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Radebeul, Kirchstraße 5

Notizen über die "Villa Shatterhand"

Von Erich Heinemann

In der "Villa Shatterhand"gibt es
viel Seltenes und Seltsames
zu sehen, in der Bücherei, im
Arbeitszimmer, im Sterbezimmer.

Alfred Biese
Literarhistoriker (1855 - 1930)*

1. in Kurzfassung soll hier über die wichtigsten Räume in Karl Mays Wohnhaus zwischen 1896 und 1912 informiert werden. Und zwar anhand von Mays eigenen Auskünften, Augenzeugenberichten und Fotos. An mehreren Stellen wird Bezug genommen auf Hans-Dieter Steinmetz, "Die Villa Shatterhand' in Radebeul" (Jb - KMG 1981, S. 300 - 338) sowie Klaus Hoffmann, "Karl May. Leben und Werk. Ausstellung in der Villa Shatterhand", Radebeul 1988. Beide Quellen liefern ausführliche Informationen.

Auf der Grundlage der im Jb - KMG 1981 (S. 312 - 313) abgedruckten Bauzeichnungen versucht die beigegebene Skizze zu veranschaulichen, wie Empfangszimmer (Erdgeschoß), Bibliothek und Arbeitszimmer (Obergeschoß) vor Mays Tod (1912) eingerichtet waren. Es dürfte sich bei dieser Möblierungsskizze um die erste ihrer Art handeln, die von der "Villa Shatterhand" vorgelegt wird. Sie ist mit aller Sorgfalt nach Fotos und Berichten von Besuchern angefertigt worden, kann aber verständlicherweise keinen Anspruch auf absolute Authentizität erheben.


*Karl-May-Jahrbuch 1931, Radebeul, S. 110.


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2. Wiederholt wechselte der Straßenname:
-bis 1932 Kirchstraße
von 1932 bis 1945 Karl-May-Straße
- seit 1945 Hölderlinstraße
- seit 1985 (westlicher Teil) Karl-May-Straße

3. Das Haus, das nach seiner Fertigstellung (Oktober 1894) noch ein Jahr unbewohnt blieb, erwarb Karl May im November 1895 - einschließlich Garten - für 37.300 Mark. Nach einer Mitteilung an den Hamburger Caféhausbesitzer Carl Felber vom 23. Dezember 1895 ("Kauf einer neuen Villa! Großer Umzug und neue Einrichtung!") zog er noch im Dezember 1895 ein (Hoffmann a.a.O., S. 56 und 60); andere Quellen nennen den 14. Januar 1896. Er ließ unter dem Dachvorsprung den Namen "Villa Shatterhand" anbringen.

Die ursprüngliche Ansicht des Hauses weicht von der heutigen insbesondere dadurch ab, daß die aus Holz bestehende Veranda mit darüber gelegenem Balkon (rechte Vorderseite) zwischen 1925 und 1932 durch einen bis zur Dachhöhe reichenden massiven Vorbau ersetzt wurde.

Um sich der vielen Besucher zu erwehren, die den inzwischen berühmt gewordenen Schriftsteller persönlich kennenlernen wollten, ließ er an der Gartenpforte folgendes Schild befestigen: "Besuche von Fremden werden nur nach vorheriger schriftlicher Anmeldung empfangen." Sogar in seinen Büchern wies er auf diese Regelung hin (vgl. Nachwort zu "Im Lande des Mahdi", III. Band).

4. Karl May schrieb an seinen Schwager Carl Heinrich Selbmann (undatierter Brief, wahrscheinlich 2. Jahreshälfte 1897): "Meine Villa, welche wir natürlich ganz allein bewohnen, hat 1 Salon, 1 Musikzimmer, 1 Speisezimmer, 1 Studier- und 2 Bibliothekszimmer, 1 Schlafzimmer, 2 Gastzimmer, Stube für das Hausmädchen, Garderobe, Küche mit großem Herde, Obst- und andere Kammer, Waschhaus, Holz- und Kohlenhaus, Keller für Wein,


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Keller für Speisen, Wasserleitung für alle Zimmer und einen prächtigen Garten." (Zitiert nach Steinmetz, a.a.O., S. 310.) Am 13. Juli 1910 besuchte der Schriftsteller Adolf Droop, Verfasser des Buches "Karl May, eine Analyse seiner Reise-Erzählungen", Cöln-Weiden 1909, die "Villa Shatterhand". Er berichtet darüber: "Beim Eintritt in das Haus öffnete sich ein Flur, dessen Wände mit Reiseerinnerungen, Waffen und vielen Bildern bedeckt sind. Gegenüber der Eingangstür stehen zu beiden Seiten eines arabischen, mit einer Tonvase geschmückten Tisches zwei Modelle: eine weibliche Sphinx, gearbeitet von Professor Selmar Werner, und eine männliche von Professor Sascha Schneider ... Darüber prangen an der Wand ein gewaltiger Elchkopf, ... ein Lasso und ein arabischer Sattel ..." ("Die Villa Shatterhand", in: KMJB 1921, S. 82.) Den arabischen Sattel beschreibt Karl May in seiner Novelle "Schamah", 1909.

5. In seiner Reise-Erzählung "Winnetou, Band IV", S. 2, führt Karl May den Leser in seine Villa. Seine Frau habe, "während die obere Etage meine Zimmer enthält, das ganze Parterre des Hauses inne. Da waltet sie als unermüdlicher, fleißiger Wirtschaftsengel, empfängt die immer zahlreicher werdenden Besuche meiner Leser und beantwortet alle die vielen Briefe. . ." Im Empfangszimmer(27,5 qm) hingen mehrere Originalgemälde von Professor Sascha Schneider:

· "Marah Durimeh", Zeichnung 1907,42x 53 cm (später Deckelbild zu "Ardistan und Dschinnistan", I/II).

· "Abu Kital", Zeichnung 1906, 55 x 54 cm (vorgesehen als Deckelbild zu dem geplanten gleichnamigen Roman).

Beide Zeichnungen über dem Schrank an der Wand zum Flur.

· "Der Chodem" (Das Gewissen), Ölbild (sw), 1903, 240 x 210 cm. Es bedeckte die Wand nach Westen samt dem Fenster.

· "Die sterbende Menschheit', Zeichnung 1903, 40 x 49 cm (später Deckelbild zu "Winnetou IV").

· "Christus und Mohammed", Zeichnung 1904, ca. 50 x 80 cm (Deckelbild zu"Orangen und Datteln").


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Droop (a.a.O., S. 84) beschreibt das Empfangszimmer wie folgt: "Rechts der Tür steht ein Schrank, der Reiseerinnerungen enthält. Auf ihm erhebt sich eine Büste Karl Mays aus Bronze von Sascha Schneider ..." (Sie zeigt Karl May mit sphinxähnlichen Zügen.) "Dem Schrank gegenüber befindet sich ein Schreibtisch, der von einer Büste Selmar Werners, 'Der Glaube' überragt wird ..." (An diesem Schreibtisch wird Klara May die Leserpost beantwortet haben.)

6. Das Bibliothekszimmer (27,5 qm): Ein späterer Besucher war der Schriftsteller Heinrich Zerkaulen. Er schreibt in den "Leipziger Neuesten Nachrichten" vom 13. April 1927 (zitiert nach KMJB 1928, S. 185 ff.): "Und die Treppe hinauf zu den ehemaligen Arbeitsräumen Karl Mays ist ein Weg durch sagenhafte Kulturen Indiens und Chinas. Wir stehen in der Bibliothek des Dichters. Riesige Büchergestelle füllen den saalartigen Raum bis zur Decke. Da ist von seiner Hand alles katalogisiert und numeriert. Kulturgeschichten aller Völker, Geografie und Religionsgeschichte. Der Koran liegt auf einem Taburett neben dem Diwan..."

Droop (a.a.O., S. 86) erwähnt noch die Ecknischen in den Wandregalen, in denen "arabische Lampen und türkische Wasserpfeifen" hingen, "und die Fenster sind drapiert mit Vorhängen, von denen sich in blau und rot gehaltene Koransprüche abheben".

7. Von seiner Bibliothek und seinem Arbeitszimmer (27,2 qm) überliefert Karl May ein Bild in seinem Roman "Im Reiche des silbernen Löwen", Bd. 4, S. 3 und 6, wo er die Einrichtung des "hohen Hauses" beschreibt. Er spricht von den Felle(n) wilder Tiere, denen die präparierten Köpfe, Klauen und Krallen gelassen wurden". Dabei dachte er sicherlich an das Bärenfell vor seinem Schreibtisch und an den mächtigen ausgestopften Löwen (vgl. "Freuden und Leiden eines Vielgelesenen", Deutscher Hausschatz, Regensburg, Nr. 1, XXIII. Jahrg., S. 2). Der Besucher Richard Kirsch behauptete, diesen Löwen schon von der Straße her hinter dem Seitenfenster im Obergeschoß


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erblickt zu haben (hierzu Hoffmann in: Jb - KMG 1974, S. 85/86). Als Karl May sich nach der Orientreise neu einrichtete, stellte er den monströsen Löwen nicht wieder auf.

Droop (a.a.O., S. 86 f.) über das Arbeitszimmer: "Noch heute (1921, Anm. E. H.) steht dort der schmucklose Schreibtisch, an dem er seine unvergänglichen Gestalten schuf. Noch heute steht dort sein Tintenfaß mit den metallenen Federhaltern, die er benutzte ... An den Wänden stehen auch hier Schränke mit arabischen Tassen, Vasen, Tongefäßen, Pfeifen und anderen Erinnerungen an die Orientreisen Karl Mays.** Sascha Schneiders Zeichnungen zu 'Im Reiche des silbernen Löwen', Bd. IV. und 'Am Jenseits' grüßen von der Wand. Nach der Straße zu öffnet sich ein Altan ..."

Mehr darüber bei Karl May selbst ("Und Friede auf Erden", S. 491 f.): "Die Fenster sind geöffnet, und auch meine Balkontür steht offen, grad so gegen Süden, wie damals die Fenstertür im Kratong zu Kota Radscha ... Der Altan trägt ungezählte, blühende Pelargonien ... Das Rankengefieder der chinesischen Glycinen steigt hoch am Hause und zu seiten meiner Fenster bis an das Dach empor..."

Einem Besucher erzählte Klara May 1937 eine Geschichte (Der Tagesspiegel vom 20. September 1959), wonach ihr Mann sich den "uralten Mahagonischreibtisch" einmal "aus zweiter, dritter Hand" gekauft habe, "als er noch ziemlich arm war ... Dazu diesen Arbeitsstuhl. Den Tisch ließ er sich zehn Zentimeter höher und den Stuhl zehn Zentimeter niedriger machen, weil er es liebte, beim Arbeiten immer kerzengerade zu sitzen. Er liebte diesen alten Tisch über alles und wollte sich um keinen Preis der Welt von ihm trennen." (Vgl. Foto "Karl Mays Arbeitszimmer mit seinem Schreibtisch" in: "75 Jahre Karl-May-Verlag", Bamberg 1988, S. 176. Die Verlängerung der Tischbeine ist deutlich zu erkennen.)


** Karl May bereiste nur einmal den Orient (26.3.1899-31.7.1900).


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Mit den wichtigsten Einrichtungsgegenständen holte sich der Karl-May-Verlag auch den Schreibtisch 1961 nach Bamberg. In Radebeul geblieben ist offenbar die orientalische Deckenlampe des Arbeitszimmers, die jetzt im Museum, Erdgeschoß, hängt.

8. Über den als "Cabinet" (14,2 qm) bezeichneten länglichen Raum, dessen einziges Fenster zum Garten liegt, wissen wir wenig. Hans-Dieter Steinmetz (a.a.O., S. 311) nimmt an, daß ab April 1903 Klara Mays Mutter Wilhelmine Beibler darin wohnte. Alfred Schneider berichtete (in: "Mein Leben mit Karl May", S - KMG Nr. 85,1985, S. 7): "Klara May ... führte mich durch die Villa, auch in das kleine Stübchen, in welchem Karl Mays Sterbebett stand. Ein bescheidenes Holzbett, darüber der Dornenkranz aus dem Heiligen Lande." Dieses schlichte Bett soll noch in Bamberg stehen.

9. In "Frau Pollmer, eine psychologische Studie" (Bamberg 1982, S. 37 ff.) erwähnt Karl May das "sogenannte nackte Zimmer", das offenbar mit dem Cabinet identisch ist. Es soll aber, wie er mitteilt (S. 41), neben seiner Bibliothek gelegen haben. Der Raum neben dem Cabinet wird in der Hausskizze jedoch als Schlafzimmer ausgewiesen. Offenbar hat dieses Zimmer in der ersten Zeit (nach 1896) als Bibliothek gedient: Karl May schreibt nämlich in "Freuden und Leiden ..." (a.a.O., Nr. 1, S. 6), er trete "aus dem nach der Straße gelegenen Studierzimmer in die Bibliothek, aus welcher ein zweiter Balkon nach dem Garten geht". Damit ist eindeutig das mit einem Balkon ausgestattete, dem Garten zugewandte Zimmer gemeint. Das löst auch das Rätsel, wie es Karl May, der lesend in seiner Bibliothek saß, möglich gewesen sein sollte, ein im Cabinet geführtes Gespräch mitanzuhören (Anmerkung zu S. 914 der Handschrift "Studie Emma Pollmer").

Wenig wahrscheinlich ist dagegen, daß es zwei Bibliothekszimmer gab, obwohl Karl May dies in seinem (oben zitierten) Brief an Carl Heinrich Selbmann behauptet.


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"Villa Shatterhand" (um 1912)


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"Villa Shatterhand" (um 1912)


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Zur Hausskizze der "Villa Shatterhand" um 1912

Eingezeichnet wurden die Einrichtungsgegenstände des Empfangszimmers (27,5 qm) im Erdgeschoß und der Bibliothek (27,5 qm) sowie des Arbeitszimmers (27,2 qm) im Obergeschoß mit folgenden Kennziffern:

1 = Sessel
2 = Schrank
3 = Wandschirm
4 = Gemälde "Chodem"
5 = Damenschreibtisch
6 = Rundtisch
7 = Konsole
8 = Bücherregal
9 = Sitzbank
10 = Tisch
11 = Hocker
12 = Stuhl
13 = Diwan
14 = Arab. Tisch
15 = Teppich
16 = Mays Schreibtisch
17 = Schreibtischsessel
18 = Eckschrank
19 = Sofa
20 = Bärenfell


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