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Das 54. Jahrbuch setzt, wie der Dortmunder Kongress, den es dokumentiert, ganz zeitgemäß einen politischen Schwerpunkt. Malte Ristau stellt Karl Mays frühen Lieferungsroman über das rebellische Geschlecht derer von Quitzow in den Zusammenhang der Hohenzollern-Propaganda des Deutschen Kaiserreichs. Johannes Zeilinger spürt dem Verhältnis von historischer Realität und Orientklischee im mehrfach zu beklemmender Wirkung gebrachten Motiv der schiitischen Leichenkarawane nach. Gleich vier Beiträge des Bandes beschäftigen sich mit der Winnetou-Trilogie: Stefan Mühlhofer wägt weltanschauliche Verlautbarungen des Erzählers und zeitgebundene Stereotype im Text kritisch gegeneinander ab. In die Tiefe geht Helmut Schmiedt mit der Analyse eines interkulturellen Streitgesprächs, das der junge Old Shatterhand mit der überraschend gut informierten und beredsamen Häuptlingstochter Nscho-tschi vom Zaun bricht. Anna M. Horatschek gelangt zu einer ausgewogenen Bewertung der unterschwelligen rassistischen Signale, die auch explizit kolonialismuskritische Autoren wie Karl May und Joseph Conrad aussenden. Thomas Glonings exemplarische Betrachtungen zum Wortschatzprofil zeigen, wie ergiebig und aufschlussreich corpuslinguistische Methoden und die historische Semantik für die literaturwissenschaftliche Interpretation sein können. Zur Rezeptionsgeschichte forschen Thilo Scholle, der umfangreiches Quellenmaterial zur Beurteilung Karl Mays in der deutschsprachigen Sozialdemokratie bis 1933 vorlegt, und Friedhelm Schneidewind, der mit einem Fragebogen seinen Einfluss auf Autorinnen und Autoren der heutigen Fantasyliteratur zu quantifizieren versucht. Die Jahresberichte von Helmut Schmiedt, Michael Kunz und Gunnar Sperveslage über Mays Fortleben in Wissenschaft und Literatur, in den populären Medien, in den Aktivitäten der Karl-May-Gesellschaft und der Arbeit anderer Institutionen lassen erkennen, wie engagiert und unvoreingenommen sich die Szene der aktuellen akademischen und gesellschaftlichen Debatte über systemischen Kolonialismus und Rassismus im May-Kosmos stellt. Diese Diskussion bedarf, wie alle hier versammelten Aufsätze beweisen, gründlicher textlicher und biographischer Kenntnisse und eines differenzierten Instrumentariums. Mit ideologischen Schnellschüssen und schlagzeilenträchtigen Pauschalisierungen wird man weder Karl May noch seiner (hoffentlich auch künftigen) Leserschaft gerecht.
Inhaltsverzeichnis:
- Florian Schleburg: Das vierundfünfzigste Jahrbuch
- Malte Ristau: Ritter, Räuber und ein besonderer Fürst · Karl May und der Start der Hohenzollern in Brandenburg
- Johannes Zeilinger: Karl Mays Todeskarawane · Dramatisches Seelenprotokoll oder koloniale Propaganda?
- Stefan Mühlhofer: ›Ein Kind seiner Zeit‹?
- Koloniale Aspekte in ›Winnetou‹ I–IV
- Helmut Schmiedt: Die Strafpredigt einer schönen Frau
- Ein interkultureller Disput in ›Winnetou I‹
- Anna M. Horatschek: ›Literarischer Rassismus‹ bei Joseph Conrad und Karl May? · Ein exemplarischer Vergleich
- Thomas Gloning: Zum Wortgebrauchsprofil der ›Winnetou‹-Trilogie
- Systematisierungsperspektiven und erste Befunde
- Thilo Scholle: Karl May im Spiegel der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung bis 1933
- Friedhelm Schneidewind: Der Einfluss von Karl May auf zeitgenössische deutschsprachige phantastische Autor*innen · Eine Untersuchung und ihre Ergebnisse
- Helmut Schmiedt: Literaturbericht
- Michael Kunz: Medienbericht
- Gunnar Sperveslage: Karl May im interkulturellen Spannungsfeld
- Das 54. Jahr der Karl-May-Gesellschaft