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Nachbemerkung: Theologische Kritik an Mays Spätwerk oder Christlicher Glaube und mythologische Bilder


Es hat sich gezeigt: Die Schriften Eugen Drewermanns bieten interessantes Material zur Deutung von Winnetou IV. Zu nahezu allen Motiven dieses Romans und auch der anderen Spätwerke Mays bringt Drewermann - freilich ohne Bezug auf unseren Autor - sehr zahlreiche Hinweise.

   Darüber hinaus weist die Botschaft des Mayschen Alterswerks beachtenswerte Parallelen auf zu den wichtigsten Intentionen moderner Theologen und speziell auch Eugen Drewermanns. Verwunderlich ist es nicht: Die theologische Kritik, die Drewermann erfuhr, entspricht zum Teil der Kritik an Mays Spätwerk durch katholische Publizisten. Dies soll, abschließend, noch kurz erläutert werden.

   Die Gründe, die zum (einstweiligen) Entzug der kirchlichen Lehrbefugnis für Drewermann führten, können hier nicht vollständig aufgezählt werden.1 Wir müssen uns beschränken auf 'May-relevante' Aspekte.

   Die im Verlauf unsrer Ausführungen zitierten Drewermann-Bände ALLEIN - vor allem Strukturen des Bösen I-III, Tiefenpsychologie und Exegese I/II und Grimms Märchen tiefenpsychologisch gedeutet - hätten den Autor wohl nicht seinen Lehrstuhl gekostet. Andrerseits werden in diesen Büchern doch zentrale (auch in Mays Spätwerk zumindest tangierte) theologische Fragen besprochen, die in der Auseinandersetzung um Drewermann eine ernsthafte Rolle spielen.

   Drewermann hat faszinierende, die Theologie sehr befruchtende und für den Glauben zahlreicher - gerade auch kritischer, der Kirche fern stehender - Menschen sehr hilfreiche Bücher geschrieben. In einer Zeit der zunehmenden 'Säkularisierung' und des wachsenden Transzendenzverlustes ist Drewermann ein kenntnisreicher Zeuge des Glaubens an Gottes Führung und Liebe. Positive und weiterführende Ansätze seiner Theologie werden von den Bischöfen auch keineswegs bestritten, sondern ausdrücklich anerkannt.2 Dennoch wurden und werden, massiv, auch Einwände vorgebracht.

   Das offizielle Lehramt der römischen Kirche, aber auch namhafte katholische Theologen und auch nicht wenige evangelische Fachkollegen kritisieren, in wichtigen Punkten, die Schriften Drewermanns. Hans-Martin Barth, ein protestantischer Theologe, z.B. beklagt: "Botschaft und Gestalt Jesu Christi spielen in Drewermanns Erörterungen eine vergleichsweise geringe Rolle. Jesu Tod und Auferstehung werden von mythologischen Materialien her verstanden, die als Interpretamente dienen."3

   An der göttlichen Offenbarung in Christus halte Drewermann - so meinen andere, ebenfalls evangelische, Theologen - zwar fest; er deute "sie aber neu, indem er Christus in Analogie zu einem Psychotherapeuten" verstehe, der in der Seele des Kranken die Träume erwecke,


durch die sich die Genesung selbst ereigne [...] Da sich aber auch in den Mythen, Märchen und Symbolen anderer Religionen diese psychischen Archetypen widerspiegeln, gewinnen auch sie eine theologische Bedeutung: "Um die [...] eigenen Glaubenssymbole zu verstehen, gilt es, die fremden Religionen wie einen lebendigen Kommentar zu der eigenen religiösen Überlieferung zu lesen." Dabei ist sich Drewermann sehr bewußt, daß er theologisch einen diametralen Gegensatz zum Protestantismus vertritt [...]4


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   Drewermann irre, so wird ihm vorgehalten, "wenn er das 'Zeugnis der Seele' als gleichwertige Glaubensquelle neben das 'Zeugnis der Bibel' stellt, statt es an diesem auf seine Echtheit zu überprüfen."5 Sofern Drewermanns Thesen - meint ein weiterer Kommentator -


mitunter den Anschein erwecken, als reduziere er die geschichtliche Offenbarung Gottes in Jesus von Nazaret auf eine Projektion zeitloser Bilder und Strukturen der Seele, bedarf es einer Klärung im kritischen Dialog, gegebenenfalls auch einer offiziellen Zurückweisung durch theologische Gutachten oder durch ein Wort der Bischöfe [...]6


   Alle diese Vorwürfe (oder Anfragen) laufen auf die Klage hinaus, die 'christliche Identität', der christliche Absolutheitsanspruch würden durch Drewermann in Frage gestellt. Derselbe Vorwurf aber ist der Kern der Theologen-Kritik auch am Mayschen Spätwerk! Relevant ist in diesem Zusammenhang vor allem die May-Schelte durch den Dresdner Hofkaplan Dr. Paul Rentschka und den Benediktiner Ansgar Pöllmann.

   Die theologische Bedeutung, die May den Märchen, den Mythen und Träumen der 'Menschheitsseele' zubilligt, hat Pöllmann, freilich nur indirekt, kritisiert: mit dem Vorwurf, May habe die Menschheitsseele - Marah Durimeh - "von der Papstlehre weg zur Trägerin eines verschwommenen Interkonfessionalismus"7 gemacht!

   Auch Rentschka vermißte im Spätwerk des Dichters "das hohe Gut der Wahrheit": die eindeutige "Lehre von der Gottheit Christi" und das klare Bekenntnis zum "auserwählten Volk Gottes"; Mays Christentum sei "nichts als Humanität", die noch dazu "der Ergänzung bedarf aus dem Schatze [...] des Heidentums, des Buddhismus, des Muhammedanismus."8

   Im Falle Drewermanns wie auch Mays wäre zu sagen: Die 'Sprache Kanaans', die kirchliche Insider-Sprache, die engen Grenzen dogmatischer Formeln wollen diese Autoren in der Tat aufbrechen: zugunsten einer offenen, den großen Menschheitsfragen zugewandten theologischen Poesie. Den christlichen Glauben lassen sich May und Drewermann aber nicht absprechen. Sie verweisen mit Recht auf ihre Schriften, deren Inhalt komplizierter und differenzierter ist, als ihre Kritiker - mit verkürzten und oft auch mißverstandenen Zitaten - ihn darstellen.

   Daß alles richtig und frei von 'Irrtümern' sein müsse, was May oder Drewermann schrieben, ist damit natürlich nicht gesagt! Dem kritischen Dialog muß jeder Autor sich stellen. Und die Bereitschaft, sich korrigieren zu lassen, muß grundsätzlich immer gegeben sein.

   "Wir brauchen Drewermann und Drewermann braucht uns." So meinte ein Fachkollege auf einer Tagung.9 Übertragen auf May könnte dies heißen: Wenn das Christentum nicht erstarren will in dogmatischen Sätzen, dann braucht es Dichter wie Karl May; aber auch die Literaten brauchen urteilsfähige Leser, die den Autor herausfordern und, wo nötig, zu selbstkritischen Reflexionen ermuntern.

   Bedeutende (und auch weniger bedeutende) Menschen neigen nicht selten zum Absolutheitsanspruch. Auch Drewermanns Kritik an der Kirche kann "ausschließend und [...] aggressiv" werden: Seine "Polemik gegen alte und neue Hohepriester und Schriftgelehrte" wirkt gereizt, bisweilen verletzend und "erschreckend hart"; sie zeigt manchmal "wenig von der Güte und Geduld", die Drewermann - in seinen Büchern - "gegenüber menschlichen Fehlern und Schwächen fordert."10 Insofern könnte auch Drewermann selbst als 'Therapiefall' betrachtet werden.

   Mit Kritik richtig umzugehen, ist auch May nicht immer gelungen.11 Seine Reaktion auf kirchliche Kritiker war aber angemessen und, im Falle Rentschkas, ausgesprochen


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moderat, um nicht zu sagen - beflissen.12 Dies hat verschiedene Gründe. Zum einen: Mays Ansehen in der Öffentlichkeit war fast ruiniert; Streit und Ärger gab es genug. Daß seine Werke auf den 'Index': ins (1965 abgeschaffte) Verzeichnis der - von der katholischen Kirche - verbotenen Bücher kämen, war so ziemlich "das einzige [...], das unserm armen, lieben, guten Onkel bis jetzt noch nicht begegnet ist."13 So war es nur allzu verständlich: Eine Verschärfung des Konflikts mit kirchlichen Kreisen wollte der Schriftsteller vermeiden.

   Ein eskalierender Streit mit der Kirche wäre für May nicht opportun gewesen. Doch der einzige Grund für seine Vorsicht im Umgang mit kirchlichen Kritikern war dies nicht. Karl May war Christ und bekannte sich zur christlichen Kirche - zwar nicht zur römisch-katholischen Konfession, aber doch zur "einzigen, alles umfassenden katholischen Gemeinde der Gläubigen".14 Weil er selbst zur 'katholischen' Kirche (im ursprünglichen Sinn dieser Bezeichnung15) gehörte, war May die Weise, wie kirchliche Amtsträger seine Bücher beurteilten, nicht gleichgültig.

   Für konstruktive Kritik war May durchaus offen. "Und wenn" - so schrieb er 1909 an Prinzessin Wiltrud (ähnlich wie 1908 an Paul Rentschka16) -


eines meiner bisherigen Werke nicht gut, nicht klar, nicht erwünscht zu sein scheint, so bitte ich, darauf hinweisen zu dürfen, daß alle diese Arbeiten nur Fühlfäden waren, um genau zu erfahren, was und wie ich schreiben soll und was nicht.17 Ich bin so gern bereit, meine Fehler abzulegen, denn wenn es mir gelänge, mich von ihnen allen zu befreien, so wäre ich endlich erlöst und ganz von hier geschieden.18


   May kannte seine Schwächen. Sich zu befreien von sämtlichen Fehlern, wird der menschlichen Anstrengung aber nie vollständig gelingen. Denn die Erlösung ist Gottes Geschenk und nicht das Resultat unsrer Mühe. Aber auch dies hat May ja immer gewußt: Die Religion, Gott selbst bringt das Heil und jede Erlösung.19



Anmerkungen


1Die Gründe sind nachzulesen in: Dokumentation zur jüngsten Entwicklung um Dr. Eugen Drewermann. Für das Erzbischöfliche Generalvikariat Paderborn hrsg. von Hermann-Joseph Rick. Paderborn 1991 - Eugen Drewermann: Worum es eigentlich geht. Protokoll einer Verurteilung. München 1992.
2Vgl. die Stellungnahme der Glaubenskommission der Deutschen Bischofskonferenz zum Entzug der Lehrerlaubnis von Dr. Eugen Drewermann in: Dokumentation, wie Anm. 1, S. 312-315.
3Hans-Martin Barth (1988); zit. nach Heinz Schütte: Verleugnung des alleinigen Mittlers Jesus Christus? Stellungnahmen aus der Ökumene zu Auffassungen Eugen Drewermanns. In: Katholische Nachrichten Agentur. Ökumenische Information Nr. 11 (11.3.1992), S. 20-24 (S. 20).
4Clemens Albrecht, Wilfried Dreyer und Harald Homann (1988); zit. nach Schütte: Ebd., S. 20.
5Horst Georg Pöhlmann (1992); zit. nach Schütte: Ebd., S. 23f.
6Walter Schöpsdau (1991); zit. nach Schütte: Ebd., S. 21.
7Ansgar Pöllmann: Ein Abenteurer und sein Werk. In: Über den Wassern. Halbmonatsschrift für schöne Literatur. Hrsg. von Expeditus Schmidt. 3. Jg. 1910, S. 274 - Vgl. oben, S. 528.
8Paul Rentschka: Karl Mays Selbstenthüllung. Mit Einleitung und Anmerkungen von Ernst Seybold. In: JbKMG 1987, S. 138-159 (S. 141, 145, 141 u. 149) - Vgl. oben, S. 525f.
9Tagung der Katholischen Akademie Bayern am 21./22.2.1992 in München.
10Bernhard Dieckmann: Bultmann und Drewermann - Entmythologisierung und tiefenpsychologische Exegese: Gegensatz oder Weiterführung? In: Una Sancta. Hrsg. von Hans-Martin Barth u.a. Nr. 4 (1991), S. 337-352 (S. 350).
11Vgl. oben, S. 378.
12Vgl. oben, S. 526f.
13Willy Einsle: Brief vom 2.3.1910 an Klara May. In: JbKMG 1992, S. 65-70 (S. 66).


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14Karl May: Mein Glaubensbekenntnis (21.12.1906). In: Donau-Zeitung. Passau 1907. Wiedergegeben in: Schriften zu Karl May. Materialien zur Karl-May-Forschung, Bd. 2. Ubstadt 1975, S. 245f. (S. 246) - Vgl. oben, S. 674ff.
15Vgl. oben, S. 227.
16Vgl. oben, S. 526.
17Daß May sein Fähnchen nach dem Wind richten wollte, ist damit freilich nicht gesagt. Er wollte dies nicht und hat es auch nicht getan.
18Karl May: Briefe an das bayerische Königshaus. In: JbKMG 1983, S. 76-122 (S. 116; Brief vom 18.4.1909 an Prinzessin Wiltrud).
19May in seinem Wiener Vortrag vom 22.3.1912; vgl. Ekkehard Bartsch: Karl Mays Wiener Rede. Eine Dokumentation. In: JbKMG 1970, S. 47-80 (S. 65).




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