Der Autor Rolf Kamradek, Verfasser von „Die seltsamen Reisen des R.K.“ und des Schauspiels „Karl May – der Traum vom Fliegen“, hat erstmals seit seiner Kindheit den Band „Winnetous Erben“ wieder gelesen und seine Gedanken dazu notiert. Seine Rezension bringen wir hier in drei Teilen. Der erste Teil betrachtet den Roman unter dem Aspekt des Abenteuers, der zweite stellt die Symbolik heraus und der dritte Teil schließlich liefert einen historischen Nachtrag.
Den Band „Winnetous Erben“ können Sie im Karl-May-Verlag erwerben. Die ursprüngliche, unter dem Titel „Winnetou IV“ erschienene Fassung ist noch als Reprint zum Sonderpreis von nur 9,90€ lieferbar. Bestellungen des Reprints richten Sie bitte an: reprints@karl-may-gesellschaft.de
Winnetous Erben – Abenteuer und Symbol
zwei unterschiedliche Inhaltsangaben.
von Rolf Kamradek
2. Symbolik und bewusstes Wunschdenken
Wenn Karl May im Jahre 1907 tausende Apatschen, und Sioux als frei lebende Indianer auf den Kriegspfad schickt und man weiß, dass der letzte Apachenhäuptling Geronimo und seine letzten 23 Krieger schon 1886 von der ganzen US-Army gejagt und gefangen wurden, dass man danach alle Apachen nach Florida verschleppte, dass die Sioux nach der Schlacht am Little Bighorn nach Kanada flohen, dann erscheint das Geschilderte oft etwas albern.
Karl May war 1908 in Amerika. Man kann doch annehmen, dass er um diese Wirklichkeit wusste.
Aber die Wirklichkeit verfremdet er bewusst. Er will den Roman symbolisch verstanden wissen.
Das früher noch unbewusste Wunschdenken Mays, das er sich mit Überhöhung seiner eigenen Person in seinen Abenteuerromanen verwirklichte, erkannte schon Hermann Hesse. Jetzt in Mays Alterswerk wird dieses Wunschdenken auch bewusst eingesetzt, wobei der Dichter die traurige Wirklichkeit verschweigt. Hartmut Wörner hat das mit der Interpretation des Gedichtes „Schön“ aus dem Spätwerk Mays gezeigt. Seine verunglückte Ehe mit Emma Pollmer verschweigt May darin, idealisiert sie bewusst ins Gegenteil, in die Wunschdarstellung einer Ehe (Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft No 204, Juni 2020).
So arbeitet er auch in Winnetous Erben.
Deshalb hier eine zweite Inhaltsangabe:
In Mays Wunschvorstellung entstammen alle Indianer einer großen, gemeinsamen Nation. Aus Asien kommend, haben sie, unter Beibehalten der Verbindung zu ihrer Heimat deren Hochkultur und geistige Reife auch in Amerika bewahrt, mussten aber später ihren Niedergang, beschleunigt durch die Weißen, zur traurigen Gegenwart erleben. Jetzt aber stehe ihnen wieder eine große Zukunft bevor. Sinnbild daf
ür ist der Niagara, der sich aus erhabenen Seen kommend zu einem Fall verengt, sich aber unten wieder zur erneuten Größe weitet. Tatellah-Satha, der Bewahrer der Medizinen, war der Lehrer Winnetous. Er besitzt am Mount Winnetou ein altes Schloss, das im Laufe der Jahrhunderte mit allen Bauelementen indianischer Hochkulturen errichtet wurde. (Nur einen emporstrebenden Dom vermisst Karl May). In dem weisen Medizinmann erkennt er das Pendant seiner asiatischen „Seele“ Marah Durimeh in Kurdistan, die man aus anderen Spätwerken Mays kennt. Sogar die Gesichtszüge sind identisch. Die unermesslichen bibliophilen und kunstgeschichtlichen Schätze der Indianer werden nun mit Hilfe Karl Mays und des fliegenden „Jungen Adlers“ entdeckt.
Dem Wiederaufstieg der roten Rasse steht also nichts mehr im Wege. Aber die Sioux wollen ein nationales indianisches Großreich unter Ausschluss der Bleichgesichter und deren Helfer der Apatschen. Old Shatterhand und Winnetou stehen dem als Symbole für die Gemeinsamkeit aller Menschen im Wege.
Old Shatterhand beginnt nochmals an Winnetous Grab zu graben und entdeckt die Tagebücher des Apatschen. Die werden nun jeden Abend vorgelesen und das Herzle wirft mit einem Projektor das Bild Sasha Schneiders an den Wasserfall, auf dem der nackte Winnetou, eine Adlerfeder verlierend, gegen das fallende Wasser emporsteigt, empor ins Reich der Edelmenschen. Das ist das Gegenbild zu dem Rowdy im Denkmal. Alle, auch die nun befreiten Sioux, Utahs und Kiowas, sogar die beiden Bildhauer werden so vom richtigen Weg überzeugt. Alle treten dem Clan der edel gesinnten „Winnetous und Winnetas“ bei, die, alle wie Winnetou gekleidet, einen Stern an der Brust tragen, auf deren Rückseite der Name eines Menschen steht, dessen Schutzengel sie sein wollen. Interessant ist auch Mays modern anmutende Kritik an der Zerstörung der Natur durch die Technik, ebenso der den Frauen gewährte Anteil am Erfolg der Geschichte, insbesondere des „Herzles“, das sich im emotionalen Erfassen einer Situation oft sogar Old Shatterhand überlegen zeigt. Auch einige Indianerinnen und die Siouxfrauen, die sich dem Kriegszug ihrer Männer widersetzen und selbst einen friedlichen Zug zum Mount Winnetou unternehmen, passen hierzu.
Mays alle Menschen vereinenden und damit die Welt verbessernden Ziele sind sicher edel und bejahenswert, liegen aber, so wie hier dargestellt, meist allzu fern aller Realität. Diese sollte sich eigentlich auch im Symbol erkennbar spiegeln, ist aber allenfalls in Ansätzen erkennbar. May beschwört diese Ziele oft in seitenlangen, emotionalen und sich wiederholenden Monologen.
Nun ja – ich lege das Buch zur Seite. Ich werde mal wieder „Unter Geiern“ lesen.
Fortsetzung folgt …
Teil 1 „Abenteuer“ finden Sie hier