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Aus Karl Mays literarischem Nachlaß

Von Studienrat Dr. Max F i n k e 

(Fortsetzung)

7.

Mappen: Scheitana - Weib - Wüste.

Im 3. Jahrbuch (1920), S. 85, habe ich die Veröffentlichungen der auf den Stoffkreis »Scheitana« bezüglichen Handschriften Mays in Aussicht gestellt. Ich schrieb damals: »"Scheitana" - gemeint ist Frau Emma Pollmer, Karl Mays erste Frau (gest. 1917) oder besser: diese war in langer, unglücklicher Ehe (1880 bis 1903) die Erlebnisquelle für jene lebenhemmenden Eigenschaften, die sich in May zu einer neuen weltsymbolischen weiblichen Gestalt "Scheitana" verdichteten.« Die Gleichsetzung Scheitana = Emma Pollmer stützte sich auf mündliche Mitteilungen der Frau Klara May, doch auch auf innere Gründe. Offensichtlich gehören noch zwei weitere Mappen hierher. Sie tragen die Aufschriften: »Weib« und »Wüste«.

Zunächst wird der Gegenstand »Scheitana« nur als eine Abart jenes schon in früher Jugend durch eine Faustvorstellung angeregten Themas »Gott, Mensch und Teufel« (siehe 2. Jahrbuch, S. 173/75) aufzufassen sein. Eine gründliche Durchmusterung


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aller noch erhaltenen Nachlaßhandschriften erbrachte keinen Beweis dafür, daß mit der Scheitana Frau Emma Pollmer  v o n   A n f a n g   a n  gemeint sei. Abgesehen davon, daß der unbefangene Blick in dieser mitleidswürdigen Frau ausgesprochen satanische Züge vielleicht gar nicht entdeckte, war es auch nicht Mays Art, literarische Hinrichtungen vorzunehmen oder erlittene Unbill mit der Feder zu rächen. Eine solche Annahme hieße sein Wesensbild trüben. Es sind auch später - so »Im Reiche des silbernen Löwen« - immer nur  a l l g e m e i n  menschliche Laster und Fehler, die er zu Typen verdichtet, nicht seine Feinde in individueller Zeichnung. Rache, Haß, Angriffslust lagen dieser weichen, gütigen, nie nachtragenden und schnell vergessenden Natur ja gar nicht. Auch finden sich noch bis in die letzten Jahre der Ehe hinein Aeußerungen vor, die beweisen, daß May seiner ersten Frau immer wieder in Liebe gedachte.

Eigentliche Schlüsselromane oder »Schlüsseldramen« zu schreiben, war May unfähig. Sein Lebensweg hätte ihm Gestalten dazu genug geboten. Hätte er nicht schon jenen Seminardirektor literarisch aufs Korn nehmen können, der ihn durch eine, wie May selbst glaubhaft schildert, völlig unbegründete Entfernung vom Seminar in langnachwirkenden seelischen Aufruhr versetzte? Wo ist das literarische Konterfei des Kolportageverlegers Münchmeyer, wo das seines erfolgreichsten und zähesten Feindes Lebius? May hat erst später, obwohl seine Werke von Anfang an märchenartig und der  s y m b o l i s c h e n   D e u t u n g   z u g ä n g l i c h   s i n d , aus ver-


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schiedenen Gründen, nicht zuletzt aus Scham und zum Zweck seiner Ehrenrettung, diese symbolische Deutung seiner Gestalten gefordert. Vielleicht ist sogar in den »Silberlöwen« mehr hineingeheimnist worden, als May selbst wollte.

Was »Scheitana«, »Weib« und »Wüste« anlangt, so finde ich nicht, daß May in den hierher gehörigen Handschriften etwa die Verdrängung seines Eheerlebnisses geäußert, »abreagiert« hat. Es ist seltsam: dieser Mann, ganz eingebettet in ein kindliches Bewußtsein von Gottergebenheit und Gottgeborgenheit - das auch »infantile« und sonstige krankhafte Züge verrät -, dieser Mann hat seine Ehe nicht eigentlich erlebt. Eine selbständige Urteilsbildung darüber, daß seine Ehe mißraten sei, suche ich vergebens. Wie kann auch jemand eine Unternehmung - und die Ehe ist die größte des Lebens - als mißlungen beurteilen, der auf ihr Gelingen kaum ernstlich gesammelte Kraft gerichtet hat? May ist auch als Ehemann passiv, in seinem Urteil äußerer Beeinflussung und Lenkung nachgebend. Er philosophiert einmal: »Du glaubst zu leben, doch du wirst gelebt.« Auf ihn selbst trifft das in vielen Stücken zu. Das weiche Wachs seines Inneren wurde zur Schreibtafel für Mächte und Einflüsse, die ihn zu keiner persönlichen Einheit kommen ließen.

Das Erlebnis der ersten Ehe ist aber tief in die Gefühlswelt der genannten Handschriften, besonders von »Wüste« eingeflossen. Deshalb hier noch folgendes.

Die Geschichte seiner ersten Ehe ist für May unrühmlich und doch auch wieder rühmlich. Unrühm-


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lich, weil sie die Unreife und Leichtfertigkeit des Freiers zeigt, der nach dem Maß seiner 38 Jahre wissen mußte, was es bedeutet, eine Ehe einzugehen, und welche Verantwortung er mit diesem Schritt auf sich lud. Von diesem Verantwortungsgefühl nehmen wir in seiner Selbstlebensbeschreibung nichts wahr. Vielmehr trieb ihn außer dem sinnlichen Reiz des Mädchens, das uns als auffällige Schönheit von ihm geschildert wird, die Eitelkeit des jungen Schriftstellers, der von dem Großvater Pollmer und seiner Enkelin angeschwärmt wurde. Neben dem Aeußeren war es nur die Zurückhaltung, die ihm an Emma Pollmer gefiel. Denn das Verständnis, das sie seinem Schaffen und seinen hohen Zielen vor der Ehe entgegenbrachte, war nach seiner eigenen Darstellung erheuchelt. Er argwöhnt, daß all die hochtönenden Worte in ihren Briefen gar nicht von ihr selbst stammten, ob von dritter Hand oder gar aus dem Vordruck eines Liebesbriefstellers, erfahren wir nicht, ebensowenig, wie Karl May und Emma Pollmer sich lieb gewannen und einig wurden. Eines schönen Tages droht May dem Alten: »Wir sind uns einig, und wenn du sie nicht willig gibst, dann entführe ich sie.« Von einem Brautstand ist nicht die Rede.

Emma Pollmer stammt aus Mays Geburtsort Ernstthal. Es findet sich in Mays Selbstbiographie eine merkwürdige Stelle, aus der hervorgeht, daß May in der Beurteilung seiner Ehe innerlich unfrei war, ja im Bann einer abergläubischen, an sich unsinnigen Voreingenommenheit stand. Der Katechet  K o c h t a  brachte ihm ein kleines - von uns bis-


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her noch nicht ermitteltes - Buch (2), dessen Titel lautete: »Die sogenannte Spaltung des menschlichen Innern, ein Bild der Menschheitsspaltung überhaupt.« Er schlug eine Stelle auf; da war zu lesen: »Wer an diesen schweren Anfechtungen (der Ich-Spaltung. D. H.) leidet, der hüte sich vor der Stelle, an der er geboren wurde. Er wohne niemals längere Zeit dort.  U n d   v o r   a l l e n   D i n g e n ,   w e n n   e r   e i n m a l   h e i r a t e t ,   s o   h o l e   e r   s i c h   s e i n e   F r a u   j a   n i c h t   v o n   d i e s e m   O r t ! «  May bedauert, diese Warnung damals noch nicht verstanden zu haben. Er klagt zurückschauend, daß ihn die Erfahrung erst belehren mußte. Er fügt hinzu: »... ehe ich es begriff, leider, leider!« Das ist eine Entschuldigung. Diese Stelle beweist, daß May in seiner Ehe keine Könnensprobe, keine Tataufgabe erblickte.

Man suche eine Lebensbeschreibung, in der sich die Geschichte einer Liebe und Ehe rätselhafter, mit mehr Verdrängung, Beklemmung, und Schleiern, mit ärgerer Hilflosigkeit dargestellt findet: May ist teils aus Großmut und Mitleid, teils aus Verlegenheit, jedenfalls urteils- und überzeugungslos in die Ehe hineingestrauchelt, und nimmt, um ihr Mißlingen zu entschuldigen, seine Zuflucht sogar zu abergläubischen Vorstellungen. So, wenn er vor dem Wohnhaus der Pollmer beim Leichenbegängnis ihrer Mutter, die an der Geburt der Emma starb, eine Frau sich äußern läßt: »Auf so einem Kind, an dem die Mutter stirbt, kann niemals Segen ruhen; das bringt jedermann


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nur Unheil.« Der Knabe glaubte an dieses herz- und sinnlose Vorurteil der alten Weiber; der Mann verwendet es - unbewußt - in der Absicht, im Leser ein gewisses Grauen gegen seine spätere erste Frau, den unglückbringenden »Nickel«, zu erwecken. Merkwürdig, daß Emma auch als Backfisch ihm gleichgültig blieb. Echte Wahlverwandschaft zwischen beiden sucht man vergebens. May ist selbst erstaunt, daß er die ihm angeblich Gleichgültige geehelicht hat. Er will in uns den Eindruck erwecken, ein Dämon habe ihn gegen seine klare Ueberlegung zu dem folgeschweren Schritt getrieben.

Vor ein Entweder - Oder gestellt, entschied sich Emma Pollmer für den geschmeichelten Schriftsteller und reiste zu ihm. May sorgte dann für die Vervollständigung ihrer Bildung, indem er sie auf eigene Kosten zu einer Pfarrerswitwe gab. Er fühlte sich jedenfalls für sie verantwortlich und hielt die Ehe für innerlich gestiftet. Um so mehr befremdet, daß er später noch nach einem besonderen Grund für die Eingehung seiner Ehe sucht. Er findet ihn in dem Mitleid, das er mit der Vollwaise empfand, als ihr Großvater die Augen schloß. »Die Tochter des Sterbenden glitt vor mir nieder und bat mich, sie ja nicht zu verlassen. Ich versprach es und habe Wort gehalten.« Nach einer anderen Darstellung aus seiner Feder waren es die unheimlichen, halb gebrochenen Augen des Sterbenden, die, flehend auf ihn gerichtet, einen tiefen, bindenden Eindruck auf ihn gemacht haben. May war ein weicher, gutmütiger, gebe- und opferfreudiger Mensch. Es ist glaubhaft, was er erzählt. Nur sollte er nicht das Mißlingen seiner


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Ehe mit seinem guten Herzen zu entschuldigen suchen. Das Mitleid allein ist kein tragfähiger Boden für eine Ehe. Er bekennt selbst: »Ruheloser Fleiß ermöglichte es mir, zu vergessen, daß ich mich in meinem Lebensglück geirrt hatte und noch viel, viel einsamer lebte, als vorher jemals der Fall gewesen war.« Sein Schaffen als Schriftsteller war die Flucht vor dem inneren Verlassensein, vor der trostlosen Oede dieser Ehe. Zu lebenstüchtig, um sich mit Strindbergschem Trotz im Kampf um diese seelisch unvollziehbare Ehe zu zerreiben, wurde er, als Gatte kinderlos bleibend, als Dichter der Vater vieler Gestalten, deren Gesellschaft ihm ersetzte, was die Wirklichkeit vorenthielt. Eine unglückliche Ehe wurde so schöpferisch einer großen Lesergemeinde zu Dank. May floh vor der Aufgabe seiner Ehe, doch nicht ohne - noch zwanzig Jahre später - den innigsten Wunsch zu hegen, sich Emma Pollmer seelisch zu erobern. Der Wirklichkeitsscheue scheiterte an dieser Aufgabe.

In einem für ihn unrühmlichen »Hausschatz«-Artikel verrät May: »Ich bin noch nicht lange verheiratet, aber sehr glücklich.« Mummenschanz. Wieder »Scham und Maske«! K. H.  S t r o b l  hätte in seinem Aufsatz (Jahrbuch 1921) dem Ich-Flüchtigen noch eine weitere Maske vom Antlitz lösen können: die Larve der gewollt glücklichen Ehe. Nur in einigen Briefen an seinen Verleger und Freund F e h s e n f e l d  (1893) lüftet er die Maske; in einem Brief versichert er launig: »Old Shatterhand flieht nicht vor seiner Squaw.« In einem späteren äußert er sogar einmal Lebensüberdruß. Ergreifend die verzweifelte


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Kraft, mit der May die Fiktion einer glücklichen Ehe aufrecht erhalten wollte; so auch in jenem erfrischend humorvollen und keuschen Gespräch mit Halef im I. Bd. des »Silberlöwen«. Die Urausgabe dieses Werkes - zuerst im »Deutschen Hausschatz«, XXIV. Jahrgang, 1897/98 erschienen - enthält noch den Namen »Emmeh«, die selbst als achtunggebietend geschildert wird. In den späteren Ausgaben hat May geglaubt, der veränderten Sachlage Rechnung tragen zu müssen, und die »Emmeh« von Fleisch und Blut durch eine »Dschanneh« von Symbols Gnaden ersetzt. Hier wird deutlich auch das Symbol zur Maske, die mehr und mehr dem Fleisch des Autors einwächst. Das Symbol führt aber hier zur unerträglichen Unnatur und beraubt die Szene ihrer naturwüchsigen Kraft. Im letzten Band des erwähnten Werkes - Jahre nach dem ersten verfaßt - meint (nicht zeichnet) May Frau Pollmer in der verständnislosen P e k a l a .

Frau Emma Pollmer fand kein inneres Verhältnis zu ihrem Gatten. An seinem geistigen Schaffen lebte sie vorbei. Seine Werke scheint sie nie gelesen zu haben; nur die frühesten, die »erzgebirgischen Dorfgeschichten« liebte sie. »Meine damalige Frau hat (fast) nie meine Bücher gelesen. Der Zweck und Inhalt meiner Schriften war ihr ebenso unbekannt und gleichgültig wie meine Ziele und Ideale überhaupt.« (Bd. 34 »Ich«, S. 483.) Er klagt:

Ich habe nichts, fast nichts für dich geschrieben;
Ich war so arm an dem, was dir gehört.
Ich ward geliebt; ich wollte wiederlieben,
Und das hat meinen Himmel mir zerstört.

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Bisweilen, besonders in den letzten Jahren, äußert sie Empfindungen des Hasses gegen ihren Man. Er selbst war unfähig, sie zu hassen, selbst dann, als sie durch bösen Klatsch seinen Ruf als Mensch untergrub. Er trug und litt ergeben, seine Ehe war ihm nur mehr Prüfung. Sein innerer Adel, seine vornehme Gesinnung, seine Großmut wurden auf eine harte Probe gestellt, Wer diesen gütigen, weichen Mann näher kennt, hält für glaubhaft, was er einmal bekennt: »Ich wollte die Verlorengehende durch ganz ungewöhnliche Liebe und Güte vor dem Fall zu retten und festzuhalten versuchen. Ich erwähnte sie in meinen Schriften und Büchern. Ich lobte sie da. Ich stellte meine Ehe als eine glückliche dar und gab ihr das zu lesen.« Auch in seinen Briefen an Fehsenfeld täuscht er meist den Eindruck vor, daß seine Ehe eine harmonische Lebens- und Arbeitsgemeinschaft sei. Wie mag es in seinem Innern ausgesehen haben? Nach außen die Larve des Eheglücks kehrend, innerlich bitter einsam! Szenen vermied er, indem er den Hut ergriff und ging. Die Nächte über, oft bis zum Mittag, arbeitete er am Schreibtisch, gegen den Zank der Streitsüchtigen sich abkapselnd. Hunderttausende erfreuen sich an seinen Werken. Wie wenige ahnen, unter welchen Lebensumständen sie entstanden! »So sind in hunderten und aberhunderten von kalten, liebeleeren, qualvollen Nächten alle die Bücher entstanden, in denen ich von nichts als nur von Liebe rede, und nichts als nur Liebe lehre.« Später glaubte er sogar, Ursache zu dem Verdacht zu haben, daß seine Frau ihm nach dem Leben trachte. Die Hysterische war unberechen-


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bar. Zwischendurch finden wir bei ihr Anfälle von Reue und Schuldbewußtsein, auch Lichtblicke von Erkenntnis, was May geistig bedeute. Seine Langmut kannte keine Grenzen. Er hielt fest an seiner Auffassung von der Ehe als einem Sakrament so lange, bis er erschreckt vor der Entscheidung stand: Sein oder Nichtsein. Die Entwendung wichtiger Urkunden und Gelder aus dem Besitz des Gatten gab die gerichtliche Unterlage zur Scheidung, die er zu Laster der Frau Pollmer Anfang 1903 erwirkte, doch nicht, ohne ihr eine ansehnliche Rente zu sichern.

Beide Gatten zeigen krankhafte Züge. May selbst - ich folge hier dem Urteil des ihm freundschaftlich nahestehenden Ethnographen und Folklore-Forschers Dr. Fr.  K r a u ß  in seinen »Anthropophyteia«, VIII. Bd., S. 501 - war ein »schwer belasteter Neurotiker«. Frau Pollmer hatte gewiß Enttäuschungen mancher Art zu beklagen. Die »Schriftstellernoblesse« des Unwirtschaftlichen, dem zuweilen ein Goldstück als Trinkgeld nicht zu hoch war, trieb sie, Notgroschen beiseite zu schaffen. Es soll hier keineswegs auf sie, im Grunde eine Unglückliche, aller Schatten, auf May alles Licht verteilt werden. Der Zeitpunkt, ein vollständiges und sachliches Bild dieser Frau zu entwerfen, ist noch nicht gekommen.

Mit großer Geduld, ja mit der Gelassenheit des Weisen, ging May Reibungen möglichst aus dem Weg und verwand die Demütigungen seitens seiner Frau, die zunehmender Verbitterung anheimfiel. Rühmlich ist die große Leide- und Tragkraft dieses frauenhaft gearteten Mannes. Der Schöpfer eines Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi war selbst


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kein Held, kein Träger ausgesprochener Mannestugenden. Weibhaft stark war in ihm die Fähigkeit zu leiden und zu ertragen entwickelt, nicht minder Scham und Scheu vor hartem Bekenntnis. Selbst nicht vorbildlicher Mann, ließ er das Bild eines solchen, als gesteigertes »Ich«, dem Schoß seiner unerschöpflichen Erfindungskraft entsteigen. Fürwahr, ein merkwürdiger Vorgang der Selbstergänzung. Nicht anders ließ der weiche, schwächliche und ewig kränkelnde  N i e t z s c h e  das Ziel des männlich-harten Uebermenschen aus sich herauswachsen.

Rühmlich und bewundernswert ist ferner Mays Fähigkeit, seine Ehe und seine Frau immer wieder im Lichte dichterischer Verklärung zu sehen. Was May in meinen Augen - trotz aller Schwäche seines Charakters - zu einem großen Manne stempelt, ist vor allem seine Kraft der Emporbeziehung und Verklärung. Keine Ehe, auch die glücklichste nicht, ist möglich ohne jene Verklärung, die, wie der Urdsbrunnen der Edda, trübe Sinkstoffe rein wieder auflöst. Welcher Leser gewinnt aus den Reisebeschreibungen den Eindruck, daß May das Joch einer - von ihm selbst als unglücklich beklagten - Ehe 22 Jahre hindurch hat tragen müssen? Nach dem Schnitt seines Gesichts mit  S t r i n d b e r g  verglichen, gleicht er diesem Frauenverächter doch sonst nur wenig. Nirgends bei ihm erbitterte, gequälte Aufschreie, nirgend heftige Anklagen, nirgends vulkanische Wutausbrüche, nirgends Rachegelüste. Wieviele Schriftsteller haben für die Enttäuschungen, die ihnen die Frauenwelt bereitet, literarische Rache genommen!  S c h o p e n h a u e r s 


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Frauenhaß war gefordert durch sein Unvermögen, die Beziehungen zum anderen Geschlecht in tatkräftiger Sonderliebe durchzugliedern.

May ist auch hierin der vornehme Verklärer. Seine Frauengestalten sind entweder launig, mit ausgelassenem, gelegentlich grobfädigem Witz oder mit bewundernder, verehrender Teilnahme gestaltet; bei keiner hat der Haß Pate gestanden. Ich verweise auf die nachfolgenden Ausführungen  O t t o   E i c k e s  über die Frauengestalten bei May.

Der Leser seiner Reisedichtungen gewinnt den Eindruck, daß der Erzähler, wie in jeder anderen Hinsicht, so auch als Ehemann den erreichbaren Grad menschlicher Vollkommenheit und menschlichen Glücks inne hat. Wie Halef mit seiner Hanneh ganz selbstverständlich glücklich wird, so muß es ja auch sein Freund und Meister Kara Ben Nemsi Effendi mit seiner Emmeh geworden sein. Freilich bleibt diese Emmeh in unbestimmtem Halbdunkel.

Hat May die Ehe in der Tiefe ihrer Bedeutung erlebt? Hatte er zu diesem Quell der Verjüngung eine innere persönliche Beziehung? Lebte in ihm die Sehnsucht, aller Werte und Weihen einer rechten Ehe teilhaftig zu werden? Erkannte er ihre Aufgaben, ihre erzieherischen Kräfte? Ich antworte getrost: Nein. Dennoch ist nicht zu leugnen, daß er Begabung zur Ehe mitbrachte (denn zur Ehe gehört, wie immer deutlicher offenbar wird, eine ganz besondere Begabung, eine bestimmte innere Ehetüchtigkeit). May war geduldig, nicht ohne Achtung vor dem anderen Ich, nicht ohne Einfühlung in seine Eigenwelt. Aber für die Wahrheit, für die unver-


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gleichliche Heilsbestimmung der Ehe fehlte ihm das innere Organ. Nach dem Scheitern und der Scheidung der ersten Ehe konnte er nicht mehr, aber auch nicht weniger finden, als die Kameradschaft einer »schwesterlichen Helferin«.

Die Liebe begann bei May mit abenteuernder Sensation, versandete und verflachte zu einer Episode von 22 Jahren - die lange Dauer spricht scheinbar dagegen - und mündete in das Verlangen nach Lebenskameradschaft. Die Ehe als heroisches Unternehmen mußte einem Mann fremd sein, dessen Biographie wenig Züge persönlichen Tatbewußtseins aufweist. An seiner Stelle finden wir mehr Passivität, mehr Getrieben- und Geschobenwerden, mehr feinnervige Beeinflußbarkeit. Vollzugskräftig, urteilsfähig, machtvollkommen, heroisch-selbstbewußt, Tatmensch war dieser sächsische Kleinbürger nur im - Land der Phantasie. Hier Großgrundbesitzer von unübersehbar vielen Hufen, besaß er im Reich der Lebenswirklichkeit nur ein bescheidenes Schrebergärtlein. Seltsam auch, daß May, in der Phantasie beglückt von der Freundschaft seines Winnetou und anderer Helden wie Old Surehand, Firehand, in seinem Leben keinen seiner Seele nahestehenden Freund gefunden hat: im Grunde ein großer Einsamer.

Es war nicht ohne Reiz, in dem umfangreichen, nicht mehr viel Zusammenhängendes bergenden literarischen Nachlaß Mays nach Aeußerungen über seine erste Ehe und Frau zu forschen. Dabei stieß ich auf drei Mappen: »Scheitana«, »Weib«, »Wüste«. Ich war einigermaßen gespannt darauf, wie sich Mays Enttäuschung hier entladen und gestalten


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würde. Was ich fand, ist nicht aus Leidenschaft geboren. Es sind meist sehr gedämpfte, eine allgemeine Gottergebenheit atmende Zeilen, die sich kaum unterfangen, auch nur eine Ansatzform für die aufschreiende Qual der Kreatur zu finden. Wer mit der Geschichte seiner Ehe und Scheidung vertraut ist, weiß, daß er wohl Veranlassung hatte, empört, leidenschaftlich bewegt aufzubegehren. Statt dessen nur Verzicht, Sichselbstbescheiden, knabenhaft-schamvoller Schmerz. May war im Grunde keine leidenschaftliche Natur. Die genannten Mappen hätten mich kaum durch ihren Mangel an dramatischem Leben so enttäuschen können, wenn ich mir schon vorher die Weichheit, die Beeinflußbarkeit und im Grunde unheldische Schamhemmung Mays vergegenwärtigt hätte.

Ich überlasse dem Leser, die nun folgenden Bruchstücke: »Scheitana«, »Weib«, »Wüste« in einen inneren oder gar szenarischen Zusammenhang zu bringen. Wer ist der Vater der Scheitana? Luzifer taucht schon früher auf. Eine nähere Deutung des Namens Fakira (Bettlerin) ist nicht auffindbar; fakiryk: türkisch = Not, Elend. Fakira ist, wie aus dem Schluß der »Scheitana« ersichtlich, die Gegenspielerin der weiblichen Hauptperson.

Der literarische Wert der Bruchstücke ist weit geringer als ihre Bedeutung für die Erforschung der Seele und ihrer Krankheiten.


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Sammelmappe: Die Schetana (3).
Es kam eine Klage in funkelnder Nacht;
Sie stieg an das Ufer aus brandender See,
Und als ich sah, was die Flut mir gebracht,
Da brach mir das Herz in unendlichem Weh.
Sie sank vor mir nieder, so feucht und so kalt,
Mit strähnendem Haar und geschlossenem Blick.
Da zog ich empor die gebroch'ne Gestalt
Und schloß in die Arme - - - der Menschheit Geschick.
Nun gehe ich wandern tagaus und tagein,
Im Herzen das Bild aus der funkelnden Nacht.
Wie ist doch die Menschheit so jämmerlich klein,
Die Menschheit, die einst ich so groß mir gedacht!
Denn wo ich es zeige, das blasse Geschick,
Und wo ich es klage, mein jammerndes Weh,
Da weicht man mir aus mit geschlossenem Blick
Und das, das war ja - - - die Klage der See!
- - - - -
Laßt hoch die Fahne des Propheten wehn;
Versammelt Euch zum heil'gen Derwischtanze!
Zu Narren soll man nur in Maske gehen;
Die wahre Klugheit lebt vom Mummenschanze.
Enterbte der Erde verzichten so gern
Für fromme Versprechen und himmlische Lügen.
Sie gehen in den Tod als Erwählte des Herrn
Und lassen sich selbst noch im Grabe betrügen.
- - - - -
D i e   S c h e i t a n a 
Nicht diesen Kuß! Es ist der Kuß der Erde,
Den die Verführerin dem Himmel gibt,
Damit er irdisch, sündhaft wie sie, werde,
Die ja im Kuß nur mit dem Munde liebt.

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Gib mir dein Herz! Den Leib will ich nicht haben;
Vergänglichkeit ist weder dein noch mein.
Doch, hat der Trug die Lüge hier begraben,
So darf in Wahrheit ich die deine sein.
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Ich bin nicht schön von leiblicher Gestalt;
Ich bin nicht reich an bunten Erdengaben;
Doch wohnt in meiner Liebe die Gewalt,
Die nur die höchsten Engel Gottes haben.
Du bist das Weib, das mit dem Körper liebt;
Du dünkst dich reich in deiner Schönheit Prangen,
Doch alles, was dein Herz im Rausche gibt,
Das ist mit diesem Rausche schnell vergangen.
Ich stamme nicht aus diesem Palmenland,
Ich steh als  f r e m d e s   W e i b  vor euren Zelten.
Doch wie ich mich zu euch herniederfand,
Find ich mich auch hinauf durch alle Welten (4).
- - - - -
So stäubt von mir, verfluchte Höllenfunken,
Der Hammer des Verhaßten schlug euch kalt.
Glaubt ihr etwa, ihr habet ausgestunken,
Weil ihr in den Geruch des Himmels fallt?
Was scher ich mich um alle eure Treue,
Ihr schäumt ja doch vergeblich ins Gebiß.
Erlösen kann euch nichts, als nur die Reue,
Und die gibts nicht im Reich der Finsternis (5).
- - - - -
N a c h t g e b e t .   F a k i r a . 
Wenn auf dem Weg zur dir die Sterne stehn,
So schlaf ich ein, um wachend heimzugehn.
Allah - - - Allah!
Dann leuchtet mir von deinem Angesicht
Für dieses Erdendunkel neues Himmelslicht.
Allah - - - Allah - - - Allah!

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Der Weg zu dir ist hoch und doch nicht weit,
Denn überall wohnt deine Herrlichkeit.
Allah - - - Allah!
- - - - -
Ich ziehe dich zu mir im Sonnenstrahle,
Du aber widerstrahlst mir seit Aeonen.
Des Himmels Träne führt Granit zu Tale,
Jedoch in dir scheint Reue nicht zu wohnen.
So will ich dir des Vaters Strenge zeigen:
Auch du hast, ihr gehorchend, aufzusteigen!
- - - - -

Hauptgedanke:
Erlösung durch Auflösung.
Sogar der Fels muß sich in Geist auflösen!
H ö c h s t e r   G e s i c h t s p u n k t , von welchem aus das Stück zu schreiben ist (6).

Sammelmappe: Weib.

V o r s p i e l . 

 B e i   M a r a h   D u r i m e h . 

Das ist Jasmin, berückender Jasmin.
Das ist der heil'ge Duft der Sternenblumen.
Nimm beides mit; (die Düfte) es sei Erkennungszeichen.

- - - - -

Aufstellung

links weiß, rechts schwarz,
Scheitana weiß, Fakira schwarz,
wird am Schlusse schwarz. wird am Schlusse weiß.

- - - - -

(Vom 17. Bis 18. Februar 1912.)

D r a m a : Immer dieselbe Erdenqual, dasselbe Elend, derselbe Jammer! Niemand steigt! Sie wissen nicht, daß niemand stirbt. Sag' es ihnen!

- - - - -

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C o b r a   d i   c a p e l l o  (7):

Wer gab mir diesen Leib, den schönen, weichen, glatten?
Und wer gab mir die Seele, die farbenschillernde, die kalte?
Wer gab mir Neugier nach Aas und Fraß?
Und warum gab er's mir? Doch wohl, damit es wirke, wirke, wirke!
Nun wohl, ich schwöre es bei ihm, bei ihm, bei ihm, ich will es wirken lassen.

S c h l u ß .

S c h e i t a n a  (weiß, wird schwarz; zu ihm): So sei verflucht!
F a k i r a  (schwarz, wird weiß; zu ihm): Mir aber sei gesegnet!
Was ich bisher in deinem Aug' gelesen,
Es war so kalt, kein Glück, kein Sonnenschein.
Drum folgt dem Leid des Herzens kein Genesen,
Es stirbt das Leben hin und gehet ein.
Behüt' dich Gott, es wär so schön gewesen,
Behüt' dich Gott, es hat nicht sollen sein!

- - - - -

Das Weib kann nur entweder Schöpferin oder Vernichterin, Gebärerin oder Mörderin sein. Was sie in dem einen Leben als Weib verbrochen hat, muß sie in dem anderen als Mann wieder gut machen!

Sammelmappe: Wüste (8).

C h a j a l i s t a n , Reich der Abgeschiedenen. Insel im arabischen Meere.
T u r a h i s t a n , Erde. Am Golfe des Schatt el Arab.
N u r i s t a n , Reich des Lichtes. Insel im Weltmeer.
Erde = Land des Leides.
Sultan Abd el Dschehenna, Eroberer von Turahistan.


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E r s t e r   A k t . 

 1 .   S z e n e . 

 V o r h a n g . 

Oase, zwischen deren Stämmen hindurch man die Wüste weit hinaus liegen sieht.

A. sitzt am Stamm, bewegungslos, wie horchend. Geschlossenen Auges.

Engel rundherum, kniend gruppiert. In ihrer Mitte Erzengel. Hinter der Szene Gesang mit Orgelbegleitung:

Herr, ich harre
Im Gebete ...

Nach dem Gesang: Erzengel spricht, zu A. gewendet:

Das Reich Atima (Finsternis).
Singular Atimi.
Hadduta-Märchen = Freundin.

S c h e i t a n a : - - - - - - - - gekettet.

S t i m m e : Entsage ihm, so hast du dich gerettet!

Du bist so ewig wie - - - er.
Du kannst mir sterben, um als Tugend aufzustehen.

S c h e i t a n a : Ihr macht euch frei von dem verfluchten Band;
Bin ich allein für ewig angekettet?

S t i m m e : Er wurde zur Erlösung dir gesandt:
Entsage ihm, so hast du dich gerettet!

P e r s o n a l e :

Not, Sorge, Gram, Elend, Hunger, Schande, Furcht, Angst, Zorn, Neid.

Wer trieb ich wohl zu diesem ungewollten Kuß?
Wer zog die Lippen auf dies Haar mir nieder?
Was ist's für eine Macht, der ich gehorchen muß?
Ich beuge still das Haupt und küsse wieder.

Was für ein Duft aus unsichtbaren Kelchen!
Ich glaub, er ist von früher mir bekannt (9).


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Er kommt von Frühlingsblumen, doch von welchen - - -?
Wo ist der Ort, an dem ich einst sie fand (10)?

Gib mir die Hand und hebe mich empor!
Ich glaub, du hast es schon einmal getan.
Es war, als das Gedächtnis ich verlor
Und wir uns irgendwo im Himmel sah'n.

Komm her, und schau mir in das Angesicht!
Ich glaub, du hast es schon einmal gesehn.
Es war in unsers Vaters  e i g n e m   L i c h t ,
Und dort in seinem Himmel ist's geschehn (11).

D i e   W o g e n   d e s   G a r d a s e e s  (12).

So kommen wir, wie uns der Herrgott sendet,
Bewegt bei Tag, nie ruhend in der Nacht.
Es bleibt der Anfang ewig unvollendet.

Herr, reich mir die Liebe; Herr, reich mir das Licht,
Und laß mich die funkelnden Sterne beschwingen.
Es werde dein Engel zum Strahlengedicht,
Der Erde den Tag der Erkenntnis zu bringen.

Herr, gib mir die Strenge; Herr, gib mir die Macht,
Und lehre mich reden in donnernden Psalmen.
Es möge dein Engel die Geister der Nacht
Im Sturze der zuckenden Wetter zermalmen (13).

T s c h i b r a i l :                                   bring
                           Du bist der Geist; ich             die Seele dir.
S c h e i t a n a :                                     gab

S c h e i t a n : 

Nichts mußt du werden, um Etwas zu sein.
Vernichte dich, indem du Gott vernichtest.
Dann stellt in dir der wahre Gott sich ein,
Auf den du für den falschen jetzt verzichtest (14).


//48//

S c h e i t a n  (15):

Zeig mir den Stern, den ich dir holen soll;
Ich steig hinauf und hol ihn dir herunter.
Dann wirst du sehen, daß er Zoll für Zoll
Nichts andres ist als all dein Erdenplunder.
Sag mir den Ort, wo deine Sonne brennt;
Ich will sie Strahl um Strahl vor dir zergliedern,
Und wenn dein Mund sie dann noch Sonne nennt,
So will kein Wort, kein Wort ich dir erwidern.

Gib mir das Licht, in dem der Tag erwacht,
Damit ich's dir am Prisma wieder reiche (16)
Und seine ganze, ganze Himmelspracht
Als größte Lüge deines Auges zeige.
Sprich von der Wärme, die von oben stammt,
Ich aber will dich an den Abgrund führen,
In dem das einzig wahre Feuer flammt,
Das alle Kreaturen in sich spüren.

Schau nur empor und immer nur empor;
Streng deine Augen an, bis du erblindest;
Es gibt dort oben weder Tür noch Tor,
Durch welche du den Weg zur Wahrheit findest.
Doch, hättest du, wie ich, den Heldenmut,
Den kühnen Sprung ins Gähnende zu wagen,
So würde dich der Hölle Flammenglut
Als Gottesfunken auf zum Himmel tragen.

Du bist der Erde ruheloser Gast,
So lange du ihr Lächeln nötig hast.
Erst dann, wenn es den Wert für dich verlor,
Hebt sich den Weg zur Heimat hoch empor (17).


//49//

Die Imams (18) nehmen uns die Erde und versprechen uns dafür den Himmel.
Allah ist gerecht. Ihre Macht hier wird sich dort in Ohnmacht verwandeln.


besser!

Ich steig zu dir im Sonnenstrahl,
Um dir mein dankend Herz zu bringen.
Befreit von ihrer Erdenqual,
Regt meine Seele ihre Schwingen (19).

Des Himmels Kind, die Seele, braucht den Geist,
Um sich auf Erden hier zurecht zu finden,
Wenn du die deine nicht zu führen weißt.

- - - - -

F a k i r a :

Ich gehe suchen nach dem Menschenkinde,
Das mir der Herr, ich weiß nicht, wann, gezeigt,
Und selbst wenn ich es in der Hölle finde,
So hab mit ihm den Himmel ich erreicht.

Es war am Tag, an dem die Teufel schliefen,
Als Gott, der Herr, durch seine Himmel fuhr,
Ein dichter Nebel deckte alle Tiefen
- - - - - - - - - Kreatur.

- - - - -

S c h e i t a n a : Sie liebt ihn, fleischlich, wie jeden andern. Das Band ist ihr verhaßt. Darum erscheint ihr jeder andere, an den sie kein Band kettet, besser und begehrenswerter.

- - - - -

Das Band, das Band, das man die Ehe nennt!
Verhaßt, verhaßt, mir fürchterlich verhaßt!
Ich liebe ihn, doch darum haß ich ihn!


//50//

Liebe!

Er will mit seiner Liebe die ganze Welt umfassen.
Ich mit der meinigen auch, doch nur die Männerwelt,
die andre ist nichts wert!
Nein, alles Irdische: Schwatzende Weiber, Farben,
Freuden, Putz (nicht zu materiell schildern!!!)
Ein sehnend Schmachten im verborgnen Blick
Und süßes, holdes Spiel (wie unter Tauben).

- - - - -

Der Geist, der irdisch sich gestaltete.
Und sich hierauf im Worte spaltete.

- - - - -

Ich kam zu dir in diese Welt der Toren
Und wollte deine lichte Weisheit sein.
Ich ward wie du als Staub vom Staub geboren
Und atmete der Toren Torheit ein.

Mit Geistermund kann nicht gesprochen werden,
Weil Geisterlippen keine Lippen sind,
Doch Geisteraug' sieht alles hier auf Erden,
Weil Geister nichts als Seelenaugen sind.

Ich brachte dich in meiner Morgenröte;
Ich hole dich in meinen Abend s c h e i n ,
Und wenn ich  s c h e i n bar dich am Abend töte,
Wirst du am Morgen zwiefach lebend sein.

- - - - -

Nun weint die Hölle Reuetränen, die falschesten
und für den Menschen gefährlichsten, die es gibt.

- - - - -

Den Menschen hat man um die Zeit betrogen,
die ihm für hier gegeben war (für sein Werk)
- - - - - - -hinausgelogen.

- - - - -

Das fade Mitleid raubt des Himmels Gnade
Dem, der es nicht verdient.
Was du mir gabst, das ward noch nie gegeben;
Was du mir nahmst, das gabst du doppelt mir.


//51//

Was du mir gabst, ist ein vereintes Leben;
Was du mir nahmst, das bin ich nun mit Dir!

- - - - -

Es war ein Tag der tausend Seligkeiten (20),
Als ich zu dir, dem Vielgesuchten, kam.
Ich wollte deinen Geist zur Wahrheit leiten,
Als deine Hand ich in die meine nahm.
Du folgtest mir, du hast dich mir ergeben;
Nun bist du endlich, endlich wieder mein.
Ich bin bei dir in diesem Erdenleben,
Und dann wirst du bei mir im Himmel sein (21).

Verbesserung:

Und deine Hand, um dich zurückzuleiten,
Mit froher Hoffnung in die meine nahm.

- - - - -

Bleib stehn, o Weib! Hier ist des Himmels Schwelle.

- - - - -

Sei arm wie ich, dann bist du reich in mir!

- - - - -

F a k i r a :

D e n  Kuß gib mir, den nur die Seel gibt,
Die nicht verlangt, im Kusse zu verschwinden.
Wenn mich dein Herz nur mit der Lippe liebt,
Wird zu dem meinen es sich niemals finden.

- - - - -
Gegensatz.
S c h e t a n a :

Gib mir den Kuß, der jener Glut entstammt,
In welcher alle Lebenspulse kochen,
Und wenn er heiß auf meinen Lippen flammt,
Bin ich die Blume, die du dir gebrochen.

- - - - -

Stern = hat einen Lieblingsstern.







//52//

S t e r n s c h n u p p e :

Das ist die Schihaba, die von dem Himmel fällt.
Kein Mensch, kein Geist kann ihren Weg uns zeigen,
Doch Allahs Hand, die jedes Stäubchen hält,
Läßt das Gefall'ne wieder aufwärts steigen.
(Fakira im Gespräch mit Schetana; es fällt eine Schnuppe.)

- - - - -

B ö s :

Und tritt sodann kein Engel rettend für ihn ein,
So soll sein
                                   } Himmel  m i r  verfallen sein!
Soll er mit seinem
(bekommt keine Antwort. Gott schließt keinen Pakt!!!)

- - - - -

G u t :

Und sei für ihn des Himmels Poesie!

Er sei gepeitscht durch alle Seelenreiche,
In denen meine harte Faust regiert.

- - - - -

Natur ist die Kunst, die zur Sonderentwicklung treibt. Sie ist rücksichtslos.

- - - - -

Die niedre Schönheit schwelgt in Grauamkeit!

- - - - -

Sie herrscht durch den Rauch und  s a u g t  die Seele leer.

- - - - -

Dein Kuß hat mir die Seele leer gesaugt.

- - - - -

Wenn sich dein Auge in das meine taucht,
Wird mir vor dir und deiner Liebe angst.
Dein Kuß hat mir die Seele leer gesaugt,
Nun, Schetana, sag', was du noch verlangst!

- - - - -

Nun sag', Schetana, was du noch verlangst!

- - - - -

//53//

S c h e t a n :

Ich lasse mich herbei, mit dir den Pakt zu schließen.

- - - - -

Es soll im Norden eine Gegend geben,
In der die Sonne keine Wärme hat,
Wo des gefrornen Wassers weiter Fläche usw.
In mondelanger Nacht sich kalt und leblos dehnt.

- - - - -

Alles Große wirkt still, bescheiden und geheim. Was Aufsehen erregt, betrachte man mit Mißtrauen (Old Shatterhands und Ben Nemsis Berühmtheit!)

- - - - -

Die Menschheit ist die See. Wie das Wasser durch die Sonne geläutert und aufwärts gezogen werden muß, um als segenspendender, erdgestaltender Regen den endlosen Kreislauf wieder aufzunehmen, so haben auch die Gedanken des Volkes emporzugehen, damit sie in Himmelsnähe gereinigt und gesegnet werden.

- - - - -

D s c h a f a r  (»Löwe«).

Das Raubtier im Menschen wagt nur erst dann den Sprung auf Fremde, wenn es sich im eigenen Loch groß und stark gefressen hat.

- - - - -

Das ewige Gefangenwerden und sich wieder Befreien in meinen Werken ist für den Oberflächlichen eine Qual. Ist es im Innenleben nicht ebenso?

- - - - -

Es ist mir innerlich, als ob ich eine Aeolsharfe sei.

- - - - -

Ich bilde meinen eignen Hofstaat mir,
An dem es Geister, nicht Figuren gibt.
                                       Dichter zum Sultan.

- - - - -

Die nicht so wesenlos wie diese Schatten hier
Stehen bleiben, wohin die Hand sie schiebt.

- - - - -

//54//

Anders ausdrücken. Beide spielen Schach. Wichtige Partie!

- - - - -

Fakira kommt hinzu, warnt in Trauer, ohne das Brett zu sehen, vor dem Zuge, den er soeben tun will. Er tut einen anderen, der ihn gewinnen läßt.

- - - - -

Von da an erwacht in dem Scheik die Ahnung, daß er sie zu niedrig geschätzt habe.

- - - - -

Scheitana steht dabei nicht bei ihm, sondern hinter dem Vater, ganz erpicht darauf, daß diese gewinnen möge (22).





[Anmerkungen (Im Original am Ende der jeweiligen Seite.)]

2 Für nähere Angabe des Verfassers und der Beschaffungsmöglichkeit wären wir dankbar. Die Herausgeber.

3 Die Schreibweise dieses Wortes wechselt bei May vielfach. Die Herausgeber.

4 Offenbar an Scheitana gerichtete Worte. Doch von wem? Die Herausgeber.

5 Sprecher? Die Herausgeber.

6 Vielleicht gehören diese letzten drei Aufzeichnungen zu »Kyros«. (Siehe 4. Jahrbuch, S. 18 f.) Die Herausgeber.

7 Eine Schlangenart.

8 Großenteils wohl um die Zeit der Ehescheidung geschrieben. Innere Beiträge zu seiner Lebensgeschichte. Verwirrung und sonstige krankhafte Züge werden deutlich. Die Herausgeber.

9 Sagt später Schetana auch. (Anmerkung Karl Mays.)

10 Donnerstag, d. 16./10. 02, abends 10 Uhr. Riva. Veranda am See.

11 Dieselbe Zeit.

12 Derselbe Ort, 14./10. 02, nachm. 4 Uhr.

13 Bahnwagen zwischen Salzburg - Innsbruck, 11./10. 02.

14 Salzburg, 10./10. 02.

15 Bahnfahrt von Dresden nach Linz, 8./10. 02.

16 Hierauf antwortet der Engel oder sonst wer: Nicht das Licht ist Lüge, sondern das Prisma lügt. So auch das Himmelslicht. Es ist Eins, ist Wahrheit. Aber im Prisma (Dogma) wird es vergewaltigt. (Anmerkung Karl Mays.)

17 Vor der Konditorei Riva, 15./10. 02.

18 Siehe »Babel und Bibel«. Die Herausgeber.

19 Riva, 17./10. 02.

20 Den »Tag der tausend Seligkeiten« fanden wir häufig: eine  k r a n k h a f t e  Häufigkeit. Die Herausgeber.

21 Speisewagen Leipzig - München, 21./8. 02.

22 Diese Schachpartie später in »Babel und Bibel« (aufgenommen in Ges. Werke, Bd. 49) verwandt. Man beachte auch, daß sich verschiedene Gedanken dieser letzten Abschnitte in dem 1902 geschriebenen IV. Band des »Silberlöwen« wiederfinden; insbesondere die obige merkwürdige Stelle betreffend »Old Shatterhands und Kara Ben Nemsis Berühmtheit«. Die Herausgeber


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