 417) als er; was er "als Mann in scharfem Tone hätte sagen müssen", sagt sie "in freundlicher Eindringlichkeit" (S. 496). "Menschenliebe" und "Herzensgüte" (S. 14) zeichnen sie aus. Zu "Mitleid und Erbarmen" (S. 39) ist sie geneigt - ganz "wie Nscho-tschi, die stets Erbarmen war! " (S. 103) Auch ist sie, wie May unterstreicht, eine fromme, tief gläubige Frau: Sie betet so "oft" und so "gern" (S. 237).

   In Klara findet Shatterhand/May die ihm zubestimmte, ihm ebenbürtige Partnerin - die Frau, die ihn liebt, ihn schützt, von jeder "Sorge" (S. 509) befreit, "ihre frische, gesunde Körperatmosphäre" (S. 507) ihn spüren läßt und darauf achtet, daß er so lange wie möglich "am Leben" bleibt (S. 360). Auch Klara hat allen Grund, zufrieden zu sein. Was sie gibt, die Wärme, die Nähe, empfängt sie ja wieder. Einen - von ihr selbst diktierten - Liebesbrief schreibt Old Shatterhand seiner Squaw nur zu gerne (S. 195).

   Ein sympathisches Paar! Gab es da keine Konflikte? Sah May in Klara tatsächlich nur immer das 'Herzle', den 'Engel'? Nein,


wenn Wolken am Himmel stehen, an denen ich aber immer nur selbst schuld bin, so sage ich "Klara". Sind diese Wolken im Verschwinden, so sage ich "Klärchen". Und sind sie weg, so sage ich "Herzle". Meine Frau aber sagt zu mir niemals anders als nur "Herzle", weil sie eben niemals Wolken macht. (S. 2)


Manchmal aber macht sie doch kleine 'Wolken'. In Winnetou IV finden sich, im Blick auf Klara, sehr dezent - und stets in Neckerei, in scherzhafte Wendungen verkleidet -


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auch kritische Untertöne. Von "Geduld und Zurückhaltung" z.B. ist Klara "wenig entzückt" (S. 132). Und daß sie energisch und "sehr resolut" (S. 540) ist, bekommt auch der Gatte zu spüren: Wenn sie "mit der Hand auf die Stelle neben sich" klopft, hat sich Shatterhand "als gehorsamer Ehemann [...] schleunigst niederzulassen" (S. 221)!

   Doch solchen Befehlen folgt er ja gern. Er ist "nun einmal verpflichtet, alles zu tun", was 'Herzle' befiehlt (S. 570). Und nicht nur von Klara, auch von ändern, mit 'Herzle' befreundeten, Frauen läßt er sich gerne beeinflussen. Er liebt ja die Frauen - und wird von ihnen geliebt. Die beiden Aschtas, Kolma Putschi, Kakho-Oto und auch sonst alle Frauen "schwärmen" für ihn, "und da hat es dem alten Manne wohlgetan, von den Weibern sich preisen und anbeten zu lassen." (S. 214)

   "Ist Old Shatterhand ein Weib geworden [...]?" höhnt Kiktahan Schonka, der Häuptling der Sioux (S. 547). Nein, der Ich-Erzähler verhält sich als Mann und betont seine Männlichkeit. Aber Frauen stehen, wie in allen Spätwerken Mays, auch in Winnetou IV hoch im Kurs.91 Und wir wissen: Frauen spielten in Mays Leben, auch und gerade im Alter, eine wichtige Rolle.92 Das 'weibliche Prinzip', die Güte, die Milde gewinnen - im Werk wie im Leben des Autors - immer mehr an Bedeutung.


10.14.3.3

Die Ich-Derivate


Im literarischen Ich, aber auch in anderen Romanfiguren spiegelt sich diese Entwicklung. Autobiographisch relevant - im weitesten Sinne - ist das gesamte Romanpersonal. Auch in Winnetou IV projiziert der Verfasser sich selbst, seine eigene Vita, auf mehrere Ich-Derivate.

   Für autobiographisch bedeutsam hielten E. Koch und eine Reihe von anderen Interpreten93 vor allem den 'blauen Maksch': den alten Max Pappermann, der 'Herzle' verehrt und - vor vielen Jahren - sich glücklos verliebt hat in Aschta. Da Pappermann aufgrund eines Sprachfehlers den letzten Buchstaben seines Vornamens nicht aussprechen kann (statt Max sagt er Maksch), liegt der Gedanke ja nahe: Max ist ein Pseudonym für May

   Die tragikomische Lebensgeschichte und manche Wesenszüge des deutschstämmigen Pappermann erinnern tatsächlich an den früheren May: Ein Unglück in jungen Jahren hat ihn gebrandmarkt (seine linke Gesichtshälfte ist blau gefärbt); er wurde vom Pech verfolgt und hält sich für "ärmer als eine Kirchenmaus" (S. 134); "trotz der Niedrigkeit seines Lebensweges" ist er aber nicht unbegabt und hat "viel nachgedacht" (S. 138). Diese und weitere Parallelen - etwa die, daß der 'blaue Maksch' so gerne den Westmann spielt - lassen die Gleichung 'Pappermann = May' plausibel erscheinen.

   Andrerseits wurde Pappermann von Arno Schmidt und, mit Einschränkungen, auch von Sudhoff94 als Porträt des Schriftstellers und May-Freundes Max Dittrich entschlüsselt. Und Günter Scholdt hat die autobiographische Deutung des Pappermann grundsätzlich in Frage gestellt.95

   Daß der 'blaue Maksch' partienweise ein Teil-Ich des Autors ist, wird nun kaum zu bestreiten sein. In EINEM Punkt aber hat Scholdt sicher recht: Ein besonders gewichtiges, als subtile Selbstanalyse zu verstehendes Alter ego des Dichters - wie der blinde Münedschi, der beichtende Ustad oder der kranke Waller in früheren Büchern96 - ist Pappermann nicht. Auch Hadschi Halef, "zu dem man eine Parallele zog,97 besitzt ein erheblich größeres Gewicht. Pappermann wurde zwar Halefs Rolle verliehen, aber keineswegs sein Formt".98


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   Eine Ich-Spiegelung Mays im Range einer - ansatzweise gelungenen - "psychopathologischen Selbstanalyse"99 sieht Scholdt jedoch in den Sander-Söhnen Hariman und Sebulon.100 Wichtige Merkmale im Wesen der Brüder scheinen diese Auffassung zu bestätigen:

   Wie - in früheren Zeiten - auch May leiden die Sanders an einer psychischen Krankheit. "Ich habe", schreibt der Dichter, "hier in Dresden einen Freund, der ein viel in Anspruch genommener Arzt und Psychiater ist." (S. 25) Dieser Arzt101 beurteilt die Sanders als einen "'Fall' allerersten Ranges": Ein, in der Familie vererbter, "Zwang zum Selbstmord" (S. 26) liege hier vor. Auch May dürfte, freilich nicht zwanghaft und auch nur vorübergehend, von Suizid-Phantasien geplagt worden sein!102

   Hariman macht, wie May, im ganzen einen "wohlwollenerweckenden Eindruck" er tritt "bescheiden" auf; "ein wenig Protz" (S. 31) ist aber doch mit im Spiel. Er ist ein "ehrlicher Mann" (S. 39); aber im "krankhaften Tiefsinn" dieses Menschen liegt "etwas Explodierbares" (S. 44). Im Gegensatz zu Hariman ist Sebulon, bis zu seiner Bekehrung, ein "verbissener" und "unzuverlässiger Charakter" (S. 76). Er denkt nur ans Geschäft und ist zu jedem Verbrechen bereit. Ein reiner Schuft ist er allerdings auch nicht. Er ist, wie May, eine gespaltene Persönlichkeit. Mit bösen Gedanken hat der "arme Teufel" (S. 73) zu kämpfen: Er fühlt sich, wie May in der Straftäterzeit, "von unsichtbaren Wesen bedroht", gegen die er sich wehren muß; er spricht mit diesen Phantomen, "als ob er greifbare Gestalten vor sich habe." (S. 268) Und er arbeitet, wie May in den Kolportagejahren, "als ob er von Sinnen sei" (S. 250).

   Sehr bedrängt und belastet sind diese Brüder. Das 'Erbe', die Schuld des Vaters lastet auf ihnen. Sie haben, wie May, zum Vater eine enge bzw. ambivalente Beziehung: Während Hariman den "Sühnetod" (S. 249) für den Vater sterben will, ist Sebulon - einerseits - zornig, weil die Streiche des Vaters mißlungen sind (S. 247f.), und haßt er - andrerseits - seinen Vater: weil dieser den Drang zur "Selbstvernichtung" vererbt habe. "Und das will Vater gewesen sein [...] Pfui! " (S. 261)

   Der tote Sander könnte als 'Vater-Imago',103 als dunkelste Verkörperung der negativen Züge des, noch unerlösten, Heinrich May interpretiert werden. Aber auch die Mutter, die verzeihende Liebe, ist nahe: Daß auch Sebulon, wie Hariman schließlich zum 'Schutzengel' wird, ist vordergründig dem Einfluß des 'Herzle' zu danken; eigentlich gemeint aber ist die Mutter: "das ist [...] die Güte unserer Mutter, genau, genau! Wie das lächelt! Wie das bittet! Wie das verzeiht!" (S. 269) Das 'mütterliche Prinzip' setzt sich, heilend und befreiend, auch hier wieder durch:104 bei Sebulon wie bei May.

   Die endgültige Rettung, das Seelenheil der Sander-Brüder UND ihres Vaters ist dem Erzähler ein besonderes Anliegen. Auch dieses Indiz legt eine autobiographische Deutung doch nahe.

   Um die selbstbiographische Auslegung noch weiter zu stützen, hat Scholdt versucht, die Namen Hariman F. und Sebulon L. Enters (bzw. Sander) anagrammatisch, als Decknamen für 'Karl Friedrich May' bzw. 'Plöhn', zu entschlüsseln.105 Während dieser Versuch bei 'Hariman F.' noch einigermaßen gelingt, stößt er bei 'Sebulon L.' auf erhebliche Schwierigkeiten. Eine ebenso einfache wie vermutlich auch richtige Erklärung gibt jedoch Christoph F. Lorenz:106 Sebulon ist ein biblischer Name; in das Gebiet der Heiden, in das Land von Sebulon und Naftali, wurde Jesus - als der Messias, der Heiland - gesandt (Mt 4, 13ff.; vgl. Jes 8, 23)!


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Abb. 21: Die vermutlich letzte Aufnahme von Karl May, März 1912 in Wien.


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Abb. 22: Grabstätte Karl Mays auf dem Friedhof in Radebeul


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   Selbst wenn May an diese Schriftstellen nicht gedacht haben sollte - was angesichts der Bibelfestigkeit unsres Autors aber sehr unwahrscheinlich ist -, stünde doch fest: Auf der autobiographischen Ebene ALLEIN sind die Sander-Motive nicht zu verstehen. Ebenso - oder noch mehr - ist die Deutung in der abstrakt-religiösen Dimension des Textes zu suchen.107 Theologische Themen wie 'Erbsünde', 'stellvertretende Sühne' und 'Erlösung aufgrund von Gnade' sind - auch und vor allem - hier angesprochen.108

   NUR autobiographisch zu deuten sind Personen, Motive und Handlungssequenzen bei May ja nur selten oder nie. AUCH autobiographisch zu lesen ist in Winnetou IV - und auch sonst bei Karl May - aber sehr vieles oder nahezu alles.

   Neben Shatterhand, Pappermann und den Sanders finden sich weitere Ich-Projektionen,die je verschiedene Potenzen des Menschen und des Schriftstellers Karl May verkörpern. Der 'junge Adler' z. B. entspricht dem "Aviatiker" May,109 der letzten Sehnsucht, dem höchsten Streben des Dichters. Tatellah-Satah, der 'Bewahrer der großen Medizin', der so vieles weiß und doch nicht alles versteht (das Geheimnis der 'Teufelskanzeln' durchschaut er nicht), könnte - partienweise - für den gereiften, aber noch sehr unvollkommenen Autor stehen. Die Vision des vollendeten, des erlösten May aber repräsentiert die Titelfigur, der Häuptling der Apatschen.110

   Freilich dürfen wir die Grundgesetze der Mayschen Verschlüsselungstechnik111 nicht aus dem Auge verlieren. Eine Romanfigur 'ist' nicht einfach der Autor oder ein Teilbereich seiner Psyche oder eine bestimmte Person aus der realen Umwelt des Dichters. Die 'Funktion' und die 'Bedeutung' einer Romangestalt können - auch innerhalb der autobiographischen Leseebene - mehrschichtig sein. Und sie können sich, innerhalb derselben Erzählung, auch ändern. Pappermann z.B. kann bei der Erstbegegnung des 'Ich' mit Antonius Paper die Funktion des Max Dittrich übemehmen,112 in anderen Szenen aber ein Teil-Porträt Karl Mays sein. Oder Young Surehand und Young Apanatschka, die selbstgefälligen Künstler, könnten (unbewußte?) Ich-Projektionen des Schriftstellers sein113 und zugleich jene Leser bedeuten, die das Werk Karl Mays, den Winnetou, falsch verstehen.114


10.14.3.4

Winnetou IV als verschlüsselte Selbstbiographie


Winnetou IV muß auch autobiographisch gelesen werden. Dies muß nun freilich nicht heißen, daß May in sämtlichen Szenen seine eigene (innere und äußere) Vita dargestellt habe. Winnetou IV als 'Totalallegorie', als durchgängig verschlüsselte Selbstbiographie zu interpretieren, würde - wie Scholdt wohl zu Recht bemerkt hat115 - vermutlich zu weit gehen.

   Was konkrete Verschlüsselungen im letzten Roman Karl Mays betrifft, sind viele in der Sekundärliteratur vorgetragene Thesen spekulativ. Manches aber kann als gesichert oder zumindest plausibel gelten. Daß sich beispielsweise in der Trinidad-Episode116, bei den Reiterkunststücken Old Shatterhands, die Auseinandersetzung des Autors mit Münchmeyer117 und überhaupt der schriftstellerische Weg Karl Mays widerspiegelt, ist durchaus wahrscheinlich. Denn das 'Reiten' ist auch in anderen Spätwerken Mays eine Chiffre fürs literarische Schaffen.118

   Auch Winnetou IV ist ein Versuch des Dichters, schreibend und träumend seine Vergangenheit zu bewältigen. Signifikant ist u.a. die Beziehung Pappermanns zu den beiden Aschtas. Daß sich hier - wie Sudhoff vermutet119 - die Beziehung des jüngeren May zu Marie Thekla Vogel und deren (und möglicherweise auch Mays) Tochter Helene


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Ottilie120 wiederfinde, ist keineswegs auszuschließen. Beweisbar ist diese These allerdings nicht.

   Zweifellos richtig aber ist die Deutung des ‚Komitees' als Spiegelung der literarischen Gegner und juristischen Widersacher des Autors. Das Komitee, das Shatterhand von Anfang an "sonderbar" und "verdächtig" (S. 13) vorkommt, desavouiert den echten Winnetou bzw. den echten May: durchs krasse Mißverständnis des Winnetou bzw. des Mayschen 'Lebens und Strebens'.

   Das unsympathischste Mitglied des Komitees ist der Kassier Antonius Paper. Diese Figur hat Sudhoff, mit triftigen Gründen, als Rudolf Lebius, den schlimmsten und böswilligsten Gegner des Schriftstellers, enttarnt.121 Schon der Name - Antonius Paper (an 'Papier', 'Zeitung', 'Pressemann' dürfen wir denken) - könnte auf Lebius verweisen. Nimmt man die - vor allem auf Textvergleichen von Paper-Schilderungen in Winnetou IV mit Lebius-Schilderungen in Mein Leben und Streben basierenden - Argumente Sudhoffs hinzu, dann liegt es schon nahe: Papers Streit mit Old Shatterhand entspricht sehr weitgehend dem Mayschen Konflikt mit Lebius.

   William Evening, der "Agent für alles Mögliche" (S. 310), unterstützt Mr. Paper und arbeitet mit diesem zusammen. Am Ende wird er, wie Paper, "fortgejagt" (S. 612). Mays sehnlicher Wunsch geht somit, fiktiv, in Erfüllung. Denn mit Evening dürfte - wie Sudhoff gezeigt hat122 - Oskar Gerlach, der 'Agent für alles', die treibende Kraft, der Anwalt für die gesamte 'Münchmeyerei',123 gemeint sein.

   Der Vorsitzende des Komitees, Professor Simon Bell, und dessen Stellvertreter, Professor Edward Summer, sind Randfiguren in Winnetou IV. Und doch hat es, autobiographisch gesehen, eine besondere Bewandtnis mit ihnen. 'Bell' ist die 'Glocke', die 'Kirchenglocke' vielleicht. Bei 'Simon' könnten wir 'Petrus' oder auch 'Papst' oder 'päpstlich' assoziieren. Der indianische Name des Vorsitzenden lautet zu deutsch 'schwarz'.124 Die Kombination ist sicher nicht abwegig: Simon Bell verkörpert jene ‚schwarzen', jene katholischen Kreise,125 die sich "an dieSpitze der ‚Karl-May-Hetze'"126 stellten, also gewissermaßen die 'Vorsitzenden' waren im Kampf gegen May.

   Bei Professor Summer dachte Sudhoff konkret an Professor Paul Schumann, E. Koch aber an Hermann Cardauns.127 "Die Namen der beiden Professoren [...] kannte ich. Sie hatten einen guten Klang." (S. 13) Da Bell wie Summer aber - im Handlungsverlauf - dann konturlos und ohne 'Gesicht' bleiben, sind Gleichsetzungen mit bestimmten Personen im Kreise der May-Gegner problematisch und spekulativ.

   Es wird wohl richtiger sein, hinter den beiden Vorsitzenden des 'Komitees zur Errichtung des Winnetou-Denkmals' keine Einzelpersonen, sondern verschiedene, mit Lebius und gegen May verbündete Zirkel der geistigen Elite zu vermuten. Da May diese Leute grundsätzlich respektierte und nicht verachtete, werden sie nicht - wie Paper/Lebius und Evening/Gerlach - fortgejagt, sondern "entlassen" (S. 612).

   Die Mitglieder des Komitees und ihre Verbündeten sind, autobiographisch gesehen, die Gegner Karl Mays, die am 'falschen Winnetou-Bild' ihren Anteil hatten: sofern sie den Dichter "auf Schundschriftsteller festlegten, ihm Jugendgefährdung bescheinigten und damit die eigentliche Botschaft bzw. die symbolischen Spätwerke unterdrückten."128 Aber Old Surehand, der 'Direktor' des Komitees? Wie kam er, als Shatterhand-Freund, überhaupt dazu, dem Komitee zur Verfügung zu stehen?

   In Surehand könnten wir, wie in der Sekundärliteratur erläutert wird,129 eine Spiegelung Fehsenfelds sehen: des geschäftstüchtigen Verlegers, der zum 'eigentlichen Werk' des Autors keine rechte Beziehung hatte und insofern die Kritiker Mays, indirekt und


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ungewollt, unterstützte. Daß er sich - im Roman - dann bekehren läßt zum 'wahren Winnetou', entsprach zwar kaum der Realität, um so mehr aber dem Wunschtraum des Dichters.

   Das vom Komitee betriebene Winnetou-Denkmal entspricht also der Fehldeutung des Mayschen Gesamtwerks durch die Gegner (bzw. die falschen Freunde) des Autors. Dem 'eigentlichen Werk', dem Alterswerk des Dichters aber entspricht das Testament, das wahre Testament des Apatschen, das nur der versteht, der in der "Tiefe" sucht.

   Im theologischen Teil unserer Ausführungen, im Abschnitt 'Spuren der anderen Welt',130 soll diese Tiefe erforscht werden.



Anmerkungen


1Arno Schmidt: Sitara und der Weg dorthin. Eine Studie aber Wesen, Werk & Wirkung Karl Mays. Karlsruhe 1963, S. 277.
2Heinz Stolte: Der Volksschriftsteller Karl May. Beitrag zur literarischen Volkskunde (Reprint der Erstausgabe von 1936). Bamberg 1979, S. 98 - Stolte bezieht sich hier allerdings auch auf eine Passage der Bearbeitung: einen nicht von May stammenden Zusatz des Karl-May-Verlags. - Vgl. unten, Anm. 30.
3Vgl. oben, S. 531.
4Karl May: Winnetou III. Karl Mays Werke IV. 14. Hg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Zürich 1991, S. 553.
5Alle Daten sind, wenn nicht anders vermerkt, übernommen von Roland Schmid: Nachwort (zu Winnetom IV). In: Karl May: Freiburger Erstausgaben, Bd. XXXI. Hg. von Roland Schmid. Bamberg 1984, N 17-22.
6Karl May am 27.7.1909 an Fehsenfeld.
7Vgl. oben, S. 543.
8Vgl. oben, S. 532f.
9Eine Ausnahme bildet lediglich das verlorene bzw. - in der Buchfassung - nicht verloren gegangene linke Auge Max Pappermanns. - Näheres bei R. Schmid: Nachwort, wie Anm. 5, N 20.
10Ulrich Schmid: Textkritik des Abenteuers - Abenteuer der Textkritik. Ein Versuch aber Leben und Schreiben, aber Kleben und Streichen. In: JbKMG 1988, S. 66-82 (S. 80).
11So May in den Freuden und Leiden eines Vielgelesenen (1896).
12Vgl. Günter Scholdt: (Werkartikel zu) Winnetou IV. In: Karl-May-Handbuch. Hrsg. von Gert Ueding in Zusammenarbeit mit Reinhard Tschapke. Stuttgart 1987, S. 320-325(S. 321).
13Heute hat der Roman immerhin eine Auflage von einer Million erreicht!
14Schmidt: Sitara, wie Anm. 1, S. 277.
15U. Schmid: Textkritik, wie Anm. 10, S. 80.
16Dieter Sudhoff: Karl Mays "Winnetou IV". Studien zur Thematik und Struktur. Materialien zur Karl-May-Forschung, Bd. 6. Ubstadt 1981, S. 152f.
17Arno Schmidt: Winnetous Erben. Karl May und die Frage der Texte. In: Die andere Zeitung. Nr. 28 u. 29 (8. u. 15.7.1959), hier Nr. 29, S. 11.
18U. Schmid: Textkritik, wie Anm. 10, S. 80.
19Sudhoff: Winnetou IV, wie Anm. 16, S. 154 - Vgl. Euchar Albrecht Schmid: Gestalt und Idee. In: Karl May's Gesammelte Werke, Bd. 34 "Ich ". Bamberg 361976, S. 353-408 (S. 404).
20Ekkehard Koch: Winnetou Band IV. Versuch einer Deutung und Wertung, 2. Teil. In: JbKMG 1971, S. 269-289 (S. 287).
21Christoph F. Lorenz: Auf der Suche nach dem verlorenen Ich. Namens-, Orts- und Persönlichkeitsmythen in Karl Mays "Winnetou IV". In: Karl Mays 'Winnetou'. Studien zu einem Mythos. Hg. von Dieter Sudhoff und Hartmut Vollmer. Frankfurt/M. 1989, S. 241-265 (S. 242).
22Hans Wollschläger: Karl May. Grundriß eines gebrochenen Lebens. Zürich 1976, S. 205 (Anm. 292), verweist auf Dixon: The Vanishing Race, a Record of the last great Indian Councit 1909. New York 1913.
23Wollschläger: Ebd., S. 171.


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24Lorenz, wie Anm. 21, S. 258f., verweist z.B. auf die "Ortsmythologie", deren "konsequent reale Landschaftsbilder" den IV. Band Winnetou von den übrigen Altersromanen Karl Mays unterscheidet.
25Lorenz: Ebd., S. 262.
26Joseph Höck: Stufen auf den Mount Winnetou (1929). In: Karl Mays 'Winnetou', wie Anm. 21, S. 53-67.
27Ebd., S. 67.
28Seitenangaben in () beziehen sich auf Karl May: Winnetou IV. Band. Gesammelte Reiseerzählungen, Bd. XXXIII. Freiburg 1910.
29Scholdt: Werkartikel, wie Anm. 12, S. 325.
30Die unter dem Titel Winnetous Erben bekannte (seit 1935 stark bearbeitete und in der Aussage veränderte, seit 1960 aber von sachlichen Entstellungen wieder befreite) Version des Karl-May-Verlags entspricht, auch nach der Rückbearbeitung, in manchen (allerdings unwesentlichen) Details nicht dem Originaltext.
31Vgl. Martin Lowsky: Alterswerk und "Wilder Westen". Überlegungen zum Bruch in Mays Werk. In: MKMG 36 (1978), S. 3-16.
32Vgl. z.B. Bernd Steinbrink: Vom Weg nach Dschinnistan. Initiationsmotive im Werk Karl Mays. In: JbKMG 1984, S. 231-248.
33Vgl. oben, S. 252ff.
34Vgl. Hans Läng: Kulturgeschichte der Indianer Nordamerikas. Göttingen 51991, S. 11-33 - Miloslav Stingl: Indianer vor Kolumbus. Von den Prarie-Indianern zu den Inkas. München, Zürich o.J., S. 21-23.
35Martin Lowsky: Der Trip über die Alëuten. Zu einem Motiv bei Karl May und Theodor Fontane. In: MKMG 86 (1990), S. 4-13 (S. 7).
36Claus Roxin in einem Brief vom 2.6.1991 an den Verfasser - Vgl. oben, S. 257ff.
37Lediglich auf S. 338 heißt es Santer. - Zur möglichen Deutung dieser 'Fehlleistung' vgl. Wolf-Dieter Bach: Fluchtlandschaften. In: JbKMG 1971, S. 39-73 (S. 55) - Günter Scholdt: Vom armen alten May. Bemerkungen zu 'Winnetou IV' und der psychischen Verfassung seines Autors. In: JbKMG 1985, S. 102-151 (S. 116) - R. Schmid: Nachwort, wie Anm. 5, N 21 - Lorenz, wie Anm. 21, S. 253f.
38Vgl. oben, S. 257.
39Die Namen dieser beiden Häuptlinge verweisen auf zwei große, sich feindlich gegenüberstehende indianische Sprachfamilien. - Vgl. Läng, wie Anm. 34, S. 399ff. - Sudhoff: Winnetou IV, wie Anm. 16, S. 123f.
40Vgl. oben, S. 519f.
41Zum Pseudonym 'Burton' vgl. Bach: Fluchtlandschaften, wie Anm. 37, S, 52 - Scholdt: Bemerkungen, wie Anm. 37, S. 115 - Lorenz, wie Anm. 21, S. 254f.
42Vgl. z.B. Stingl, wie Anm. 34, passim - Peter Farb: Die Indianer. Entwicklung und Vernichtung eines Volkes. Frankfurt/M., Berlin 21990 - Christoph Strosetzki (Hg.). Der Griff nach der Neuen Welt. Der Untergang der indianischen Kulturen im Spiegel zeitgenössischer Texte. Frankfurt/M. 1991.
43Nach Farb, wie Anm. 42, S. 206, lebten z.B. die Azteken "in einer Diktatur". In Winnetou IV, S. 279, heißt es: "Die Herrscher wurden zu Despoten, die Patriarchen zu Tyrannen."
44Vgl. Ulrich Schmid: Winnetous fliegende Feder. Abbreviaturen zum 'Testament des Apachen'. In: Karl Mays 'Winnetou', wie Anm. 21, S. 266-280(S. 274).
45Das "Urbild" (Winnetou IV, S. 139) des Kanubi-Sees liegt in Massachusetts; vgl. oben, S. 520.
46Nach Farb, wie Anm. 42, S. 108ff., gab es z.B. bei den Pueblo-Indianern ein bedeutendes Clan-Wesen (das von den Verhältnissen im Dschinnistan-Mythos in Winnetou IV freilich weit entfernt war). - Eine eingehende Darstellung des indianischen Clan-Wesens findet sich bei Läng, wie Anm. 34, S. 367ff. u. passim.
47Zur möglichen Deutung dieser 'Teufelskanzel' vgl. Kai Riedemann: Aspekte zur Deutung der Winnetou-IV-Symbotik. SKMG Nr. 17 (1979), S. 20ff. - Sudhoff: Winnetou IV, wie Anm. 16, S.54-60.
48Dazu Sudhoff: Ebd., S. 139.
49May korrigiert hier seine frühere Meinung (vgl. Sudhoff: Ebd., S. 118)! - Nach Winnetou IV, S. 20f., sind die "wirklichen" Medizinmänner auch der heutigen Indianer keineswegs als Pfuscher zu bezeichnen; die "Geheimnisse" ihrer Bräuche können die Weißen allerdings kaum


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begreifen. - Diese Auffassung Mays findet eine Bestätigung bei Phillip Deere: Warnung vor falschen Medizinmännern. In: Indianische Welten. Der Erde eine Stimme geben. Texte von Indianern aus Nordamerika. Hg. von Claus Biegert. Reinbek 16.-18.Tsd. 1991, S. 260-265. -Vgl. unten, S. 722f.
50Nach Deere: Ebd., S. 261, gibt es (und gab es?) auch Medizin-FRAUEN. Hätte May dies gewußt, so hätte er es - da zum Gesamtkonzept von Winnetou IV sehr gut passend - entsprechend hervorgehoben; immerhin betont May, daß es weibliche "Häuptlinge" (S. 418) gab!
51Höck, wie Anm. 26, S. 62.
52Zum Mount Winnetou und seiner Umgebung vgl. Sudhoff: Winnetou IV, wie Anm. 16, S. 123ff.
53Dazu Scholdt: Bemerkungen, wie Anm. 37, S. 104: Es kommt hier "zu einer - auch episch ausgebeuteten - nachträglichen 'Ersatz-Heirat', indem May seine tatsächliche Ehe sozusagen als Verbindung mit Nscho-tschi ausgibt."
54Zu den realen Vorbildern des Denkmals vgl. Sudhoff: Winnetou IV, wie Anm. 16, S. 111. -Vgl. oben, S. 519.
55Zur Symbolik des 'Schleierfalles' vgl. Sudhoff: Ebd., S. 125f.
56Vgl. oben, S. 144 u. 252ff.
57Zum schreibenden Winnetou vgl. U. Schmid: Abbreviaturen, wie Anm. 44, S. 272f.
58Vgl. oben, S. 286f. - In Winnetom IV steht für K. Puschi stets K. Putschi.
59Das Deckelbild Schneiders für Winnetou III ist gemeint.
60Dieser Stamm wurde von May in früheren Bänden stets negativ geschildert. In Winnetou IV aber werden die Sioux-Ogallallah rehabilitiert.
61Zur Deutung dieser zweiten 'Teufelskanzel' vgl. Riedemann, wie Anm. 47, S. 35 - Sudhoff: Winnetou IV, wie Anm. 16, S. 130ff. - Lorenz, wie Anm. 21, S. 261.
62Zum soziologischen Aspekt der Arbeiter in Winnetou IV vgl. Wojciech Kunicki - Norbert Honsza: Unterhaftungsliteratur im europäischen Realismus. Karl May und 'Winnetou IV'. In: JbKMG 1986, S. 225-240(S. 236ff.).
63Auch hier handelt es sich um Bilder von Sascha Schneider. - Vgl. Roland Schmid: Anhang (zu Winnetou IV). In: Karl May: Freiburger Erstausgaben, Bd. XXXIII. Hg. von Roland Schmid. Bamberg 1984, A 1-4.
64Im September 1909 fuhr May nach Berlin-Johannisthal, wo er mit Fliegern sprach und deren Maschinen betrachtete. - Vgl. unten, S. 585.
65Nach einer Aufzeichnung Mays (kurz vor seinem Tode); zit. nach Hansotto Hatzig: Karl May und Sascha Schneider. Dokumente einer Freundschaft. Beiträge zur Karl-May-Forschung 2. Bamberg 1967, S. 168.
66Dieter Sudhoff: Der beflügelte Mensch. Traumflug, Aviatik und Höherftug bei Karl May. In: JbKMG 1986, S. 110-154 (S. 149).
67Vgl. oben, S. 27ff.
68Über die Halbwüste Arizonas erhebt sich tatsächlich ein 'heiliger Berg' (der Mount Graham), auf dem die Apachen schon vor tausend Jahren ihre Toten begruben; nach Angelika Jung-Hüttl: Apachen gegen Astronomen. In: Süddeutsche Zeitung vom 6.2.1992.
69Vgl. Herder-Lexikon 'Symbole'. Bearbeitet von Marianne Oesterreicher-Mottwo. Freiburg, Basel, Wien 51982, S. 96: Die Kugel oder auch Halbkugel ist ein Symbol für den 'Himmel'.
70Vgl. Scholdt: Bemerkungen, wie Anm. 37, S. 103 - Lorenz, wie Anm. 21, S. 256 u. 262.
71Vgl. oben, S. 407.
72Ausführlich dargestellt bei Sudhoff: Winnetou IV, wie Anm. 16, S. 5-23.
73Vgl. Wollschläger: Karl May, wie Anm. 22, S. 154f.
74Karl May: Meine Beichte (1908). In: Ders.: Gesammelte Werke, Bd. 34 "Ich ". Bamberg 361976, S. 15-20 (S. 18).
75Karl May: Briefe an das bayerische Königshaus. In: JbKMG 1983, S. 76-122 (S. 108; Brief vom 7.3.1908 an Wiltrud).
76Ebd., S. 115 (Brief vom 18.4.1909 an Wiltrud).
77Ebd.
78Claus Roxin in einem Brief vom 31.5.1992 an den Verfasser.
79Vgl. U. Schmid: Abbreviaturen, wie Anm. 44, S. 272.
80Sudhoff: Winnetou IV, wie Anm. 16, S. 2.


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81Bei seinem Besuch im Hause Wittelsbach Ende 1909 scheint May allerdings, falls Prinzessin Wiltrud den Dichter nicht mißverstand, der 'Shatterhand-Legende' doch wieder verfallen zu sein. Dazu Claus Roxin in einem Brief vom 25.12.1992 an den Verfasser: "Im Gespräch scheint auch im Alter noch immer die Phantasie mit Karl May durchgegangen zu sein."
82Vgl. Scholdt: Bemerkungen, wie Anm. 37, S. 125ff. - Lorenz, wie Anm. 21, S. 248.
83Roxin: Brief, wie Anm. 78.
84Vgl. unten, S. 728ff.
85Dazu Ekkehard Koch: Winnetou Band IV. Versuch einer Deutung und Wertung, 1. Teil. In: JbKMG 1970 S. 134-148 (S. 144).
86Vgl. oben, S. 315ff.
87Dazu grundsätzlich: Hans Wollschläger: "Die sogenannte Spaltung des menschlichen Innern, ein Bild der Menschheitsspaltung überhaupt". Materialien zu einer Charakteranalyse Karl Mays. In: JbKMG 1972/73, S. 11-92 (S. 33f.).
88Vgl. oben, S. 378. - Vgl. auch Scholdt: Bemerkungen, wie Anm. 37, S. 125-129.
89May: Briefe, wie Anm. 75, S. 116 (Brief vom 18.4.1909 an Wiltrud).
90Vgl. oben, S. 427ff.
91Mehr bei Sudhoff: Winnetou IV, wie Anm. 16, S. 139ff.
92Vgl. oben, S. 106ff., S. 155ff. u. unten, S. 578f.
93Vgl. Koch: Deutung, 1. Teil, wie Anm. 85, S. 140ff. - Riedemann, wie Anm. 47, S. 15-18 - Lowsky: Alterswerk, wie Anm. 31, S. 13 - Sudhoff: Winnetou IV, wie Anm. 16, S. 28ff. u. passim - Lorenz, wie Anm. 21, S. 252f. u. 260.
94Vgl. Schmidt: Sitara, wie Anm. 1, S. 280 - Sudhoff: Winnetou IV, wie Anm. 16, S. 72f.
95Vgl. Scholdt: Bemerkungen, wie Anm. 37, S. 11 Off. Dagegen aber: Lorenz, wie Anm. 2 1, S. 247ff.
96Vgl. oben, S. 362ff., S. 410ff. u. S. 446ff.
97Vgl. Koch: Deutung, 1. Teil, wie Anm. 85, S. 142f. - Sudhoff: Winnetou IV, wie Anm. 16, S.38.
98Scholdt: Bemerkungen, wie Anm. 37, S. 110.
99Scholdt: Werkartikel, wie Anm. 12, S. 325.
100Vgl. Scholdt: Bemerkungen, wie Anm. 37, S. 115ff. - Koch: Deutung , 1. Teil, wie Anm. 85, S. 144f., sah in den Sander-Brüdern eine chiffrierte Darstellung Friedrich Kahls und Rudolf Lebius' - eine Auffassung, die Mays Text aber kaum nahelegt.
101Der Psychiater Dr. Näcke ist gemeint; vgl. unten, S. 582.
102Vgl. oben, S. 339.
103Vgl. Hans Wollschläger: Der "Besitzer von vielen Beuteln". Lese-Notizen zu Karl Mays 'Am Jenseits' (Materialien zu einer Charakteranalyse II). In: JbKMG 1974, S. 153-171 (S. 157ff.).
104Vgl. Karl May: Gedichte an die Mutter. In: JbKMG 1970, S. 110f.; dazu Wolf-Dieter Bach: Muttergedichte Karl Mays und Hermann Hesses. In: JbKMG 1970, S. 114-117.
105Vgl. Scholdt: Bemerkungen, wie Anm. 37, S. 116 u. 147 (Anm. 46).
106Vgl. Lorenz, wie Anm. 21, S. 256. - Sebulon hieß einer der zwölf Söhne des Erzvaters Jakob. - Den Namen 'Hariman' bringt Lorenz (ebd., S. 255) mit 'Ahriman' in Verbindung: eine Konstruktion, die - angesichts des Charakters von Hariman - allerdings nicht überzeugt.
107Diese Auffassung vertreten auch Riedemann, wie Anm. 47, S. 26ff. - Sudhoff: Winnetou IV, wie Anm. 16, S. 82f. - Lorenz, wie Anm. 21, S. 255ff.
108Vgl. unten, S. 714ff.
109Vgl. Koch: Deutung, 1. Teil, wie Anm. 85, S. 143 - Sudhoff: Winnetou IV, wie Anm. 16, S. 83 - Lorenz, wie Anrn. 21, S. 262. - Der Name des 'jungen Adlers' erinnert auch an den Freud-Schüler Alfred Adler (1870-1937); dazu Udo Kittler: Karl May auf der Couch? Die Suche nach der Seele des Menschen. Materialien zur Karl-May-Forschung, Bd. 9. Ubstadt 1985, S. 79f.
110Autobiographische Züge sieht Lorenz, wie Anm. 21, S. 262f., auch in den feindlichen Häuptlingen, die "das Böse in May" verkörpern.
111Vgl. oben, S. 268ff.
112Vgl. Sudhoff: Winnetou IV, wie Anm. 16, S. 72f.
113Vgl. Ekkehard Koch: Die biografischen Ebenen in 'Winnetou IV', 1. Teil. In: MKMG 13 (1972), S. 6-9 (S. 9).
114So Riedemann, wie Anm. 47, S. 23, und Sudhoff: Winnetou IV, wie Anm. 16, S. 85.


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115Vgl. Scholdt: Werkartikel, wie Anm. 12, S. 325.
116Zur autobiographischen Deutung Trinidads vgl. Sudhoff: Winnetou IV, wie Anm. 16, S. 29f. -Wilhelm Manig: Auf Fährtensuche: Old Shatterhands Weg zu "Winnetous Erben ". In: MKMG 91 (1992), S. 26-30 (S. 27f.).
117Ausführlich dargestellt und interpretiert bei Sudhoff: Winnetou IV, wie Anm. 16, S. 31-37.
118Vgl. oben, S. 437.
119Vgl. Sudhoff: Winnetou IV, wie Anm. 16, S. 45-54.
120Vgl. oben, S. 155.
121Vgl. Sudhoff: Winnetou IV, wie Anm. 16, S. 71-75.
122Ebd., S. 76f. - Auch Koch: Deutung, 1. Teil, wie Anm. 85, S. 146, vermutet eine GerlachSpiegelung.
123Vgl. oben, S. 475.
124Vgl. Koch: Deutung, 1. Teil, wie Anm. 85, S. 145 - Sudhoff: Winnetou IV, wie Anm. 16, S.67.
125Koch: Deutung, 1. Teil, wie Anm. 85, S. 145, dachte konkret an Ansgar Pöllmann; dagegen aber Sudhoff: Winnetou IV, wie Anm. 16, S. 68.
126Karl May: Briefe an Karl Pustet und Otto Denk. Mit einer Einfthrung von Hans Wollschläger. In: JbKMG 1985, S. 15-62 (S. 36; Brief vom 11.1.1909 an Karl Pustet).
127Vgl. Ekkehard Koch: Die biografischen Ebenen in 'Winnetou IV', 2. Teil. In: MKMG 14 (1972), S. 8-11 (S. 9); dagegen Sudhoff: Winnetou IV, wie Anm. 16, S. 68ff. - Zu Schumann vgl. oben, S. 467f.
128Riedemann, wie Anm. 47, S. 24.
129Vgl. Koch: Die biografischen Ebenen, 1. Teil, wie Anm. 113, S. 9 - Sudhoff: Winnetou IV, wie Anm. 16, S. 77ff.
130Vgl. unten, S. 712ff.



10.15

Die letzten Lebensjahre: Schweres Leid und Vertrauen auf Gott


Dem Testament des Apatschen - in Winnetou IV - liegt ein Brief an Old Shatterhand bei: "Was man Dir, dem Lebenden, nicht glaubt, das wird man mir, dem Verstorbenen, glauben müssen."1 Ein stolzes Wort! Denn Winnetou ist, auf der autobiographischen Leseebene, eine Ich-Projektion Karl Mays. Insgesamt zeigt sich May, auch im Abschiedsroman, als ein Autor, der nicht resigniert: "Wahrhaft große Männer pflegen nicht eher zu sterben, als bis sie wenigstens innerlich das erreicht haben, was sie erreichen wollten oder sollten."2 Von der eigenen Sendung und der Kraft seines Werkes war May also überzeugt.

   Gerade im letzten Roman begegnet uns May als ein Schriftsteller, der in die Zukunft seine ganze Hoffnung setzt.3 Ein "ungewisses, beängstigendes Gefühl"4 kann er freilich nicht unterdrücken. Er fühlt sich "als Mensch so stolz, und doch auch wieder so klein, so außerordentlich klein! Es lag in mir wie ein Sieg über alles Hemmende und Niedrige und doch auch zugleich wie eine Angst, ob das Große, was wir uns vorgenommen hatten, wohl auch gelingen werde".5

   Aber nicht nur sich selbst vertraut dieser Autor. Seine größere, seine eigentliche Hoffnung setzt er auf Gott, den 'großen guten Manitou'. In diesem Vertrauen ist er bereit, mit Ängsten zu leben und "alles Schwere zu tragen und alles Bittere durchzukosten".6


10.15.1

Private Beziehungen: Besuche und Korrespondenzen


Trotz seines Gottvertrauens litt der Dichter unter innerer Einsamkeit7 - bei sensiblen und komplizierten Naturen ja keine Seltenheit. Aber Mays seelische Isolierung wurde ent-


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scheidend gernildert durch Menschen, die ihm sehr nahestanden. Dies gilt vor allem für die Ehefrau Klara: "Mit einer solchen Frau an der Seite [...] läßt sich in Beziehung auf das Erdenleid Alles erlangen [...] Ich bin nicht mehr so fürchterlich allein. "8

   Doch Klara war nicht der einzige Mensch, der Karl verstand. Auch war sie nicht die einzige Frau, die ihn liebte oder verehrte. Die Seelen-Freundschaft des Dichters mit Frauen wie Prinzessin Wiltrud von Bayern,9 der Nobelpreisträgerin Bertha von Suttner und der späteren Schauspielerin Lu Fritsch wurde schon erwähnt und beschrieben. Eine echte innere Beziehung verband Karl May, wie im folgenden zu erörtern ist, nicht zuletzt aber auch mit Marie Hannes (1881-1953), der Schwester des - dem Schriftsteller ebenfalls nahestehenden - Arztes Dr. Ferdinand Hannes (1879-1968).10

   'Mariechen', der jungen Marie Hannes, könnte May schon während seines Aufenthaltes im Harz (1894)11 zum ersten Mal begegnet sein. Die Beziehung zu diesem Mädchen spiegelt sich literarisch, möglicherweise, schon im Jenseits-Roman (1898/99) - in der Gestalt des Schutzengels Marie12 - und in Pax bzw. Friede (1901/04): in Mary, der Tochter des Missionars Waller.13 Auch der mysteriöse "Lichtergruß von Marie" in Port Said (während der Orientreise Karl Mays)14 könnte auf Marie Hannes verweisen. Mit Sicherheit aber spiegeln sich der Charakter und die äußere Erscheinung dieser jungen Frau in Mays Novelle Das Geldmännle (1903): im buckligen 'Herzle'.15

   Wer war diese Frau? Als Tochter des Arztes Dr. Gustav Hannes und seiner Ehefrau Wilhelmine wurde 'Mariechen' am 3. März 1881 in Lehe (jetzt Bremerhaven) geboren. Nach einem Unfall erkrankte das vieijährige Kind an einer Rückentnarkstuberkulose. Seit 1890 lebte die kranke Marie, mit ihren Eltern und ihrem Bruder Ferdinand, in Wernigerode am Harz. "Durch Gottes Gnade",16 so hielt sie fest, fand Marie den Weg zu 'Adolf Just's Kuranstalt Jungborn' (im Harz), wo sie - 1905 - von ihrer Krankheit geheilt wurde. Sie behielt aber ihre Verkrümmung und blieb ihr Leben lang gehbehindert. 1909 begann sie in Leipzig ein Studium der Philologie, das sie 1911 in München fortsetzte. 1914, zwei Jahre nach dem Tode Mays, promovierte sie zum Dr. phil. Sie blieb unverheiratet und war als angesehene Graphologin sowie, zumindest für einige Jahre, als Privatlehrerin tätig.

   Wie Lu Fritsch und die, in diesem Zusammenhang ebenfalls erwähnenswerte, Schülerin Elisabeth Barchewitz (Hildesheim)17 war Marie "eine glühende Verehrerin Karl Mays und mehrfach Gast in der 'Villa Shatterhand'".18 Und wie Lu Fritsch war sie "literarisch interessiert und schrieb ebenfalls Gedichte. Nachdem die beiden jungen Mädchen sich kennengelernt hatten, schlossen sie Blutsbrüderschaft gemäß 'Winnetou I'."19

   In der Sekundärliteratur über May findet sich der erste Hinweis auf Marie Hannes, 1975, bei Amand von Ozoróczy: "May war ihr 'mein Johannes', die Offenbarung!20 Eine Verteidigungsschrift, in der sie alle Beschuldigungen als pure Verleumdungen hinstellen wollte, konnte May nur mit dem schwersten Geschütz - Drohung mit Bruch - verhindern."21

   Ein, bisher nicht publizierter, Briefwechsel zwischen May und Marie Hannes (aus der Zeit nach der Orientreise des Dichters) liegt im Karl-May-Verlag Bamberg verwahrt.22 Was die Besuche Maries in der 'Villa Shatterhand' betrifft, ist auch nur wenig bekannt. Aber wir wissen: Am 23. Juli 1906 notierte sie "Ins 'FREMDENBUCH' soll ich mich schreiben? / Unmöglich ist's, ich muss gestehn / In diesem Hause FREMD zu bleiben - / Ich sage nur 'Auf Wiedersehn'!"23

   Auch im Jahre 1910 war sie, wiederholt und für längere Zeit, zu Gast im Hause May. Sie gehörte - so Hans-Dieter Steinmetz -


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zu einer 'Besucherwelle', der May bewußt die Tür zu seinem stets gastfreundlichen Haus öffnete. Verfolgt man die Gästebuch-Eintragungen, dann stellt man fest, daß May im Sommer 1910, also nach der Charlottenburger Verhandlung [...] und im Umfeld der Hauptverhandlung am 9. August 1910 in Hohenstein-Ernstthal (Privatklage May/Richard Krügel), sich viele Gäste, ausnahmslos junge Verehrerinnen und Verehrer, nach Radebeul einlud.24


   Ob May sie wirklich, wie Steinmetz hier voraussetzt, alle eingeladen hatte oder ob die Gäste einfach kamen, sei dahingestellt. Im Falle Marie ist freilich anzunehmen: May hat sie, sehr gerne, zu sich eingeladen.

   Frau Hannes' Begeisterung für den Dichter war, darin unterschied sich Marie von der Mehrzahl der Fans, keine naive Schwärmerei. Diese Frau hatte Verstand und - ein reines Herz. Und die Gedankenwelt des Mayschen Spätwerks war ihr vertraut.

   "Die Menschen sollen noch mit ihrem Herrgott zufrieden werden." Diesen theologisch interessanten - und auch menschlich weisen - Ausspruch Mays (vom 25. Juli 1910) kommentierte Marie, am 27. August 1910, in einem längeren Gedicht: "Welch Wort ist dies! Kam es aus Menschenmunde? / [...] / Wie aus der Schöpfung tiefstem Grund gehoben / Wo unbelauscht der Gottheit Atem geht / Rang sich dies Wort gewaltig einst nach oben / Und harrt nun schweigend, bis man es versteht. / Es stürmt der Mensch in stets verlornem Ringen / Jahrtausendlang das Tor der Ewigkeit, / Den Gottesfrieden in die Welt zu zwingen / Nach dem vergeblich sie zum Hinunel schreit! - / Da endlich stieg von zartem Duft umflossen / Ein Sohn des Lichts erbarmend niederwärts ../ [...] / Er wird, o Held, Dich bis 'ins Jenseits' tragen / Bleibst bis zum Tod der Gottesstreiter Du - / Und würdest Du auf ERDEN selbst geschlagen - / Den Siegespreis erkennt der HIMMEL ZU!"25

   Marie Hannes hatte Freude an der Ewigkeit. Mays Leben und Streben sah sie - sub specie aeternitatis. Das Geheimnis, das 'Eigentliche' des Dichters hat sie erkannt oder zumindest erahnt.

   Zu den wenigen Menschen, die von Klara May über den Begräbnistermin des verstorbenen Mannes benachrichtigt wurden, gehörte Marie. Bei Mays Beerdigung am 3. April 1912 war sie anwesend, "um 'ihren Johannes' auf seinem letzten Weg zu begleiten."26 Ihr schöner und gedankenreicher Bericht Karl Mays Beisetzung erschien im 'Radebeuter Tageblatt'.27

   Die, schriftstellerisch ja durchaus begabte, Frau Hannes hat die Witwe Klara bei der Vorbereitung der zweiten (gekürzten) Auflage der Mayschen Selbstbiographie unterstützt.28 Doch weitere Kontakte Maries mit Klara May, in der Zeit nach 1912, sind nicht mehr nachzuweisen. Vermutlich zog Marie sich völlig zurück - nach einem Zerwürfnis mit Klara.29

   Auch von einer Fortsetzung der Kontakte Maries mit Lu Fritsch (bzw. Droop) nach dem Tode Mays ist nichts bekannt. Und zum Karl-May-Verlag hatte sie, da der Verleger E.A. Schmid sie zurückwies, keinerlei Verbindung.30

   Eine Bemerkung noch zu 'Mariechens' Bruder, zu Ferdinand Hannes: Auch er stand, wie gesagt, dem Dichter persönlich nahe. Er korrespondierte mit ihm und durfte ihn mit 'Onkel' ansprechen.31 Während seines Medizin-Studiums, um 1903, reiste er - mit dem Fahrrad! - von Freiburg i.B. nach Augsburg (wo seine Schwester, als Patientin der Hessing-Klinik, weilte), dann nach Böhmen und von dort, per Schiff auf der Elbe, nach Dresden.32 In Radebeul besuchte er, für mehrere Tage, das Ehepaar May. Und an der weiteren Reise - der Lebensreise - seines 'Neffen' nahm May nun "regen Anteil".33

   Auch im Jahre 1906 war Dr. Hannes - inzwischen (1905/06) Schiffsarzt beim Norddeutschen Lloyd34 - zu Gast in der 'Villa Shatterhand'. Einen späteren Besuch des - mitt-


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   lerweile als 'homöopathischer Arzt' in Swinemünde tätigen - May-'Neffen' Dr. Hannes gab es um 1910.

   Wie aus einem sehr umfangreichen, erst 1991/92 vollständig publizierten Briefwechsel (1902-1912) hervorgeht, hatte May - neben Ferdinand Hannes - noch einen zweiten 'Neffen', den Münchner Gymnasiasten Willy Einsle (1887-1961), 'adoptiert'. Oder richtiger: er LIESS sich von diesem 'adoptieren'. "Merkst Du wohl", schrieb er am 23.3.1905 an Willy,


daß ich "Du" zu Dir sage? Aber ich hoffe, daß Du mich vice versa coramirst!35 Ich werde zwar schon von einem Willy geduzt, der ist der Sohn meiner Schwester, aber ich meine, was der eine kann, das kann der andere erst recht. Und sollte es Dir nicht ganz natürlich vorkommen, mich auch Du zu nennen, so können wir ja der Natur unter die Arme greifen, indem Du so gütig bist, mich als Onkel zu adoptiren.36


   Willy war der Sohn des Juristen Julius Einsle und dessen Ehefrau Adele.37 Mutter und Sohn lasen beide fasziniert Karl May. Erste, tastende, Kontakte zum Autor gab es wohl im Jahre 1901. Die 1902 beginnende Korrespondenz dürfte Adele Einsle initiiert haben. Der - sehr angeregte und in vielfacher Hinsicht bemerkenswerte - Briefwechsel ging hin und her zwischen Adele und Willy Einsle auf der einen und Karl May und seiner Ehefrau (zunächst Emma, dann Klara) auf der anderen Seite.

   Andere Briefe des Schriftstellers, an Karl Pustet und Otto Denk38 Z.B. oder ans 'bayerische Königshaus',39


haben trotz aller privaten Einschläge überwiegend literaturpolitischen Charakter, indem es Karl May in erster Linie um Geltung und Durchsetzung seines Werkes ging. Hier aber nun wendet er sich zwei begeisterten Lesern vor allem als Mensch zu; und er tut dies in sehr sympathischer Weise, indem er nicht sich selbst in den Mittelpunkt stellt, sondern auf die Bedürfnisse seiner Briefpartner wirklich eingeht. So hat er auf die Entwicklung des jungen Willy Einsle einen prägenden - und, wie man sagen muß: erzieherischen und guten - Einfluß ausüben können. In diesem privaten Briefwechsel [...] zeigt sich eine Facette seines Wesens, die das Persönlichkeitsbild Karl Mays bereichert; sie weicht von seinem öffentlichen Gebaren etwa in der 'Renommierzeit'40 weit und in gewinnender Form ab.41


   Die Korrespondenz mit Willy und Adele Einsle zeigt 'Old Shatterhand' wie es in einem Presse-Kommentar (1957) hieß - "von einer der Mehrzahl seiner Verehrer wohl unbekannten Seite [...], nämlich als Mystiker, Gottsucher und Philosophen"; hier offenbare sich "einer jener Großen der Feder, die Menschentum und Nächstenliebe [...] lebten und übten"!42

   Daß Karl May, auf seine Art, auch ein 'Mystiker' und in jedem Falle ein religiöser Mensch war, weiß jeder Kenner des Mayschen Erzählwerks, besonders der Alterspoesie. Der Briefwechsel mit Willy Einsle enthüllt darüber hinaus aber noch einen anderen, in der May-Forschung - bis ca. 1990 - tatsächlich fast unbekannten Wesenszug des 'Fabulierers' aus Radebeul: Nicht nur als Literat, nicht nur als Lehrer seines Millionen-Publikums, sondern auch privat, als 'Onkel Karl', war May ein großer Seelenführer.

   Und Willy? Schon als Fünfzehnjähriger schätzte und liebte er des Dichters - soeben erschienenes, nun wirklich nicht anspruchsloses - Spätwerk Im Reiche des silbernen Löwen, Band III (1902). Willy war intelligent, äußerst sensibel und poetisch besonders begabt. Er suchte. Er rang mit sich selbst und den großen Menschheitsproblemen. Die Frage nach Gott und dem Sinn des menschlichen Daseins bewegte ihn. Und Probleme hatte er mit dem Absolutheitsanspruch der Naturwissenschaften und nicht zuletzt auch den Dogmen der römischen Kirche, zu der er - aufgrund seiner Taufe und der Erziehung im Elternhaus - ja gehörte und mit deren Lehre er sich, intensiv und manchmal gequält, auseinandersetzte.43


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   In Karl May suchte und fand Willy Einsle den richtigen Mentor. Nicht auf jede Einzelfrage des Gymnasiasten ging der 'Ustad'44 - der Mayster - konkret ein. Aber der Dichter verstand es, in die Persönlichkeitsstruktur seines 'Neffen' sich einzufühlen. Er sah die große, die verheißungsvolle Veranlagung des Jungen und erkannte zugleich die existentielle Gefährdung des 'Neffen': seinen Hang zur Träumerei und zur Ich-Bezogenheit, zum 'Weltschmerz' und - zur Selbstbemitleidung und Verweichlichung.45

   Mays - sehr kluge und behutsame, immer taktvolle und doch auch strenge - Ermahnungen empfand Willy Einsle als befreiend, als hilfreich und weiterführend. Zu Recht! Denn Mays Briefe an Willy (und auch an die Mutter Adele) bekunden die Weisheit, die Herzensbildung und Menschenfreundlichkeit eines Humanisten und geistlichen Führers, der zugleich ein guter Psycholog, ein richtiger Seelenarzt, ein befähigter Therapeut war.

   Schon nach kurzer brieflicher Bekanntschaft hatte May, während seines Aufenthaltes in München (August 1902),46 die Familie Einsle besucht. In der Folgezeit konzentrierte sich der Kontakt auf die Korrespondenz. In späteren Jahren, nach 1906, ließ May - überarbeitet, wie er war - die zahlreichen Einsle-Briefe nicht selten durch seine Ehefrau, die von Willy ebenfalls geliebte 'Tante Klara', beantworten.

   Anfang September 1909 besuchten Adele und Willy Einsle das Ehepaar May in Radebeul. Auch im Dezember 1909 gab es - in Augsburg, anläßlich des Sitara-Vortrags von May,47 und anschließend in München - eine persönliche Begegnung des mittlerweile zum Studenten der Medizin avancierten Willy mit 'Onkel' und 'Tante'. Im übrigen beschränkte sich May, seit 1909, auf herzlichste Grüße und Segenswünsche für seinen 'lieben, lieben Jungen'. Aber wie der Briefwechsel zwischen Klara und Willy (bzw. Adele) es nahelegt, blieb Mays Verbindung mit Willy bis zum Tode des Dichters doch sehr innig und tief.

   Was wurde aus Willy? Von May sehr ermutigt und dem Vorbild des anderen 'Neffen' - Ferdinand Hannes - nacheifernd studierte er, 1906-1912, Medizin. 1913/14, also nach dem Tode des Schriftstellers, folgte eine psychiatrische Fachausbildung in München und Ansbach. 1934-1945 war Einsle Direktor der Heil- und Pflegeanstalt in Erlangen. Vom Verdacht auf Beihilfe zur Euthanasie wurde er, 1951, in allen Punkten entlastet und freigesprochen. 1961 starb er in München. An der Treue zu Karl May hatte er sein Leben lang festgehalten.

   Einsles Fachwahl Psychiatrie wurde - nach Auskunft seiner Tochter Gertrud -


eindeutig durch das Phänomen des jugendlichen Karl May bestimmt: Er wollte ihm nahekommen, ihn verstehen lernen und mittels der psychiatrischen [...] Methoden [...] der Nachwelt erklären können [...] Zeit seines Lebens verfocht der Psychiater Willy Einsle die These, daß eine wirkungsvolle Jugendpsychologie und Jugendpsychiatrie, hätte sie es denn im vorigen Jahrhundert schon gegeben, die Ab- und Umwege des jungen Karl May frühzeitig hätten bereinigen können.48


   Aufgrund seiner literarischen Fähigkeiten, seiner psychiatrischen Ausbildung, seines integren Charakters und seiner persönlichen Nähe zu May wäre Einsle der richtige Mann gewesen, ein hervorragendes, dem Verständnis des Dichters sehr dienliches 'Karl-May-Buch' zu schreiben. Doch Klara May wollte, aus falsch verstandener Pietät, von einer Auseinandersetzung mit der Straftäterzeit ihres verstorbenen Mannes nichts wissen. Sie verweigerte Willy Einsle die Unterstützung für ein geplantes (aber nicht in Angriff genommenes) Werk, und die Beziehungen des Psychiaters zu 'Tante Klara' rissen dann ab.49

   Schade! Denn Berührungsängste im Blick auf die Psychiatrie hatte May selbst ja wohl kaum! Er sah sich selbst, mit einigem Recht, als 'Psycholog' (als "Monograph der


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'Menschheitsseele'"50 sogar) und pflegte private Kontakte mit namhaften Vertretern der Psychiatrie.

   Karl May behauptet in Winnetou IV: "Ich habe hier in Dresden einen Freund, der ein viel in Anspruch genommener Arzt und Psychiater ist. Besonders auf dem letzteren Gebiete hat er ganz bedeutende Erfolge errungen."51 Wie der May-Forscher Udo Kittler ermittelte, handelt es sich in diesem Falle nicht um eine literarische Fiktion, sondern um eine biographische Tatsache: Der damals "weit über die Grenzen Sachsens hinaus"52 berühmte Psychiater und Chefarzt der Hubertusburger Kliniken, Dr. Paul Adolf Näcke (1851-1913), war ein guter Bekannter Karl Mays.

   Die Initiative ging von May aus: Am 28. Juli 1907 erhielt Näcke aus der Feder unseres Schriftstellers einen (heute leider verschollenen) Brief, den der Psychiater - der für seine psychologischen Probleme" von May so "mancherlei Anregung"53 erhoffte - umgehend beantwortete. Mit dem Briefwechsel bahnte sich "eine Freundschaft an, die zunächst nur brieflich ausgebaut werden" konnte, wenig später aber dem, aufs äußerste bedrängten, Dichter noch "im Fallen Halt geben"54 sollte.

   Ebenso wie der, mit Näcke sehr verbundene, Psychiater Dr. Adolf Emil Knecht (1846-1915) - dem Karl May in der Waldheimer Haftzeit wohl viel zu verdanken hatte55 und dem er, wie Udo Kittler vermutet,56 im September 1907 in München wieder begegnete - bekämpfte Näcke die für May (aufgrund der Lebius-Attacken) so verhängnisvolle Lombroso-Theorie vom 'geborenen Verbrecher'.57 Näckes Schriften - u.a. Determinismus und freier Wille, Zur Psychologie der plötzlichen Bekehrungen, Über Kontrast-Träume und speziell sexuelle Kontrast-Träume - las May intensiv, mit großem Interesse.58 Und der Psychiater wiederum schätzte, auch in diesem Punkt eine Ausnahmeerscheinung, besonders Mays Spätwerk: den Friede-Band (den er, in einem Fachaufsatz, als "religionspsychologisch hochbedeutsamen Roman"59 charakterisierte), aber auch - nicht weniger - das Drama Babel und Bibel.

   Am 16. November 1907, eine Woche nach der skandalösen Haussuchung durch den Staatsanwalt Seyfert und den Untersuchungsrichter Larrass, war Näcke zu Gast in der 'Villa Shatterhand', wo er sich "gleich von der 1. Minute" an "so wohl gefühlt" hatte, daß er hoffte, "recht bald wieder hier einkehren zu können."60

   Daß Näcke, wie Kittler erwog,61 Karl May den Rat gegeben habe, die Pollmer-Studie zu verfassen (um sich, womöglich in den Hubertusburger Kliniken, psychisch zu entlasten), wird wohl nie zu beweisen sein. Zweifellos richtig aber wird sein: Durch seine Freundschaft, sein Interesse am Mayschen Spätwerk, seinen psychologischen Sachverstand und seine konkrete Hilfsbereitschaft brachte Medizinalrat Dr. Näcke "einen neuen Lichtstrahl in das ramponierte Leben"62 des - von vielen Seiten und in vielfacher Hinsicht - angefochtenen Dichters.

   Einen weiteren Lichtstrahl ins Leben Karl Mays sandte der mit Näcke bekannte Anthropologe und Sexualforscher Dr. Friedrich Salomo Krauss, der das Ehepaar May am 1. April 1908 in Radebeul besuchte. Er nannte den Dichter, laut Klaras Tagebuch, "einen Segen für die Menschheit", der wertvoller sei "als 100 Gelehrte zusammen"!63 Und im Jahre 1911 besprach er, sehr interessant, die Selbstbiographie Karl Mays, die "für den Psychoanalytiker [...] ein kostbares Geschenk"64 sei.

   Mit May sehr herzlich korrespondiert und (oder) diesen besucht haben ferner - neben anderen - der mit May seit langem befreundete Hausarzt Dr. Curt Mickel, der Münchner Redakteur A. Abels, der Jurist und spätere May-Verleger E.A. Schmid, der Komponist und Lyriker Dr. Fritz Stege,65 die schon mehrfach erwähnten Schriftsteller Max Dittrich


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und Amand von Ozoróczy, der Augsburger Feuilleton-Redakteur Dr. Hans Rost, der Düsseldorfer May-Apologet Fritz Barthel66 und weitere - z.T. berühmte, im Zusammenhang mit der Pressekampagne gegen May schon genannte67 - Verteidiger unseres Autors. Auch mit dem damaligen Redakteur und späteren Bundespräsidenten Theodor Heuß (der May ja verehrte) gab es, 1910 in Berlin, eine persönliche Aussprache.68 Im übrigen wissen wir über die privaten Kontakte Karl Mays in den 1900er Jahren noch relativ wenig: "Immer wieder tauchen die überraschendsten Korrespondenzfunde auf"!69

   May war nicht nur ein großer Erzähler; er war ein (nahezu) ebenso großer Verfasser von Briefen. Bemerkenswert und beeindruckend sind vor allem seine Briefe an den Maler Sascha Schneider, zu dem er - nach dessen Unverständnis für Babel und Bibel - zwar eine, im Vergleich zu den Jahren 1903-06, distanziertere Beziehung unterhielt,70 mit dem er aber weiterhin, bis 1910, in Freundschaft korrespondierte.71 Auch und gerade in seinen Briefen an Schneider zeigte sich May als literarischer Künstler, vor allem aber als guter Freund, als kritischer Gesprächspartner und nicht zuletzt als verständiger - Seelsorger.72

   Wichtig und zum größeren Teil auch unter privaten Gesichtspunkten ergiebig sind ferner Mays - bisher leider nur bruchstückhaft publizierte - Briefe an den Verleger Fehsenfeld: als Ausdruck einer menschlichen Beziehung, die in den letzten Lebensjahren des Dichters zunehmend kühler wurde (weil dem Verleger das Spätwerk seines Autors doch weitgehend fremd blieb).73 Auch Mays - noch immer nicht zugänglichen, in der Sekundärliteratur nur sporadisch zitierten - Briefen an seinen Rechtsanwalt Rudolf Bernstein (mit dem er Ende 1908, aus finanziellen Gründen, gebrochen hatte74) dürfte eine nicht unerhebliche biographische Relevanz zukommen.

   Karl May pflegte auf brieflichem Wege private Beziehungen. Und er ließ sich - trotz seiner grandiosen Arbeitsbelastung - gerne besuchen und besuchte auch seinerseits, wann immer er konnte, seine Freunde oder Bekannten. Hermann Waldemar Otto z.B., ein ehemaliger Schulkamerad Karl Mays, gab (1935) die Erinnerung an eine - wahrscheinlich im April 1910 erfolgte, von Otto aber aufgrund eines Irrtums ins Jahr 1911 verlegte75 - Begegnung mit dem Schriftsteller in Düsseldorf wieder:


Karl May begrüßte in Düsseldorf zuerst einen mit ihm befreundeten Franziskanerpater im Kloster auf der Oststraße und dann suchte er mich auf [...] Er hatte durchaus nichts Wildwestähnliches an sich, sah vielmehr in seinem vollen weißen Haar mit seinem weißen Knebelbart aus wie ein Musikpidagoge oder wie ein Malerprofessor der alten Schule. Er wohnte mit seiner Frau Klara im 'Breidenbacher Hof' und hier hatte ich Gelegenheit, die Schlichtheit und Anspruchslosigkeit des reichen und vielgefeierten Dichters zu bewundern; er [...] nippte auch dann noch an seinem Glase, als ich bereits mit der zweiten Flasche Rauenthaler Berg [...] fertig war [...] "Herr May - Sie werden verehrt, von einer Welt bewundert, Sie sind die lichtumflossene Phantasiegestalt unserer Jugend [...]" - "Das verstehen Sie nicht, entgegnete mit leiser Stimme der Dichter und ein gequälter Ausdruck überzog sein Gesicht, "gerade weil ich auf der Höhe stand, war das Hinabzerren in den Kot der Gasse für mich um so furchtbarer [...]"76


   Dennoch, trotz seiner Leiden und inneren Einsamkeit, beteiligte sich May auch weiterhin am geselligen Leben: an den Rosen- und Winzerfesten des Sanatoriums 'Schloß Lössnitz' - in Oberlößnitz (1934 nach Radebeul eingemeindet) - zum Beispiel.77

   Friedrich Eduard Bilz (1842-1922), der dieses Sanatorium 1892 gegründet hatte, stand dem Schriftsteller nahe und hatte schon vor der Jahrhundertwende die Gartenfeste besucht, die May in Radebeul gab.78 Bilz, der (wie es 1992 in einem Artikel der 'Süddeutsehen Zeitung' hieß) "nach Karl May zweitberühmteste Sohn der Stadt Radebeul",79 war - so könnte man sagen - das sächsische Pendant des Pfarrers und Wassertherapeuten Sebastian Kneipp (1821-1897) im schwäbischen Bad Wörishofen. Mit Kneipps Erfolgen


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konnte es der Lößnitzer "Altmeister der Naturheilkunde"80 wohl aufhehmen: Sein Gesundheitslexikon Das neue Naturheilverfahren war um die Jahrhundertwende ein "internationaler Bestseller"81 und das Bilz-Sanatorium galt zur Zeit Karl Mays als eine der modernsten naturtherapeutischen Einrichtungen, zu der Patienten aus ganz Europa kamen.82

   Eduard Bilz gab, alljährlich, Feste für die Kurgäste des Sanatoriums - zu denen im Herbst 1896 auch Emma May gehört hatte.83 Zu den Festen wurden auch Karl und Klara May eingeladen.84 Am 'Rosenfest' vom 23.6.1906 z.B. und am 'Winzerfest' vom 27.8.1910 (ein Foto von diesem Ereignis zeigt das Ehepaar May zusammen mit Marie Hannes, Dr. Mickel und der Familie Bilz) nahmen sie teil.

   Die, durchaus engen, Beziehungen zwischen den Mays und der Familie Bilz hatten bis zum Tode des Dichters Bestand. Und auch in späteren Jahren blieb die Witwe Klara der Familie Bilz, wie herzliche Kartengrüße belegen, verbunden.

   Das Fazit dieses Kapitels: Auch in der schwersten und leidvollsten Zeit seines Alters hatte May das Leben bejaht. Er hatte zu kämpfen mit seinen Gegnern und auch - mit sich selbst, mit den eigenen Schwächen. Aber er war nicht verbittert. Er vertraute auf Gott und liebte die Nähe von Menschen, die er verstand und die ihn verstanden.

   Kein Zweifel: Zu Freunden und zahlreichen Bekannten unterhielt Karl May sehr gute Beziehungen. Seinen nächsten Verwandten jedoch, den in Hohenstein-Ernstthal lebenden Schwestern Christiane Schöne und Karoline Selbmann, war er seit langem wohl ziemlich entfremdet - falls die folgende Äußerung der Realität vieler Jahre und nicht nur einer momentanen Verstimmung entsprach. Adele Einsle teilte er, 1905, mit:


mein Körper wurde durch den Stoffwechsel ein so vollständig anderer, daß ich sowohl körperlich als auch geistig und seelisch schon längst nicht mehr zu denen gehöre, die noch heut so fälschlich behaupten, ich sei mit ihnen verwandt. Den Eltern war ich es, die aber sind todt. Den Kindern wäre ich es; ich habe aber keine;85 für die Uebrigen bin ich ein nachsichtiger, gütiger Bekannter, weiter nichts! - - -86


   Ob sich das Verhältnis zu seinen Schwestern in den letzten Lebensjahren Karl Mays noch spürbar verbesserte, entzieht sich unserer Kenntnis. Eine andere (seit 1902 sehr negative, aber nie völlig erloschene) Beziehung dürfte sich freilich - wie oben schon dargestellt87 - kurz vor dem Tode des Dichters ein wenig entspannt und entkrampft haben: die Beziehung zu Emma Pollmer, der ersten Ehefrau Karl Mays.


10.15.2

Hinauf nach Dschinnistan: Der Heimgang des Dichters


Am 8. März 1908 hatte May sein endgültiges Testament verfaßt. Seine Schwestern sollten bis zum Lebensende (Christiane überlebte den Bruder um zwanzig, Karoline sogar um 33 Jahre) eine kleine Rente bekommen: 150 Mark pro Jahresquartal. Den übrigen Besitz und die Rechte an seinen Werken überschrieb er, für den Fall seines Ablebens, auf Klara. Nach deren Tode sollte das gesamte Vermögen einer "mildthätigen Stiftung" - zur Unterstützung von notleidenden Schriftstellern und Journalisten - zufallen.88

   Nach der Niederschrift dieses Testaments hatte May noch vier, sehr schwere und doch auch wieder sehr lichtvolle, Jahre zu leben. Sofern sie das literarische Schaffen, die Amerikareise, die Pressefehde und das Prozeßgeschehen unmittelbar betreffen, wurden die wichtigsten Ereignisse dieser letzten Jahre - in den Kapiteln 10 bis 14 dieses Abschnitts - schon dargestellt. Weitere, biographisch bedeutsame, Erlebnisse Mays in den Jahren 1909-12 sollen im folgenden skizziert und, soweit erforderlich, kommentiert werden.


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   Am 26. September 1909 besuchten Karl und Klara May, anläßlich der Eröffnung des Flugplatzes Johannisthal, die Internationale Flugwoche in Berlin: die erste derartige Veranstaltung in Deutschland. Die Mays sprachen mit Hubert Latham, einem damals berühmten Kunstflieger; und sie bestaunten die Schauflüge des Franzosen Louis Bleriot, der im Juli 1909 als erster den Ärmelkanal überflogen hatte.89

   Der 'Aviatiker' May war fasziniert. Das 'Fliegen' war für ihn, primär, allerdings keine technische Angelegenheit, sondern eine geistige, ja geistliche Aufgabe, die in der Zukunft gelöst werden müsse. Wie wir sahen und wie wir - psychologisch reflektiert und theologisch erhellt - noch sehen werden,90 hat Karl May in Winnetou IV seine große Vision literansch gestaltet.

   Ein persönlicher 'Höhenflug' war May am 8. Dezember 1909 in Augsburg vergönnt. Durch die Vermittlung des Redakteurs der 'Augsburger Postzeitung' Dr. Hans Rost91 und auf Einladung des katholischen Kaufmannsvereins 'Laetitia' konnte er - zur Freude der 'Fans', darunter des jungen Bert Brecht (1898-1956)92 - im überfällten Schießgrabensaal den Vortrag Sitara, das Land der Menschheitsseele. Ein orientalisches Märchen halten.

   Obwohl er "nie wieder öffentlich sprechen wollte", hatte er den Augsburger Vortrag - am 2. Juni 1909 - zugesagt, allerdings unter der "Hauptbedingung: Alles still und ruhig! Ja keine Trompetenstöße für meine Person!"93 Daß ihm die 'Popstar'-Reklame in den 1890er Jahren94 geschadet hatte, war May seit langem, seit Beginn der Pressekampagne, bewußt. Alte Fehler wollte er nicht wiederholen. Und anders als in München oder Wien in der 'Renommierzeit' (1897/98) trat er in Augsburg natürlich nicht als 'Old Shatterhand' und nicht als 'Gelehrter' und 'Universalgenie' auf.

   Wie für Kenner nicht anders zu erwarten, entsprach der Vortrag dem Gedankengut und der Bilderwelt des Mayschen Spätwerks, vor allem des Dramas Babel und Bibel, des großen Romans Der 'Mir von Dschinnistan und des - wenig später in die Selbstbiographie aufgenommenen - Märchens von Sitara.95 Gleich zu Beginn brachte der Redner den überraschten Zuhörern (die, sofern sie Halbwüchsige waren und den Autor nicht wirklich kannten, wohl eher auf "packende Schilderungen aus dem Lande der Indianer, der Araber und der Beduinen"96 gespannt waren) "Grüße aus einem 'hochgelegenen Land der Sternenblumen' und von einem Wesen, das den dunklen und blutigen Gründen des Wilden Westens Nordamerikas so fern wie nur irgend denkbar schien: Grüße von der 'großen', der 'herrlichen Menschheitsseele'"!97

   Der Abend, zu dessen Gelingen auch der Männergesangsverein 'Concordia' beigetragen hatte (mit Mays Ave Maria und den Weihnachtsglocken von J. Schwartz), war für den Redner ein großer Erfolg. Die 'Augsburger Postzeitung' wußte zu berichten:


Ein literarisches Ereignis seltenster Art hatten wir hinter uns. Karl May hat gesprochen [...] Augsburg kann den nicht unbedeutenden Ruhm für sich in Anspruch nehmen, diejenige Stadt zu sein, mit der Karl May neben seiner sächsischen Heimat aufs engste verbunden ist.


   Der Dichter habe - so hieß es in der Zeitung - ein literarisches Bekenntnis abgelegt,


das geeignet ist, auch den letzten Zweifel [...] an seinem vorbildlichen Künstlertum aus der Welt zu schaffen [...] Die gequälte Menschheit dem reinen Glück entgegenzuführen, sie zu Edelmenschen, zu Christusmenschen zu adeln, das war die 'verderbliche Absicht', die ihm von seinen bittersten Feinden zur Last gelegt wurde.98


   Im Anschluß an den Vortrag gab es eine Begegnung mit Freunden, mit Willy und Adele Einsle und dem Ehepaar Fehsenfeld zum Beispiel.99 Und am folgenden Vormittag besuchte der Dichter, auf deren dringliche Bitten hin, die Klosterschule der 'Englischen Fräulein' in Augsburg:


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Die im Konzertsaal versammelte Jugend begrüßte ihn mit Händeklatschen [...] Auf dem Podium angelangt, wandte er sich, [...] bedeckte sein Gesicht, setzte sich nieder und weinte. Dann begann er. "Sie sehen mich sehr bewegt, wie ich selten bin. Ich sehe Ihre Seelen, so viele Jugendknospen."100


   May sprach von der 'Weisheitsschmiede', von der Läuterung durch den Schmerz: "Auch ich bin noch darin, ich bin noch nicht geläutert, ich muß es noch werden."101 Zwei Schülerinnen, die dem Dichter ein Buch überreichten, küßte er die Stirn. "Dieser Kuß", sagte er, "soll Ihnen allen gelten [...] Ich gebe Ihnen das Beste, was ich habe, den Segen eines alten Mannes."102

   Am selben Tag, am 9. Dezember, fuhren die Mays - mit Blumen beladen - nach München zum Hotel 'Leinfelder'. Und am nächsten Tag hat es, wie schon 1898, im Hause Wittelsbach für das Ehepaar May eine große Audienz und am Abend einen Empfang im engsten Familienkreise gegeben. Prinzessin Wiltrud, die ja Mays "besonderer psychologischer Liebling"103 war (und, wie ihre Briefe und Tagebuch-Notizen beweisen,104 auch ihrerseits den Dichter über alles verehrte), schenkte beim Abschied Karl May ein Etui "mit ihrem und Prinzessin Helmtrud's Bild und Namen".105

   In ihrem Tagebuch hat Wiltrud den Besuch Karl Mays sehr ausführlich - in teils kurios wirkender, teils aber erschütternder Weise - geschildert. Unter anderem hielt sie fest: "Glauben Sie an ein Jenseits?" habe May sie gefragt. "Ja", habe sie geantwortet. Und May habe gesagt: "Das ist recht [...] Wissen Sie, [...] ohne den Tod könnte ich mir kein Üben denken [...] Der Tod ist mein Geburtstag für die Ewigkeit." Aber zweifelnd und - falls Wiltrud die Zusammenhänge, in der Erinnerung, nicht verwechselte - seiner 'Ewigkeitsreife' alles andere als sicher soll er hinzugefügt haben: "Werde ich noch den rechten Weg finden? Fast scheint es nür, als werde ich ihn nicht mehr effeichen."106

   Auch Klara hat, in ihrem Tagebuch, vom Aufenthalt in der bayerischen Metropole berichtet: im Ton etwas überschwenglich, in der Sache aber doch zutreffend. Fürs Jahr 1909 schloß sie mit der Bemerkung: Im Münchner Hotel "häuften sich die Besuche." Und weiter:


Wir hatten nur Einsles und Hetty Heide107 noch schnell besucht, dann reisten wir schleunigst ab [...] Leider hatte der enorme Erfolg doch wieder traurige Folgen. Die Bestie in Menschengestalt108 begann von neuem ihren Mordplan auszuführen. Trauriger Abschluß des schönen Jahres. Viel, viel Freude und ebensoviel Leid.


   Noch schwerer wurde das Jahr 1910. Frau Klara im Tagebuch:


Schlaflos verbringen wir die Nächte und quälen einander durch das Verbergen der Seelenqualen. Wie betete ich um Frieden und Kampf ist die Antwort. Nur wenig besuchten wir das Theater. Der Druck der Prozesse lastet zu schwer auf uns, dazu erlahmt die Spannkraft. Das Leiden ist übermenschlich.109


   Am 30. März 1910 (genau zwei Jahre vor dem Tode des Schriftstellers) sahen die Mays, die bis 1909 sehr oft ins Theater gingen, das Schauspiel Hanneles Himmelfahrt von Gerhart Hauptmann - jenes Stück, das mitten in die leidvolle Alltagswelt das Märchenhafte und Jenseitige einbrechen läßt. Frau Klara: "Es hat uns tief bewegt. Wir waren glücklich im Beisammensein [...] Wie schön könnten wir es haben, wenn wir die Prozesse abstreifen könnten - zu schön für Staubgeborene. "110

   Nach dem Charlottenburger Urteil (April 1910) setzte, wie auf Photographien deutlich zu sehen ist, der körperliche Verfall des Schriftstellers unaufhaltsam ein. Heftige Nervenschmerzen und ein Gallenleiden setzten ihm zu. Egon Erwin Kisch, der 'rasende Reporter', der den Dichter im Mai 1910 in der 'Villa Shatterhand' besuchte, gab den bekannten Bericht: "Eben schüttelt ihn ein Hustenanfall, und trotzdem er, die Hilfe der Gattin un-


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wirsch abweisend, aufrecht ins Haus zurückgeht, ist nicht zu verkennen, daß sein Lächeln vom hippokratischen Zug erbarmungslos durchstrichen wird."111

   Und doch hatte May 1910 noch die Kraft, seine - in vielen Partien - auch nach strengen literarischen Gesichtspunkten vorzüglich gelungene Selbstbiographie Mein Leben und Streben zu verfassen. Als poetisches Buch112 und vor allem auch als selbst-therapeutische Schrift113 ist dieses Werk von großer Bedeutung. Liest man dieses letzte Buch des schwerstgeprüften 'Hiob May', dann spürt man, gerade auf den letzten Seiten, "so etwas wie ein Aufatmen" und eine sich über das individuelle Schicksal des Autors "emporschwingende Gelassenheit".114

   Als "ununterbrochene Lebensqual"115 hatte May, 1910, sein irdisches Dasein bezeichnet. Er fühlte sich mit Recht als geschundener Mensch, der - nach der Entlassung aus dem Zuchthaus - auch weiterhin ein 'Gefangener' blieb. May übertrug diesen Gedanken ins Allgemeine! Auch dies mit einigem Recht: Denn die Erde - in ihrer jetzigen, in "Geburtswehen" (Röm 8, 22) liegenden Gestalt mit ihren Fesseln und ihrer Begrenztheit - ist tatsichlich eine Art von 'Gefängnis' (eine Erkenntnis, die schon dem 'Höhlengleichnis' von Platon zugrundeliegt116 und die wohl nicht zu bestreiten ist)!

   Auch die Leser Karl Mays sind, wie es in Mein Leben und Streben heißt, "Gefangene, ich aber will sie befreien. Und indem ich sie zu befreien trachte, befreie ich mich selbst, denn auch ich bin nicht frei, sondern gefangen, seit langer, langer Zeit."117 Die wahre, die eigentliche Befreiung erhoffte sich May freilich nicht vom eigenen Schaffen, sondern von Gott, der dem Menschen (sofern er festhält an Glaube, Hoffnung und Liebe) für immer und unverlierbar begegnet im Tode.

   Den bevorstehenden Tod sah May in der Selbstbiographie - ganz ähnlich wie später der Theologe Dietrich Bonhoeffer118 - als endgültige Entlassung aus dem 'Gefängnis' des irdischen Daseins:


Nach meines Lebens schwerem Prüfungstag / Wird nun wohl bald des Meisters Spruch erklingen, / Doch, wie auch die Entscheidung fallen mag, / Sie kann mir nichts als nur Erlösung bringen. / Ich juble auf. Des Kerkers Schloß erklirrt; / Ich werde endlich, endlich nun entlassen. / Ade! Und wer sich weiter in mir irrt, / Der mag getrost mich auch noch weiter hassen!119


   Diese Zeilen verdienen die Aufmerksamkeit des Lesers. Denn Mays Vertrauen auf die Vollendung im Tode - eine innerste Überzeugung, die allen Werken Karl Mays immanent ist - findet sich in der Autobiographie (wie auch im späten Erzählwerk) "nicht mehr als naive Selbstverständlichkeit" des Kinderglaubens, sondern als gewachsenes, persönlich gereiftes, unter größten "Qualen und Zweifeln neu erworbenes Glaubensbekenntnis. 'Was du ererbt von deinen Vätern hast, / erwirb es, um es zu besitzen!' Auch diese Worte aus dem Faust werden uns bei dieser Gelegenheit einfallen."120

   Auf seiner Lebensreise, seinem Glaubens- und Reifungsweg, war Karl May dem Ziel nun sehr nahe: Achtzehn Monate trennten ihn, nach dem Abschluß der Selbstbiographie, noch vom Tod.

   Zur selben Zeit, Ende September 1910, unternahm das Ehepaar May eine Rheinfahrt von Bonn nach Mainz und dann, mit der Bahn, eine Reise nach Südtirol (Bozen). Doch sein angegriffener Gesundheitszustand zwang May zur baldigen Heimkehr. Über Weihnachten 1910 warf ihn eine Lungenentzündung ins Krankenbett. Es folgte eine schwere Neuritis, und wochenlang stand May nun 'am Tode'.

   Erst im Frühjahr 1911 ging es ihm besser. Vom 11.5. bis zum 16.6.1911 weilte er, mit Klara, zur Kur im böhmischen Joachimsthal. "In der schönen Gegend", schrieb Klara,


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"erholt sich mein Liebstes bald. Die Bäder wirken Wunder. Wir beginnen mit Ausflügen zu Wagen, die Karl so sehr liebt."121

   Im Anschluß an diese Kur verbrachten die Mays, bis Ende Juli, einen Erholungsurlaub in Südtirol mit Ausflügen in die Bergwelt der Dolomiten. Auf der Mendel gab es - nach herrlichen, von freundlichen May-Lesern (die den Dichter persönlich kannten) noch verschönerten Tagen - einen Rückfall: Karl wurde "wieder ganz krank. Von neuem Schmerzen und geschwollene Füße [...] Es war zuviel Liebe für den Guten um ihn gebreitet worden! Blumen und tausend kleine Aufmerksamkeiten hatten ihn erfreut, aber auch arg angestrengt. "122

   Zuhause in Radebeul schien sich May zu erholen. "Die Schmerzen weichen dem Radiumbeutel. Er lebt auf."123 Dann aber brachten, dem Befund des Hausarztes Dr. Mickel vom September 1911 nach, die "Schlaflosigkeit, die quälenden Nervenschmerzen [...] und alle anderen Begleiterscheinungen des Leidens [...] den Kranken bald wieder so herunter, neuerdings durch nervöses Asthma, dass er [...] wieder bettlägerich wurde."124

   Zur literarischen Arbeit fehlten May seit Herbst 1910 nun alle Voraussetzungen. Nur die Abwehrschrift gegen Lebius vom Juni 1910 konnte er, in der zweiten Fassung vom 3. Dezember 1911, noch wesentlich erweitern. Dieser, schon oben erwähnte,125 Privatdruck An die 4. Strafkammer des Königl. Landgerichtes III in Berlin bringt zahlreiche biographische Mitteilungen; außerdem legt er mehr als 500 'Übertreibungen', 'Fälschungen', 'Verdrehungen', 'gewissenlose Behauptungen' und 'raffinierte Bosheiten' in der Lebius-Schrift Die Zeugen Karl May und Klara May (1910) detailliert dar.126 Immerhin - eine beachtliche Energie-Leistung Karl Mays noch kurz vor seinem Tode!

   Am 25. Februar 1912 (zwei Monate nach dem, für May ja erfolgreichen, Berufungsverfahren in Moabit127) konnte er die Vollendung seines 70. Lebensjahres in der 'Villa Shatterhand' feiern. Unter den Geburtstagsgeschenken fand sich die ehrenvolle, mit ihren literaturpolitischen Hintergründen schon erörterte,128 Einladung des Wiener 'Akademischen Verbandes für Literatur und Musik': In der österreichischen Metropole sollte May einen Vortrag halten!

   Kränkelnd noch immer und gegen den ärztlichen Rat fuhr May dann nach Wien. Seine am 22. März 1912 im Sophiensaal gehaltene Rede - mit dem "heute sonderbar"129 klingenden Titel Empor ins Reich des Edelmenschen! - dauerte über zwei Stunden und wurde von den zwei- oder dreitausend Zuhörern mit enthusiastischem Beifall bedankt.

   Der Vortrag handelte über Mays Leben und Werk sowie den Weltfriedensgedanken.130 Der Dichter sprach, wie Bertha von Suttner in ihrem Nachruf betonte, "viel vom Sterben und vom Jenseits, von göttlichen und ewigen Dingen, und es lag etwas Seherhaftes, Unendlichkeitssehnendes in seiner ganzen Art."131 Er bekannte sich zum christlichen Glauben (der genaue Wortlaut dieser Passage ist leider nicht überliefert), sprach zuvor von anderen Religionen und richtete einen besonderen Dank an das Judentum.132 Ein neues Konzept lag der Rede freilich nicht zugrunde: May griff zurück auf markante Partien seines symbolistischen Spätwerks, seiner Autobiographie und seiner Selbstinterpretation in den 'Freistatt'-Artikeln (1910).133

   In der Presse fand der Vortrag eine breite Resonanz, ein vielfaches, zum Teil sehr positives, in manchen Fällen aber auch kritisches, ja - gelegentlich - ironisches und boshaftes Echo. Elf Zeitungen berichteten, kontrovers, über diesen denkwürdigen Abend in Wien.134

   Auch über die äußere Erscheinung und die gesundheitliche Verfassung des Redners wurde geschrieben. Das 'Wiener Montags-Journal' teilte z.B. mit:


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Karl May ist erst vor kurzem von schwerer Krankheit genesen und wurde ungefähr in der Mitte seines Vortrages von Schwäche befallen, welche jedoch erfreulicherweise ebenso rasch, als sie gekommen, wieder verschwand.135


   Und das 'Neue Wiener Tagblatt' meinte:


Karl May sieht trotz seiner siebzig Jahre rüstig aus. Eine schlanke, ungebeugte Gestalt, das bleiche Gesicht [...] ausdrucksvoll und interessant [...] Auch sein Organ hat eine überraschende Kraft, es beherrschte den weiten Saal und ließ während des Vortrages [...] keine Ermüdung spüren.136


   Leicht erkältet und etwas fiebrig fuhr Karl May nach Radebeul zurück. Er wollte - noch leben und hatte große literarische Pläne.137 Aber es kam anders. Acht Tage nach dem Vortrag in Wien, am 30. März 1912 (dem Hochzeitstag Karl und Klara Mays), legte sich der Dichter - so die Darstellung E. A. Schmids - schon um 19 Uhr zur Ruhe. Gegen 20 Uhr "richtete er sich plötzlich im Bett auf" und "sah mit leuchtenden Augen [...] in die Ferne [...]"138 In derselben Stunde rief ihn der Schöpfer zu sich.

   Die medizinische Todesursache: Herzschlag. Die Pressekampagne, die fürchterlichen Gerichtsprozesse und all die inneren Leiden hatten ihm das Herz gebrochen. Aber der 'Gefangene' war nun - frei, war endlich, endlich frei. Seine letzten Worte waren, laut Klaras bekanntem Bericht: "Sieg, großer Sieg - Rosen - rosenrot!"139

   Eher trocken und nüchtern, aber doch freundlich kommentierte der sozialdemokratische 'Vorwärts' in seinem Nachruf auf den Verstorbenen: "Ein Erzähler von unerschöpflicher Erfindungsgabe, eine Kombination gewissermaßen von Jules Verne und Conan Doyle. Dabei aber keineswegs ein Nachahmer, sondern ein vollblütiges Original."140

   Bertha von Suttner schloß ihre - vielleicht "pathetische und etwas verschwirmte aber doch anrührende"141 - Würdigung in der Wiener 'Zeit' mit den Worten: "Wer den schönen alten Mann an jenem 22. März [...] sprechen gehört, [...] weihevoll, begeisterungsvoll, in die höchsten Regionen des Gedankens strebend - der mußte das Gefühl gehabt haben: In dieser Seele lodert das Feuer der Güte."142

   Und Marie Hannes, die den Dichter über alles liebte, hatte im 'Radebeuler Tageblatt' geschrieben: Er war "ein echter, wahrer Mensch - mit reinem Herzen und kindlicher Seele [...]"143


Wozu Grabgeleite und Totengesänge für Einen, der weder Tod noch Grab kennt? [...] Wir wenden uns ab von Grab und Tod und gehen heimwärts - - und [...] da sinkt ein grenzenloses Verlassensein auf uns nieder. - Oede [...] scheint uns das Leben. - Aber wieder jubeln die Amseln - und in der Ferne tönt es wie Osterglocken!144


Anmerkungen


1Karl May: Winnetom. IV. Band. Gesammelte Reiseerzählungen, Bd. XXXIII. Freiburg 1910, S.265.
2Ebd., S. 152.
3Nicht zuletzt auch die Technik und speziell ihre Flugapparate bezog May in seine Zukunftshoffnung mit ein! - Vgl. Hartmut Schmidt u.a.: "Die Naturkraft ist ihm untertan". Technische Fragen im Werk Karl Mays. SKMG Nr. 57 (1985), S. 25-29.
4May: Winnetou IV, wie Anm. 1, S. 571.
5Ebd., S. 605.
6Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg 1910. Hrsg. von Hainer Plaul. Hildesheim, New York 21982, S. 319.
7Vgl. oben, S. 56f.
8May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 6, S. 312f.


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9Vgl. Karl May: Briefe an das bayerische Königshaus. In: JbKMG 1983, S. 76-122 - Ulrich Schmid: "Mein höheres und eigentliches Vaterland ist Bayern". Zu den Briefen Karl Mays an das bayerische Königshaus. In: JbKMG 1983, S. 123-145. - Vgl. unten, S. 586.
10Zum folgenden vgl. Hans-Dieter Steinmetz: Mariechen, Ferdinand und Onkel Karl. Zu einem unbekannten Kapitel im Leben des Ustad. In: MKMG 69 (1986), S. 6-24.
11Vgl. oben, S. 261.
12Vgl. Karl May: Am Jenseits. Gesammelte Reiseerzählungen, Bd. XXV. Freiburg 1899, S. 170 - Hinweis bei Amand von Ozoróczy: Das zweite Ave Maria. Beitrag zur "Spatlese in Deidesheim" II. In: MKMG 26 (1975), S. 3-9 (S. 5).
13Nach Ozoróczy: Ebd.
14Nach Ozoróczy: Ebd. (mit Bezug auf einen Reiseeintrag Karl Mays vorn 2.9.1899 in Port Said).
15Vgl. oben, S. 461.
16Zit. nach Steinmetz: Mariechen, wie Anm. 10, S. 12.
17Näheres bei Erich Heinemann: Die Lisbeth-Barchewitz-Story. In: MKMG 11 (1972), S. 19-22.
18Steinmetz: Mariechen, wie Anm. 10, S. 6.
19Ebd., S. 8 (Anm. 23, verfaßt von Hansotto Hatzig).
20Ozoróczy bezieht sich auf die neutestamentliche Apokalypse, die - der kirchlichen Tradition nach - vom Evangelisten Johannes verfaßt wurde.
21Ozoróczy, wie Anm. 12, S. 5.
22Nach der Auskunft Hans Wollschlägers; wiedergegeben bei Steinmetz: Mariechen, wie Anm. 10,S. 14.
23Zit. nach Steinmetz: Ebd., S. 15.
24Steinmetz: Ebd.
25Marie schrieb dieses Gedicht ins Gästebuch der 'Villa Shatterhand'; der vollständige Text ist wiedergegeben bei Steinmetz: Ebd., S. 16f.
26Steinmetz: Ebd., S. 20.
27Wiedergegeben in: MKMG 69 (1986), S. 3-5.
28Nach Steinmetz: Mariechen, wie Anm. 10, S. 20. - Vgl. Klara May und 'Karl Mays Kinder'. Briefwechsel 1912. In: JbKMG 1993, S. 12-40 (S. 17ff.).
29Vgl. Steinmetz: Mariechen, wie Anm. 10, S. 20 - Ders. - Hellmut Hannes: Dr. Ferdinand Hannes als Schiffsarzt beim Norddeutschen Lloyd. In: MKMG 90 (1991), S. 24-29 (S. 26) -Hansotto Hatzig: "Die Kinder Karl May's. Eine Tragödie im Hause May. In: JbKMG 1993, S.41-45.
30Für die Jahrbücher des Karl-May-Verlags schrieb Frau Hannes jedenfalls keine Beiträge; vgl. Steinmetz: Mariechen, wie Anm. 10, S. 20 - Briefwechsel 1912, wie Anm. 28, S. 37ff. (zu Frau Hannes' Konflikt mit E.A. Schmid) - Ulrich Schmid: 'Um die Wahrheit'. Wilhelm Einsle und das Vermächtnis Karl Mays. In: JbKMG 1993, S. 46-57 (S. 46f.).
31Vgl. Steinmetz: Mariechen, wie Anm. 10, S. 12.
32Nach ebd., S. 11.
33Steinmetz - Hannes, wie Anm. 29, S. 24.
34Vgl. ebd., S. 25ff.
35Zu deutsch: mich ebenfalls duzt!
36Karl und Klara May: Briefwechsel mit Adele und Willy Einsle. In: JbKMG 1991, S. 11-96 (S.28).
37Zur Vita des Willy Einsle (sowie seiner Eltern und Großeltern) vgl. Gertrud Mehringer-Einsle: Zum Lebensweg meines Vaters Wilhelm Einsle. In: JbKMG 1991, S. 97-106.
38Vgl. Karl May: Briefe an Karl Pustet und Otto Denk. Mit einer Einführung von Hans Wollschläger. In: JbKMG 1985, S. 15-62.
39Vgl. May: Briefe, wie Anm. 9.
40Vgl. oben, S. 321ff.
41Claus Roxin: Das einundzwanzigste Jahrbuch. In: JbKMG 1991, S. 7-10 (S. 7f.).
42'Bayreuther Tagblatt' vom 20.2.1957; zit. nach Karl und Klara May: Briefwechsel mit Adele und Willy Einsle Il. Mit einem Nachwort von Erich Heinemann. In: JbKMG 1992, S. 34-108 (S. 107; Nachwort von Heinemann).
43Vgl. z.B. Willys Brief vom 5.8.1905 an Karl May. In: JbKMG 1991, S. 44-49.
44Zu dieser Roman-Figur im Silberlöwen III/IV vgl. oben, S. 445.


//591//

45Vgl. besonders Karl Mays Brief vom 2.4.1905 an Willy. In: JbKMG 1991, S. 31ff.
46Vgl. oben, S. 426.
47Vgl. unten, S 585.
48Mehringer-Einsle, wie Anm. 37, S. 102f.
49Vgl. ebd. - U. Schmid: 'Um die Wahrheit', wie Anm. 30, S. 46-57.
50Vgl. oben, S. 23.
51May: Winnetou IV, wie Anm. 1, S. 25.
52Udo Kittler: "Ein Fall allerersten Ranges" II. In: MKMG 90 (1991), S. 16-23 (S. 18).
53So Näcke in seinem Antwort-Schreiben an May vom 1.8.1907; zit. nach Udo Kittler: "Ein Fall allerersten Ranges". Karl May und der Psychiater Paul A. Näcke. In: MKMG 89 (199 1), S. 37-42 (S. 41).
54Kittler: Ebd.
55Vgl. oben, S. 123 u. 126.
56Vgl. Kittler: Fall II, wie Anm. 52, S. 17.
57Nach Kittler: Fall I, wie Anm. 53, S. 39 - Vgl. oben, S. 470.
58Vgl. Kittler: Ebd., S. 41 - Ders. Fall II, wie Anm. 52, S. 16f.
59Paul Adolf Näcke: Zur Psychologie der plötzlichen Bekehrungen. In: Zeitschrift für Retigionspsychologie. Grenzfragen der Theologie und Medizin. Hg. von Johannes Bresler. Bd. 1. Heft 6. Halle a. S. 1907, S. 233-253 (S. 237) - Vgl. Gerhard Klußmeier - Hainer Plaul (Hrsg.): Karl May. Biographie in Dokumenten und Bildern. Hildesheim, New York 1978, S. 218.
60Zit. nach Kittler: Fall II, wie Anm. 52, S. 20.
61Ebd.
62Ebd.
63Zit. nach Klara May: Tagebuch (1.4.1908) - Vgl. Kittler: Fall I, wie Anm. 53, S. 37.
64Friedrich Salomo Krauss: Karl Mays Selbstbiographie. In: Ders.: Anthropophyteia. VIII. Leipzig 1911, S. 501 - May hat diese Besprechung in seinen Privatdruck An die 4. Strafkammer des Königl. Landgerichtes III in Berlin (1911) übernommen (Prozeß-Schriften, Bd. 3. Hg. von Roland Schmid. Bamberg 1982, S. 122). - Vgl. oben, S. 34f.
65Näheres zu F. Stege im Redaktionsartikel Einer, der Karl May noch kannte. In: MKMG 89 (1991), S. 49f.
66Näheres im Redaktionsartikel Old Shatterhand besuchte Jan Wellem. In: MKMG 93 (1992), S. 49f.
67Vgl. oben, S. 541ff.
68Wie Anm. 66.
69Ulrich Schmid: Ein Vortrag zwischen den Fronten. Karl May im Augsburger Schießgrabensaal, 8. Dezember 1909. In: JbKMG 1990, S. 71-98 (S. 73).
70Vgl. oben, S. 490 (Anm. 31).
71Im Jahre 1910 brach der Briefkontakt wohl ab; vgl. Hansotto Hatzig: Karl May und Sascha Schneider. Dokumente einer Freundschaft. Beiträge zur Karl-May-Forschung 2. Bamberg 1967, S. 161.
72Vgl. z.B. Mays Gedicht vom 16.2.1904 an Schneider oder seinen Brief vom 17.5.1904 an Schneider; beide Texte in: Empor zum Licht! Zur Entstehungsgeschichte der Sascha-Schneider-Titelbilder für die Gesammelten Reiseerzählungen Karl Mays. Hg. von Lothar Schmid. Bamberg 1991, S. 21 bzw. S. 24-27. - Vgl. Ernst Seybold: Karl-May-Gratulationen. Geistliche und andere Texte zu und von Karl May IV. Ergersheim 1991, S. 98f.
73Vgl. oben, S. 372.
74Vgl. Klara May: Tagebuch (Ende 1908).
75Vgl. Horst Matthey: Karl May in Düsseldorf. In: MKMG 88 (1991), S. 20-23 (S. 20). - May reiste im Januar 1902 nach Düsseldorf (vgl. oben, S. 393) und dann wieder - laut Klaras Tagebuch - am 25.4.1910, ebenfalls mit Übernachtung im 'Breidenbacher Hof. Am Abend dieses 25. April dürfte die von H.W. Otto geschilderte Begegnung stattgefunden haben.
76Hermann Waldemar Otto: Als Karl May in Düsseldorf war. Eine Erinnerung eines seiner Schulkameraden. In: 'Düsseldorfer Nachrichten' vom 12.9.1935; wiedergegeben bei Matthey, wie Anm. 75, S. 21.
77Vgl. Steinmetz: Mariechen, wie Anm. 10, S. 16.
78Vgl. ebd., S. 17.


//592//

79Ralf Husernann: Hüpfen im Morgentau. In: Feuilleton-Beilage der 'Süddeutschen Zeitung' vom 12./13.9.1992, S. 11.
80Ebd.
81Ebd.
82Nach ebd.
83Nach Klußmeier - Plaul, wie Anm. 59, S. 154.
84Vgl. Hans-Dieter Steinmetz: Karl May und Friedrich Eduard Bilz. Ein weiterer Baustein. In: MKMG 89 (1991), S. 13-18 (S. 13).
85Vielleicht (oder wahrscheinlich) hatte May aber eine außereheliche Tochter; vgl. oben, S. 155 u. 338f.
86Aus Karl Mays Brief vom 24.12.1905 an Adele Einsle. In: May: Briefwechsel, wie Anm. 36, S. 55f.
87Vgl. oben, S. 428f.
88Vgl. Christian Heermann: Karl May, der Alte Dessauer und eine "alte Dessauerin ". Dessau 1990, S. 116.
89Vgl. ebd., S. 111.
90Vgl. oben, S. 562f. u. unten, S. 723ff.
91Vgl. oben, S. 543.
92Vgl. Klußmeier - Plaul, wie Anm. 59, S. 258.
93Aus Mays Brief vom 2.6.1909 an Dr. Rost; wiedergegeben in: Karl May und Augsburg. SKMG Nr. 82 (1989), S. 25.
94Vgl. oben, S. 325ff.
95Der Vortragstext findet sich in: Karl Mays Augsburger Vortrag. Eine Dokumentationftr die Karl-May-Forschung. Hg. von Roland Schmid. Bamberg 1989, S. 41-49.
96Ebd., S. 42.
97U. Schmid: Ein Vortrag, wie Anm. 69, S. 71.
98Zit. nach: Dokumentation, wie Anm. 95, S. 58.
99Nach ebd., S. 62.
100Aus dem Klosterbericht der "Schule der Englischen Fräuleins" in Augsburg; vollständig abgedruckt in: MKMG 86 (1990), S. 3.
101Ebd.
102Ebd.
103May: Briefe, wie Anm. 9, S. 98 (Brief vom 29.11.1906 an Wiltrud; vgl. oben, S. 481f.).
104Diese Briefe und Tagebuch-Notizen sind erhalten geblieben; ihre Veröffentlichung ist geplant (mündliche Auskunft von Ulrich Schmid).
105Klara May: Tagebuch (Ende 1909).
106Aus dem - als Kopie einer Abschrift von Ulrich Schmid dem Verfasser zur Verfügung gestellten - Tagebuch (13.12.1909) der Prinzessin Wiltrud. (Das Tagebuch enthält zahlreiche orthographische Fehler, die in unsere Wiedergabe nicht aufgenommen wurden.)
107Hetty Heide, eine der besonderen Verehrerinnen Mays, war die Gattin des Schriftstellers Hans Karl Heide (1878-1929); vgl. May: Briefwechsel II, wie Anm. 42, S. 49f.
108Lebius ist gemeint.
109Klara May: Tagebuch (Anfang 1910).
110Ebd.
111Egon Erwin Kisch: Im Wigwam Old Shatterhands. In: Ders.: Hetzjagd durch die Zeit. Frankfurt/M. 1974, S. 32-54 (S. 54).
112Vgl. Helmut Schmiedt: Karl Mays 'Mein Leben und Streben' als poetisches Werk. In- JbKMG 1985, S. 85-101.
113Vgl. Hans Wollschläger: (Werkartikel zu) Mein Leben und Streben. In: Karl-May-Handbuch. Hrsg. von Gert Ueding in Zusammenarbeit mit Reinhard Tschapke. Stuttgart 1987, S. 565-570.
114Heinz Stolte: Hiob May. In: JbKMG 1985, S. 63-84 (S. 81).
115Karl May: Auch "Über den Wassern" mit Anmerkungen von Hansotto Hatzig und Ekkehard Bartsch. In: JbKMG 1976, S. 230-272 (S. 239).
116Vgl. den Anfang des 7. Buches in Platons Politeia: Die Erde wird hier mit einer Höhle verglichen, in der die Menschen "von Kindheit an gefesselt" seien!


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117May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 6, S. 318.
118Vgl. Dietrich Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. Hg. von Eberhard Bethge. München 131966, S. 251: "Komm nun, höchstes Fest auf dem Wege zur ewigen Freiheit, / Tod, leg nieder beschwerliche Ketten und Mauern
119May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 6, S. 320.
120Stolte: Hiob May, wie Anm. 114, S. 72 (dort und auf den folg. Seiten weitere Hinweise zum Einfluß Goethes auf die Selbstbiographie Karl Mays).
121Klara May: Tagebuch (1911).
122Ebd. (14.7.1911).
123Ebd. (letzter Eintrag 1911).
124Zit. nach Christian Heermann: Der Mann, der Old Shatterhand war. Eine Karl-May-Biographie. Berlin 1988, S. 346.
125Vgl. oben, S. 534.
126Vgl. Helmut Schmiedt: Literaturbericht I. In: JbKMG 1992, S. 326-340 (S. 336f.).
127Vgl. oben, S. 534ff.
128Vgl. oben, S. 545f.
129Claus Roxin: Ein 'geborener Verbrecher'. Karl May vor dem Königlichen Landgericht in Moabit. In: JbKMG 1989, S. 9-36 (S. 32).
130Die Aufzeichnungen Mays zur Wiener 'Friedensrede' sind wiedergegeben bei Ekkehard Bartsch: Karl Mays Wiener Rede. Eine Dokuntentation. In: JbKMG 1970, S.47-80 (S. 52-66).
131Der vollständige Text des Suttner-Nachrufs findet sich ebd., S. 80.
132Vgl. ebd., S. 59.
133Vgl. Claus Roxin: Karl Mays 'Freistatt'-Artikel. Eine literarische Fehde. In: JbKMG 1976, S. 215-229 (S. 216). - Zu den 'Freistatt'-Artikeln vgl. oben, S. 529.
134Sämtliche Presseberichte sind wiedergegeben bei Bartsch, wie Anm. 130, S. 69-78. - Vgl. auch Adolf Gelber - Wilhelm Nhil - Paul Wilhelm: Karl May in Wien. Letzte Interviews (1912). In: JbKMG 1970, S. 81-91.
135Zit. nach Bartsch, wie Anm. 130, S. 77.
136Zit. nach ebd., S. 73.
137Nach Euchar Albrecht Schmid: Karl Mays Tod und Nachlaß. In: Karl May's Gesammelte Werke, Bd. 34 "Ich ". Bamberg 381992. Hg. von Lothar Schmid, S. 327-365 (S. 333).
138Ebd.
139Ebd.
140Aus dem Nachruf des 'Vorwärts' (2.4.1912); zit. nach Heermann: Old Shatterhand, wie Anm. 124,S.352.
141Roxin: Verbrecher, wie Anm. 129, S. 33.
142Zit. nach Bartsch, wie Anm. 130, S. 80.
143Marie Hannes: Karl Mays Beisetzung. Wiedergegeben in: MKMG 69 (1986), S. 3-5 (S. 417.).
144Ebd.



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