Dr. Morgenstern widerlegt?

von Dr. Helga Gemegah, Hamburg

In Ergänzung zu dem sehr interessanten Artikel von Hartmut Wörner >Abenteuer-Narr< oder moderner Wissenschaftler? Karl Mays Protagonist Dr. Morgenstern von der anderen Seite< (Teil I), Mitteilungen der Karl May Gesellschaft, Nummer 200, Juni 2019, 2. Quartal, stimme ich ihm voll und ganz zu in seinem Bezug auf die wissenschaftlichen Kenntnisse des Dr. Morgenstern. Dadurch wird auch deutlich, dass Karl May sehr wohl informiert war über den aktuellen Forschungsstand seiner Zeit. Allerdings habe ich mich vorrangig mit Karl Mays möglicher Rezeption der Vorstellungen von José de Acosta (1540-1600), des Physischen Anthropologen Aleš Hrdlicka (1869-1943) bzw. von Alexander von Humboldt auseinandergesetzt [Gemegah 2007, 2009].

Die Auseinandersetzungen über eine frühe Besiedelung Amerikas dauern an. Es gibt heute ebensolche unterschiedlichen Ansätze nicht nur zu Amerika, sondern auch zu anderen Kontinenten. Man ging damals eher davon aus, dass die Menschheit in Europa entstanden war. Als in Amerika Werkzeuge und Fossilien gefunden wurden, die auf eine frühe menschliche Präsenz hinwiesen, waren diese bis 1910 anerkannt, anschließend wurden sie strikt abgelehnt. Zum damaligen Zeitpunkt gab es noch keine Erkenntnisse über Funde in Afrika. Als im 20. Jahrhundert die ersten Funde in Afrika gemacht wurden, gab es etwa zwanzig Jahre lang keine Möglichkeit für Veröffentlichungen. Frühe Funde in China wurden ebenso abgelehnt. Der gemeinsame Nenner für die Ablehnung von weltweiten frühen Funden, vor allem der amerikanischen, liegt darin begründet, dass man von Anfang an davon ausging, dass die gesamte Menschheit nur einen einzigen Ursprung haben konnte. Daher war es nicht möglich, diverse Fundorte für Frühmenschen weltweit zu akzeptieren.

Nachdem Europa für lange Zeit als einziger Ursprungsort galt, mussten die afrikanischen Funde in das Weltbild eingeordnet werden. Dadurch entstand die „Out-of-Africa“-Vorstellung. Allerdings gibt es hierzu heute heftige Widersprüche. Man ist sich nicht einig, ob es nur die Auswanderung von Homo Sapiens oder von Homo Erectus aus Afrika gab. Ebenso gibt es widersprüchliche Ansätze dazu, ob es Verdrängungen lokaler Bevölkerungen gab oder ob die Wanderer aus Afrika leere, unbewohnte Gegenden vorfanden. Das Alter und die Herkunft der ersten Amerikaner sind daher nach wie vor offene Fragen. Inzwischen werden Ansätze über weltweite multiregionale Ursprünge diskutiert.

Für Morgenstern gab es lediglich die damals gängige vierhundert Jahre alte Vorstellung von José de Acosta, dass die ersten Amerikaner zu Fuß aus Asien gekommen waren. Dieses Modell ist in den letzten zwanzig Jahren immer mehr hinterfragt worden. Sicher gibt es Mitglieder in der Karl- May-Gesellschaft, die die neuen Forschungsrichtungen fachlich nachvollziehen können. Als Nicht- Naturwissenschaftlerin kann ich nur die neuen Forschungsansätze in ihrer Zusammenfassung beobachten.

Karl May hat diese Auseinandersetzungen, die damals in ähnlicher Form verliefen, akribisch verfolgt. Seine genauen Schilderungen sind in der Erstausgabe des „Vermächtnis des Inka“ enthalten. Aus späteren Versionen wurden einige von Mays Hinweisen auf den Forschungsstand entfernt.

May hat als Pädagoge wissenschaftliche Inhalte in einen spielerischen, abenteuerlichen Rahmen gesetzt, um damit seinen nicht nur jugendlichen Lesern Kenntnisse zu vermitteln. Das ist ein Aspekt, den man nicht vergessen sollte.

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