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Karl May und die Musik

Von Studienrat Dr. Max Finke

Schon bei flüchtigem Lesen der Werke Mays fällt auf, daß den Dichter innige Beziehungen mit der Musik verbunden haben müssen. Allenthalben verrät sich seine Kenntnis mit der Instrumentenkunde, mit der Harmonielehre und den Formen der Komposition. Freilich wird dem anspruchsvollen und urteilsfähigen Leser die Frage auf die Lippen kommen, ob hinter diesen zahlreichen auf die Musik bezüglichen Aeußerungen wirklich eine gediegene Sachkenntnis oder gar fachliche Betätigung zu suchen ist.

Daß May ein Vertreter des musikalischen Menschenschlags war, dürfte schon aus dem Bau seines Schädels, nämlich aus den oft den Musiker kennzeichnenden breiten Schläfen und dem entwickelten Bau der Ohren hervorgehen. Ein Hinweis auf seine Veranlagung liegt auch in seiner Schreibart. Diese ist ungewöhnlich flüssig, frei von Hemmungen, hat schönes Taktmaß, fühlbare Ausgeglichenheit und häufig eine gewisse innere Musik, die auf den Leser bestechend, bisweilen einlullend, meist aber seltsam fesselnd einwirkt. In einem besonderen Aufsatz über Mays Schreibart (Jahrbuch 1924) habe ich die Vorzüge seines Stils des nähern ausgeführt. Auch seine (im übrigen nicht hoch zu bewertende) Lyrik zeugt


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von musikalischem Empfinden, wie denn auch das eine und andre seiner Gedichte eine dankbare Vertonung gefunden hat.

Man kann die Menschen in Augen- und Ohrenmenschen einteilen. May ist sehr vielseitig, er verfügt über eine große Breite des Bewußtseins und der Sinneseindrücke. Doch scheint mir, daß er in seinen Vorstellungen, namentlich in seinen zahlreichen Vergleichen und bildlichen Ausdrücken die Vorstellungen des Gehörsinns bevorzugt. Er dürfte überwiegend Ohrenmensch sein. Mit Beziehung auf seine Schreibweise sagt er ja auch selbst (Bd. 34 »Ich«), daß er das Geschriebene stets vorher habe in sich klingen hören. Seine Empfindlichkeit für den Klang der Wort und der Wortzusammenstellung ist, abgesehen von dem sogenannten Hiatus (Laute-Kluft), ziemlich bedeutend. Wie groß der Unterschied zwischen Ohren- und Augenmenschen unter den Schriftstellern ist, davon überzeuge man sich durch Vergleichen zweier Dichter, etwa Mays und des - auf einem ganz andern Blatt stehenden - großen Epikers  A l b r e c h t   S c h a e f f e r , der an  S t e p h a n   G e o r g e  geschult ist. Man lese etwa den »Göttlichen Dulder« von Schaeffer! Für den ganzen Stephan George-Kreis dürfte die Fülle der Gesichtseindrücke, des Malerischen und Zeichnerischen in der Wortkunst kennzeichnend sein.

Besonders ist es der Vergleich, der Mays Vorliebe für Gehörseindrücke verrät. So sagt er in Band »Weihnacht« an der Stelle, wo er die scherzhafte Auseinandersetzung seines Schulgewaltigen mit dem verdatterten Knaben über das bekannte Weihnachts-


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lied Mays schildert: »Er sei stumm gewesen wie eine Stimmgabel, die auch erst dann ertönt, wenn sie angestoßen wird.« Oft vergleicht May die Eigenart von Stimmen mit dem Klang von Instrumenten, der Klarinette, Oboe usw., spricht von den verschiednen Lagen des Gesangs, den Fisteltönen, und verrät eine weit mehr als durchschnittliche Kenntnis zahlreicher Einzelheiten aus den Gebieten des Gesangs und der mannigfachen Arten von Instrumentalmusik.

Daß »Old Shatterhand« und »Kara Ben Nemsi« alle Fähigkeiten und Kenntnisse in sich vereinigt, und sogar in ihrer scheinbar höchsten Entwicklung, das umkleidet ihn mit dem Reiz des Zauberhaften. Dichtung als Wunschziel schafft eine Gestalt, so recht die Antwort auf die Traumsehnsucht der Jugend und aller Emporbegehrenden. Kein Wunder, wenn May deshalb auch als ein Allerweltskünstler in der Musik und in der Beherrschung von mancherlei Instrumenten auftritt. Wer erinnert sich nicht gern jenes Teils der Erzählung »Von Bagdad nach Stambul« (Bd. 3, S. 370 ff.), wie May beim reichen Kaufmann von Damaskus dazu kommt, seine Fertigkeit im Klavierspiel mit überwältigender Wirkung zu zeigen? Wie drollig, daß der Türke in dem unbenutzt dastehenden, fast unbrauchbaren Instrument (Geschäftshaus Edward Southey, Leadenhallstreet, London) nächst einigen schauerlichen Hausgreueln von Bildern, die Napoleon und die Lady Stanhope u.a. darstellen, seinen kostbarsten Besitz hochschätzt. Der Engländer, von dem er das Instrument erworben, hatte ihm einen Stimmschlüssel


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gegeben, den nun der wackre Türke benutzt als einen »Hammer zum Musikmachen, damit die Hände nicht schmerzen«. Zum Zeichen größten Vertrauens öffnet er für May das Tschalghy (Klaiver) und gestattet ihm gönnerhaft, es mit dem Stimmhammer zu klopfen. Der Fremde muß erst verschiedne Saiten aufziehen und das arg verkommene Instrument stimmen. May erzählt dann (S. 370): »Ich hatte vorher als armer Schüler oft Pianos gestimmt, um ein kleines Taschengeld zu erwerben; es fiel mir also nicht sehr schwer, das Klavier in einen spielbaren Zustand zu versetzen.« Schon das Stimmen löste Gefühle der Bewunderung und des Entzückens aus. Die Anspruchslosen hielten das Stimmen für die eigentliche Darbietung des fremden Künstlers, doch erst nach dem Mahl wartet dieser mit seiner Kunst auf. Es gehört nun zu den köstlichsten Szenen, die May gelungen sind, wie er die Wirkung schildert, den ein fescher Walzer auf seine überdankbaren Zuhörer, einschließlich der Haremsdamen, machte. (Bd. 3, S. 372 ff.)

Die Frauen zuckten vor Ueberraschung zusammen, schrien vor Erstaunen laut auf, und streckten unbedachter Weise die Hände aus, so daß sich die Schleier öffneten, und ich für einen Augenblick sämtliche Gesichter zu sehen bekam.

Nach einem kurzen Präludieren ließ ich meinen »feschesten« Walzer los. Mein Publikum saß zunächst ganz starr; bald aber begann der Rhythmus seine unwiderstehliche Wirkung zu äußern. Es kam Bewegung in die steifen Gestalten: die Hände zuckten, die Beine empörten sich gegen ihre orientalisch eingebogne Lage, und die Körper begannen sich nach dem Takt hin und her zu wiegen. Der Wirt aber erhob sich und trat hinter mich, um mit aufgerissenen Augen meine Finger zu beobachten.


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Als ich geendet hatte, faßte er meine Hände und betrachtete sie. »O Herr, was hast du für Finger! Das ging ja wie in einem Karingdschalyk! (Ameisenhaufen.) So etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen!«

»Sihdi,« meinte Halef, »solche Musik gibt es nur noch in El Dschennet, wo die Geister der Seligen wohnen. Allah il Allah!«

Die Frauen wagten es nicht, ihre Gefühle in Worten laut werden zu lassen, doch ihre lebhaften Bewegungen und der anerkennende Ton ihres Geflüsters überzeugten mich, daß sie sich nichts weniger als gelangweilt hatten.

Ich spielte weiter, ein ganzes, stundenlanges Programm herunter, und mein Publikum wurde nicht müde, den noch nie gehörten Klängen zu lauschen.

»Herr, ich habe nie gewußt, daß in diesem Tschalghy solche Stücke stecken,« meinte der Hausherr, als ich ausruhte.

»O, es stecken noch viel herrlichere darinnen,« antwortete ich; »man muß es nur verstehen, sie hervorzulocken. Bei uns im Abendlande gibt es Tausende von Männern und Frauen, die dies noch zehnmal besser können als ich.«

Zwei Irländer sind auch zur Stelle, um den Damaskeserinnen, die am liebsten mitgetanzt hätten, einen Hochländer vorzuführen. Auf die Frage: »Welche Tänze kennt ihr?« erwiderten sie: »Alle! Reel, Horn-pipe, Hochländer, Stamp-man, Polka, Galopp, Walzer, kurz alles, was verlangt wird. Man hat das gut gelernt.«

Auf größerer Höhe der Kunst zeigt sich May in seiner Erzählung »Am Rio de la Plata«. Hier hilft er einem wenig sachkundigen Organisten zu Montevideo aus der Verlegenheit (Bd. 12, S. 37):

Der hehre, lichtdurchflossene Raum war von so vielen Gläubigen besucht, daß die Gemeinden mancher europäischen Hauptstädte sich ein Beispiel daran nehmen könnten. Ein gemischter Gesang mit Orgelbegleitung tönte vom Chor


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herab. Die Sänger waren ziemlich gut geschult, aber der Organist war ein Spieler fünften oder sechsten Ranges. Er verstand das Registrieren nicht und griff sogar sehr häufig fehl.

Die Orgel ist mein Lieblingsinstrument. Ich stieg hinauf, um mir den Mann, der die weihevolle Komposition von Palestrina so verdarb, einmal anzusehen. Der Kantor stand dirigierend vor dem Pult. Der Organista war ein kleines, dünnes, bewegliches Männchen, dessen Gestalt unter den mächtigen Prospektpfeifen noch kleiner erschien als sie war. Als er sah, daß ich, an der Ecke des Orgelgehäuses lehnend, ihn beobachtete, kam ihm sichtlich die Lust, mir zu imponieren. Er zog schleunigst Prinzipal und Kornett und einige sechzehnfüßige Register dazu. Das gab natürlich einen Lärm, der die Vokalstimmen ganz verschlang. Dennoch erhielt er vom Dirigenten keinen Wink. Das Kirchenstück wurde in dieser Weise bis zu Ende gesungen. Dann kam ein kurzes Vorspiel, das aus einem verunglückten Orgeltrio auf zwei Manualen und dem Pedal bestand und in eine mir so bekannte und liebe Melodie leitete. Leider aber hatte der Organista oben Vox angelica, Vox humana, Aeoline und Flauta amabile gezogen und dazu für die Bässe die tiefsten und stärksten Register, so daß die schöne Melodie wie ein Bächlein im Meere der Bässe verschwand.

Das konnte ich unmöglich aushalten. Mochte der biedere Orgelschläger mich meinetwegen dafür mit ewiger Blutrache verfolgen, ich huschte zu ihm hin, schob die volltönenden Stimmen hinein und registrierte anders. Er blickte mich erst erstaunt und dann freundlich an. Meine Anordnung schien im besser zu gefallen als die seinige.

Nach dem dritten Vers trat der Predikator zum Altar, um ein Gebet vorzulesen. Dies benutzte der Organista zur leisen Frage an mich: »Spielen Sie auch die Orgel, Sennor?«

»Ein wenig,« antwortete ich ebenso leise.

Sein kleines, dünnes Gesicht glänzte vor Freude. »Wollen Sie?« nickte er mir einladend zu.

»Welche Melodie?«


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»Ich schlage sie Ihnen auf und das Gesangbuch dazu. Es sind nur drei Verse. Sind Sie hier bekannt?«

»Nein.«

»So winke ich Ihnen, wenn Sie anfangen sollen. Erst ein schönes, liebliches Vorspiel; dann die Melodie recht kräftig mit leisen Zwischenspielen und endlich nach dem dritten Vers eine Fuga mit allen Stimmen und Kontrapunkto. Wollen Sie?«

Ich nickte, obgleich er mehr verlangte, als in meinen Kräften stand. Eine Fuge und Kontrapunkt!

Ich zog die sanften Stimmen zu dem »schönen, lieblichen Vorspiel«, und da war auch schon das Gebet zu Ende, der Segen erteilt, und der Organista stieß mich mächtig in die Seiten, was zweifelsohne der Wink sein sollte, den er mir hatte geben wollen. Ich begann.

Wie ich gespielt habe, das ist hier Nebensache. Ich bin keineswegs ein fertiger Spieler, und ob mein »Kontrapunkt« Gnade vor einem Kenner gefunden haben würde, bezweifle ich mit vollstem Recht. Aber man war die Kunst des kleinen Organista gewöhnt, und so fiel mein Spiel auf. Im Schiff der Kirche standen nach dem Gottesdienst die Leute noch alle und oben der Kantor, der Organista und sämtliche Sänger um mich her. Ich mußte noch eine Fuge zugeben und erklärte dann, daß ich fort müsse.

Im Bd. 11 »Am stillen Ozean« und zwar in der Erzählung »Kianglu«, worin der Kapitän Turnerstick sein kühnstes Chinesisch an den Mann bringt, wartet May voller Genugtuung mit seiner Kenntnis asiatischer Instrumente auf. Er kennt Gong, Gamelang und Anklong, malayische Instumente. Der Gamelang besteht aus Glocken oder Metallplatten und klingt unsrer Glasharmonika ähnlich. Der Anklong ist ein aus hohlen Bambusstöcken bestehendes Instrument von beträchtlichem Gewicht. Von Saiteninstrumenten treten die Pi-pa, eine


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Gitarre, und die Kiü, eine Art Geige auf. Die vier Saiten der letzteren standen in einer fremden Stimmung. Der Bogen war schwer und hatte die sägeähnliche Form unsrer Violinbaßbögen. Im folgenden Auftritt (S. 160 f.) kommt ein wenig abendländischer Hochmut zum Ausdruck. In überlegner Weise sticht May mit seiner Kunst auf beiden Instrumenten die einfache und eintönige Kunst des Bonzen aus, der weder Takt noch Melodie kannte. May zeigt sich wieder als Tausendsassa, er gibt den sieben Saiten der Gitarre, die halbtönige Griffdrähte hatte wie unsre Arten, eine deutsche Stimmung nach H E A D g h a, versucht kurz einige Griffe und spielt dann mit größter Meisterschaft der linken Hand einen schnellen Walzer. Danach stimmt er das Instrument nach spanischer Weise auf H D G d g h d, läßt das bekannte Glockengeläut hören und gibt dann einen Fandango zum Besten. Es heißt nun die Unwahrscheinlichkeit seines Könnens auf die Spitze treiben, wenn der Allerweltskünstler zum drittenmal die Geige nimmt, sie nach unsrer Weise in Quinten stimmt und nun ein Brinkmannsches Lied ohne Worte, nachher einen amerikanischen Reel und dann einen lauten, kräftigen Hopser ertönen läßt.

Zuletzt gibt Turnerstick, von seinem Charley begleitet, ein Lied zum Besten. Es verrät nun wenig Kenntnis der Völkerkunde, wenn May behauptet, daß die abendländischen Darbietungen einen ohrenzerreißenden Beifall bei seinen chinesischen Zuhörern ausgelöst hätten. Bei der ganz andern Richtung asiatischer Musik und Aufnahmefähigkeit ist diese


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von May behauptete Wirkung unwahrscheinlich. Das Kunststück mit der in doppelter Weise gestimmten Gitarre stellt auch etwas zu hohe Anforderungen an die Leichtgläubigkeit der Leser.

Im zweiten Band von »Satan und Ischariot« (Band 21, S. 247 f.) läßt May in einem Koller schriftstellerischer Kühnheit seinen Freund Winnetou, den berühmten Häuptling der Apatschen, urplötzlich in Dresden auftauchen. Seine Kleidung wie folgt: »Eine dunkle Hose, eine ebensolche Weste, um welche ein Gürtel geschnallt war, einen kurzen Sackorock; in der Hand einen starken Stock und auf dem Kopfe einen hohen Zylinderhut, den er nicht abgenommen hatte!«

May wird von ihm überrascht nach der Uebungsstunde, die er mit seinem Gesangverein, dessen »Ehrenmitglied« er war, für ein Konzert zu milden Zwecken veranstaltet hatte.

In Winnetous Begleitung befindet sich Franz Vogel, der frühere Schüler von Mays Kapellmeister, der dem Häuptling als Führer nach Dresden gedient hat. Der Apatsche hört nun bis gegen Mitternacht den musikalischen Darbietungen der für den Häuptling begeisterten Sänger ergriffen zu.

In der Tat war May Mitglied von Gesangvereinen. Im Nachlaß fand ich eine ganze Reihe von ihm selbst komponierter Sachen, die er für den Gesangverein »Lyra« zu Hohenstein-Ernstthal gemacht hatte. Die vergilbten, zum Teil stockfleckigen Blätter zeigen einen lang-runden blauen Stempelaufdruck mit der Inschrift »Sängerkreis zu Ernstthal«. Ein


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Wanderlied (Nr. 24) trägt die Jahreszahl 1864. Ueber die eignen Kompositionen Mays später mehr.

Jeder Leser des Winnetou kennt das Ave Maria, das May gedichtet und vertont hat: »Es will das Licht des Tages scheiden - nun bricht die stille Nacht herein. Ach könnte doch des Herzens Leiden so, wie der Tag vergangen sein« usw.

Die drei Strophen dieses Liedes von der »Königin des Himmels«, wie Winnetou es selbst nennt, wird dem Sterbenden auf seine Bitte von dem alten Hillmann und den übrigen Settlers vorgesungen, und zwar von einem Felsenabsatz herunter, obwohl die Settlers noch an den Nachwirkungen der einschneidenden Felsen litten, von denen eben ihre Hände und Füße befreit waren.

Auch im zweiten Band von »Ardistan und Dschinnistan« spielt die Musik eine wichtige Rolle. Auch hier wirkt May (Bd. 32, S. 206) in el Hadd beim Gottesdienst als Orgelspieler mit. Wieviel bescheidner äußert er sich aber in diesem Spätwerk! Hier bleibt er näher bei der Wahrheit, die »Selbstbeweihräucherung« ist ihm jetzt peinlich. Er ist mehr auf der Hut vor der eignen Großmannssucht. May sagt, die Einübung sei sehr notwendig gewesen, »weil ich kaum so spielen konnte, wie in Deutschland jeder gute Dorfkantor oder Dorfschulmeister spielt. Die frühere Fertigkeit war dahin; die Uebung fehlte, die Finger wollten nicht mehr mit. Wie gern hätte ich den Orgeldienst einem andern, bessern überlassen, aber es gab eben keinen andern.« (S. 206)

Schon vorher (S. 171 f.) weiß er durch Bedienung eines alten Regalharmoniums ein Weihnachtsfest


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wesentlich zu verschönern. Auch da heißt es (S. 172): »Ich bin kein Sänger und habe auch nur eine ganz gewöhnliche Baritonstimme; aber die Wirkung war trotzdem ungewöhnlich. Man kennt den Einfluß unsrer deutschen Lieder, selbst auf Leute, die die deutsche Sprache nicht verstehen.«

In Band »Weihnacht« erfahren wir näheres über den Musikunterricht, den May in seiner Jugend genossen hat. Er erzählt hier (Bd. 24, S. 3 f.):

Ich, der ärmste unter den Schülern meiner Klasse, liebte die Musik glühend, und nahm außer dem gewöhnlichen Unterricht noch Privatstunden in der Harmonielehre usw., was mich auf trockenes Brot setzte, denn ich ernährte mich durch Unterrichtgeben, die Stunde fünfzig Pfennige, und mußte also die Stunde Harmonielehre zu einem Taler mit sechs Stunden meiner Privatzeit bezahlen. Das tat ich aber gern, und der Hunger von damals hat mir bis heute noch nichts geschadet.

In der Theorie - nicht etwa praktischen Komposition - bei der Motette angelangt, setzte ich mich eines Tags mit der durch meine Jugend zu entschuldigenden Idee hin, über das Lieblingsthema »Ich verkündige Euch große Freude« eine Weihnachtsmotette zu komponieren. Wie gedacht, so getan! Das Opus operatum sollte freilich tiefes Geheimnis bleiben, war aber schon bald nach seiner Vollendung aus meinem Kasten verschwunden. Später erfuhr ich, daß ein mir übelwollender Mitschüler es mir wegstibitzt und, um mich bloßzustellen, es meinem Lehrer, einem alten, braven Kantor, durch die Post zugeschickt hatte. Ich suchte lange nach dem verlorenen Heiligtum und gab es endlich auf, es jemals wiederzufinden.«

Die Weihnachtskantate, von der hier der Dichter spricht, ist von dem hinterlistigen Mitschüler Krüger mit absichtlichen Fehlern versehen und dem Kantor durch die Post zugestellt worden, um May zu schä-


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digen. Der Kantor aber erkennt den Wert der Arbeit, stellt ihren ursprünglichen Zustand wieder her, verbessert sie noch und läßt sie drucken. May empfängt dann von ihm als Erlös für die verloren geglaubte Arbeit das namhafte Honorar von fünfundzwanzig Talern, das macht je fünfzehn Pfennige auf fünfhundert gedruckte Stücke. Der Buchhändler schickte Papiergeld, der gute Kantor hat es aber umgewechselt, »weil Silber besser klingt. Es ist ein großer Haufen Geld, da haben Sie ihn, lassen Sie nichts davon fallen!«

May leistet für den hinterhältigen Mitschüler in seiner Herzensgüte Fürbitte und erwirkt, daß die Konferenz mit der Sache verschont wird. Zur Bestrafung soll Krüger ein Sole der fraglichen Motette übernehmen, nämlich einen dreistimmigen Solosatz in As-Dur mit dem Texte: »Darum gehet hin nach Bethlehem, dort werdet ihr finden das Jesuskind in der Krippe.«

In seiner eignen Lebensbeschreibung (Bd. 34 »Ich«) erzählt der Dichter, daß er schon in frühester Jugend eine Art Musik ausgeübt habe, die mehr ein taktmäßiges Geräusch als Töne erzeugte: das Trommelschlagen. Das Soldatenspiel der Erwachsenen war nämlich obenauf.

»Mein Vater war Hauptmann der siebenten Kompanie. Er war bald Leutnant, bald Hauptmann, bald Oberst, bald General.« Der junge May wurde in Anerkennung seiner Verdienste um die neue sächsische Armee zum Tambour befördert. »Die Trommel bekam ich, der Vater hielt stets Wort. Der Klempnermeister Leister am Markt in Hohenstein war dem Vater behilflich sie zu bauen. Es war eine sehr gut gelungene Solotrommel, sie existiert noch heut.«


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Diese Trommel (S. 312) spielte eine weitere große Rolle in den Kindheitserinnerungen des Dichters:

Es ließ sich eine Schauspielertruppe für einige Zeit in Ernstthal nieder, die, weil der Besuch ihrer Vorstellungen schlecht war, in Schulden fiel. Der kleine May wurde zum Retter, indem er für ausgemachte fünfzig Pfennige in dem Stück »Preziosa«, die Trommel umgeschnallt, einen Federhut auf dem Kopf, auf der Bühne auftrat. Er sollte die Preziosa und alle ihre Zigeuner dreimal über die ganze Bühne trommeln. In seinem Uebereifer mißversteht er eine Handbewegung und beginnt, während »Don Fernando und Donna Klara noch auf der Bühne stehen und durchaus ungestört sein wollen, seinen Trommelwirbel zu schlagen. Die Antwort darauf war zunächst ein donnerndes "Lausbub" seitens des Schloßvogts Pedro, der in der gegenüberliegenden Kulisse lehnend, das Zeichen für den Auftritt des Knaben zu geben hatte. Das Schreckenskind ließ sich durch nichts beirren, dir drei Umzüge wurden ebenso unbarmherzig wie zur Unzeit erledigt, die ganze Schauspielergesellschaft mußte auf allgemeinen Wunsch hinterher und den Umzug immer wieder von neuem beginnen. Zuletzt mußte der junge Trommler eine bewegliche Ansprache an die Zuhörer richten, um sie für die nachfolgende Heimsuchung durch die Frau Direktorin freudiger zu stimmen.«

In innigere Beziehung zur Musik kam May als Mitglied der Kurrende, in die ihn der wohlwollende Herr Kantor aufgenommen hatte. Der Knabe verfügte über einen guten, volltönenden, umfang-


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reichen Sopran. Später sang May nach seiner eignen Angabe in »Ardistan und Dschinnistan« Bariton (der aber - nach Frau Klara Mays Mitteilung - zuletzt gelitten haben muß). Der Kurrendeschüler wurde schnell trefflicher, so daß ihm schon nach kurzer Zeit die Kirchensoli übertragen wurden. Auch half er dem Herrn Kantor, teure Kirchenstücke, die die arme Gemeinde nicht kaufen konnte, abschreiben.

Dieser Kantor Strauch aus Ernstthal übte einen segensreichen Einfluß auf den Knaben aus. Er hatte sich selbst durch das Musikstudium förmlich hindurchgehungert. Obwohl ein vorzüglicher Orgel-, Klavier- und Violinspieler, dazu selbst Tonsetzer, brachte er nicht das Selbstbewußtsein auf, um sich geltend zu machen. Die einzige Freude, die er sich gönnte, war, alle neu eingeweihten Orgeln in Sachsen, und auch darüber hinaus kennen zu lernen und auch zu spielen. Im übrigen »mußte er sich mit dem Ton einer sanften Vox humana begnügen, während die sehr gestrenge Frau Friederike in der Ehe als zweiunddreißigfüßiger Prinzipal ertönte.«

Mit innerer Bewegung liest man, was May darüber erzählt, wie dieser Künstler Strauch, dem er als Menschen wie als Künstler einen »unendlich hohen Wert« zuspricht, so gar kein Verständnis bei seiner Frau findet. Um sein geistiges Dasein, um seine seelischen Bedürfnisse kümmerte sie sich nicht. Sie öffnete keins seiner Bücher, und seine vielen Kompositionen verschwanden, sobald sie vollendet waren, tief in den staubigen Kisten, die unter dem Dach standen. »Als er gestorben war, hat sie das alles als Makulatur an die Papiermühle verkauft,


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ohne daß ich dies verhindern konnte; denn ich war nicht daheim.« Konnte May später mit Beziehung auf seine erste Frau nicht über ähnliche Verkennung seiner Schaffenswürde klagen?

Dieser Kantor gab dem zweifellos musikalisch sehr begabten Jungen Orgel-, Klavier- und Violinunterricht. Den Violinbogen fertigte Vater May, der fleißige Weber, selbst an. Der Unterricht war unentgeltlich. Hier klafft ein Widerspruch. Im Band »Weihnacht« sagt May, wohl um die Bedeutung der Sache zu heben, er habe für die Stunde Harmonielehre einen Taler zu zahlen gehabt. Solche Stundengelder werden in dem ärmlichen erzgebirgischen Weberdorf Ernstthal kaum üblich gewesen sein. Den Violinunterricht in der Schulstube und den Orgelunterricht in der Kirche gab der mutige Herr Kantor umsonst. Ebenso die Harmonielehre, wovon die Friederike nichts zu erfahren brauchte. Doch der Klavierunterricht mußte in der Wohnstube abgehalten werden, und da war die geizige Frau, übrigens eine Schwester des Herrn Stadtrats, ein arges Hindernis.

Als Kurrendaner mußte der Knabe Sonn- und Feiertags zweimal in die Kirche, und er tat dies gern. Ein besondrer Gebrauch seines Heimatorts bestand darin, daß am ersten Weihnachtsfeiertag jeden Jahres während des Gottesdienstes der erste Knabe der Kurrende die Kanzel zu besteigen hatte, um mit fröhlich erhobener Stimme vor der lauschenden Gemeinde die bekannte Weissagung des Jesaias zu leiser Orgelbegleitung allein zu singen. Die Ehre dieses mutigen Einzelgesangs wurde auch May zu-


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teil, der den Stern von Bethlehem, der in der Weissagung aufsteigt, unverlöschlich seinem Leben voranleuchten ließ.

In der Seminar- und Lehrzeit hatte May reichlich Gelegenheit, seine Kenntnisse und sein Können in der Musik zu erweitern und zu vervollkommnen. Ein angeborner unwiderstehlicher Drang nach geistiger Betätigung trieb ihn, neben der Dichtkunst auch dem Komponieren sich zu widmen (Bd. 34 »Ich«, S. 367). Seine eigentlich musikalische Schulung erfuhr er aber erst in der Strafanstalt. Hier war es der Aufseher seines Saales, Göhler, der ihn in sein Bläserchor aufnahm und zwar, wie May dankbar hervorhebt, weil er infolge seiner reichen Erfahrung und Menschenfreundlichkeit dem inneren Wesen des verschlossenen Ankömmlings sehr nahe kam. Er hatte, wie fast alle Aufseher der Anstalt, früher beim Militär gestanden, und zwar als erster Pistonbläser.

May trat nun in die Kapelle ein und bekam das gerade frei gewordene Althorn, das er bald wacker blies. Bald wurde er auch von dem Katecheten Kochta, dem er zeitlebens eine innige Dankbarkeit bewahrte, in den Kirchenchor aufgenommen und erhielt den ehrenvollen Auftrag, die vorhandnen Musikstücke durchzusehen und für die zur Verfügung stehenden Kräfte umzuarbeiten, eine Aufgabe, der sich May auf Grund seiner Vorkenntnisse unterziehen konnte. Erstaunlich ist diese Leistungsfähigkeit Mays, der sich außer seinem Arbeitspensum, von dem er trotz seiner musikalischen Arbeiten nicht entbunden wurde, noch eignen Kompositionen und daneben schriftstellerischen Arbeiten hingeben konnte.


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Von den Kompositionen Karl Mays sind zwei gedruckt worden, unter der Ueberschrift »Ernste Klänge«, und zwar das »Ave Maria« für Männerchor in Es-Dur (sehr langsam und innig) und »Vergiß mich nicht« für gemischten Chor in D-Dur. Gedichtet und komponiert von Karl May, Verlag von Friedrich Ernst Fehsenfeld, Freiburg i. Br., jetzt Karl-May-Verlag, Radebeul. Das Ave Maria liegt auch in einer tiefe Höhenlage, nämlich in B-Dur, vor und ist für gemischten Chor von May geschrieben worden.

Unter einem Stoß sehr alter, stockfleckiger Notenblätter fand ich (Nr. 14, also 1864 oder früher verfaßt) ein Ave Maria der Gondolieri am Traghetto della Salute von Karl May, 2 Chöre für Männerstimmen, Gesangverein Lyra.

Das dreistrophige Gedicht »Ave Maria« ist wiederholt auch von andrer Seite in Töne gesetzt worden. So für vierstimmigen Frauenchor von Wunibald Briem, Regensburg, Alfred Coppenraths Verlag H. Pawelek (1884). Der Rang dieser Komposition ist gering. Dem Geschmack der Zeit entsprechend, läßt Briem bei dem Kehrreim: »Ave Maria« eine kleine Glocke mit dem Ton f im Hintergrund taktmäßig anschlagen oder läuten, um eine gute Wirkung zu erzielen. Eine andre Vertonung stammt von K. B. Nitzsche. Diese ist wiedergegeben im »Deutschen Hausschatz« Nr. 29, 24. Jahrgang (Oktober 1897 bis Oktober 1898, S. 542/43) und geschrieben nur für eine Singstimme mit Klavierbegleitung. Im gleichen Jahrgang des »Deutschen Hausschatzes« ist übrigens die Maysche Reiseerzäh-


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lung »Im Reiche des silbernen Löwen« zum Teil abgedruckt.

Der Text zu dem zweiten, von May veröffentlichten Chorlied (Choralmäßig langsam mit Innigkeit) lautet folgendermaßen:

V e r g i ß   m i c h   n i c h t ! 

Vergiß mich nicht! Ich steh im dunklen Land,
Führ mich zur Klarheit, Herr, an deiner Hand.
Ich sehne mich nach deinem Licht;
Vergiß mich nicht, o Herr, vergiß mich nicht!

Vergiß mich nicht! Herr, hör mein Flehen an!
Hinüber schaut mein Aug' nach Kanaan.
Gib mir, was dein Prophet verspricht;
Vergiß mich nicht, o Herr, vergiß mich nicht!

Vergiß mich nicht! Es winkt mir Zion schon.
Ich seh den Himmelsgesang um deinen Thron.
Wenn drob mein Aug' im Tode bricht,
Vergiß mich nicht, o Herr, vergiß mich nicht!

Es scheint, als ob May in der Niederschrift von musikalischen Eingebungen eine fast ebenso große Gewandtheit besessen habe, wie in der Formung literarischer Einfälle. Bei weitem der größte Teil aller für den Sängerkreis zu Ernstthal (Lyra) und der später vertonten Sachen, die oft auch von ihm selbst gedichtet waren, ist, wie die Zählung beweist, verloren gegangen. May bekennt seine Verfasserschaft übrigens bisweilen mit der Abkürzung seiner beiden Vornamen. Wir finden K. Fr. May, und gelegentlich Ch. May (»Ch.« soll wohl die Abkürzung für Charley - Scharlih - sein.) Einige dieser Vertonungen seien angeführt, wie folgt:


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  1. »An die Sterne« (Nr. 13, 1864) für Männerchor, 4stimmig.
  2. »Notturne« (!) (Nr. 20) Soloquartett für 4 Männerstimmen, nach eignem Gedicht: »Ich will dich auf den Händen tragen.«
  3. »Wanderlied« (Nr. 24, 1864), 4stimmig, zu einem Gedicht von Uffo Horn: »Ei, wie geht so flink der Knabe usw.«
  4. »Serenade« (Nr. 25), »Zieht im Herbst die Lerche fort.« 4stimmig.
  5. »Warnung« (Nr. 26), Motette, 4stimmig. »O gräme nie ein Menschenherz, der Gram geht bis aufs Blut. Und all den Kummer, all den Schmerz machst du nie wieder gut usw.«
  6. »Ständchen« (Nr. 29), für Männerchor mit Streichquartettbegleitung; 1. und 2. Violine, Viola und Cello. Von ihm auch gedichtet. »Deine hellen klaren Augen strahlen eine ganze Liebeswelt usw.«
  7. »Weihnachtskantate«, 4stimmig, »Siehe, ich verkündige Euch große Freude!« (Bibeltext.)
  8. »Osterkantate.«
  9. »Ein Alegretto«, »Immer forsch resolut«, »Hübsch muß er sein«.
  10. »Alegro«, »Nur nicht sitzen bleiben«, ein Brettlsang.
  11. »Vaterunser« (für drei Chöre komponiert). Maestoso, mit der Einleitung: »Herr, deinem Thron nahen anbetend wir. O neige deine Ohren in Liebe jetzt uns zu!« Anschließend das Vaterunser, durchkomponiert bis zum Amen.
  12. »Lob der Frauen«, »Was die Mädel treiben,

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ist nit zu beschreiben.« Der Text ziemlich seicht. Für 1 Stimme mit Gitarrebegleitung gesetzt.

May hat auch eine Posse mit Gesang »Pantoffelmühle« verfaßt und vertont. Unter anderm sind auch der Eingangschor und die Ouverture noch erhalten. Ebenso einige Einlagen. Auf einem Zettel fand sich folgendes:

Die Pantoffelmühle.

Original-Posse mit Gesang und Tanz in acht Bildern von Karl May. Musik von demselben.

P e r s o n a l e 

Robert Simson, Müller.
Adeline, seine Frau (Lärmine).
Hermine, seine Schwägerin (Krakehline).
Anne, seine Tochter.
Heinz, Faktotum (
anno 14).
Franz \
Emil >Knappen
Peter /
Michel, Ackerknecht.
Fritz, Lehrling.
Leisetritt, Kirchenvater bez. Kirchenvorsteher.
Hanne, Großmagd.
Rosel, Kleinmagd
Ein Geist.
Bauern, Knappen, Knechte, Mägde.

C h a r a k t e r i s t i k   u n d   E n t w u r f 

Simson steht unter dem Pantoffel (darum »Pantoffelmühle«). Die beiden Frauen Adeline und Hermine heißen ihres Charakters wegen in der Umgebung nur Krakehline und Lärmine. Simson hat es sich von seiner Frau schriftlich geben lassen, daß sie einundfünfzig Wochen regiert und er die übrigen acht Tage. Heinz ist ein Stelzfuß von anno 14, eine alte, gute Haut. Franz gewandt und hübsch; Emil treu,


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aber listig, macht den Ansteller, da er die Gelegenheiten kennt. Peter und Hanne sind ein Liebespaar; bei jeder Gelegenheit spricht er: »Da muß ich erst mit meiner Hanne reden!« Michel ist dumm und gutwillig, der Sündenbock für alles. Fritz, der Lehrling stiftet nichts als Unheil an; er ist der besondere Feind der beiden Weiber. Leisetritt will Anne erwerben und wendet alle gleisnerische Verschlagenheit an. Hanne ist grob und herrschsüchtig, Rosel albern und ränkesüchtig, in Franz verliebt, dem sie deshalb alles zum Gefallen tut. Michel ist schwerhörig, Franz stellt sich auch so.

Von dieser Posse ist noch allerlei erhalten, so die Einlagen: Schnitterlied, Müllerlied, Duett, die alte Jungfer, der Frömmler und andres. Die Besetzung ist folgende: Soprani und Tenori, Alti und Bassi, Violini 1. und 2., Cornett, Clarini in Es, Trompi in Es, Corni in B, Posaune und Violon, Baß und Tuba.

An andrer Stelle findet man folgende Uebersicht über die Instrumente:

I n s t r u m e n t e 

Violinen, 2 erste.
Pratsche (8)
Cello.
Violenbaß.
Oboe.
Fagott.
2 Klarinetten.
Flöte.
Piccolo.
Es-Cornett.
Es-Trompa.


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B-Trompa.
2 Corni.
Trompone Basso.
2 Pauken.
1 Trommel.
1 große Trommel.
1 Triangel.
1 Glasharmonika.

Es würde zu weit führen, hier alle Einzelheiten wiederzugeben. Nach Mitteilung der Frau Klara May soll May oft aus seiner Posse einen Walzer am Klavier gespielt haben, wozu der Besuch tanzte. Sein Text war noch lange bekannt. Sehr lustig wurde dazu mit den Pantoffeln geklappt. Die Posse muß zur gleichen Zeit wie die Dessauer Geschichten entstanden sein, der Stoff zeigt innere Verwandtschaft. Man vergleiche den Band 42 »Der alte Dessauer« sowie die Ausführungen von E. A. Schmid im Jahrbuch 1918 und von Fritz Prüfer im Jahrbuch 1922!

Karl May hat später noch als gefeierter Schriftsteller das Bedürfnis gehabt, fast täglich Klavier zu spielen. Er spielte meist Getragenes und bevorzugte die Molltonart. Wenn er die Komposition eines andern spielte, so geschah es meist, daß er nach den ersten Takten der Erfindungsgabe gestattete, eigne Wege zu gehen. Auch Violine spielte er gern. In Jerusalem zeigte er im Gottesdienst, daß er auch Orgelspielen konnte. Es war auf der Orientreise 1899/1900. Frau May erinnert sich noch, daß zur Verbesserung der Akustik im Kirchenraum Netze ausgespannt waren.


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Sie schildert die Wirkung der Musik auf ihren Gatten wie folgt: »Wie prächtig die Musik auf Karl May wirkte, habe ich oft beobachtet. Bei erhabnem Orgelspiel versank er in sich und vergaß seine Umgebung. In Jerusalem spielte er in der deutschen Kirche die Orgel und sprach erst noch über das Instrument mit uns allen, dann spielte er den Satz einer Bachschen Fuge. Wie setzten uns, des Stehens müde. Er verließ die vorgeschriebne Linie, irrte ab und verfiel ins musikalische Träumen. Eine Störung trat ein, er brach jäh ab, und wir sahen in ein geistesabwesendes, von Tränen benetztes Antlitz. Schwankend, wie ein Trunkner, erhob er sich, und es dauerte Sekunden, bevor er wieder in unsrer Alltagswelt landete. Derartige Zustände beobachtete ich noch oft an ihm, auch bei seinem Arbeiten.«

May hat sich im Ausland gelegentlich auch mit eigner Hand einfache Musikinstrumente gebaut, so einmal unter Zuhilfenahme eines hohlen Kürbisses. Er war überhaupt nicht etwa unpraktisch und hat mancherlei Handarbeit im Hause gemacht. Besonders liebte er im Alter die Gartenarbeit.

Was die Stellung zu den Meistern der Tonkunst anlangt, so schätzte er neben  B a c h   und  B e e t h o v e n  besonders  M o z a r t   hoch, den er oft spielte. »Froh und heiter stimmte ihn Mozart, den er wie einen Sonnengott schätzte. Beethoven vertrug er nicht im Dilettantenkreis, da verschwand er, aber im Sinfoniekonzert zitterte er bei der Neunten wie Espenlaub, und einmal wurde er regelrecht grob zu Damen, die in der Pause nach einer Beethovensinfonie von Weinabziehn zu sprechen wagten. Er


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ging, ohne die Fortsetzung des Konzerts anzuhören.« (Frau Klara May.)

Zu  W a g n e r  dagegen, dessen »Ring« er unter anderm besuchte, konnte er gar keine innere Beziehung gewinnen. Er soll übrigens mit diesem großen Tonschöpfer einmal in Gesellschaft zusammengetroffen sein: vermutlich Ende der 70er oder Anfang der 80er Jahre im Belvedere zu Dresden.

Johannes  B r a h m s  schätzte er. Auch ihn scheint er persönlich kennen gelernt zu haben und zwar im Hause des Kommerzienrats Seiler in Deidesheim bei Neustadt an der Hardt, dessen Frau selbst Sängerin ist.

Andre Männer des öffentlichen Musiklebens, zu denen May in mehr oder minder nahe Beziehung trat, sind: Generalmusikdirektor E. v.  S c h u c h  und der Wiener Komponist  M a n d t . 

Unter den zahlreichen Gaben, die May von seinen Verehrern und Verehrerinnen bei besondern Gelegenheiten empfing, befand sich auch manche Vertonung, die ihm, oft mit rührendem Aufwand an kunstgewerblichem Fleiß in geschmackvollen, selbstgefertigten Einbänden, übersandt wurden. So fand ich unter anderm von Else Müller eine schlichte Vertonung zu dem Mayschen Gedicht: »Ich fragte zu den Sternen.« (1902.) Auch Winnetou und andre Heldengestalten Mays haben schon manchen jugendlichen Leser zu Tonschöpfungen hingerissen, die mehr durch die Kühnheit ihrer Programm-Musik, als durch musikalischen Wert hervorragen. Sie geben Einblick in die Seele unsrer Jugendlichen und zeigen, wie sehr die Lesung der Mayschen Erzählungen den


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Tätigkeitstrieb der Jungen auch in musikalischer Richtung befruchtet.

Wir stehen bewundernd vor der Vielseitigkeit des Mayschen Geistes. Er war zwar auf keinem Gebiet der Wissenschaft, ebensowenig in der Musik, ein Bahnbrecher, Forscher oder ernstlich in Wettbewerb tretender Schöpfer, wäre aber, wenn das Schicksal ihm eine musikalische Laufbahn zugewiesen hätte, wahrscheinlich mit ansprechenden Leistungen hervorgetreten. Ein besondrer Wert kommt seinen Kompositionen nicht zu; sein Kontrapunkt ist unausgebildet, formale Fehler unterlaufen. Wenn das Wesen der Musik ähnlich wie das der Lyrik darin besteht, daß Urempfindungen des Menschen mit immer wieder neu verjüngten Ausdrucksmitteln gestaltet werden, so war May nicht mehr als Handwerker oder Dilettant im guten Sinn.  N e u e  Ausdrucksmittel hat er weder in der Sprache noch in Tönen finden können.





[Anmerkung (Im Original am Ende der entsprechenden Seite.)]

8 May schreibt - o du herrliches Sächsisch! - hier und da Passo statt Basso, Pratsche statt Bratsche u.a.


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